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1) Die weit verbreiteten Lügen, die, als die stalinistischen Regime Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre zusammenbrachen, vom ‘endgültigen Scheitern des Marxismus’ sprachen, sind nicht neu. Genau vor einem Jahrhundert mußte der linke Flügel der II. Internationale mit Rosa Luxemburg an seiner Spitze gegen die revisionistischen Auffassungen ankämpfen, die behaupteten, daß Marx sich vollkommen geirrt hatte, als er angekündigte, der Kapitalismus sei zum Scheitern verurteilt. In den nachfolgenden Jahrzehnten boten der 1. Weltkrieg und dann die große Depression der 30er Jahre nach dem kurzen Zeitraum des Wiederaufbaus der Bourgeoisie wenig Raum, um diese Botschaft zu verbreiten. Auf der anderen Seite ermöglichten die beiden Jahrzehnte ‘Wohlstand’ nach dem 2. Weltkrieg ein neues Aufblühen von ‘Theorien’, die ‘ein für allemal’ den Marxismus begruben und seine Vorhersage, daß der Kapitalismus zusammenbrechen werde. Diese Theorien waren auch in verschiedenen ‘radikalen’ Kreisen weit verbreitet. Mit dem Aufbrechen der offenen Krise Ende der 60er Jahre verstummten diese Lieder der Selbstbeweihräucherung dann, aber die langsame Entwicklung der Krise, die von Phasen des ‘Aufschwungs’ unterbrochen wurde, wie der des britischen und amerikanischen Kapitalismus zum gegenwärtigen Zeitpunkt, hat es der bürgerlichen Propaganda ermöglicht, gegenüber der großen Mehrheit von Arbeitern die Wirklichkeit und das Ausmaß der Sackgasse zu verbergen, in die die kapitalistische Produktionsform heute geraten ist. Deshalb ist es so wichtig für Revolutionäre, für Marxisten, ständig all die bürgerlichen Lügen über die Fähigkeit des Kapitalismus zu entblößen, derzufolge dieser ‘die Krise überwinden’ könne; insbesondere müssen all die ‘Argumente’ entlarvt werden, die diese ‘Fähigkeit’ des Kapitalismus angeblich unter Beweis stellen.
2) In Anbetracht der Unleugbarkeit der Krise fingen die ‘Experten’ Mitte der 70er Jahre an, alle möglichen Erklärungen aufzutischen, die die Bourgeoisie dank der rosigen Aussichten ihres Systems beruhigen sollten. Unfähig, sich ihren endgültigen Untergang vorzustellen, mußte die herrschende Klasse nicht nur ihre Ausgebeuteten mystifizieren, sondern sie brauchte diese Verschleierungen auch für sich selber, um die wachsenden Schwierigkeiten der Weltwirtschaft zu erklären, indem man auf einzelne Ursachen zeigte, und somit der Erklärung der wirklichen Ursachen aus dem Weg ging. Eine Erklärung nach der anderen wurde vorgeschoben:
- die ‘Ölkrise’, die dem Yom Kippur Krieg von 1973 folgte (diese Erklärung ‘vergißt’, daß die offene Krise 6 Jahre zuvor angefangen hatte, und daß die Ölpreise nur eine Verschlimmerung beschleunigten, die schon in den Rezessionen von 1967 und 71 aufgetreten war);
- die Exzesse der neo-keynesianischen Politik, die seit Kriegsende praktiziert worden war und zur galoppierenden Inflation geführt hatte. Die Schlußfolgerung lautete: wir brauchen ‘weniger Staat’;
- die Exzesse der ‘Reagonomics’ in den 80er Jahren, die eine bis dahin noch nie dagewesene Erhöhung der Arbeitslosigkeit in den Industriezentren mit sich brachte.
Im Grunde mußte sich die Bourgeoisie an der Idee festklammern, daß es einen Ausweg gab, und daß mit einem besseren Management die Weltwirtschaft wieder zu den Blütephasen des Nachkriegsbooms zurückkehren könnte. Es ging einfach darum, das verloren gegangene Geheimnis des ‘Wohlstands’ wieder zu finden.
3) Lange Zeit sollten die wirtschaftlichen Leistungen Deutschlands und Japans zum Zeitpunkt, als andere Länder schon im Dreck steckten, diese Fähigkeit des Kapitalismus, die Krise zu überwinden, verdeutlichen: ‘Wenn jedes Land so tugendhaft wäre wie die beiden Verlierer des 2. Weltkriegs, würde wieder alles in Ordnung kommen’ - so lautete das Glaubensbekenntnis vieler kapitalistischer Prediger. Heute gehören auch Japan und Deutschland zu den ‘Kranken’. Nachdem es sehr schwierig ist, zu den früheren alten fabelhaften Wachstumsraten zurückzukehren, ist Japan vor kurzem neben Brasilien und Mexiko in die Kategorie D des Indexes der wegen Anhäufung von Schulden von Staat, Firmen und Privathaushalten am meisten gefährdeten Staaten eingestuft worden (seine Gesamtverschuldung übersteigt die Produktion von zweieinhalb Jahren Wirtschaftstätigkeit). Was Deutschland betrifft, verzeichnet es heute die höchste Arbeitslosenrate in der EU und ist gegenwärtig nicht dazu in der Lage, die Maastrichter Kriterien zur Einführung der Einheitswährung zu erfüllen. Schließlich ist es offensichtlich geworden, daß die angebliche ‘Tugend’ dieser Länder in der Vergangenheit einfach die kopflose Flucht in die Verschuldung verdeckt, die den Kapitalismus schon seit Jahrzehnten geprägt hat. Tatsächlich sind die gegenwärtigen Schwierigkeiten dieser beiden Länder, die sich in den 70er und 80er Jahren in ‘bester Verfassung’ befanden, eine Verdeutlichung, daß es dem Kapitalismus unmöglich ist, endlos lange seine eigenen Gesetze auszuhebeln. Darauf hatte der Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg beruht; und dies hatte ihm bislang auch ermöglicht, einen ähnlichen Zusammenbruch wie den der 30er Jahre zu vermeiden: nämlich der systematische Einsatz des Kredits.
4) Zur Zeit, als sie die revisionistischen ‘Theorien’ entlarvte, war Rosa Luxemburg schon dazu gezwungen, deren Auffassung zu zerstören, derzufolge der Kredit es dem Kapitalismus ermöglichen würde, seine Krisen zu überwinden. Während der Kredit zweifelsohne ein Ansporn für die Entwicklung dieses Systems war, sowohl aus dem Blickwinkel der Zirkulation als auch der Konzentration des Kapitals, vermochte der Kredit nie einen wirklichen Markt als Boden der kapitalistischen Expansion zu ersetzen. Geld für die Zukunft zu borgen, erlaubt die Produktion und den Kauf von Gütern zu beschleunigen, aber früher oder später muß dieses Geld zurückbezahlt werden. Und diese Rückzahlung ist nur möglich, wenn ein Austausch auf dem Markt stattfindet - was aber nicht automatisch durch die Produktion geschieht, wie Marx systematisch gegen die bürgerlichen Ökonomen bewiesen hat. Schlußendlich vergrößert der Kredit - weit davon entfernt, die Krise des Kapitalismus zu überwinden, nur deren Ausmaß und ihre Schwere, wie Rosa Luxemburg in ihrer marxistischen Analyse herausstellte. Heute bleiben die Thesen der marxistischen Linken gegen die Revisionisten aus der Zeit der Jahrhundertwende grundlegend gültig. Der Kredit kann heute genausowenig einen zahlungsfähigen Markt schaffen. Aber in Anbetracht der endgültigen Sättigung der Märkte (wogegen im letzten Jahrhundert noch die Möglichkeit der Eroberung neuer Märkte bestand), ist der Kredit zu einer unabdingbaren Bedingung für das Aufsaugen von Gütern geworden und ersetzt somit den wirklichen Markt.
