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In den beiden vorhergehenden Artikeln haben wir aufgezeigt, daß alle Produktionsweisen von einem aufsteigenden und einem dekadenten Zyklus bestimmt werden (International Review, Nr.55), und daß wir uns heute inmitten der kapitalistischen Dekadenz befinden (Internationale Review, Nr.54). Der vorliegende Artikel will ausführlich die Elemente darstellen, die es dem Kapitalismus ermöglichten, in seiner Niedergangsphase weiterzuleben. Insbesondere hat der Artikel das Ziel, eine Grundlage dafür zu schaffen, die Wachstumsraten in der Zeit nach 1945 (die höchsten in der Geschichte des Kapitalismus) verstehen zu können. Vor allem wollen wir aufzeigen, daß dieser vorübergehende Aufschwung ein `gedoptes' Wachstum war, ist, daß es nichts anderes ist als der verzweifelte Kampf eines Systems in seinem Todesringen. Die Mittel, die dafür benutzt wurden, um dies zu erreichen (massive Verschuldungen, Staatsinterventionismus, wachsende Rüstungsproduktion, unproduktive Ausgaben, etc.) sind erschöpft. Dadurch wird der Weg zu einer nie gekannten Krise eröffnet.
1. Der fundamentale Widerspruch des Kapitalismus
"Im Prozesse der Produktion aber ist das entscheidende: In welchem Verhältnisse stehen die Arbeitenden zu ihren Produktionsmitteln?" (Luxemburg Werke Bd.5, S.644) Im Kapitalismus sind die Arbeiter durch das Lohnverhältnis mit den Produktionsmitteln verbunden. Das ist das fundamentale gesellschaftliche Produktionsverhältnis, welches dem Kapitalismus seine Dynamik verleiht, wie auch seine unüberwindbaren Widersprüche enthält (1). Es ist ein dynamisches Verhältnis in dem Sinne, daß das System, angestachelt von der Tendenz der fallenden Profitrate und ihrer Angleichung durch die Wert- und Konkurrenzgesetze, fortwährend wachsen, akkumulieren, expandieren und die Lohnausbeutung bis an die Grenzen treiben muß. Es ist ein widersprüchliches Verhältnis in dem Sinne, daß der eigentliche Mechanismus zur Produktion von Mehrwert mehr Werte produziert, als er zu verteilen imstande ist, Mehrwerte, die aus der Differenz zwischen dem Produktionswert der produzierten Ware und dem Wert der Ware Arbeitskraft, den Löhnen, stammen. Indem die Lohnarbeit sich verallgemeinert, schränkt der Kapitalismus selbst seine Absatzmöglichkeiten ein und ist ständig gezwungen, Käufer außerhalb seiner Sphäre von Kapital und Arbeit zu suchen.
"....je mehr sie [die kapitalistische Produktion] sich entwickelt, um so mehr gezwungen ist, auf großer Stufenleiter zu produzieren, die mit der immediate demand [unmittelbaren Nachfrage] nichts zu tun hat, sondern von einer beständigen Erweiterung des Weltmarkts abhängt...Er [Ricardo] übersieht, daß die Ware in Geld verwandelt werden muß. Die demand [Nachfrage] der Arbeiter genügt nicht, da der Profit ja grade dadurch herkommt, daß die demand der Arbeiter kleiner als der Wert ihres Produkts, und um so größer ist, je relativ kleiner diese demand. Die demand der capitalists untereinander genügt ebensowenig...." (MEW 26.2, S.469) "...Wird endlich gesagt, daß die Kapitalisten ja nur selbst unter sich ihre Waren auszutauschen und aufzuessen haben, so wird der ganze Charakter der kapitalistischen Produktion vergessen und vergessen, daß es sich um die Verwertung des Kapitals handelt...." (MEW 25, S.269f) "....Das bloße Verhältnis von Lohnarbeiter und Kapitalist schließt ein:
1. daß der größte Teil der Produzenten (die Arbeiter) Nichtkonsumenten (Nichtkäufer) eines sehr großen Teils ihres Produkts sind, nämlich der Arbeitsmittel und des Arbeitsmaterials;
2. daß der größte Teil der Produzenten, die Arbeiter, nur ein Äquivalent für ihr Produkt konsumieren können, solang sie mehr als dies Äquivalent - die surplus value [den Mehrwert] oder das surplus produce [Mehrprodukt] - produzieren, um innerhalb der Schranken ihres Bedürfnisses Konsumenten oder Käufer sein zu können." (MEW26.2, S.520) "Die Überproduktion speziell hat das allgemeine Produktionsgesetz des Kapitals zur Bedingung, zu produzieren im Maß der Produktivkräfte (d.h. der Möglichkeit, mit gegebener Masse Kapital größtmögliche Masse Arbeit auszubeuten) ohne Rücksicht auf die vorhandenen Schranken des Markts oder der zahlungsfähigen Bedürfnisse...." (dito, S.535)
Marx zeigte einerseits deutlich die unvermeidliche Jagd des Kapitalismus nach Erhöhung der Mehrwertmenge auf, um den Fall der Profitrate auszugleichen (Dynamik), und er wies andererseits auf das dem gegenüberstehende Hindernis hin: den Ausbruch von Krisen, die dem schrumpfenden Markt, auf dem die Produkte verkauft werden können (Widerspruch), geschuldet sind, lange bevor der an dem Fall der Profitrate geknüpfte Mangel an Mehrwert auftritt:
"Aber in dem selben Maße, worin seine Produktion sich ausgedehnt hat, hat sich das Bedürfnis des Absatzes für ihn ausgedehnt. Die mächtigeren und kostspieligeren Produktionsmittel, die er ins Leben gerufen, befähigen ihn zwar, seine Ware wohlfeiler zu verkaufen, sie zwingen ihn aber zugleich, mehr Waren zu verkaufen, einen ungleich größeren Markt für seine Waren zu erobern..." (Marx, Lohnarbeit und Kapital, MEW6) "Sie [die Krisen] werden häufiger und immer heftiger schon deswegen, weil in demselben Maße, worin die Produktenmasse, also das Bedürfnis nach ausgedehnten Märkten wächst, der Weltmarkt immer mehr sich zusammenzieht, immer weniger neue Märkte zur Exploitation übrigbleiben, ja jede vorhergehende Krise einen bisher uneroberten oder vom Handel nur oberflächlich ausgebeuteten Markt dem Welthandel unterworfen hat." (dito)
Diese Analyse wurde von Rosa Luxemburg systematisiert und vollständiger entwickelt, die zur Schlußfolgerung gelangte, daß das Wachstum des Kapitalismus von der kontinuierlichen Eroberung vor-kapitalistischer Märkte abhängt, da die Gesamtheit des vom globalen Kapital produzierten Mehrwerts seinem eigentlichen Charakter entsprechend nicht in rein kapitalistischen Bereichen realisiert werden kann. Die Erschöpfung der Märkte, die den Bedürfnissen der Akkumulation entsprechen, werde das System in seine dekadente Phase stürzen:
"Durch diesen Prozeß bereitet das Kapital aber in zweifacher Weise seinen Untergang vor. Indem es einerseits durch seine Ausdehnung auf Kosten aller nichtkapitalistischen Produktionsformen auf den Moment lossteuert, wo die gesamte Menschheit in der Tat lediglich aus Kapitalisten und Lohnproletariern besteht und wo eben deshalb weitere Ausdehnung, also zugleich Akkumulation, unmöglich wird. Zugleich verschärft es, im Maße wie diese Tendenz sich durchsetzt, die Klassengegensätze, die internationale wirtschaftliche und politische Anarchie derart, daß es, lange bevor die letzte Konsequenz der ökonomischen Entwicklung - die absolute, ungeteilte Herrschaft der kapitalistischen Produktion in der Welt - erreicht ist, die Rebellion des internationalen Proletariats gegen das Bestehen der Kapitalsherrschaft herbeiführen muß.... Der heutige Imperialismus.... ist das letzte Stadium in seinem historischen Prozeß: die Periode der verschärften und generalisierten weltweiten Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten um die letzten Überreste an nichtkapitalistischen Gebieten auf dem Planeten." (Luxemburg Werke Bd.5, S.430f)
Abgesehen von ihrer Analyse der unzertrennlichen Einheit der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und des Imperialismus, die aufzeigt, daß das System nicht überleben kann, ohne sich auszuweiten, und daß es daher imperialistisch an sich sei, liegt der Hauptbeitrag von Rosa Luxemburg in der Schaffung von analytischen Werkzeugen zum Verständnis dafür begründet, wie, wann und warum das System in seine Dekadenzperiode eintrat. Rosa beantwortete diese Fragen mit dem Ausbruch des I.Weltkrieges 1914-18, indem sie erkannte, daß der weltweite inter-imperialistische Konflikt die Periode eröffnete, in der der Kapitalismus zu einer Fessel der Weiterentwicklung der Produktivkräfte wird: "Die Notwendigkeit des Sozialismus ist völlig gegeben, sobald die Herrschaft der Bourgeoisie den historischen Fortschritt nicht mehr befördert, und zu einer Fessel und Gefahr für die weitere Entwicklung der Gesellschaft wird. Was die kapitalistische Ordnung betrifft, ist genau das, was der gegenwärtige Krieg zeigt."
Wie auch immer die mannigfaltigen `ökonomischen' Erklärungen waren, diese Analyse wurde von der gesamten revolutionären Bewegung geteilt.
Ein klares Verständnis dieses unlösbaren Widerspruchs im Kapital verschafft uns einen Ansatzpunkt zum Verständnis dafür, wie das System in seiner Dekadenz bisher überlebt hat. Die Geschichte der kapitalistischen ™konomie seit 1914 ist die Geschichte der Entwicklung von Linderungsmitteln gegen die Engpässe, die von der Ungleichheit des Weltmarkts geschaffen wurden. Nur mit solch einem Verständnis können wir die zeitweilige 'Leistunsfähigkeit' des Kapitalismus (wie die Wachstumsraten nach 1945) auf ihre eigentliche Größe zurechtstutzen. Die Kritiker unseres Standpunktes (s. International Review Nr.54 und 55) sind von den Zahlen dieser Wachstumsraten geblendet, was sie blind gegenüber deren NATUR macht. Sie entfernen sich somit von der marxistischen Methode, die darauf abzielt, die wirkliche Natur der Dinge hervorzukehren, die versteckt hinter ihrer Existenz liegt. Diese wirkliche Natur ist es, die wir hier aufzuzeigen beabsichtigen (2).
2. Wenn die Realisierung des Mehrwerts wichtiger wird als seine Produktion
Während der aufsteigenden Periode übertraf die Nachfrage im allgemeinen das Angebot; der Preis der Waren wurde von den höchsten Produktionskosten bestimmt, jenen nämlich der am wenigsten entwickelten Bereiche und Länder. So war es möglich, daß letztere Profite erzielten, die eine reale Akkumulation erlaubten, wohingegen die entwickeltsten Länder in der Lage waren, Superprofite zu realisieren. In der Dekadenz ist das Gegenteil der Fall: Insgesamt ist das Angebot größer als die Nachfrage, und die Preise werden von den niedrigsten Produktionskosten bestimmt. Eine Folge davon ist, daß die Bereiche und Länder mit den höchsten Produktionskosten gezwungen sind, zu einem verringerten Profit oder gar mit Verlust zu verkaufen oder sich dem Wertgesetz zu entziehen, um zu überleben (s. unten). Dies senkt ihre Akkumulationsrate auf ein äußerst niedriges Niveau. Auch die bürgerlichen ™konomen haben in ihrer eigenen Sprache (jene des Verkaufs- und des Kostpreises) diese Umkehrung bemerkt: "Wir werden von der heutigen Umkehrung des Verhältnisses zwischen Kostpreis und Verkaufspreis heimgesucht.... Langfristig wird der Kostpreis seine Rolle behalten.... Aber während es früher so war, daß der Verkaufspreis immer über dem Kostenpreis gehalten werden konnte, erscheint er heute üblicherweise dem Marktpreis untergeordnet. Unter diesen Umständen, in denen nicht mehr die Produktion, sondern der Verkauf das wesentliche ist, in denen die Konkurrenz immer härter wird, wählen die Betriebe den Verkaufspreis zum Ausgangspunkt, um sich dann schrittweise dem Kostpreis anzunähern.... Um zu verkaufen, neigen die Betriebe heute dazu, zuallererst den Markt und damit den Verkaufspreis zu berücksichtigen..... Dies ist so schlagend, daß wir es heute des öfteren mit dem Paradoxon zu tun haben, daß es immer weniger der Kostpreis ist, der den Verkaufspreis bestimmt, sondern immer häufiger das Gegenteil der Fall ist. Das Problem ist: entweder die Produktion aufzugeben oder unterhalb des Marktpreises zu produzieren" (J.Fourastier und B.Bazil, Pourquoi les prix baissent).
Ein spektakuläres Anzeichen dieses Phänomens tritt in den wild durcheinandergewürfelten Proportionen der Verteilung und Vermarktung in den endgültigen Kosten des Produkts auf. Diese Funktionen werden vom Handelskapital ausgeübt, das sich seinen Anteil bei der allgegenwärtigen Verteilung des Mehrwerts nimmt, so daß seine Ausgaben in die Produktionskosten eingehen. In der aufsteigenden Phase trug auch das Handelskapital, solange es die Steigerung der Mehrwertmenge und der jährlichen Profitrate durch die Verkürzung des Waren- und Kapitalumlaufs sicherte, zum allgemeinen Preisverfall bei, der diese Periode kennzeichnete (s. Graphik 4). In der dekadenten Phase änderte sich seine Rolle. Da die Produktivkräfte an die Grenzen des Marktes stoßen, besteht die Rolle des Handelskapitals nicht darin, die Mehrwertmengen zu steigern, sondern vielmehr ihre Realisierung zu sichern. Dies wird durch die konkrete Realität des Kapitalismus ausgedrückt: einerseits durch das Anwachsen der Zahl jener Leute, die in der Verteilung beschäftigt sind, und im allgemeinen durch den zahlenmäßigen Rückgang der Mehrwertproduzenten im Verhältnis zu anderen Arbeitern; andererseits durch das Anwachsen der Gewinnspanne des Handelskapitals am endgültigen Mehrwert. Es wird geschätzt, daß in den wichtigsten kapitalistischen Ländern die Verteilungskosten heute zwischen 50 und 70% der Warenpreise betragen. Investitionen in die parasitären Bereiche des Handelskapitals (Marketing, Sponsoring, Lobbyismus, etc.) erhalten ein wachsendes Gewicht im Verhältnis zu Investitionen in die Produktion von Mehrwert. Dies führt letztlich zu einer Zerstörung des produktiven Kapitals, was die wachsende parasitäre Natur des System enthüllt.
2.1. Kredit
"Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einen gewissen Höhergrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruches, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise." (MEW25, S.457)
In der aufsteigenden Phase war der Kredit ein mächtiges Mittel zur Beschleunigung der Entwicklung des Kapitalismus, indem er den Kreislauf der Kapitalakkumulation verkürzte. Der Kredit, der einen Fortschritt bei der Realisierung einer Ware darstellte, konnte seinen Kreislauf vervollständigen dank der Möglichkeit, neue außerkapitalistische Märkte zu durchdringen. In der Dekadenz ist dieses Resultat immer weniger möglich; der Kredit wird somit zu einem Linderungsmittel gegen die wachsende Unfähigkeit des Kapitals, die Gesamtheit des produzierten Mehrwertes zu realisieren. Die Akkumulation, die durch den Kredit zeitweise ermöglicht wird, entwickelt lediglich einen Abszeß, der unvermeidlicherweise zu einem allgemeinen imperialistischen Krieg führt.
Der Kredit hat nie eine zahlungsfähige Nachfrage für sich gebildet, und dies gilt noch weniger in der Dekadenz - im Gegensatz zu dem, was uns Communisme ou Civilisation (CoC) erzählt: "Der Kredit ist nunmehr in den Kreis jener Ursachen aufgerückt, die es dem Kapital erlauben zu akkumulieren; man kann genausogut sagen, daß die kapitalistische Klasse in der Lage ist, dank einer zahlungsfähigen Nachfrage, die aus der kapitalistischen Klasse herrührt, den Mehrwert zu realisieren. Auch wenn dieses Argument nicht in dem Pamphlet der IKS über die Dekadenz des Kapitalismus auftaucht, ist es mittlerweile Teil der Aufnahmekriterien dieser Sekte geworden. Sie stimmt nun zu, was sie zuvor unnachgiebig abgestritten hatte: die Möglichkeit der Realisierung des für die Akkumulation bestimmten Mehrwerts." (CoC, Nr.22) (3). Der Kredit dient zur Förderung der Realisierung von Mehrwert und ermöglicht so eine beschleunigte Vollendung des gesamten Kreislaufes kapitalistischer Reproduktion. Marx zufolge enthält dieser Kreislauf - wie so oft vergessen wird - sowohl die Produktion als auch die Realisierung der produzierten Waren. Was die aufsteigende Phase des Kapitalismus von seiner dekadenten unterscheidet, das sind die Bedingungen, unter denen der Kredit wirkt. Die weltweite Sättigung der Märkte verlangsamt die Wiedererlangung des investierten Kapitals in steigendem Maße und macht sie zunehmend unmöglich. Daher befindet sich das Kapital auf einem wachsenden Schuldenberg, der immer astronomischere Ausmaße annimmt. Der Kredit macht es also möglich, die Fiktion von einer Ausweitung der Akkumulation aufrechtzuerhalten und den endgültigen Tag der Abrechnung hinauszuschieben, an dem das Kapital die Zeche zahlen muß. Da es zu einer anderen Handlungsweise unfähig ist, treibt das Kapital unerbittlich Handelskriegen und schließlich dem inter-imperialistischen Krieg entgegen. Der Krieg ist die einzige `Lösung' für die Überproduktionskrisen in der Dekadenz (s. dazu International Review, Nr.54). Die Zahlen der Tabelle 1 und der Graphik 1 veranschaulichen dieses Phänomen.
Konkret zeigen die Zahlen der Tab.1, daß die USA Schulden in Höhe des zweieinhalbfachen jährlichen Bruttosozialproduktes (BSP), Deutschland in Höhe des einfachen jährlichen BSP angehäuft haben. Sollten diese Schulden jemals zurückbezahlt werden, müßten die Arbeiter dieser Länder zweieinhalb Jahre bzw. ein Jahr umsonst arbeiten. Diese Zahlen zeigen auch, daß die Schulden schneller wachsen als das BSP, was ein Anzeichen dafür ist, daß seit einiger Zeit die wirtschaftliche Entwicklung immer mehr durch Kredite stattfindet.
Diese beiden Beispiele sind keine Ausnahme, sondern veranschaulichen die weltweite Verschuldung des Kapitalismus. Zwar sind Kalkulationen vor allem angesichts des Mangels an vertrauenswürdigen Statistiken äußerst gewagt, aber man kann annehmen, daß die Schulden zwischen dem anderthalb bis zweifachen weltweiten BSP betragen. Zwischen 1974 und 1984 wuchsen die weltweiten Schulden um ungefähr 11 %, während die Wachstumsrate des weltweiten BSP ungefähr um 3,5 % zunahm!
Nachfolge Zahlen illustrieren die Wachstums- und Schuldenentwicklung, wie sie in den meisten Ländern zu beobachten ist. Die Schulden wachsen ersichtlich schneller als die Industrieproduktion. Während früher das Wachstum in steigendem Maße vom Kredit abhängig war (1958-74: Produktion 6,01%, Kredite 13,26%), hängt heute schon die bloße Fortsetzung der Stagnation von Krediten ab (1974-81: Produktion 0,15%, Kredite 14,08%).
Entwicklung der Verschuldung im Kapitalismus
Öffentliche und private Verschuldung
Verschuldung der Haushalte
BRD USA USA
Statistik wird noch eingestellt
Seit Beginn der Krise wurde jede wirtschaftliche Erholung von ständig größeren Kreditmassen getragen. Die Konjunktur 1975-79 wurde von Krediten stimuliert, die der `Dritten Welt' und den sogenannten `sozialistischen' Ländern gewährt worden waren. Jene von 1983 wurde von einem Wachstum in der Schuldenaufnahme von Seiten der amerikanischen Behörden getragen (hauptsächlich im Interesse der Rüstungsausgaben). Die CoC versteht diesen Prozeß in keiner Weise und unterschätzt völlig die Ausweitung des Kredites als die Überlebensweise des Kapitalismus in der Dekadenz.
2.2 Außerkapitalistische Märkte
Wir haben bereits gesehen (s. International Review, Nr.54), daß die Dekadenz des Kapitalismus nicht durch das Verschwinden der außerkapitalistischen Märkte charakterisiert wird, sondern durch ihre Unverhältnismäßigkeit gegenüber den Bedürfnissen einer expandierenden Akkumulation des Kapitalismus. Das heißt, daß die außerkapitalistischen Märkte nicht mehr ausreichen, um die Gesamtheit des vom Kapitalismus produzierten und für die Reinvestierung vorgesehenen Mehrwerts zu realisieren. Angespornt von einer immer begrenzteren Akkumulationsbasis, versucht der dekadente Kapitalismus, das Betätigungsfeld, das von den Überresten dieser Märkte gebildet wird, so effektiv wie möglich auszubeuten, und zwar auf dreierlei Weise.
Erstens durch eine beschleunigte und geplante Eingliederung der verbliebenen Bereiche merkantilistischer Wirtschaft innerhalb der entwickelten Länder.
Anteil der aktiven Bauernbevölkerung an der gesamten beschäftigen Bevölkerung
Grande-Bretagne: GB, Allemagen: BRD, Espagne: Spanien
Grafik wird noch eingestellt
Obige Grafik zeigt, daß in einigen Ländern die Integration der merkantilen Bauernwirtschaft in die kapitalistischen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse bereits mit 1914 vollendet war, wohingegen sie in anderen Ländern (Frankreich, Spanien, Japan, etc.) erst während der Dekadenz und beschleunigt nach 1914 stattfand.
Bis zum 2.Weltkrieg wuchs die Produktivität in der Landwirtschaft langsamer als in der Industrie, was die Folge einer langsameren Entwicklung in der Arbeitsteilung war, entsprechend u.a. dem immer noch großen Gewicht der Bodenrente, die einen Teil des für die Mechanisierung benötigten Kapitals abzweigte. Nach dem 2.Weltkrieg wuchs die Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft schneller als in der Industrie. Dies nahm die Form einer Politik an, die alle möglichen Mittel benutzte, um die Subsistenzwirtschaft der kleinbäuerlichen Familien zu ruinieren, die noch immer an die merkantile Kleinproduktion gebunden waren, und um sie in ein rein kapitalistisches Geschäft umzuwandeln. Soweit der Prozeß der Industrialisierung der Landwirtschaft.
Angespornt von der Suche nach neuen Märkten, ist die Periode der Dekadenz gekennzeichnet durch eine verbesserte Ausbeutung der verbliebenen außerkapitalistischen Märkte.
Einerseits erleichterten verbesserte Techniken, verbesserte Kommunikationsmittel und fallende Transportkosten die Penetration - sowohl in Inhalt und Umfang - und Zerstörung der merkantilistischen ™konomie in der außerkapitalistischen Sphäre.
Andererseits entlastete die sich entfaltende Politik der `Dekolonialisierung' die Metropolen von einer kostenträchtigen Bürde und erlaubte ihnen, den Umsatz ihres Kapitals zu verbessern und ihren Absatz in den alten Kolonien zu steigern (der durch die Überausbeutung der eingeborenen Bevölkerung bezahlt wurde). Ein großer Teil dieses Absatzes bestand aus Waffen, das erste und absolute Bedürfnis für den Aufbau einer lokalen Staatsmacht.
Der Rahmen, in dem sich der Kapitalismus während seiner aufsteigenden Periode entwickelt hatte, ermöglichte die Vereinheitlichung der Produktionsbedingungen (technische und soziale Bedingungen, die durchschnittliche Arbeitsproduktivität, etc.). Im Gegensatz dazu hat die Dekadenz die Ungleichheiten in der Entwicklung zwischen den entwickelten und unterentwickelten Ländern gesteigert (s. International Review, Nr.23 und 54).
Während in der Aufstiegsperiode die Profite, die den Kolonien entzogen worden waren (Verkauf, Anleihen, Investitionen), größer waren als jene, die aus dem ungleichen Austausch resultierten (4), findet in der Dekadenz das Gegenteil statt. Die Entwicklung der Austauschverhältnisse über einen langen Zeitraum zeigt diese Tendenz auf. Seit dem zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts haben sie sich deutlich zuungunsten der sog. `Dritten Welt' verschlechtert.
2.3 Staatskapitalismus
Wir haben bereits gesehen (s. International Review, Nr.54), daß die Entwicklung des Staatskapitalismus eng mit der kapitalistischen Dekadenz verknüpft ist. (5) Der Staatskapitalismus ist eine weltweite Politik, die dem System in jedem seiner Bereiche des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lebens aufgezwungen wird. Der Staatskapitalismus hilft, die unüberwindbaren Widersprüche des Kapitalismus abzuschwächen: auf der gesellschaftlichen Ebene durch eine bessere Kontrolle einer Arbeiterklasse, welche mittlerweile entwickelt genug ist, um eine reale Gefahr für die Bourgeoisie zu sein; auf der politischen Ebene durch die Beherrschung der wachsenden Spannungen zwischen den bürgerlichen Fraktionen; auf der ökonomischen Ebene durch die Besänftigung der sich häufenden explosiven Widersprüche. Auf dieser letztgenannten Ebene, die uns hier angeht, interveniert der Staat mit einer Reihe von Mechanismen:
2.3.1 Das Umgehen des Wertgesetzes
Wir haben gesehen, daß in der Dekadenz ein immer wichtigerer Anteil der Produktion der strikten Bestimmung des Wertgesetzes entflieht (International Review, Nr.54). Zweck dieses Prozesses ist es, Aktivitäten, die ansonsten an dem gnadenlosen Verdikt des Wertgesetzes scheitern würden, am Leben zu erhalten. Dem Kapitalismus gelingt es so für eine Weile, aber nur für eine Weile, dem eisernen Gesetzen des Marktes zu entgehen.
Permanente Inflation ist eines der Mittel, um letzteren zu begegnen. Sie ist zudem ein typisches Phänomen einer dekadenten Produktionsweise (6).
Entwicklung der Großhandelspreise in fünf entwickelten Ländern von 1750 bis 1950-70
Statistik wird noch eingestellt
Entwicklung der Einzelhandelspreise in Frankreich von 1820 - 1982
Einzelhandelspreise in Frankreich
Statistik wird noch eingestellt
Nachdem sie ein Jahrhundert lang stabil geblieben waren, explodierten die Preise nach dem 1. Weltkrieg, vor allem nach dem 2. Weltkrieg. Zwischen 1914-1982 stiegen sie um das Tausendfache an. Quelle INSEE
Wenn eine periodische Senkung und Neuordnung der Preise zum Wertaustausch (Produktionspreis) durch das Anschwellen der Kredite und der Inflation künstlich verhindert wird, dann kann eine ganze Reihe von Betrieben, deren Arbeitsproduktivität unterhalb des Durchschnitts ihrer Branche gefallen ist, nichtsdestotrotz der Entwertung ihres Kapitals und dem Bankrott entkommen. Auf lange Sicht jedoch kann dies nur das Ungleichgewicht zwischen den Produktionskapazitäten und der zahlungsfähigen Nachfrage steigern. Die Krise wird verzögert, nur um später noch stärker zurückzukehren. In der Geschichte der entwickelten Länder erschien die Inflation zum ersten Mal, als der Staat rüstungs- und kriegsgebundene Ausgaben machte. Später kam noch die Entwicklung des Kredits und der unproduktiven Ausgaben zu den Waffenausgaben hinzu und wirkte als Hauptursache der Inflation.
Die Bourgeoisie hat eine ganze Reihe antizyklischer Maßnahmen ergriffen. Ausgerüstet mit der Erfahrung der Krise von 1929, die durch den Isolationismus beträchtlich erschwert worden war, hat sich die herrschende Klasse von ihrem verbliebenen Irrglauben über den Freihandel, wie vor 1914, losgesagt. Die 30er Jahre und erst recht die Periode nach 1945, mit dem Höhepunkt des Keynesianismus, waren durch eine Serie konzertierter staatskapitalistischer Maßnahmen gekennzeichnet. Es ist schlechterdings unmöglich, hier auf alle von ihnen einzugehen, aber sie alle hatten dasselbe Ziel: die Kontrolle über die Schwankungen in der ™konomie zu erlangen und die Nachfrage künstlich zu stützen.
Der Grad der Staatsinterventionen in der Wirtschaft ist gewachsen. Dieser Punkt wurde bereits in vorherigen Ausgaben von International Review breit abgehandelt; hier wollen wir uns nur mit einem Gesichtspunkt befassen, mit einem Aspekt, der bisher lediglich angedeutet worden war: die staatlichen Eingriffe im gesellschaftlichen Bereich und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Während der Aufstiegsphase des Kapitalismus waren steigende Löhne, die Reduzierung der Arbeitszeit und verbesserte Arbeitsbedingungen "Konzessionen, dem Kapital abgerungen durch einen erbitterten Kampf.... Das Englische Gesetz über den Zehnstundenarbeitstag war in der Tat das Ergebnis eines langwierigen Kampfes zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse." (Marx, Das Kapital). In der Dekadenz stellten die Zugeständnisse der Bourgeoisie an die Arbeiterklasse während der revolutionären Erhebungen 1918-23 zum ersten Mal Maßnahmen dar, die dazu dienten, eine soziale Bewegung, deren Ziel nicht mehr war, dauerhafte Reformen innerhalb des System zu erlangen, sondern die Macht zu ergreifen, zu besänftigen (8-Stunden-Arbeitstag, allgemeines Wahlrecht, Sozialversicherung, etc.) und zu kontrollieren (Tarifverträge, Gewerkschaftsrechte, Betriebsräte, etc.). Gerade die letztgenannten Maßnahmen, die eigentlich nur eine Begleiterscheinung des Kampfes waren, werfen ein Schlaglicht auf die Tatsache, daß in der kapitalistischen Dekadenz der Staat mit Hilfe der Gewerkschaften soziale Maßnahmen organisiert, kontrolliert und plant, um die proletarische Bedrohung abzuwenden. Dies wird unterstrichen durch das Anschwellen der staatlichen Ausgaben, die dem sozialen Bereich gewidmet werden (indirekte Löhne, die der Gesamtlohnmenge entzogen werden).
Staatliche Sozialausgaben (Anteil am BSP)
BRD Frank. GB USA
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In Frankreich ergriff der Staat in einer Periode des sozialen Friedens eine ganze Reihe von Maßnahmen: Krankenversicherung ab 1928-30, unentgeltliche Erziehung ab 1930, Kindergeld ab 1932. In Deutschland wurde die Krankenversicherung auf Büroangestellte und Landarbeiter ausgeweitet, ab 1927 wurde den Arbeitslosen eine finanzielle Hilfe gewährt. Das gegenwärtige System der sozialen Sicherheit in den entwickelten Ländern wurde während und gleich nach dem 2.Weltkrieg (7) entworfen, diskutiert und geplant: in Frankreich 1946, in Deutschland 1954-57 (Montangesetz 1951), etc.
Alle diese Maßnahmen zielten zuvorderst auf eine bessere soziale und politische Kontrolle über die Arbeiterklasse und auf die Steigerung ihrer Abhängigkeit von Staat und Gewerkschaften (indirekte Löhne) ab. Aber auf der ökonomischen Ebene hatten sie einen zweiten Effekt: Sie verminderten die Schwankungen in der Nachfrage des Sektors II (Konsumgüter), wo die Überproduktion zuerst auftritt.
Die Einrichtung von Einkommenshilfen, automatischen Lohnerhöhungen (8) und die Entwicklung von sogenannten Verbraucherkrediten sind alle Teil desselben Mechanismus.
2.4 Waffen, Krieg, Wiederaufbau
In der Periode der kapitalistischen Dekadenz besitzen Kriege und Rüstungsproduktion keinerlei Funktion mehr in der kapitalistischen Gesamtentwicklung. Sie sind weder Akkumulationsfelder des Kapitals noch ein Moment in der politischen Vereinheitlichung der Bourgeoisie (wie in Deutschland nach dem Deutsch-französischen Krieg von 1871: siehe dazu International Review, No.51, 52, 53).
Kriege sind der höchste Ausdruck der Krise und Dekadenz des Kapitalismus. A Contre Courant (ACC) weigert sich, dies einzusehen. Für diese `Gruppe' besitzen Kriege, mit Blick auf die Zerstörungen, die sie anrichten und die die wachsende Heftigkeit der Krisen in einem sich konstant weiterentwickelnden Kapitalismus ausdrücken, eine ökonomische Funktion bei der Entwertung von Kapital. Kriege in der aufsteigenden und in der dekadenten Periode des Kapitalismus würden daher keinerlei qualitative Unterschiede aufweisen. "Auf dieser Ebene möchten wir selbst der Idee eines Weltkrieges eine Perspektive verschaffen.... Alle Kriege im Kapitalismus haben somit einen im wesentlichen internationalen Inhalt.... Was sich geändert hat, ist nicht der unveränderte globale Inhalt des Krieges (ob dies nun die Dekadentisten mögen oder nicht), sondern sein Umfang und seine Tiefe, die noch weltweiter und katastrophaler sind" (A Contre Courant, Nr.1). ACC führt zwei Beispiele an, um ihre These zu stützen: die Periode der Napoleonischen Kriege (1795-1815) und die, im Vergleich zum 2. Weltkrieg, noch lokale Natur (sic!) des 1. Weltkrieges. Diese beiden Beispiele beweisen überhaupt nichts.
Graphik 5. Entwicklung der Einzelhandelspreise in Frankreich 1820-1982
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Nachdem sie ein Jahrhundert lang stabil geblieben waren, explodierten nach dem 1. Weltkrieg die Preise in Frankreich noch stärker als nach dem Zweiten; sie sind zwischen 1914 und 1982 um das 1000-fache gestiegen.
Quelle: INSEE
Während in der aufsteigenden Periode die Tendenz der Preise insgesamt stabil blieb oder fiel, hat sich in der Dekadenz die Tendenz in ihr Gegenteil verkehrt. 1914 fing die Phase der permanenten Inflation an.
Die Napoleonischen Kriege wurden am Wendepunkt zwischen zwei Produktionsweisen ausgefochten; sie sind tatsächlich die letzten Kriege des Ancien Régime ( Dekadenz des Feudalismus) gewesen und können nicht in einem Atemzug mit den charakteristischen Kriegen des Kapitalismus genannt werden. Obwohl Napoleons Wirtschaftsmaßnahmen die Entwicklung des Kapitalismus ermutigten, engagierte er sich auf politischer Ebene, in bester Tradition des Ancien Régime, in einem militärischen Feldzug. Die Bourgeoisie hegte keine Zweifel darüber; nachdem sie ihn eine Zeitlang unterstützt hatte, stürzte sie ihn, weil sie seine Feldzüge zu teuer fand und seine Kontinentalblockade eine Behinderung ihrer Entwicklung darstellte. Auch das zweite aufgeführte Beispiel erfordert entweder eine außerordentliche Phantasie oder eine nicht minder außergewöhnliche Ignoranz. Es geht nicht um einen Vergleich zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg, sondern um den Vergleich beider mit den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts - ein Vergleich, den die ACC mit Bedacht nicht anstellt. Würden sie ihn nämlich anstellen, wäre die Schlußfolgerung so deutlich, daß niemand sie übersehen kann.
Nach der Tollheit des Ancien Régime wurde der Krieg den Bedürfnissen des Kapitalismus nach Welteroberung angepaßt (wie wir in einiger Ausführlichkeit in der International Review, Nr.54, erklärt haben), nur um einst wieder zurückzukehren, die Irrationalität des dekadenten kapitalistischen Systems zu vervollständigen. Angesichts der sich vertiefenden Widersprüche des Kapitals war der 2.Weltkrieg unvermeidlicherweise weitergehend und zerstörerischer als der 1., aber beider Hauptkennzeichen sind identisch und den Kriegen des letzten Jahrhunderts entgegengesetzt.
Was die Erklärung der ökonomischen Funktion des Krieges mit der Kapitalentwertung (Anstieg der Profitrate - MW / KK + VK - dank der Zerstörung von konstantem Kapital) (VK= variables Kapital, KK= Konstantes Kapital) angeht, so bricht sie nach genauer Prüfung zusammen. Erstens, weil der Krieg auch Arbeiter (VK) auslöscht, und zweitens, weil sich der Anstieg der organischen Zusammensetzung des Kapitals auch während des Krieges fortsetzt. Das zeitweise Wachstum der Profitrate in der unmittelbaren Nachkriegsperiode entspricht einerseits der Niederlage und der Überausbeutung der Arbeiterklasse und andererseits dem Anstieg des relativen Mehrwerts infolge der Entwicklung der Arbeitsproduktivität.
Am Ende des Krieges sieht sich der Kapitalismus immer noch der Notwendigkeit gegenüber, die Gesamtheit seiner Produktion zu verkaufen. Was sich jedoch geändert hat, ist erstens der zeitweise Rückgang der für die Reinvestition bestimmten Mehrwertmenge, die realisiert werden muß (entsprechend der durch den Krieg verursachten Zerstörungen), und zweitens die Schrumpfung des Marktes durch die Eliminierung von Konkurrenten (die USA schnappten sich die meisten Kolonialmärkte der europäischen Metropolen).
Was die Waffenproduktion anbetrifft, so ist sie primär von der Notwendigkeit des Überlebens in einer Umgebung inter-imperialistischer Konkurrenz motiviert, gleich, wieviel sie kostet. Erst danach spielt sie auch eine ökonomische Rolle. Obwohl auf der Ebene des globalen Kapitals die Waffenproduktion für eine Verzehrung von Kapital sorgt, ohne der Bilanz am Ende des Produktionszyklus etwas hinzuzufügen, erlaubt sie dem Kapital, seine Widersprüche sowohl in Raum als auch in Zeit auszubreiten. In der Zeit, weil die Waffenproduktion zeitweise die Fiktion einer kontinuierlichen Akkumulation am Leben erhält, und im Raum, weil das Kapital durch das ständige Entfachen von lokalen Kriegen und durch den Verkauf eines großen Teils der produzierten Waffen an die `Dritte Welt' einen Transfer von Werten der letztgenannten an die entwickelteren Länder betreibt.(9)
3. Die Erschöpfung der Linderungsmittel
Von den von uns oben geschilderten Maßnahmen, die bereits nach der Krise von 1929 teilweise in die Praxis umgesetzt wurden (New Deal, Volksfront, DeMan-Plan, etc.), um den Schritt in die Todeszone der fundamentalen Widersprüche des Kapitalismus hinauszuzögern, wurde schon in der Nachkriegsperiode bis zum Ende der 60er Jahre ausgiebig Gebrauch gemacht. Heute sind sie erschöpft, und die Geschichte der letzten 20 Jahre ist die Geschichte ihrer wachsenden Unwirksamkeit.
Das Streben nach militärischem Wachstum bleibt eine Notwendigkeit (weil es seinerseits von den wachsenden imperialistischen Bedürfnissen vorangetrieben wird), aber es verschafft nicht einmal mehr zeitweise Erleichterung von den wirtschaftlichen Problemen. Die massiven Kosten der Waffenproduktion erschöpfen nun direkt das produktive Kapital. Aus diesem Grunde verlangsamt sich heute ihr Wachstum (außer in den USA, wo die Rüstungsausgaben in der Periode von 1976-80 um 2.3% und in der Periode von 1980-86 um 4.6% wuchsen) und fällt der Anteil der `Dritten Welt' an Rüstungsausgaben, selbst wenn die militärischen Ausgaben immer mehr versteckt werden, insbesondere unter dem Titel der `Forschung'. Nichtsdestotrotz setzt sich der Anstieg der Militärausgaben in jedem Jahr fort (um 3.2% von 1980-85), und zwar mit einer schnelleren Rate als das globale BSP (2.4%).
Der massive Gebrauch von Krediten hat den Punkt erreicht, wo er ernste finanzielle Beben provoziert (z.B. Oktober 1987). Der Kapitalismus hat keine andere Wahl mehr, als auf des Messers Schneide zwischen der Gefahr eines Rückfalls in die Hyperinflation (die Kredite geraten außer Kontrolle) und der Rezession (entsprechend dem Ansteigen des Zinssatzes, was die Kreditaufnahme verringert) zu wandeln. Mit der Verallgemeinerung der kapitalistischen Produktionsweise wird die Produktion in steigendem Maße vom Markt getrennt; die Realisierung des Warenwerts und damit des Mehrwerts wird immer komplizierter. Es wird immer schwieriger für den`Produzenten' zu wissen, ob seine Waren Absatz, einen `Endverbraucher' finden.. Er weitet seine Produktion ohne jegliche Rücksicht auf die Fähigkeit des Marktes aus, seine Produkte aufzunehmen. Kredite, die den Ausbruch der Krise aufschieben, erschweren nur das Gleichgewicht im System, was bedeutet, daß, wenn die Krise einmal ausbricht, dies um so gewalttätiger geschieht.
Der Kapitalismus ist immer weniger imstande, eine solche inflationistische Politik aufrechtzuerhalten, die die Wirtschaftsaktivitäten auf künstliche Weise unterstützt. Solch eine Politik setzt hohe Zinssätze voraus (denn wenn die Inflation erst einmal reduziert worden ist, gibt es kein großes Interesse am Geldverleihen mehr). Hohe Zinssätze beinhalten jedoch eine hohe Profitrate in der realen Ökonomie (es ist ein allgemeines Gesetz, daß die Zinssätze niedriger sein müssen als die durchschnittliche Profitrate). Dies aber ist immer weniger möglich, da die Krise der Überproduktion und der Absatzmangel die Profitabilität des investierten Kapitals senkt, so daß nicht mehr eine Profitrate erreicht werden kann, die ausreicht, um die Bankzinsen zu zahlen. Dieses Dilemma konkretisierte sich im Oktober 1987 in Gestalt der Börsenpanik.
Alle außerkapitalistischen Märkte sind unter einem immensen Druck überausgebeutet worden und völlig außerstande, für einen Ausweg zu sorgen.
Heute hat die Entwicklung der unproduktiven Bereiche einen Punkt erreicht, wo eine inflationistische Politik die Dinge eher verschlimmert als lindert. Die Zeit ist daher gekommen, um die Ausgaben für den Überbau zu reduzieren.
Schon die Linderungsmittel, die seit 1948 benutzt worden sind, standen auf keinem gesunden Fundament, ihre heutige Erschöpfung jedoch bildet eine ökonomische Todeszone von unvorhergesehenem Ausmaß. Heute besteht die einzig mögliche Politik in einem Frontalangriff auf die Arbeiterklasse, einen Angriff, der von jeder Regierung mit Hingabe ausgeführt wird, ob rechts oder links, Ost oder West. Dennoch verschafft diese Austerität, dank derer die Arbeiterklasse täglich im Namen der `Wettbewerbsfähigkeit' eines jeden nationalen Kapitals teuer für die Krise zahlt, keine `Lösung' der allgegenwärtigen Krise; im Gegenteil, sie verringert die zahlungsfähige Nachfrage nur noch weiter.
4. Schlußfolgerungen
Wir haben die verschiedenen Elemente, die das Überleben des Kapitalismus erklären, nicht von einem akademischen Standpunkt aus, sondern als Militante betrachtet. Was uns beschäftigt, ist, die Bedingungen für die Entwicklung des Klassenkampfes besser zu verstehen, indem wir ihn in dem einzig gültigen und kohärenten Rahmen plazieren - der Dekadenz des Kapitalismus -, indem wir uns mit den verschiedenen Maßnahmen auseinandersetzen , die vom Staatskapitalismus eingeführt wurden, und indem wir die Eindringlichkeit und die Gefahren der gegenwärtigen Lage anerkennen, die auf die Erschöpfung der Linderungsmittel des Kapitalismus gegen die Krise zurückzuführen sind (s. International Review, Nr.23, 26, 27, 31).
Marx wartete nicht bis er das `Kapital' geschrieben hatte, ehe er sich dem Klassenkampf anschloß. Rosa Luxemburg und Lenin warteten nicht auf die Bestätigung der ökonomischen Analyse des Imperialismus, ehe sie für die Notwendigkeit der Gründung einer neuen Internationale eintraten, ehe sie den Krieg durch die Revolution bekämpften, etc. Denn hinter ihren Meinungsverschiedenheiten (Lenin erklärte den Imperialismus mit der fallenden Profitrate und dem Monopolkapitalismus, Luxemburg mit der Sättigung der Märkte) verbarg sich eine profunde Übereinstimmung in allen Hauptfragen des Klassenkampfes und besonders in der Anerkennung des historischen Bankrotts der kapitalistischen Produktionsweise, der die sozialistische Revolution auf die Tagesordnung setzte: "Aus allem, was über das ökonomische Wesen des Imperialismus gesagt wurde, geht hervor, daß er charakterisiert werden muß als Übergangskapitalismus oder, richtiger, als sterbender Kapitalismus.... Parasitismus und Fäulnis kennzeichnen das höchste Stadium des Kapitalismus, den Imperialismus...." (Ausgewählte Werke Bd.2, LW22, S.768) "Der Imperialismus ist der Vorabend der sozialen Revolution des Proletariats. Das hat sich seit 1917 im Weltmaßstab bestätigt." (dito S.653)"
Wenn diese beiden großen Marxisten wegen ihrer ökonomischen Analysen so heftig angegriffen wurden, dann nicht wegen der ökonomischen Analysen als solche, sondern wegen ihrer politischen Positionen. Gleichermaßen verbergen sich hinter dem gegenwärtigen Angriff auf die IKS in bezug auf die ökonomischen Fragen eine Verweigerung der militanten Verantwortung, eine rätekommunistische Auffassung von der Rolle der Revolutionäre, eine Nicht-Anerkennung des gegenwärtigen historischen Kurses hin zu Klassenkonfrontationen und ein Mangel an Überzeugung vom historischen Bankrott der kapitalistischen Produktionsweise.
C.Mcl.
(aus International Review, Nr. 56, 1. Quartal 1989)
(Es handelt sich um den 6. Teil einer Polemik zur Frage der Dekadenz. Einige Teile sind in der Internationalen Revue Nr. 10,11 auf deutsch und die anderen Teile auf engl./franz./span. erhältlich)
Fußnoten:
1) Deshalb war sich Marx stets sehr klar über die Tatsache, daß, um über den Kapitalismus hinaus zur Schaffung des Sozialismus zu schreiten, die Abschaffung der Lohnarbeit Vorbedingung ist: "Statt des konservativen Mottos: `Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!', sollte sie [die Sozialdemokratie] auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: `Nieder mit dem Lohnsystem!'." (MEW16, S.152)
2) Wir nehmen hier nicht für uns in Anspruch, eine detaillierte Erklärung der ökonomischen Mechanismen und Geschichte des Kapitalismus seit 1914 zu liefern, sondern wollen lediglich die Hauptelemente herausstellen, die ihm erlaubt haben zu überleben, indem wir uns auf die Mittel konzentrieren, die er benutzt hat, um den Tag der Abrechnung seiner fundamentalen Widersprüche zu umgehen.
3) An dieser Stelle sollten wir hervorheben, daß von einigen `legitimen', wenn auch akademischen Fragen abgesehen, dieses Pamphlet nichts anderes ist als eine Reihe von Entstellungen, die auf dem Grundsatz basieren: `Derjenige, der seinen Hund töten will, behauptet zunächst, er habe die Tollwut'.
4) Das Wertgesetz regelt den Austausch auf der Basis des gleichen Arbeitsaufwands. Aber innerhalb des nationalen Rahmens kapitalistischer gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse und unter dem gegebenen Anstieg der nationalen Unterschiede in den Produktionsbedingungen in der Dekadenz (Arbeitsproduktivität und -intensität, organische Zusammensetzung des Kapitals, Löhne, Mehrwertraten, etc.) findet die Egalisierung der Profitraten, die den Produktionspreis bilden, wesentlich im nationalen Rahmen statt. Es existieren somit verschiedene Preise für dieselbe Ware in verschiedenen Ländern. Dies bedeutet, daß im internationalen Handel das Tageswerk einer entwickelteren Nation gegen jenes einer weniger entwickelten Nation oder eines Niedrig-Lohn-Landes ausgetauscht wird.... Länder, die Fertigprodukte exportieren, können ihre Waren über den Produktionspreis verkaufen, wobei er immer noch unterhalb des Produktionspreises des importierenden Landes bleibt. Erstere realisieren somit durch den Werttransfer einen Superprofit. Zum Beispiel: 1974 kostete ein Doppelzentner (100 Kilo) US-Weizen vier Stundenlöhne eines Arbeiters in den USA, aber 16 Stunden in Frankreich, was einer höheren Arbeitsproduktivität in den USA entsprach. Die amerikanische Agrarindustrie konnte also ihren Weizen in Frankreich oberhalb des Produktionspreises (4 Stunden) verkaufen und blieb immer noch konkurrenzfähiger als der französische Weizen (16 Stunden) - was den beeindruckenden Schutz ihres landwirtschaftlichen Marktes durch die EU und die unaufhörlichen Streitereien über diese Frage erklärt.
5) Für die EFICC trifft dies nicht mehr zu. Die Entwicklung des Staatskapitalismus wird mit dem Übergang von der formalen zur realen Herrschaft des Kapitals erklärt. Wenn dies der Fall wäre, müßten wir rein statistisch eine kontinuierliche Weiterentwicklung des staatlichen Anteils in der Wirtschaft beobachten können, da dieser Übergang sich über eine lange Periode erstreckte, und darüber hinaus müßten wir seinen Anfang bis in die aufsteigende Periode zurückverfolgen können. Dies ist ersichtlich nicht der Fall. Die Statistiken, die wir veröffentlichten, zeigen einen deutlichen Bruch im Jahr 1914. Während der aufsteigenden Phase war der Staatsanteil in der Wirtschaft konstant klein (er schwankte um 12% herum), doch während der Dekadenz wuchs er soweit, daß er heute im Durchschnitt über 50% des BSP beträgt. Dies bekräftigt unsere These der untrennbaren Verbindung zwischen der Dekadenz und der Entwicklung des Staatskapitalismus und entkräftet kategorisch jene der EFICC.
6) Nach dieser Artikelserie kann nur jemand, der so blind wie unsere Kritiker ist, den klaren Bruch in der kapitalistischen Existenzweise übersehen, der vom Ersten Weltkrieg dargestellt wird. All die langfristigen statistischen Aufstellungen, die wir in diesem Artikel veröffentlicht haben, demonstrieren diesen Bruch: Weltindustrieproduktion, Welthandel, Preise, Staatsinterventionen, Austauschverhältnis und Bewaffnung. Allein die Analyse der Dekadenz und ihre Erklärung mit der weltweiten Sättigung des Marktes machen diesen Bruch nachvollziehbar.
7) Auf Wunsch der britischen Regierung stellte der liberale Abgeordnete Sir William Beveridge einen Bericht zusammen, der, 1942 veröffentlicht, als Basis des Sozialversicherungssystems in Großbritannien diente, aber auch die Sozialversicherungssysteme in allen entwickelten Ländern inspirierte. Vorrang hatte, gegen einen direkt vom Lohn abgezogenen Beitrag, die Sicherung einer finanziellen Unterstützung im Falle "sozialer Risiken" (Krankheit, Unfall, Tod, Alter, Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, etc.).
8) Ebenfalls während des Zweiten Weltkrieges plante die niederländische Bourgeoisie mit den Gewerkschaften eine progressive Lohnsteigerung in Verbindung mit, auch wenn sie darunter blieb, der Produktivitätssteigerung.
9) CoC mag es, wenn 2 plus 2 gleich 4 sind; wenn ihnen gesagt wird, daß eine 4 auch durch die Subtrahierung der 2 von der 6 rauskommt, sehen sie darin einen Widerspruch. Daher kommt die CoC auf "die IKS und ihre widersprüchlichen Betrachtungen über die Aufrüstung (zurück). Während einerseits die Aufrüstung für den Absatz der Produktion in einem Ausmaß sorge, daß beispielsweise die Wirtschaftskonjunktur nach der Krise von 1929 allein auf die Rüstungsindustrie zurückzuführen sei, lernen wir andererseits, daß die Waffenproduktion keine Lösung der Krisen sei und daß Rüstungsausgaben daher eine unglaubliche Verschwendung von Kapital für die Entwicklung der Produktivkräfte darstellen, daß die Rüstungsproduktion auf die Minusseite des allgegenwärtigen Gleichgewichts angesiedelt werden sollte." (CoC, Nr.22)