Wirtschaftskrise: I. Die 70er Jahre

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30 Jahre offene Krise des Kapitalismus

Die Reden der herrschenden Klasse über den ”guten Gesundheitszustand” und die ewige Existenz ihres Systems wurden durch die zahlreichen ökonomischen Erschütterungen in den letzten 30 Jahren in zunehmendem Maße als leeres Geschwätz entlarvt: die Rezessionen von 1974-75, 1980-82 und die besonders heftige von 1990-93; Börsenkräche wie jener vom Oktober 1987 oder der ”Tequila-Effekt” von 1994 etc. Indes stellt der anschwellende Strom schlechter Wirtschaftsnachrichten seit August 1997 - der Zusammenbruch der thailändischen Währung, das Debakel der asiatischen ”Tiger” und ”Drachen”, die brutale Entschlackung der weltweiten Aktienmärkte, der Bankrott Russlands, die angespannte Situation in Brasilien und anderen ”aufstrebenden” Volkswirtschaften Lateinamerikas und vor allem der ernste Zustand der zweitwichtigsten Volkswirtschaft der Welt, Japans - die ernsteste Episode in der historischen Krise des Kapitalismus dar. Dies bestätigt nachdrücklich die Analyse des Marxismus und demonstriert die Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus durch die proletarische Weltrevolution.

Die Gestalt, die die Krise in den letzten 30 Jahren vor allem in den wichtigen Industrieländern angenommen hat, ist nicht mit jener brutalen Depression zu vergleichen, die sich in den 30er Jahren ereignet hatte. Was wir bisher gesehen haben, war ein langsamer und fortschreitender Abstieg in die Hölle der Arbeitslosigkeit und Armut durch aufeinanderfolgende Rezessionen. Die schlimmsten Verwüstungen haben sich dabei meist auf die Länder der Peripherie, in Afrika, Südamerika, Asien, konzentriert, die unwiderruflich in den Morast der Barbarei und Zerstörung gesunken sind.

Für die Bourgeoisie in den Hauptindustrieländern, wo die wichtigsten proletarischen Massen konzentriert sind, hat diese bis dahin unbekannte Form der historischen Krise des Kapitalismus den Vorteil, den Todeskampf des Kapitalismus zu verbergen und die Illusion zu schaffen, dass seine Erschütterungen nur vorübergehend sind und dass sie den zyklischen Krisen entsprechen, die typisch für das vorherige Jahrhundert waren und denen Perioden intensiver Entwicklung folgten.

Als eine Waffe im Kampf gegen solche Mystifikationen veröffentlichen wir eine Studie über die letzten 30 Jahre. Einerseits wird sie aufzeigen, dass der nur langsam eskalierende Rhythmus der Krise das Resultat der staatlichen Bemühungen gewesen ist, die Krise zu ”managen”, indem man sich den Gesetzen des kapitalistischen Systems entzog (besonders durch die Flucht in astronomisch hohe Schulden, die ohne Beispiel in der Menschheitsgeschichte sind), und andererseits wird sie zeigen, dass diese Politik nicht einmal im entferntesten eine Lösung für die unheilbare Krankheit des Kapitalismus ist. Der Preis für die Hinauszögerung der schlimmsten Auswüchse in den wichtigsten Ländern ist: immer explosivere Widersprüche und die Verschlimmerung des tödlichen Krebses des Weltkapitalismus.

Crash oder allmählicher Zusammenbruch?

Der Marxismus hat klar gemacht, dass der Kapitalismus keine Lösung für seine historische Krise vorweisen kann, eine Krise, die im Ersten Weltkrieg ihren Ausgangspunkt hat. Nichtsdestotrotz waren Form und Ursachen dieser Krise Objekt von Diskussionen unter den Revolutionären der Linkskommunisten gewesen (1). Besteht die Form aus jener deflationären Depression, die typisch war für die zyklischen Krisen der aufsteigenden Periode (zwischen 1820 und 1913)? Oder besteht sie nicht vielmehr aus einem Prozess fortschreitender Degeneration, in dem die gesamte Weltwirtschaft in einen immer kritischeren Zustand der Stagnation und Auflösung kollabiert?

In den 20er Jahren brachten einige Tendenzen in der KAPD die ”Theorie des Zusammenbruchs” auf, derzufolge die historische Krise des Kapitalismus die Form eines irreversiblen, brutalen Zusammenbruchs annehmen wird, was dem Proletariat die Notwendigkeit aufzwingen würde, die Revolution zu machen. Einige bordigistische Strömungen, die meinen, dass eine plötzliche Krise das Proletariat zwingen würde, in der revolutionären Tat Zuflucht zu suchen, drücken ebenfalls diese Sichtweise aus.

Wir können hier nicht in eine detaillierte Diskussion über diese Theorie eintreten. Jedoch sollte klar sein, dass die Entwicklung des Kapitalismus seit 1914 sie sowohl auf der politischen als auch auf der ökonomischen Ebene als falsch überführt hat. Die historische Erfahrung hat bestätigt, dass die Bourgeoisie imstande ist, Berge zu versetzen, um einen spontanen und plötzlichen Zusammenbruch ihres Produktionssystems zu verhindern. Die Frage, worin die historische Krise des Kapitalismus mündet, ist nicht strikt ökonomisch, sondern vor allem und im wesentlichen politisch, abhängig von der Entwicklung des Klassenkampfes:

 *Wird das Proletariat seinen Kampf zur Durchsetzung seiner revolutionären Diktatur entfalten, welche die Menschheit aus der gegenwärtigen Patsche helfen und zum Kommunismus als neuer Produktionsweise führen wird, die die unlösbaren Widersprüche des Kapitalismus überwindet und löst?

 *Wird das Überleben des Systems die Menschheit in die Barbarei und endgültige Zerstörung stoßen, sei es durch einen allgemeinen Weltkrieg, sei es durch die langsame Agonie einer fortschreitenden und systematischen Zersetzung (2).

Die Bourgeoisie hat auf die permanente Krise ihres Systems mit der allgemeinen Tendenz zum Staatskapitalismus geantwortet. Der Staatskapitalismus ist nicht nur eine ökonomische Antwort, sondern auch eine politische, gleichermaßen notwendig zur Ausführung eines imperialistischen Krieges wie zur Konfrontation des Proletariats. Vom ökonomischen Standpunkt aus richten sich die Bemühungen des Staatskapitalismus nicht so sehr darauf, diese Krise zu überwinden und zu lösen, sondern vielmehr darauf, sie zu managen und hinauszuzögern (3).

So wie die internationale revolutionäre Welle des Proletariats zwischen 1917 und 1923 die Bedrohung ihres Systems auf der entscheidenden politischen Ebene deutlich gemacht hat, so demonstrierte die brutale Depression von 1929 der Bourgeoisie die großen Gefahren, die ihre historische Krise auf ökonomischer Ebene barg. Die Bourgeoisie gab an keiner der beiden Fronten auf. Sie entwickelte eine totalitäre Form ihres Staates, damit er als Verteidigungsbollwerk gegen die proletarische Bedrohung und gegen die wirtschaftlichen Widersprüche seines Ausbeutungssystems dienen kann. Dieser totalitäre Staat drückte sich auf ökonomischer Ebene als allgemeine Tendenz zum Staatskapitalismus aus, der verschiedene Formen annahm: nazistische, stalinistische und ”demokratische”.

In den letzten 30 Jahren, die ebenso vom offenen Wiederauftreten der historischen Krise des Kapitalismus sowie von der Wiedergeburt des proletarischen Kampfes gekennzeichnet waren, sahen wir, wie die Bourgeoisie ihre staatlichen  Mechanismen des Krisenmanagements perfektionierte und ausweitete, um eine abrupte und unkontrollierte Explosion zumindest in den Hauptindustrieländern (Europa, Nordamerika, Japan), dort wo der historische Ausgang der unheilbaren Krise des Kapitalismus bestimmt wird,  zu vermeiden (4).

Die Bourgeoisie hat jeden denkbaren Trick an ihren eigenen ökonomischen Gesetzen ausprobiert, um eine Wiederholung der Erfahrung von 1929, mit einem katastrophalen Fall der Weltproduktion um 30% in weniger als drei Jahren und einer Explosion der Arbeitslosigkeit von 4 auf 28% in derselben Persiode, zu vermeiden. Sie hat nicht nur zahllose ideologische Kampagnen vom Stapel gelassen, die den Zweck verfolgten, das Ausmaß der Krise und ihre wahren Ursachen zu verbergen, sie hat sich auch die Künste ihrer ”Nationalökonomie” zunutze gemacht, um den Anschein eines Wirtschaftsgefüges aufrechtzuerhalten, das funktioniert, Fortschritte macht und auch ein bisschen Zukunft hat.