5) Diese Realität trat schon nach dem 2. Weltkrieg deutlich zum Vorschein, als der Marshall-Plan es den USA nicht nur ermöglichte, zur Bildung des amerikanischen Blocks beizutragen, sondern auch einen Absatzmarkt für ihre Industrie zu schaffen. Der Wiederaufbau der europäischen und japanischen Wirtschaft hatte diese in den 60er Jahren zu Rivalen der US-Wirtschaft werden lassen, womit die Rückkehr der offenen Krise des Weltkapitalismus eingeläutet wurde. Seitdem hat es die Weltwirtschaft vor allem mittels des Kredits, der Politik wachsender Verschuldung, geschafft, eine brutale Depression wie die der 30er Jahre zu vermeiden. So wurde die Rezession von 1974 dank der gigantischen Schulden, die die 3. Welt angehäuft hatte, bis Anfang der 80er Jahre herausgeschoben, womit die Schuldenkrise Anfang der 80er Jahre eingeleitet wurde, die mit dem Ausbruch einer neuen Rezession zusammenfiel, die sich als noch verheerender erweisen sollte als die von 1974. Diese neue weltweite Rezession wurde wiederum nur überwunden durch das schwindelerregende Handelsdefizit der USA, deren wachsenden Auslandsschulden mit denen der 3. Welt wetteiferten. Parallel dazu explodierten die Haushaltsdefizite der Industriezentren, die zwar eine gewisse Belebung der Nachfrage bewirkten, aber die Staaten in einen wirklichen Bankrott trieben (diese Staatsschulden liegen je nach Land zwischen 50 und 130% der Jahresproduktion). Darüber hinaus ist eine offene Rezession, die als negative Wachstumsrate der Produktion eines Landes definiert wird, keinesfalls der einzige Indikator des Ausmaßes der Krise. In nahezu allen Ländern ist das jährliche staatliche Haushaltsdefizit (das der Kommunen nicht mit einbezogen) höher als der Anstieg der Produktion. Das bedeutet, wenn der Haushalt ausgeglichen wäre (was der einzige Weg zur Stabilisierung der akkumulierten Staatsschulden wäre), würden all diese Länder in eine offene Rezession eintreten. Der größte Teil dieser Verschuldung wird natürlich nicht zurückbezahlt. Mit dieser Verschuldung verbunden sind periodische, immer stärker werdende Finanzkrachs, die für die Weltwirtschaft wahre Beben bedeuten (1980, 1989) und die mehr als je zuvor auf der Tagesordnung stehen.
6) Wenn wir diese Tatsachen in Erinnerung rufen, kann man die Realität hinter diesen Reden über die gegenwärtige ‘gesunde’ Wirtschaft in den USA und Großbritannien durchschauen, die als Gegenpol zu den schwachen Leistungen ihrer Konkurrenten dargestellt werden. Zunächst müssen wir die relative Beschränktheit dieser ‘Erfolge’ betonen. So ist der bedeutende Rückgang der Arbeitslosenrate in Großbritannien in einem großen Maße - selbst gemäß dem Eingeständnis der Bank von England - auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Arbeitslosen aus der Statistik gestrichen wurden, die die Suche nach einem Job aufgegeben haben (die Kriterien für die Festlegung der Arbeitslosenzahl sind seit 1979 33 mal geändert worden). Diese Erfolge sind zu einem großen Teil auf die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder zurückzuführen, was wiederum sehr stark von der Schwäche ihrer Währungen abhängt. Das Pfund Sterling aus der europäischen Währungsschlange zu nehmen, hat sich bislang als guter Schachzug erwiesen. Mit anderen Worten: Dieser Erfolg fußt auf der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der anderen Länder. Diese Tatsache wurde zum Teil durch die weltweite Synchronisierung der Phasen von Rezession und ‘Aufschwung’ versteckt: Die relative Verbesserung findet nicht statt dank der Verbesserung der Lage der ‘Partner’, sondern grundsätzlich durch die Verschlechterung deren Lage, denn ‘Partner’ sind im wesentlichen Konkurrenten. Mit dem Verschwinden des amerikanischen Blocks nach dem Zusammenbruch seines russischen Rivalen Ende der 80er Jahre, ist die vorherige Abstimmung der Wirtschaftspolitik (z.B. durch die G7 Gipfel, was durchaus ein nicht zu vernachlässigender Faktor bei der Verlangsamung der Krise war) ersetzt worden durch eine zunehmend verzweifelte Tendenz des ‘Jeder für sich’. In solch einer Lage hat die führende Weltmacht das Privileg, ihre Diktate im Handelsbereich zugunsten ihrer eigenen Volkswirtschaft den anderen aufzuzwingen. Dies liefert zu einem beträchtlichen Ausmaß die Gründe für den gegenwärtigen ‘Erfolg’ des amerikanischen Kapitals.
Aber die gegenwärtigen Leistungen der britischen und amerikanischen Wirtschaft zeigen nicht nur keine mögliche Verbesserung der Weltwirtschaft insgesamt auf, sondern diese Entwicklung selber wird nicht lange anhalten. Als Teilnehmer am Weltmarkt, der seine völlige Sättigung nicht überwinden kann, wird die Wirtschaft dieser Länder unvermeidlich auf diese Sättigung stoßen. Vor allem ist es keinem dieser Länder gelungen, das Problem der allgemeinen Verschuldung zu überwinden (auch wenn die Haushaltsdefizite der USA in der letzten Zeit leicht zurückgegangen sind). Der beste Beweis dafür liegt in der Furcht der wichtigsten Wirtschaftsbehörden (wie des Chefs der US-Bundesbank), daß das gegenwärtige ‘Wachstum’ zu einer ‘Überhitzung’ der Wirtschaft und einer Rückkehr der Inflation führen wird. Tatsächlich verbirgt sich hinter dieser Furcht vor einer Überhitzung die Erkenntnis, daß das heutige ‘Wachstum’ sich auf ungeheure Schulden stützt, die unvermeidbar zu einem katastrophalen Ausschlag des Pendels führen werden. Die äußerst zerbrechliche Grundlage des gegenwärtigen Erfolgs der amerikanischen Wirtschaft wurde wieder durch die Panik an der Wall Street und anderen Börsenplätzen der Welt deutlich, als die Fed Ende März 97 eine geringfügige Erhöhung der Leitzinsen ankündigte.
7) Unter den Lügen, die von der herrschenden Klasse landauf landab verbreitet werden, um den Glauben an die Überlebensfähigkeit des Systems zu stärken, nehmen die südostasiatischen Länder, die ‘Drachen’ (Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur) und ‘Tiger’ (Thailand, Indonesien und Malaysia) einen besonderen Platz ein, denn deren Wachstumsraten (manchmal gar zweistellig) erregen den Neid der westlichen Bourgeoisie. Deren Beispiel sollen uns vor Augen halten, daß der Kapitalismus sowohl die rückständigen Länder entwickeln und den Rückfall in die Stagnation vermeiden kann. Aber das ‘Wirtschaftswunder’ der Mehrzahl dieser Länder (insbesondere Südkoreas und Taiwans) ist keineswegs zufällig. Es ist die Konsequenz einer dem Marshall-Plan ähnlichen Maßnahme, die von den USA während des Kalten Krieges mit dem Zweck entworfen wurde, das Vordrängen des russischen Blockes in dieser Region aufzuhalten (massive Kapitalspritzen gar bis zur Höhe von 15% des BSP, direktes Eingreifen in die Volkswirtschaft der Länder, insbesondere indem man sich auf den Militärapparat stützte, um die fast gar nicht vorhandene nationale Bourgeoisie zu ersetzen und den Widerstand des Finanzsektors zu überwinden usw.). Als solche können diese Beispiele keineswegs auf die ganze 3. Welt übertragen werden, denn der Großteil der 3. Welt rutscht weiter ab in eine unvorstellbare Katastrophe. Darüber hinaus haben die Schulden der meisten dieser Staaten - sowohl die Auslandsschulden als auch die Staatsverschuldung - so gewaltige Ausmaße erreicht, daß sie den gleichen Gefahren ausgesetzt sind wie alle anderen Staaten. Während die sehr niedrigen Arbeitskosten in diesen Ländern sehr attraktiv für viele westliche Unternehmen sind, liefert die Tatsache, daß sie jetzt auch zu Wirtschaftsrivalen der fortgeschrittenen Länder werden, sie auch dem Risiko aus, daß die Letztgenannten Handelsschranken gegen deren Exporte errichten. Obgleich sie bislang eine Ausnahme darstellten, wie ihr großer japanischer Nachbar auch, können diese Länder nicht endlos lange den Widersprüchen der Weltwirtschaft entfliehen, welche die anderen ‘Erfolgsgeschichten’ zu einem Schreckgespenst haben werden lassen wie im Falle Mexikos. Aus all diesen Gründen ergreifen die internationalen Experten und die Finanzinstitutionen - während sie gleichzeitig Lobesreden auf sie halten - jetzt schon Maßnahmen, um die Finanzrisiken, die diese Länder darstellen, einzuschränken. Und die Maßnahmen mit dem Ziel, die Arbeitskräfte zu mehr ‘Flexibilität’ zu zwingen, wie der Hintergrund der neulich in Korea stattgefundenen Streiks zeigt, beweisen, daß sich die nationale Bourgeoisie selber am deutlichsten darüber bewußt ist, daß das beste Stück Kuchen schon gegessen wurde. Wie die Zeitung ‘The Guardian’ am 16.10.96 schrieb: ‘Die Frage ist, welcher Tiger am ersten zusammenbrechen wird’.
8) Der Fall Chinas, das von einigen als die kommende Weltmacht des nächsten Jahrhunderts gepriesen wird, ist auch keine Ausnahme von der Regel. Die Bourgeoisie dieses Landes hat bislang einen erfolgreichen Übergang hin zu den klassischen Formen des Kapitalismus vollzogen, im Gegensatz zu Osteuropa, das, von einigen Ausnahmen abgesehen, total im Dreck steckt, womit dem ganzen Gerede über die ‘gewaltigen Aussichten’ dieser Länder nach dem Zusammenbruch des Stalinismus der Boden entzogen wird. China bleibt jedoch nach wie vor von einer gewaltigen Unterentwicklung geprägt, wobei der Großteil der Wirtschaft wie in allen stalinistischen Regimen unter dem Gewicht der Bürokratie und der Rüstungslasten erstickt. Die Behörden selber haben zugegeben, daß der staatliche Bereich überall defizitär arbeitet und daß unzähligen Arbeitern die Löhne noch nicht ausgezahlt wurden. Und auch wenn der private Bereich dynamischer ist, kann damit das Gewicht des Staatssektors nicht überwunden werden, und er bleibt ohnehin besonders abhängig von den Schwankungen des Weltmarktes. Schließlich kann die ‘eindrucksvolle Dynamik’ der chinesischen Wirtschaft die Tatsache nicht verdecken, daß selbst bei Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Wachstumsraten gegen Ende des Jahrhunderts ca. 250 Millionen Arbeitslose vorhanden sein werden.
9) Egal aus welchem Blickwinkel man schaut, solange man den Lobliedern der Anhänger der kapitalistischen Produktionsform widersteht und sich auf die Lehren des Marxismus verläßt, kann die Perspektive der Weltwirtschaft nur die einer wachsenden Katastrophe sein. Der sogenannte ‘Erfolg’ bestimmter Länder zum jetzigen Zeitpunkt (der angelsächsischen und südostasiatischen Länder) stellt keineswegs die Zukunftsperspektive des Kapitalismus insgesamt dar. Es handelt sich nur um eine optische Illusion, die die Katastrophe nicht mehr lange verbergen kann. Ebenso ist das ganze Gerede von ‘Globalisierung’, die angeblich einen Zeitraum des freien, expandierenden Handels öffnet, nichts anderes als ein Schutzschild, um die in diesem Maße nicht dagewesene Zuspitzung des Handelskrieges zu übertünchen. Auf diesem Hintergrund stellen Handelsblöcke wie die Europäische Union genauso eine Festung gegen die Konkurrenz anderer Länder dar. So wird die Weltwirtschaft, die gefährlich und unsicher auf einem Schuldenberg gratwandert, der nie zurückbezahlt werden wird, mehr und mehr den Erschütterungen des ‘Jeder für sich’ ausgesetzt sein, das ein ständiges Merkmal des Kapitalismus war, aber in der Phase des Zerfalls eine neue Stufe erreicht hat. Revolutionäre Marxisten können die genaue Form oder den Rhythmus des wachsenden Zusammenbruches der kapitalistischen Produktionsform nicht vorhersagen. Aber es gehört zu ihrer Aufgabe, zu verkünden und aufzuzeigen, daß das System in eine ausweglose Sackgasse geraten ist, und all die Lügen und Mythen des ‘Lichtes am Ende des Tunnels’ zu entblößen.
10) Mehr noch als in der Wirtschaft hat das dem Zerfall eigene Chaos Auswirkungen auf die politischen Beziehungen zwischen den Staaten. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Ostblocks, der zur Auflösung der Allianzen führte, die aus dem 2. Weltkrieg hervorgegangen waren, schrieb die IKS:
- daß diese Lage die Bildung neuer Blöcke auf die Tagesordnung setzte, auch wenn dies noch nicht sofort möglich würde, wobei einer der Blöcke von den USA, der andere von Deutschland angeführt würde;
- daß die neue Lage sofort zu einer Reihe von offenen Zusammenstößen führen würde, die zuvor durch das Abkommen von Jalta in einem für die beiden Gendarmen der Welt ‘annehmbaren’ Rahmen gehalten werden konnten.
Die Tendenz zur Führung eines neuen Blocks um Deutschland hat nach der Wiedervereinigung dieses Landes anfänglich bedeutsame Schritte zurücklegen können. Aber dann hat die Tendenz des ‘Jeder für sich’ ziemlich schnell Überhand genommen im Verhältnis zur Tendenz der Bildung von festen Bündnissen, die als Grundlage zukünftiger imperialistischer Blöcke dienen könnten, wodurch wiederum die militärischen Zusammenstöße zugenommen haben. Das bedeutendste Beispiel war Jugoslawien, dessen Auseinanderbrechen durch antagonistische imperialistische Interessen der großen europäischen Staaten Deutschland, Großbritannien und Frankreich begünstigt wurde. Die Zusammenstöße im ehemaligen Jugoslawien haben einen Graben zwischen den beiden großen Verbündeten der europäischen Gemeinschaft, Deutschland und Frankreich aufgerissen, und zu einer spektakulären Annäherung zwischen Frankreich und Großbritannien sowie dem Ende der Allianz zwischen Großbritannien und den USA geführt, die im 20. Jahrhundert am stabilsten gewesen war und am längsten gedauert hatte. Seitdem ist diese Tendenz des ‘Jeder für sich’, des Chaos in den Beziehungen zwischen den Staaten mit seiner Reihe von zeitlich begrenzten und kurzweiligen Bündnissen nicht in Frage gestellt worden, sondern genau das Gegenteil ist eingetreten.
11) So sind in der letzten Zeit eine Reihe von wichtigen Änderungen der Bündnisse eingetreten, die sich zuvor gebildet hatten:
- tiefgreifende Aufweichung der Beziehungen zwischen Frankreich und Großbritannien, die besonders verdeutlicht wird durch die ausgebliebene Unterstützung der Forderung Frankreichs nach der Wiederwahl Boutros-Ghalis an der Spitze der UNO oder der Übernahme des Kommandopostens der Südflanke der NATO im Mittelmeer durch einen Europäer;
- der neuen Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland, deren Konkretisierung durch die Unterstützung Deutschlands der Forderungen Frankreichs zu erkennen war;
- die Konflikte zwischen den USA und Großbritannien wurden auf Eis gelegt, wobei Großbritannien unter anderem die Forderungen der USA bei diesen beiden Fragen unterstützte.
Eines der Merkmale dieser Entwicklung der Bündnisse hängt mit der Tatsache zusammen, daß nur die USA und Deutschland langfristig eine kohärente Politik entwickeln können. Dabei verteidigen die USA ihre Führungsrolle, Deutschland kämpft um die Ausdehnung seiner eigenen Führung in einem Teil der Welt. Die anderen Mächte müssen sich darauf beschränken, eine mehr punktuelle Politik zu verfolgen, die zum Großteil danach strebt, der von den beiden erstgenannten Mächten praktizierten Politik gegenzusteuern. Seitdem die Teilung der Welt in zwei Blöcke aufgehoben ist, wird die Autorität der ersten Großmacht der Welt ständig durch ihre ehemaligen Verbündeten herausgefordert.
12) Der spektakulärste Ausdruck dieser Führungskrise des Weltpolizisten ist der Bruch des historischen Bündnisses mit Großbritannien gewesen, den Großbritannien 1994 vollzogen hat. Auch die lange Machtlosigkeit der USA bis zum Sommer 1995 auf einem Hauptschauplatz der imperialistischen Zusammenstöße, im ehemalige Jugoslawien, hat dies verdeutlicht. Und im September 96 wurde dann nahezu einhellig die Bombardierung des Irak durch 44 Marschflugkörper verworfen, während es die USA 1990-91 noch geschafft hatten, von den gleichen Ländern für die Operation Wüstensturm Unterstützung zu erhalten. Insbesondere die entschlossene Ablehnung dieser Bombardierung durch Ägypten und Saudi-Arabien hebt sich deutlich ab von der totalen Unterstützung dieser Staaten der Region für Onkel Sam während des Golfkriegs. Als weitere Beispiele dieser Herausforderung der US-Führungsrolle wollen wir herausgreifen:
- den Proteststurm gegen das Helms-Burton-Gesetz, das die Verschärfung des Embargos gegen Kuba beabsichtigt; der kubanische Führer wurde anschließend mit großem diplomatischen Zeremoniell zum ersten Mal im Vatikan empfangen;
- die Regierungsübernahme der Rechten in Israel, die gegen den Willen der USA geschah; seitdem hat die rechte Regierung alles unternommen, um den Friedensprozeß mit den Palästinensern zu sabotieren, der einer der größten Erfolge der US-Diplomatie war;
- auf einer allgemeinen Ebene der Verlust der alleinigen Kontrolle in dieser entscheidenden Region, dem Nahen Osten. Die Aufwertung Frankreichs verdeutlicht dies, denn Frankreich hat sich als zweite Kraft bei der Lösung des Konfliktes zwischen Israel und dem Libanon Ende 1995 aufgedrängt. Der Erfolg Frankreichs in der Region wurde durch den herzlichen Empfang Chiracs durch Saudi-Arabien im Oktober 1996 bestätigt.
- die Einladung an mehrere europäische Staatschefs (unter ihnen Chirac, der mehrfach zur Unabhängigkeit von den USA aufgerufen hat) durch eine Reihe südamerikanischer Staaten, womit das Ende der grenzenlosen Kontrolle dieses Subkontinents durch die USA deutlich wird.
13) Wie der 12. Kongreß der Sektion der IKS in Frankreich schon vor einem Jahr feststellte, haben die USA in der letzten Zeit eine massive Gegenoffensive gestartet. Dies hat ein verstärktes Auftreten der USA im ehemaligen Jugoslawien vom Sommer 1995 ermöglicht. Dabei traten die USA im Rahmen des IFOR-Mandates auf, das die UNPROFOR ablösen sollte, welche jahrelang das Instrument des Übergewichtes des französisch-britischen Tandems gewesen war. Der größte Beweis des US-amerikanischen Erfolgs war die Unterzeichnung des Dayton-Abkommens zur Regelung des Bosnien-Konfliktes in den USA. Seitdem haben die USA ihre Offensive fortsetzen können. Vor allem haben sie dem Land, das sie am offensten herausgefordert hat, Frankreich, einen Schlag in dem Gebiet versetzen können, das Frankreich bislang als seinen ‘Hinterhof’ bezeichnen konnte - Afrika. Nach dem Zurückdrängen des französischen Einflusses in Ruanda entgleitet jetzt vor allem der Hauptstützpfeiler Frankreichs auf dem Kontinent, Zaire, seiner Kontrolle. Das Regime Mobutus zerfällt immer mehr unter den Auswirkungen der ‘Rebellion’ Kabilas, der massiv von Ruanda und Uganda, d.h. von den USA, unterstützt wird. Damit erhält Frankreich von den USA eine besonders harte Bestrafung. Die USA wollen somit exemplarisch gegenüber allen anderen Ländern handeln, die genauso wie Frankreich ständig die USA herausfordern möchten. Und diese Bestrafung soll die anderen Schläge ergänzen, die die USA in der letzten Zeit Frankreich nach der Ernennung des Nachfolgers von Boutros-Ghali und bei der Besetzung des NATO Oberbefehlshabers der Südflanke haben versetzen können.
14) Zum Großteil gerade weil die britische Bourgeoisie die Risiken erkannte hatte, die für sie entstehen, wenn sie die abenteuerliche Politik Frankreichs unterstützt (das sich immer wieder Ziele setzt, die seine wirklichen Möglichkeiten übersteigen), hat sie sich in der letzten Zeit gegenüber der französischen Bourgeoisie abgegrenzt. Diese Entwicklung wurde von den USA und Deutschland stark gefördert, denn sie konnten der von Frankreich und Großbritannien bei der Jugoslawienfrage eingegangenen Allianz nicht mit Wohlwollen begegnen. So hattten die amerikanischen Bombardierungen Iraks im September 96 den großen Vorteil, daß zwischen Frankreich und Großbritannien ein Keil getrieben wurde, da Frankreich Saddam Hussein nach besten Kräften unterstützt hatte, während Großbritannien genauso wie die USA auf den Umsturz dieses Regimes zielte. Deutschland hat ebenso alles unternommen, um die französisch-britische Solidarität bei Fragen, die Deutschland schaden, zu untergraben, wie bei der Frage der Europäischen Union und der Einheitswährung (im Dezember 96 fanden allein dazu drei deutsch-französische Gipfel statt). Auf dem Hintergrund dieses Rahmens muß man die jüngste Entwicklung der Bündnisse in der letzten Zeit einschätzen. Die Haltung Deutschlands und vor allem die der USA bestätigt das, was wir auf unserem letzten Kongreß sagten. ‘In solch einer Situation der Instabilität ist es für jedes Land einfacher, für Unruhe zu sorgen und dem Gegner Ärger zu bereiten, die Bündnisse zu untergraben, die es bedrohen, als selbst solide Bündnisse aufzubauen und für Stabilität im eigenen Herrschaftsgebiet zu sorgen.’ (Resolution zur internationalen Situation, Punkt 11, April 1995) Jedoch muß man auch die wichtigen Unterschiede sowohl hinsichtlich der Methode als auch hinsichtlich der Ergebnisse der Politik dieser beiden Mächte berücksichtigen.
