DAS REVOLUTIONÄRE WESEN DER ARBEITERKLASSE

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Wenn die Arbeiterklasse ihre Kraft offen zeigt, die Produktionsmaschinerie zu lähmen droht, den Staat zurückdrängt, ein Aufwallen des Lebens in der gesamten Gesellschaft entfesselt, wie es z.B. während des Massenstreiks in Polen im Sommer 1980 der Fall war, dann scheint die Frage, ob die Arbeiterklasse die revolutionäre Kraft unserer Zeit ist, als lächerlich. In Polen, wie in allen sozialen Bewegungen, die den Kapitalismus erschüttert haben, war das Herz der sozialen Bewegung nichts anderes als das Herz der Arbeiterklasse selber: die Schiffswerften der Ostsee, die Stahlbetriebe in Nowa Huta, die Bergwerke Schlesiens. Als die polnischen Bauern in den Kampf traten, die Studenten oder die Künstler den Staat bekämpfen wollten, war ihre erste Handlung,"sich an die Arbeiter zu wenden".

Wenn die Arbeiter die Kräfte, die sie atomisieren, zerschlagen, wenn sie sich gegen die herrschende Kraft vereinigen und ihr gesamtes Herrschaftsgebäude erschüttern, so daß diese zurückweichen muß, ist es einfach, gar unleugbar, zu verstehen, wie und weshalb die Arbeiterklasse die einzige Kraft ist, die in der Lage ist, eine revolutionäre Umwälzung in der Gesellschaft zu begreifen und durchzuführen.

Aber sobald der offene Kampf ruht, sobald das Kapital die Oberhand wiedergewinnt und seine Kontrolle über die Gesellschaft wieder verstärkt, dann scheint das zu verblassen, was eine Zeitlang so klar war, und das dekadente Kapital zwingt seinen Knechten seine eigene Auffassung der Welt auf: die einer unterworfenen, atomisierten Arbeiterklasse, die jeden Morgen schweigend zur Arbeit trottet und unfähig ist, die Fesseln des Kapitalismus selber zu zerbrechen.

Wenn die Arbeiterklasse ihre Kraft offen zeigt, die Produktionsmaschinerie zu lähmen droht, den Staat zurückdrängt, ein Aufwallen des Lebens in der gesamten Gesellschaft entfesselt, wie es z.B. während des Massenstreiks in Polen im Sommer 1980 der Fall war, dann scheint die Frage, ob die Arbeiterklasse die revolutionäre Kraft unserer Zeit ist, als lächerlich. In Polen, wie in allen sozialen Bewegungen, die den Kapitalismus erschüttert haben, war das Herz der sozialen Bewegung nichts anderes als das Herz der Arbeiterklasse selber: die Schiffswerften der Ostsee, die Stahlbetriebe in Nowa Huta, die Bergwerke Schlesiens. Als die polnischen Bauern in den Kampf traten, die Studenten oder die Künstler den Staat bekämpfen wollten, war ihre erste Handlung,"sich an die Arbeiter zu wenden".

Wenn die Arbeiter die Kräfte, die sie atomisieren, zerschlagen, wenn sie sich gegen die herrschende Kraft vereinigen und ihr gesamtes Herrschaftsgebäude erschüttern, so daß diese zurückweichen muß, ist es einfach, gar unleugbar, zu verstehen, wie und weshalb die Arbeiterklasse die einzige Kraft ist, die in der Lage ist, eine revolutionäre Umwälzung in der Gesellschaft zu begreifen und durchzuführen.

Aber sobald der offene Kampf ruht, sobald das Kapital die Oberhand wiedergewinnt und seine Kontrolle über die Gesellschaft wieder verstärkt, dann scheint das zu verblassen, was eine Zeitlang so klar war, und das dekadente Kapital zwingt seinen Knechten seine eigene Auffassung der Welt auf: die einer unterworfenen, atomisierten Arbeiterklasse, die jeden Morgen schweigend zur Arbeit trottet und unfähig ist, die Fesseln des Kapitalismus selber zu zerbrechen.

Es fehlt dann nicht an "Theoretikern", die es jedem, der es hören will, gerne lang und breit erklären, daß die Arbeiterklasse als solche integriertes Bestandteil des Systems ist, daß sie innerhalb des Systems einen Platz zu verteidigen hat,und daß nur blinde Fanatiker diese Masse von geldgierigen und geldbewußten Individuen als den Träger einer neuen Gesellschaft ansehen können.

