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1943: DAS ITALIENISCHE PROLETARIAT WEHRT SICH GEGEN OPFER FÜR DEN KRIEG
In der 2. Jahreshälfte 1942, als der Ausgang des Krieges immer noch offen stand, und der Faschismus noch fest im Sattel zu sitzen schien, gab es in den großen Fabriken im Norden Italiens sporadische Streiks gegen die Rationierungen und für Lohnerhöhungen. Der Krieg hatte eine große Unzufriedenheit in der arbeitenden Bevölkerung hervorgebracht.
Am 5. März 1943 legten Arbeiter bei Mirafiori in Turin die Arbeit nieder. Die Bewegung dehnte sich binnen Tagen auf andere Fabriken aus; Tausende von Arbeiter schlossen sich ihr an. Die Forderungen waren klar und einfach: Erhöhung der Lebensmittelrationierungen, Lohnerhöhungen und Beendigung des Krieges. Im gleichen Monat griff die Bewegung über auf die großen Fabriken von Mailand, die ganze Lombardei, Ligurien und andere Teile Italiens.
Die faschistische Regierung reagierte mit Zuckerbrot und Peitsche: Sie verhaftete die bekanntesten Arbeiter, machte aber auch Konzessionen gegenüber einigen unmittelbaren Forderungen. Auch wenn Mussolini hinter den Aktionen der Arbeiter antifaschistische Drahtzieher vermutete, konnte er es sich nicht leisten, daß die Bewegung noch weiter Auftrieb erhielt. Die Vermutung, daß Antifaschisten hinter dieser Bewegung steckten, war falsch. Die Streiks waren vollkommen spontan, sie wurden von den Arbeitern selber ausgerufen. Auslöser war die Unzufriedenheit mit den Entbehrungen durch den Krieg gewesen. Selbst "faschistische" Arbeiter beteiligten sich am Streik.
Diese Bewegung jagte den Herrschenden Angst ein - und diese Angst vor der Arbeiterklasse überstieg die Angst vor dem Feind auf dem imperialistischen Schlachtfeld. Die Streiks verdeutlichten der herrschenden Klasse, daß das faschistische Regime kein adäquates Mittel war, um die Wut der Arbeiter unter Kontrolle zu halten. Die Herrschenden beschlossen, das faschistische Regime abzulösen und ihre "demokratischen" Kräfte neu zu organisieren...
Am 25. Juli 1943 ließ der König Mussolini absetzen. Der General Badoglio sollte eine neue Regierung bilden. Erste Priorität dieser Regierung war die Neugründung "demokratischer" Gewerkschaften, um neue Staudämme aufzubauen, die dazu dienten, Forderungen der Arbeiter aufzuhalten. In der Zwischenzeit hatten die Arbeiter ihre eigenen Organe geschaffen, die Bewegung drohte außer Kontrolle zu geraten. Der alte sozialistische Gewerkschaftsführer Bruno Buozzi wurde freigelassen und wieder an die Spitze dieser neuen Gewerkschaften gestellt. An seine Seite traten der "Kommunist" (Stalinist!) Roveda und der Christdemokrat Quadrello. Die Herrschenden hatten gut ausgewählt. Buozzi war einer der Streikführer von 1922 gewesen (damals waren insbesondere im Norden viele Fabriken besetzt worden). Schon 1922 hatte er alles unternommen, um der Bewegung die Spitze zu brechen.
Aber nicht nur mit der bürgerlichen Demokratie und ihren falschen Versprechungen hatten die Arbeiter zu kämpfen.
Wenn sie das faschistische Regime verwarfen, dann vor allem weil sie nicht mehr die Opfer bringen wollten, die ihnen der Krieg aufzwang. Aber die Regierung Badoglio verlangte von ihnen, den Krieg weiter zu unterstützen.
