Eine Karikatur der Partei : die bordigistische Partei -Antwort an ”Kommunistisches Programm”

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Die für die Befreiung der Arbeiter­klasse unabdingbare Entwicklung des Klassenbewußtseins ist ein fortdauernder und unaufhörlicher Prozeß. Er wird be­stimmt durch das soziale Wesen des Pro­letariats als eine historische Klasse, das als einzige Klasse die Lösung der unüberwindbaren Gegensätze des Kapitalis­mus in sich birgt, wobei der Kapitalis­mus selbst die letzte Klassengesellschaft ist. So wie die historische Aufgabe, die die menschliche Gesellschaft zerreißenden Klassengegen­sätze aufzulösen, nur das Werk der Arbei­ter selbst sein kann, kann das Bewußtsein über diese Aufgabe dem Proletariat keineswegs von außen „importiert“ oder einge­trichtert werden, sondern es ist das Pro­dukt seines wahren Seins, seiner eigenen Existenz. Es ist die wirtschaftliche, so­ziale und politische Stellung in der Gesellschaft, die die praktischen Handlun­gen und den historischen Kampf des Prole­tariats bestimmt.

Diese unaufhörliche Bewegung hin zu einem Bewußtwerdungsprozeß drückt sich in den Versuchen des Proletariats, sich selber zu organisieren, und in der Bil­dung politischer Gruppen innerhalb der Arbeiterklasse, die in der Bildung der Partei gipfelt, aus.

Gerade dieser Frage, der Bildung der Partei, wird in der Nummer 76 von Programme Communiste (März '78), dem theoretischen Organ der IKP (Internationale Kommununistische Partei), ein sehr langer Artikel gewidmet: „Auf dem Wege zur ‚kompakten und starken‘ Partei von Morgen"(1). Es muß zunächst festgestellt werden, daß man wegen des üblichen Schwulstes der bordigis­tischen Sprache, der auf vielen Seiten zu findenden Drehungen und Wendungen - nach denen man sich schließlich am Ausgangspunkt wiederfindet -, des Einrennens offener Türen und der sich wiederholenden Bestätigungen, die eine Argumentation er­setzen sollen, die wirklich zur Diskussion stehenden Probleme viel schwerer und um­ständlicher begreifen kann. Das Vorgehen, eine Behauptung dadurch zu beweisen, indem man die frühe­ren Behauptungen zitiert, welche selbst wieder auf vorherigen Bestätigungen auf­gebaut sind – so daß es einem fast schwindelig wird -, mag sicherlich eine Kontinui­tät in den Behauptungen beweisen, sie kann aber keine schlüssige Beweisführung ersetzen. Unter diesen Umständen und trotz unserer festen Absicht, uns nur mit den Behauptungen auseinanderzusetzen, die die bordigistischen Positionen hinsicht­lich der Partei ausdrücken und die wir für falsch halten, können wir es nicht vollständig vermeiden, auf eine Anzahl anderer Punkte zu sprechen zu kommen, die mit diesen Behauptungen zusammenhängen.

Über die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linke

Es wäre sicherlich keine kleine Überraschung für die Mehrzahl der Leser von Kommunistisches Programm und wahr­scheinlich auch für die Mehrzahl der Mit­glieder der IKP, plötzlich zu erfahren, daß „trotz ihrer objektiven (?) Grenzen, die ‚Linke Fraktion im Ausland‘ ein Teil der Geschichte“ (2) der Italienischen Lin­ke ist und daß man sich auf sie bezieht als „unsere Fraktion im Ausland zwischen 1928 und 1940“. In diesem Punkt hatte uns Kommunistisches Programm eher an eine große Zurückhaltung, ein beredtes Schweigen, wenn nicht gar einfach an eine Mißbilligung der Fraktion gewöhnt. Wie sollte man sonst verstehen, daß innerhalb der 30 Jahre, die die IKP schon existiert, sie keine Mühe gescheut hat, in ihren Zeitungen, theoretischen Zeit­schriften, Broschüren und Büchern die Texte der Linken von 1920-1926 wiederauf­zulegen und erneut zu veröffentlichen, aber gleichzeitig weder die Zeit noch die Mittel noch den Platz gefunden hat, auch nur einen einzigen Text der Fraktion zu veröffentlichen, die das Bulletin d'Information, die Zeitschrift Bilan, die Zeitung Prometeo, die Bulletins Il Seme und so viel andere Texte veröffentlicht hatte? Es ist kein reiner Zufall, daß Kommu­nistisches Programm keinen Verweis, keine Erwähnung der politischen Positionen, die „unsere“ Fraktion vertreten hat, enthielt, daß es niemals aus Bilan zitierte. Einige Genossen der IKP, die irgendwann einmal Leute vage über Bilan sprechen gehört hatten, behaupteten, daß die Partei sich weder auf die politische Aktivität noch auf die Schriften "Bilans" berufe, während andere Genossen der gleichen Partei noch nicht einmal von der Existenz von Bilan wußten.

Heute entdeckt man das „Verdienst unserer Fraktion“, ein Verdienst, welches - das stimmt - ziemlich begrenzt ist, aber immer noch groß genug, um davor den Hut zu ziehen. Warum heute? Ist es deshalb, weil die Lücke in der organischen Konti­nuität (ein von der IKP so geschätzter Begriff), die von 1926 bis...1952 dauerte, etwas störend geworden ist und weil man diese Lücke mehr schlecht als recht stopfen mußte? Oder ist es deshalb, weil die IKS so lange schon davon gesprochen hat, daß man jetzt nicht mehr das Schwei­gen aufrechterhalten kann? Und warum wird die Fraktion zwischen 1928 und 1940 plaziert, zumal sie sich - irrigerweise - erst im Juli 1945 aufgelöst hatte, um sich dann in die „Partei“ zu integrieren, die schließlich in Italien wiedergegründet worden war? (Dies geschah, nachdem die Fraktion das italienische antifaschistische Komitee in Brüssel verurteilt und seinen Vorkämpfer Vercesi ausgeschlossen hatte - derselbe Vercesi, der später ohne Diskussion wieder in die IKP und sogar noch in die Führung aufgenommen wurde.) Geschieht all dies aus Ignoranz oder weil die Fraktion während des Krieges noch viel weiter in die Richtung gegangen war, die Bilan schon vor dem Kriege eingeschlagen hatte, ins­besondere in der Frage Rußlands, in der Frage des Staates und der Partei – eine Entwicklung, die ein noch helleres Licht auf die Distanz zwischen Kommu­nistisches Programm und den von der Fraktion vertretenen Posi­tionen wirft. Jedenfalls werden die Bilan zugestandenen „Verdienste“ schnell durch eine umso schärfere Kritik relativiert.