Bei ihrer Gründung stellte unsere Strömung fest, dass ”in bestimmten Augenblicken das Zusammenfließen einiger dieser Indikatoren einen massiven Konjunktureinbruch in bestimmten nationalen Kapitalien wie Großbritannien, Italien, Portugal oder Spanien auslösen könnte. Dies ist eine Möglichkeit, über die wir nicht hinwegsehen. Dennoch könnte sich, obwohl solch ein Kollaps der Weltwirtschaft einen irreparablen Schaden versetzen würde (britische Auslandsguthaben und -investitionen betragen allein bis zu 20 Milliarden Pfund Sterling), das kapitalistische Weltsystem weiterschleppen, solange es in einigen fortgeschrittenen Ländern wie den USA, Deutschland, Japan und den osteuropäischen Ländern als Produktionsweise aufrechterhalten wird. All diese Ereignisse tendieren natürlich dahin, das gesamte System zu verschlingen, und Krisen sind heute unvermeidlich Weltkrisen. Aber aus den Gründen, die wir oben hervorgehoben haben, haben wir Anlass zu glauben, dass die Krise sich in die Länge ziehen wird - voller Erschütterungen und in steilen Berg- und Talfahrten, aber eher einem Schneeballeffekt ähnelnd als einem jähen, steilen Fall. Selbst der Ruin einer nationalen Wirtschaft würde nicht notwendigerweise all die Kapitalisten dazu treiben, sich selbst aufzuhängen, wie Rosa Luxemburg in einem etwas anderen Zusammenhang bemerkte. Damit dies passiert, muss die Personifizierung des nationalen Kapitals, der Staat, von niemand anderem als dem revolutionären Proletariat erdrosselt werden.” (5)

In ähnlicher Weise haben wir nach den gewaltsamen ökonomischen Ereignissen in den 80er Jahren darauf hingewiesen, dass ”die kapitalistische Maschinerie noch nicht vollständig kollabiert ist. Trotz der Rekordzahl von Bankrotten, trotz der immer häufigeren und ernsthafteren Risse im System funktioniert die Profitmaschine weiterhin, indem sie neue, gigantische Reichtümer konzentriert - das Produkt des Gemetzels unter verschiedenen Kapitalien -, und rühmt mit zynischer Arroganz die Wohltaten des 'Liberalismus'.” (6)

Eine herrschende Klasse begeht keinen Selbstmord oder schließt den Laden und übergibt den Schlüssel an die Klasse, die sie ersetzen soll. Wir können dies bei der feudalen Klasse sehen, die erst nach heftigem Widerstand einen Pakt mit der Bourgeoisie schloss, der ihr einen Platz in der neuen Ordnung einräumte. Dies wird bei der Bourgeoisie noch weniger der Fall sein, die sehr gut weiss, dass sie von der neuen, vom Proletariat repräsentierten Ordnung nichts anderes als ihr eigenes Verschwinden erwarten kann.

Sowohl für die Mystifizierung und Niederringung des Proletariats als auch dafür, ihr ökonomisches System am Laufen zu halten, ist es notwendig, dass die Angehörigen der Bourgeoisie nicht demoralisiert werden und das Handtuch werfen. Dies bedeutet, dass der Staat um jeden Preis das Wirtschaftsgefüge aufrechtzuerhalten hat, dass er ihm den bestmöglichen Anschein von Normalität und Effektivität verleiht, um ein Minimum an Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Wirtschaft sicherzustellen.

Auf alle Fälle ist die Krise der beste Verbündete des Proletariats bei der Erfüllung seiner revolutionären Mission. Jedoch handelt es sich nicht um etwas Spontanes oder Mechanisches, sondern findet durch die Entwicklung seines Kampfes und seines Bewusstseins statt. Wenn das Proletariat seine Reflexionen über die Ursachen der Krise entwickeln soll, dann müssen die Gruppen der Linkskommunisten einen zähen und hartnäckigen Kampf führen, um die Realität des Todeskampfes des Kapitalismus aufzuzeigen und alle Bemühungen des Staatskapitalismus zu entlarven, die die Krise verlangsamen, verstecken, von den Nervenzentralen des Weltkapitalismus weg- und zu den eher peripheren Regionen hinlenken sollen, wo das Proletariat ein geringeres gesellschaftliches Gewicht besitzt.

Das Krisenmanagement

Der Begriff des ”Krisenmanagements”, um die Ausdrucksweise des Berichts unseres vorletzten Internationalen Kongresses (7) zu gebrauchen, ist von entscheidender Natur. Seit 1967 hat der Weltkapitalismus auf das offene Wiederauftreten seiner historischen Krise mit einer Politik des Krisenmanagements geantwortet, was für das Verständnis sowohl des Verlaufs der wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb dieser Periode als auch des Erfolges wichtig ist, den die Bourgeoisie bis jetzt dabei hatte, Ausmaß und Umfang der Krise vor dem Proletariat zu verschleiern.

Diese Politik des Krisenmanagements bildet den vollendetsten Ausdruck für die allgemeine historische Tendenz zum Staatskapitalismus. In der Realität der letzten 30 Jahre haben die westlichen Staaten eine Praxis der Manipulation des Wertgesetzes, der massiven und allgegenwärtigen Verschuldung, des autoritären staatlichen Eingriffs gegenüber den wirtschaftlich Handelnden und in den Produktionsprozess, der Tricks im Umgang mit Geld, dem Aussenhandel und den öffentlichen  Schulden entwickelt, die die staatlichen Planungsmethoden der stalinistischen Bürokratien wie ein Kinderspiel aussehen lässt. All das Geschnatter der westlichen Bourgeoisie über ”Marktwirtschaft”, das ”Spiel der freien Marktkräfte”, die ”Überlegenheit des Liberalismus” und ähnliches ist in Wahrheit eine enorme Mystifikation. In den letzten 70 Jahren gab es, wie die Linkskommunisten hervorgehoben haben, keine zwei ”Wirtschaftssysteme”, von denen das eine eine ”Planwirtschaft” und das andere eine ”freie Wirtschaft” wäre, sondern nur eines: den Kapitalismus, welcher in seinem in die Länge gezogenen Todeskampf durch einen immer entwickelteren und totalitäreren Staatsinterventionismus gestützt wird.

Diese Staatsintervention beim Krisenmanagement, die danach strebt, sich der Krise anzupassen und sie zu verzögern, hat den Hauptindustrieländern ermöglicht, einen brutalen Zusammenbruch, eine allgemeine Desintegration des Systems zu verhindern. Jedoch hat dies weder die Krise gelöst noch irgendeinen ihrer schlimmsten Ausdrücke wie die Arbeitslosigkeit oder die Inflation beseitigt. Die einzige Errungenschaft der 30 Jahre des ”Krisenmanagements” ist eine Art organisierter Marsch in den Abgrund, die Möglichkeit eines kontrollierten Absturzes durch aufeinanderfolgende Rezessionen, dessen einziges reales Resultat darin besteht, das Leiden, die Unsicherheit und Verzweiflung der Arbeiterklasse und der übergroßen Mehrheit der Weltbevölkerung auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Einerseits ist die Arbeiterklasse der großen Industriezentren einer systematischen Politik der allmählichen aber fortschreitenden Kürzung ihrer Löhne, der Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und Problemen des eigentlichen Überlebens ausgesetzt. Andererseits ist das elende Leben der großen Mehrheit der Weltbevölkerung in den riesigen Peripherien, die die Nervenzentralen des Kapitalismus umgeben, in eine Situation der Barbarei, des Hungers und des Todes eingemündet, die getrost als größter, jemals von der Menschheit erlittener Genozid eingeordnet werden kann.

Diese Politik des Krisenmanagements jedoch ist die einzige Möglichkeit für die Gesamtheit des Weltkapitalismus, die einzige, die ihn am Laufen halten kann, selbst wenn der Preis dafür ist, immer größere Teile ihres eigenen Wirtschaftsorganismus in den Abgrund fallen zu lassen. Die wichtigsten und entscheidenden Länder konzentrieren aus imperialistischen und ökonomischen Gründen, aber vor allem wegen der Klassenkonfrontation all ihre Bemühungen darauf, die Krise auf die schwächeren Länder abzuwälzen, die mit weniger Ressourcen gegen ihre verheerenden Auswirkungen und einer geringeren Bedeutung im Kampf gegen das Proletariat versehen sind. So brachen in den 80er Jahren ein großer Teil Afrikas, ein gutes Stück Süd- und Lateinamerikas und eine Reihe asiatischer Länder zusammen. Seit 1989 waren die Länder Osteuropas, Zentralsiens etc. drangewesen, die bis dahin unter der Vorherrschaft jenes Riesen auf tönernen Füßen, Russland genannt, gestanden haben. Nun sind die ehemaligen asiatischen ”Drachen” und ”Tiger” dran, die wie im Fall Indonesiens mit dem brutalsten und rasantesten Sturz einer nationalen Wirtschaft seit 80 Jahren konfrontiert sind.

