Patriot-Stationierung: Der deutsche Imperialismus mischt mit

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Die Anforderung durch die Türkei von Unterstützung durch die Nato und der Stationierung von Patriot-Raketen wirft ein grelles Licht sowohl auf die Ambitionen der Türkei als auch auf die wachsende Rolle der Bundeswehr bei den verschiedenen Konfliktherden weltweit.

 

Seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation versucht die Türkei systematisch ihre Vormachtstellung im Nahen und Mittleren Osten auszubauen. Gegenüber den Ländern des „arabischen Frühlings“ ist Ankara bestrebt, als „säkulare“, „moderne“, „demokratische“, wirtschaftlich erfolgreiche (islamische) Macht eine Führungsrolle zu übernehmen. Dies treibt die Türkei notwendigerweise in einen Konflikt mit Israel, mit dem sie zuvor als Verbündeter der USA intensiv militärisch zusammengearbeitet hatte. Auch die Hamas lobte im jüngsten Konflikt mit Israel die Unterstützung durch die Türkei.  Die Türkei hat gegenüber dem Assad-Regime in Syrien eine große Kehrtwende vollzogen. Nach anfänglich engen Beziehungen - insbesondere zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und dem Assad-Clan - trat die Türkei kurz nach Beginn der Kämpfe als Schutzherr der syrischen Zivilbevölkerung auf.  Tatsache ist, dass die Türkei ein Großteil der auf mehr als Hunderttausend angewachsenen Zahl syrischer Flüchtlinge, die entweder schon aus Syrien geflüchtet sind oder versuchen in die Türkei zu gelangen, entweder in Flüchtlingslagern festsetzt oder sie durch verstärkte Kontrollen im Grenzgebiet auf syrischem Gebiet selbst zurückhält. Und welch große „Schutzmacht“ die Türkei für die kurdische Bevölkerung ist, hat sie jahrelang unter Beweis gestellt. In Wirklichkeit hofft die Türkei, im Falle eines Sturzes des Assad-Regimes und eines eventuellen Auseinanderbrechens Syriens ein Beutestück aus syrischem Territorium herausreißen zu können.

Nachdem sich die syrische Opposition Mitte November neu formiert und eine Exilregierung ernannte hatte, die ihr Hauptquartier in Nordsyrien errichten möchte, deutet sich eine Intensivierung der Kampfhandlungen entlang der syrisch-türkischen Grenze an. Bislang verfügt die syrische Luftwaffe noch über die Lufthoheit im Grenzgebiet. Flugverbotszonen würden das Assad-Regime entscheidend schwächen. Diese Flugverbotszonen werden vom türkischen und amerikanischen Militär im Augenblick als eine wichtige Stufe in der Militärstrategie der Assad-Gegner vorbereitet. Die Durchsetzung solcher Flugverbotszonen ist aber nur mit entsprechend hochentwickelten NATO-Waffen denkbar. „Patriot"-Radaranlagen würden es ermöglichen, syrische Hubschrauber und Kampfflieger zu erfassen. Unter den NATO-Mitgliedsländern besitzen nur die USA, die Niederlande und Deutschland solche Waffensysteme.

Die Stationierung von "Patriot"-Raketen wäre auch deshalb von besonderer Brisanz, weil die PKK im Windschatten des Syrienkrieges ihre separatistischen Aktivitäten ausgeweitet hat. Das Assad-Regime hat die kurdischen Nationalisten im Norden Syriens längst nicht mehr im Griff. Weil PKK-nahe Kräfte im Norden Syriens nahe der Grenze zur Türkei die Zügel an sich gerissen haben, muss Ankara ein weiteres Anwachsen des kurdischen Separatismus und damit eine Destabilisierung im türkischen Grenzgebiet zu Syrien durch kurdische Nationalisten fürchten. Seitdem legt das türkische Militär wieder eine härtere Gangart gegenüber der PKK an den Tag. Die entlang der syrisch-türkischen Grenze von Ankara gewünschten Patriot-Raketen wären somit im Kampfgebiet zwischen PKK und Ankara stationiert.

Auch wenn die Türkei sich nun als Opfer syrischer Raketen- und Granatenangriffe darstellt, ist Ankara selbst längst zum Kriegstreiber in der Region geworden. Die zu erwartende Eskalation in der Region – sowohl im Konflikt mit Syrien als auch mit den Kurden – bekommt mit der türkischen Anforderung von NATO-Truppen eine neue Dimension.