Die ständigen Verteidiger der Wohltaten des kapitalistischen Systems - ob in seiner "westlichen" oder "stalinistischen" Form - legen immer das gleiche Glaubensbekenntnis ab. Aber in den Rückflußphasen des Klassenkampfes tauchen auch regelmäßig Gruppen oder Publikationen wieder auf, die die "Zweifel" an der historischen Natur der Arbeiterklasse theoretisieren; das geschieht selbst bei denjenigen, die sich auf die kommunistische Revolution berufen, und die außerdem keine Illusionen über die Natur der sogenannten "sozialistischen" Länder oder der westlichen sog. "Arbeiterparteien" haben.

Die alten Ideen anarchistischen oder populistischen Ursprungs, denen zufolge die Revolution hauptsächlich das Werk nicht einer spezifischen ökonomischen Klasse, sondern der gesamten Menschen sein wird, die auf irgendeine Weise die Unmenschlichkeit des Systems ertragen, gewinnen wieder an Einfluß.

So wie zur Zeit des Rückflusses der Arbeiterkämpfe nach der Kampfwelle von 1968-74 scheint die "modernistische" Ideologie, die Ideologie der "modernen Theorie der Revolution", die die "alte Arbeiterbewegung"und "ihren verstaubten Marxismus" verwirft,zur Zeit mit dem Rückfluß der Arbeiterkämpfe nach Polen einen Aufschwung zu erfahren. Das Erscheinen der Revue "I,a Banquise"(1) und der Übergang zum vierteljährlichen Erscheinen der Revue "La Guerre Sociale" (2) in Frankreich, sowie das Wiedererscheinen von "Solidarity" (3) in GB sind Beispiele dieser Entwicklung (4).

Diese Publikationen sind relativ unterschiedlich voneinander. "La Guerre Sociale" und "La Banquise" verfolgen eine direktere theoretische Linie, die durch "Invariance"und"Le Mouvement Communiste" geht.(5) Aber alle teilen die gleiche Ablehnung dieser Grundidee des "alten Marxismus": die Arbeiterklasse ist die einzig wirklich revolutionäre Klasse der Gesellschaft; die Zerstörung des Kapitalismus und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft erfordern eine Übergangsperiode, die durch die politische Diktatur des Proletariats gekennzeichnet ist.

Wir wollen hier keine vollständige Kritik der gesamten, von dieser Art Strömung vertretenen Ideen entwickeln. Im übrigen ist die Polemik mit diesen Tendenzen oft steril und langweilig, da es sich erstens um informelle Gruppen handelt (die darauf stolz sind), die verschiedene "unabhängige" Individuen gruppieren, so daß man von einem Artikel zum anderen in der gleichen Publikation unterschiedliche, sich widersprechende Konzepte und Ideen findet, und zweitens vertreten die Anhänger des Modernismus ständig Zweideutigkeiten und "Ja, aber", "Nein, aber" vor allem gegenüber dem Marxismus, auf dessen Wortschatz sie sich oft und mit Leichtfertigkeit stützen (Marx wird bei jeder Gelegenheit zitiert), dabei aber das Wesentliche des Marxismus verwerfen. Deshalb können sie immer auf die Kritiken mit dem klassischen Satz antworten "so haben wir das nicht gesagt, Ihr entstellt unsere Ideen".

Unser Ziel ist es, in einem Zeitraum des vorübergehenden Zurückweichens der Klassenkämpfe und des sich beschleunigenden Heranreifens der sozialen Voraussetzungen für die kommunistische Revolution, die zentrale Rolle der Arbeiterklasse erneut zu bestätigen, zu erklären, warum sie die revolutionäre Klasse ist, und warum die Verwerfung dieser Tatsache heutzutage einerseits zu einem Unverständnis des Laufs der Geschichte, wie sie sich vor unseren Augen abspielt, führt (siehe z.B. den Pessimismus von "La Banquise"), und andererseits dazu verleitet, in die gröbsten Fallen der bürgerlichen Ideologie zu rennen (siehe die Zweideutigkeiten von "La Guerre Sociale" und von "Solidarity" über die Gewerkschaft "Solidarnosc" in Polen). Dies ist umso notwendiger, als manche modernistische Gruppen - so wie die "radikalen" Studenten von 1968 - oft eine klare und vertiefte Analyse bestimmter Aspekte des dekadenten Kapitalismus liefern, wodurch die Glaubwürdigkeit ihrer politisch unsinnigen Aussagen nur noch zunimmt.

WAS IST DAS PROLETARIAT ?

Bei Marx, wie bei allen Marxisten, waren die Begriffe Arbeiterklasse und Proletariat seit jeher gleichbedeutend. Dennoch kommt es oft vor, daß von denjenigen, die die revolutionäre Natur der Arbeiterklasse als solcher in Frage stellen, ohne sich dabei direkt auf den Anarchismus oder den radikalen Populismus des Ende des letzten Jahrhunderts berufen zu wollen, ein Unterschied zwischen beiden Begriffen erfunden wird. Die Arbeiterklasse, das wären demnach die Arbeiter und Angestellten, die alltäglich unter dem Joch des Kapitals für bessere Löhne und Arbeitsplätze kämpfen. Das Proletariat wäre eine mehr oder weniger definierte Kraft, die alles, was sich irgendwann gegen die Autorität des Staates auflehnt, zusammenschließt. Das geht vom Stahlarbeiter über die geschlagenen, reichen oder armen Frauen, die Homosexuellen oder Studenten bis hin zum professionellen Dieb, je nach dem "modernistischen Denker"(siehe wie fasziniert die "Situationi'siische Internationale" oder "Mouvement Communiste" von den "Gesetzlosen" waren, siehe die Zeitung "Die Rowdys" in den 70er Jahren, siehe die Begeisterung von "Solidarity" für den Feminismus).

In der Zeitschrift "Invariance"(Camatte) wurde 1974 die Definition des Proletariats letztendlich bis zu ihrem Extrem geführt: es umfaßt die gesamte Menschheit. Aus dem Verständnis heraus, daß die Herrschaft des Kapitalismus über die Gesellschaft immer totalitärer und unpersönlicher geworden ist, schloß man, daß sich die "menschliche Gemeinschaft" gegen das Kapital erheben müßte. Dies bedeutete die Verwerfung des Klassenkampfes als Dynamik der Revolution. Heute bietet uns "La Guerre Sociale" eine andere, etwas einschränkende, aber kaum präzisere Definition an: "Der Arbeiter ist nicht der Arbeiter oder gar der Arbeiter oder Angestellte, der auf der untersten Stufe arbeitet. Der Proletarier ist nicht der Produzent, auch wenn der Produzent Proletarier sein kann. Der Proletarier, das ist der "Abgeschnittene", "Ausgeschlossene", der "ohne Rückhalt" ist". ("La Guerre Sociale", Nr. 6, "Offener Brief an die Genossen der weiterbestehenden Internationalen Kommunistischen Partei", Dez. 82). Tatsächlich ist der Proletarier ausgeschlossen, von jeglichem wirklichen Einfluß auf die Führung des sozialen Lebens und somit seines eigenen abgeschnitten. Tatsächlich - und im Gegensatz zu bestimmten vorkapitalistischen ausgebeuteten Klassen - besitzt er nicht seine Produktionsmittel und lebt ohne Reserven. Aber der Proletarier ist nicht j nur das. Er ist nicht nur ein Armer wie andere. Er ist auch Produzent, der Produzent des Mehrwerts, der in Kapital verwandelt wird. Er wird kollektiv ausgebeutet beutet und sein Widerstand gegen das Kapital ist unmittelbar kcllektiv. Das sind wesentliche Unterschiede.

Die Definition des Proletariats auszuweiten, führt nicht zu einer Vergrößerung der revolutionären Klasse, sondern zu ihrer Auflösung im Nebel des Humanismus.

Nach "Invariance" glaubt "La Banquise" sich auf • Marx beziehen zu können, um den Begriff "Proletariat" ausdehnen zu können.

"Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Prozeß des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters,d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehn. Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehn"(Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, S.531, S.Abschnitt,l4.Kap.).

Marx entwickelte hier nicht die Idee, daß irgendjemand und jeder auf der Welt Produzent oder Proletarier geworden sei. Er betonte vielmehr, daß im entwikkelten Kapitalismus die spezifische Qualität einer von diesem oder jenem Arbeiter geleisteten Arbeit kein Maßstab dafür sei, um zu bestimmen, ob er produktiv ist oder nicht. Mit der Veränderung des Produktionsprozesses nach seinen Bedürfnissen beutet das Kapital die ge;amte von ihm gekaufte Arbeitskraft wie die eines

ein-zigen produzierenden Arbeiters aus. Die konkrete Verwendung jedes einzelnen Arbeiters - ob Bäckergehilfe pder Büroangestellter, Rüstungsarbeiter oder Straßenreger - ist zweitrangig für die Bedeutung der Frage, wer vom Kapital ausgebeutet wird. Die kollektive Gekamtheit wird ausgebeutet. Das Proletariat schließt heute als Arbeiterklasse die meisten Angestellten des sogenannten "tertiären" Sektors ein.

