Filmbesprechung: „Up in the Air“ – Leben auf der Überholspur?

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Der amerikanische Film „Up in the Air“ läuft aktuell in den Kinos und begeistert das Publikum. Der Film setzt sich mit den menschlichen Folgen der Arbeitslosigkeit und der (Welt)wirtschaftskrise auseinander. Wie passt das zusammen?

Im Zentrum des Geschehens steht Ryan Bingham. Er ist fast immer auf Reisen. Firmen buchen ihn, damit er deren Angestellte und Arbeiter feuert. Um diesen Job erfüllen zu können, reist Bingham 322 Tage im Jahr kreuz und quer durch die USA. Die schlechte Nachricht für ihn: Das bedeutet „43 grässliche Tage zu Hause“. Bingham ist ein Mann ohne Ecken und Kanten – aalglatt. Er hat sich den kapitalistischen Mythos einer makellos funktionierenden Maschine zum Lebensprinzip erkoren. Zufriedene Momente erlebt er, wenn seine zahllosen Flüge und „Firmenbesuche“ wie am Schnürchen laufen. Die Blitzmontagen der Kamera verstärken diesen Eindruck bewusst – er funktioniert wie ein geöltes Getriebe: reibungslos. Bingham hat den perfekten Reisekoffer, den man als Handgepäck mitnehmen kann; er hat alle Vielfliegerprogramme, so dass er nie in einer Schlange am Counter warten muss; er muss nur seine Karte durchziehen und schon begrüßt ihn eine „freundliche“ Computerstimme.

Bingham geht sogar noch einen Schritt weiter. Er macht aus dieser Lebensart eine Lebensanschauung. Er hält vor Mitarbeitern und Managern „Rucksackvorträge“. Sein Motto: Alles, was man zum Leben wirklich braucht, passt in einen kleinen Rucksack. Der Rucksack ist ein zentrales Symbol des Films. Schließlich schmeißt Bingham nicht nur vertraute Wohngegenstände oder Erinnerungsstücke aus dem Rucksack raus, sondern gar jegliche soziale Bindungen wie Familie, Freunde und Kollegen. All diese „Gegenstände“ müsse man hinter sich lassen, da man sonst zu viel „Ballast“ mit sich herumtrage. Dies verdeutlicht, wie im Kapitalismus „freie“ Arbeiter gezwungen sind, kreuz und quer durch die Welt zu wandern, auf der Suche nach einer Gelegenheit, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Bingham hat sich „frei“ gemacht; er lebt frei von jeglicher engerer emotionaler Bindung zu anderen Menschen. Menschen sind für ihn Dienstleistungsanbieter, einschließlich seiner selbst. Gerade deshalb ist er in seinem Beruf auch so erfolgreich. Schließlich lebt er davon, Menschen zu feuern und ihnen dadurch ihre Lebensgrundlage zu entreißen. Wie immer feuert er diese verzweifelten Menschen unglaublich freundlich und erzählt ihnen, welche ungeahnten Möglichkeiten ein solcher Rauswurf doch für die Zukunft bedeuten könnte. Die Betroffenen reagieren unterschiedlich, aber alle sind verzweifelt, können nicht begreifen, warum ihre jahrelange gute Arbeit nicht gewürdigt wird, fragen, ob sie denn etwas falsch gemacht hätten, was sie nun ihren Familien sagen sollten, und auch der Bank, die auf die nächsten Ratenzahlungen warte.

Diese Szenen gehören zu den stärksten des Films. Ein Grund könnte nicht zuletzt darin bestehen, dass der Regisseur Reitman mit Laiendarstellern gearbeitet hat. Diese Laiendarsteller haben 2007-2008 tatsächlich ihren Job im Taumel der Krise verloren. Hinter den anonymen Zahlen der Entlassungswellen weltweit, die man tagtäglich in den Nachrichten vernimmt, stehen ganze Menschen und ihre Familien. In diesen Szenen leidet man besonders mit, denn wir wissen: Diese Gesichter sind unsere Gesichter. Es geht nicht darum, ob man am Arbeitsplatz etwas falsch gemacht hat. Wie hilflos wir Arbeiter und Angestellte als Einzelne angesichts der sich rapide verschärfenden Überproduktionskrise sind, zeigt „Up in the Air“ mehr als deutlich. Bingham versucht all diesen Verzweifelten zu sagen, sie sollen das Beste aus der Situation machen. Leider schließt dies für manche auch den Selbstmord mit ein.

Wie kann Bingham einen solchen Beruf nur durchstehen? Seine junge, neue Kollegin Natalie Keener, die zunächst härter und unmenschlicher wirkt (ihre kostensenkende Idee für die Firma, in der Bingham arbeitet, lautet, Kündigungen per Internet durchzuführen), kündigt nach nur einem Monat. Was unterscheidet Keener von Bingham? Keener hat noch soziale Bindungen, leidet unter der Trennung von ihrem Verlobten, wünscht sich eine liebende Familie. Aufgrund dieser sozialen Gefühle ist ihr eines noch nicht abhanden gekommen: ihr Gewissen. Für sie werden diese Kündigungsgespräche immer unerträglicher.

Und nun begreift man nach und nach, dass Bingham vermutlich „gezwungen“ war, alle seine Beziehungen zu seiner Familie zu kappen, damit er seine soziale und emotionale Seite und sein Gewissen ganz tief begraben kann. Er kann seinen Job nur dann durchhalten, wenn er rein rational an die Entlassungen herangeht. Kosten-Nutzen-Rechnung geht nicht auf, also raus mit den Kostenverursachern. Natürlich nett verpackt. Bingham ist der entfremdete Mensch im Kapitalismus in Reinkultur. Aber er ist eben auch ein Mensch. Was zunächst als harmlose Affäre mit seinem weiblichen Gegenstück Alex Goran beginnt, wird für Bingham eine echte Beziehung. Er verspürt erstmals Nähe, Zugehörigkeitsgefühle, Vertrauen und Glück – aber dadurch bekommt seine Lebensart erste Risse. Er nimmt Kontakt zu seiner Familie auf und reist spontan zu Alex (um festzustellen, dass sie eine Familie hat). Er hat seine menschlichen Seiten zugelassen. Dies hat ihn verletzlich, aber auch glücklich gemacht.

Das Ende des Films bleibt offen. Bingham steht am Flughafen und schaut hinauf auf die Anzeigetafel. Reist er wieder zum nächsten Entlassungstermin, oder hat er ein Stück weit ausbrechen können aus dem Hamsterrad der völligen Entfremdung?

2.3.2010 t.t.

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