Gespeichert von Weltrevolution am
Für Generationen von Arbeitern war die Pariser Kommune der Bezugspunkt in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Die Russischen Revolutionen von 1905 und 1917 stützten sich auf die Pariser Kommune und ihre Lehren, bis die Revolution von 1917 als Hauptbezugspunkt an deren Stelle trat.
Heute versuchen die Propagandakampagnen der herrschenden Klasse die revolutionäre Erfahrung des Oktober 1917 zu begraben und zu verfälschen, um die Arbeiter von ihrer eigenen Geschichte abzustoßen. Die Herrschenden wollen, dass wir Kommunismus mit Stalinismus identifizieren. Da die Pariser Kommune sich nicht für die gleichen Lügen eignet, hat die herrschende Klasse immer versucht, ihre wahre Bedeutung zu verdrehen und sie als eine patriotische Bewegung oder als einen Kampf für die Verteidigung der bürgerlichen Werte darzustellen.
Ein Kampf gegen das Kapital und kein patriotischer Kampf
Die Pariser Kommune entstand 7 Monate nach Napoleons Niederlage in Sedan, als dieser im französisch-preußischen Krieg von 1870 besiegt worden war. Am 4. Sept. 1870 erhoben sich die Pariser Arbeiter gegen die furchtbaren Lebensbedingungen, unter denen sie nach Napoleons militärischem Abenteuer litten. Die Republik wurde ausgerufen, während Bismarcks Truppen in der Nähe von Paris in Zeltstädten lagerten. Von dem Zeitpunkt an kümmerte sich die Nationalgarde, die sich aus Truppen aus den unteren mittleren Schichten zusammensetzte, um die Verteidigung der Hauptstadt gegen den preußischen Feind. Die Arbeiter, die mittlerweile Hunger litten, traten schnell der Nationalgarde bei und stellten bald die Mehrheit ihrer Truppen. Die herrschende Klasse möchte diese Episode in patriotischen Farben malen, um aufzuzeigen, dass es sich um eine "Volkserhebung" gegen den preußischen Aggressor gehandelt habe. Aber sehr schnell brachten die Kämpfe zur Verteidigung von Paris die unlösbaren Klassengegensätze ans Tageslicht, die die beiden grundlegenden Klassen der Gesellschaft aufeinanderprallen ließen: Bourgeoisie und Proletariat. Nach 135 Tagen der Belagerung kapitulierte die französische Regierung und unterschrieb den Waffenstillstand mit der preußischen Armee. Thiers, der neue Führer der republikanischen Regierung verstand, dass es mit dem Ende der Feindseligkeiten zwischen preußischen und französischen Truppen nötig wäre, das Pariser Proletariat zu entwaffnen, da dieses eine Bedrohung für die herrschende Klasse darstellte. Am 18. März 1871 versuchte er es zunächst mit Tricks. Er behauptete, die Waffen wären Staatsbesitz. Deshalb schickte er Truppen, die der Nationalgarde die Artillerie von mehr als 200 Kanonen abnehmen sollten, die die Arbeiter in Montmartre und Belleville versteckt hielten. Der Versuch scheiterte, weil die Arbeiter erbitterten Widerstand leisteten und es zur Verbrüderung zwischen der Pariser Bevölkerung und den Truppen kam. Das Scheitern dieses Versuchs, Paris zu entwaffnen, brachte ein Pulverfass zur Explosion, und löste den Bürgerkrieg zwischen den Arbeitern von Paris und der bürgerlichen Regierung aus, die nach Versailles geflüchtet war. Am 18. März erklärte das Zentralkomitee der Nationalgarde, das die Macht vorübergehend übernommen hatte: "Die Proletarier von Paris, inmitten der Niederlagen und des Verrats der herrschenden Klassen, haben begriffen, dass die Stunde geschlagen hat, wo sie die Lage retten müssen... Sie haben begriffen, dass es ihre höchste Pflicht und ihr absolutes Recht ist, sich zu Herren ihrer eigenen Geschichte zu machen und die Regierungsgewalt zu ergreifen" (In Karl Marx : "Der Bürgerkrieg in Frankreich", MEW, Bd. 17, S. 335). Am gleichen Tag kündigte das Komitee sofortige Wahlen der Delegierten aus den Arrondissements (Pariser Stadtbezirken) an, die nach allgemeinem Wahlrecht gewählt werden sollten. Diese wurden am 26. März abgehalten; zwei Tage später wurde die Kommune ausgerufen. Es gab mehrere Tendenzen: eine von den Blanquisten beherrschte Mehrheit, und eine Minderheit, die zumindest aus Proudhon nahestehenden Sozialisten bestand und der 1. Internationale angehörte.
Die Versailler Regierung ging sofort zum Gegenangriff über, um Paris aus den Händen der Arbeiterklasse zu reißen. Die französische Bourgeoisie, die die Bombardierung von Paris durch die preußischen Truppen aufs Schärfste verurteilt hatte, bombardierte jetzt selbst zwei Monate lang die Stadt.
Es ging dem Proletariat nicht darum, das Vaterland gegen einen ausländischen Feind zu verteidigen, sondern sich gegen den Feind zu Hause zu wehren, gegen die "eigene" Bourgeoisie, die sich in der Versailler Regierung zusammengeschlossen hatte. Deshalb weigerte sich das Pariser Proletariat, seine Waffen zu strecken und sich den Ausbeutern zu ergeben. Stattdessen errichtete es die Kommune.
Ein Kampf zur Zerstörung des bürgerlichen Staates und nicht zur Verteidigung der republikanischen Freiheiten
Die Bourgeoisie stützt ihre schlimmsten Lügen immer auf einen Schein von Wirklichkeit. Sie versucht die Tatsache zu ihren Gunsten zu verwenden, dass die Kommune sich tatsächlich auf die Prinzipien von 1789 berief, um die erste revolutionäre Erfahrung des Proletariats auf eine bloße Verteidigung der republikanischen Freiheiten zu reduzieren, sie als einen Kampf der bürgerlichen Demokratie gegen die monarchistischen Truppen darzustellen, um die sich die französische Bourgeoisie geschart hatte. Aber der wahre Geist der Kommune kann nicht verstanden werden anhand des Gewandes, den sich das junge Proletariat 1871 angelegt hatte. Diese Bewegung ist ein erster lebenswichtiger Schritt im weltweiten Befreiungskampf des Proletariats gewesen. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass die offizielle Macht der Bourgeoisie in einer ihrer Hauptstädte umgeworfen wurde. Und dieser Titanenkampf ist das Werk der Arbeiterklasse und keiner anderen Klasse gewesen. Sicher war die Arbeiterklasse damals wenig entwickelt, sie war kaum ihrer alten Handwerkervergangenheit entronnen und schleppte noch das ganze Gewicht des Kleinbürgertums mit sich herum und die Illusionen, die 1789 enstanden waren. Dennoch war diese Arbeiterklasse die treibende Kraft in der Kommune gewesen. Obgleich die Revolution historisch gesehen noch nicht möglich war (weil das Proletariat insgesamt noch zu unreif war und vor allem, weil der Kapitalismus noch nicht die Produktivkräfte soweit entwickelt hatte, dass sie in einen unüberwindbaren Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen gerieten), zeigte die Kommune die Richtung auf, in die sich die zukünftigen Arbeiterkämpfe entwickeln würden.
Und obgleich die Kommune sich auf einige Prinzipien der bürgerlichen Revolution berief, füllte sie sie nicht mit dem gleichen Inhalt aus. Für die Bourgeoisie bedeutete "Freiheit" freier Handel und die "Freiheit" Arbeitskraft auszubeuten; "Gleichheit" hieß nichts anderes als Gleichheit unter den Bourgeois in ihrem Kampf gegen feudale Privilegien; "Brüderlichkeit" hieß Harmonie zwischen Kapital und Arbeit, mit anderen Worten Unterwerfung der Ausgebeuteten unter die Ausbeuter. Für die Arbeiter der Kommune hieß "Freiheit, Gleicheit, Brüderlichkeit" die Abschaffung der Lohnarbeit, der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und einer Gesellschaft, die in Klassen aufgespalten ist. Diese Auffassung einer anderen Welt, die von der Kommune selber zum Ausdruck gebracht wurde, spiegelte sich in der Organisierung des gesellschaftlichen Lebens durch die Arbeiterklasse während der zweimonatigen Existenz der Kommune wider. Das wahre Klassenwesen der Kommune ist in ihren ökonomischen und politischen Maßnahmen zu suchen, und nicht so sehr in den Slogans, die aus der Vergangenheit übernommen wurden.
Zwei Tage nach ihrer Ausrufung bestätigte die Kommune ihre Macht, indem sie direkt den Staatsapparat durch eine Reihe von politischen Maßnahmen angriff: Abschaffung der Polizeikräfte, die die gesellschaftliche Repression ausüben, der stehenden Armee und der Wehrpflicht (die einzig anerkannten militärischen Kräfte waren die Truppen der Nationalgarde), Zerstörung der staatlichen Verwaltung, Beschlagnahme des Kircheneigentums, Abschaffung der Guillotine, kostenlose Schulen, all die anderen symbolischen Maßnahmen wie die Zerstörung des Monuments der Vendome, des Symbols des Chauvinismus der herrschenden Klasse, das von Napoleon I. errichtet worden war. Am gleichen Tag bestätigte die Kommune ihr proletarisches Wesen durch die Tatsache, dass die "Fahne der Kommune die der Universellen Republik, der Weltrepublik" sein sollte. Das Prinzip des proletarischen Internationalismus wurde durch die Wahl von Ausländern zur Kommune verdeutlicht (so wurden der Pole Dombrowski als Beauftragter für die Verteidigung und der Ungar Frankel für den Bereich Arbeit ernannt).
Unter all diesen politischen Maßnahmen gab es eine, die besonders deutlich aufzeigte, wie falsch die Auffassung war, der zufolge das Pariser Proletariat die demokratische Republik angeblich verteidigt hätte: es handelt sich um die jeder Zeit mögliche Abwählbarkeit der Delegierten der Kommune, die ständig gegenüber den Organen, die sie gewählt hatten, verantwortlich waren. Dies geschah lange vor der Entstehung der Arbeiterräte in der Russischen Revolution von 1905 - die wie Lenin später sagen sollte "die endlich gefundene Form der Diktatur des Proletariats" waren. Dieses Prinzip der Abwählbarkeit, das das Proletariat bei seiner Machtergreifung praktiziert hatte, bestätigt erneut das proletarische Wesen der Kommune. Die Diktatur der Bourgeoisie, von der der "demokratische" Staat nur die heimtückischste Variante ist, bündelt all die Staatsmacht der ausbeutenden Klasse in den Händen einer Minderheit zusammen, die die große Mehrheit der Produzenten unterdrückt und ausbeutet. Das Prinzip der proletarischen Revolution besteht auf der anderen Seite darin, dass keine Macht entstehen soll, die sich über die Gesellschaft stellen könnte. Nur eine Klasse, die auf die Abschaffung jeglicher Klassenherrschaft einer Minderheit von Unterdrückern abzielt, sollte die Macht ausüben.
Weil die politischen Maßnahmen der Kommune eindeutig deren proletarisches Wesen verdeutlichten, konnten ihre auch noch so begrenzten ökonomischen Maßnahmen auch nur die Interessen der Arbeiter verteidigen: Abschaffung der Mieten, Abschaffung der Nachtarbeit in gewissen Branchen wie bei den Bäckern, Abschaffung der Strafen, die von den Löhnen abgezogen wurden, Wiedereröffnung von geschlossenen Werkstätten, die von den Arbeitern übernommen werden sollten. Die Bezahlung der Delegierten der Kommune sollte einen Arbeiterlohn nicht übersteigen usw.
Sicher hatte diese Art der Organisierung der Gesellschaft nichts zu tun mit der "Demokratisierung" des bürgerlichen Staates, sondern sie richtete sich im Gegenteil auf dessen Zerstörung. Und dies ist in der Tat eine Hauptlehre, die die Kommune der ganzen späteren Arbeiterbewegung hinterließ. Dies war eine Lehre, die die Arbeiterklasse nicht zuletzt aufgrund des Drängens Lenins und der Bolschewiki viel deutlicher im Oktober 1917 in die Tat umsetzte. Wie Marx schon 1852 im "18. Brumaire des Louis Bonaparte" gesagt hatte, hatten alle politischen Revolution bislang nur die Staatsmaschinerie perfektioniert anstatt sie zu zerschlagen.
Obgleich die Bedingungen für die Zerstörung des Kapitalismus noch nicht reif waren, kündigte die Pariser Kommune als letzte Revolution des 19. Jahrhunderts schon die revolutionären Bewegungen des 20. Jahrhunderts an. Sie zeigte in der Praxis: "die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen" ("Der Bürgerkrieg in Frankreich", ebenda, S. 336).
Gegen die Gefahr einer Bedrohung durch das Proletariat entwickelte die herrschende Klasse ihre blutrünstige Wut
Die herrschende Klasse konnte nicht akzeptieren, dass die Arbeiterklasse es wagen sollte, gegen ihre Ordnung anzutreten. Als die Bourgeoisie Paris wieder mit Waffengewalt erobert hatte, zielte diese nicht nur darauf ab, ihre Macht in der Hauptstadt wieder herzustellen, sondern sie wollte auch vor allem in der Arbeiterklasse ein Blutbad anrichten, das den Arbeitern als Lehre dienen sollte. Ihre Wut und Verachtung bei der Niederschlagung der Kommune entsprach der Angst, die ihr das Proletariat eingejagt hatte. Von Anfang April an fingen die Truppen Thiers und Bismarcks, deren Truppen die militärischen Festungen im Norden und Osten Paris besetzt hielten, an ihre "heilige Allianz" zur Niederschlagung der Kommune zu organisieren. Damals schon zeigte die Bourgeoisie die Fähigkeit, ihre nationalen Interessensgegensätze in den Hintergrund zu rücken, um dem gemeinsamen Klassenfeind entgegenzutreten. Diese enge Zusammenarbeit zwischen den französischen und preußischen Armeen führte zur Einkreisung der Hauptstadt. Am 7. April eroberten die Versailler Truppen die Forts im Westen der Stadt. Konfrontiert mit dem erbitterten Widerstand der Nationalgarde, überzeugte Thiers Bismarck, 60.000 in Sedan gefangene französische Soldaten freizulassen, wodurch die Versailler Regierung von Mai an ein zahlenmäßiges šbergewicht erlang. In der ersten Maihälfte brach die südliche Front zusammen. Am 21. Mai marschierten Versailler Truppen unter dem General Gallifet im Norden und Osten Paris ein, weil die preußische Armee für sie eine Flanke eröffnet hatte. Acht Tage lang wüteten die Kämpfe in den Arbeitervierteln der Stadt. Die letzten Kämpfer der Kommune kamen massenweise auf den Hügeln der Stadt um Belleville und M‚nilmontant um. Aber die blutige Niederschlagung der Kommune machte da nicht halt. Die herrschende Klasse wollte ihren Triumpf noch auskosten, indem sie ihre Rache an dem geschlagenen und niedergekämpften, entwaffneten Proletariat ausübte, diesem "niedrigen, dreckigen Volk", das gewagt hatte, ihre Klassenherrschaft in Frage zu stellen. Während Bismarcks Truppen Befehl hatten, jeden Flüchtenden festzunehmen, übten die Horden Gallifets ein gewaltiges Massaker an den wehrlosen Männern, Frauen und Kindern aus. Sie mordeten kaltblütig mit Erschießungskommandos und Maschinengewehren.
Die "blutige Woche" endete mit einem unglaublichen Massaker: mehr als 20.000 Tote. Dann folgten Massenverhaftungen, die Hinrichtung von Gefangenen, um "ein Beispiel zu setzen", Verschleppung in Zwangarbeitslager, Hunderte von Kindern wurden in sog. "Erziehungsanstalten" gesteckt.
So stellte die herrschende Klasses ihre Ordnung wieder her. So reagierte sie, als ihre Klassenherrschaft bedroht wurde. Aber die Kommune wurde nicht mal nur durch die reaktionärsten Teile der herrschenden Klasse niedergemetzelt. Obgleich sie die schmutzigste Arbeit den monarchistischen Truppen überließen, waren es die "demokratischen" republikanischen Fraktionen, die mit der Nationalversammlung und den liberalen Parlamentariern an der Spitze die volle Verantwortung für das Massaker und den Terror trugen. Die Arbeiterklasse darf diese "heldenhaften" Taten der bürgerlichen Demokratie nie vergessen!
Indem sie die Kommune niederschlugen, was wiederum zur Auflösung der 1. Internationale führte, fügte die herrschende Klasse den Arbeitern der ganzen Welt eine Niederlage zu. Und diese Niederlage war besonders schmerzhaft für die Arbeiterklasse in Frankreich, die seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts an der Spitze der Arbeiterkämpfe gestanden hatte. Die französische Arbeiterklasse sollte danach bis zum Mai 1968, als ihre massiven Streiks nach 40 Jahren Konterrevolution eine neue Kampfperspektive eröffneten, nicht mehr an vorderster Stelle des Klassenkampfes treten. Und dies ist kein Zufall: indem es - wenn auch nur vorübergehend - wieder seinen Platz als "Leuchtfeuer" des Klassenkampfes einnahm, den es ein Jahrhundert zuvor hatte aufgeben müssen, kündigte das französische Proletariat die große Lebendigkeit, die Vitalität, die Stärke und Tiefe der neuen Stufe in diesem historischen Kampf der Arbeiterklasse zum Umsturz des Kapitalismus an.
Avril (aus Révolution Internationale, Zeitung der IKS in Frankreich) (Erstveröffentlichung 1991)