Trotz ihrer gewaltigen Entwicklung hat die Herrschaft des Kapitals nicht die gesamte Gesellschaft proletarisiert. Das Kapital hat riesige Massen von beschäftigungslosen Randgruppen vor allem in der 3. Welt hervorgebracht. Es hat die vorkapitalistischen Bereiche wie die individuellen Kleinbauern, die Kleinhändler, die Handwerker , die Freiberuflichen überleben lassen.

Das Kapital beherrscht alle Bereiche der Gesellschaft.Und alle diejenigen, die unter seiner Herrschaft der Misere leben, haben Grund genug, sich gegen diese Herrschaft zu erheben. Aber nur der Teil, der durch die Lohnarbeit und die Produktion des Mehrwerts mit dem Kapital direkt verbunden ist, steht wirklich im Gegensatz zum Kapital, nur dieser Teil bildet das Proletariat, die Arbeiterklasse.

WARUM IST DAS PROLETARIAT DIE REVOLUTIONÄRE KLASSE ?

Vor Marx blieb die Dynamik der Geschichte der Gesellschaft ein Geheimnis. Man bezog sich auf religiöse Begriffe wie die "Vorsehung", auf das Genie militärischer Führer oder erklärte die Geschichte durch große Persönlichkeiten, und versuchte so ein kohärentes Bild darzustellen. Durch die Verdeutlichung der zentralen Rolle des Klassenkampfes in dieser Dynamik ermöglichte der Marxismus zum ersten Mal ein Verständnis dieser Dynamik. Dadurch wurde aber nicht ein Mittel zur Interpretierung der Welt geschaffen, sondern eine Auffassung zur Veränderung der Welt. Marx betrachtete als seine größte Entdeckung nicht die Existenz des Klassenkampfes an sich - was im übrigen von den bürgerlichen Theoretikern schon aufgezeigt worden warsondern die Tatsache, daß dieser Klassenkampf zur Diktatur des Proletariats führt.

Der unversöhnliche Widerspruch zwischen Arbeiterklasse und Kapital muß Marx zufolge zu einem revolutionären Kampf für die Zerstörung der kapitalistischen sozialer Verhältnisse und die Einführung einer kommunistischer Gesellschaft führen. Der Hauptträger dieser Revolutior wird die Arbeiterklasse sein; sie wird sich als autonome Klasse gegenüber dem Rest der Gesellschaft organisieren und eine politische Diktatur ausüben müssen, damit die Grundlagen der alten Gesellschaft vollständig zerstört werden. Diese Analyse wird von den Modernisten verworfen:

"Um ihre Existenzbedingungen wirklich zu verändern, dürfen sich die Proletarier nicht als "Arbeiterklasse erheben; das gerade ist aber schwierig, da sie ausge-+ rechnet von ihren Lebensbedingungen ausgehend kämpfen Der Widerspruch wird erst in der Theorie völlig geklärt werden, wenn er in der Praxis überwunden sein wird" ("La Banquise" Nr. 1) "Das Proletariat hat nich als gesellschaftliche Kraft aufzutreten, bevor es die Welt verändert" (ebenda, Nr. 2).

"Aber schon jetzt verschließt man sich in dieser Un terdrückung, wenn man sich nicht als Proletarier ode als Mensch dagegen wehrt, und nicht auf der Grundlage einer zu verteidigenden oder zu erhaltenden Spezifizi tät, die ohnehin mehr und mehr illusorisch wird. Das Schlimmste ist, wenn man aus dieser Spezifizität ableitet, daß das Proletariat die Fähigkeit zur Revo te habe" ("La Guerre Sociale", Nr. 5, S.32).

Die Modernisten wissen nicht, was das Proletariat ist weil sie nicht verstehen, warum es revolutionär ist. Warum sollte sich das Proletariat getrennt als Klasse organisieren, wenn es für die Abschaffung der Klasse kämpfen muß? Für die Modernisten ist die Arbeiterkla se als Klasse nicht revolutionärer als irgendjemand anders: als Klasse bleibt ihr Kampf im Rahmen der Lohnerhöhungsstreitigkeiten und der Verteidigung der Sklavenarbeit begrenzt. Statt sich als politische Klasse zu bilden, sollte sich also das Proletariat als Klasse verneinen und sich als "...Menschen" behaupten. Das Schlimmste, sagt "La Guerre Sociale" sei, aus einer Besonderheit - z.B. Arbeiter zu seineinen "Ansatzpunkt oder ein Terrain für die Fähigkeit zur Revolte" zu machen.

Für die Modernisten scheint die Geschichte immer mit ihnen selbst zu beginnen. Die Pariser Kommune, der Massenstreik in Rußland 1905, die Oktoberrevolution von 1917, die revolutionäre Bewegung in Deutschland von 1919, all das habe nichts aufgezeigt, nichts gelehrt. "Der Widerspruch kann erst in der Theorie völlig geklärt werden, wenn er in der Praxis überwunden sein wird", sagt "La Banquise". Wer hat aber die revolutionären Kämpfe seit mehr als einem Jahrhundert gegen das Kapital geführt, wenn nicht die Arbeiterklasse, die für die Verteidigung ihrer spezifischen Bedürfnisse kämpfte.

Warum war das immer so?

"Weil die Abstraktion von alter Menschlichkeit, selbst von dem Schein der Menschlichkeit im ausgebildeten Proletariat praktisch vollendet ist, weil in den Lebensbedingungen des Proletariats alte Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft in ihrer unmenschlichsten Spitze zusammengefaßt sind, weit der Mensch in ihm sich selbst verloren, aber zugleich nicht nur das theoretische Bewußtsein dieses Verlustes gewonnen hat, sondern unmittelbar durch die nicht mehr abzuweisende, nicht mehr zu beschönigende, absolut gebieterische Not - dem praktischen Ausdruck der Notwendigkeit - zur Empörung gegen diese Unmenschlichkeit gezwungen ist, darum kann und muß das Proletariat sich selbst befreien. Es kann sich aber nicht selbst befreien, ohne seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben. Es kann seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alte unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben" (Marx, "Die heilige Familie", -Der dialektische Gegensatz von Proletariat und Reichtum-).

Dies ist die Besonderheit der Arbeiterklasse: ihre unmittelbaren und historischen Interessen treffen mit denen der ganzen Menschheit zusammen, was bei keiner anderen Schicht der Gesellschaft zutrifft. Sie kann sich von der kapitalistischen Lohnarbeit als der vollendetsten Form der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nur befreien, indem sie jegliche Form der Ausbeutung abschafft. Daraus folgt keineswegs, daß alle Teile der Menschheit die materielle Kraft und das notwendige Bewußtsein besitzen, um eine kommunistische Revolution in Angriff zu nehmen.

Die Arbeiterklasse stützt ihre Kraft vor allem auf ihrer zentralen Stellung im Produktionsprozeß. Das Kapital besteht nicht aus Maschinen und Rohstoffen, es ist ein gesellschaftliches Verhältnis. Wenn die Arbeiterklasse durch ihren Kampf gegen dieses Verhältnis antritt, ist das Kapital sofort gelähmt. Es gibt kein Kapital ohne Mehrwert, kein Mehrwert ohne die Arbeit der Proletarier. Darin besteht die Kraft der Massenstreikbewegungen. Dies erklärt auch zum Teil, warum die Arbeiterklasse materiell die Zerstörung des Kapitalismus in Angriff nehmen kann. Aber das reicht nicht aus zu erklären, warum sie die Grundlage einer kommunistischen Gesellschaft schaffen kann.

Die Sklaven von Spartakus in der Antike, oder die Leibeigenen im Feudalismus besaßen auch eine zentrale, bestimmende Stellung im Produktionsprozeß. Dennoch konnten ihre Revolten zu keiner kommunistischen Perspektive führen.

"Die Spaltung der Gesellschaft in eine ausbeutende und eine ausgebeutete, eine herrschende und eine unter" (F. Engels, in "Antti-Dühring", Dritter Abschnitt, Sozialismus, II. Theoretisches).

drückte Klasse war die notwendige Folge der frühern geringen Entwicklung der Produktion. Solange die gesellschaftliche Gesamtarbeit nur einen Ertrag liefert, der das zur notdürftigen Existenz aller Erforderliche nur um wenig übersteigt, solange also die Arbeit alle oder fast alle Zeit der großen Mehrzahl der Gesellschaftsmitglieder in Anspruch nimmt, solange teilt sich die Gesellschaft notwendig in Klassen

Das Proletariat ist Träger des Kommunismus, weil die kapitalistische Gesellschaft die materiellen Mittel zu seiner Verwirklichung geschaffen hat. Indem er die materiellen Reichtümer der Gesellschaft soweit entwickelt hat, so daß ein ausreichender Überfluß möglich geworden ist, um die ökonomischen Gesetze abzuschaffen - d.h. die Verwaltungsgesetze des Mangels - hat der Kapitalismus eine revolutionäre Perspektive für die Klasse eröffnet, die er ausbeutet.

Letztendlich ist das Proletariat Träger der kommunistischen Revolution, weil es der Träger des kommunistischen Bewußtseins ist. Wenn man die halbreligiösen, vorkapitalistischen Auffassungen einer ausbeutungslosen Gesellschaft beiseite läßt, stellt man fest, daß sich das Projekt einer kommunistischen Gesellschaft ohne Privateigentum, ohne Klassen, in der die Produktion ausschließlich auf die menschlichen Bedürfnisse orientiert ist, mit der Existenz der Arbeiterklasse und ihren Kämpfen entstand und sich entwickelte. Die sozialistischen Ideen von Babeuf, SaintSimon, Owen, Fourier drückten die Entwicklung der Arbeiterklasse am Ende des 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts aus. Die Entstehung des Marxismus, der ersten kohärenten und wissenschaftlich begründeten Theorie des Kommunismus, entspricht dem Erscheinen der Arbeiterklasse als politisch spezifische Kraft (Chartismus in England, Revolutionen von 1848). Seitdem haben alle wichtigen Käm' Dfe der Arbeiterklasse auf die eine oder andere Weise mit mehr oder weniger Klarheit die kommunistischen Ideen aufgegriffen.

Die kommunistischen Ideen, die revolutionäre Theorie, haben sich nur durch und im Hinblick auf das Verständnis der Arbeiterkämpfe entwickelt. Alle großen Schritte der Theorie der kommunistischen Revolution nach vorn waren das Produkt logischer Schlußfolgerungen nicht von einigen isolierten Denkern, sondern von militanten und engagierten Analysen der großen Schritte der wirklichen Bewegung der Arbeiterklasse.

Aus diesem Grund konnte auch nur die Arbeiterklasse die Zerstörung der kapitalistischen Macht in einem kommunistischen Sinn in der Praxis (Pariser Kommune, Oktober 1917) in Angriff nehmen.

Die Geschichte der kommunistischen Bewegung ist nichts anderes als die Geschichte der Arbeiterbewegung.

Bedeutet das, daß das Proletariat die Revolution allein machen und dabei den Rest der Gesellschaft ignorieren kann ? Seit dem 19. Jahrhundert weiß das Proletariat, daß der Kommunismus die "Vereinigung der menschlichen Gattung" sein muß. Die Erfahrung der Russischen Revolution hat ihm die Wichtigkeit der Unterstützung aller ausgebeuteten Schichten für seinen Kampf klar aufgezeigt. Aber die Erfahrung hat auch verdeutlicht, daß nur das Proletariat in der Lage ist, ein kohärentes revolutionäres Programm anzubieten. Die Vereinigung der Menschheit, und im ersten Moment aller Ausgebeuteten, kann nur auf der Grundlage der Aktivität und des Programms der Arbeiter-klasse geschehen. Das Proletariat spaltet nicht die Gesellschaft, indem es sich getrennt organisiert, sondern es gibt sich die Mittel, die kommunistische Vereinigung durchzuführen.

Deshalb beginnt im Gegensatz zu den Behauptungen der Modernisten der Weg zur kommunistischen Revolution mit der einheitlichen Organisierung der Arbeiterklasse als Kraft mit der Diktatur des Proletariats.

Der Modernismus und seine Irrwege

DIE HISTORISCHE PERIODE

Wenn man außer Acht läßt, daß die Arbeiterklasse die revolutionäre Kraft ist, ist es sehr schwer,die jetzige historische Periode zu verstehen, genauso schwer ist es, das Ende des Feudalismus zu verstehen, wenn man die Entwicklung der revolutionären Bourgeoisie nicht berücksichtigt.

Es ist schwer zu erkennen, ob die Bedingungen für einen revolutionären Umsturz heranreifen, wenn man den Träger dieser Revolution nicht identifizieren kann.

Wer die Geschichte der Arbeiterbewegung kennt und ihre revolutionäre Natur begreift, weiß, daß der Prozeß, der das Proletariat zur kommunistischen Revoluiton führt, weder geradlining noch automatisch ist. Er ist eine dialektische Dynamik mit Rückschritten und Vorstößen, in denen eine lange Praxis und Erfahrung des Kampfes es Millionen von Arbeitern ermöglicht sich zu vereinigen, die Lehren aus vorangegangenen Kämpfen zu ziehen, die Fesseln der herrschenden Ideologie zu zerschlagen, um einen neuen Angriff gegen die herrschende Ordnung unter dem Druck der Misere zu starten. Wenn man aber in den Arbeiterkämpfen der Klasse als solcher nur aussichtslose Kämpfe sieht, und diese nicht in ihrer Dynamik und ihrem revolutionären Potential beqreift, kann man nur "enttäuscht" sein.