Wir haben eine Menge Sprüche von Politikern, Gewerkschaftsführern und ”Experten” von ”Wirtschaftsmodellen” über die ”geeignete Wirtschaftspolitik” und ”Krisenlösungen” gehört. Die triste Realität der Krise in den letzten 30 Jahren hat diese Sprüche als das entlarvt, was sie sind: unaussprechliche Dummheit oder gewöhnliche Tricks von Quacksalbern. Vom ”schwedischen Modell einer sozialen Marktwirtschaft” hört man schon lange nichts mehr, das ”japanische Modell” wurde schleunigst aus den Werbekatalogen zurückgezogen, das ”deutsche Modell” diskret dem Museum überschrieben, und die immer wieder aufgelegte, zerkratzte Platte vom ”Erfolg” der asiatischen ”Drachen” und ”Tiger” ist innerhalb einiger Monate aus dem ideologischen Musikautomaten genommen worden. Praktisch besteht die einzig mögliche Politik aller Regierungen, mögen sie links, rechts, diktatorisch oder ”demokratisch”, ”liberal” oder ”interventionistisch” sein, im Krisenmanagement, im kontrollierten und so langsam wie möglich gestalteten Abstieg ins Inferno.

Die Politik des Krisenmanagements und der Krisenbegleitung hat keinesfalls den Effekt, den Weltkapitalismus in einer statischen Position zu halten, wo die brutalen Gegensätze des Regimes der Ausbeutung ständig gezügelt und eingeschränkt bleiben. Solche ”Stabilität” ist wegen der Natur des Kapitalismus selbst, der Dynamik seiner inneren Widersprüche, die ihn unablässig dazu drängt, nach der Verwertung von Kapital zu trachten und um die Neuaufteilung des Weltmarktes zu streiten,  unmöglich. Aus diesen Gründen hat die Politik der Linderung und Verlangsamung der Krise den perversen Effekt, die Widersprüche des Kapitalismus zu verschärfen, zu vertiefen und gewaltsamer zu machen. Der ”Erfolg” der Wirtschaftspolitik des Kapitalismus in den letzten 30 Jahren kann darauf reduziert werden, das Schlimmste der Krise vermieden zu haben, währenddessen jedoch der Umfang der Zeitbombe zugenommen hat, sie also noch explosiver, gefährlicher und zerstörerischer geworden ist:

*30 Jahre der Verschuldung haben die allgegenwärtige Zerbrechlichkeit der Finanzmechanismen erhöht, was ihren Gebrauch beim Krisenmanagement schwieriger und gefährlicher gemacht hat.

*30 Jahre der allgemeinen Überproduktion bedeuteten sukzessive Amputationen am industriellen und landwirtschaftlichen Organismus der Weltwirtschaft, was den Marktumfang eingeschränkt und diese Überproduktion sehr viel ernster und drückender gemacht hat.

*30 Jahre des Hinauszögerns und der Dosierung der Arbeitslosigkeit bedeuten, dass sie heute sehr viel ernster ist und eine endlose Kette von Entlassungen, Gelegenheitsarbeiten, Unterbeschäftigung etc. verursachte.

All die Tricksereien des Kapitalismus mit seinen eigenen ökonomischen Gesetzen bedeuten, dass die Krise nicht die Form eines plötzlichen Zusammenbruchs der Produktion angenommen hat, wie es in den zyklischen Krisen des aufstrebenden Kapitalismus im letzten Jahrhundert passiert war oder wie wir in der Depression von 1929 sahen. Trotzdem hat die Krise eine ausgedehntere Form angenommen, ist zerstörerischer für die Lebensbedingungen des Proletariats und die gesamte Menschheit geworden: ein Abstieg über aufeinanderfolgende, immer brutalere Etappen bis hinab zur Situation einer immer allgemeineren Stagnation und Zersetzung.

Die Erschütterungen, die seit August 1997 stattgefunden haben, markieren eine neue Etappe auf dem Weg in den Abgrund. Wir dürfen keinen Zweifel daran haben, dass dies die schlimmste Periode in den letzten 30 Jahren ist, der größte Schritt, den der Kapitalismus auf seinen Abstieg gemacht hat. Um ihre Auswirkungen auf die Lebensbedingungen des Proletariats und hinsichtlich der Verschlimmerung der kapitalistischen Krise besser zu begreifen, erscheint es uns notwendig, auf die gesamte Periode einzugehen.