"Die Unmöglichkeit“, schreibt Kommunis­tisches Programm, „aus dem sozusagen sub­jektiven (?!) Kreis der Konterrevolution auszubrechen, führte in der Fraktion zu bestimmten Abweichungen, wie z.B. in der nationalen und kolonialen Frage oder in Bezug auf Rußland, nicht so sehr in der Einschätzung, was aus Rußland geworden war, als vielmehr in der Suche nach einem unterschiedlichen Weg gegenüber dem der Bolschewisten in der Ausübung ihrer Dik­tatur (…) ein Weg, der in der Zukunft eine Wiederholung der Katastrophe der Jahre 1926-27 verhindern sollte (…) wollte die (Fraktion) auf die Rückkehr der Massenkonfrontationen mit den feindlichen Kräften warten, ehe die Partei neu konstituiert wird.“ (1).

Wenn es stimmt, daß die Treue zu den revolutionären Grundlagen des Marxismus in Zeiten der Niederlage ein großes Verdienst ist, so liegt das besondere Verdienst der Fraktion, wodurch sie sich besonders von den damaligen Gruppen unterschied, gerade in dem, was der Ar­tikel des Kommunistischen Programms „Schwächen“ nennt. Wie die Fraktion formulierte: „Der Rahmen für die zukünftigen Parteien des Proletariats kann nur aus dem tiefen Verständnis der Ursachen der Niederlagen hervorgehen. Und dieses Ver­ständnis darf weder durch Verbote noch  durch Ächtung beeinträchtigt werden.(3)

Für all jene, die meinen, dass das Programm etwas „Vollendetes und Unveränderbares“ ist, die den Marxismus in ein Dogma verwan­delt und Lenin zu einem unantastbaren Propheten gemacht haben, müssen es als unhaltbar betrachten, daß die Fraktion es gewagt hat (Brrr, da läuft es einem kalt den Rücken runter!), die politischen und programmatischen Positionen der bolschewistischen Partei und der Komintern im Lichte der Realität zu überprüfen, und nicht etwa die Grundlagen des Marxismus. Wenn man innerhalb des theoretischen Rahmens und der kommunistischen Bewegung eine Über­prüfung der politischen Positionen, die eine Rolle in Niederlagen gespielt haben, verlangt, die „weder durch Verbote noch durch Ächtung beeinträchtigt werden darf“, dann ist das die schlimmste Ketzerei; eine „Abweichung“, wie das Kommunistisches Programm dazu sagen würde.

Das große Verdienst der Fraktion, neben ihrer Loyalität zum Marxismus und ihren Stellungnahmen zu den großen, wich­tigen Fragen damals - gegen die von Trotzki befürwortete Einheitsfront, gegen die Volksfront, gegen die Kollaboration im und die Unterstützung des Spanienkrieges, gegen die infamen Mystifikationen des Antifaschismus -, lag darin, es gewagt zu haben, mit der Methode zu brechen, die damals in der revolutionären Bewegung die Oberhand gewonnen hatte; eine Me­thode, die die Theorie in ein Dogma, die Prinzipien in Tabus verwan­delt und jedes politische Leben erstickt hat. Ihr Verdienst war es, die Revolutionäre zu Debatten und Diskussionen aufgeru­fen zu haben, was sie nicht zu „Abweichungen“ verleitet, sondern in die Lage versetzt hat, reiche und wertvolle Bei­träge zum revolutionären Projekt zu leisten.

Bei all ihrer Standhaftigkeit zu ihren Überzeugungen war die Fraktion bescheiden genug, nicht vorzugeben, alle Probleme gelöst und auf alle Fragen Antworten zu haben: „Wenn wir jetzt mit der Veröffentlichung die­ses Bulletins beginnen, glaubt unsere Fraktion nicht, endgültige Lösungen für die schrecklichen Probleme gefunden zu haben, vor denen die Proletarier aller Länder stehen.“ (4) Und selbst dann, wenn sie überzeugt war, Antworten zu haben, verlangte sie nicht von Anderen die einfache Anerkennung dieser Antworten, sondern rief sie dazu auf, diese zu untersuchen, zu konfrontieren und zu diskutieren: „Sie (die Fraktion) beabsichtigt nicht, die politisch ‚Nahestehenden‘ dazu zu drängen, mit den von ihnen befürworteten Lösungen für die aktuelle La­ge einverstanden zu sein. Im Gegenteil, sie ruft alle Revolutionäre dazu auf, die von ihr verteidigten Positionen und grundlegenden politischen Dokumente im Lichte der Ereignisse zu überprüfen.“ Und im gleichen Geiste schrieb sie: „Unsere Fraktion hätte es vorgezogen, daß solch eine Arbeit (die Publizierung von Bilan) von einem internatio­nalen Organismus ausgeführt worden wäre, weil wir von der Notwendigkeit der politischen Konfrontation zwischen den Gruppen, die die Arbeiterklasse in den verschiedenen Ländern repräsentieren, überzeugt sind.“ (Bilan, Nr.1)

Um die enorme Distanz zwischen den Vorstellungen der Fraktion und den der bordigistischen Partei hin­sichtlich der Art und Weise, wie die Be­ziehungen zwischen den kommunistischen Gruppen aussehen sollen, voll zu würdigen, genügt es, das oben aufgeführte Zitat von Bilan mit dem nach­folgenden Zitat aus Kommunistisches Pro­gramm zu vergleichen. So schreibt Kommu­nistisches Programm über die eigene Gruppe, die unter dem selbst vergebenen Titel „Partei“ ächzt: „‘Parteikern‘? Im Vergleich zur ‚kompak­ten und starken Partei von morgen‘, ganz gewiß. Aber Partei; eine Partei, die nur auf ihren eigenen Grundlagen wachsen kann, nicht durch die ‚Konfrontation‘ verschie­dener Standpunkte, sondern durch den Kampf selbst gegen diejenigen, die ihr ‚nahezu­stehen‘ scheinen." (Kommunistisches Programm, Nr.18, S. 20). Wie kürzlich ein Sprecher der IKP auf einer öffentlichen Veranstaltung von Révolution Internatio­nale (Sektion der IKS in Frankreich) in Paris sagte: „Wir kommen nicht, um zu diskutieren, auch nicht um unsere Standpunkte mit Euren zu konfrontieren, sondern nur um hier unseren Standpunkt kundzutun. Wir kommen zu eurer Veranstaltung, so wie wir zu den Veranstaltungen der stalinistischen Partei gehen.“

Solch eine Einstellung beruht nicht auf der Standhaftigkeit von Überzeugungen, sondern auf Selbstgefälligkeit und Arroganz. Das sogenannte „vollendete und invariante“ Programm, als dessen Erben und Bewahrer die Bordigisten sich ausgeben, kaschiert nichts anderes als einen enormen Größen­wahn.

