Bereits in Weltrevolution, Nr. 154, der Juni-Juli Ausgabe der deutschsprachige Zweimonatszeitung der IKS, haben wir Kommentare zu unserem Artikel über die Berliner Luftbrücke unsererseits kommentiert, wo es um die uns unterstellte Leugnung des Unterschieds zwischen Faschismus und Demokratie ging. Wir versuchten dort aufzuzeigen, dass die Kommunistische Linke keineswegs Unterschiede zwischen diesen beiden Formen der Diktatur des Kapitals leugnet. Die italienische Fraktion der Kommunistische Linke hat Mitte der 1930er Jahre vielmehr auf diesen Unterschied hingewiesen, um die Tatsache zu erklären, dass nach dem Sieg des Hitlerfaschismus in Deutschland es der Bourgeoisie der westlichen Demokratien nun möglich geworden war, auch ohne vorherige physische Zerschlagung die eigene Arbeiterklasse für den zweiten imperialistischen Weltkrieg zu mobilisieren, und zwar mittels des Antifaschismus. Für uns sind Faschismus und Demokratie nicht gleich, aber sie sind historisch betrachtet gleich reaktionär, gleichermaßen Feinde des Proletariats.
Debatte über den „Luftbrücken“-Artikel der IKS
Das Menetekel des Kapitalismus
Bereits in Weltrevolution, Nr. 154, der Juni-Juli Ausgabe der deutschsprachige Zweimonatszeitung der IKS, haben wir Kommentare zu unserem Artikel über die Berliner Luftbrücke unsererseits kommentiert, wo es um die uns unterstellte Leugnung des Unterschieds zwischen Faschismus und Demokratie ging. Wir versuchten dort aufzuzeigen, dass die Kommunistische Linke keineswegs Unterschiede zwischen diesen beiden Formen der Diktatur des Kapitals leugnet. Die italienische Fraktion der Kommunistische Linke hat Mitte der 1930er Jahre vielmehr auf diesen Unterschied hingewiesen, um die Tatsache zu erklären, dass nach dem Sieg des Hitlerfaschismus in Deutschland es der Bourgeoisie der westlichen Demokratien nun möglich geworden war, auch ohne vorherige physische Zerschlagung die eigene Arbeiterklasse für den zweiten imperialistischen Weltkrieg zu mobilisieren, und zwar mittels des Antifaschismus. Für uns sind Faschismus und Demokratie nicht gleich, aber sie sind historisch betrachtet gleich reaktionär, gleichermaßen Feinde des Proletariats.
In einem seiner ersten Kommentare zum Luftbrücken-Artikel auf unsere Webseite vermisst der Genosse Hama den „großen Zusammenhang“ in diesem Artikel, den er wie folgt formuliert: „Systematische Verfolgung und Vernichtung der Juden überall auf der Welt (soweit sie den Nazis und Kollaborateuren zugänglich waren), Menschenversuche und schrecklichste Folter in den Kzs und Vernichtungsstätten, Erfassung und Vernichtung ‚unwerten Lebens‘ - unglaubliches Wüten der deutschen Armeen und Sonderstäbe in den überfallenden Ländern -
Wenn ich da hergehe und sage, es war Krieg der Imperialisten in all seiner Grausamkeit und nur die Arbeiterklasse konnte dem ein Ende bereiten. Und dann einsetze mit Nachkrieg und sage, die Alliierten haben die Arbeiterklasse bewusst dezimieren wollen, weil sie sich gefürchtet haben, es könne erneut zu einer revolutionären Erhebung kommen...dann bin ich auch ohne die ‚Todeslager‘- Argumentation (die direkt aus dem Arsenal der Holocaustleugner und Neofaschistin stammt) mitten dabei, über all das, was ich oben aufgezählt habe, elegant hinwegzusehen.“ (Bereits zitiert in „Faschismus = Demokratie?“ in Weltrevolution, Nr. 154).
So schreibt Hama an anderer Stelle: „Der Artikel der IKS enthält Aussagen, die sich nicht relativieren oder zurecht biegen lassen: dazu sind sie zu unmissverständlich geschrieben worden. Sie lassen sich nur ausdrücklich zurücknehmen. Der Satz, mit Besetzung Deutschlands durch die Alliierten sei es ein Todeslager geworden ist neofaschistisch, nicht nur, weil im Artikel die Vernichtung der Juden, für die Deutschland tatsächlich zum Todeslager wurde, keine Rolle spielt.“
(Siehe die Kommentare auf unserer Webseite).
Diese von Hama erhobene Forderung findet Unterstützung. Estragon schreibt (19.07.2009): „Hama hat ganz recht, der Artikel muss auf alle Fälle zurückgenommen werden, er ist absolut unseriös und hält einer marxistisch-materialistischen Analyse nicht stand. Seine Motivation ist rein moralischer Natur und versucht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, stellt Dinge in falsche Zusammenhänge und bedient sich dabei Argumentationen, die man eher im neonazistischen Umfeld vermutet.“ Riga (20.07.2009) „befürchtet“ dass „weder der Appell von Estragon, noch der von Hama dafür sorgen wird, dass dieser und ähnliche Artikel zum Thema Faschismus/Antifaschismus von der IKS in absehbarer Zeit revidiert werden.“
Zunächst einmal sind wir sehr dankbar gegenüber allen GenossInnen, die sich die Mühe gemacht und ihr Herzblut eingesetzt haben, um unsere Presse zu kommentieren. Sie haben nicht nur die Kommentarseite unserer Webseite belebt und bereichert, sie haben die IKS auch konkret weiter geholfen. Zum Beispiel Anonymous, der zu Recht darauf hinwies (05.05.2009), dass wir in manchem Artikel dubiose Quellen benutzt haben. „Ich stehe ja der IKS in vielen Positionen nicht allzu fern, aber gewisse Texte der IKS rund um den 2. Weltkrieg finde ich schon sehr schwierig. V.a. zitiert die IKS immer mal wieder Revisionisten und/oder Holocaust-Leugner wie z.B. David Irving oder, wie in diesem Text, James Bacque und gibt diesen Herren und ihren Positionen damit eine gewisse Legitimation (und suggeriert im schlimmsten Fall gar, dass die Revisionisten sowas wie eine kritische, fortschrittliche Position in der Debatte rund um den 2. Weltkrieg einnehmen würden)“. Tatsächlich werden nicht alle Historiker, die die Verbrechen der Alliierten untersuchen, von der Wahrheitssuche und wissenschaftlichen Ethik geleitet. Manche von ihnen sind offene oder versteckte Sympathisanten der von Hitlerdeutschland im Zweiten Weltkrieg angeführten Koalition. Ihr Motiv besteht tatsächlich darin, durch die Übertreibung der Verbrechen der „Anderen“ und die Verharmlosung der „eigenen“ Untaten das eine imperialistische Lager gegenüber dem anderen in ein besseres Licht erscheinen zu lassen. So wäre es tatsächlich besser, bei konkreten historischen Gegebenheiten die unterschiedlichen Zahlen und ihre Quellen anzugeben und kritisch zu kommentieren, anstatt eine bestimmte Version herauszugreifen. Eine solche Vorsicht walten zu lassen ist wichtig, denn ungenaue Zahlen und dubiose Quellen können nur dazu führen, die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der politischen Aussagen zu schwächen.
Ein anderer Stein des Anstoßes ist folgende Formulierung im Luftbrücken-Artikel: „Deutschland wurde in der Tat durch die russischen, britischen und US-amerikanischen Besatzungsmächte zu einem Todeslager.“ Dabei bezieht sich der Artikel auf die vielen Opfer unter den Vertriebenen aus dem Osten, unter den Kriegsgefangenen sowie unter der hungernden Zivilbevölkerung.
Man mag sich darüber streiten, ob die Formulierung „Todeslager“ angemessen ist oder nicht. Wir finden, man soll sich darüber „streiten“, womit wir meinen, solidarisch darüber debattieren. Die IKS ist keine monolithische Organisation. Die Artikel, die in unserer Presse veröffentlicht werden, bringen von ihrer politischen Ausrichtung her entweder die Meinung der Organisation bzw. der Redaktion zum Ausdruck, oder sie werden als divergierende Meinung als solche gekennzeichnet. Texte, welche die Meinung der Organisation insgesamt zum Ausdruck bringen, werden ebenfalls als solche gekennzeichnet, entweder als von unseren Kongressen verabschiedete Dokumente oder mit dem Namen der Organisation unterschrieben. Das Gros der Artikel in unserer Presse bringt also in seiner Ausrichtung zwar die Meinung der Organisation zum Ausdruck, in den einzelnen Formulierungen aber die Meinung des jeweiligen Autoren. Daher werden diese Artikel persönlich gezeichnet. Die Formulierung „Deutschland als Todeslager“ ist mithin keine Position oder Meinung der IKS als Organisation. Die politische Ausrichtung des Artikels hingegen schon. Wir sehen jedoch keinen Anlass, diese Formulierung „zurückzunehmen“, da der Genosse zur Unterstützung seiner Formulierung ernstzunehmende Argumente angeführt hatte, die es verdienen, weiter diskutiert zu werden. Außerdem finden wir ganz entschieden, dass weder der Artikel als solcher noch die „Todeslager“-Formulierung irgendetwas „Neofaschistisches“ an sich hat. Diesen Vorwurf können wir beim besten Willen nicht verstehen.
Ein Beispiel: nach 1989 wurde von bürgerlicher Seite viel Aufhebens gemacht um die stalinistischen Konzentrations- und Todeslager in der UdSSR, China, Kambodscha usw. Die Absicht war klar. Man wollte den Stalinismus benutzten, um den Kommunismus zu diskreditieren und darüber hinaus die westliche Demokratie als das denkbar beste Gesellschaftssystem erscheinen zu lassen. Aber es gab auch genügend Sympathisanten der Rechtsextremen, die die Gunst der Stunde, sprich: die „Enthüllungen“ über die Verbrechen des Stalinismus aufgegriffen haben, um die Verbrechen der Nazis zu relativieren bzw. um sie als verständliche, gegenüber den „Bolschewismus“ rein defensiv motivierte Aktionen erscheinen zu lassen. Das zum einem.
Auf der anderen Seite hat die Kommunistische Linke, wie auch andere proletarische Oppositionelle, sehr früh das System der Konzentrationslager in der UdSSR entlarvt und angeprangert. Sie setzte diesen Kampf fort, auch und gerade zu den Zeiten, als die westlichen Demokratien von der Existenz dieses Lagersystems nichts wissen wollten. Es ist klar: Das Anprangern des GULAG durch die Revolutionäre hatte und hat ein völlig anderes Motiv, eine vollkommen unterschiedliche Bedeutung als das Anprangern desselben Phänomens durch die faschistische und die demokratische Bourgeoisie. Die Revolutionäre bekämpften den GULAG, weil die eigenen GenossInnen drin saßen, weil er ein Teil der Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse war, ein Teil der alten Welt, die man zu Grabe tragen will. Die Bourgeoisie bekämpfte das Lagersystem nicht, sondern nutzte es für die eigene Propaganda (oder auch nicht, je nachdem was gerade passend war).
Das Gleiche gilt für die Verbrechen der Alliierten. Die Rechtsradikalen sprechen davon, um das von ihnen befürwortete Ausbeutungsregime in ein besseres Licht erscheinen zu lassen und um die Konkurrenten möglichst schlecht aussehen zu lassen. Die proletarischen Internationalisten sprechen darüber, um das Ausmaß der Barbarei des gesamten Systems anzuprangern. Schlimm wäre es (und ein Sieg für die Demokratie, ja für den Kapitalismus), wenn wir aus lauter Angst davor, mit den Rechten in einen Topf geschmissen zu werden, über die Verbrechen der Demokratien schweigen oder sie nicht beim Namen nennen würden. Denn es geht darum aufzuzeigen, dass diese Barbarei nicht das Produkt ausschließlich einer bestimmten Form des Kapitalismus ist, sondern ein Produkt des Kapitalismus insgesamt.
Der Kapitalismus ist ein Konkurrenzsystem. Nicht nur einzelne Kapitalisten, auch Nationen, ja Staatenkoalitionen bekämpfen sich. Die Lebensweise dieser Gesellschaft beherrscht das Alltagsbewusstsein so sehr, dass es vielen in der heutigen Zeit schier unmöglich zu sein scheint, anders als in Kategorien von miteinander konkurrierenden Lagern und Ideologien zu denken. Entlarvt man die eine Seite, so wird zunächst angenommen, man sei für die andere Bande. Das ist ein Problem, was sich nicht leicht beheben lässt, solange es innerhalb der Arbeiterklasse nicht wieder üblich wird, in Klassenkategorien zu denken.
Estragon z.B. hat einen sehr interessanten Kommentar geliefert, worin er auf recht präzise und differenzierte Weise die Unterschiede aufweist zwischen der Lage der Bevölkerung in Deutschland am Kriegsende und der Lage der Insassen des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Anders als die Opfer der Konzentrationslager konnte die deutsche Bevölkerung sich frei bewegen, arbeitete z.T. in der Landschaft, besaß Anbauparzellen oder konnte sich über den Schwarzmarkt mit Lebensmittel versorgen. Er weist darauf hin, dass die Lage in der französisch besetzten Zone schlimmer war als in der britischen oder amerikanischen, da Frankreich selbst durch den Krieg stark ausgepowert war; dass unter der deutschen Zivilbevölkerung das städtische Proletariat und die Flüchtlinge mehr unter Hunger litten als das Landvolk usw. Alles richtig (außer vielleicht, dass der internierte Teil der Bevölkerung sich eben nicht frei bewegen konnte). Ziel dieser Ausführungen ist es, den „Bergen-Belsen-Vergleich“ der IKS zu widerlegen. Der besagte IKS-Artikel aber „vergleicht“ Bergen-Belsen nicht mit Deutschland 1945. Die Herangehensweise des Artikels ist: Bergen-Belsen ist schlimm, die Behandlung der deutschen Zivilbevölkerung nach 1945 durch die Alliierten war schlimm. Solches darf nicht hingenommen werden! Der Artikel schreibt: „In der französischen Besatzungszone, wo die Lage am schlimmsten war, betrug 1947 die Ration 450 Kalorien pro Tag, die Hälfte der Ration des berühmt-berüchtigten KZ's in Bergen-Belsen.“ Ist das ein Vergleich? Es ist eine Tatsache, von dem der Artikel überzeugt ist. Daraus schließt der Artikel, dass die damals von den Militärbehörden angegebenen Mortalitätsraten zu niedrig angesetzt sind. Estragon liefert eine andere, nicht weniger plausible Erklärung, nämlich dass sich die Bevölkerung mehr Nahrung beschaffen konnte, als ihr offiziell zustand. Vielleicht waren beide Aspekte am Werk. Nun schreibt Estragon: „Die Kalorienzuteilungen lagen 1947 in der französischen Zone mindestens zwischen 900 und 1100 Kalorien. Diese schlossen jedoch die mögliche Selbstversorgung mit Lebensmitteln nicht aus, sondern setzten sie voraus – was in Bergen-Belsen jedoch nicht der Fall war.“ Wenn wir richtig verstehen, so wird hier den französischen Militärbehörden ein Versorgungspflichtgedanke unterstellt: Sie hätten die Mindestrationen nur deshalb so niedrig angesetzt, weil sie sicher waren, dass sich die Bevölkerung ohnehin mehr und ausreichend zum Überleben verschaffen werde. Das kann stimmen, muss aber nicht. Was dagegen spricht, ist die jahrzehntelange Erfahrung von Krieg im Kapitalismus und was sie hervorrufen: Chauvinismus, Völkerhass, Rachegelüste. Man wünscht dem Gegner den Tod.
Auch in seiner Abhandlung über den Luftkrieg und Bombenterror ist Estragon bemüht, jeden Gedanken zu widerlegen, dass die Demokratien Massentötung betrieben haben könnten. Zunächst wird der IKS unterstellt, den Bombenkrieg als eine „Spezialität der Alliierten“ hinzustellen. Allerdings steht das weder in diesem noch in irgendeinem anderen Artikel der IKS. Dafür wird uns vorgeworfen, den Luftkrieg der deutschen Luftwaffe „ausgeblendet“ zu haben. „Hier bewegt man sich ganz im herrschenden Diskurs und bedient deutschnationale Vorurteile.“ Aber warum, bitte schön, sollten wir in einem Artikel über die Verbrechen der Alliierten und über den beginnenden Kalten Krieg über die Massenmorde der deutsche Luftwaffe schreiben? Und warum sollten wir „deutschnationale Vorteile“ bedienen wollen? Wie dem auch sei, Estragon führt weiter aus: „Die Luftangriffe auf den sowjetischen Städte wurden in der klaren Absicht ausgeführt, die dortige Bevölkerung ohne jegliche Rücksicht zu dezimieren, gemäß den Vorgaben eines erklärten Vernichtungskrieges mit dem der deutsche Imperialismus über die Länder im Osten hergefallen war. Derartige Beweggründe lassen sich aber dem britischen und amerikanischen Imperialismus nicht unterstellen, auch wenn die Opferzahlen in Deutschland durch den Luftkrieg annähernd vergleichbar waren.“ Es gehörte zu den strategischen Kriegszielen des deutschen Imperialismus, große Gebiete Osteuropas zu entvölkern, d.h. die dort lebende Bevölkerung zu ermorden und durch deutsche Ansiedler zu „ersetzen“. Von den demokratischen Imperialisten sind keine solchen Kriegspläne gegen Deutschland für die Zeit während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt. Soweit können wir der Argumentationsweise von Estragon folgen. Und weiter: „Auf dem westlichen Kriegsschauplatz hatte sich der Bombenkrieg gegenseitig und allmählich zum Vergeltungskrieg hochgeschaukelt und wurde schließlich zur einer Art Selbstläufer, an dem vor allem die blühende Bombenindustrie in den Vereinigten Staaten ein gesteigertes Interesse hatte. Und obwohl in den militärischen Stäben an der militärischen Sinnhaftigkeit der Bombardierungen gezweifelt wurde, musste der ständig wachsende Output vor allem der amerikanischen Bombenindustrie verwertet werden. Auch die Atombombenabwürfe auf das quasi bereits geschlagene Japan sollten schließlich den weltpolitischen Profit bringen, der den ungeheuren Investitionen der amerikanischen Bourgeoisie in das Alamo-Projekt entsprach.“ Das alles klingt ein wenig verharmlosend in unseren Ohren, nach dem Motto: Die Nazis betreiben Massenmord, die Demokratien Geschäfte. Betreiben die Nazis keine Geschäfte? Betreiben die Demokratien keinen Massenmord? War Hiroshima, war Nagasaki kein Massenmord? Was haben wir uns unter „weltpolitischen Profit“ vorzustellen? Haben die US-Imperialisten ihre Atombomben verkauft, oder haben sie ihre Atombomben abgeworfen? Und warum war die Bombenindustrie der Vereinigen Staaten eine „blühende“? Hing diese Blüte nicht damit zusammen, dass auch die USA in diesen Krieg das Ziel verfolgte, möglichst viele Menschen der gegnerischen Seite zu töten? Abgesehen von der besonderen Massenmordpolitik der Nazis - ist es nicht das eigentliche „Geschäft“, ja das Wesen des modernen kapitalistischen Krieges, möglichst effektive Massentötungen zu veranstalten, auch und gerade gegenüber der Zivilbevölkerung?
Auf die IKS Bezug nehmend, schreibt Estragon weiter. „Es zeigt sich, wie wenig man den Artikel Bordigas ‚Auschwitz oder das große Alibi‘ verstanden hat. Bordiga zweifelt keinesfalls die ‚Singularität‘ des Holocaust an, die eben nicht in der Tatsache des millionenfachen Mordens, sondern in ihrer industriellen, durchgerechneten und durchgeplanten Ausführung liegt. Er macht lediglich darauf aufmerksam, daß diejenigen, die heute Auschwitz dazu benutzen, ihre moralische Überlegenheit darzustellen, nicht weniger menschenverachtend sind. Die Nazis sind einstweilen geschlagen, das Morden für Profit geht weiter (...) Bordiga, so jedenfalls verstehe ich ihn, kommt nicht zu dem fatalen Schluss: ‚Die Alliierten und Nazis sind beide verantwortlich für das Holocaust‘, dann nämlich setzt man der Simplifizierung die Krone auf, unterscheidet nicht mehr zwischen ‚Mord‘ und ‚unterlassene Hilfeleistung‘. Mit dieser Schablone sind wir alle ‚schuldig‘ und wir bewegen uns auf dem Niveau christlich-bürgerlicher Moral anstatt einer marxistisch-materialistischen Analyse.“ Wir lassen es dahingestellt, ob der angesprochene „Auschwitz-Alibi“-Artikel tatsächlich von Amadeo Bordiga geschrieben wurde, wie Estragon behauptet. Wir lassen es dahingestellt, ob dieser Artikel „lediglich“ „diejenigen“ als nicht weniger menschenverachtend entlarvt, die Auschwitz benutzen, um ihre moralische Überlegenheit darzustellen (immerhin macht der Artikel den Kapitalismus insgesamt dafür verantwortlich und meint mit „diejenigen“ unmissverständlich die Demokratie!). In unserer Zeitung Weltrevolution haben wir auf den Vorwurf geantwortet, dass wir nicht zwischen Faschismus und Demokratie „unterscheiden“ Jetzt wirft man uns vor, nicht zwischen Mord und unterlassener Hilfeleistung zu unterscheiden. Was ist damit gemeint? Vermutlich dies: die Nazis haben die Juden ermordet, die Demokratien haben es unterlassen, Hilfe zu leisten. Das ist nicht das Gleiche, sagt Estragon (womit er Recht hat). Trotzdem sagen wir, dass die Demokratien mitverantwortlich sind für den Holocaust. Hat Estragon also doch Recht mit diesem Vorwurf? Wir meinen: Nein. Außerdem scheint Estragon zu meinen, die IKS würde die „Singularität“ des Holocaust leugnen. Woher nimmt Estragon das eigentlich? Der Holocaust war „singulär“ (sprich: einmalig), und nicht nur aufgrund seiner „industriellen Ausführung“, wie Estragon zu glauben scheint. Dieser Massenmord widersprach zu radikal und tief jeder bisherigen Vorstellung von menschlicher Moral, so dass er nur inoffiziell, sozusagen im Halbverborgenen ausgeführt werden konnte. So mussten die Euthanasiekampagne in Deutschland, die Pogrome in Dänemark oder in Bulgarien stillschweigend heruntergefahren werden, nachdem einzelne couragierte Kirchenvertreter sich öffentlich dagegen ausgesprochen hatten. Die Frage ist oft gestellt worden, weshalb die Alliierten die Bahnlinien nach Auschwitz nicht durch ihre Bombardierungen zu unterbinden versucht hatten. Man kann noch mehr fragen. Hätten die Alliierten, nachdem sie (recht früh) vom Völkermord erfahren hatten, in aller Form erklärt, alle daran beteiligten Personen nach Kriegsende dafür zur Rechenschaft zu ziehen, hätte das sehr wahrscheinlich dieser mörderischen Maschinerie zumindest einen starken Dämpfer versetzt.
Hama wiederum wirft uns vor, nur die üblichen marxistischen Schemata wie Mehrwertauspressung und Klassenanalyse ins Feld führen zu können, um den Holocaust zu erklären. In einem Kommentar vom 24.05.2009 springt Riga Hama bei. Hama wolle, so Genosse Riga, auf das Irrationale der Shoa, auf den durch keine ökonomische Klassenanalyse erklärbaren, irrationalen Vernichtungswillen hinaus. Wir dürfen nicht bei der Feststellung stehenbleiben, so Riga weiter, dass die Niederlage des Weltproletariats diese Katastrophe ermöglicht hat, sondern wir brauchen eine tiefere Erklärung, die die Entfremdung, aber auch psychische und moralische Aspekte mit berücksichtigt.
In der Tat. Allein, wir wissen nicht, wie die Genossen dazu kommen, der IKS vorzuwerfen, die Rolle des Irrationalen, der Moral oder der Psychologie zu verleugnen. Warum auch immer - der deutsche imperialistische Staat wurde von einer Bande in den Zweiten Weltkrieg geführt, die extreme, schockierende Anzeichen des Irrsinns aufwies. Großbritannien und den USA hingegen wurden von eher traditionellen, gewachsenen Gruppierungen, von Churchill und Roosevelt, von der konservativen bzw. demokratischen Partei angeführt. Die eine Seite, die teilweise irrsinnige, ermordete sechs Millionen Juden. Die andere Seite, die „normalen“ und „gesunden“ Imperialisten, schauten weg. Ist das das Gleiche? Keineswegs. Ist das eine weniger „schlimm“ als das andere? Nicht unbedingt. Nicht, wenn die Hilfe unterlassen wird, um selbst ungehindert weiter morden zu können.
Es gibt auf Englisch den häufig benutzten Ausdruck: „The writing is on the wall“. Das bringt einen weit verbreiteten Glauben zum Ausdruck, dass die von politischen Aktivisten, Dichter oder Verrückte an Mauern und Unterführungen geschriebenen Parolen und Graffitis dringende, ernstzunehmende Warnungen enthalten. Das Ganze bezieht sich auf eine Bibelgeschichte aus dem Buch Daniel, auf ein geheimes Schriftzeichen, das das Ende des Königsreichs von Babylon Belsazar, dem Sohn des Nebukadnezar II, ankündigte.
„Und sieh! Und sieh! An weißer Wand
Da kam`s hervor wie Menschenhand;
Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
Der König stieren Blicks da saß,
Mit schlotternden Knien und totenblass.
Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
Und saß gar still, gab keinen Laut.
Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.“
So stellte sich der Dichter Heinrich Heine die Szene vor (in seinem Gedicht „Belsatzar“). Man sagt, die herbeigerufenen Schriftgelehrten haben die Schrift deshalb nicht zu deuten gewusst, weil die Wörter „mene mene tekel u- pharsin“ in der aramäischen Sprache ein Wortspiel enthalten, die sie nicht verstanden hatten. Seitdem gilt das Menetekel als eine Unheil verkündende Warnung, einen ernsten Mahnruf oder ein Vorzeichen drohenden Unheils. Die Tücken der Geschichtsdeutung liegen darin, dass die Zeichen der Zeit oft etwas Geheimnisvolles haben oder Wortspiele enthalten. Sie sind zweideutig. Werden die Zeichen der Zeit nicht richtig, nicht rechtzeitig gelesen, so lässt sich die Katastrophe nicht mehr abwenden. Aber in Wahrheit gibt es nicht nur ein Zeichen, der Gang der Geschichte drückt sich vielfältig aus. So wie die einzelnen Wörter erst zusammen ihren Sinn preisgeben, so müssen die Schlüsselereignisse der Geschichte, auch und gerade die unheilvollen, zusammen und nicht gegeneinander gelesen werden. An der Somme und an der Marne, im Ersten Weltkrieg, begann das Zeitalter der maschinellen Vernichtung von Menschen, die Massenproduktion des Todes. In diesem Stadium brachten sich die Opfer gegenseitig um. Das waren die zivilisierten Staaten Europas, damals noch das Zentrum des Kapitalismus. Auschwitz lag nicht mehr an der Front, Völkermord als Industriezweig, voll ausgelastet. Das waren die Nazis. Dann kam Hiroshima. Die Wissenschaft erobert die Fähigkeit, die Menschheit selbst auszulöschen, und stellte es unter Beweis. Das war die Demokratie (die Nazis hätten das auch gern getan, aber tatsächlich war es die US-Bourgeoisie). Nun gibt es die Diskussion, ob man Auschwitz mit Hiroshima vergleichen kann, was schlimmer sei, ob man das eine verharmlost, wenn man vom anderen spricht. So dachten vermutlich die Schriftgelehrten von Babylon auch. Sie verstanden es nicht, die Zeichen zusammen zu lesen.
Marx sprach davon, dass Niedergangsphasen in der menschlichen Vorgeschichte dann eintreten, wenn die Produktionsverhältnisse, Eigentumsverhältnisse zu Fesseln werden. Die Produktivkräfte rebellieren gegen diese Enge, das sind die Überproduktionskrisen. Die Produzenten rebellieren gegen eine Ausbeutung, die nicht mehr hinnehmbar erscheint. Das ist der revolutionäre Kampf. Es zeigt sich aber, dass diese Enge, die zu einer Erstickung zu werden droht, auch zu einer explosionsartigen Entwicklung der Zerstörungskräfte führt. Darunter verstehen wir die Anhäufung und Perfektionierung der Waffen, aber auch die Akkumulation von Hass und Zerstörungswut, was sich verträgt mit einer unheimlichen, für den Kapitalismus eigentümlichen eisigen Erstarrung der Welt. Dieses Menetekel hat schon die große Mehrheit der Sozialdemokratie vor 1914 nicht zu deuten gewusst. Man hielt krampfhaft an einem naiven Fortschrittsglauben fest, wollte von der nahenden Katastrophe nichts wissen. Aber auch der Antifaschismus ist blind gegenüber der „Schrift an der Wand“. Die Lehre aus Auschwitz, dass der Faschismus, der Nationalsozialismus ein Monstrum ist, ist vollkommen richtig – aber zu wenig. Wenn man daraus schließt, dass andere Formen des Kapitalismus weniger „schlimm“ sind, so kehrt sich Wahrheit in ihr Gegenteil um. Für uns ist die Lehre aus Auschwitz, dass der Kapitalismus als solcher und in seiner Gesamtheit dringendst überwunden werden muss, bevor es zu spät ist.
In einem Kommentarbeitrag (24.05.2009) schreibt der Genosse Riga, dass man die Welt nicht verändern kann, wenn man nicht die Köpfe und die Herzen der Proletarier für die Sache der Befreiung gewinnt, und dass man die Köpfe und Herzen nicht gewinnen kann, wenn man die Leute von jeder Verantwortung freispricht. Damit hat der Genosse zutiefst Recht. Zugleich wirft er aber der IKS vor, die Unschuld der ArbeiterInnen in Deutschland gegenüber der Nazizeit beweisen zu wollen. Was er hier mit „Schuld“ und „Unschuld“ genau meint, wissen wir nicht. Es wäre sicherlich für die Diskussion fruchtbar, wenn er dass erläutern würde.
Was wir aber wissen, ist, dass die Ideologie des Antifaschismus die Leute unfähig macht, Mitgefühl gegenüber den Opfern des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit innerhalb der deutschen Bevölkerung zu empfinden. Doch die Sache der Emanzipation wird nur dann siegreich sein, wenn es Mitgefühl und Solidarität mit allen Opfern des Kapitalismus empfinden kann.
Die Redaktion Weltrevolution. 15/09/2009.
Verschiedene Artikel der IKS über die weltweiten Jugendproteste der letzten Zeit haben eine lebhafte Debatte auf unserer Webseite ausgelöst in Form von Kommentaren zu unseren Artikeln und zu unseren Kommentaren zu den Kommentaren. Es geht bei dieser Debatte zum bedeutenden Teil um die Frage, wie man die Klassennatur von solchen Bewegungen überhaupt einschätzt. Wir haben uns dafür ausgesprochen, dass man sowohl objektive wie auch subjektive Kriterien hierzu anwenden sollte, um zu einer richtigen Einschätzung zu kommen, d.h. man sollte sowohl die Rolle der Akteure in der kapitalistischen Wirtschaft ebenso in Betracht ziehen wie ihren Bewusstseinsstand, ihre angewandten Kampfmethoden, ihre aufgestellten Forderungen. Darüber hinaus argumentierten wir, dass das eventuelle Zustandekommen eines kommunistischen Bewusstseins und einer revolutionären Situation das Vorhandensein und Zusammenkommen von objektiven und subjektiven Faktoren zur Voraussetzung hätte.
Verschiedene Artikel der IKS über die weltweiten Jugendproteste der letzten Zeit haben eine lebhafte Debatte auf unserer Webseite ausgelöst in Form von Kommentaren zu unseren Artikeln und zu unseren Kommentaren zu den Kommentaren. Es geht bei dieser Debatte zum bedeutenden Teil um die Frage, wie man die Klassennatur von solchen Bewegungen überhaupt einschätzt. Wir haben uns dafür ausgesprochen, dass man sowohl objektive wie auch subjektive Kriterien hierzu anwenden sollte, um zu einer richtigen Einschätzung zu kommen, d.h. man sollte sowohl die Rolle der Akteure in der kapitalistischen Wirtschaft ebenso in Betracht ziehen wie ihren Bewusstseinsstand, ihre angewandten Kampfmethoden, ihre aufgestellten Forderungen. Darüber hinaus argumentierten wir, dass das eventuelle Zustandekommen eines kommunistischen Bewusstseins und einer revolutionären Situation das Vorhandensein und Zusammenkommen von objektiven und subjektiven Faktoren zur Voraussetzung hätte.
In seinem Kommentar zu diesem Beitrag vertritt Bruno nun den Standpunkt, dass die objektiven Bedingungen (sprich die Krisen und Katastrophen des Kapitalismus) niemals von alleine eine revolutionäre Situation und ein revolutionäres Bewusstsein schaffen werden. „Die Krise wird es nicht richten und nicht das kollektive Bewusstsein für die richtigen Schlüsse der Arbeiterklasse erzeugen“, so Bruno.
Wir sind damit einverstanden. Es war eine der fatalsten Schwächen der Sozialistischen Internationalen, welche das Versagen dieses Organs gegenüber dem Ersten Weltkrieg ermöglichte, an eine Unvermeidbarkeit des Sozialismus geglaubt zu haben, welcher sich gewissermaßen als Ergebnis der Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus wie ein Naturgesetz realisiert. Demgegenüber haben zunächst Friedrich Engels und dann Rosa Luxemburg die Alternative aufgestellt: Sozialismus oder Barbarei. Diese Alternative schließt die Möglichkeit ein, dass die Arbeiterklasse im Kampf um eine klassenlose Gesellschaft letztendlich versagen kann. In diesem Fall hätte sich die zentrale Arbeitshypothese des Marxismus – dass das Proletariat imstande ist, den Kapitalismus zu überwinden – nicht bewahrheitet. Es schließt ebenfalls die Erkenntnis ein, dass nicht alle objektiven Faktoren der Krise des niedergehenden Kapitalismus für die Realisierung des Sozialismus günstig sind. Dazu zählt nicht zuletzt das schiere Ausmaß der Zerstörung (auch der inneren Zerstörung im Menschen selbst), welche das System anrichtet.
Bruno’s Pochen auf der Unabdingbarkeit der subjektiven Faktoren, der Entwicklung des Bewusstseins oder des revolutionären Willens, ist somit mehr als berechtigt. Wir haben dies aber auch nicht bestritten. Uns ging es um die notwendige Einheit zwischen den objektiven und subjektiven Bedingungen. Ohne revolutionäre Organisation, ohne die Entwicklung von Klassenbewusstsein, ohne die „Schule des Kommunismus“ kann es keinen revolutionären Ansturm geben. Aber ohne objektive Erschütterung des Systems, ohne Wirtschaftskrise und andere Katastrophen, ohne Massenverelendung des Proletariats auch nicht. Fehlt auch nur einer dieser Faktoren, so kann es keine Revolution geben.
Bruno scheint mit diesem Gedanke zu hadern. Es will uns scheinen, dass er beide Faktoren nicht als Einheit sieht, sondern sie gegeneinander zu stellen geneigt ist. Er schreibt: „Es stellt sich vielmehr die Frage, benötigt die Menschheit das Drama der Exzesse von Gewalt und Verarmung, um ein Bewusstsein für eine sozialistische und demokratische Gesellschaft zu erlangen.“
Zur Zeit der Sozialistischen Internationalen gab es neben der Idee von der „Unvermeidbarkeit des Sozialismus“ einen anarchistischen Gegenpart. Dessen Idee war, dass die Revolution keine andere Voraussetzung kennt als die subjektive, als die Entwicklung des Bewusstseins, als den Willen und den Entschluss, den Kapitalismus zu stürzen. Folgerichtig glaubte diese Denkrichtung, dass die Revolution jederzeit losbrechen kann, etwa in Form eines Generalstreiks, wenn nur genügend Massen dafür sind. Dies lässt aber die Frage offen, wie es möglich ist, dass die große Masse der Proletarier zu einem revolutionären Bewusstsein gelangt. Allein durch die Propaganda der Revolutionäre? In dieser Sichtweise ist der wissenschaftliche Anspruch des Marxismus, demzufolge der Sozialismus selbst ein Produkt des Kapitalismus und dessen Widersprüche ist, demzufolge das Proletariat nicht eine künftige Gesellschaft aus dem blauen Dunst ausheckt, sondern dass das Proletariat die Hebamme, die Geburtshelferin, der klassenlosen Gesellschaft darstellt, aufgegeben. Der Sozialismus wird wieder zu einer Utopie. Und so drehte sich die Debatte zwischen Sozialdemokraten und Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten vor dem Ersten Weltkrieg sinnlos im Kreis. Man warf sich gegenseitig, und zurecht, entweder Fatalismus oder Utopismus vor, anstatt zu erkennen, wie Rosa Luxemburg oder Lenin es taten, dass nur das Zusammenkommen von gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und revolutionärer Subjektivität der Klasse zur Revolution führt. Mit anderen Worten: Einerseits muss das Proletariat durch wachsende Unsicherheit und wachsendes Elend zu einer Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit und Möglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft „gezwungen“ werden. Aber diese Revolution siegt nicht zwangsläufig, sondern nur wenn die Klasse die Notwendigkeit der Revolution versteht und bejaht. Das Proletariat wird gezwungen, aber es muss auch können und wollen! Und warum ist das so? Weil wir noch in der „Vorgeschichte der Menschheit“ leben, noch nicht im „Reich der Freiheit“, um Formulierungen von Engels zu gebrauchen. Und dennoch wäre die proletarische Revolution der erste große Schritt in dies Reich der Freiheit. Denn Freiheit bedeutet nicht Willkür, sondern die Fähigkeit, das, was notwendig ist, zu erkennen und es freiwillig und mit Überzeugung zu tun.
Wir haben zumindest den Eindruck, dass Genosse Bruno ziemlich sauer auf die Arbeiterklasse ist, da sie offenbar den Stachel der Verelendung braucht, um für die Interessen der Menschheit zu kämpfen.
„Der Wunsch an dem Konsum und Erwerb ihres eigenen Arbeitsproduktes teilnehmen zu können treibt die Menschen in die Lohnarbeit und der Klassenkampf verbleibt innerhalb der legalistischen Formen juristischer Eigentumstitel, der lediglich der reproduktiven Verteilung des Arbeitsproduktes dient, der Aufrechterhaltung der Konsumfähigkeit der Arbeiterklasse“.
Als Beschreibung des Systems der Lohnsklaverei klingt das sogar ein wenig beschönigend. Statt „Wunsch an dem Konsum und Erwerb ihres Arbeitsproduktes teilnehmen zu können“ könnte man auch schreiben, dass es der Hunger ist, die indirekte, weil ökonomische Gewalt, die radikale und blutige Trennung von den Produktionsmittel, welche die Menschen in die Lohnarbeit treibt. Bruno spricht vom Konsum „ der Lebensmittel, von dem der individuelle Arbeiter versucht möglichst viel abzubekommen. Darin unterscheidet er sich um nichts von anderen Subjekten.“ Das klingt merkwürdig vorwurfsvoll, als ob die Lohnabhängigen sich auch noch ihres „Konsums“ schämen müssten. Warum übrigens unterscheidet sich der Kampf der Proletarier um ihre Lebensmittel, sprich um ihr Überleben, „in nichts“ von der Revenue, vom Protz und Luxus der herrschenden Klasse?
Es gibt Leute, die dem Proletariat sogar moralische Vorwürfe machen, weil sie ihre Arbeitskraft an den Kapitalisten verkaufen, anstatt die Revolution zu machen. Wenn man aber versteht, dass das ein bitterer Zwang ist, dass es immer nur kleine (und immer kleiner werdende) Minderheiten sein werden, welche diesen Zwang austricksen können, um ihrem individuellen „Kampf gegen die Arbeit“ zu fronen, so hat man mehr Verständnis dafür, dass diese Masse der Lohnabhängigen nur wagen kann, offen gegen das System aufzutreten und an eine revolutionäre Alternative zu denken, wenn es die Geborgenheit der Massenkämpfe, der Kampfgemeinschaft erfährt. Und das geht ohne die Stachel des Elends und der Unsicherheit nicht.
Letzten August fand in Lima eine öffentliche Diskussionsveranstaltung der IKS zum Thema "Gegenüber der Krise ist die einzige Alternative der Arbeiterkampf" statt.
Es waren zahlreiche Teilnehmer erschienen. Aber vor allem die Debatte war sehr tiefgehend und dynamisch. Es beteiligten sich dabei zwei internationalistische Gruppen aus Peru: der "Proletarische Kern aus Peru" (Núcleo Proletario de Perú-NPP) und die "'Gruppe proletarischer Kampf" (Grupo de Lucha Proletaria – GLP). Ebenso anwesend war ein Genosse, der von den Internationalistischen Kernen aus Ecuador (Núcleos Internacionalistas de Ecuador) entsandt worden war. Ein Genosse der Oposición Obrera (Arbeiteropposition) Brasiliens wollte am Treffen teilnehmen, aber er war schließlich verhindert.[1] D.h. das Treffen trug einen deutlich internationalistischen Charakter[2].
Nach einer kurzen Einführung, deren Ziel es nicht war, irgendwelche "Lehren zu erteilen"[3] sondern eine Debatte voranzutreiben, gab es mehrere Wortbeiträge zu verschiedenen Themen, die wir kurz zusammenfassen wollen[4].
Es gab Übereinstimmung darin, die verheerende Tragweite der Krise und die furchtbaren Kosten für die Arbeiterklasse und die anderen nicht-ausbeutenden Schichten zu unterstreichen. So meinte ein Genosse der NPP: „Wir stehen vor der größten Krise des Kapitalismus; nie zuvor hat es in früheren Systemen das gegeben, was wir heute im Kapitalismus erleben: Hunger nicht aufgrund eines Mangels an Produkten, sondern wegen überschüssiger Produkte.“
Die Krise entsteht nicht, wie uns immer wieder eingetrichtert wird, aufgrund schlechten Managements oder wegen zu wenig Staatsintervention, sondern weil der Kapitalismus sich auf die Lohnarbeit und die Warenproduktion stützt und unter einer ausweglosen Überproduktion leidet, welche zu immer mehr Barbarei, Zerstörung und Verarmung des Großteils der Bevölkerung führt.
"Die Krise ist wie ein schwarzes Loch, das Leben und 'Illusionen' verschluckt", sagte ein anderer Teilnehmer. Die Krise kann nicht auf makro-ökonomische Zahlen reduziert werden und auch nicht auf Erfolgsrechnungen. Das Hauptmerkmal der Krise sehen wir anhand des Leidens von Millionen von Menschen, die trotz ihrer manchmal übermenschlichen Anstrengungen in einen Strudel der Verarmung, Ausgrenzung und Zerstörung hineingezogen werden. Ein Beispiel zeigt das: In Guatemala gibt es „eine große Hungersnot, unter der mehr als 54.000 arme Familien im Lande leiden, die seit Anfang des Jahres mindestens 462 Menschen das Leben gekostet hat" (El País, 9.9.09).
Aber der größte Teil der Diskussion drehte sich nicht um die Krise und ihr Wesen, sondern um die Frage, wie man gegen diese kämpfe könne. Ist das Proletariat die einzige revolutionäre Klasse, die in der Lage ist, einen Ausweg aus der Krise des Kapitalismus zu finden? Mit welchen Mitteln kämpft die Arbeiterklasse? Für welche Gesellschaft kämpft sie?
An dieser Stelle kam eine Prinzipienfrage auf, zu der es in der Diskussion eine wichtige Klärung gab: Kann man gleichzeitig Nationalist und Internationalist sein?
Dies fragte ein Genosse, der eine trotzkistische Orientierung vertrat und sich aktiv an der Diskussion beteiligte. Er meinte einerseits, "das Proletariat ist eine internationale Klasse und es muss mit den Kämpfen solidarisch sein, die auf der Welt entstehen", aber andererseits meinte er auch, dass "Peru an die chilenische Bourgeoisie verkauft werde"; ein anderer Teilnehmer fügte dem hinzu "Peru wird gegenwärtig von ausländischem Kapital überflutet".
In mehreren Wortbeiträgen wurde dem entgegengehalten, dass die Verbündeten des Proletariats in Peru die Proletarier in Chile sind,[5] dass das Proletariat nur die notwendige Kraft zum kämpfen entwickeln kann, wenn es von einer Klassensolidarität ausgehend kämpft, die sich über alle Landesgrenzen, Rassen oder Branchengräben hinwegsetzt. Ein Genosse des NPP warf ein wesentliches Argument ein: "Der Kapitalismus ist ein weltweit operierendes Produktionssystem, das die Arbeit der Proletarier zu einer weltweiten Kollektivität werden lässt".
Nationalismus und Internationalismus sind nicht vereinbar, sie sind wie Wasser und Feuer. Das deutlichste Symbol des Triumphes der Konterrevolution waren in den 1930er Jahren 1936 die Streiks in Frankreich, als man in den besetzten Fabriken gleichzeitig die Trikolore des "ewigen Frankreichs" und rote Fahnen schwenkte und die Arbeiter gleichzeitig die Marseillaise und die Internationale sangen.
Neben der Klärung der Frage des Internationalismus drehte sich die Diskussion um die Frage des revolutionären Wesens des Proletariats.
Ein Genosse anarchistischer Ausrichtung meinte, dass "wir nicht in eine Fetischisierung des Proletariats verfallen sollten, zudem dieses zahlenmäßig geschrumpft und großen Änderungen unterworfen sei, die sein Bewusstsein zurückentwickelt oder gar bewirkt haben, dass es kein Klassenbewusstsein habe".
Es stimmt, dass im Verlaufe von drei Jahrhunderten seit der Entstehung des Proletariats dieses in seiner soziologischen Zusammensetzung große Änderungen durchlaufen hat; auch hat sich die Form der Arbeit, der Konzentrationsgrad, die technische und kulturelle Bildung usw. desselben gewandelt. Mitte des 19. Jahrhunderts war ein herausragendes Merkmal noch Heimarbeit, während Ende des 19. Jahrhunderts und am Anfang des 20. Jahrhunderts die hoch technisierte Arbeit vorherrschte. In den 1970er Jahren waren viele Arbeiter in Großfabriken tätig; dagegen herrscht heute eine weltweit assoziierte Arbeit vor, so dass man gegenwärtig bei keinem Produkt sagen kann, dass es ausschließlich von den Arbeitern dieses oder jenes Landes oder Werkes produziert wurde. Wesentlich ist die weltweite Arbeitsteilung in der Produktion, wodurch die objektiven Grundlagen für die internationale Einheit des Proletariats gelegt werden.
Die Genossen des NPP betonten, dass diese Umwälzungen jedoch nichts am Wesen der Arbeiterklasse geändert haben. "Die Arbeiterklasse ist die Mehrwert produzierende Klasse, die ausgebeutete Klasse", aber andere fügten ein weiteres Argument hinzu: "Wer kann eine andere Gesellschaft herbeiführen? Nur die Arbeiterklasse, weil sie die produzierende Klasse ist, aber auch vor allem weil sie eine Klasse mit Geschichte ist." Das Proletariat ist der kollektive Produzent des Großteils der Reichtümer der Welt. Aber es ist nicht nur die Hauptproduzentin der Gesellschaft, es ist auch eine Klasse, die ein kollektives Bewusstsein entwickeln kann über mehrere Generationen hinweg. Ihr Kampf stützt sich auf eine historische Kontinuität, welche ihr über mehrere Generationen hinweg ermöglicht, Lehren aus ihren Kämpfen zu ziehen, aus ihren Fehlern zu lernen, klarer und deutlicher ihre Prinzipien und Ziele zu formulieren. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von den früheren ausgebeuteten Klassen – den Sklaven und den Leibeigenen- die ebenfalls produzierende Klassen waren, aber deren Kampf keine Kontinuität und keine Zukunft hatte. Die Arbeiterklasse ist die erste ausgebeutete Klasse der Geschichte, die gleichzeitig revolutionär ist.
Die jetzige Lage des Proletariats ermöglicht aber keine empirische und unmittelbare Überprüfung dieser Wirklichkeit. Die gegenwärtigen Kämpfe weisen wichtige Merkmale der Suche nach Solidarität und der Bewusstwerdung auf, aber sie erreichen noch keine massiven und größeren Ausmaße, die den Arbeitern die soziale und geschichtliche Kraft vor Augen führt und der Bevölkerung verdeutlicht, dass das Proletariat die einzige Klasse mit einer eigenen Perspektive ist.
Dies ruft Zweifel hervor an der Fähigkeit des Proletariats, an seinen Kampfmitteln; diese kamen in der Diskussion offen zur Sprache.
Ein Teilnehmer wandte ein: "Wenn die Arbeiter 12 bis 14 täglich arbeiten, welche Zeit verbleibt ihnen dann zu diskutieren und sich zu mobilisieren?" In der Tat, wenn man sich die Arbeiter vor Augen führt, wie sie eingeschüchtert werden durch die Krise und immer noch sehr atomisiert sind, ist es schwierig sich vorzustellen, dass sie in der Lage sein sollen, massiv und gemeinsam wie eine eigenständige Klasse mit einer eigenen Alternative zu handeln. Aber Rosa Luxemburg zeigte anhand der russischen Revolution von 1905 auf, dass sich unter den allgemeinen Bedingungen des Massenstreiks "der vorsichtige Familienvater, der sich um seine Kinder kümmert, zu einem romantischen Revolutionär" wird.
In der Diskussion wurden die Wege zu dieser psychologischen Umwälzung besprochen, die heute als ein Wunder erscheinen mag. Ein Mittel ist die wachsende Einheit zwischen Forderungskampf und revolutionärem Kampf. Aber diese Frage konnte in der Diskussion selbst nicht weiter vertieft werden. Aus unserer Sicht gibt es keinen Gegensatz zwischen beiden Dimensionen des proletarischen Kampfes: der Forderungskampf gegen die Ausbeutung und der revolutionäre Kampf zur Abschaffung der Ausbeutung[6].
Wie ein Genosse des NPP hervorhob: "Der Klassenkampf ist kein Kampf von Minderheiten, sondern ein Massenkampf", und diesem entspricht die Notwendigkeit, dass das Proletariat sich eine massive und allgemeine Organisation schafft, die dazu in der Lage ist, seine Kraft zu bündeln und als Ort der Debatte und Entscheidungen dient. In der Diskussion wurde betont, dass diese Organisation in der Geschichte seit den Erfahrungen von 1905 und 1917 in Russland die Arbeiterräte sind. Eine Genossin der GLP meinte, diese seien "eine Einheitsorganisation, an der sich alle beteiligen können".
An dieser Stelle fragte ein Genosse anarchistischer Orientierung: "Propagiert ihr hinsichtlich der Arbeiterräte das russische Modell?" Aus der Diskussion ging hervor, dass man die Arbeiterräte von 1905 und 1917 nicht als unfehlbare Modelle ansehen darf, wie eine Art Rezept, das in allen zukünftigen Kämpfen benutzt werden könnte. Die Arbeiterräte von 1917-23 in Russland und in anderen Ländern Europas und Amerika sind eine wertvolle Erfahrung, die kritisch untersucht werden muss, damit man klar ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten erkennen und Schlussfolgerungen formulieren kann, die für die zukünftigen Kämpfe des Proletariats wesentlich sind.
Auf die Frage des gleichen Genossen, ob "wir Anhänger des leninistischen Parteimodells sind", antworteten wir – wie auch andere Teilnehmer der Diskussion – im gleichen Sinne: Wir wollen keine Modelle nachahmen, wir können uns auf Erfahrungen stützen, die uns Lehren für die gegenwärtige historische Epoche anbieten. Der Bolschewismus hat uns einen unnachgiebigen Internationalismus überliefert, der ihn an die Spitze des Kampfes gegen den Krieg treten ließ. Sie verstanden die Rolle der Arbeiterräte als "diese Form ist das Sowjetsystem mit der Diktatur des Proletariats”, was sich in der klaren Losung “Alle Macht den Räten” niederschlug. Aber sie vertraten auch falsche Auffassungen, die übrigens auch von anderen proletarischen Strömungen der damaligen Zeit vertreten wurden, wie die, dass die Partei die Macht im Namen der Klasse ausübt, was sicherlich zur Niederlage und zum Niedergang der Revolution mit beitrug[7].
Wie eine Genossin meinte: "Was ist das Ziel einer Organisation des Proletariats? Ich glaube dies kann nur eins sein: der Kommunismus." Das Treffen debattierte weiter über das historische Ziel des Arbeiterkampfes und dies geschah als eine Antwort auf die konkrete Überlegung, die ein Genosse anarchistischer Orientierung aufgeworfen hatte: "Als die UdSSR existierte, gab es noch ein Modell. Genau so gab es das Modell des Guerilla-Kampfes, bei dem 'freie Zonen' geschaffen wurden. Aber mittlerweile haben alle Modelle Schiffbruch erlitten. Ein neues Modell wäre die Selbstverwaltung, sie würde tatsächlich Zonen – Stadtteile, Betriebe - schaffen, die von den Ausgebeuteten befreit wären."
In der Diskussion wurde unterstrichen, dass die UdSSR kein Modell war, sondern eine der Erscheinungsformen des Staatskapitalismus war. Genauso wenig war die Guerilla ein Modell, weil es sich um blutige Zusammenstöße zwischen Flügeln der Herrschenden handelt, die Arbeiter und Bauern als Geiseln nehmen.
Aber wenn man weiter schaut, "kann das Ziel des Proletariats ein Modell einer neuen Gesellschaft sein?" Mehrere Wortbeiträge betonten, dass es gerade ein Fehler sei, ein "Modell" zu suchen, weil dies dann nur eine sektiererische und doktrinäre Vorgabe für den Rest der Arbeiterklasse sein würde. Die Russische Revolution und die ganze weltweite Welle revolutionärer Kämpfe im Anschluss daran (1917-23) waren keineswegs ein "Gesellschaftsexperiment im Labor", sondern die Antwort des Proletariats auf die furchtbare Entwicklung der Barbarei und der Zerstörung, welcher der Erste Weltkrieg mit sich brachte. All dies wurde durch den Eintritt des Kapitalismus in seine Niedergangsphase verursacht, d.h. den Zeitraum, in dem dieser zu einer Fessel für die gesellschaftliche Entwicklung wird, und nachdem er zunächst eine fortschrittliche Rolle gespielt hat, schlug er in sein dialektisches Gegenteil um: er wurde zu einer zerstörerischen, barbarischen Kraft, die eine Bedrohung für das Überleben der Menschheit darstellt[8].
Der Kommunismus ist kein Idealzustand. Der Kommunismus bedeutet die Überwindung und Lösung der Widersprüche, die unter dem Kapitalismus die Menschheit ins Verderben und Zerstörung treiben. So ist die Überproduktion, die unter dem Kapitalismus zu Hunger und Arbeitslosigkeit führt, im Kommunismus die Grundlage für die volle Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit. Der gesellschaftliche und weltweite Charakter der Produktion, der im Kapitalismus die Konkurrenz anspornt und Kriege zwischen Nationen auslöst, ist im Kommunismus die Grundlage für die brüderliche Zusammenarbeit aller Arbeiter, für die Organisierung einer weltweiten Menschengemeinschaft.
In der Diskussion wurde ebenso hervorgehoben, dass der Kommunismus nur weltweit bestehen kann oder gar nicht. Deshalb wurde in mehreren Redebeiträgen das stalinistische Modell des "Sozialismus in einem Land" oder das Guerilla-Modell der "befreiten Zonen" verworfen. Aber in der Diskussion wurde ebenso betont, dass die Selbstverwaltung kein Mittel ist, den nationalistischen Rahmen zu überwinden. Weder der "Sozialismus in einer einzigen Fabrik" noch der "Sozialismus in einem Stadtteil" sind eine Alternative für den „Sozialismus in einem Land“ des Stalinismus[9].
Eine Genossin kommentierte, « die Debatte ist sehr gut. Sie dient dazu, dass jeder versteht, was der andere sagt, denn jeder spricht seinen eigenen Jargon. „ Wir glauben, dass die intensive Debatte in der öffentlichen Diskussionsveranstaltung dazu diente, sich besser zu verstehen, die Anliegen der Teilnehmer besser in der Tiefe zu begreifen und darauf einzugehen, die Besonderheiten zu überwinden, die uns abgrenzen: die Jargons, das gegenseitige Misstrauen, das mangelnde gegenseitige Verstehen…
Eine Genossin der NPP trat für eine Orientierung ein, die wir teilen: „Unsere Hauptaufgabe ist die Entfaltung einer Debatte, Studienkreise zu schaffen, Fragen zu vertiefen. Das ist unsere kurzfristige Funktion. Dies sind Mittel für die revolutionäre Umwälzung. Der revolutionäre Wechsel kann nicht aufgezwungen werden; er muss aus den Bedingungen für denselben hervorgehen“.
Wir meinen, neue öffentliche Veranstaltungen sind erforderlich, in denen neue Themen aufgegriffen werden, welche die verschiedenen Diskussionsstränge vertiefen, die in der letzten Diskussion offen geblieben sind. Die Debatte in Peru ist ein Teil einer Tendenz zur internationalen Debatte, welche sich mehr entfaltet, und die durch das jüngste lateinamerikanische Treffen internationalistischer Kommunisten einen Impuls erhalten und eine Ausrichtung erhalten hat. So sind die Diskussionsveranstaltung in Peru und die neuen Diskussionen, welche in Gang kommen können, ein Teil dieses internationalen Mediums und stellen einen aktiven Beitrag zu demselben dar. Wie wir in der Berichterstattung über die erste öffentliche Diskussionsveranstaltung in Peru 2007 schrieben: „Für den Aufbau eines Milieus einzutreten, bei dem die proletarische Debatte im Mittelpunkt des politischen Lebens steht, ist eine Perspektive in Peru wie auf der ganzen Welt, welche die zukünftige Weltrevolution vorbereiten wird.“[10] IKS 10.09.09
(aus der Presse der IKS in Spanien).
[1]Es gab mehrere Treffen mit beiden Gruppen, an denen sich der Genosse aus Ecuador beteiligte, wo ebenfalls wichtige Diskussionen zu den Themen Arbeiterräte, das Proletariat, die Weltpartei, die Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus stattfanden. Auf diesen Treffen wurde der Brief der Genossen von Oposición Obrera aus Brasilien vorgelesen (siehe unsere spanische Webseite).
[2]Vorher haben wir schon 2007 und 2008 öffentliche Diskussionsveranstaltungen in Peru durchgeführt. Siehe “Hin zum Aufbau eines Umfeldes der Debatte und der Klärung” (https://es.internationalism.org/node/2107 [4]) und „Öffentliche Diskussionsveranstaltung in Peru „Eine leidenschaftliche Debatte zur Krise“(https://es.internationalism.org/node/2385 [5])
[3]Siehe den Anhang auf unserer spanischen Webseite.
[4]Wir haben versucht, die Wortmeldungen der Teilnehmer/Innen so gut wie möglich wiederzugeben, aber wenn jemand meint, wir hätten ihre Beiträge unrichtig zitiert oder interpretiert, bitten wir euch um eventuelle Korrektur.
[5]1879 brach der Pazifische Krieg aus, bei dem Peru von seinem chilenischen Rivalen besiegt wurde, dessen Militär sogar bis nach Lima vordrang. Seither warnt der peruanische Nationalismus immer vor der „chilenischen Invasion“. Gewerkschaften und Linksparteien sind noch stärker antichilenisch als die Rechten. Gegenüber dieser nationalistischen Phobie muss das Proletariat in Erinnerung rufen, dass in Iquique 1907 chilenische, peruanische und bolivianische Arbeiter gemeinsam aus gegenseitiger Solidarität in einen Streik traten, der von dem chilenischen Staat mit Unterstützung seiner Rivalen in Peru und Bolivien niedergemetzelt wurde.
[6]Um genau zu sein: der Forderungskampf hat nichts mit dem gewerkschaftlichen Kampf zu tun, die nur einen verzerrten Kampf führen, und die ökonomischen Forderungen der Arbeiter den Bedürfnissen des Kapitals unterwerfen.
[7]Zu unserer Position zur Partei und ihre Beziehungen zur Klasse siehe es.internationalism.org/revista-internacional/200604/892/el-partido-y-sus-lazos-con-la-clase [6] und „Die entstellte Partei – die bordigistische Partei“ in es.internationalism.org/node/2132 [7]. Zum Bolschewismus siehe: „Sind wir zu Leninisten geworden? [8]“.
[8]Wie sonst könnte man die dramatische Entwicklung bezeichnen, die durch die Krise, die Kriege – wie den Afghanistan-Krieg oder die gewaltige Aufrüstung, an der sich die meisten südamerikanischen Staaten beteiligen -, und die gigantische Umweltzerstörung, von der die Zerstörung des Urwaldes am Amazonas nur ein Ausdruck ist, bezeichnen?
[9]Es gab keine Zeit, um die tragische Erfahrung in Spanien 1936 und die wahre Bedeutung der selbstverwalteten Kollektive, auf die sich die Anarchisten berufen, zu diskutieren.
[10]siehe unsere Webseite https://es.internationalism.org/node/2556 [9]
Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/luftbrucke-berlin
[2] https://de.internationalism.org/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/italienische-linke
[3] https://de.internationalism.org/tag/3/46/krieg
[4] https://es.internationalism.org/node/2107
[5] https://es.internationalism.org/node/2385
[6] https://es.internationalism.org/revista-internacional/200604/892/el-partido-y-sus-lazos-con-la-clase
[7] https://es.internationalism.org/node/2132
[8] https://es.internationalism.org/revista-internacional/199901/1180/sobre-organizacion-i-nos-habremos-vuelto-leninistas
[9] https://es.internationalism.org/node/2556
[10] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/internationalismus-nationalismus
[11] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/aufrustung-sudamerika
[12] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/kommunismus-sudamerika
[13] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/krieg-peru-chile