Deshalb traten Mitte August 1943 die Arbeiter von Turin und Mailand erneut in den Streik und forderten vehementer als je zuvor das Ende des Krieges. Und wieder antwortete die Verwaltung vor Ort mit Repression. Noch effektiver jedoch war die Reise von Piccardi, Buozzi und Roveda in den Norden, um die "Stellvertreter" der Arbeiter zu treffen und sie zu bewegen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Selbst bevor sie noch ihre Organisation wiederaufgebaut hatten, fingen die "demokratischen" Gewerkschafter ihre Drecksarbeit gegen die Arbeiter an.
Durch die Repression, durch Konzessionen und Versprechungen in die Enge getrieben, warteten die Arbeiter der Dinge. Dann überschlug sich alles. Im Juli 1943 waren die Alliierten in Sizilien gelandet. Am 8. Sept. unterschrieb Badoglio mit ihnen den Waffenstillstand, flüchtete mit dem König in den Süden und forderte die Regierung auf, den Krieg gegen die Nazis und die Faschisten fortzusetzen. Darauf kam es zu einer chaotischen Teilauflösung der Armee. Viele Soldaten legten ihre Uniform nieder, kehrten nach Hause zurück oder versteckten sich.
Die Arbeiter, die es nicht schafften, sich auf ihrem Klassenterrain zur Wehr zu setzen, wollten nicht die Waffen gegen die Deutschen richten. Stattdessen nahmen sie die Arbeit wieder auf, bereit für ihre eigenen Forderungen genauso gegenüber den neuen Machthabern in Norditalien einzutreten. Italien war zu dem Zeitpunkt in zwei Teile gespalten. Im Süden standen die Truppen der Alliierten und eine dem Schein nach legale Regierung, im Norden dagegen hatten die Faschisten erneut das Kommando übernommen, oder genauer gesagt die deutschen Truppen.
Obgleich der Krieg nicht mehr von der Bevölkerung getragen wurde, wurde er fortgesetzt. Die Bombardierungen Norditaliens durch die Alliierten nahmen zu, die Lebensbedingungen der Arbeiter verschlechterten sich noch mehr. Mitte November-Dezember nahmen die Arbeiter wieder den Kampf auf! Und diesmal gab es eine noch brutalere Repression. Neben den Verhaftungen wurde diesmal gedroht: Verschleppung nach Deutschland.
Die Arbeiter verteidigten mutig ihre Forderungen. Im November traten die Arbeiter in Turin in Streik, ein Großteil ihrer Forderungen wurde erfüllt. Anfang Dezember streikten die Arbeiter in Mailand. Wiederum Versprechungen und Drohungen seitens der deutschen Behörden. In Genua demonstrierten die Arbeiter am 16. Dezember; die deutsche Wehrmacht übte eine Repression aus. Aber trotzdem gab es weiter Proteste in ganz Ligurien.
Aber es war ein Wendepunkt eingetreten. Die deutschen Behörden, die riesige Schwierigkeiten an der Front hatten, konnten keine Einbrüche an der Produktionsfront hinnehmen. Die Bewegung fing an, ihren spontanen Charakter zu verlieren. Die "antifaschistischen" Kräfte versuchten, den Arbeiterforderungen ein neues Gewand überzustreifen - sie nannten sie eine "Befreiungsbewegung vom Faschismus".
Obwohl es bis zum Frühjahr 1944 und gar bis 1945 noch vereinzelt Streiks gab, hatten sich viele Arbeiter, um der Repression zu entweichen, in den Bergen versteckt. Viele von ihnen traten jedoch auch in die Partisanenverbände ein.
DIE KÄMPFE VON 1943: KEIN ANTIFASCHISTISCHER, SONDERN EIN KLASSENKAMPF
Die Bourgeoisie stellt die ganze Streikbewegung von 1943-45 als eine antifaschistische Bewegung dar. Wir haben gezeigt, daß das falsch ist. Die Arbeiter kämpften gegen den Krieg und die ihnen aufgezwungenen Opfer. Sie prallten mit den Faschisten zusammen, als diese an der Macht waren (im März), der Regierung Badoglio, die nicht mehr faschistisch war (im August), mit den Nazis, als diese in Norditalien die Macht ausübten (im Dezember).
Die westlichen Alliierten verzögerten ihren Vormarsch auf die norditalienischen Industriezentren so lange, bis die deutschen Besatzer die Arbeiter gewaltsam niedergeworfen hatten. Anstatt den Arbeitern zu Hilfe zu eilen, bombardierten die amerikanischen und britischen Luftwaffen gezielt die Fabriken des Nordens, um so ihren Teil zum Abschlachten der Arbeiter beizusteuern.
Die "demokratischen" Kräfte der bürgerlichen Linken in Italien versuchten von Anfang an, mit der "Kommunistischen Partei" an ihrer Spitze, den Klassenkampf der Arbeiter auf ein bürgerliches Terrain zu lenken - den des "patriotischen und antifaschistischen" Kampfes. Dabei hatten die bürgerlichen Linken aber große Schwierigkeiten, denn aus der Sicht der Arbeiterklasse waren die Kämpfe immer gegen das Kapital insgesamt und nicht gegen eine besondere Fraktion des Kapitals gerichtet. "Erinnern wir uns, wie wir uns am Anfang des Befreiungskampfes anstrengen mußten, den Arbeitern und Bauern beizubringen, die wußten, daß sie natürlich gegen die Deutschen kämpfen mußten, die aber sagten: Wir meinen, ob unsere Kapitalisten Deutsche oder Italiener sind, das macht wirklich keinen großen Unterschied" (E. Sereni, ein Führer der damaligen KP).
Der antifaschistische Kampf war ein vollkommen patriotischer und national-bürgerlicher Kampf, der nicht die Grundlage der Herrschaft des Kapitals infragestellte. Im Gegenteil.
Der Antifaschismus zielt stets darauf, das Proletariat hinter eine angeblich menschlichere oder fortschrittlichere Fraktion des Kapitals gegen eine andere zu mobilisieren. Die Arbeiter sollen nicht für ihre eigenen Interessen, sondern für die des Kapitals kämpfen. Damit werden sie für den imperialistischen Krieg als Kanonenfutter mobilisiert - in diesen Fall für den "westlichen" Block zusammen mit dem "sowjetischen" Imperialismus und ihren italienischen Verbündeten gegen Deutschland. Dagegen unterstützten die Internationalisten der marxistischen Linken die Arbeiterstreiks gegen den Krieg sowie die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Klassenkrieg der internationalen Arbeiterklasse gegen das Kapital im Ganzen.
50 JAHRE NACH 1943 MUSS DIE ARBEITERKLASSE DIE LEHREN ZIEHEN
Während das Proletariat den 1. Weltkrieg durch die Entfaltung seiner Kämpfe zu Ende bringen konnte, gelang ihm dies im 2. Weltkrieg nicht. Wir müssen deshalb hier einige Hauptlehren aufzeigen.
Die Ereignisse von 1943 beweisen, daß der Krieg nicht die günstigsten Voraussetzungen für die proletarische Revolution schafft. Heute würde ein neuer Krieg so viele Zerstörungen mit sich bringen, daß die Arbeiterklasse selber zum Großteil, ja die Menschheit insgesamt vernichtet würde. Die Arbeiter müssen also unbedingt vor einem Krieg handeln. Ja ihr Handeln verhindert den Krieg!
Denn im Falle eines Weltkrieges mit seinem unvergleichlichen Zerstörungspotential wird es zu spät sein. Helios.
(Auszug aus einem Artikel in der "International Review" Nr. 75, der vollständige Artikel kann bei der Kontaktadresse angefordert werden). Mehr Hintergrundmaterial in unserer Broschüre "Die Italienische Linke".