Geschichte der Arbeiterbewegung: Was sind Arbeiterräte? Teil 4: 1917-21: Die Arbeiterräte versuchen die Macht zu übernehmen

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In den vorangehenden Artikeln haben wir das Auftauchen der Arbeiterräte in Russland (auf Russisch Sowjets) während der Revolution von 1905, ihr Verschwinden und dann ihr Wiederauftauchen in der Revolution von 1917 und ihre Krise und Wiedereroberung durch die Arbeiter, die sie 1917 an die Macht brachten, betrachtet[1]. In diesem Artikel geht es um den Versuch der Arbeiterräte, die Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen, einen gewichtigen Moment in der Geschichte der Menschheit: „denn es ist das erste Mal , dass nicht die Minderheit, nicht allein die Reichen und Gebildeten, sondern die wirklichen Massen, die ungeheure Mehrheit der Werktätigen selbst ein neues Leben aufbauen, aus eigener Erfahrung über die schwierigsten Fragen sozialistischer Organisationen entscheiden“[2].

Oktober 1917 – April 1918: Der Aufstieg der Arbeiterräte

Animiert von einem außerordentlichen Enthusiasmus widmeten sich die Arbeitermassen der Aufgabe, das, was sie schon vor der Revolution begonnen hatten, zu sichern und weiterzuführen. In seiner Beschreibung der Atmosphäre dieser ersten Monate hebt der Anarchist Paul Avrich hervor, wie „ein Grad an Freiheit und ein Gefühl der Macht, das in der Geschichte (der Arbeiterklasse in Russland) einzigartig war, existierte“[3].

Die Funktionsweise der Arbeiterräte unterschied sich radikal von derjenigen des bürgerlichen Staates, wo die Exekutive – die Regierung – die Macht fast komplett besitzt, während die Legislative – das Parlament – und die Judikative, die theoretisch einen Gegenpol bilden sollten, ihr in der Realität fast ganz untergeordnet sind. Diese drei Staatsgewalten sind aber vor allem von der großen Mehrheit der Bevölkerung getrennt, deren Rolle darauf begrenzt ist, regelmäßig ihre Wahlzettel in die Urnen zu werfen[4]. Die Macht der Arbeiterräte stützte sich, verglichen damit, auf zwei gänzlich neue Ansätze:

          die aktive und massive Beteiligung der Arbeiter;

          es waren sie – das heißt die Arbeitemassen – die debattierten, entschieden und ausführten.

Lenin sagte auf dem 2. Kongress der Sowjets: „Die Macht zeigt sich aus der Sicht der Bourgeoisie, wenn die Massen blind zum Schlachthof gehen (…) Die Bourgeoisie anerkennt eine Regierung nur dann als stark, wenn sie in der Lage ist, mit der ganzen Potenz des Regierungsmechanismus die Massen dorthin zu werfen, wo es ihr beliebt. Unser Begriff von Macht ist ein anderer. Nach unserer Meinung ist eine Regierung stark an Bewusstsein der Massen. Sie ist stark, wenn die Massen alles wissen, über alles urteilen und alles bewusst akzeptieren.“[5]
Seit sie die Macht ergriffen hatten, trafen die Arbeiterräte auf ein Hindernis: die Konstituierende Versammlung, welche exakt die Negation ihrer Zielsetzungen repräsentierte und nur eine Rückkehr in die Vergangenheit darstellte: die Delegierung der Macht und ihre Ausführung an eine Kaste bürokratischer Politiker.

Gegenüber dem Zarismus hatte die russische Arbeiterbewegung die Konstituierende Versammlung als einen Schritt vorwärts zu einer bürgerlichen Republik betrachtet, aber die Revolution von 1917 hatte diese alte Losung überholt. Das Gewicht der Vergangenheit manifestierte sich im Einfluss, den die Konstituierende Versammlung weiter hatte, auch nach der Proklamierung der Rätemacht, und dies nicht nur in den breiten Massen der Arbeiter, sondern auch bei vielen Militanten der bolschewistischen Partei, die glaubten, die Konstituierende Versammlung lasse sich mit der Macht der Arbeiterräte verbinden.

„Es war einer der größten und folgenreichsten Fehler der bürgerlich sozialistischen Koalitionsregierung, dass sie vorwiegend aus juristischen Erwägungen die Wahl und die Eröffnung der Nationalversammlung immer wieder verschob“[6]. Die Regierungen, die sich zwischen Februar und Oktober 1917 abwechselten, schoben diese immer wieder vor sich her und widersprachen damit dem, was sie als ihr Ziel verkündet hatten. Die Bolschewiki – jedoch auch nicht ohne Meinungsverschiedenheiten in ihren Reihen – unterstützten sie grundsätzlich im vollem Bewusstsein, dass dies in einem Widerspruch zur Losung „Alle Macht den Räten!“ stand.

So entstand ein Paradox: Drei Wochen nach der Machtübernahme durch die Sowjets erfüllten diese ihre Versprechen durch einen Aufruf zur Wahl der Konstituierenden Versammlung. Die Wahl ergab eine Mehrheit für die rechten Sozialrevolutionäre (299 Sitze), weitab gefolgt von den Bolschewiki (168), dann von den linken Sozialrevolutionären (39) und von anderen weniger gewichtigeren Gruppen.

Wie war es möglich, dass das Wahlresultat die Verlierer des Oktobers als Sieger hervorgehen ließ?

Die Konstituierende Versammlung war natürlich vollkommen funktionslos. Sie diskreditierte sich selber. Sie fällte hochtrabende Entscheide, die wirkungslos blieben, ihre Versammlungen waren nichts mehr als langweiliges Geschwätz. Die bolschewistische Agitation, gestützt von Anarchisten und linken Sozialrevolutionären, beleuchtetet klar das Dilemma: Arbeiterräte oder Konstituierende Versammlung, und trug so zur Klärung des Bewusstsein bei. Nach verschiedenen Metamorphosen wurde die Konstituierende Versammlung unter der Aufsicht der Matrosen im Januar 1918 stillschweigend aufgelöst.

Die Macht ging vollends in die Hände der Arbeiterräte über, indem die Arbeitermassen ihre politische Präsenz entwickelten. In den ersten Monaten der Revolution und mindestens bis zum Sommer 1918 lebte die permanente Selbsttätigkeit der Masen, wie sie schon im Februar 1917 sichtbar gewesen war, nicht nur weiter, sondern sie stärkte und verbreitete sich noch. Die Arbeiter, die Frauen, die Jugend lebten in einer Dynamik der Vollversammlungen, Fabrik- und Quartierräte, lokaler Räte, Konferenzen, Treffen, usw. „Die erste Phase des Regimes der Sowjets war die einer fast unbegrenzten Autonomie seiner lokalen Institutionen. Angeregt durch ein intensives und immer zahlreicheres Leben, waren die Basis-Sowjets auf ihre Autorität eingeschossen“[7]. Die lokalen Arbeiterräte diskutierten vornehmlich über Angelegenheiten, die ganz Russland betrafen, und auch über die internationale Situation, vor allem über die Entwicklung der revolutionären Bewegungen[8].

Der Rat der Volkskommissare, gebildet durch den 2. Kongress, stellte keine eigenständige Regierung dar, das heißt nicht eine selbstherrliche Macht, die alles in den Fingern hat, sie war im Gegenteil ein Animator und Motor der Aktion der Massen. Anweiler zufolge sah die von Lenin geleitete Agitationskampagne folgendermaßen aus: „Am 18. November rief Lenin die Werktätigen auf, „alle Regierungsangelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen: eure Sowjets sind von nun an die allmächtigen und allein entscheidenden Regierungsorgane.“[9] Dies war nicht einfach Rhetorik. Der Rat der Volkskommissare verfügte nicht wie die bürgerlichen Regierungen über einen riesigen Stab von Beratern, Karrierefunktionäre, Bodyguards, Mitarbeitern, usw. Victor Serge[10] berichtet, dass dieses Organ nur einen Sekretär und zwei Mitarbeiter hatte. Seine Sitzungen erarbeiteten alle Fragen mit den Arbeiterdelegationen, den Mitgliedern des Exekutivkomitees der Räte oder den Räten von Petersburg oder Moskau. „Die geheimen Beratungen der Ministerstäbe“ waren abgeschafft.

1918 wurden vier Allrussische Rätekongresse abgehalten: der dritte im Januar, der vierte im März, der fünfte im Juli und der sechste im November. Dies zeigt die Lebendigkeit und den Weitblick, die den Arbeiterräten zugrunde lagen. Diese Allrussischen Rätekongresse, die eine enorme Mobilisierungsanstrengung erforderten – das Transportwesen war lahmgelegt und der Bürgerkrieg behinderte die Anreise der Delegierten enorm – drückten eine große Einheit der Sowjets aus und konkretisierten ihre Entscheide.

Die Kongresse waren von lebendigsten Debatten geprägt, an denen nicht nur die Bolschewiki teilnahmen, sondern auch die internationalistischen Menschewiki, die linken Sozialrevolutionäre, die Anarchisten, usw. Die Bolschewiki trugen dort sogar ihre eigenen Meinungsverschiedenheiten aus. Die Atmosphäre war ein kritischer Geist, den Victor Serge so beschrieb: „Um ehrlich zu bleiben, muss die Revolution stets auf der Hut sein vor ihren eigenen Missbräuchen, ihren eigenen Exzessen, ihren eigenen Verbrechen und ihren eigenen reaktionären Neigungen. Sie hat ein vitales Interesse an Kritik, Opposition und Zivilcourage derer, die das formulieren.“[11]

Auf dem dritten und vierten Kongress entbrannte eine stürmische Debatte über die Unterzeichnung des Friedensabkommens mit Deutschland von Brest-Litowsk[12]. Es ging dabei um zwei Fragen: Wie kann die Macht der Räte aufrechterhalten werden, während man auf die internationale Revolution wartet? Wie kann die Rätemacht in Russland zu dieser internationalen Revolution einen wirklichen Beitrag leisten? Der vierte Kongress wurde Schauplatz einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den Bolschewiki und den linken Sozialrevolutionären. Der sechste Kongress konzentrierte sich auf die Revolution in Deutschland und beschloss Maßnahmen zu deren Unterstützung, unter anderem die Entsendung von mit enormen Mengen von Weizen beladenen Güterzügen, Ausdruck größter Solidarität und Selbstlosigkeit der russischen Arbeiterklasse, welche selbst unter Rationierungen litt: lediglich 50 Gramm Brot täglich!

Die Aktivität der Massen erstreckte sich über alle Aspekte des sozialen Lebens. Wir können hier keine detaillierte Analyse davon machen. Erwähnt sei hier aber die Bildung von Gerichten in den Arbeiterquartieren, welche die Form von Vollversammlungen hatten und in denen die Delikte besprochen wurden; die Urteile, die da gefällt wurden, zielten auf die Änderung des Verhaltens der Delinquenten ab, und nicht auf pure Bestrafung oder Rache. „Die Ehefrau von Lenin erzählte, dass Arbeiter und Arbeiterinnen öffentlich das Wort ergriffen und dabei sehr heftig debattierten. Der „Anwalt“ habe sich in seiner Verlegenheit regelrecht den Schweiß von der Stirn wischen müssen, wonach der Angeklagte mit Tränen im Gesicht versprochen habe, seinen Sohn nicht mehr zu schlagen. In Wahrheit war es weniger ein Gericht, als vielmehr eine öffentliche Versammlung, die eine Kontrolle über das Verhalten der Bürger ausübte. Unter unseren Augen nahm die proletarische Ethik Gestalt an.“[13]

Von April bis Dezember 1918: Krise und Niedergang der Rätemacht

Dieser ganze Elan ging jedoch zurück und beeinträchtigte die Räte, die sich von der großen Mehrheit der Arbeiter zu entfernen begannen. Schon im Mai 1918 entstanden innerhalb der Arbeiterklasse in Moskau und St. Petersburg wachsende Kritiken an der Politik der Räte dieser zwei Städte. Wie schon im Juli-September 1917 gab es eine Reihe von Versuchen der Wiederbelebung der Sowjets[14]. In diesen zwei Städten wurden unabhängige Konferenzen abgehalten, auch wenn diese auf der Basis von ökonomischen Forderungen einberufen wurden, die sich als primäres Ziel die Erneuerung der Räteorgane setzten. Die Menschewiki hatten dort die Mehrheit. Dies führte die Bolschewiki dazu, diese Konferenzen abzulehnen und sie als konterrevolutionär zu bezeichnen. Die Gewerkschaften wurden mobilisiert, um sie aufzulösen und sie verschwanden schnell.

Diese Maßnahme trug zur Untergrabung der Existenz der Räte bei. Im dritten Artikel dieser Serie haben wie aufgezeigt, wie die Räte sich nicht im luftleeren Raum bewegten, sondern dass sie Ausdruck einer großen proletarischen Bewegung waren, die aus unzähligen Räteorganen, Fabrikkomitees, Quartierkomitees, Massenversammlungen usw. bestand. Ab Mitte 1918 begannen diese Organismen sich langsam zurückzubilden und verschwanden immer mehr. Die Fabrikkomitees (auf die wir noch zurückkommen werden) verschwanden als erste, dann die Quartierräte, die ab Sommer 1918 in eine Agonie verfielen, welche bis zu ihrem kompletten Verschwinden Ende 1919 anhielt.

Die zwei lebenswichtigen Bestandteile der Räte sind das massenhafte Fundament von Basis-Räteorganen als Lebensquelle und ihre permanente Erneuerung. Das Verschwinden des ersten Bestandteils war von der wachsenden Ausschaltung des zweiten begleitet. Die Räte tendierten zu gleichbleibender Ausstrahlung und entwickelten sich Schritt für Schritt in Richtung einer starren Bürokratie.

Die bolschewistische Partei nahm an diesem Prozess unfreiwillig teil. Um die gegenrevolutionäre Agitation der Menschewiki und Anderer in den Räten zu bekämpfen, griffen sie auf administrative Ausschlussmaßnahmen zurück, was eine bleierne Atmosphäre der Passivität, ein Absterben der Debatte und eine zunehmende Unterordnung unter das Diktat der Partei hervorrief.[15]

Diese repressive Herangehensweise war zu Beginn nur punktuell, wurde aber in den ersten Monaten des Jahres 1919 Alltag, als die Zentralorgane der Partei offiziell die Räte dazu aufriefen, sich den lokalen Komitees der Partei zu unterstellen und andere Parteien auszuschließen.

Der Mangel an Leben und Debatte, die Bürokratisierung, die Unterstellung unter die Partei usw. wurden immer gewichtiger. Auf dem 7. Kongress gestand Kamenev ein: „Die Plenarversammlungen als politische Organisationen siechen oft dahin, die Leute beschäftigen sich mit rein technischen Arbeiten (…) Die allgemeinen Versammlungen finden selten statt, und wenn sich die Deputierten zusammenfinden, dann nur, um einen Bericht entgegenzunehmen, eine Rede anzuhören usw.“[16] Dieser Kongress vom Dezember 1919 hatte als Hauptthema die Erneuerung der Sowjets, und es gab nicht nur von Seiten der Bolschewiki – die dort das letzte Mal ihre internen Differenzen offen ausdiskutierten – Redebeiträge, sondern auch von den internationalistischen Menschewiki, deren Führer Martow eine aktive Rolle spielte.

Es gab Anstrengungen, die Beschlüsse des Kongresses in die Realität umzusetzen. Im Januar 1920 wurden in einer absolut offenen Atmosphäre Wahlen zur Erneuerung der abgehalten. „Martow anerkannte zu Beginn des Jahres 1920, dass außer in St. Petersburg, wo Wahlen „à la Sinowjew“ abgehalten wurden, die Rückkehr zu demokratischeren Methoden Platz hatte und die Wahlen oft zugunsten von Kandidaten seiner eigenen Partei ausfielen.“[17]

Zahlreiche Räte erwachten wieder, und die bolschewistische Partei versuchte, ihre Irrtümer der bürokratischen Kontrolle, an der sie immer mehr teilgenommen hatte, zu korrigieren. „Die Regierung kündigte ihre Absicht an, einige Vorrechte, die sie sich angemaßt hatte, zurückzunehmen und in ihrem Gesetz das Exekutivkomitee [der Sowjet, vom Kongress gewählt] wieder einzuführen, welches – laut der Verfassung von 1918 – die Aktivitäten der Volkskommissare zu überwachen hatte.“[18]

Doch diese Hoffnungen verflüchtigten sich bald. Die Verschärfung des Bürgerkrieges durch die Offensive des Generals Wrangel und die polnische Invasion, die Zuspitzung der Hungersnot, das wirtschaftliche Chaos, die Bauernaufstände fegten diese Bemühungen weg. „Der Verfall der Wirtschaft, die Demoralisierung der Bevölkerung, die Isolation einer zunehmend ruinierten und ausgebluteten Nation ließen die ganzen Bedingungen zur Erneuerung der Räte verschwinden.“[19]

Der Aufstand von Kronstadt im März 1921 mit der Forderung nach einer kompletten Erneuerung der Räte, die wirklich die Macht ausüben sollten, war das letzte Röcheln der Agonie; seine Niederschlagung durch die bolschewistische Partei signalisierte das definitive Ende der Sowjets als Organe der Arbeiterklasse.[20]

Der Bürgerkrieg und die Bildung der Roten Armee

Weshalb gerieten die Arbeiterräte in eine Dynamik, der sie, verglichen mit dem September 1917, nicht mehr entrinnen konnten? Auch wenn der Mangel an Sauerstoff und Unterstützung, den nur die Entfaltung der internationalen Revolution hätte kompensieren können, der grundlegende Faktor war, so müssen wir auch die anderen, „internen“ Faktoren untersuchen. Diese lassen sich in zwei Hauptpunkten zusammenfassen, die stark miteinander verbunden sind: der Bürgerkrieg und die Hungersnot einerseits und das ökonomische Chaos andererseits.

Beginnen wir mit dem Bürgerkrieg.[21] Es war ein von den mächtigsten imperialistischen Staaten organisierter Krieg: England, Frankreich, USA, Japan usw., welche ihre Truppen zu einer zusammengewürfelten bewaffneten Massenarmee, den so genannten „Weißen“ formierten, um die abgesetzte russische Bourgeoise zu unterstützen. Dieser Krieg blutete das Land bis 1921 aus, forderte mehr als 6 Millionen Tote und verbreitete ungeheure Zerstörung. Die Weißen wüteten mit sadistischen Repressalien und einer ungeheuerlichen Barbarei. „Der weiße Terror war wesentlicher Grund (des Zerbrechens der Rätemacht), die Siege der Konterrevolution waren meist nicht nur von Massakern an Kommunisten begleitet, sondern auch von Ausrottungen der aktiven Mitglieder der Räte und ihrer Auflösung.“[22]

Dies ist der erste Grund der Schwächung des Rätesystems. Die Weiße Armee unterdrückte die Sowjets und ermordete ihre Mitglieder wahllos.

Aber es kamen zu den Massakern noch komplexere Gründe hinzu. Als Antwort auf den Krieg fällte der Rat der Volkskommissare zwei wichtige Entscheidungen: die Bildung der Roten Armee und den Aufbau der Tscheka, ein Organ, das zur Aufdeckung konterrevolutionärer Verschwörungen dienen sollte. Es war das erste Mal, dass dieser Rat eine Entscheidung fällte ohne vorherige Debatte mit den Arbeiterräten oder wenigstens mit dem Exekutivkomitee der Arbeiterräte.

Der Aufbau eines Organs wie der Tscheka war nach der Revolution unvermeidlich. Konterrevolutionäre Machenschaften hielten an, vor allem von Seiten der rechten Sozialrevolutionäre, der Menschewiki, der Kadettenpartei, aber auch von Monarchisten, Kosaken, unterstützt von englischen und französischen Agenten. Der Aufbau der Roten Armee war, sobald der Bürgerkrieg ausbrach, ebenfalls eine Notwendigkeit.

Diese zwei Strukturen – die Tscheka und die Rote Armee – waren nicht einfach zwei Instrumente, derer man sich sorglos bedienen konnte. Es sind staatliche Organe, und als solche sind sie vom Gesichtspunkt der Arbeiterklasse aus zweischneidige Waffen; die Arbeiterklasse ist gezwungen, sich ihrer zu bedienen, solange das Proletariat sich nicht auf Weltebene durchgesetzt hat, doch ihr Gebrauch birgt große Gefahren, weil sie die Tendenz haben, sich gegenüber der Macht der Arbeiterklasse zu verselbständigen.

Aus welchem Grund wurde eine Armee aufgebaut, auch wenn die Arbeiterklasse über ein militärisches Räteorgan verfügte, das den Aufstand geleitet hatte: das Militärische Revolutionskomitee?[23]

Während des Septembers 1917 zerfiel die russische Armee immer mehr. Nach der Ausrufung des Friedens begannen sich die Soldatenräte schnell aufzulösen. Einziger Wunsch vieler Soldaten war der Wunsch nach Rückkehr in ihre Dörfer. So widersprüchlich es auch scheinen mag, die Soldatenräte – aber in geringerem Ausmaß auch die der Matrosen –, welche sich nach der Machtübernahme der Sowjets überall ausgebreitet hatten, trugen nun wesentlich zur Auflösung der Armee bei, um eine chaotische Flucht von Wehrpflichtigen und allfällige Soldatenbanden, die mit ihren Waffen die Bevölkerung terrorisieren könnten, zu verhindern. Anfang Januar 1918 war die Armee aufgelöst. Russland war der deutschen Armee ausgeliefert. Der Friede von Brest-Litowsk bedeutete einen Waffenstillstand, der es erlaubte, eine Armee zum Schutz der Revolution aufzubauen.

Am Anfang war die Rote Armee eine Freiwilligenarmee. Die Jugend der Mittelklasse und die Bauern drückten sich davor, es waren die Arbeiter aus den Fabriken und den großen Städten, welche zu Beginn diese Reihen füllten. Resultat war eine richtiggehende Ausblutung der Arbeiterklasse, die ihre engagiertesten Menschen in einem blutigen und grausamen Krieg verlor. „Wir wissen, dass durch den Krieg die besten Arbeiter massenweise aus den Städten abgezogen wurden, und manchmal entsteht daher ein Zustand, dass es in dieser oder jener Gouvernements- oder Kreisstadt schwerfällt, einen Sowjet zu bilden und die Grundlagen für seine regelmäßige Arbeit zu schaffen.“[24]

Hier also sehen wir den zweiten Hauptgrund für die Krise der Arbeiterräte: die entschlossensten Arbeiter wurden durch die Rote Armee absorbiert. Um ein Bild davon zu erhalten: im April 1918 mobilisierte Petrograd 25‘000 Freiwillige, die große Mehrheit davon politisch aktive Arbeiter; Moskau 15‘000; im ganzen Land waren es 106‘000 Freiwillige.

Der dritte Grund war nichts anderes als die Rote Armee selbst, welche die Räte als ein Hindernis betrachtete. Sie versuchte sich deren Kontrolle zu entziehen und verlangte von der Zentralregierung, die Sowjets davon abzuhalten, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Die Rote Armee wies auch Unterstützungsangebote der bewaffneten Einheiten der Räte (Rote Garden, Partisanen) ab. Der Rat der Volksdeputierten unterwarf sich allen Bedürfnissen der Roten Armee.

Weshalb wendet sich ein Organ, das zur Verteidigung der Räte gegründet wurde, gegen sie? Die Armee ist ein staatliches Organ, dessen Existenz und Funktionsweise notwendigerweise soziale Folgen haben. Vor allem, wenn es eine blinde Disziplin gibt, sich eine Hierarchie breitmacht und ein Offizierskorps entsteht, das lediglich die Autorität der Regierung anerkennt. Um solche Tendenzen zu vermeiden, wurde ein Netzwerk von politischen Beratern aus vertrauenswürdigen Arbeitern zusammen gestellt, dessen Ziel die Kontrolle der Offiziere war. Leider mit geringem Erfolg, wenn nicht sogar kontraproduktiv, denn dieses Netzwerk wurde selbst zu einer zusätzlichen bürokratischen Struktur.

Die Rote Armee entzog sich nicht nur immer mehr der Kontrolle durch die Arbeiterräte, sie führte ihre Methoden der Militarisierung in der gesamten Gesellschaft ein. In seinem Buch Das ABC des Kommunismus spricht Preobraschenski sogar von der militärischen Diktatur des Proletariates!

Die Bedingungen des Krieges und die blinde Unterordnung unter die Bedürfnisse der Roten Armee führten die Regierung im Sommer 1918 dazu, ein Militärisches Revolutionskomitee auf die Beine zu stellen, das nichts mehr zu tun hatte mit demjenigen, das die Oktoberrevolution angeführt hatte. Das zeigte schon sein erster Beschluss: die Gründung von lokalen Militärischen Komitees, welchen sich die Arbeiterräte unterzuordnen hatten. „Ein Entscheid des Rates der Volkskommissare verpflichtete die Arbeiterräte, sich den Anordnungen dieser Komitees bedingungslos zu fügen.“[25]

Die rote Armee wie die Tscheka hörten nach und nach auf, das zu sein, was sie am Anfang sein wollten, nämlich Waffen zur Verteidigung der Rätemacht. Sie lösten sich von dieser Aufgabe, verselbständigten sich, um sich letztlich gegen sie zu wenden. Während die Tscheka in einer ersten Phase ihre Aktivitäten vor den lokalen Sowjets rechtfertigen musste und versuchte, eine gemeinsame Arbeit aufzubauen, so wurden bald die schnellen Methoden der Tscheka auf die ganze sowjetische Gesellschaft übertragen. «Am 28. August 1918 erteilte das Hauptquartier der Tscheka den lokalen Kommissionen die Weisung, sich nicht der Autorität der Sowjets zu unterstellen. Es sollten umgekehrt diese Kommissionen den Sowjets den Willen aufzwingen können. Dies gelang ihnen den auch ohne Mühe in den vielen von militärischen Operationen betroffenen Gegenden.»[26]

Die Tscheka zernagte die Macht der Sowjets so weit, dass im November 1918 eine Umfrage erwies, dass 96 Sowjets die Auflösung der Tscheka forderten, 119 forderten die Unterstellung unter die legalen Sowjets und nur 19 stimmten dem Tun der Tscheka zu. Diese Umfrage war absolut wirkungslos, denn die Tscheka häufte weitere Macht an. „‚Alle Macht den Räten‘ hat aufgehört das Prinzip zu sein, auf dem das Regime fußt, wie es ein Mitglied des Volkskommissariats des Innern sagte, es ist durch die Losung: ‚Alle Macht der Tscheka‘ ersetzt worden“.

Hungersnot und wirtschaftliches Chaos

Der Weltkrieg hinterließ ein schreckliches Erbe. Der produktive Apparat der meisten europäischen Länder war ausgeblutet, der Verkehr von Konsumgütern oder Lebensmitteln war schwer angeschlagen, wenn nicht lahmgelegt. «Der Verbrauch von Lebensmitteln hatte um 30-50% abgenommen. Die Lage der Alliierten war dank der Unterstützung der USA etwas besser. Der Winter 1917-1918, der in Frankreich und England durch die Rationierung von Lebensmitteln und Brennstoffen gezeichnet war, war sehr hart“.

Russland litt ganz besonders unter dieser Situation. Der Oktoberrevolution gelang es nicht, dies aufzuheben, und zwar umso weniger, als sie einem provozierten Chaos gegenüberstand: einer Sabotage nicht nur der Unternehmer, welche die Politik der verbrannten Erde einer Übergabe der Produktionsmittel an das Proletariat bevorzugten, sondern auch von Technikern, Betriebsleitern und teilweise von spezialisierten Arbeitern, die der Macht der Sowjets feindselig gegenüber standen. Die Sowjets prallten auf eine massive Streikbewegung der Beamten, von Telegraphenarbeitern und Eisenbahnern, die von Gewerkschaften unter Führung der Menschewiki manipuliert waren. Diese Streiks wurden über einen gewerkschaftlichen Keilriemen initiiert und geführt durch eine „Schattenregierung mit M. Prokopowitsch an der Spitze, der offiziell die Nachfolge des ‚abgetretenen‘ Kerenski übernommen hatte. Dieser geheime Minister lenkte die Streiks der Beamten mittels eines Streikkomitees. Die großen Firmen der Industrie, des Handels und des Bankensektors, so die Agrarbank von Tula, die Moskauer Volksbank, das Kaukasische Kreditinstitut bezahlten den Beamten weiterhin ihr Gehalt. Das alte Gesamtrussische Exekutivkomitee (Menschewiki und Sozialrevolutionäre) setzte seine Guthaben, die eigentlich der Arbeiterklasse gehörten, zum gleichen Zweck ein.“[27]

Diese Sabotage gesellte sich zum ökonomischen Chaos, das sich durch den Bürgerkrieg verschlimmerte. Wie sollte man die Hungersnot in den Dörfern bekämpfen? Wie sollte man auch nur ein Minimum an Versorgung garantieren?

Hier konkretisierte sich auf katastrophale Weise ein Phänomen, welches das Jahr 1918 charakterisieren sollte: Die gesellschaftliche Koalition, die 1917 die bürgerliche Regierung gestürzt hatte, hatte sich aufgelöst. Die Macht der Sowjets war eine Koalition, auf der Basis der Gleichheit, unter den Sowjets der Arbeiter, Bauern und Soldaten. Die Soldatenräte hatten sich bis Ende 1917 bis auf wenige Ausnahmen aufgelöst. Das führte dazu, dass die Sowjetmacht praktisch ohne Armee dastand. Aber was machten die Bauernräte, die den Schlüssel zur Lösung der Versorgung der Städte in den Händen hielten?

Das Dekret des 2. Sowjetkongresses über die Aufteilung des Ackerlandes wurde im größten Durcheinander umgesetzt, was eine Unzahl von Missbräuchen förderte. Obwohl nun viele arme Bauern Zugang zu einer Parzelle hatten, waren oft die großen und mittleren Bauern die Gewinner, da sie ihren Reichtum vergrößern konnten, was sich auch darin ausdrückte, dass sie fast generell die Bauernräte beherrschten. Der Privateigentümern eigene Egoismus wurde beflügelt. „Die Bauern, die für ihren Weizen im Austausch Rubel erhielten, konnten damit nur mit großen Schwierigkeiten eine begrenzte Zahl von Manufakturprodukten erstehen, vorherrschend war der Tausch von Lebensmitteln gegen Industrieprodukte. Ein Morast von kleinen Spekulanten entstand zwischen den Bauern und den Städten.“[28] Die Bauern verkauften ihre Produktion den Spekulanten, die diese an sich rissen und die Not vergrößerten, indem sie die Preise hochtrieben.

Im Juni 1918 setzte die Sowjetregierung ‚Komitees der Dorfarmut‘ ein, um diese Situation zu bekämpfen. Das Ziel war, die Bauernräte den Arbeiterräten näherzubringen und den Klassenkampf in die Dörfer zu tragen, aber auch Brigaden zu bilden, um Weizen und andere Lebensmittel zu erhalten und so die schreckliche Hungersnot in den Städten zu lindern.

Diese Komitees widmeten sich „zusammen mit bewaffneten Abteilungen [der Aufgabe], bei reichen Bauern Getreide zu beschlagnahmen, Vieh und Geräte zu requirieren und unter den Landarmen zu verteilen und sogar den Boden neu aufzuteilen“[29].  Die Bilanz dieser Erfahrung war im Allgemeinen negativ. Es gelang weder die genügende Versorgung der hungrigen Städte noch die Erneuerung der Bauernräte. Das Resultat war, dass 1919 die Bolschewiki ihre Politik änderten, um die mittlere Bauernschaft für sich zu gewinnen, und sie zerschlugen mit Gewalt die ‚Komitees der Dorfarmut‘.

Die moderne kapitalistische Produktion macht die Versorgung der Konsumenten mit landwirtschaftlichen Produkten von einem komplexen Transportsystem abhängig, welches hoch technologisiert ist und seinerseits von anderen Industrien abhängt. Auf dieser Grundlage scheiterte die Versorgung der hungernden Bevölkerung am Zusammenbruch des industriellen Produktionsapparats in Folge des Krieges und anschließend der ökonomische Sabotage der Kapitalisten sowie des Bürgerkriegs ab April 1918.

Die Fabrikräte hätten eine bestimmende Rolle einnehmen können, wie wir es im vorhergehenden Artikel dieser Serie sehen konnten. Sie spielten eine sehr wichtige Rolle in Sinne einer Avantgarde im sowjetischen System. Sie hätten auch die Sabotage der Kapitalisten verhindern und somit den Mangel und die Lähmung bekämpfen können.

Sie versuchten sich zu koordinieren und ein zentrales Kontrollorgan zu schaffen, um die Produktion zu koordinieren und die Sabotage und die Lahmlegung der Transporte zu bekämpfen[30]. Aber die Politik der Bolschewiki sprach sich dagegen aus, sie konzentrierten die Leitung der Fabriken in einem Organ, das aus Beamten bestand, die von der Exekutive abhängig waren. In jener ersten Zeit wurde die Akkordarbeit eingeführt, die durch die Militarisierung der Arbeit gesteigert wurde und 1920/21 das höchste Niveau erreichte. Das stärkte die Gewerkschaften. Dieses Beamtenorgan war ein vehementer Gegner der Fabrikräte und führte eine intensive Kampagne gegen sie, die schließlich die Auflösung der Fabrikräte Ende 1918 nach sich zog.[31]

Die Maßnahmen der Bolschewiki versuchten, die Tendenz gewisser Betriebsräte besonders in der Provinz zu bekämpfen, sich als neue Besitzer zu sehen und als autonome Einheiten zu agieren. Diese Tendenz hatte zum Teil ihren Ursprung „in der Schwierigkeit, einen regelmäßigen Kreislauf von Verteilung und Austausch aufzubauen, was zur Isolierung von zahlreichen Fabriken und Produktionsstätten führte. Sie erschienen eher als „anarchistische Komunen“, die auf sich selbst beschränkt waren.“[32]

Tendenz zum Zerfall der russischen Arbeiterklasse

Es ist offensichtlich, dass diese Tendenzen die Spaltung der Arbeiterklasse in Russland vorantrieb. Aber es handelte sich nicht um generelle Tendenzen, sie hätten auch bekämpft werden können. Mit Debatten in den Betriebsräten, in denen die globale Sicht durchaus vorhanden war. Die gewählte Methode, sich auf die Gewerkschaften zu stützen, führte dazu, dass die Pfeiler der proletarischen Macht angegriffen wurden, was schon zu Beginn ein politisches Problem war, das aber durch den Enthusiasmus der Sowjets in den ersten Monaten überdeckt wurde: „Die Schwächung der russischen Arbeiterklasse, ein Verlust des Elans und der Substanz, die zu einer fast totalen Deklassierung und in gewisser Weise zu deren vorübergehenden Verschwinden führen sollte.“[33]

Im April 1918 verschwanden 265 der 799 Industriebetriebe in Petrograd. Die Hälfte der Arbeiter dieser Stadt hatte keine Arbeit; die Bevölkerung zählte 1,5 Millionen Leute, während sie vorher 2,5 Millionen betrug. Moskau verlor etwa eine halbe Million Bewohner in dieser Zeit.

Die Arbeiterklasse litt unter dem Hunger und unter den schrecklichsten Krankheiten. Jacques Sadoul, Beobachter auf der Seite der Bolschewiki beschreibt die Situation im Frühling 1918 in Moskau: „In den Vororten gibt es eine schreckliche Not, Epidemien wie Typhus, Pocken, Kinderkrankheiten. Die Säuglinge sterben in Massen. Die Leute, denen man begegnet, sind abgemagert und in erbärmlichem Zustand. In den Arbeiterquartieren begegnet man nur zu häufig armen bleichen Müttern, die traurig den Sarg aus versilbertem Holz tragen, der wie eine Wiege aussieht, und darin liegt der leblose Körper des Kindes, das ein bisschen Brot oder Milch am Leben hätten halten können.“[34]

Viele Arbeiter fliehen aufs Land, um dort Landwirtschaft unter prekären Bedingungen zu betreiben. Der schreckliche Druck des Hungers, der Krankheiten, der Rationierungen und der langen Warteschlangen zwingen die Arbeiter, den ganzen Tag dem Überlebenskampf zu opfern. Wie es ein Arbeiter aus Petrograd bezeugt: „Hier steht eine Menge von Arbeitern, die zurückgewiesen wurden. Auch wenn wir zu den Besten gehören, man hört kein Wort in der Politik; niemand spricht von Revolution, über den deutschen Imperialismus oder alle anderen aktuellen Probleme. Für all diese Leute, die sich kaum auf den Beinen halten können, scheinen all diese Fragen furchtbar weit weg.“[35]

Der Prozess der Krise der Arbeiterklasse in Russland ist so alarmierend, dass Lenin im Oktober 1921 die NÖP[36] mit den Worten rechtfertigte: „Die Kapitalisten werden aus unserer Politik Vorteile ziehen und werden ein Industrieproletariat schaffen, das bei uns durch den Krieg und die furchtbare Verwüstung und Zerrüttung deklassiert, d.h. aus seinem Klassengeleise geworfen ist und aufgehört hat, als Proletariat zu existieren.“[37]

Wir haben eine Reihe von allgemeinen Umständen aufgezeigt, zu denen unvermeidbare Fehler hinzu kamen und die vereint die Sowjets schwächten, bis sie schließlich als Organe der Arbeiter verschwanden. Im nächsten Artikel dieser Serie werden wir die politischen Probleme, welche die Verschlechterung dieser Situation verstärkten, aufzeigen.

C.Mir, 1. September 2010



[1]Siehe nebst dieser Internationalen Revue den ersten Artikel in der Internationalen Revue Nr. 48

[2] Lenin, Brief an die amerikanischen Arbeiter, 20. August 1918, Werke Band 28, Seite 59

[3] Zitiert nach Marcel Liebman, Le Léninisme sous Lénine, Band 2, Seite 190. Dieses sehr lesenswerte und gut dokumentierte Buch ist von einem Autor, der sich nicht zur kommunistischen Bewegung zählt.

[4] Es gab ein Phase, als der Kapitalismus noch ein progressives System war, während der das Parlament ein Ort war, wo sich die verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie vereinten oder aufeinanderprallen, um die Gesellschaft zu regieren. Das Proletariat konnte sich dort beteiligen, um zu versuchen, die Politik der Bourgeoisie auf eine Art zu beeinflussen, welche die Verteidigung seiner Interessen unterstützte, auch wenn diese Politik die große Gefahr der Mystifizierung enthielt. Doch auch in dieser Epoche waren die drei Staatsgewalten von der großen Mehrheit der Bevölkerung getrennt.

[5] Zitat nach Victor Serge, einem anarchistischen Militanten der sich den Bolschewiki anschloss, in  L’An I de la Révolution Russe, Seite 84, Kapitel 3: «Les grands décrets»

[6] Oskar Anweiler, Die Rätebewegung in Russland 1905-1921, Kapitel 5: Die Errichtung der Sowjetdiktatur, Abschnitt: Konstituierende Versammlung oder Räterepublik?, Seite 260 

[7]  Marcel Liebman, a.a.O., Seite 31

[8]  Die Verfolgung der Situation in Deutschland und Neuigkeiten von Streiks und Meutereien bildeten den Hauptteil ihrer Diskussionen.

[9]  Oskar Anweiler, a.a.O., Seite 274

[10]  Victor Serge, a.a.O., Seite 99, Kapitel 3: „L`initiative des masses“

[11]  Marcel Liebman, a.a.O., Seite 94

[12]  Dieser Vertrag wurde zwischen der Sowjetregierung und dem deutschen Staat im März 1918 unterzeichnet. Zum Preis harter Zugeständnisse erlaubte er der Sowjetregierung einen Waffenstillstand als Atempause und demonstrierte der internationalen Arbeiterklasse den Willen, den Krieg zu beenden. Siehe dazu unsere Artikel: „Oktober 1917 : Anfang der proletarischen Revolution (Teil 2)“ in Internationale Revue Nr. 6, und: „Le communisme n’est pas un bel idéal «(8e partie) : La compréhension de la défaite de la Révolution russe«, Revue Internationale Nr. 99, 1999.

[13]  Marcel Liebman, ebenda, Seite 176

[14]  Siehe den 3. Artikel dieser Serie (in der vorliegenden Revue), Kapitel: „September 1917: Die totale Erneuerung der Sowjets“

[15]  Man muss anfügen, dass diese Maßnahmen nicht durch Einschränkungen der Pressefreiheit begleitet waren. Im oben zitierten Buch unterstreicht Victor Serge, dass „die Diktatur des Proletariats lange mit dem Verbot der feindlichen Presse zögerte. (…) Erst im Juli 1918 waren die letzten Organe der Bourgeoisie und der Kleinbourgeoisie verboten. Die legale Presse der Menschewiki verschwand erst 1919; die der regierungsfeindlich gesinnten Anarchisten und Maximalisten erschien bis 1920; die der linken Sozialrevolutionäre noch länger.“ (Fußnote Seite 109, Kapitel: „Réalisme prolétarien et rhétorique révolutionnaire“)

[16]Oskar Anweiler, a.a.O., Seite 297

[17] Marcel Liebman, a.a.O., Seite 35. Sinowjew, ein Bolschewiki, hatte große Qualitäten und war engagierter Animator der Kommunistischen Internationale, war aber auch bekannt wegen seiner Schlauheit und Manövrierfähigkeit.

[18] ebenda

[19] ebenda

[20] Wir können in diesem Artikel nicht auf die Details von Kronstadt und auf die Lehren eingehen, die daraus gezogen werden müssen. Siehe dazu: Internationale Revue Nr. 28, „Kronstadt verstehen“

[21] Für diejenigen, die sich ein Bild des Bürgerkriegs von 1918 machen wollen, empfehlen wir die Lektüre des zitierten Buches von Victor Serge.

[22] Marcel Liebman, ebenda, Seite 32

[23] Siehe dazu in dieser Internationalen Revue im 3. Teil dieser Serie, Abschnitt „Das Militärische Revolutionskomitee, Organ der Räte für den Aufstand“

[24] Rede von Kamenew, zit. bei Oskar Anweiler, a.a.O., Seite 297

[25]Marcel Liebman, a.a.O., Seite 33

[26]A.a.O. S. 32

[27]A.a.O. S. 164

[28]Victor Serge, a.a.O., S. 162, Kap. V “Das Problem im Januar 1918”

[29]Victor Serge, a.a.O., S. 99, Kap. III, “Die Sabotage”

[30] A.a.O., S. 227, Kap. VI, „Das Problem“

[31] A.a.O., Victor Serge beschreibt, dass eine Politik der Gewerkschaften darin bestand, Handelsgenossenschaften zu gründen, die sich der Lebensmittelspekulation zum Profit der Genossenschafter widmeten.

[32] Anweiler, a.a.O., S. 299

[33] Oskar Anweiler berichtet: „Einige Wochen nach dem Oktoberumsturz versuchten die in mehreren Städten bestehenden örtlichen Zentralräte der Fabrikkomitees eine eigene nationale Organisation zu errichten, die ihre faktische wirtschaftliche Diktatur sichern sollte.“ A.a.O. S. 277

[34] A.a.O., Anweiler berichtet: „Die Gewerkschaften verhinderten die Einberufung eines allrussischen Betriebsrätekongresses und erreichten stattdessen, dass ihnen die Betriebsräte als unterste Organisationen eingegliedert wurden.“ S. 277 („Betriebsrat“ und „Fabrikrat“ werden in diesem Artikel als Synonyme verwendet.)

[35]Marcel Liebman, a.a.O. S. 189

[36] Ebenda, S. 23

[37] Ebenda, S. 24

Erbe der kommunistischen Linke: