Die Arbeiterkämpfe in Italien 1943

Printer-friendly version
 Im 1. Weltkrieg stellte sich die Arbeiterklasse vor allem in Rußland und in Deutschland zu­nehmend gegen den Krieg. Die Auf­standsbewegung in Rußland von Febr. bis Oktober 1917 und die revolutionäre Bewe­gung in Deutschland im Nov. 1918 sorgten dafür, daß der Krieg zu Ende gebracht wurde. Wäh­rend aber die Reaktion der Ar­beiterklasse ge­gen den 1. Weltkrieg relativ gut bekannt ist, sind die wenigen Phasen intensi­ven Klassen­kampfes während des 2. Welt­kriegs kaum be­kannt. Vor allem die Arbeiter in Italien setzten sich ab 1943 gegen den Krieg zur Wehr. Die Bürgerlichen jedoch stellen die Kämpfe in Ita­lien als einen Anfang der "antifaschistischen Resistance" dar. Die­ses Jahr - 50 Jahre nach diesen Kämpfen - haben die italienischen Ge­werkschaften ge­nau die­sen Mythos wieder verbreiten wollen.

1943: DAS ITALIENISCHE PROLETA­RIAT WEHRT SICH GEGEN OPFER FÜR DEN KRIEG

In der 2. Jahreshälfte 1942, als der Ausgang des Krieges immer noch offen stand, und der Faschismus noch fest im Sattel zu sitzen schien, gab es in den großen Fabriken im Nor­den Italiens sporadische Streiks gegen die Ra­tionierungen und für Lohnerhöhungen. Der Krieg hatte eine große Unzufriedenheit in der arbeitenden Bevölkerung hervorgebracht.

Am 5. März 1943 legten Arbeiter bei Mira­fiori in Turin die Arbeit nieder. Die Bewegung dehnte sich binnen Tagen auf andere Fabriken aus; Tausende von Arbeiter schlossen sich ihr an. Die Forderungen waren klar und einfach: Erhöhung der Lebensmittelrationierungen, Lohnerhöhungen und Beendigung des Krieges. Im gleichen Monat griff die Bewe­gung über auf die großen Fabriken von Mai­land, die ganze Lombardei, Ligurien und an­dere Teile Italiens.

Die faschistische Regierung reagierte mit Zuc­kerbrot und Peitsche: Sie verhaftete die be­kanntesten Arbeiter, machte aber auch Kon­zessionen gegenüber einigen unmittelbaren Forderungen. Auch wenn Mussolini hinter den Aktionen der Arbeiter antifaschistische Drahtzieher vermutete, konnte er es sich nicht leisten, daß die Bewegung noch weiter Auf­trieb erhielt. Die Vermutung, daß Antifaschi­sten hinter dieser Bewegung steckten, war falsch. Die Streiks waren vollkommen spon­tan, sie wurden von den Arbeitern selber aus­gerufen. Auslöser war die Unzufriedenheit mit den Entbehrungen durch den Krieg gewesen. Selbst "faschistische" Arbeiter beteiligten sich am Streik.

Diese Bewegung jagte den Herrschenden Angst ein - und diese Angst vor der Arbeiter­klasse überstieg die Angst vor dem Feind auf dem imperialistischen Schlachtfeld. Die Streiks verdeutlichten der herrschenden Klasse, daß das faschistische Regime kein ad­äquates Mittel war, um die Wut der Arbeiter unter Kontrolle zu halten. Die Herrschenden beschlossen, das faschistische Regime abzulö­sen und ihre "demokratischen" Kräfte neu zu organisieren...

Am 25. Juli 1943 ließ der König Mussolini ab­setzen. Der General Badoglio sollte eine neue Regierung bilden. Erste Priorität dieser Regie­rung war die Neugründung "demokratischer" Gewerkschaften, um neue Staudämme aufzu­bauen, die dazu dienten, Forderungen der Ar­beiter aufzuhalten. In der Zwischenzeit hatten die Arbeiter ihre eigenen Organe geschaffen, die Bewegung drohte au­ßer Kontrolle zu gera­ten. Der alte sozialisti­sche Gewerkschaftsfüh­rer Bruno Buozzi wurde freigelassen und wie­der an die Spitze dieser neuen Gewerkschaften gestellt. An seine Seite traten der "Kommunist" (Stalinist!) Roveda und der Christdemokrat Quadrello. Die Herrschenden hatten gut aus­gewählt. Buozzi war einer der Streikführer von 1922 gewesen (damals waren insbesondere im Nor­den viele Fabriken besetzt worden). Schon 1922 hatte er alles unternommen, um der Be­wegung die Spitze zu brechen.

Aber nicht nur mit der bürgerlichen Demo­kratie und ihren falschen Versprechungen hat­ten die Arbeiter zu kämpfen.

Wenn sie das faschistische Regime verwarfen, dann vor allem weil sie nicht mehr die Opfer bringen wollten, die ihnen der Krieg auf­zwang. Aber die Regierung Badoglio ver­langte von ih­nen, den Krieg weiter zu unter­stützen.

Deshalb traten Mitte August 1943 die Arbeiter von Turin und Mailand erneut in den Streik und forderten vehementer als je zuvor das Ende des Krieges. Und wieder antwortete die Verwaltung vor Ort mit Repression. Noch ef­fektiver jedoch war die Reise von Piccardi, Buozzi und Roveda in den Norden, um die "Stellvertreter" der Arbeiter zu treffen und sie zu bewegen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Selbst bevor sie noch ihre Organisation wie­deraufgebaut hatten, fingen die "demokratischen" Gewerkschafter ihre Drecksarbeit gegen die Arbeiter an.

Durch die Repression, durch Konzessionen und Ver­sprechungen in die Enge getrieben, warteten die Arbeiter der Dinge. Dann über­schlug sich alles. Im Juli 1943 waren die Alli­ierten in Si­zilien gelandet. Am 8. Sept. unter­schrieb Ba­doglio mit ihnen den Waffenstill­stand, flüch­tete mit dem König in den Süden und forderte die Regierung auf, den Krieg ge­gen die Nazis und die Faschisten fortzusetzen. Darauf kam es zu einer chaotischen Teilauflö­sung der Ar­mee. Viele Soldaten legten ihre Uniform nie­der, kehrten nach Hause zurück oder ver­steckten sich.

Die Arbeiter, die es nicht schafften, sich auf ihrem Klassenterrain zur Wehr zu setzen, wollten nicht die Waffen gegen die Deutschen richten. Stattdessen nahmen sie die Arbeit wie­der auf, bereit für ihre eigenen Forderungen genauso gegenüber den neuen Machthabern in Nordi­talien einzutreten. Italien war zu dem Zeitpunkt in zwei Teile gespalten. Im Süden standen die Truppen der Alliierten und eine dem Schein nach legale Regierung, im Nor­den dagegen hatten die Faschisten erneut das Kommando übernommen, oder genauer gesagt die deutschen Truppen.

Obgleich der Krieg nicht mehr von der Bevöl­kerung getragen wurde, wurde er fortgesetzt. Die Bombardierungen Norditaliens durch die Alliierten nahmen zu, die Lebensbedingungen der Arbeiter verschlechterten sich noch mehr. Mitte November-Dezember nahmen die Ar­beiter wieder den Kampf auf! Und diesmal gab es eine noch brutalere Repression. Neben den Verhaftungen wurde diesmal gedroht: Ver­schleppung nach Deutschland.

Die Arbeiter verteidigten mutig ihre Forde­rungen. Im November traten die Arbeiter in Turin in Streik, ein Großteil ihrer Forderun­gen wurde erfüllt. Anfang Dezember streikten die Arbeiter in Mailand. Wiederum Verspre­chungen und Drohungen seitens der deutschen Behörden. In Genua demonstrierten die Ar­beiter am 16. Dezember; die deutsche Wehr­macht übte eine Repression aus. Aber trotzdem gab es weiter Proteste in ganz Ligurien.

Aber es war ein Wendepunkt eingetreten. Die deutschen Behörden, die riesige Schwie­rigkeiten an der Front hatten, konnten keine Einbrüche an der Produktionsfront hinneh­men. Die Bewegung fing an, ihren spon­tanen Cha­rakter zu verlieren. Die "antifaschistischen" Kräfte versuchten, den Arbeiterforderungen ein neues Gewand über­zustreifen - sie nannten sie eine "Befreiungsbewegung vom Faschis­mus".

Obwohl es bis zum Frühjahr 1944 und gar bis 1945 noch vereinzelt Streiks gab, hatten sich viele Arbeiter, um der Repression zu entwei­chen, in den Bergen versteckt. Viele von ih­nen traten jedoch auch in die Partisanenver­bände ein.


DIE KÄMPFE VON 1943: KEIN ANTIFA­SCHISTISCHER, SONDERN EIN KLAS­SENKAMPF

Die Bourgeoisie stellt die ganze Streikbewe­gung von 1943-45 als eine antifaschistische Bewegung dar. Wir haben gezeigt, daß das falsch ist. Die Arbeiter kämpften gegen den Krieg und die ihnen aufgezwungenen Opfer. Sie prallten mit den Faschisten zusammen, als diese an der Macht waren (im März), der Re­gierung Badoglio, die nicht mehr faschistisch war (im August), mit den Nazis, als diese in Norditalien die Macht ausübten (im Dezem­ber).

Die westlichen Alliierten verzöger­ten ihren Vormarsch auf die norditalienischen Industrie­zentren so lange, bis die deutschen Be­satzer die Arbeiter gewaltsam niedergeworfen hatten. An­statt den Arbeitern zu Hilfe zu eilen, bombar­dierten die amerikanischen und briti­schen Luftwaffen gezielt die Fabriken des Nor­dens, um so ihren Teil zum Abschlachten der Arbeiter beizusteuern.

Die "demokratischen" Kräfte der bürgerlichen Linken in Italien versuchten von Anfang an, mit der "Kommunistischen Partei" an ihrer Spitze, den Klassenkampf der Arbeiter auf ein bürgerliches Terrain zu lenken - den des "patriotischen und antifaschistischen" Kampfes. Dabei hatten die bürgerlichen Lin­ken aber große Schwierigkeiten, denn aus der Sicht der Arbeiterklasse waren die Kämpfe immer gegen das Kapital insgesamt und nicht gegen eine besondere Fraktion des Kapitals ge­richtet. "Erinnern wir uns, wie wir uns am Anfang des Befreiungskampfes anstrengen mußten, den Arbeitern und Bauern beizubrin­gen, die wußten, daß sie natürlich gegen die Deutschen kämpfen mußten, die aber sagten: Wir meinen, ob unsere Kapitalisten Deutsche oder Italiener sind, das macht wirklich keinen großen Unterschied" (E. Sereni, ein Führer der damaligen KP).

Der antifaschistische Kampf war ein vollkom­men patriotischer und national-bürgerlicher Kampf, der nicht die Grundlage der Herr­schaft des Kapitals infragestellte. Im Gegen­teil.

Der Antifaschismus zielt stets darauf, das Pro­letariat hinter eine angeblich menschli­chere oder fortschrittlichere Fraktion des Ka­pitals gegen eine andere zu mobilisieren. Die Arbei­ter sollen nicht für ihre eigenen Interessen, sondern für die des Kapitals kämpfen. Damit werden sie für den imperialistischen Krieg als Kanonenfutter mobilisiert - in diesen Fall für den "westlichen" Block zusammen mit dem "sowjetischen" Imperialismus und ihren italieni­schen Verbündeten gegen Deutschland. Dage­gen unterstützten die Internationalisten der marxistischen Linken die Arbeiterstreiks gegen den Krieg sowie die Umwandlung des impe­rialistischen Krieges in einen Klassenkrieg der internationalen Arbeiterklasse gegen das Kapital im Ganzen.


50 JAHRE NACH 1943 MUSS DIE AR­BEITERKLASSE DIE LEHREN ZIEHEN

Während das Proletariat den 1. Weltkrieg durch die Entfaltung seiner Kämpfe zu Ende bringen konnte, gelang ihm dies im 2. Welt­krieg nicht. Wir müssen deshalb hier einige Hauptlehren aufzeigen.

Die Ereignisse von 1943 beweisen, daß der Krieg nicht die günstigsten Voraussetzungen für die proletarische Revolution schafft. Heute würde ein neuer Krieg so viele Zerstörungen mit sich bringen, daß die Arbeiterklasse selber zum Großteil, ja die Menschheit insgesamt vernichtet würde. Die Arbeiter müssen also unbedingt vor einem Krieg handeln. Ja ihr Handeln verhindert den Krieg!

Denn im Falle eines Weltkrieges mit seinem unvergleichlichen Zerstörungspotential wird es zu spät sein. Helios.

(Auszug aus einem Artikel in der "International Review" Nr. 75, der vollstän­dige Artikel kann bei der Kontaktadresse an­gefordert werden). Mehr Hintergrundmaterial in unserer Broschüre "Die Italienische Linke".

Historische Ereignisse: 

Erbe der kommunistischen Linke: