Gespeichert von Weltrevolution am
Anlässlich des 85. Jahrestages der Oktoberrevolution von 1917 in Russland organisierten die Gruppen GIS (Gruppe Internationaler Sozialisten) und “Aufbrechen” ein öffentliches “Diskussionsseminar” zum selben Thema in Berlin. Die sehr lebhafte Veranstaltung, an der sich ca. 30 Leute aus allen Teilen Deutschlands beteiligten, erstreckte sich über einen ganzen Tag bis in den Abend hinein. Für die Veranstalter selbst ist die Wichtigkeit der Klärung der Klassennatur der Oktoberrevolution sowie die Einschätzung des Degenerationsprozesses und der Niederlage der Revolution naheliegend. Die GIS entstammt dem linkskapitalistischen Milieu des Trotzkismus, hat sozusagen mit der politischen Muttermilch die Idee des “degenerierten Arbeiterstaates” in der Sowjetunion, welche im 2. Weltkrieg angebliche Errungenschaften der Oktoberrevolution verteidigt haben soll, aufgenommen. Aufbrechen ist aus den Kreisen der antifaschistischen und “anti-imperialistischen” Autonomen bzw. dem Maoismus hervorgegangen, musste daher mit der stalinistischen Pervertierung und Verfälschung der Lehren des roten Oktobers abrechnen. Beide Gruppen haben sich in der Zwischenzeit gegenüber der Ideologie insbesondere der “nationalen Befreiungsbewegungen” und des “Antifaschismus” den internationalistischen Positionen der Kommunistischen Linken angenähert. Doch dass diese Arbeit der theoretischen Klärung und der Bruch mit der Bourgeoisie keineswegs abgeschlossen ist, zeigt nicht zuletzt die Frage der Russischen Revolution. Während die GIS bis jetzt noch keine tiefergehende Kritik an der trotzkistischen Auffassung hierzu veröffentlicht hat, vertrat Aufbrechen bislang die rätekommunistische Auffassung vom Oktober als eine bürgerliche Revolution – ohne sich aber, wie wir meinen, vertieft mit dieser Frage befasst zu haben.
Die Bedeutung der Oktoberrevolution für die Revolutionäre heute
Darüber hinaus ist die Einschätzung der Russischen Revolution gerade heute für alle Revolutionäre von besonderer Bedeutung. Die bürgerliche Gleichsetzung der inzwischen zusammengebrochenen stalinistischen Regime Osteuropas mit der Oktoberrevolution, und somit mit dem Marxismus, mit dem Kommunismus, mit der Theorie des Klassenkampfes führte seit 1989 zu starken Einbußen an Selbstvertrauen, Klas-senidentität und an Kampfeskraft der großen Masse der Arbeiterklasse. Bisher haben sich nur kleine, politisierte Minderheiten der Arbeiterklasse von diesem Rückschlag befreien können, indem sie diese Gleichsetzung hinterfragt haben. Das Verständnis der Oktoberrevolution ist somit von zentraler Bedeutung für die Wiederanknüpfung der neuen revolutionären Kräfte an die Traditionen und programmatischen Positionen unserer Klasse. In der Zukunft wird diese Frage eine sehr wichtige Rolle bei der historischen Wiedererstarkung des Klassenkampfes und der Wiederaneignung einer kommunistischen Perspektive durch das gesamte Proletariat spielen. Somit war es nur folgerichtig, dass neben den beiden Veranstaltern auch die “Unabhängigen Rätekommunisten”, sowie die IKS Referate zu verschiedenen Aspekten dieser Frage hielten. Darüber hinaus nahmen eine Reihe anderer Beteiligter aktiv an der Diskussion teil. Dazu gehörten Teilnehmer von Diskussionskreisen aus Frankfurt a.M. und aus Bielefeld, der Herausgeber einer Broschürenreihe mit bordigistischer Ausrichtung (“Für internationale Arbeitermacht”), sowie Sympathisanten der IKS.
Die Thesen des Rätekommunismus und die Gefahr der Abkehr vom Marxismus
Das erste Referat, welches unter dem Titel “Der bürgerliche Charakter des Bolschewismus” durch die “Unabhängigen Rätekommunisten” vorgetragen wurde, bezog sich ausdrücklich auf die bekannten, von Helmut Wagner verfassten “Thesen über den Bolschewismus”. Die Hauptideen dieses Referates waren, dass der Bolschewismus vor 1917 einen “kleinbürgerlich-radikalen Charakter” besaß; dass die Oktoberrevolution eine “bürgerliche Revolution gegen die Bourgeoisie” und ein “bürgerlich-bürokratischer Putsch war; dass die Partei Lenins nach der Machtergreifung bereits zwischen 1917-21 vollständig in eine “staatskapitalistisch-reaktionäre Strömung” umwandelt wurde; und dass “wer von der bolschewistischen Konterrevolution nicht reden will, über den Stalinismus schweigen” sollte. In der Diskussion wurde von verschiedenen Seiten am Referat zunächst kritisiert, dass die internationale Dimension der damaligen Ereignisse völlig fehle. Schließlich wurde die Oktoberrevolution von seinen eigenen Protagonisten – und den Bolschewiki selbst an erster Stelle – als Auftakt zur Weltrevolution begriffen. Daraufhin räumte der Referent selbst ein, dass dieser Aspekt im Referat zu wenig beachtet worden sei. Doch die Kritiker des Referates beharrten zurecht darauf, dass diese Schwäche nicht zufällig aufgetreten ist, sondern Ergebnis eines alten, methodischen Fehlers des Rätekommunismus ist. Auch wenn das Referat einige Auffassungen des holländischen Rätekommunisten Cajo Brendel zur Russischen Revolution kritisiert, erklärt es ausdrücklich seine Übereinstimmung darin mit ihm, dass “die ökonomische Rückständigkeit Russ-lands” der Grund für “die soziale Schwäche der russischen Arbeiterklasse und das schließliche Unterliegen der russischen Rätebewegung” gewesen sei. Während also der Marxismus immer davon ausgegangen ist, dass der proletarische Klassenkampf und das Ringen um den Kommunismus nur international möglich sind, und dass die Russische Revolution folglich in erster Linie an ihrer internationalen Isolierung scheiterte, hat der Rätekommunismus stets versucht, die damaligen Ereignisse in Petrograd und Moskau als Produkt der russischen Verhältnisse darzustellen. Ebenso typisch ist die dramatische Unterschätzung der zentralen Bedeutung des proletarischen Internationalismus als entscheidendste Trennungslinie zwischen Bourgeoisie und Proletariat, wie folgende Aussage des Referates zeigt: “Sein (Lenins) Eintreten für den proletarischen Internationalismus während des ersten Weltkrieges war beispielhaft and besitzt auch heute noch eine große moralische Kraft, aber auch dies machte aus ihm keinen proletarischen Revolutionär.”
Der Rätekommunismus als Ausdruck des Vertrauensverlustes in die Arbeiterklasse
Eine Sympathisantin der IKS argumentierte, dass die Auffassung vom Oktober als eine bürgerliche Revolution einen Ausdruck des Vertrauensverlustes in die Arbeiterklasse und in den Marxismus darstellt. Zum einem, weil sie in dieser Frage der bürgerlichen Propaganda recht gibt, derzufolge der Stalinismus den Nachfolger und nicht den Totengräber des Bolschewismus darstellt. Damit wird der Auffassung über die Oktoberrevolution widersprochen, welche alle klassenbewussten Arbeiter – ein-schließlich aller konsequenten revolutionären Marxisten wie Luxemburg, Pannekoek oder Gorter – damals selbst vertreten haben, und zwar gegen Kautsky, die Menschewiki und die anderen Feinde der Revolution, welche allein eine bürgerliche Umwälzung in Russland für möglich hielten. Zum anderen, weil die Infragestellung des proletarischen Charakters der Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg (und der Bolschewiki als linke, revolutionäre Kraft darin), Tür und Tor öffnet für die Infragestellung des Marxismus selbst. Obwohl die “Unabhängigen Rätekommunisten” (UK) dieses Argument empört von sich wiesen (sie behaupteten vielmehr, die Verteidiger des proletarischen Charakters der Oktoberrevolution ließen es an Vertrauen in die Klasse missen), finden wir, dass die neueste Publikation dieser Rätekommunisten selbst veranschaulicht, wie sehr die Genossin recht hatte. In der Einleitung zur Broschüre “Der Terror des Kapitals” lesen wir: “Unser Weg führt nicht zurück zu Marx, sondern vorwärts zum nachmarxistischen Kommunismus”. Als Kostprobe dessen ist auf S. 27 über “Marxens Reformismus in seinen Vorstellungen zum Kommunismus” die Rede. “Während der Parteimarxismus aus den materiellen Interessen der Parteibürokratie heraus ihren Namenspatron im Reformismus weit überholten, ist es für sozialrevolutionäre ArbeiterInnen im Interesse ihrer Emanzipation an der Zeit, den Kommunismus von reformistischen Etappentheorien zu befreien. Dabei kann durchaus auch auf einiges Vernünftiges aus der anarchistischen Kritik am Marxismus zurückgegriffen werden –allerdings “nur” in der Staatsfrage!” Die UK Leute – “Nelke”, als Herausgeber der “Sozialen Befreiung” sowie “Red Devil”, welcher “Revolution Times” und “ibliothek des Widerstandes” (eine Broschürenreihe zur Geschichte der Arbeiterbewegung) herausgibt – entstammen dem Trotzkismus. Die Geschichte bietet genügend Beispiele dafür, wie Leute aus diesem Milieu, wenn sie sich proletarischen Positionen anzunähern versuchen, sich leicht im Anarchismus verirren bzw. in einen antiautoritären “Nachmarxismus” abgleiten, indem sie angesichts der stalinistischen Konterrevolution der “alten” marxistischen Arbeiterbewegung den Rücken kehren. Dies trifft beispielsweise für die “Revolutionären Kommunisten Deutschlands” zu, welche im 2. Weltkrieg internationalistische Positionen vertraten, sich aber in der Nachkriegszeit in Richtung Anarchismus politisch rückwärts entwickelten. Es triff auch für die Gruppe “Socialisme ou Barbarie” nach dem 2. Weltkrieg zu, welche spätere nichtmarxistische Strömungen wie Solidarity, den Operaismus oder den Modernismus beeinflusst hat. Und es ist bezeichnend, dass das “UK” Referat ausgiebig aus Texten von Socialisme ou Barbarie und Solidarity (Brintons “Die Bolschewiki und die Arbeiterkontrolle”) zitiert.
Die Frage der historischen Methode
Ein Genosse aus Frankfurt warf in der Diskussion ein, dass obwohl die Position des Rätekommunismus Schwächen aufweise, die Frage der Klassennatur der Oktoberrevolution zweitrangig sei. Stattdessen sollte man – schlug er vor – den Beitrag des Rätekommunismus bei der Aufdeckung der Degeneration der Revolution sowie die notwendige Kritik an den Fehlern der Arbeiterbewegung würdigen. Beispielsweise verdanken wir dem Rätekommunismus die Einsicht, dass nicht die Partei die Klasse zu organisieren und die Diktatur des Proletariats auszuüben habe, sondern die Klasse selbst mittels der Arbeiterräte. Die IKS antwortete auf diesen Einwand. Nicht der Rätekommunismus, der die Partei ohnehin ablehnt, sondern die KAPD sowie die Italienische Linke (Bilan) haben zur Klärung der Frage der Beziehung zwischen Partei und Klasse beigetragen. Im übrigen ist die Einschätzung der Klassennatur der Russischen Revolution eine Frage der historischen Methode, und somit entscheidend, damit die Revolutionäre von heute die Lehren aus der Geschichte ziehen können. Wir versuchten dies anhand des Beispieles der Parteifrage zu verdeutlichen. Der Rätekommunismus versucht, die Befürwortung der Parteidiktatur durch Lenin der Betonung der Eigenaktivität der Massen durch Marx oder Rosa Luxemburg entgegenzustellen. Doch während die Marxisten – einschließlich Lenin und Trotzki – stets betonten, dass die Befreiung des Proletariats nur das Werk des Proletariats selbst sein kann, herrschte insgesamt innerhalb der marxistischen Bewegung bis zur russischen Bewegung die Idee vor, dass die Diktatur des Proletariats von der Partei ausgeübt wird. Rosa Luxemburg war nicht weniger davon überzeugt wie Lenin. Der Grund dafür liegt darin, dass im 19. Jahrhundert die Partei (die außerdem zunehmend einen Massencharakter angenommen hatte) die einzige vorhandene Organisation war, welche die Interessen der Klasse insgesamt vertreten konnte – Gewerkschaften und Kooperativen traten immer nur für einzelne Gruppen von Arbeitern ein. Erst mit dem Herannahen der Niedergangsphase des Kapitalismus, als die Frage des Kampfes um die Macht auf die Tagesordnung der Geschichte gestellt wurde, erschien mit den Arbeiterräten die endlich gefundene Form der Diktatur des Proletariats. Aber auch dann konnten die Marxisten nicht sofort die volle Bedeutung der Sowjets erfassen. Während Trotzki 1905 begann, als erster die Wichtigkeit der zunächst in Russland in Erscheinung getretenen Räte zu würdigen, behandelt beispielsweise die ansonsten großartige Broschüre Rosa Luxemburgs über die russischen Massenstreiks die Rolle der Räte kaum. Erst Lenins “Staat und Revolution” von 1917 identifiziert die Diktatur des Proletariats eindeutig mit den Räten. Doch in seiner Schrift aus der Zeit vor der Machtergreifung wird die Rolle der Partei und des Übergangsstaates noch nicht deutlich von denen der Arbeiterräte unterschieden. Bei den Bolschewisten, Spartakisten, wie auch bei Pannekoek oder Gorter herrschte damals immer noch die Auffassung, dass innerhalb der Räte die Partei die Regierung zu bilden habe, welche die Mehrheit hinter sich vereine. Erst durch die tragische Erfahrung der Niederlage in Russland war es der Kommunistischen Linken möglich, ein tieferes Verständnis der Beziehung zwischen Partei und Klasse in der Epoche von Krieg und Revolution zu entwickeln. Der Rätekommunismus hingegen geht mit einer idealistischen, ahistorischen Methode an das Problem heran, indem er proletarische Strömungen als bürgerlich oder kleinbürgerlich abstempelt, weil sie Fragen noch nicht verstanden hatten, die aufgrund der mangelnden Erfahrung der gesamten Arbeiterbewegung noch gar nicht verstanden werden konnten.
Die Position Trotzkis und die Frage des Staates nach der Machtergreifung
Das Referat der GIS lieferte wichtige Elemente einer Kritik der Auffassung Trotzkis über die Degeneration der Revolution. Es zeigte auf, wie Trotzkis unmaterialistische, bloß juristische Definition des durch die Revolution entstandenen Staats als “Arbeiterstaat” ihn blind machte für die Hauptgefährdung der Diktatur des Proletariats. Denn angesichts der Niederlage der Weltrevolution wurde dieser Staat selbst zum Hauptinstrument der stalinistischen Konterrevolution. Das Referat erinnerte daran, dass die Oktoberrevolution den Kapitalismus nicht abgeschafft hatte, da dies nur auf Weltebene möglich wäre. Folglich könnte nach einer politischen Entmachtung der Arbeiterklasse das Regime auch ohne Privatkapitalisten nur einen kapitalistischen Charakter haben. Wir begrüßen das Referat der GIS als einen Schritt hin zum notwendigen radikalen Bruch mit dem Trotzkismus. Allerdings fiel uns auf, dass die Genossen sich dabei noch nicht ausdrücklich auf die Vorarbeit der Kommunistischen Linken in dieser Frage gestützt haben. Während also Trotzkis Bezeichnung der Sowjetunion unter Stalin als “degenerierter Arbeiterstaat” klar verworfen wurde, herrschte in der Diskussion die Auffassung vor, dass nach der Revolution Staat und Arbeiterräte gleichzusetzen seien. Dies ist die klassische Position, welche Lenin in “Staat und Revolution” vertrat. Doch die historische Erfahrung nach der Machtergreifung zwang Lenin dazu anzuerkennen, dass es eine starke Tendenz des Staatsapparates gibt, sich gegenüber der Arbeiterklasse zu verselbständigen. Daraus schloss später die Italienische Fraktion, dass sowohl die Arbeiterräte als auch die Partei ihre Autonomie gegenüber dem Staat unbedingt verteidigen müssen, und dass der Übergangsstaat - dieser potenzielle Träger der Konterrevolution – gar nicht mehr als “Arbeiterstaat” bezeichnet werden sollte. Zu dieser Frage gab es auch eine sehr interessante Diskussion. Der Herausgeber der Reihe “für internationale Arbeitermacht” hob außerdem zurecht die Notwendigkeit hervor, mit dem Trotzkismus insgesamt zu brechen, insbesondere mit der bürgerlichen Ideologie der Demokatie, welche über die Befürwortung einer “Einheitsfront” mit der Sozialdemokratie bis hin zum Aufruf zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie gegen rechts den späteren Verrat des Trotzkismus an der Arbeiterklasse vorbereitete. Auch Trotzkis Forderung nach einer “Demokratisierung” der degenerierenden KPs, anstatt einen kompromisslosen Kampf der Revolutionäre gegen den Stalinismus innerhalb dieser Parteien zu befürworten, zeigte diese demokratistische Schwäche auf.
Die Position Bordigas und die Methode der Gruppe Aufbrechen
Das Referat von Aufbrechen über die Stellung Amadeo Bordigas zur Russischen Revolution bestand fast ausschließlich aus einer Aneinanderreihung von – zugegebenermaßen sehr interessanten - Zitaten vornehmlich aus dem Grundsatztext der IKP “Bilanz einer Revolution”. Aufbrechen kündigte das Vorhaben an, Teile dieses Textes, mit einer eigenen Einleitung versehen, wiederzuveröffentlichen. Aus dem Enthusiasmus, mit dem der referierende Genosse Bordigas Auffassung zum besten gab, konnte man den Eindruck gewinnen, dass zumindest Teile der Aufbrechengruppe ihre bisherige eher “rätistische” Auffassung vom Oktober als eine rein bürgerliche Revolution nicht mehr aufrechterhalten. Allerdings: auch wenn Bordiga stets den proletarischen Charakter des roten Oktobers verteidigt hat, unterscheiden sich die rätistischen und die bordigistischen Sichtweisen gegenüber den russischen Ereignissen in vielerlei Hinsichten gar nicht so sehr. So lehnen beide die Einsicht der Kommunistischen Internationalen von 1919 ab, derzufolge der Kapitalismus seit 1914 in seine Dekadenzphase eingetreten war. Beide glauben daran, dass es in Russland 1917 Aufgaben der bürgerlichen Revolution gab, welche die Bolschewisten, und nach ihnen die Stalinisten erledigt haben. Sowohl Bordiga als auch Cajo Brendel sind davon ausgegangen, dass es außer Russland auch andere Teile der Welt gab, wo nach 1917 bürgerliche Revolutionen und somit fortschrittliche nationale Befreiungsbewegungen noch möglich waren. Das Aufbrechen-Referat verdeutlichte eine alte Unterschätzung der Aufgabe der politischen Klärung durch diese Gruppe, die es bis heute stets unterlassen hat, Positionsänderungen klar anzugeben und zu rechtfertigen, oder die Öffentlichkeit über den Stand der eigenen Diskussionen zu informieren. So ist auf dieser Veranstaltung nicht klar geworden, welche Position die Gruppe oder einzelne ihrer Mitglieder zur Russischen Revolution überhaupt vertreten.
Die Wichtigkeit der politischen Klärung
Nachdem das Referat der IKS einige der wichtigsten Lehren in Erinnerung gerufen hatte, welche die Kommunistische Linke aus der russischen Erfahrung gezogen hat, führten wir zu den Aufgaben von heute u.a. aus: “Wir betrachten es als unsere Aufgabe, all die suchenden Elemente, die sich nicht mehr mit den Antworten der Bourgeoisie zufriedengeben, mit den Antworten des Linkskommunismus vertraut zu machen. Wir sehen es als unsere erste Pflicht an, innerhalb des politischen Milieus den Prozess der politischen Klärung voranzutreiben. Wir wollen damit unseren Beitrag zum Aufbau einer künftigen kommunistischen Weltpartei leisten – eine Partei die, wie die russische Revolution gezeigt hat, lebensnotwendig ist”. Tatsächlich bildete das Berliner Treffen einen wichtigen Beitrag zu diesem Klärungsprozess. Während der Rätekommunismus glaubt, dass das proletarische Klassenbewusstsein sich beinahe ausschließlich in den unmittelbaren Arbeiterkämpfen entwickelt, und der Bordigismus einseitig die Partei als die Quelle des Bewusstseins betrachtet, hat der Marxismus schon immer auf das Phänomen der unterirdischen Bewusstseinsentwicklung hingewiesen. Diese Reifung der Klasse außerhalb der Phasen des offenen Kampfes findet einen ihrer wichtigsten Ausdrücke in der Bestrebung politisierter Minderheiten nach öffentlicher Debatte und politischer Klärung. Dieser Prozess der theoretischen Vertiefung und der politischen Bildung dient sowohl der Radikalisierung der künftigen Arbeiterkämpfe als auch der Vorbereitung der kommunistischen Weltpartei. Dieser Prozess kann nicht vonstatten gehen, wenn jeder in seiner Ecke für sich zu klären versucht, sondern erfordert die ehrliche, furchtlose, der Sache die-nende, öffentliche Konfrontation der Ideen unter den Kommunisten. Die Beteiligten beschlossen die Veröffentlichung der jeweiligen Einleitungsreferate, um die Debatte einem größeren Kreis zugänglich zu machen. Dass gerade in Deutschland – dem Land, wo die Weltrevolution am Ende des 1. Weltkrieges ihre entscheidende Niederlage erfuhr, und damit zum Dreh- und Angelpunkt der darauf folgenden sozialdemokratischen, stalinistischen und nationalsozialistischen Konterrevolution wurde – heute wieder solche öffentlichen, solidarisch geführten, theoretischen Diskussionen stattfinden, ist ein ermutigendes Signal für die Revolutionäre aller Länder. Der theoretisch-politischen Klärung soviel Aufmerksamkeit zu widmen, ist auch ein wichtiges Signal gegenüber dem weitverbreiteten perspektivlosen Aktionismus und ungeduldigen Tatendrang, der von den meisten Gruppen der extremen Linken gegenüber den auf der Suche befindlichen politisierten Leuten propagiert wird. Die IKS tritt entschieden für die Fortsetzung solcher Debatten zu den Schlüsselthemen des Klassenkampfes ein, damit das Potenzial der politischen Reifung unter Minderheiten der Klasse nicht vergeudet wird und für das Proletariat insgesamt verloren geht.
IKS
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