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Am Montag, den 19. November, nahm in einer großen Provinzstadt eine kleine Gruppe von Studenten, die auf unserer letzten öffentlichen Veranstaltung gewesen war, eine Delegation von älteren politisierten Arbeitern, Mitglieder der IKS, zu zwei Hauptversammlungen von Eisenbahnern mit. Da die Gewerkschaften darauf geachtet hatten, dass diese Versammlungen in verschiedene Sektoren aufgespalten wurden, teilten sich unsere Genossen auf, um auf beiden Versammlungen zu reden: auf einer Versammlung des Bahnhofspersonals und auf einer Versammlung der Lokführer.
In beiden Versammlungen gab es einen herzlichen Empfang durch die Eisenbahner. Auf dem Treffen des Bahnhofspersonals stellte sich unser Genossen mit den Worten vor, dass er kein Eisenbahner sei, sondern ein pensionierter Arbeiter, dass er dennoch gekommen sei, um seine Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Er fügte hinzu, dass er, wenn möglich, gern sprechen würde, um seine Gedanken darzulegen über das, was Solidarität bedeutet. Die EisenbahnerInnen, die ihn willkommen geheißen hatten, dankten ihn für sein Kommen und sagten: „Natürlich kannst du sprechen.“
Die Versammlung begann gegen halb zwölf und endete gegen halb eins. In der Leitung der Versammlung saß ein Haufen Gewerkschaftsrepräsentanten: FO, CFDT, CFTC, CGT, SUD... Jeder von ihnen hielt eine Rede, in der er uns an die Forderungen der Bewegung erinnerte und sagte, dass es notwendig sei, ein Kräfteverhältnis „auf höherer Stufe“ zu etablieren; in der er die Verhandlungen, die erst kürzlich angekündigt worden waren, als eine Perspektive für den Kampf darstellte und darauf bestand, dass die Versammlungen entscheiden müssen – dies alles jedoch mit einem stark regionalistischen Unterton. Nicht nur, dass es eine Versammlung für einen einzigen Bereich war; darüber hinaus mangelte es ihren Interventionen an jeglichem Interesse für die Lage der Studenten und der Angestellten des Öffentlichen Dienstes. Ein Gewerkschaftsdelegierter behauptete gar, dass die Perspektive darin bestünde, zu kämpfen, um „Reformen zu erlangen“, und nicht darin, gemeinsam zu kämpfen, da es nicht die Orientierung der Gewerkschaften sei, alles zu „revolutionisieren“. Der CFDT-Repräsentant äußerte, dass die regionale Föderation nicht mit der nationalen Führung übereinstimme, die zur Beendigung des Streiks aufgerufen hatte.
Im Anschluss an diese Reden ging ein junger Eisenbahner auf unseren Genossen zu und sagte: „Du kannst sprechen, wenn du möchtest.“ Die Gewerkschaftsredner, die begriffen, was vor sich ging, sagten, dass es notwendig sei, noch ein bisschen zu warten, ehe man ihm das Wort erteilt. Zunächst müsse man zur Abstimmung über den erneuerbaren Streik schreiten, erst dann könne man den seinen Vorschlägen zum weiteren Vorgehen zuhören. Dies beweist nur, dass am Vorabend der Demonstration vom 20. November die Gewerkschaftsrepräsentanten sich veranlasst sahen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dagegen unterließ sie es im öffentlichen Sektor, aus Solidarität mit den Eisenbahnern zum Kampf aufzurufen (1). Es lag auf der Hand, dass die Gewerkschaften nicht begierig auf diese „Minderheit“ von Studenten waren, die nur Ärger bereiten konnten und ihre „Kiste der Ideen“ (nach dem Modell der Bewegung gegen den CPE im Frühjahr 2006) zur Eisenbahnerversammlung mitbrachten, die die Gewerkschaftsfunktionäre als ihr Privateigentum betrachteten. Diese Art von Versammlung, organisiert, gemanagt und sabotiert von den Gewerkschaften, sah keine wirkliche Diskussion, keinen Gedankenaustausch vor, ja erlaubte sie nicht. Und doch gab es eine ganz reale Wut und Kampfbereitschaft. Von den 117 Stimmen stimmten 108 EisenbahnerInnen für die Wiederaufnahme des Streiks. Erst nach der Abstimmung wurde unser Genosse ans Mikrophon gelassen. Für die Gewerkschaften waren Vorschläge von „auswärtigen Elementen“ nicht dazu da, von den EisenbahnerInnen diskutiert zu werden. Hier ist der Inhalt seiner Intervention:
„Ich bin kein Eisenbahner. Ich bin Rentner. Doch ich bin gekommen, um meine Solidarität mit eurem Kampf auszudrücken. Von ‚außen‘ besehen, gibt es heute etliche Kämpfe gegen die Angriffe, die das Leben der ArbeiterInnen und die Arbeitsbedingungen betreffen. Ihr, die ihr für eure Renten kämpft, die Studenten, die in Zukunft Arbeiter sein werden und die gegen eine Reform kämpfen, die bestimmte Hochschulen in niedere Universitäten verwandelt, die Angestellten des Öffentlichen Dienstes (wie jene von der Nationalen Bildung) werden morgen demonstrieren, da ihre Arbeitsbedingungen immer unerträglicher werden und ein Haufen Jobs flöten gegangen sind. All diese Kämpfe sind derselbe Kampf für die Verteidigung unserer Lebensbedingungen. Ich habe gerade gehört, dass wir ein Kräfteverhältnis auf einer ‚höheren Stufe‘ durchsetzen sollten. Ich stimme dem zu. Doch wie bewerkstelligen wir dies? Ich denke, dass wir alle zusammen kämpfen müssen. Dies deshalb, weil es eine Menge Solidarität seitens der Lohnabhängigen gegenüber den Studenten gab, so dass angesichts massiver Demonstrationen gegen den CPE die Regierung am Ende zurückweichen musste. Morgen müssen wir in großer Zahl zur Demonstration gehen, aber ich denke auch, dass es gut wäre, wenn es einen Banner gäbe, wo so etwas wie ‚Eisenbahner, Studenten, öffentliche Angestellte: alle vereint im Kampf‘ draufsteht. Und schließlich ist es am Ende der Demo nötig, dass die Eisenbahner, statt nach Hause oder in ein Café zu gehen, mit den Studenten, die öffentlichen Angestellten mit den Eisenbahnern und Studenten diskutieren. Wir müssen miteinander diskutieren, weil wir nur so beginnen können, die benötigte Einheit zu schmieden. Der einzige Weg, um uns selbst gegen die Attacken zu verteidigen, ist, diese Einheit zu bilden.“ Die Intervention erhielt einen freundlichen Beifall.
Bevor die Versammlung begonnen hatte, hatte unser Genosse ein wenig mit den Eisenbahnern über die Lügen in den Medien diskutiert. Diese Lügen sind jedem klar, außer den Blinden und den Tauben (und den Gegendemonstranten von Liberté Cherie). Am Ende der Versammlung kam er noch einmal mit einer kleinen Gruppe von jungen Eisenbahnern ins Gespräch. Er fragte sie: „Wie denkt ihr über ein gemeinsames Banner?“ Einer von ihnen antwortete: „Eigentlich sind die meisten dafür, aber die Gewerkschaften sind dagegen.“ Deutlicher kann man sich kaum über die spalterische Rolle der Gewerkschaften äußern. Dennoch entwickelt sich, trotz des Widerstandes der Gewerkschaften, allmählich die Idee der Einheit und Solidarität unter allen ArbeiterInnen.
In der anderen Hauptversammlung, der der Lokführer, wurden unsere Genossen, welche die Studenten begleiteten, gleichfalls sehr herzlich willkommen geheißen. Sie waren in der Lage, zu intervenieren, um dieselbe Orientierung wie unsere anderen Genossen zu vertreten. Die Studenten waren begeistert über die Idee eines gemeinsamen Banners. Die Interventionen der Studenten und unserer Genossen stießen auf offene Ohren, trotz der Tatsache, dass die Lokführer noch immer die Illusion hatten, dass sie sich allein erfolgreich verteidigen könnten, da sie den Verkehr lahmlegen könnten. Es ist aber die Einheit der ArbeiterInnen und nicht das simple „Blockieren“, was die Stärke der Arbeiterklasse ausmacht. Dieser Fetisch des „Blockierens“ ist heute das neue Ass im Ärmel der Gewerkschaften und bezweckt die Verhinderung jeglicher wirklichen Ausweitung und Vereinigung der Kämpfe.
Seit dem 18. Oktober ging es darum, eine Klasseneinheit gegen die spalterische Arbeit der Gewerkschaften zu bilden. Doch wie diese kleine Gruppe von Studenten in einer Diskussion mit uns nach der Versammlung sagte: „Die Attacken der Bourgeoisie gegen alle Bereiche der Arbeiterklasse sind so breit gefächert, dass dies nur die Tendenz zur Einheit der Kämpfe erleichtern kann.“ Diese kleine Studentengruppe hat sehr gut verstanden, was ein Student von der Universität von Cenesier in Paris 2006 gesagt hatte: „Wenn wir alle allein kämpfen, werden sie uns zum Frühstück verspeisen.“ Und weil sie nicht ihre Eisenbahner-Genossen der Isolation überlassen wollten, die ansonsten von den Milizen des Kapitals aufgemischt worden wären, hielten sie Ausschau nach der Solidarität von authentischen Kommunisten (einige von ihnen waren in den 70er und 80er Jahren von der CGT-Gewerkschaft physisch angegriffen worden). Es trifft allerdings zu, dass seit dem Fall der Berliner Mauer die CGT und die so genannte Kommunistische Partei sehr viel „demokratischer“ geworden sind. Die Studenten, die in der Lage gewesen waren, die Tür zu den Eisenbahnerversammlungen (die im Gefängnis der örtlichen Gewerkschaftsfunktionäre gehalten wurden) aufzustoßen, sagten unseren Genossen: „Es ist großartig, solche ‚Eltern‘ wie euch zu haben.“ Sie sind völlig anders als die „aufbegehrenden“ Studenten Ende der 60er Jahre, die so sehr von der „Generationenlücke“ gezeichnet waren und die in ihrer Rebellion gegen ihre Eltern, die den Terror des Nazismus und Stalinismus erlebt hatten, zu Slogans griffen wie: „Bringt die ältere Generation in die Konzentrationslager!“ (2).
Die Intervention unserer Genossen bezweckte nicht, Mitgliedskarten zu verkaufen und zu jedem Preis zu rekrutieren, da die IKS anders als die Trotzkisten und andere Organisationen der „Linken“ keine Organisation ist, die am bürgerlichen Wahlzirkus teilnimmt. Auch ist es nicht ihr Ziel, „der Bewegung unter die Arme zu greifen, wie einige Anti-Partei-Ideologen denken. Was jene anbelangt, die weiterhin blinden Alarm schlagen und vor den zähnefletschenden Bolschewiki warnen, so können wir nur dazu raten, endlich einmal die tatsächliche Geschichte kennenzulernen und nicht die Lügen der bürgerlichen Propaganda zu wiederholen. Die neue Generation der Arbeiterklasse, ob Eisenbahner oder Studenten, entdeckt die Wahrheit über die reale „Demokratie“ und über die wahre Solidarität, selbst wenn sie noch Illusionen hat und nicht auf die Schule der Erfahrung verzichten kann. Der Mut, den sie schon jetzt besitzt, wo sie gerade beginnt, den Direktiven der Gewerkschaftsbosse nicht zu folgen und die wahre Kultur der Arbeiterklasse zum Leben wiederzuerwecken, zeigt, dass die Zukunft der Menschheit immer noch in ihren Händen liegt.
GM, November 2007