Dass dabei Deutschland und seine High-Tech-Waffen eine neue Rolle übernehmen soll, ist keineswegs verwunderlich. Zum einen ist Deutschland im Mittelmeerraum insgesamt, insbesondere aber im südöstlichen Mittelmeer gegenüber Griechenland mit all seinen finanziellen und wirtschaftlichen Druckmitteln schon längst zur Ordnungsmacht aufgestiegen. Militärisch würde Deutschland mit dem Einsatz der Patriot-Waffen eine weitere Stufe in der imperialistischen Hierarchie erklimmen.

Des Weiteren steht dieser Schritt in Kontinuität mit der vom deutschen Imperialismus seit den 1990er Jahren systematisch eingeleiteten Wende.  Mit der Beteiligung der Bundeswehr im Balkankrieg und der Bombardierung Serbiens hatte Rot-Grün kurz nach ihrer Machtübernahme 1999 schon ein historisches Kapitel beendet. Die deutsche „Isolation“, d.h. Nichtbeteiligung an wichtigen Kriegseinsätzen der Nato, war überwunden worden. Und seitdem mischt die Bundeswehr in unterschiedlicher Stärke bei nahezu jedem Konflikt weltweit mit. In Afghanistan hat die Bundeswehr das zweitgrößte Kontingent nach den USA stationiert. Am Horn von Afrika beteiligt man sich auf hoher See und unterstützt auch in den Küstengebieten die Jagd auf Piraten. Vor der libanesischen Küste sind Horchboote der Marine im Einsatz. Im Kosovo sind weitere Truppen stationiert. Und was Mali angeht, so soll nun auch deutsches Militär „Hilfe“ bei dem Versuch leisten, diesen auseinanderbrechenden Staat zu stabilisieren. Im jüngsten Konflikt zwischen Israel und Hamas konnte Deutschland seine besondere „Verantwortung“ gegenüber Israel in die Waagschale werfen. Deutschland hat zudem Israel die für einen Militärschlag gegen den Iran wichtigen U-Boote geliefert. Bereits 1991, im ersten Golfkrieg, hat die Bundeswehr Israel  Patriot-Batterien ausgeliehen, um damit irakische „Scud“-Raketen abzufangen. Aufgrund seiner besonders guten Beziehungen zu Israel und den palästinensischen Behörden versuchte der deutsche Außenminister Westerwelle, sich als Vermittler zu profilieren.

Beim Militäreinsatz westlicher und anderer Staaten unter US-Führung in Libyen vor mehr als einem Jahr hatte sich Deutschland aus taktischen Gründen nicht beteiligt. Erstens ist Libyen strategisch nicht so wichtig wie die viel bedeutsamere Region des Nahen und Mittleren Ostens. Zweitens hätte man sich im Libyen-Feldzug der westlichen Mächte angesichts der militärischen Schwäche der Bundeswehr dem Kommando insbesondere der USA, Frankreichs und Großbritanniens unterwerfen müssen. Dies hätte zu einem Gesichtsverlust des deutschen Imperialismus geführt.  Im Fall des jetzt angeforderten Einsatzes von Patriot-Batterien kann man sich auf die Nato-Strukturen berufen, in denen natürlich die USA eine führende Rolle spielen und auch der türkische Präsident Erdogan das Oberkommando über die Bundeswehrtruppen beansprucht. Für  die strategischen Planer des deutschen Militärs geht es darum, ihr Operationsgebiet auszudehnen und wichtige Erfahrungen in solchen Kampfeinsätzen zu sammeln.  Da die Assad-Regierung zur Zeit besonders entschlossen von dem Putin-Regime unterstützt wird, geht man mit dem Einsatz von deutschen Soldaten in der Türkei zwar ein weiteres besonderes Wagnis ein, werden sich doch die Reibereien mit dem heftig Widerstand leistenden russischen Imperialismus verstärken. Dabei ist Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Staaten das Land, das beste, ja besonders privilegierte Beziehungen zu Russland unterhält.  Aber die gesamte Gemengelage im Nahen und Mittleren Osten lässt es aus der Sicht des deutschen Imperialismus nicht zu, den anderen Rivalen wie den USA, Frankreich oder GB das Feld zu überlassen. Dass der Einsatz von Patriot-Batterien aber nur eine Stufe zu einer weiteren Eskalation ist, verschweigt das deutsche Kapital tunlichst.                                                                                   Di. 23.11.12

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