Wenn man die Kämpfe wie die in Polen 1980 als Kämpfe "innerhalb" des Kapitals betrachtet, kann man 15 Jahre nach dem Mai 1968 nur deprimiert sein; es ist auch normal, daß man trotz des momentanen Rückflusses der Arbeiterkämpfe seit 1980 die Bedeutung der Streiks, welche hier und da in den Industriezentren (Belgien 82, Italien 83) stattfanden, unterschätzt, ebensowenig kann man dann auch nicht die Bedeutung der Tatsache erkennen, daß die Arbeiter sich nicht für die Interessen des nationalen Kapitals und für ihre Gewerkschaftsführer mobilisieren lassen, sondern eher zu gewalttätigen Zusammenstößen mit den Gewerkschaften neigen.

So beginnt z.B. die erste Nummer von "La Banquise" mit diesem Satz, der von der Nostalgie und den Barrikaden des Mai '68 in Paris geprägt ist und einen depressiven Ton aufweist:

"Unter dem Pflasterstein Ziegt der Strand', sagten wir von der großen Eiszeit. Heute hat das Packeis all das bedeckt. Zehn, zwanzig, hundert Meter Eis über dem Pflasterstein, dann der Strand..."

Diese Niedergeschlagenheit ist so senil wie die Begeisterung der radikalen Studenten von 1968 kindisch war, die "Alles sofort" wollten.

OHNMACHT UND KONFUSION DES MODERNISMUS GEGENÜBER DEM KLASSENKAMPF

Es ist kein Zufall, daß modernistische Publikationen wie "Solidarity" oder "La Guerre Sociale" zur Zeit der Arbeiterkämpfe in Polen ihr Erscheinen einstellten. Ebenso wie die Kleinbourgeoisie, die in der modernistischen Strömung einen "radikalen" Ausdruck findet, lebt diese Strömung in der Zweideutigkeit und der Unschlüssigkeit, zwischen der Ablehnung der bürgerlichen Ideologie und der Verachtung für die allzu "materiellen" Kämpfe der Arbeiter. Wenn sich die Kraft der Revolution wie in Polen behauptet, neigt die Geschichte dazu, sich der Zweideutigkeiten und somit der darin versinkenden Ideologien zu entledigen. Das gleiche geschah mit dem Modernismus während des Jahres 1980.

Aber leider hört die politische Verwirrung dieser Strömung nicht mit ihrer Ohnmacht auf. Sie kann sogar zu überaus platten linkskapitalistischen Positionen führen, wenn es darum geht, zu einem Kampf der Ärbeiterk1asse Stellung zu beziehen.

So z.B. "La Guerre Sociale", die neben den Trotzkisten und anderen Demokraten heute behauptet, die Gewerkschaft "Solidarnosc" - welche die Niederlage der Arbeiter in Polen organisierte - sei ein proletarisches Organ: "Ohne Zweifel ist "Solidarnosc" ein Organ des Proletariats. Die Tatsache, daß Elemente aus anderen geseZZschaftZichen Schichten als der ArbeiterkZasse (Intellektuelle und andere) an ihrer Führungsspitze Platz genommen haben, ändert nichts an der Tatsache, daß sich das Proletariat von vornerein damit identifiziert hat. Wie sollte man sonst erklären, daß beinahe das gesamte polnische Proletariat ihr beigetreten ist? Wie sollte man den Einfluß der Gewerkschaft auf das Proletariat erklären? ("La Guerre Sociale", Nr. 6).

Diese Art bornierter Beweisführung ist typisch für die extremen Linken und die Ausrichtung der degenerierenden 3. Internationalen. Dieser Logik zufolge sollte die polnische Kirche, die mehr Anhänger unter den Arbeitern als Solidarnosc hat, "ohne Zweifel ein Organ des Proletariats" sein und der Papst... Lenin!

"La Guerre Sociale" spricht auch in allgemeinen Begriffen von dem Wesen der Gewerkschaften, serviert uns aber dabei den alten Kaffee der Gruppe "Pouvoir Ouvrier" (Gruppe in Frankreich Ende der 60er Jahre, stammte auch von "Socialisme ou Barbarie") hinsichtlich der "Doppelnatur der Gewerkschaften":

"Der Hauptunterschied zwischen "Solidarnosc" und dem polnischen Pr,)Zetariat ist, daß die erste die nationaZen und internationalen ökonomischen Interessen berücksichtigte, während das zweite die Verteidigung seiner unmittelbaren Interessen verfolgte, ohne sich im geringsten um die Probleme der Kapitalverwertung zu kümmern" (ebenda).

Im dekadenten Kapitalismus gibt es keine Zusammenarbeit zwischen Kapitalisten und Arbeitern zugunsten der Arbeiter. Die Auffassung einer Identität zwischen Gewerkschaften und Arbeiterklasse ist heute nichts anderes als Propaganda der herrschenden Klassen (die im übrigen auf Weltebene zusammenarbeiten, um eine glaubwürdige Gewerkschaft "Solidarnosc" aufzubauen). Die Auffassung beinhaltet, daß es eine Gemeinsamkeit zwischen den Interessen des Kapitals und denen des Proletariats geben könnte; diese Auffassung ignoriert die revolutionäre Natur der Arbeiterklasse. So kann "La Guerre' Sociale" folgende naive Feststellung machen: "Die Gewerkschaft ist kein Organ des Kapitals, keine Kriegsmaschine gegen das Proletariat, sondern der organisationelle Ausdruck dessen Verhältnis zum Kapital: Gegensatz und Kooperation. Dies bringt zum Ausdruck, daß das Kapital ohne das Proletariat nichts ist und gleichfalls umgekehrt" (ebenda).

Nur wenn man die revolutionäre Natur des Proletariats ignoriert und die Arbeiterklasse hauptsächlich als einen Teil des Kapitals betrachtet und nicht als seinen Zerstörer, kann man irgendeine Gleichheit zwischen den nationalen und internationalen ökonomischen Interessen des "Kapitals" und den "unmittelbaren Interessen" des Proletariats sehen.

Die Verwirrung, die aus der fehlenden Erkenntnis des Wesens der Arbeiterklasse entsteht, führt somit zu gleichen Auffassung wie die der Linken, die der radikale Modernismus so sehr kritisiert.

Das Proletariat ist die erste revolutionäre Klasse der Geschichte, die gleichzeitig eine ausgebeutete Klasse ist. Der Kampfprozeß, durch den das Proletariat zur kommunistischen Revolution übergeht, weist unvermeidlich Perioden der Rückflüsse und Rückzüge auf. Diese Rückflüsse werden nicht nur durch die Abnahme der Anzahl von Arbeiterkämpfen gekennzeichnet. Auch auf der Ebene des Bewußtseins erlebt das Proletariat eine Verwirrung, die sich in der Abschwächung ihrer politischen revolutionären Ausdrücke aufzeigt, und die ebenfalls das Wiederentstehen von politischen Strömungen ermöglicht, die "Zweifel an der Arbeiterklasse" hegen.

Der Bruch, den die Kämpfe von 1968 mit einem halben Jahrhundert siegreicher Konterrevolution vollzogen, hat einen Kurs zur Entwicklung immer entscheidenderer Klassenzusammenstössen eröffnet. Dieser Kurs wurde durch den Rückfluß nach Polen ebensowenig umgekehrt wie durch den Rückfluß von 1975-78. Die historischen Bedingungen dieses Riickflusses werden mit der Vertiefung der ökonomischen Krise zunehmend schwächer wirksam, da die Realität langsam aber sicher die Fundamente der dekadenten, bürgerlichen Ideologie zerstört (Wesen der Ostblockländer, Wohlfahrtsstaat, parlamentarische Demokratie, Gewerkschaften, Kämpfe für nationale Befreiung usw.).

Alle Bedingungen-reifen heran, damit das Proletariat mit all seiner Kraft durch seinen Kampf die Zukunft der Menschheit erneut aufzeigt und alle Zweifel hinsichtlich seiner revolutionären Natur hinwegfegt. R.V.

(1) "La Banquise", B.P. 214, 75623 Paris, Cede 13, F.

(2)'"La Guerre Sociale", B.P.88,75623 Paris,Cedex 13 ' Erschien von 1977 bis 1979 jährlich, verschwand dann 1980, dem Jahr der großen Kämpfe in Polen... tauchte dann im Mai '81 wieder auf und erscheint seit Juni '82 vierteljährlich. Die Gruppe Solidarity stammt aus den 60er Jahren., Während der 70er Jahre veröffentlichten sie relativ regelmäßig eine Revue mit dem cJleichen Namen. Aber im Herbst 1980 verschwand die Revue, weil die Gruppe unfähig aar, eine kohärente Position zu den Kämpfen in Polen und eine Einstellung zu Solidarnosc zu beziehen.

Diese 3 Gruppen sind mehr oder weniger direkt oder indirekt mit "Sozialismus oder Barbarei" verbunden, einer Zeitschrift während der 50er und 60er Jahre, deren Hauptträger Castoriadis (alias Chaulieu, Cardan, Coudray) war und die die meiste Zeit damit verbrachten, das Veraltetsein des Marxismus zu theoretisieren.

(3) (4)

(aus der INTERNATIONALEN REVUE, Nr. 35, drittes Quartal 1983) Erstveröffentlichung in Weltrevolution Nr. 12, 1983

Theoretische Fragen: