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Nachfolgend veröffentlichen wir einige Notizen zu den Studentenprotesten in Deutschland, die wir als Zuschrift erhalten haben. Wir begrüßen solche Reaktionen und möchten sie hiermit zur Debatte stellen. - Weltrevolution -
Notizen zu den Studentenprotesten:
1) Die Gesamtsituation im Juni und jetzt ist unterschiedlich (im Juni z.B. Streik der Erzieherinnen – jetzt mehr Niedergeschlagenheit durch Firmenschließungen wie Karstadt und Quelle)
2) Die Studenten haben im Juni nichts erreicht, die Bourgeoisie hat angesichts der nahenden Sommerferien das Ganze ausgesessen. Deshalb jetztwieder Proteste – sie haben sich nicht entmutigen lassen.
3) Einiges finden ich bemerkenswert bei diesen Protesten:
a) Kämpferisch und motiviert – Die Studenten investieren viel Zeit und Energie, sie lassen sich nicht einlullen durch Versprechungen und angebliches „Verständnis“, hinter denen nichts steckt
b) Kollektives Entscheiden und Handeln – in den besetzten Hörsälen wird diskutiert und gemeinsam entschieden und zwar tagtäglich – die Arbeitskreise, die einzelne Themen erarbeiten, legen regelmäßig Rechenschaft ab.
c) An vielen Orten autonomes Handeln – die Asten und Studentenparlamenten haben Schwierigkeiten, einen Zugang zu den Protesten zu finden und bleiben bei Solidaritätsbekundungen (es ist allerdings je nach Uni unterschiedlich – hier da, dort weniger)
d) Parteien sind selten gern gesehen, aber es gibt nicht unbedingt eine Abneigung gegen Politik – jeder kann reden, egal ob organisiert oder nicht
e) Die Studenten besetzen nicht die Räume, um sich darin einzusperren, sondern als Ort der Zusammenkunft, um auch vor dort aus andere Unis zu besuchen
f) Die Proteste gehen über Städte, Regionen und Länder hinweg – praktischer internationaler Zusammenhalt und Vernetzung. Zwei Beispiele: Die Wuppertaler sind z.B. vor einer Woche abends nach ihrem Plenum spontan zu 40 nach Aachen gefahren, um die dortigen Studenten zu besuchen und zu unterstützen – es hat allen gut getan, sie haben eine spontane Demo gemacht und über zwei Stunden diskutiert ; als sie hörten, dass in Deutschland Unis mit Polizeigewalt geräumt wurden, begaben sich die Wiener Studenten spontan als Demo zu der deutschen Botschaft (bringt zwar nicht viel, aber eine spontane Reaktion der Solidarität)
g) Solidarität ist insgesamt wichtig – eine Demo gegen die Repressalien wird z.B. jetzt am 25.11. in Duisburg stattfinden
h) Die Studenten sind offen auch für andere (Eltern, Dozenten) und freuen sich über Beteiligung
i) Mich begeistert ihre Kreativität, wie sie mit Problemen umgehen, wie sie neue Lösungen und Ideen immer wieder finden, wie sie das Ganze künstlerisch, humorvoll und einfallsreich aufarbeiten
j) Die Reaktionen der Bevölkerung finde ich auch interessant: die Studenten bekommen Unterstützung (einige Beispiele: Anwohner und andere Menschen haben den Studenten in Köln 40 Schüsseln mit Salaten gebracht; Bäckereien schenken Brot und Gebäck; Druckereien drücken umsonst Flyers, etc.)
4) Selbstverständlich sind erhebliche Grenzen auch vorhanden:
a) Während die Studenten sich viel über die Organisation ihres Protestes Gedanken machen, sind inhaltliche Diskussionen oft zu selten – was steckt hinter den Forderungen, in welcher Situation weltweit und in Deutschland/Österreich befinden wir uns, ist der universitäre Rahmen der einzige, um den es geht, was ist mit den Beschäftigten... viele Diskussionsthemen, die stattfinden sollten auch über die verschiedenen Vernetzungsmöglichkeiten, aber es meiner Meinung nach zu wenig tun –allerdings habe ich nur einen eingeschränkten Blick, bin ja nicht überall, es kann auch Unterschiede geben. Insgesamt ist es meiner Meinung nach aber eher unpolitisch und damit eine leichte Beute für die bürgerlichen Medien und Parteien/Organe/Ideologie
b) Die Grenzen liegen in der Natur des Studentendaseins selbst – die Zusammensetzung ist heterogen und sie sind noch nicht im Produktionsprozess integriert – mit Illusionen und wenig Erfahrungen (auch wenn sie instinktiv oft richtig reagieren)
c) Die gesamte Situation bietet wenig Möglichkeiten, dass sie sich bestehenden Kämpfen der Arbeiter anschließen – denn die gibt es im Moment nicht. Dadurch werden Appelle, sich auch an die Arbeiter zu wenden, abstrakt. Da, wo Reaktionen der Arbeiter bestehen, gibt es aber ein natürliches Zusammenkommen mit den Studenten (z.B. letzten Samstag in Wien, als Erzieherinnen für bessere Arbeitsbedingungen demonstrierten, waren die Studenten dabei und haben die Demonstranten zu einer „Kindergartenjause“ im Audimax der Uni eingeladen).
5) Die Reaktion der Bourgeoisie:
a) Der Bourgeoisie ist das Ganze unangenehm. Erst hat sie versucht, es totzuschweigen (über die Proteste in Österreich ist die erste Zeit gar nicht berichtet worden). Dann ging es nicht mehr, also durfte sie den Studenten das Feld nicht überlassen und kein Tag vergeht ohne Berichterstattung, Interviews und „viel Verständnis“ sogar von Merkel! In einer Zeit, in der der soziale Frieden über kurz oder lang Risse bekommt und Kämpfe unvermeidbar werden, ist das Beispiel der Studenten und die Solidarität der Bevölkerung so gar nicht in ihrem Sinne. Sie versucht mit der ganzen Palette von Repression bis Zustimmung das Nachdenken zu verhindern.
b) Reaktionen wie Räumung der Unis durch Polizei und Strafanzeigen halte ich nicht für ein Zeichen der Stärke der Bourgeoisie. Wird da geräumt, gehen sie durch eine andere Tür wieder rein – es beeindruckt sie nicht, macht sich aber in der Bevölkerung nicht besonders gut und gießt Öl aufs Feuer – zumal die Studenten sich durch Gewalt nicht provozieren lassen.
c) Reaktionen der Bildungsministeriums wie Bafögerhöhung oder Sparpläne für zukünftige Studenten (die Oma und Opa anlegen können) sind lächerlich, und was ich mitkriegen konnte, werden auch von Nichtstudenten als solche wahrgenommen.
d) Dass die Bourgeoisie hinter allen Maßnahmen das Sparen bezweckt, wird immer deutlicher – ob Kindergarten oder Uni, es soll billig sein – je mehr Bildung auf der Packung steht, desto weniger ist Bildung drin. Die Unfähigkeit des Kapitalismus, den Menschen u.a. auch in ihrem Bedürfnis nach Lernen eine Perspektive zu bieten, offenbart sich auch zunehmend darin, dass die Bourgeoisie nicht in der Lage sein kann, auf die Studentenproteste wirklich einzugehen. Diese Unfähigkeit des Kapitalismus verstehen die Studenten aber noch nicht und darin liegen ihre Illusionen.
N. 23.11.09
Offener Brief an die Studenten
„Liebe Wuppertaler Studenten, Ich verfolge mit Spannung seit dem Sommer Eure Proteste und war gestern Abend mit Twitter und Lifestream in Gedanken bei Euch, deshalb einige Kommentare:
Bin schwer beeindruckt von dem Durchhaltevermögen und der Entschlossenheit der Studenten in Wuppertal und allen anderen Städten. Während im Sommer viel versprochen, aber nichts gehalten wurde, wollt Ihr jetzt etwas erreichen. Ihr habt recht, es geht ja auch um Eure Zukunft. Erreichen könnt Ihr nur was, wenn Ihr ein Kräfteverhältnis zu Euren Gunsten schafft, d.h. wenn die Verantwortlichen so richtig das Zittern bekommen und ihnen nichts anderes übrigbleibt, als nachzugeben. Das war die Situation 2006 in Frankreich, als die Studenten die Regierung zur Rücknahme eines Gesetzpaketes gezwungen haben. Was macht euch stark? - stark macht euch erst einmal die gesamte Situation in Deutschland (und weltweit): Tausende Beschäftigte verlieren z.Zt. ihre Arbeit (Quelle, Karstadt etc.), Opel steht auf der Kippe, unzählige Zulieferbetriebe der Autoindustrie und andere Branchen haben Kurzarbeit, nicht zu vergessen den Streik der Erzieherinnen im Sommer, die nach wie vor unzufrieden sind – der soziale Frieden, der in Deutschland solange gepflegt wurde, bekommt Risse. - stark macht es Euch aus diesem Grund, wenn Ihr den Kontakt zu den Beschäftigten im Bildungsbereich und woanders sucht, denn Eure Probleme sind im Grunde die gleichen: Studiengebühren und Bachelor haben den Zweck, die Bildung möglichst preisgünstig zu gestalten, an Euch und Eurer Zukunft zu sparen – nicht anders als in Kindergärten oder bei Opel. Damit meine ich nicht in Form von Grußbotschaften der Gewerkschaften, sondern indem Ihr auf die Straße geht oder auch zu Betrieben. Z.B. Auszubildende und Dualstudenten haben schwer zu tragen und sind Eure Verbündete – auch sie könnten sich mit ihren eigenen Forderungen Euch anschließen.
- stark macht es Euch, wenn Ihr so zahlreich wie möglich seid, wenn Ihr miteinander diskutiert, wenn Ihr nicht in eurer Uni eingesperrt bleibt, sondern Gedanken und Erfahrungen mit anderen Unis austauscht – in diesem Sinne sind die Vorschläge, mehrere Unis zu besuchen und geschlossen zu
demonstrieren zu begrüßen. Unibesetzungen sind kein Selbstzweck, sondern bieten eine Gelegenheit, miteinander zu diskutieren, sich zu sammeln und loszuziehen zu anderen Unis, Schulen, zu den Menschen auf der Straße, die Euren Protest oft wohlwollend wahrnehmen, ihn aber als „die Sache der Studenten, mit der sie doch nichts zu tun haben“, betrachten.
- stark macht es Euch, wenn Ihr geschlossen und so zahlreich wie möglich Euch gegen jetzige und zukünftige Repressalien wehrt (Strafanzeigen u.a.)
- dies nicht in Form von Petitionen, denn Papier ist geduldig und beeindruckt wenig.
- ich hoffe, dass ihr genug Zeit findet, viele Diskussionen zu führen und Eure Gedanken auf Papier zu bringen, z.B. in „Talsperre“ und ins Internet, damit sich Studenten und andere Menschen beteiligen können und der Gewinn Eures Protestes sich auch darin ausdrückt.
17.11.09