1984-85: Lehren aus dem britischen Bergarbeiterstreik

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Zehn Jahre sind seit dem Ende des britischen Bergarbeiterstreiks vergangen. Zehn Jahre, in denen die meisten Bergarbeiter arbeitslos gewor­den sind, die Bergarbeitersiedlungen noch weiter den Auswirkungen des gesellschaftlichen Zerfalls, der wachsenden Kriminalität, der Drogensucht und dem Zerbröckeln der Klassensolidarität ausgesetzt wurden, und in denen das kapitalistische Motto ‘Jeder für sich’ verbreitet wurde. 10 Jahre nach dem britischen Bergarbeiterstreik will die herrschende Klasse uns die Botschaft eintrichtern: ‘der Kampf lohnt sich nicht’. Um aber die Bedeutung des Bergarbeiterstreiks wirklich zu begreifen, müssen wir die Lüge verwerfen, derzufolge es sich damals um einen Kampf zwischen Gewerkschaften und den Tories gehandelt habe, zwischen Thatcher und A. Scargill (dem Bergarbeitergewerkschaftsführer). Statt dessen müssen wir den Kampf als eine Auseinandersetzung zwischen der Arbeiterklasse und der gesamten Bourgeoisie auffassen, wobei die Arbeiter auch und vor allem mit dem linken Flügel des Kapitals und den Gewerkschaften zusam­menprallten.

Die Dynamik des Bergarbeiterstreiks

Der Bergarbeiterstreik, der im Frühjahr 1984 ausbrach, fing nicht unter der Kontrolle der Ge­werkschaften an. ‘Anfangs dehnte sich der Streik als ein wilder Streik aus, als Bergarbeiter in Schottland und Wales fliegende Streikposten bildeten, um die Bergarbeiter anderer Bergwerke aufzurufen, sich ihrem Kampf gegen die Zechen­stillegungen anzuschließen.’ (aus unserer Zeitung in Großbritannien, ‘World Revolution’ Nr. 128) Die Bergarbeitergewerkschaft NUM lief den Arbeitern einige Tage hinterher; erst nachdem sie den Streik für offiziell erklärt hatte, konnte sie ihn unter ihre Kontrolle bringen.

Der Bergarbeiterstreik trug viele typische Züge der internationalen Kampfwelle, die 1983 in Bel­gien begonnen hatte. In dieser Kampfwelle zeich­neten sich die Kämpfe durch eine Reihe von Ei­genschaften aus, die eine Reifung des Klassenbe­wußtseins der Arbeiterklasse widerspiegelten:

‘- eine Tendenz zum Auftauchen von spontanen Bewegungen, die eine gewisse Überwindung der Gewerkschaften zeigten;

- eine Tendenz hin zu breitgefächerten Massen­bewegungen,

- eine wachsende Gleichzeitigkeit von Kämpfen auf internationaler Ebene,

- einen langsamen Rhythmus der Entfaltung der Kämpfe’ (‘International Review’, engl. Ausgabe, Nr. 38)

Binnen einer Woche dehnte sich der Streik auf die meisten Zechen und auf Nottingham aus. Und als Bergarbeiterstreikposten zu den Kraftwerken und den Werften zogen, um die Solidarität dieser Arbeiter einzufordern, schien eine noch größere Ausdehnung wahrscheinlich. Die Gewerkschaften konnten dies jedoch verhindern, indem sie die ganze Aufmerksamkeit auf die noch arbeitenden Bergarbeiter lenkten. Im Juli 1984 stand die Frage der Ausdehnung des Kampfes jedoch wieder auf der Tagesordnung, als die Hafenarbeiter ebenfalls in den Streik traten: ‘Dies änderte die Lage voll­kommen; es gab nunmehr ein wirkliches Potential dafür, daß die beiden Kämpfe sich miteinander verbinden würden. Davor hatte die herrschende Klasse am meisten Angst, denn wenn die Bergar­beiter und die Docker sich vereinigt hätten, hätte das ein Beispiel für die ganze Klasse gesetzt’ (‘World Revolution’ Nr. 128).

Die Frage der Ausdehnung trat zwar weniger deutlich, aber dennoch ebenfalls im November auf, als die Automobilarbeiter streikten. Jedoch war zum damaligen Zeitpunkt schon die aufwärtsstre­bende Bewegung der Bergarbeiter insbesondere hin zur Ausdehnung der Streiks, größtenteils von den Gewerkschaften gebrochen.

Der Streik räumte ebenfalls mit dem Mythos einer friedlichen britischen Demokratie auf. Statt dessen kam das wirkliche Gesicht der kapitalistischen Diktatur zum Vorschein. Straßen wurden im Süden Londons gesperrt, als Bergarbeiter aus der Grafschaft Kent nach Norden ziehen wollten, um die Bergarbeiter direkt vor Ort zu unterstützen. Unzählige Bergarbeiter wurden vor Gericht ge­zerrt, eingesperrt, ganze Gebiete wurden belagert.

Die wirklichen Errungenschaften des Streiks waren die Versuche der Ausdehnung und Vereini­gung und nicht die Dauer des Streiks. Indem die Arbeiter in die Falle eines langen und isolierten Streiks gelockt wurden, schaffte es die herr­schende Klasse, die Arbeiter zu besiegen.

Die Strategie der Bourgeoisie

Die herrschende Klasse hatte sich gut auf diesen Streik vorbereitet. Ein spezielles Regierungsko­mitee war eigens zur Überwachung eingesetzt, die Polizeieinsätze waren landesweit koordiniert, Absprachen wurden zwischen der Gewerkschaft der Docker und der der Kraftwerke getrof­fen, um gleichzeitige Aktionen zu vermeiden. Diese beiden Gewerkschaften sollten gleichzeitig die konservative Rolle übernehmen, während A. Scargill zum ‘radikalen Führer’ der Bergarbeiter­gewerkschaft erkoren wurde. Vor dem Streik wurden riesige Kohlehalden aufgehäuft, die für die Unternehmer als Reserve dienen sollten.

Die Bergarbeitergewerkschaft versuchte von Anfang an, die Bergarbeiter vom Rest der Klasse abzutrennen, indem Parolen ausgegeben wurden wie ‘Kohle statt Arbeitslosigkeit’ (‘Coal not Dole’) und ‘Verteidigt die Bergarbeiter’. Scargill redete lang und breit von Solidarität unter den Bergarbeitern, aber die vorgeschlagene Solida­rität war die von Geldsammlungen und Spenden an die Gewerkschaft. Passive Sympathie, um die Bergarbeiter dennoch im Kampf alleine dastehen zu lassen. Die Energien der Bergarbeiter sollten in sinnlosen Auseinandersetzungen mit der Polizei verpuffen, als die Arbeiter versuchten, die wenigen nicht streikenden Bergwerke mit Streikposten dichtzu­machen. Als die Hafenarbeiter im Juli in den Streik traten, betonte die Gewerkschaft der Hafenarbei­ter sofort, deren Streik habe nichts mit dem der Bergarbeiter zu tun. Beim Automobilarbeiterstreik im Herbst 85 genau das gleiche. Die ganze Blick­richtung des Streiks war immer mehr nur auf die Bergarbeiter gewandt, anstatt auf die ganze Arbei­terklasse.


Die Lehren ziehen

Der Bergarbeiterstreik brachte eine Niederlage und einen Rückschlag für die ganze Arbeiterklasse. Aber der Klassenkampf wurde damit nicht zu Boden geworfen. In Großbritannien kam es wei­terhin zu Arbeiterkämpfen, bei denen Teile der Klasse zeigten, daß sie angefangen hatten, die Lehren aus dem Bergarbeiterstreik zu ziehen. Im Februar 1988 gab es nicht nur gleichzeitig Kämpfe im Gesundheitswesen, im Bergbau, bei den Auto­mobil- und Fährbeschäftigten, sondern es gab auch wirkliche Versuche, die verschiedenen Bereiche zusammenzubringen. So zogen Krankenpfleger und Bergarbeiter zusammen als Streikposten zu den Ford-Beschäftigten. Im Juli 1989 gab es Kämpfe im öffentlichen Dienst, vor allem bei den Trans­portarbeitern. Die Frage des Zusammenschlusses, um die Isolierung zu vermeiden, war eine zentrale Sorge der Beschäftigten.

Das Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften wuchs zunehmend. Ähnliche Beispiele kann man aus anderen Ländern in Westeuropa nennen. Im Winter 1986 streikten in Frankreich Eisenbahner, die es satt hatten, sich durch die Sabotagetaktik der Gewerkschaften die Initiative entreis­sen zu lassen. Sie legten selbständig los, bildeten ein Streikkomitee. Die Gewerkschaften schafften es dann aber doch, eine Ausdehnung, einen Zusam­menschluß zwischen den verschiedenen Bereichen der Klasse zu verhindern, u.a. dadurch, daß sie jeweils das Streikkomitee unterwanderten und aushebelten. Im Dez. 1987 wehrten sich die Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen gegen die beabsichtigte Schließung des Werkes. Die Arbeiter griffen von Anfang an die Lehre aus dem britischen Bergarbeiterstreik auf und hoben hervor: ‘Wir wollen kämpfen, aber wir wollen nicht isoliert untergehen wie die britischen Bergar­beiter.’ Also erließ man einen Aufruf zur Beteili­gung aller Beschäftigten in Duisburg an ihrem Abwehrkampf. Zu Anfang der Bewegung im Dez. 87 gab es gemeinsame Vollversammlungen von Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen und Be­schäftigten aus Duisburg. Auch gab es erste Kon­taktaufnahmen zu Belegschaften aus anderen Städten. Bei diesem Streik jedoch -wie vorher schon in England und in Frankreich- waren die Gewerkschaften listig genug, den Arbeitern wieder die Initiative zu entreißen. Vor allem die Basisge­werkschaften und die linken Gruppierungen der Trotzkisten konnten den Arbeitern Fesseln anle­gen mit ‘Aktionstagen’ wie ‘Rheinhausen tote Stadt’, wo man alle Brücken und Verkehrsverbin­dungen lahmlegte, als ob so die Kampfkraft der Arbeiter wachse. Auf das Wirken dieser linken Kräfte - die von niemandem gewählt worden waren, sich aber immer geschickt an die Spitze der Bewegung zum Zweck ihrer Sabotage stellten -, ist es zurückzuführen, daß die Klassenbewegung Ende der 80er Jahre auf der Stelle trat.


Rückzug und Wiedererstarken des Klassen­kampfes

Der Zusammenbruch des Ostblocks und die Lügen vom angeblichen ‘Tod des Kommunismus’ be­wirkten einen tiefgreifenden Rückfluß sowohl der Kampfbereitschaft wie auch des Bewußtseins der Arbeiterklasse. Dadurch konnte nicht nur die Perspektive des Kommunismus als ‘vollkommen unrealistisch’ dargestellt werden, auch die Kon­trollkräfte im Dienste des Kapitals, die Gewerk­schaften, sind seitdem wieder im Aufwind und haben die wenigen Arbeiterkämpfe gut im Griff.

Zwar hat es seitdem Anzeichen einer wiedererstarkten Kampfbereitschaft gegeben, aber die Arbeiter­klasse hat sich noch nicht aus den Klauen der Gewerkschaften befreien können. Die objektive Lage, die massiven Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen wird die Arbeiterklasse immer wieder dazu zwingen, sich zu wehren und die Um­klammerung der Gewerkschaften infragezustellen. Um so wichtiger wird es deshalb bei der notwen­digen Wiederaufnahme der Kämpfe sein, daß sich die Arbeiter heute die Lehren aus dem Bergarbei­terstreik vor Augen halten: die Isolierung bedeutet den Tod einer jeden Bewegung. (Auf der Grundlage eines Artikels aus unserer Zeitung in Großbritannien ‘World Revolution’Nr. 186)