In International Review, Nr. 8 (im Artikel ”The international political situation”) zeigten wir, dass die Politik des Kapitalismus, ”die Krise zu managen und zu begleiten”, drei Achsen hat: Diese bestehen in der ”Abwälzung der Krise auf andere Länder, auf die Mittelschichten und auf das Proletariat”. Diese drei Achsen haben die Politik des Krisenmanagements gekennzeichnet und sind auf den verschiedenen Stufen des Zusammenbruchs des Systems bestimmt worden.

Die Politik der 70er Jahre

Die Entwertung des Pfund Sterling 1967 war eines der ersten deutlichen Anzeichen einer neuen offenen Krise des Kapitalismus nach den Jahren relativer Prosperität, die aufgrund des Wiederaufbaus der Weltwirtschaft nach der beträchtlichen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg geherrscht hatte. Es gab den ersten Schock der Arbeitslosigkeit, die in manchen europäischen Ländern auf bis zu 2% anstieg. Die Regierungen antworteten mit einer Politik der öffentlichen Ausgaben, die schnell die Situation bereinigte und eine Erholung der Produktion zwischen 1969 und 1971 erlaubte.

1971 nahm die Krise die Form gewaltiger Währungsturbulenzen an, die sich um die Hauptwährung der Welt konzentrierten: den Dollar. Die Nixon-Regierung war in der Lage, das Problem zeitweise hinauszuzögern, aber dies hatte ernste Konsequenzen für die künftige Entwicklung des Kapitalismus: Es demontierte das Bretton-Woods-Abkommen, das 1944 angenommen worden war, um seitdem die Weltwirtschaft zu regulieren.

Bretton Woods selbst hatte endgültig den Goldstandard abgeschafft und ihn durch den Dollarstandard ersetzt. Schon zu jener Zeit markierte dies einen Schritt zur Schwächung des Weltwährungssystems und zur Stimulierung öffentlicher Schulden. In seiner aufstrebenden Periode hatte der Kapitalismus die Währungen an die Gold- und Silberreserven gebunden, was eine mehr oder weniger kohärente Verbindung zwischen der Ausweitung der Produktion und den Geldmengen in der Zirkulation hergestellt und eine Flucht in den Kredit verhindert oder zumindest abgemildert hatte. Die mit dem Dollar verbundenen Währungen eliminierten diesen Kontrollmechanismus und führten, abgesehen vom beträchtlichen Vorteil, der dadurch dem amerikanischen Kapitalismus gegenüber seinen Konkurrenten geschenkt wurde, ein beträchtliches Währungsrisiko und eine Kreditunsicherheit ein.

Diese Bedrohung blieb verborgen, solange der Wiederaufbau den Platz für den Absatz einer kontinuierlich expandierenden Produktion schuf. Als 1967 der Spielraum für Manöver jedoch dramatisch eingeschränkt wurde, explodierte das Ganze. Die Abschaffung des Dollarstandards und seine Ersetzung durch Sonderziehungsrechte des IWF erlaubten es jedem Staat, seine Währung ohne jegliche Garantie ausser ihrer selbst auszugeben.  Die Bedrohung durch Instabilität und unkontrolliertes Schuldenwachstum wurde immer fühlbarer und gefährlicher.

Der ”Boom” von 1972/73 verbarg diese Probleme nicht nur, er brachte auch eine dieser Illusionen mit sich, welche der Kapitalismus dazu benutzte, seine Todeskrise zu verkleiden: In diesen beiden Jahren erreichte die Produktion Rekordausmaße. Dies beruhte im wesentlichen auf der Entfesselung des Konsums.

Betrunken von seinem flüchtigen ”Erfolg”, prahlte der Kapitalismus mit der Überwindung der Krise und der Widerlegung der Behauptung des Marxismus über die Todeskrise des Systems. Diese Proklamationen wurden schon bald durch die sogenannte ”Ölkrise” von 1974/75 demaskiert, der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg: Der Produktionsstand in den Industrieländern fiel um 2 bis 4%.

Die Antwort auf diese neue Erschütterung beruhte auf zwei Achsen:

*auf dem bemerkenswerten Wachstum öffentlicher Defizite in den Industrieländern, besonders in den Vereinigten Staaten;

*aber vor allem auf dem enormen Wachstum der Verschuldung in der Dritten Welt und den Ländern des Ostens. Die Jahre zwischen 1974 und 1977 erblickten das, was später als die größte Welle des Geldverleihens in die Geschichte einging: 78 Milliarden Dollar wurden Ländern der Dritten Welt verliehen, nicht eingeschlossen jene, die zum russischen Block gehörten. Um sich ein Bild von dem unerhörten Ausmaß der Kreditvergabe zu machen, muss man sie nur mit jenen Krediten vergleichen, die zwischen 1948 und 1953 im Rahmen des Marshall-Plans an die europäischen Länder vergeben wurden: Insgesamt betrugen sie 15 Milliarden Dollar, was für damalige Zeiten bereits ein Rekord war.

Diese Maßnahmen bewirkten eine Erholung der Produktion, obgleich diese niemals den Umfang von 1972/73 erreichte. Jedoch war der Preis dafür die Explosion der Inflation, welche in manchen zentralen Ländern 20% überschritt (in Italien erreichte sie 30%). Die Inflation ist ein charakteristischer Zug des dekadenten Kapitalismus (8), zurückzuführen auf die immense Masse an unproduktiven Ausgaben, die das System erfordert, um zu überleben: Kriegsproduktion, Aufblähung des Staatsapparates, gigantische finanzielle Kosten, Werbung, etc. Diese Kosten sind unvergleichlich größer als die Kosten der Zirkulation und des Wachstums, die typisch für die aufsteigende Periode waren. In der Mitte der 70er Jahre wurde diese permanente und strukturelle Inflation jedoch aufgrund der Anhäufung öffentlicher Defizite, die durch die unkontrollierte Ausgabe von Geld ohne Gegenwert bewirkt wurden, zu einer galoppierenden Inflation.

Die Entwicklung der Weltwirtschaft in der zweiten Hälfte der 70er Jahre schwankte zwischen Erholung und Depression. Jede Bemühung, die Wirtschaft wiederzubeleben, führte zu einem Ausbruch der Inflation (welche die Kapitalisten ”Überhitzung” nannten), was bedeutete, dass die Regierungen das ”Einfrieren” des Wachstums durch steigende Zinssätze, plötzliche Reduzierungen der Geldmengen in der Zirkulation etc. durchsetzen mussten, was in die Rezession führte. Dies demonstrierte deutlich die allgemeine Sackgasse der kapitalistischen Ökonomie, zurückzuführen auf die Überproduktion.

Die Bilanz der 70er Jahre

Nach dieser kurzen Beschreibung der ökonomischen Entwicklung während der 70er Jahre können wir einige Schlüsse auf zwei Ebenen ziehen:

- die wirtschaftliche Situation;

- die Senkung des Lebensstandards der Arbeiterklasse.

Die allgemeine wirtschaftliche Lage

1. Das Produktionsniveau war hoch. Die durchschnittliche Höhe der Produktionssteigerung während dieser Dekade in den 24 Ländern der OECD betrug 4,1%. Während des Booms von 1972/73 erreichte sie 8% und gar 10% in Japan. Trotzdem ist es nicht schwer, im Vergleich zu den vorherigen Jahrzehnten die klare Tendenz nach unten zu erkennen:

Durchschnittliche Zuwachsraten der Produktion in den Ländern der OECD:

1960-70    -    5,6%                   

1970-73    -    5,5%                   

1976-79    -    4,0%

2. Die massive Kreditvergabe an die ”Dritte Welt” erlaubte die Ausbeutung und Einverleibung der letzten, wenn auch sehr kleinen vor-kapitalistischen Überbleibsel in den Weltmarkt. Wir können also sagen, dass der Weltmarkt eine sehr begrenzte Expansion erlebte, so wie während der Wiederaufbauperiode nach 1945.

3. Der ganze produktive Sektor, inklusive der traditionellen Bereiche wie Schiffbau, Kohleförderung, Eisen und Stahl, die zwischen 1972 und 1978 eine große Expansion erfuhren, wuchs. Jedoch war diese Ausweitung ihr Schwanengesang: Von 1978 an führten die Zeichen einer wachsenden Marktsättigung zur berüchtigten ”Restrukturierung” (ein Euphemismus, der die massiven Entlassungen verhüllte), die 1979 begann und dem folgenden Jahrzehnt ihren Stempel aufdrückte.

4. Die Erholungsphasen wirkten sich auf die Weltwirtschaft mehr oder weniger ausgeglichen aus. Von ein paar Ausnahmen abgesehen (ein wichtiges Beispiel war der Produktionsrückgang in Argentinien, Chile, Uruguay), profitierten alle Länder vom Produktionswachstum. Es gab keine Länder, die von der Erholung ”abgenabelt” wurden, so wie es später in den 80er Jahre geschah.

5. Die Rohstoffpreise hielten die Steigerungstendenzen aufrecht, die ihren Höhepunkt mit dem spekulativen Ölboom (zwischen 1972 und 1977) erreichten, um sich danach in ihr Gegenteil zu verkehren.

6. Die Rüstungsproduktion hob im Verhältnis zu den 60er Jahren ab und wuchs von 1976 an spektakulär.

7. Ab 1975 beschleunigten sich die Schuldenraten stark, obwohl sie im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte, winzig waren. Sie waren charakterisiert durch:

- ein ziemlich moderates Wachstum in den zentralen Ländern (obgleich es ab 1977 einen spektakulären Anstieg in den Vereinigten Staaten während der Carter-Administration gab);

- einen massiven Anstieg andererseits in den Ländern der ”Dritten Welt”.

Schulden der ”unterentwickelten” Länder

(Quelle: Weltbank)

1970     -     $ 70 Mia                   

1975     -     $ 170 Mia                   

1980     -     $ 580 Mia

8. Das Bankensystem war solide: Die Kreditvergabe (für Konsum und Investitionen, an Familien, Geschäfte und Institutionen) wurde einer Reihe sehr rigoroser Kontrollen und Garantien unterworfen.

9. Die Spekulation war noch ein begrenztes Phänomen, obwohl die fiebrige Ölspekulation (die berühmten Petrodollars) Vorbote einer Tendenz zu ihrer Verallgemeinerung im darauffolgenden Jahrzehnt war.

Die Lage der Arbeiterklasse

1. Die Arbeitslosigkeit blieb relativ beschränkt, auch wenn sie ab 1975 stetig wuchs. In den 24 OECD-Ländern gab es 1968 7 Millionen Arbeitslose; 1979 war ihre Zahl auf 18 Millionen gestiegen.

2. Es gab erhebliche nominale Lohnsteigerungen (diese erreichten 20-25%), und in Ländern wie Italien wurden gleitende, inflationsgebundene Löhne eingeführt. Diese Lohnsteigerungen täuschten darüber hinweg, dass insgesamt gesehen die Löhne gegenüber der galoppierenden Inflation an Boden verloren.

3. Dauerarbeitsplätze überwogen deutlich, und in den meisten Ländern gab es ein starkes Wachstum der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst.

4. Die Sozialausgaben, Beihilfen, das soziale Sicherheitssystem, Haushalts-, Kranken- und Erziehungsgeld - alles erlebte eine erhebliche Steigerung.

5. In diesem Jahrzehnt war der Verfall der Lebensbedingungen zwar real, aber ziemlich mild. Die Bourgeoisie, wachsam geworden durch die historische Wiedergeburt des Klassenkampfes und beträchtlichen Spielraum für Manöver auf dem wirtschaftlichen Terrain auskostend, zog es vor, ihre Angriffe mehr auf die schwächsten Bereiche des nationalen Kapitals als auf die Arbeiterklasse zu konzentrieren. Die 70er Jahre waren ”Jahre der Illusionen”, gekennzeichnet von der politischen Dynamik der ”Linken an der Macht”.

Im nächsten Teil dieses Artikels werden wir eine Bilanz der 80er und 90er Jahre ziehen, was uns erlauben wird, einerseits die gewaltige Verschlimmerung der Wirtschaftslage und der Lage der Arbeiterklasse zu bewerten, andererseits die düsteren Perspektiven des weiteren Abstiegs zum Inferno besser zu begreifen, die die im August 1997 eröffnete Periode umfassen.

Adalen

Anmerkungen:

1 Es gibt im wesentlichen zwei Theorien über die Krisenursache: die Sättigung des Weltmarktes und der tendenzielle Fall der Profitrate. Siehe dazu die Artikel in International Review Nr. 13, 16, 23, 29, 30, 76 und 83.

2  s. International Review Nr. 62 ”The decomposition of capitalism”

3  s. International Review Nr. 21 ”On state capitalism” und International Review Nr. 23 ”The proletariat in decadent capitalism”

4  s. International Review Nr. 31 ”The proletariat in Western Europe at the centre of the class struggle”

5  s. den Artikel über die internationale Lage in International Review Nr.1

6  s. International Review Nr. 56

7  s. den Bericht, den wir in der Internationalen Revue Nr. 21 veröffentlichten

8  s. unsere Broschüre Die Dekadenz des Kapitalismus