15) Das Ergebnis der internationalen Politik Deutschlands begrenzt sich bei weitem nicht darauf, Frankreich von Großbritannien loszureißen und zu versuchen durchzusetzen, daß Frankreich das früher eingegangene Bündnis wieder erneuert. Dies konnte man anhand der militärischen Vereinbarungen in der letzten Zeit sowohl vor Ort in Bosnien feststellen (eine gemeinsame deutsch-französische Brigade wurde aufgestellt), als auch durch das Abkommen über militärische Zusammenarbeit (am 9. Dezember 96 wurde ein Abkommen über ein ‘gemeinsames Konzept im Bereich der Sicherheit und Verteidigung’ unterzeichnet). In Wirklichkeit können wir ein sehr starkes Vordrängen des deutschen Imperialismus beobachten, das sich konkret ausdrückt durch:
- die Tatsache, daß innerhalb der neuen Allianz zwischen Frankreich und Deutschland, Deutschland eine wesentlich günstigere Stellung gegenüber Frankreich einnimmt im Vergleich zur Zeit 1990-94 (Frankreich wurde zu einem guten Teil dazu gezwungen, sich wieder seiner alten Liebe zuzuwenden, nachdem sich Großbritannien von ihm abgewendet hat);
- eine Ausdehnung seines traditionellen Einflußgebietes in Richtung Osteuropa und insbesondere durch die Errichtung eines Bündnisses mit Polen;
- eine Verstärkung seines Einflusses in der Türkei (dessen neue, von dem Islamisten Erbakan geführte Regierung eher pro-deutsch eingestellt ist als die vorherige Regierung), und die ihm als Brückenkopf Richtung Kaukasus (wo sie nationalistische, gegen Rußland gerichtete Bewegungen unterstützt) und Iran dient, mit dem die Türkei eine Reihe wichtiger Abkommen unterzeichnet hat;
- die Entsendung von Kampfeinheiten außerhalb der Landesgrenzen, ein Novum seit dem 2. Weltkrieg, gerade in die besonders kritische Balkanregion mit der Stationierung von Kampfeinheiten in Bosnien im Rahmen des IFOR-Mandates (deshalb erklärte der deutsche Verteidigungsminister, daß ‘Deutschland in der neuen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen wird’).
Darüber hinaus hat Deutschland mit Frankreich an seiner Seite diplomatische Vorstöße gegenüber Rußland unternommen, dessen erster Kreditgeber es ist. Auch hat Rußland keine entscheidenden Vorteile aus seinem Bündnis mit den USA gezogen.
16) So richtet sich Deutschland in seiner Rolle als imperialistischer Hauptrivale der USA ein. Man muß jedoch hinzufügen, daß Deutschland es bislang geschafft hat, seine Bauern vorzuschieben, ohne sich der Repression des amerikanischen Mastodons aussetzen zu müssen. Insbesondere hat Deutschland es systematisch vermieden, die USA so offen herauszufordern, wie es Frankreich tut. Die Politik des deutschen Adlers (der es bislang vermocht hat, seine Krallen zu verstecken) erweist sich letztendlich wirksamer als die des gallischen Hahns. Dies ist die Folge sowohl der Beschränkungen, die ihm sein Verliererstatus nach dem 2. Weltkrieg weiter auferlegt, (obgleich seine gegenwärtige Politik darauf abzielt, diesen Status zu überwinden), als auch der Sicherheit der einzigen Macht, die eventuell die Möglichkeit besitzt, langfristig die Führung eines neuen imperialistischen Blocks zu übernehmen. Aber dies ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, daß Deutschland bislang seine Positionen hat ausbauen können, ohne seine militärische Stärke direkt einzusetzen (obgleich es seinen Verbündeten Kroatien in dessen Krieg gegen Serbien umfangreich unterstützt hat). Aber der historische Schritt, den die Entsendung von Kampfverbänden nach Bosnien darstellt, hat nicht nur ein Tabu gebrochen, sondern zeigt die Richtung auf, die es mehr und mehr einschlagen muß, um seinen Rang zu verteidigen. So wird der deutsche Imperialismus langfristig nicht nur durch Stellvertreter (wie im Falle Kroatiens und in einem geringerem Maße im Kaukasus) seinen Beitrag zu den blutigen Konflikten und den Massakern leisten, in denen die Welt heute versinkt, sondern er wird vermehrt direkt daran beteiligt sein.
17) Hinsichtlich der internationalen Politik der USA ist der Aufmarsch von Truppen nicht nur seit langem Bestandteil ihrer Methoden, sondern er ist heute das Hauptinstrument der Verteidigung ihrer imperialistischen Interessen, wie die IKS seit 1990 aufgezeigt hat, selbst bevor der Golfkrieg schon ausgelöst war. Gegenüber einer Welt, die von der Dynamik des ‘Jeder für sich’ beherrscht wird, und wo insbesondere die früheren Vasallen des amerikanischen Gendarms danach streben, sich so weit möglich aus der erdrückenden Vorherrschaft dieses Gendarmen zu befreien, die sie wegen der Bedrohung durch den gegnerischen Block ertragen mußten, besteht für die USA das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Autorität darin, sich auf das Instrument zu stützen, bei dem sie gegenüber allen andern Staaten eine haushohe Überlegenheit besitzen: die militärische Gewalt. Aber aufgrund dieses Einsatzes geraten die USA selber in einen Widerspruch:
- einerseits, falls sie auf den Einsatz oder die Zurschaustellung ihrer militärischen Überlegenheit verzichten, kann das die anderen, sie herausfordernden Staaten nur ermuntern, noch weiter vorzudrängen bei dieser Herausforderung;
- andererseits, falls sie diese rohe Gewalt anwenden, und selbst und vor allem wenn sie es dank dieses Mittels schaffen, die imperialistischen Appetite ihrer Gegner vorübergehend zurückzudrängen, werden diese aber danach streben, die erstbeste Gelegenheit zu ergreifen, um sich zu revanchieren und wieder versuchen, aus der US-Vorherrschaft auszubrechen.
Wenn die USA diese militärische Überlegenheit als Trumpfkarte ins Spiel bringen, bewirken sie das Gegenteil - je nachdem ob die Welt in Blöcke geteilt ist wie vor 1989, oder wenn die Blöcke nicht mehr bestehen. Als die Blöcke noch bestanden, neigte das Zur-Schau-Stellen dieser Überlegenheit dazu, das Vertrauen der Vasallen gegenüber ihrem Führer zu verstärken, da er die Fähigkeit besaß, sie wirkungsvoll zu verteidigen; deshalb stellt diese Karte dann einen Faktor des Zusammenhaltes um die USA dar. Wenn die Blöcke nicht mehr bestehen, bewirken die Demonstrationen der Stärke der einzig übrig gebliebenen Supermacht im Gegenteil nur, daß die Dynamik des ‘Jeder für sich’ nur noch verstärkt wird, solange es keine Macht gibt, die mit ihr auf dieser Ebene konkurrieren kann. Deshalb kann man die Erfolge der gegenwärtigen Konteroffensive der USA keinesfalls als endgültig ansehen oder als Überwindung ihrer Führungskrise. Die rohe Gewalt, die Manöver zur Destabilisierung ihrer Konkurrenten (wie heute in Zaire) mit all den tragischen Folgen werden deshalb weiter von den USA zum Einsatz kommen, und sie werden im Gegenteil das blutige Chaos, in das der Kapitalismus versinkt, noch weiter verschärfen.
18) Bislang hat dieses Chaos den Fernen Osten und Südostasien noch relativ verschont. Aber man muß die Anhäufung der explosiven Zündsätze erkennen, die sich dort vollzieht:
- Intensivierung der Aufrüstung der beiden Hauptmächte China und Japan;
- das Bestreben Japans, sich so weit wie möglich aus der Kontrolle durch die USA, die eine Erbschaft des 2. Weltkriegs ist, zu entwinden;
- eine offenere Politik der Herausforderung durch China (China spielt gewissermaßen die gleiche Rolle wie Frankreich im Westen, während Japans Diplomatie viel mehr der Deutschlands ähnelt);
- die Gefahr der politischen Destabilisierung Chinas (insbesondere nach dem Tod Dengs);
- das Gären einer Reihe von ‘Reibungspunkten’ zwischen Staaten (Taiwan und China, die beiden koreanischen Staaten, Vietnam und China, Indien und Pakistan usw.).
Genausowenig wie sie im Bereich der Wirtschaft den Erschütterungen wird ausweichen können, kann diese Region den imperialistischen Erschütterungen ausweichen, die heute die Welt erfassen und zum weltweiten Chaos beitragen, in das heute die kapitalistische Gesellschaft versinkt.
19) Dieses generalisierte Chaos mit der Flut von blutigen Konflikten, Massakern, Hungersnöten und allgemeiner der Zerfall, der in alle Bereiche der Gesellschaft eindringt und sie langfristig zu zerstören droht, wird hauptsächlich durch die Tatsache verstärkt, daß die kapitalistische Wirtschaft in einer völlig ausweglosen Sackgasse steckt. Aber diese Sackgasse und die mit ihr verbundenen, immer heftiger werdenden ständigen Angriffe, die sie notwendigerweise gegen die allen gesellschaftlichen Reichtum produzierende Klasse, das Proletariat, führt, liefert somit auch die Bedingungen für ein Zurückschlagen seitens des Proletariats und die Perspektive der Entwicklung revolutionärer Kämpfe. Seit dem Ende der 60er Jahre hat das Weltproletariat bewiesen, daß es nicht bereit ist, die kapitalistischen Angriffe passiv hinzunehmen, und die Kämpfe, die es seit den ersten Erschütterungen der Krise geliefert hat, haben bewiesen, daß es die furchtbare Konterrevolution überwunden hat, welche sich nach der Welle von revolutionären Kämpfen von 1917-23 gegen es gerichtet hatte. Aber die Arbeiterklasse hat ihre Kämpfe nicht kontinuierlich weiter entwickelt, sondern sie stieß dabei jeweils auf Hindernisse, es gab Fortschritte und Rückflüsse. So gab es zwischen 1968 und 1989 drei aufeinanderfolgende Kampfeswellen (1968-74, 1978-81, 1983-89), während denen die Arbeitermassen trotz Niederlagen, Zögerungen, Rückschritten eine wachsende Erfahrung angehäuft haben, durch die sie immer mehr die gewerkschaftliche Umklammerung verworfen haben. Aber dieses schrittweise Voranschreiten der Arbeiterklasse hin zu einer Bewußtwerdung der Ziele und Mittel ihres Kampfes wurde brutal Ende der 80er Jahre unterbrochen.
‘Diese Kämpfe, die Ende der 60er Jahre mit großer Wucht ausgebrochen waren und die schrecklichste Konterrevolution, unter der die Arbeiterklasse zu leiden gehabt hatte, beendeten, sind in einen umfangreichen Rückfluß nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime, den damit verbundenen ideologischen Kampagnen und Ereignissen (Golfkrieg, Balkankrieg usw.) getreten. Der massive Rückfluß war auf zwei Ebenen zu spüren: auf der Ebene der Kampfbereitschaft und des Klassenbewußtseins, ohne daß dies jedoch gleichzeitig, wie die IKS schon damals hervorhob - den historischen Kurs zu Klassenzusammenstößen umgeschmissen hat’ (Resolution zur Internationalen Situation, Punkt 14, April 1995).
20) Vom Herbst 1992, d.h. von den großen Mobilisierungen der Arbeiter in Italien, an hat die Arbeiterklasse wieder zum Weg des Kampfes zurückgefunden. Aber auf diesem Weg stößt die Arbeiterklasse auf viele Fallen und Schwierigkeiten. Als die stalinistischen Regime im Herbst 1989 zusammenbrachen, kündigte die IKS bereits an, daß dieses Ereignis einen Rückfluss des Bewußtseins bewirken würde, während sie gleichzeitig präzisierte, daß ‘die reformistische Ideologie noch ein sehr großes Gewicht in den zukünftigen Kämpfen haben wird, wodurch der Spielraum der Gewerkschaften größer werden wird’ (Thesen über die wirtschaftliche und politische Krise in der UdSSR und in Osteuropa, Internationale Revue Nr. 12). In der Tat ist es in der letzten Zeit zu einer Verstärkung der Gewerkschaften gekommen, die auf eine geschickte Strategie aller Kräfte der Bourgeoisie zurückzuführen ist. Dies Strategie strebt zunächst danach, die Verwirrung auszunützen, welche in der Arbeiterklasse durch die Ereignisse von 1989-91 entstanden ist, um das Ansehen der Gewerkschaftsapparate so stark wie möglich wieder aufzumöbeln, deren Glaubwürdigkeit während der 80er Jahre in vielen Ländern angekratzt worden war. Am einleuchtendsten wurde diese politische Offensive der Bourgeoisie durch das Manöver der verschiedenen Teile der Bourgeoisie im Herbst 1995 in Frankreich vorgeführt. Dank einer klug ausgetüftelten Arbeitsteilung zwischen der Rechten an der Regierung, die auf besonders provokative Weise eine Reihe von Angriffen gegen den Lebensstandard der Arbeiterklasse einleitete, und den Gewerkschaften, die sich als die besten Verteidiger der Arbeiter aufspielten, wobei sie selber für proletarische Kampfmethoden eintraten - Ausdehnung über Branchengrenzen hinweg und Leitung der Bewegung durch Vollversammlungen - hat die gesamte bürgerliche Klasse dem gesamten Gewerkschaftsapparat zu neuem Ansehen wie seit langem nicht mehr verholfen. Wie sehr dieses Manöver international und systematisch geplant war, konnte man anhand des gewaltigen Medienrummels um die Streiks Ende 1995 erkennen, der in allen Ländern veranstaltet wurde, während es gegenüber den meisten Massenbewegungen in den 80er Jahren ein vollständiges Black-out gegeben hatte. Dies wurde weiterhin bestätigt durch das Manöver in Belgien, das zur gleichen Zeit stattfand und eine Wiederauflage des Manövers in Frankreich war. Die Streiks in Frankreich im Herbst 1995 wurden ebenfalls während des Manövers im Frühjahr 1996 in Deutschland in den Mittelpunkt gestellt, das seinen Höhepunkt fand in der Großdemonstration in Bonn im Juni 1996. Während die Gewerkschaften als Verhandlungsexperten und Spezialisten der Abstimmung mit den Unternehmen gehandelt wurden, sollte anhand dieses Manövers den Gewerkschaften ein viel kämpferisches Bild verliehen werden, damit sie zukünftig besser die sozialen Kämpfe kontrollieren können, die aufgrund der bislang noch nie so starken ökonomischen Angriffe gegen die Arbeiterklasse unvermeidlich entstehen werden. So bestätigte sich die Analyse der IKS, die wir auf unserem 11. Kongreß erstellt hatten: ‘Aber die gegenwärtigen Manöver der Gewerkschaften sind auch und vor allem ein vorbeugendes Mittel: sie müssen ihre Kontrolle über die Arbeiter ausdehnen, bevor diese ihre Kampfbereitschaft noch stärker entfalten, denn diese Kampfbereitschaft wird aufgrund der immer härteren Angriffe der Krise noch zunehmen’ (Resolution zur Internationalen Situation, Punkt 17).
Und das Ergebnis dieser Manöver verstärkte die Verwirrung, die die Ereignisse von 1989-91 hervorgerufen hatten, aufgrund derer wir auf dem 12. Kongreß unserer Sektion in Frankreich die Einschätzung entwickelten, daß ’in den wichtigsten Ländern des Kapitalismus die Arbeiterklasse auf eine Stufe zurückgeworfen wird, die mit den 70er Jahren hinsichtlich ihres Verhältnis zu den Gewerkschaften und den gewerkschaftlichen Kampfmethoden vergleichbar ist: eine Situation, in der die Arbeiterklasse global gesehen unter den Gewerkschaften kämpfte, ihren Anweisungen und Parolen folgte und sich ihnen schließlich unterwarf. So hat die Bourgeoisie es geschafft, die in den 80er Jahren erworbenen Lehren, die die Arbeiter nach den wiederholten Erfahrungen der Konfrontation mit den Gewerkschaften gewonnen hatten, vorübergehend auszulöschen’. (Resolution zur internationalen Situation, Pkt. 12).
21) Die politische Offensive der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse beschränkt sich bei weitem nicht auf die Verstärkung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaftsapparate. Die herrschende Klasse nutzt die verschiedenen Ausdrücke des Zerfalls der Gesellschaft (ansteigender Fremdenhaß, Konflikte zwischen bürgerlichen Cliquen usw.) aus, um sie gegen die Arbeiterklasse einzusetzen. So wurden in verschiedenen Ländern Europas Kampagnen zur Ablenkung der Arbeiter eingeleitet, um ihre Wut und ihre Kampfbereitschaft auf eine Ebene zu lenken, die mit der Arbeiterklasse absolut nichts zu tun haben:
- Ausnutzung der Fremdenfeindlichkeit der Extremen Rechte (Le Pen in Frankreich, Haider in Österreich), um Kampagnen gegen die ‘faschistische Gefahr’ durchzuführen;
- in Spanien wurden Kampagnen gegen den ETA-Terrorismus gestartet, in denen die Arbeiter aufgerufen wurden, sich mit den Firmenchefs zu solidarisieren;
- Abrechnungen zwischen Teilen des Sicherheitsapparate (Polizei) und Justiz wurden ausgenutzt, um Kampagnen für einen ‘sauberen Staat & Justiz’ einzuleiten - dies geschah in Ländern wie Italien (Operation ‘saubere Hände’) und besonders in Belgien (Dutroux-Affäre).
Belgien war in der letzten Zeit eine Art ‘Labor’, um die ganze Bandbreite an Verschleierungen gegen die Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie auszutesten. Die Bourgeoisie hat dort:
- die Manöver der französischen Bourgeoisie vom Herbst 95 neu aufgelegt;
- dann ein ähnliches Manöver wie die deutsche Bourgeoisie vom Frühjahr 96 durchgeführt;
- vom Sommer 96 an die Dutroux-Affäre in den Vordergrund gestellt, die passenderweise zum ‘richtigen Zeitpunkt aufgedeckt’ wurde (obgleich der Justiz viele Tatsachen schon längst bekannt waren), um mittels eines bislang nie dagewesenen Medienrummels eine wahre Psychose in den Arbeiterfamilien hervorzurufen, während es gleichzeitig eine Reihe von Angriffen gegen die Arbeiter hagelte; dadurch sollte die Wut der Arbeiter auf das klassenneutrale Terrain einer ‘Justiz im Dienste des Volkes’ abgeleitet wurden, wie insbesondere beim ‘weißen Marsch’ am 20. Oktober;
- mit dem ‘bunten Marsch’ vom 2. Februar 97, der anläßlich der Betriebsschließung des Stahlwerkes von Forges de Clabecq veranstaltet wurde, wurde die den Klassengraben verschleiernde Kampagne einer ‘Justiz im Dienst des Volkes’ und einer ‘Wirtschaft im Dienst der Bürger’ erneut aufgelegt; eine weitere Verstärkung erfolgte durch die Medienaufmachung um die ‘kämpferischen Basis-Gewerkschaften’ und den in den Medien sehr wirksam auftretenden D’Orazio;
- eine neue Schicht demokratischer Lügen wurde dann nach der Ankündigung der Werksstilllegung Renaults in Vilvoorde (die Gerichte verurteilten diese Werksschließung) aufgetragen, während gleichzeitig die Trommel für ein ‘soziales Europa’ im Gegensatz zu einem ‘Europa der Kapitalisten’ gerührt wurde.
Die gewaltige internationale Medienaufmachung all dieser Manöver liefert erneut einen Beweis dafür, daß sie nicht nur zu internen Zwecken bestimmt waren, sondern Teil eines von der Bourgeoisie aller Länder abgestimmten Plans waren. Die herrschende Klasse ist sich dessen bewußt, daß ihre wachsenden Angriffe gegen die Arbeiterklasse große Widerstandskämpfe derselben hervorrufen werden; deshalb will sie zu einem Zeitpunkt vorbeugend handeln, wo die Kampfbereitschaft noch in einer frühen Entwicklungsstufe steckt und wo die Folgen des Zusammenbruchs der angeblich ‘sozialistischen’ Regime noch unter den Arbeitern zu spüren sind, um ‘das Pulver naß zu machen’ und die Bandbreite gewerkschaftlicher und demokratischer Illusionen so stark wie möglich auszudehnen.
22) Die unleugbare Verwirrung, in der heute die Arbeiterklasse steckt, hat der Bourgeoisie einen größeren Spielraum eröffnet, um ihre internen politischen Auseinandersetzungen auszutragen. Wie die IKS Anfang 1990 schrieb: ‘Deshalb muß man heute die Analyse der IKS aktualisieren, die wir zur Strategie der ‘Linken in der Opposition’ gemacht hatten. Seit Ende der 70er Jahre und während der 80er Jahre war es für die Bourgeoisie notwendig geworden, diese Karte aufgrund der allgemeinen Dynamik der Klasse hin zu immer mehr entschlossenen und bewußten Klassenkämpfen, zu einer deutlicheren Verwerfung der demokratischen, parlamentarischen und gewerkschaftlichen Verschleierungen, einzusetzen. Die in einigen Ländern (z.B. in Frankreich) aufgetretenen Schwierigkeiten, um diese Karte unter den besten Bedingungen zu spielen, ändert nichts an der Tatsache, daß sie die zentrale Achse der Strategie der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse war. Die rechten Regierungen in so wichtigen Ländern wie den USA, BRD und GB verdeutlichen dies. Dagegen zwingt der gegenwärtige Rückzug der Klasse die Bourgeoisie vorübergehend nicht mehr dazu, diese Strategie prioritär einzusetzen. Das heißt nicht, daß in diesen Ländern unbedingt die Linke wieder die Regierungsgeschäfte übernehmen wird. Wir haben mehrfach... aufgezeigt, daß solch eine Vorgehensweise nur in revolutionären Phasen oder im imperialistischen Krieg zwingend notwendig ist. Man darf dagegen nicht überrascht sein, wenn solch ein Ereignis eintritt, oder vermuten, daß es sich um einen ‘Unfall’ oder den Ausdruck einer ‘besonderen Schwäche’ der herrschenden Klasse des jeweiligen Landes handeln würde’ (Internationale Revue Nr. 12, S. 7, 10.2.1990).
Deshalb konnte die italienische Bourgeoisie zum Großteil aus internationalen politischen Gründen im Frühjahr 1996 eine Mitte-Links-Regierung einsetzen, in der die alte „Kommunistische“ Partei (PDS) dominiert und die eine Zeitlang von der extrem-linken Partei ‘Rifondazione Comunista’ unterstützt wurde. Deshalb darf der Sieg der Labour-Partei in Großbritannien im Mai 97 nicht als ein Faktor angesehen werden, der der Bourgeoisie dieses Landes Schwierigkeiten bereiten würde (die übrigens Sorge dafür getragen hat, die organische Verbindung zwischen Gewerkschaften und Labour Partei zu beenden, um es den Gewerkschaften zu ermöglichen, sich falls nötig, der Regierung entgegenzustellen). Es ist wichtig hervorzuheben, daß die herrschende Klasse nicht mehr die Themen aus den 70er Jahren auflegt, als die ‘Alternative der Linken’ mit ihren ‘Sozialprogrammen’ und Verstaatlichungen dazu dienten, den Schwung der Arbeiterkämpfe zu bremsen, der 1968 eingesetzt hatte, und Unzufriedenheit und Kampfbereitschaft in die Sackgasse der Wahlen gelenkt worden waren. Wenn Linksparteien (deren Wirtschaftsprogramm sich übrigens immer weniger von dem der Rechten unterscheidet) die Regierung übernehmen sollten, wird dies hauptsächlich auf die Schwierigkeiten der Rechten zurückzuführen sein, und nicht auf die Mobilisierung der Arbeiter, die durch die Entwicklung der Krise die Illusionen über einen ‘gesunden Kapitalismus’ verloren haben, während diese in den 70er Jahren noch bestanden.
23) Auf diesem Hintergrund muß man auch einen deutlichen Unterschied zwischen den ideologischen Kampagnen von heute und denen der 30er Jahre gegen die Arbeiterklasse herausheben. Bei diesen beiden Arten von Kampagnen gibt es einen gemeinsamen Punkt: Sie drehen sich alle um das Thema der ‘Verteidigung der Demokratie’. Aber die Kampagnen der 30er Jahre
- fanden auf einem Hintergrund der historischen Niederlage der Arbeiterklasse, des ungeteilten Sieges der Konterrevolution statt;
- verfolgten das Ziel des Einspannens der Arbeiter für den heraufziehenden Weltkrieg;
- stützten sich auf einen ‘Daseinsgrund’, die faschistischen Regime in Italien, Deutschland und Spanien, die tatsächlich vorhanden waren, wodurch diese Kampagnen dauerhaft, gezielt und massiv durchgeführt werden konnten.
Die gegenwärtigen Kampagnen dagegen
- finden auf dem Hintergrund statt, wo die Arbeiterklasse die Konterrevolution überwunden und keine entscheidende Niederlage eingesteckt hat, die den historischen Kurs hin zu Klassenzusammenstößen infragestellt;
- verfolgen das Ziel, den Kurs wachsender Kampfbereitschaft und wachsenden Bewußtseins in der Arbeiterklasse zu untergraben,
- verfügen nicht über eine einzige Zielscheibe, sondern müssen sehr zerstreute Themen in den Mittelpunkt stellen, die oft von besonderen Anlässen abhängig sind (Terrorismus, ‘faschistische Gefahr’, Netz von Kinderschändern, Korruption der Justiz, usw.), wodurch ihre Tragweite international und zeitlich begrenzt wird.
Während die Kampagnen Ende der 30er Jahre die Arbeitermassen dauerhaft um sich mobilisieren konnten, zeichnen sich die heutigen Kampagnen dadurch aus,
- daß sie es entweder schaffen, die Arbeiter massiv auf die Straße zu bringen (wie beim ‘weißen Marsch’ in Brüssel am 20. Oktober 1996), aber dies gelingt dann nur für eine kurze Dauer (deshalb hat die belgische Bourgeoisie danach sofort andere Manöver eingeleitet);
- daß sie ständig betrieben werden (wie bei der Kampagne gegen den ‘Front National’ in Frankreich), aber sie schaffen es nicht, dafür die Arbeiter einzuspannen, dienen somit hauptsächlich der Ablenkung.
Deswegen darf man jedoch die Gefahr, die von diesen Kampagnen ausgeht, nicht unterschätzen, denn die Auswirkungen des allgemeinen und wachsenden Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft können ihnen ständig neuen Nährstoff liefern. Nur ein entscheidender Fortschritt des Bewußtseins in der Arbeiterklasse wird es dieser ermöglichen, diese Art Verschleierungen zu enthüllen. Und dieser Fortschritt wird nur durch eine massive Entfaltung von Arbeiterkämpfen zustande kommen, die, wie sie es Mitte der 80er Jahre schon angefangen hatten zu tun, die wichtigsten Instrumente der Bourgeoisie in den Reihen der Arbeiter, die Gewerkschaften und den gewerkschaftlichen Kampf infragestellen.
24) Diese Infragestellung, mit der eine direkte Kontrolle der Kämpfe durch die Arbeiter und ihre Ausdehnung durch Vollversammlungen und gewählten und abwählbaren Streikkomitees einhergeht, muß notwendigerweise einen ganzen Prozeß der Konfrontation mit der Sabotagearbeit der Gewerkschaften durchlaufen. Diese Prozeß wird notwendigerweise in der Zukunft stattfinden, weil die Kampfbereitschaft als Reaktion auf die immer heftigeren Angriffe des Kapitalismus weiter ansteigt. Heute schon macht es die Entwicklung der Kampfbereitschaft der Bourgeoisie in Anbetracht der Gefahr eines Ausbrechens aus der gewerkschaftlichen Kontrolle unmöglich, die großen Manöver wie in Frankreich 1995-96 zu wiederholen, die auf eine umfangreiche Verstärkung der Gewerkschaften abzielten. Den Gewerkschaften ist es bislang jedoch gelungen, eine größere Entblößung zu vermeiden, auch wenn sie in der letzten Zeit angefangen haben, häufiger ihre ‘klassischen’ Methoden der Spaltung zwischen staatlichen und privat Beschäftigten (wie beispielsweise während der Demonstration am 11. Dezember 1996 in Spanien) und den Berufsegoismus einzusetzen. Das spektakulärste Beispiel dieser Taktik sind die Streiks, die nach der Ankündigung der Stilllegung des Renault-Werkes Vilvoorde ausgelöst wurden, als die Gewerkschaften aus verschiedenen Ländern mit Renault-Werken eine ‘europaweite’ Mobilisierung der Renault-Beschäftigten einleiteten. Aber die Tatsache, daß dieses lumpige Manöver der Gewerkschaften über die Bühne gehen konnte, ohne aufgedeckt zu werden, und daß sie es gar schafften, mit seiner Hilfe ihr Prestige noch ein wenig zu verbessern, wobei sie gleichzeitig weiter die Rolle eines ‘sozialen Europas’ verschleierten, beweist, daß wir heute in einer Schlüsselphase stecken zwischen der Verstärkung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften und ihrer immer größeren Entblößung, wo sie immer mehr in Verruf geraten. Eines der Merkmale dieser Phase besteht darin, daß man angefangen hat, die Themen der ‘kämpferischen Gewerkschaften’ aufzutischen, denen zufolge die ‘Basis’ dazu in der Lage wäre, die Gewerkschaftsführung zu zwingen, sich zu radikalisieren (so das Beispiel von Forges de Clabecq, des Hafenarbeiterstreiks in Großbritannien oder der Bergarbeiter letzten März in Deutschland).
25) So muß die Arbeiterklasse noch einen langen Weg hin zu ihrer Befreiung zurücklegen, und die Bourgeoisie wird ihn systematisch durch alle möglichen Fallen untergraben, wie in der letzten Zeit deutlich wurde. Der Umfang der Manöver der Bourgeoisie beweist, daß sie sich der Gefahren bewußt ist, die die gegenwärtige Lage des Weltkapitalismus in sich birgt. Während Engels schrieb, daß die Arbeiterklasse ihren Kampf auf drei Ebenen führt, der ökonomischen, politischen und ideologischen, belegt die gegenwärtige Strategie der Bourgeoisie, die auch gegen die revolutionären Organisationen gerichtet ist (siehe die Kampagne gegen den angeblichen ‘Negationismus’ der Kommunistischen Linken), daß die Bourgeoisie sich dessen voll bewußt ist. Es ist die Aufgabe der Revolutionäre, die von der herrschenden Klasse und all ihren Organen, insbesondere den Gewerkschaften, aufgestellten Fallen nicht nur systematisch aufzuspüren und zu entblößen, sondern sie müssen auch gegen all die Verfälschungen während der letzten Zeit die wirkliche Perspektive der kommunistischen Revolution als Endziel der gegenwärtigen Kämpfe des Proletariats hervorheben. Nur wenn die kommunistische Minderheit ihre Rolle voll erfüllt, kann die Arbeiterklasse ihre Kräfte und ihr Bewußtsein zur Erreichung dieses Ziels entfalten.