Je mehr ein Bordigist von Zweifeln und Unverständnis erschüttert wird, desto mehr schwanken seine Überzeugungen; und so fühlt er immer stärker das Bedürfnis, morgens nach dem Aufstehen sich auf die Erde zu knien, den Kopf auf die Erde zu beugen, sich auf die Brust zu schlagen und die Litanei des Islam aufzu­sagen: „Allah ist der einzige Gott und Mohammed sein Prophet“. Oder wie Bordiga irgendwo sagte: „Um Mit­glied der Partei zu sein, braucht man nicht alles zu verstehen und von allem überzeugt zu sein; es genügt, daß man glaubt und der Partei gehorcht.“

Es geht hier nicht darum, ausführlich auf die Geschichte der Frak­tion einzugehen, auf ihre Verdienste und Feh­ler, auf die Gültigkeit und die Irrtümer ihrer Positionen. Wie sie selbst sagte, habe sie auf dem Weg zur Klarheit oft nur herumtasten können, aber ihr Bei­trag war umso größer, als sie ein lebendiger politischer Körper war, der es wagte, die Debatte zu eröffnen, ihre Positionen mit anderen zu konfrontieren, sie anderen ge­genüberzustellen; sie war keine verkalkte und größenwahnsinnige Sekte wie die bordigistische „Partei“. So konnte die Fraktion für sich korrekterweise eine Kontinuität mit der Italienischen Linken beanspruchen, während die bordigistische Partei groben Mißbrauch betrieb, als sie über „unsere Fraktion im Exil“ sprach.

Die Konstituierung der Partei

Die für das Proletariat unabdingbare Partei wird auf den soliden Fundamenten eines kohärenten Programms, klarer Prinzipien und einer allgemeinen Orientierung aufgebaut, die es ermöglichen, detaillierte Antworten auf die im Klassenkampf auftauchenden politischen Probleme zu geben. Dies hat überhaupt nichts gemein mit dem mythischen „vollendeten und invarianten“ Programm der Bordigisten.

„In jeder Periode sehen wir, daß die Mö­glichkeit der Bildung der Partei bestimmt wird durch die Grundlage der vorherigen Erfahrung und der neuen Probleme, vor denen das Proletariat steht.“ (Bilan, Nr.1, S.15)

Was für das Programm zutrifft, ist auch für die lebendigen politischen Kräfte gültig, die die Partei physisch bilden. Die Partei ist sicher keine Ansammlung aller möglichen Gruppen und heterogenen politischen Tendenzen. Aber sie ist auch nicht der „monolithische Block“, von dem die Bordigisten sprechen und der übri­gens nie bestanden hat, außer in ihrer Einbildung.

„In jeder Periode, in der die Bedingungen für die Bil­dung der Partei vorhanden sind, in der sich die Arbeiter­klasse als Klasse organisieren kann, wird die Partei auf folgende zwei Elemente gegründet: 1) auf ein Bewußtsein der fort­geschrittensten Positionen, die das Proletariat aufgreifen muß; 2) auf die wachsende Kristallisierung der Kräfte, die für die proletarische Revolution handeln können.“ (Bilan, Nr.1)

Nur sich selbst und niemand anderen aus Prinzip und á priori als einzige für die Revolution handelnde Kraft anzuer­kennen zeugt nicht von revolutionärer Standhaftigkeit, es ist das Verhalten einer Sekte.

Als Engels die Bedingungen, unter denen die Erste Internationale gegründet wurde, schilderte, schrieb er: „Die Ereignisse und Wechselfälle im Kampf gegen das Kapital, die Niederlagen noch mehr als die Siege, konnten nicht verfeh­len, den Menschen die Unzulänglichkeit ihrer diversen Lieblingsquacksalbereien zum Bewußtsein zu bringen und den Weg zu vollkommener Einsicht in die wirkli­chen Voraussetzungen der Emanzipation der Arbeiterklasse zu bahnen.“ („Vorrede zum ‚Manifest der Kommunis­tischen Partei‘“, MEW, Bd. 21, S. 353, 1888).

Die Wirklichkeit hat nichts zu tun mit diesem Spiegel, vor dem die bordigistische „Partei“ die meiste Zeit verbringt und der ihr nichts anderes zeigt als ihr eigenes Bild. In der ganzen Geschichte der Arbeiterbewe­gung, d.h. in der Wirklichkeit, zeichne­te sich die Bildung der Parteien durch einen Zusammenschluß bei gleichzeitiger Abgrenzung der Kräfte aus, die für die Revolution handeln können. Andern­falls müßte man schlußfolgern, daß nie­mals eine andere Partei als die bordigis­tische existiert hat. Einige Beispiele: der Bund der Kommunisten, dem sich Marx und Engels sowie ihre Freunde anschlossen, war der ehemalige Bund der Gerechten gewesen, der sich nach der Eliminierung der Weitling-Tendenz aus mehreren Gruppen in Deutschland, Frankreich, Belgien, Eng­land und der Schweiz zusammensetzte. Die Erste Internationale beinhaltete sowohl die Eliminierung von Sozialisten wie Louis Blanc und Mazzini als auch die Annäherung anderer Strömungen. Die Zweite Internatio­nale gründete sich auf den Ausschluss der Anarchis­ten und der Umgruppierung der marxisti­schen sozialdemokratischen Parteien. Die Dritte Internationale kam nach der Auflösung der Sozialdemokraten und fasste die revolutionären kommunistischen Strö­mungen zusammen. Das Gleiche finden wir bei der Bildung der sozialdemokra­tischen Partei in Deutschland, die aus der Eisenacher und Lassalles Partei hervorgegangen war, und bei der sozialistischen Partei Frankreichs vor, die sich aus der Partei Gues­des und Lafargues sowie aus der Partei Jaures entwickelt hatte. Dasselbe auch bei der Bildung der sozialdemokratischen Partei in Rußland, die auf der Grundlage einer Annäherung von Gruppen entstanden war, die  isoliert und zerstreut in den Städten und Regionen Rußlands existiert hatten, wobei die Tendenz Struves allerdings ausgeschlossen wurde. Man könnte hier weitere Beispiele aus der Geschichte der Parteigründungen aufführen, die dasselbe Phänomen von Ausschluss und Annäherung zeigen. Die Kommunistische Partei Italiens konstituierte sich nach der Auflö­sung der Maximalisten Seratis rund um die abstentionistische Fraktion Bordigas und Gramscis Gruppe.

Es gibt keine Kriterien, die absolut gültig und in allen Zeiten identisch sind. Es kommt darauf an, in jeder Epo­che klar zu definieren, was die politischen Krite­rien für die Annäherung und was die Kriterien für die Abgrenzung sind. Und genau das weiß die bordigisti­sche „Partei“ nicht, die sich ohne Kri­terien und in Form eines vagen Amalgams von Kräften konstituiert hatte: die im Norden gegründete Partei, Gruppen aus dem Süden unter Einbeziehung von Partisanenelementen, Vercesis Tendenz im Antifa­schistischen Komitee Brüssels, die Minderheit, die 1936 wegen ihrer Teilnahme an den republikanischen Milizen im Spanischen Bürgerkrieg aus der Fraktion ausgeschlossen worden war, und die 1945 vorzeitig aufgelöste Fraktion. Wie man sehen kann, hat das Kommunisti­sche Programm allen Grund dazu, von Un­nachgiebigkeit und organischer Kontinuität zu sprechen sowie Lehren über revolutionäre Standhaftig­keit und Reinheit zu er­teilen! Seine Verunglimpfung jeglicher Versuche der Konfrontation und Debatte zwischen revolutionären kommunistischen Gruppen beruht nicht auf Prinzipienfestigkeit, auch nicht auf politischer Kurzsichtigkeit, sondern schlicht und einfach auf der Sorge um den Schutz der eigenen, kleinen Kapelle.

Im Übrigen variiert (entschuldigt die Invarianz) diese unheimliche - tatsächlich nur verbale - Unnachgiebigkeit der Bordigis­ten gegen jede Konfrontation und erst recht gegen jede Umgruppierung, die von vornherein und ohne jedes Kriterium als ein konfuses Unterfangen abgestempelt wird, je nach dem Augenblick und nach Geschmack. So hatten sie 1949 einen „Auf­ruf zur internationalen Reorganisierung der revolutionären marxistischen Bewegung“ veröffentlicht, den sie 1952 und 1957 wiederholten und in dem man lesen kann:

„In Übereinstimmung mit der marxisti­schen Auffassung richten heute die Kommu­nisten der Italienischen Linken einen Auf­ruf an die revolutionären Arbeitergruppen aller Länder. Sie fordern sie dazu auf, sich auf einen langen und schwierigen Weg zu be­geben und sich auf internationaler und strikter Klassengrundlage zu sammeln…“ (Programme Communiste, Nr.18/19 der franz. Ausgabe).

Aber es ist unbedingt notwendig, zwischen der bordigistischen Partei und jeder anderen Organisation zu unterscheiden; man würde einen schweren Feh­ler begehen, wenn man glaubte, daß das, was der Partei erlaubt ist, die allein über das vollendete und invariante Programm wacht, ebenfalls für eine simple sterbliche Organisation von Revolutionären zulässig ist. Die Partei hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt und auch nicht kennen kann. Wenn die Bordigisten zu einer „interna­tionalen Zusammenkunft“ aufrufen, dann ist das reines, pures Gold, doch wenn andere revolutionäre Organisationen zu einer ein­fachen internationalen Konferenz zur Kontaktaufnahme und Diskussion aufrufen, dann ist das selbstverständlich die größte Scheiße, „Prin­zipienhandel“, ein konfuses Unterfan­gen. Aber kommt das nicht eher daher, daß die Bordigisten sich heute mehr denn je in ihrer Verkalkung verrannt haben und daß sie fürchten, ihre schwankenden Positionen mit den lebendigen, revolu­tionären Strömungen zu konfrontieren, die heute existieren und sich entwickeln? Ist das nicht der Grund dafür, daß sie sich lieber verschließen und isoliert bleiben?

Es ist lohnenswert, die für diese „Zusammenkunft“ vorgestellten Kriterien in Erinnerung zu rufen, die erneut in dem neulich erschienenen Artikel (eingangs dieses Artikels erwähnt) bekräftigt wurden:

„Die Internationale Kommunistische Partei schlägt den Genossen aller Länder die fol­genden Grundprinzipien und -voraussetzungen vor:

1) Bejahung der Waffen der proletarischen Revolution: Gewalt, Diktatur, Terror…

2) vollständiger Bruch mit der Tradition der Kriegsbündnisse, den Partisanenfron­ten und den 'nationalen Befreiungen'...

3) historische Negation des Pazifismus, des Föderalismus zwischen den Staaten und der 'nationalen Verteidigung'…

4) Verurteilung der üblichen Sozial­programme und der politischen Bündnisse mit den nichtlohnabhängigen Klassen…

5) Proklamierung des kapitalistischen Charak­ters der Gesellschaftsstruktur Rußlands;(‚Die Macht ist in die Hände einer hybriden und konturenlosen Koalition von inneren Interessen der niedrigen und höheren Mittelschichten, halb-unabhängigen Geschäftsleuten und der internationalen kapitalistischen Klassen gelegt worden‘?)

6)  Schlußfolgerung: Mißbilligung jeder Unterstützung des russischen imperialen Militarismus, kategorischer Defätismus gegen den Militarismus Amerikas..."

Wir haben die sechs Kapitelüberschrif­ten zitiert, die alle durch Kommentare näher erläutert werden; sie hier wiederzugeben wäre allerdings zu lang. Es handelt sich auch nicht darum, im einzelnen diese Punkte hier zu behan­deln, obgleich ihre Formulierungen viel zu wün­schen übrig lassen, insbesondere was die Frage des Terrors als Hauptwaffe der Revolution angeht (5) oder dieser subtile Unterschied in der Schlußfolge­rung über die Haltung gegenüber den USA (Defätismus) und gegen­über Rußland (Mißbilligung) oder diese – gelinde gesagt – kuriose Definition der Macht in Rußland, die nicht schlicht Staatskapitalismus genannt wird, sondern eine „hybride und konturenlose Koalition von inneren Interessen der niedrigen und höheren Mittelschichten (…)  und der internationalen kapitalistischen Klassen“. Man könnte ebenso auf die vielsagende Abwesenheit anderer Kriterien hinweisen, insbesondere auf die Forderung nach der Anerkennung des proletarischen Charak­ters der Oktoberrevolution oder die Notwendigkeit der Klassenpartei. Uns kommt es hier jedoch darauf an zu betonen, daß diese Kriterien in der Tat eine ernst­hafte Grundlage darstellen, wenn auch nicht für eine unmittelbare „Zusammenkunft“, so doch mindestens für eine Kontaktaufnahme und Diskussion zwischen den bestehenden revo­lutionären Gruppen. Dies ist eine Orientierung, wie sie einst auch die Fraktion verfolgt hatte, und es ist eine Orientierung, die wir heute nach wie vor fortführen: Sie war die Grundlage des internationalen Treffens in Mailand im letzten Jahr.

Doch umnachtet durch ihre Invarianz benötigen die Bordigisten heute nichts von alledem mehr, weil… sie ja schon die Partei konstituiert haben („mikroskopisch klein, aber dennoch eine Partei“).

Aber ist dieser Aufruf damals nicht auch von der IKP unterzeichnet worden, werden sich naive Leser fragen? Ja,... aber es war damals nur die Internationa­listische Kommunistische Partei und noch nicht die Internationale Kommunistische Partei – ein subtiler Unterschied. Aber war diese Inter­nationale Kommunistische Partei nicht integraler Bestandteil der damaligen Internationalis­tischen Kommunistischen Partei, hat sie nicht gar behauptet, ihre Mehrheit zu sein? Ja.. aber, …aber …, aber…

Da wir gerade bei diesem Punkt sind: kann man ein für allemal erfahren, seit wann diese „tapfere, mikroskopische Par­tei“ besteht? Es ist heute Mode – aus welchen Gründen auch immer - zu bestätigen, daß die Partei erst im Jahre 1952 konstituiert wurde, und der oben zitierte Artikel be­steht auf dieses Datum.(6) Jedoch werden in dem Artikel auch „fundamentale Texte“ von 1946 zitiert, die Plattform stammt aus dem Jahre 1945, an­dere grundlegende Texte aus den Jahren 1948, 1949 und 1951. Diese Texte, der eine so grundlegend wie der andere, von wem stammen sie genau? Von einer Partei, von einer Gruppe, von einer Frak­tion, von einem Kern, von einem Embryo?

In Wirklichkeit konstituierte sich die IKP nach dem Sturz Mussolinis 1943 im Norden Italiens. Dann wurde sie ein zweites Mal nach der „Befreiung“ des Nordens von der deutschen Besatzung „rekonstituiert“; dies erlaubte den Gruppen, die sich in der Zwischenzeit im Süden gebil­det hatten, sich in die im Norden beste­hende Organisation zu integrieren. Um sich in diese Partei zu integrieren, beschloss die Italieni­sche Fraktion der Kommunistischen Linken fast einstimmig, sich selbst aufzulösen. Diese Selbstauflösung wie auch die Proklamierung der „Partei“ lösten erbitterte Diskussionen und Polemiken in der GCI (Internationalen Kommunistischen Linken) aus, was in Frankreich zu einer Spaltung in der Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken führte, in der nur eine Min­derheit dieser Politik zustimmte und sich von der Mehrheit trennte. Die Mehrheit erklärte ihre Opposition gegen die vorschnelle Auflösung der Italienischen Fraktion, verurteilte die Proklamation der Partei in Italien kategorisch und öffentlich als willkürlich und volunta­ristisch und wies auf die opportunistische politische Grundlage der neuen Partei hin. (7) Ende 1945 fand der erste Kongreß dieser Par­tei (IKP) statt. Er veröffentlichte eine politische Plattform und ernannte die zentrale Führung der Partei sowie ein internationales Büro, das aus Vertretern der IKP, der französischen und belgischen Sektion zusammengesetzt war. Der Artikel von Kommunistisches Programm bezieht sich auf „Elemente einer marxistischen Orientierung, unser Text aus dem Jahr 1946“. 1948 gab es noch mehr programma­tische Texte der Partei, und weitere folgten. 1951 brach die erste Krise in der Partei aus, die in einer Spaltung kulminierte, die zwei IKPs hinterließ, von denen jede beanspruchte, in Kontinuität mit der alten Partei zu stehen, eine Behauptung, die Kommunistisches Programm nie aufgegeben hat.

Heute erfindet man ein neues Gründungsdatum der bordigistischen Partei. Warum? Kommt es daher, daß erst 1951 „unsere Strömung dank der Kontinuität ihres Kampfes dieses kritische Bewußtsein hat erreichen können, um eine Linie zu vertreten, die wahrhaft allgemein und nicht zufällig war“, so daß sie sich „als organisiertes, kritisches Be­wußtsein, als handelnder militanter Or­ganismus, als Partei konstituieren konn­te“ (Kommunistisches Programm, Nr.18, „Auf dem Weg zu einer kompakten und mächtigen Partei von Morgen“, S. 15)? Aber wo waren dann die Bordigisten und Bordiga zwischen 1943/45 und 1951? Was wurde aus dem Programm, das seit 1848 unverändert geblieben war? War es während dieser Jahre abhanden gekommen, und mußten sie bis 1951 ausharren, um „das kritische Bewusstsein zu erlangen“, das ihnen erlaubte, die „Partei“ zu konstituieren? Aber waren sie nicht seit 1943/45 als Mitglieder, und zwar als führende Mitglieder, in der IKP organisiert? Es ist schwierig, sehr schwierig, über solch eine schwerwiegende Frage mit Leuten zu disku­tieren, die alle ihre Begriffe durcheinanderbringen, die nicht zwischen dem Augenblick der Schwangerschaft und dem der Geburt un­terscheiden können, die nicht wissen, wer sie selbst sind und in welchem Stadium sie sich befinden, die sich „Die Partei“ nennen und gleichzeitig die Notwendigkeit der Konstituierung der Partei vertreten. Wie kann man Leute ernst nehmen, die, je nachdem wie es ihnen in den Kram passt, den Zeitpunkt der Geburt auf 1943, 1945, 1952 oder gar auf einen unbestimmten Tag in der Zukunft festlegen.

So wie mit dem Gründungsdatum der IKP verhält es sich auch mit der Links-Fraktion im Ausland. Entweder wird sie akzeptiert oder sie wird abgelehnt, je nachdem wie es passt. Doch welches Datum auch immer, was die Bildung der Partei angeht, „können (wir) auf Anhieb sagen, daß die Erlangung dieses kritischen Bewußtseins nicht von einer aufsteigenden Bewegung getragen wurde, sondern ganz im Gegenteil ihr weit vorausging." (Kommunistisches Programm, Nr.18, 5.15).

Dies scheint klar zu sein. Die Konstituierung der Partei wird keineswegs durch eine aufstrebende, wachsende Bewegung im Klassenkampf bestimmt, „sondern sie geht ihr im Gegen­teil weit voraus“. Aber warum dann dieser Eifer, gleich hinzufügen, daß es darauf ankomme, „die wahre Partei (…) die kompakte und starke Partei aufzubauen, die wir noch nicht sind“? Kurz gesagt: eine Partei,...die die Partei vorbereitet! Mit anderen Worten, eine Partei, die keine ist. Aber warum ist diese Partei, die ein „vollendetes und invariantes“ Programm besitzt, die das notwendige kritische und organisatorische Bewußtsein erreicht hat -  warum ist sie nicht die „wahre Partei“? Was fehlt ihr also? Sicher ist es keine Frage der Anzahl der Mitglieder, aber zu sagen, daß die „Partei im Bau“ anerkennt, daß sie sich im Geburtsprozeß“ befindet und nicht vollendet ist, weil „die Klassenpartei stets im Bau ist, vom Tag ihres ersten Auftretens bis zum Moment ihres Verschwindens“ (Programm Communiste, Nr. 76, unsere Unterstreichungen), bedeutet ganz offensichtlich nur ein Jonglieren mit Worten; sie vermeidet es, die erforderlichen Antworten zu geben, indem sie die Fragen unter den Teppich kehrt. Es ist eine Sache zu sagen, daß der Eisprung Vorbedingung einer späteren Geburt ist, es ist allerdings eine andere Sache zu sagen, daß der Eisprung die eigentliche Geburt sei, die faktische Entstehung von Leben. Die geniale Originali­tät von Kommunistisches Programm besteht darin zu behaupten, daß beide ein und das­selbe sind. Mit solch einer Scheinargumen­tation kann man alles Mögliche, einschließlich der Quadratur des Kreises, beweisen. Die Notwendigkeit, die Partei konstant weiterzuentwickeln und zu stärken, wenn sie wirklich existiert, beweist nicht, daß sie bereits existiert, genauso wenig wie die Notwendigkeit der Weiterentwicklung und Stärkung des Kindes beweist, daß das Ei schon ein Kind ist. Nur unter bestimmten präzisen Voraussetzungen kann aus dem Ei ein Kind werden. Die Pro­blemstellung des einen unterscheidet sich stark von den Problemen, die sich dem anderen stellen.

Diese ganzen Spitzfindigkeiten über die Partei, die existiert, weil sie konstant im Bau ist, und über den ständigen Aufbau einer Partei, die bereits existiert, dienen dazu, verstohlen eine andere bordigistische Theorie einzuführen: die reale Partei und die for­male Partei. Dies ist eine weitere Spitzfindigkeit, die zwischen der realen Partei, einem rein „historischen“ Phantom, das zwangsläufig nicht in der Realität existiert, und der formalen Partei unterscheidet, die tatsächlich in der Realität existiert, aber nicht zwangsläufig Ausdruck der realen Partei ist. In der bordigisti­schen Dialektik ist die Bewegung kein Zustand der Materie und somit etwas Mate­rielles, sondern eine metaphysische Kraft, die die Materie schafft. So wird aus der Wendung im Kommunistischen Manifest: „die Organisation der Proletarier zur Klasse und damit zur politischen Partei“ in der bordigistischen Weltanschauung: „die Konstituierung der Partei macht das Proletariat zur Klasse“. Das führt zu widersprüchlichen Schlußfolgerun­gen, die gleichzeitig auf die Scholastik der Argumentation hinweisen: Entweder bestätigt man entgegen jeder Vernunft, daß die Partei seit ihrem ersten Auftreten (sagen wir seit Babeuf und seit den Chartisten) nie zu existieren aufge­hört hat, oder man geht von der offensichtlichen Tatsache aus, daß die Par­tei während längerer Zeiträume in der Geschichte nicht existiert hat, und man ge­langt (wie Vercesi, Camatte)  zur Schlußfolgerung, daß die Klasse dauernd oder zeitweilig verschwunden ist. Das einzige Bestän­dige am Bordigismus ist sein Lavieren von einem scholastischen Pol zum nächsten.

Um mehr Klarheit zu erzielen, könnte man vielleicht die Frage auf eine andere Art stellen. Die Bordigisten definieren die Partei als eine Doktrin, als ein Pro­gramm und als eine Fähigkeit zur prakti­schen Intervention, als einen Willen zur Handlung. Diese etwas kurzgefaßte Defini­tion der Partei wird heute durch ein ande­res Postulat vervollständigt: Das Bestehen der Partei hängt nicht ab von einem ge­gebenen Zeitraum, ja muß im Gegen­teil absolut unabhängig davon sein. Nun sagt man uns, daß von den beiden Grundlagen der Partei - das Programm und der Willen zum Handeln - die erste, das Programm, seit dem Kommunistischen Manifest 1848 vollendet und invariant ist. Hier stehen wir vor einem offensicht­lichen Widerspruch: das Programm, die Essenz der Partei, ist vollendet, aber die Partei, die Materialisierung des Programms, befindet sich im unaufhörlichen Aufbau. Mehr noch: sie verschwindet zeitweise sogar ganz und gar. Wie ist das möglich und warum?

1852 löste sich der Bund der Kommunis­ten auf und verschwand. Warum? Haben die Gründer des Programms, Marx und Engels, das Programm aus den Augen verloren? Man könnte vielleicht gegen sie vorgeben, daß sie den Willen zur Handlung verloren haben, indem man auf die Spaltung, die von ihnen gegen die Minderheit (Willich-Schapper) arrangiert wurde, und auf ihre Anprangerung des voluntaristischen Aktionismus dieser Minderheit verweist. Aber hieße das nicht, von einer Absurdität zur nächsten, noch größeren Absurdität zu springen? Was bleibt uns also anders übrig, als diese Auflösung durch eine tiefgreifende Änderung der Situation zu erklären - ob es den Bordigisten paßt oder nicht? Engels, der wußte, worüber er sprach, erklärte das Ver­schwinden des Bundes so:

„Die Niederschlagung der Pariser Juni-Insurrektion von 1848 - dieser ersten großen Schlacht zwischen  Proletariat und Bourgeoisie - drängte die sozialen und politischen Bestrebungen der Ar­beiterklasse Europas zeitweilig wieder in den Hintergrund (...) Die Arbeiterklasse wurde beschränkt auf einen Kampf um po­litische Ellbogenfreiheit und auf die Position eines äußerlich linken Flügels der radikalen Bourgeoisie. Wo selbständige proletarische Bewegungen fortführen, Lebenszeichen von sich zu geben, wurden sie erbarmungslos nieder­geschlagen (…) Sofort nach dem Urteilsspruch (des Prozesses der Kölner Kommunisten im Oktober 1852) wurde der Bund durch die noch verbliebenen Mitglieder formell aufgelöst.“ (MEW, Bd. 21, S. 353).

Diese Erklärung scheint unsere Bordi­gisten nicht zu überzeugen, die sie nur völlig überflüssig finden können, denn für sie hat sich die Partei nie wirklich aufgelöst – sie bestand in der Person von Marx und Engels fort. Um dies zu beweisen, zitieren sie aus einem skurrilen Auszug aus einem Brief von Marx an En­gels, und wie jedes Mal wenn es ihnen zweckmäßig erscheint, machen sie aus einem Wort, aus einem Satzteil und selbst aus einem skurrilen Einfall in einem Brief eine ab­solute Wahrheit, ein invariantes und unwan­delbares Prinzip.(8) Geschah zwischen der Auflösung des Bundes 1852 und der Geburt der Internationalen 1864  irgendetwas Relevantes für die Parteiexistenz? Gemäß den Bordigisten überhaupt nichts; das Programm blieb immer noch invariant, der Willen zur Handlung war vor­handen, Marx und Engels waren da und die Partei mit ihnen. Nichts, überhaupt nichts Wichtiges schien passiert zu sein. Das scheint aber nicht die Meinung Engels ge­wesen zu sein, der schrieb:

„Als die euro­päische Arbeiterklasse wieder genügend Kraft zu einem neuen Angriff auf die herr­schende Klasse gesammelt hatte, entstand die Internationale Arbeiterassoziation.“ (MEW,Bd, 21, S.353) Wenn Kommunistisches Programm in sei­nem Artikel schreibt: „… die revolutionäre marxistische Partei (ist) nicht das Produkt  der unmittelbaren Bewegung, d.h. der Auf­stiegs- und Rückflußphasen...“ (S.20), ver­fälscht es entweder aus Unverständnis oder aus Absicht die Debatte, indem dieses klei­ne Wort „Produkt“ - im franz. Text unter­strichen - eingeführt wird. Selbstverständ­lich, die Notwendigkeit einer Partei resul­tiert nicht aus besonderen Situationen, son­dern aus der allgemeinen historischen Lage der Klasse (dies lernt man im Grundkurs des Marxismus und erfordert keine großen Kenntnisse). Die Kontroverse geht nicht darum, sondern darum, ob die Exis­tenz der Partei an die Wechselfälle des Klassenkampfes gebunden ist oder nicht, ob spezifische Bedingungen notwendig sind, damit die Revolutionäre tatsächlich - und nicht nur in Worten - die Rolle er­füllen können, die der Partei obliegt. Es reicht nicht aus zu sagen, daß ein Kind ein menschliches Produkt ist, um daraus zu folgern, daß die notwendigen Lebensbedingungen - Luft zum Atmen, Lebensmittel zur Ernährung, Fürsorge durch andere - gegeben sind. Ohne diese Bedingungen ist das Kind unwiderruf­lich zum Tode verurteilt. Partei zu sein heißt, wirksam zu intervenieren, eine wachsende Wirkung, einen wirklichen Einfluß auf den Klassenkampf zu haben, und dies ist nur möglich, wenn der Klassen­kampf sich im Anstieg befindet. Darin liegt der Unterschied zwischen der Partei und ihrer realen Existenz sowie der Fraktion oder Gruppe. Das hat die IKP noch nicht ver­standen und will es auch nicht verstehen.

Der Bund der Kommunisten konstituier­te sich zu einer Zeit des wachsenden Klassen­kampfes, der der Welle von revolutionären Kämpfen 1848 vorausging, und er verschwand, wie Engels‘ Zitat gezeigt hat, mit der Niederlage und dem Zurückweichen des Klassenkampfes. Dies ist keine vorüber­gehende, sondern eine allgemeine Tatsache, die sich in der ganzen Geschichte der Arbeiterbewegung bewahrheitet hat, und es konnte auch nicht anders sein. Die Erste Internationale entstand, „als die europäische Arbeiterklasse wieder genügend Kraft zu einem neuen Angriff auf die herrschende Klasse gesammelt hatte“ (Engels). Und wir können uns voll und ganz den Worten des Berichterstatters des Generalrates auf dem Ersten Kongreß der Internationale anschließen, der auf die Angriffe der bürgerlichen Presse antwortete: „Nicht die Internationale hat die Streiks der Arbeiter ausgelöst, sondern es sind die Arbeiterstreiks, die der Internationa­le solche Stärke verleihen.“ Wie der Bund der Kommunisten überlebte auch die Internationale nicht lan­ge die blutige Niederlage der Pariser Kommu­ne. Sie brach kurz darauf zusammen, trotz der Präsenz von Marx und Engels und des „vollendeten und invarianten“ Programms.

Um das Gegenteil dessen zu beweisen, was wir gerade festgestellt haben, versucht der Artikel vergeblich zurückzugreifen auf: „…konkrete Belege (...), daß es ganze Gebiete (wie England oder Amerika) gab, wo ausgesprochen heftige Kämpfe stattge­funden haben, obwohl die Partei überhaupt nicht existierte“ (Kommunistisches Programm, S. 20). Hier handelt es sich um ein Argument, das überhaupt nichts beweist, außer die Tatsa­che, daß es keine mechanische Verbindung zwischen den Kämpfen der Klasse und der Absonderung einer Partei gibt bzw. daß andere Faktoren bestehen, die dem Prozeß der Kon­stituierung der Partei entgegenwirken; daß im allgemeinen eine Kluft zwischen den objektiven und den subjektiven Bedingungen, zwischen dem Sein und der Entwicklung von Bewusstsein be­steht. Wenn das Argument Gültigkeit haben soll, dann muss Kommunistisches Programm Fälle zitieren, die das Gegenteil beweisen, d.h. Beispiele, wo die Partei sich außerhalb von Ländern und Perioden konstituiert hat, in denen der Kampf auf dem aufsteigenden Ast war. Doch es gibt keine Beispiele. Das einzige Beispiel (überflüssig, über die trotzkistische IV. Internationale zu reden), das sie aufführen können, ist die IKP. Aber das ist eine ande­re Geschichte, die Geschichte mit der Maus, die so groß sein wollte wie der Elefant. Die IKP war niemals eine Partei, außer dem Na­men nach.

Nach den Beispielen des Bundes der Kommunisten und der Ersten Internationalen gibt es noch das Beispiel der II. Internationalen und ihres ehrlosen Niedergangs und, noch schlimmer, das Beispiel der Gründung der III. Internationalen und ihres würdelosen Endes im Stalinismus. Diese Beispiele sind eine eindeutige Bestätigung der von der Italienischen Fraktion vertretenen These, eine These, der wir voll und ganz beipflichten: die Unmöglichkeit, die Partei in einer Periode des zurückweichen­den Klassenkampfes zu konstituieren.(9) Ganz anders lautet natürlich die Vorstellung von Kommunisti­sches Programm: die Rekonstituierung der Partei müsse stattfinden, „bevor das Pro­letariat aus dem Abgrund, in dem es hinab­gestürzt war, wiederaufsteigt. Es muss festgestellt werden, daß diese Wiedergeburt zwangsläufig, wie dies stets der Fall gewesen war, diesem Wiederaufleben des Proletariats vorausgeht“ (S.17).

Man versteht, warum der Artikel sich mit solch einem Nachdruck auf Lenins Was tun? bezieht, vor allem auf den Teil über das gewerkschaftliche Bewußtsein der Arbeiter­klasse. Denn was der ganzen Argumentationskette in dem Artikel zugrunde liegt, ist nicht so sehr eine Überschätzung der Rolle der Partei und die dem Bordigismus eigentümliche Neigung zum Größenwahn, sondern eine himmelschreiende Unterschätzung der Fähigkeit der Klasse, bewusst zu werden, ein tiefer Mangel an Vertrauen in die Klasse, ein kaum verhülltes Mißtrauen gegen die Arbeiterklasse und ihre Fähigkeit, die Welt zu verstehen:

„Wenn die Zukunft, die von der Partei wissenschaftlich vorausgesehen wird, für uns Materialisten gewiss und unvermeidlich ist, so wird dies nicht durch irgendeine ‚Reifung‘ des Bewusstseins in der Klasse über ihre historische Mission bestimmt, sondern weil die Arbeiterklasse von objektiven Determinanten gedrängt wird, bevor sie es weiß und ohne zu wissen, wie man für den Kommunismus kämpft.“ (S.21, Nr.18, Kommunistisches Programm)

Im Artikel findet man durchweg diese misstrauischen Kom­plimente für die Arbeiterklasse: eine rohe und abgestumpfte Masse, die ohne zu wissen und ohne zu verstehen handelt, die aber glücklicherweise von einer Partei geführt wird, die alles versteht, ja die das personifizierte Ver­ständnis ist. Man gestatte uns, diesem erstickenden Misstrauen die frische Luft des Urteils des alten Engels gegen­überzustellen:

„Für den schließlichen Sieg der im 'Manifest' aufgestellten Sätze ver­ließ sich Marx einzig und allein auf die intellektuelle Entwicklung der Arbeiter­klasse, wie sie aus der vereinigten Aktion und der Diskussion notwendig hervorgehen mußte.“ (Vorrede für das Kommunistische Manifest, vierte deutsche Ausgabe, London, I. Mai 1890).

Jeder Kommentar erübrigt sich. Fahren wir fort. Gemäß der bordigistischen Vorstellung erfordert die Rekonstituierung der Partei - die vollständig losgelöst von den konkreten Bedingungen ist - die theoretische Rei­fe und den Willen zum Handeln. So fällt der Artikel folgendes Urteil über die Fraktion

„Wenn (die Fraktion) noch nicht die Partei, sondern erst ihr Vorspiel war, so nicht mangels praktischer Aktivitäten, sondern eher infolge der Unzulänglichkeit ihrer theoretischen Arbeit.“ (S.25)

Gut, das ist ihr Urteil. Aber was versteht der Artikel unter ausreichender theoretischer Arbeit? Zweifellos die Wiederherstellung, die Wieder­aneignung, die Konservierung des vollendeten und invarianten Programms. Vor allem aber ohne die Positionen der Vergangenheit zu überprüfen, ohne eine Antwort auf die neuen Probleme zu suchen. Dies ist die Art von Arbeit, die der Artikel der Fraktion vorwirft, dies ist es, was er als ihre größte Schwäche ansieht. Diese Museumskonservatoren, die ihre eige­ne Sterilität zum Ideal erhoben haben, wür­den gern glauben machen, daß Lenin genau wie sie niemals etwas anderes gemacht hatte, als die vollendete Theorie von Marx zu „restaurieren“. Vielleicht könnten sie einmal darüber nachdenken , was Lenin zur Fra­ge der Theorie gesagt hat :

„Wir betrachten die Theorie von Marx keineswegs als etwas Abgeschlossenes und Unantastbares: wir sind im Gegenteil davon überzeugt, daß sie nur das Fundament der Wissenschaft gelegt hat, die die Sozia­listen nach allen Richtungen weiterent­wickeln müssen (von Lenin unterstrichen), wenn sie nicht hinter dem Leben zurück­bleiben wollen.“.

Der Artikel, aus dem dieses Zitat stammt, nennt sich… „Unser Programm“.

Und wie messen unsere Päpste des Marx­ismus den Grad der theoretischen Reife? Gibt es irgendwelche festgelegten Maßstäbe? Um nicht willkürlich vorzugehen, müssen auch die Maßstäbe gemessen werden, und es gibt keinen besseren Weg, dies zu tun, als diese theoretische Reife im Licht der konkreten Positionen, die man vertritt,  zu verifizieren.

Wenn man durch dieses Mittel die Rei­fe messen kann und wenn dies das Haupt­kriterium für die Bildung der Partei ist, dann können wir ruhig, aber mit aller notwendigen Überzeugung sagen, daß die Bordigisten die Partei nicht 1943, auch nicht 1945 und vor allem aber nicht 1952 hätten konstituieren sollen, sondern daß sie besser bis zum Jahr 2000 gewartet hätten. Jeder hätte dabei gewonnen, vor allem sie selbst.

Wir können noch nicht sagen, wie sich die kompakte und starke Partei von morgen bilden wird, aber was schon heute feststeht, ist, daß die IKP es nicht sein wird. Das Drama des Bordigismus ist, das sein zu wollen, was er nicht ist, die Partei, und das nicht sein zu wollen, was er ist: eine politische Gruppe. So erfüllt die IKP nicht - außer in Worten - die Funktionen der Partei, weil sie sie nicht erfüllen kann, und verwirk­licht auch nicht die Aufgaben einer poli­tischen Gruppe - die in ihren Augen belanglos sind. Wenn man ihre politische Reife an ihren Positionen mißt und dabei ihre Entwicklung beobachtet, dann sieht es ganz danach aus, daß sie niemals ihr Ziel errei­chen wird, denn mit jedem Schritt vorwärts macht sie gleichzeitig zwei oder drei Schritte zurück.

M.C.

FUSSNOTEN :

(1) Diesen Artikel gibt es in deutscher Sprache in Kommunistisches Programm, Nr.18, Mai 1978.Soweit die deutsche Übersetzung der IKP mit dem Originaltext übereinstimm­te, haben wir diese Version ver­wendet. Andernfalls haben wir selbst den Originaltext übersetzt.

(2) Programme Communiste, Nr.76, 5.5. Dieser Satz ist in der deutschen Über­setzung nicht zu finden.

(3) Bilan, Nr.1, Vorwort, S.3.

(4) Ebenda.

(5) Siehe unseren Artikel "Terror, Terro­rismus und Klassengewalt" in dieser Nummer, in dem dieses Thema ausführ­lich behandelt  wird.

(6) Der Proletarier (franz. Ausgabe "Le Proléaire" vom 8/21 April 1978, Nr. 264) drückt sich noch deutlicher aus: „...die charakteristischen Thesen aus dem Jahre 1951, die den Geburtsakt und die Zugehörigkeitsgrundlagen dar­stellen...“

(7)) Siehe L'Etincelle und Internatio­nalisme, Publikationen der Linkskommunisten Frankreichs bis 1952.

(8) Es ist höchste Zeit, diesem unglaub­lichen Mißbrauch ein Ende zu setzen, den manche mit Zitaten betreiben, in­dem sie mit ihnen alles Mögli­che ausdrücken wollen. Dies trifft besonders auf die Bordigisten hinsichtlich der Vorstellung von Marx über die Partei zu. Es wäre möglicherweise lohnenswert, sie aufzufordern, über diesen irgendwie überraschenden und rätselhaften Satz im Kommunistischen Manifest nachzusinnen und ihn zu deuten: „Die Kommunisten sind keine besondere Par­tei gegenüber den anderen Arbeiter­parteien.“ (Kapitel II, "Proletarier und Kommunisten").

 (9)  Es ist übrigens bekannt, daß Bordiga sich zumindest sehr widerstrebend an der Konstituierung der Partei beteiligte und daß er nur widerwillig dem ihm gegenüber von allen Seiten ausgeübten Druck nachgegeben hat, sich ihr anzuschließen. Vercesi dagegen wartete nicht lange, bis er die Richtigkeit der Parteibildung öffentlich in Frage stellte. Aber wer A sagt, muß auch B sagen. Man kann ein Widerhall seiner Zurückhaltung in dem „Vorent­wurf der Prinzipienerklärung für das Internationale Büro der (neuen) inter­nationalen Kommunistischen Linken“ fin­den, den er entworfen und in Bel­gien Ende 1946 veröffent­licht hat. Darin kann man lesen: „Der Prozeß der Umwandlung der Frak­tionen in eine Partei wurde von der kommunistischen Linke in seinen großen Linien nach einem Schema festgelegt, das besagt, daß die Partei erst dann in Erscheinung treten kann, wenn die Arbeiter Kampfbewegungen begonnen ha­ben, welche den Rohstoff zur Machtero­berung liefern.“ (Kommunistisches Pro­gramm, S. 24)