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Frankreich: Die Bewegung gegen das El Khomri-Gesetz
Eine Szene, die am 24. März von einem Mobiltelefon gefilmt wurde, machte in den sozialen Medien die Runde: Drei Polizisten drücken einen Schuljungen zu Boden; als der Junge aufsteht, schlägt ihm ein Polizist ins Gesicht. Und dies ist nur ein Beispiel unter anderen. Die Polizeirepression war während der Bewegung gegen das El Khomri-Gesetz extrem. Mit der Zustimmung der Regierung, die "sozialistisch" zu sein vorgibt, doch seit einigen Monaten ein Klima der außerordentlichen Sicherheit erzeugt, wurde jede Blockade von Schulen, Universitäten oder Raffinerien zum Schauplatz der Brutalität durch die Ordnungskräfte. Vor allem die junge Generation zahlt den Preis für diese Muskelspiele, Schlägereien und Provokationen. Als ob es notwendig geworden ist, die Kinder von ArbeiterInnen von klein auf mit den Kräften der bürgerlichen Ordnung zu beeindrucken.
Der Staat hat den Boden für die Repression sehr gut vorbereitet. Wie wir in unseren Artikeln über die terroristischen Angriffe in Paris im Januar und November 2015 geschrieben haben, schuf der unerhörte Ausbau des Netzes von Polizeikontrollen und der Ausnahmezustand, der ausgerufen worden war, auf materieller wie auf ideologischer Ebene eine Situation, in der Repression und Polizeiprovokationen leichter ausgeübt werden können, besonders indem das Phänomen der "casseur" (Randalierer) als wichtiges Alibi für Polizeieinsätze ausgenutzt wird.
Der repressive Charakter des bürgerlichen Staates
Der Staat und seine Repressionskräfte sind das Produkt unversöhnlicher Klassengegensätze und das Instrument für die Ausbeutung der Unterdrückten ausschließlich zu Diensten der Bourgeoisie. Wie wird die "Ordnung" aufrechterhalten? "'Damit aber diese Gegensätze, Klassen mit widerstreitenden Interessen, nicht sich und die Gesellschaft in fruchtlosem Kampf verzehren, ist eine scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht nötig geworden, die den Konflikt dämpfen, innerhalb der Schranken der 'Ordnung' halten soll; und diese, aus der Gesellschaft hervorgegangne, aber sich über sie stellende, sich ihr mehr und mehr entfremdende Macht ist der Staat (...) Diese öffentliche Gewalt existiert in jedem Staat; sie besteht nicht bloß aus bewaffneten Menschen, sondern auch aus sachlichen Anhängseln, Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art (...)' Das stehende Heer und die Polizei sind die Hauptwerkzeuge der Gewaltausübung der Staatsmacht..." [1] Die Realität der Polizeigewalt ist also weder neu, noch ein Unfall der Geschichte, noch das Produkt einer nicht perfekten Verwirklichung der Demokratie; sie ist ein klarer Ausdruck des zutiefst unterdrückerischen Charakters des Staates. Die herrschende Klasse ist angesichts eines jeglichen Ausdrucks, der ihre gesellschaftliche Ordnung in Frage stellt, stets außerordentlich brutal gewesen. Die Bourgeoisie hat versucht, jede Herausforderung durch das Proletariat mit Feuer und Schwert zu ersticken. So setzt die Polizei heute auf denselben Bürgersteigen den Schlagstock gegen die Arbeiterjugend ein, auf denen 1871 die Versailler Armeen die Pariser Kommune in ihrem Blut ertränkt hatten.
Von Anbeginn der Arbeiterbewegung wurden die revolutionären Organisationen nicht nur mit der Staatsgewalt konfrontiert, sondern auch mit der Frage der Zufluchtnahme zur Gewalt in den Reihen des Proletariats. Gewalttätige Aktionen sind nie als ein Ausdruck der politischen Stärke der Bewegung betrachtet worden, sondern müssen in einem allgemeineren Kontext gesehen werden. Selbst wenn sie sich gegen die Ordnungskräfte richten, sind sie häufig nicht mehr als individuelle Antworten, die die Gefahr der Unterminierung der Klasseneinheit enthalten. Dies bedeutet nicht, dass die Arbeiterbewegung "pazifistisch" ist. Sie benutzt zwangsläufig eine bestimmte Form der Gewalt: die Gewalt des Klassenkampfes gegen den bürgerlichen Staat. Doch hier handelt es sich um eine unterschiedliche, befreiende Form, die von einem bewussten Schritt begleitet ist, der nichts mit der Gewalt und Brutalität der herrschenden Klassen zu tun hat, deren Macht durch Terror und Repression aufrechterhalten wird. So gestattete die Erfahrung eines Proletariats, das sich Stück für Stück als eine gesondert organisierte und bewusste Klasse konstituiert hatte, ihm, sich allmählich gegen die unvermittelte Versuchung einer blinden Gewalt zur Wehr zu setzen, die eines der Kennzeichen der ersten ArbeiterInnenunruhen gewesen war. So erhoben sich im 18. Jahrhundert nahezu überall in Europa zahllose ArbeiterInnen äußerst gewaltsam gegen die Einführung der Webmaschinen, indem sie sie zerstörten. Diese gewaltsamen Aktionen ausschließlich gegen die Maschinen waren das Produkt eines Mangels an Erfahrung und Organisation in der Kindheit der Arbeiterbewegung. Wie Marx betonte: "Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Exploitationsform übertragen lernt." [2]
Die "Randalierer" - ein vom Zerfall begünstigtes Phänomen
Andererseits gibt es eine Reihe von politischen Ausdrücken, die im 20. Jahrhundert auftauchten und die der binden Gewalt auf mannigfaltige Weise nachgegeben hatten. Dies war besonders nach 1968 der Fall, zum Beispiel in Italien, angeregt von "operaistischen" Ideologien [3], oder in Deutschland unter den vielen "autonomen" Tendenzen. Diese Strömungen drückten einen Mangel an Reflexion und Orientierung über die Mittel aus, die für eine politische Konfrontation des Kapitalismus nötig sind. In Berlin zum Beispiel sind seit den 1980er Jahren die Konfrontationen zwischen Polizei und allen Arten von "Randalierern" zu einem Ritual geworden, in dem Letztgenannte die Konfrontation mit der Polizei suchen, dabei Geschäfte und Autos zerstören und dies fäschlicherweise mit der "revolutionären" Tat identifizieren.
Heute drücken diese "autonomen" Kräfte, die seitens des Staates immer mehr mit dem "Terrorismus" gleichgesetzt werden, das Unvermögen und den politischen Leeraum aus, der von der großen Schwäche einer Arbeiterklasse hinterlassen wurde, welcher es, auch wenn sie in der Lage gewesen war, aus Jahrzehnten einer traumatischen stalinistischen Konterrevolution hervorzutreten, bis dato nicht gelungen ist, sich selbst als gesellschaftliche Klasse zu erkennen, indem sie sich ihrer authentischen Kampfmittel und somit ihrer kommunistischen Perspektive vergewissert. Desorientiert, ohne jegliches Vertrauen in die eigene Stärke ist es dem Proletariat nicht gelungen, seine eigene Identität und noch weniger seine historische Macht anzuerkennen. So überlässt es das Feld all den unduldsamen, aufgebrachten Jungen, die bar jeder politischen Erfahrung und - momentan - jeder Zukunftsperspektive sind.
Dies erklärt größtenteils die Anziehungskraft, die die Methoden der "Autonomen" und "Randalierer" auf junge Menschen ausüben, oder den Erfolg nebulöser Theorien wie jene, die von einem gewissen "Unsichtbaren Komitee" in der Broschüre "Der kommende Aufstand" [4] artikuliert wird. Hier lesen wir: "Die Offensive, die den Zweck hat, das Territorium von der polizeilichen Besatzung zu befreien, ist bereits im Gang und kann auf die unerschöpflichen Reservoirs der Verbitterung zählen, die diese Kräfte gegen sie selbst vereint hat. Die 'sozialen Bewegungen' sind nach und nach für die Randale gewonnen worden." Diese Art von Diskurs, der von einer erklecklichen Anzahl von Autonomen, die sich unter etlichen Bannern sammeln (Schwarze Blöcke, Verteidiger von "autonomen Zonen", einige Antifaschisten), mehr oder weniger geteilt wird, hat sie immer mehr in den Vordergrund der gesellschaftlichen Bühne gerückt. Seit einigen Jahren drücken immer größere Teile der Jugend, die unter der gesellschaftlichen Gewalt des Kapitalismus, der Prekarität und Arbeitslosigkeit leiden, ihre Wut und Verzweiflung in mitunter gewaltsamen Revolten aus. Ihr Hass auf den ganzen Scheiß verleitet sie auf Demonstrationen schnell dazu, die Ordnungskräfte zu konfrontieren. Einige von den Jungen sind den Einflüssen und Taten der "Randalierer" oder "autonomer" Gruppen ausgesetzt, die sich selbst durch unfruchtbare Aktionen wie das Demolieren von Eigentum, das Zerschlagen von Fensterscheiben, etc. auszeichnen, welche leider eine gewisse Faszination auf die Verzweifelten ausüben.
Es geht nicht darum, eine Parallele zu ziehen zwischen der Staatsgewalt in Gestalt einer erheblich aufrüsteten Polizei, und der Gewalt einiger Demonstranten, die mit ein paar schwachen Wurfgeschossen bewaffnet sind, als sei Erstere die "legitime" Konsequenz aus Letzterem. Die bürgerliche Presse macht genau dies auf schamlose Weise. Doch das Problem dieser fruchtlosen Gewalt, dieser Prügeleien mit der Polizei ist, dass der Staat sie perfekt zu seinem Vorteil nutzen kann. So hat die Regierung all diese "Randalierer" und "Autonomen" mutwillig in eine Falle gelockt, um den Proletariern in ihrer Gesamtheit "die Tatsache zu demonstrieren", dass Gewalt und Revolte zwangsläufig ins Chaos führen. Die Schäden am Necker-Krankenhaus in Paris veranschaulichen dies perfekt. Am 14. Juni griff die Polizei mit ungewöhnlicher Härte eine Demonstration an, die an einem Kinderkrankenhaus vorbeiführte. Gruppen von Randalierern hatten zuvor, wahrscheinlich von Agents provocateurs angestiftet [5] und unter den Augen von etlichen, passiv bleibenden Kompanien der CRS-Bereitschaftspolizei, einige Krankenhausfenster zerschlagen. An diesem Abend hatte die bürgerliche Presse ihren großen Tag; man wurde mit den empörten Erklärungen der Regierung traktiert, die es nicht versäumten, die Gelegenheit zu nutzen, um die "Radikalen" gegen die kranken Kinder auszuspielen. So lenkt die Bourgeoisie die Aufmerksamkeit auf die gewalttätigsten Elemente an den Rändern einer gebeutelten Jugend, dem Opfer der bürgerlichen Ordnung, um die Brutalität der Polizeirepression zu legitimieren. Um den Staat und seine Institutionen nachdrücklich als letztes Bollwerk gegen jene darzustellen, die die "öffentliche Ordnung" und die Demokratie bedrohen, lenken die Medien die Aufmerksamkeit auf die geradezu symbolhafte Zerstörung, die von den "Randalierern" verübt worden sei. Dies hat auch den Effekt, die Demonstranten zu spalten, um Misstrauen innerhalb der Arbeiterklasse zu säen und vor allem um den leisesten Hauch von Solidarität und einer revolutionären Perspektive zu ersticken. Weit entfernt davon, das System zu erschüttern, gestatten diese Phänomene der Bourgeoisie, alle Formen des Kampfes gegen den Staat zu verunglimpfen, vor allem aber die revolutionäre Perspektive wirksamer zu deformieren. Die Gewaltmanifestationen von heute sind sowohl die Widerspiegelung der Schwächen des Klassenkampfes als auch das Produkt des gesellschaftlichen Zerfalls, einer allgemeinen Atmosphäre, die Verhaltensweisen freien Lauf lässt, die typisch sind für Gesellschaftsschichten, die keine Zukunft haben, die unfähig sind, der Barbarei des Kapitalismus eine andere Perspektive entgegenzusetzen, abseits der blinden und nihilistischen Wut. Andere Aktionen von rebellischen Minderheiten (wie die Molotowattacke am 18. Mai gegen zwei Polizeibeamte in ihrem Wagen am Rande einer Versammlung), die offensichtlich Produkte eines Rachegeistes sind, werden ebenfalls bis zum Gehtnichtmehr vom Staat und seiner Presse ausgenutzt, um den "Hass auf die Polizei" anzuprangern.
Die ganze Existenz der Arbeiterbewegung hindurch ist deutlich worden, dass die Entwicklung des Kräfteverhältnisses gegenüber ihrem Klassenfeind einen völlig anderen Verlauf nimmt und unter Verwendung radikal andere Methoden stattfindet. Um einige Beispiele zu nennen: Im Sommer 1980 mobilisierten sich die Arbeiter in Polen angesichts der drohenden Repression in den Städten Gdansk, Gdynia und Sopot massiv über alle Bereiche hinweg, so dass die Regierung einlenken musste. Als der Staat drohte, militärisch zu intervenieren, um sie zu unterdrücken, drohten die ArbeiterInnen von Lublin aus Solidarität mit den Betroffenen umgekehrt damit, die Eisenbahnen lahmzulegen, die die russischen Kasernen in der DDR mit der Sowjetunion verbanden. Der polnische Staat trat letztendlich den Rückzug an. Angesichts der vergangenen Repression 1970 und 1976 gründete sich die Antwort der ArbeiterInnen nicht auf Rache, sondern auf das Gedenken und die Solidarität.[6] In jüngerer Zeit und in einem anderen Kontext übernahm in Frankreich zurzeit der Kämpfe gegen den CPE 2006 die proletarisierte Jugend der Universitäten die Kontrolle über ihre Kämpfe, indem sie sich selbst in Vollversammlungen organisierte, die allen offenstanden, um ihre Bewegung auszuweiten. Die Villepin-Regierung, die eine Ausweitung befürchtete, musste den Rückzug antreten. 2011, zurzeit der Indignados-Bewegung in Spanien, trafen sich die Menschen in Straßenversammlungen, um zu diskutieren, Erfahrungen auszutauschen und so einen gemeinsamen Willen zum Kampf zu schmieden. Die spanische Bourgeoisie versuchte, diese Dynamik zu brechen, indem sie Konfrontationen mit der Polizei provozierte und indem sie eine Medienkampagne gegen die "Randalierer" entfachte. Doch die Stärke und das Vertrauen, das sich in offenen Versammlungen artikulierte, erlaubte dem Proletariat, mit Massendemonstrationen zu antworten, besonders in Barcelona, wo Tausende von Menschen in der Lage waren, den Polizeiattacken etliche Male mutig zu trotzen.
So ist es nicht die Gewalt an sich, der Rachedurst, die isolierte und minoritäre Tat, die die Macht einer Bewegung gegen einen kapitalistischen Staat ausmacht, sondern im Gegenteil die Dynamik der bewussten Aktion mit der Perspektive, den Kapitalismus zu stürzen und zu zerstören.
Die Stärke unserer Klasse liegt genau in ihrer Fähigkeit, der Polizeiprovokation massiv und bewusst die Stirn zu bieten.
Der am lebendigen Leib verrottende Kapitalismus generiert eine Tendenz zur Fragmentierung der sozialen Bande und entwertet alle Bemühungen um ein kohärentes Denken, indem er zu "Aktionen um der Aktion willen" und zu simplen Sofortlösungen drängt[7], genährt von einer wachsenden Unzufriedenheit und Verbitterung, einem Rachegeist, der zum Aufkommen winziger Gruppen ermutigt, die das dankbare Opfer der Polizeiprovokationen und der Manipulationen sind. Häufig kommen die gewalttätigsten Elemente aus zerfallenden kleinbürgerlichen Schichten oder aus einer deklassierten Intelligentsia, die sich im Aufruhr gegen die Barbarei des kapitalistischen Systems befindet. Ihre Taten, die sich durch den Individualismus auszeichnen und blind vor Hass und Ungeduld sind, sind Ausdrücke eines unmittelbaren Antriebs und oftmals ohne jegliches reale Ziel. Es sind dieselben nihilistischen Wurzeln, die andere junge Menschen wiederum dazu veranlassen, in den Dschihad zu ziehen.
Die Bourgeoisie nutzt auch die Gewalt und Zerstörung, die viele Demonstrationen begleiten, um die ArbeiterInnen zurück in die Gewerkschaften zu drängen, die trotz des Misstrauens gegen sie als die einzige Kraft erscheinen, die in der Lage ist, den Kampf zu organisieren und anzuführen. Solch eine Situation kann das Bewusstsein nur weiter schwächen, wird den Hauptsaboteuren des Kampfes doch damit ein neues Image verpasst wird.
Was ist eine revolutionäre Perspektive?
Eine authentische Arbeiterbewegung hat nichts zu tun mit der falschen Alternative zwischen ihrer Einhegung durch die offiziellen Gewerkschaften und "aufrührerischen" Aktionen, die all jene, die ehrlich kämpfen wollen, namentlich die Jugend in den Demonstrationen, nur in das politische Nichts und in die Repression führen. Im Gegenteil, was den wirklichen Arbeiterkampf auszeichnet, ist die Solidarität, das Trachten nach Einheit im Kampf, der Wille, so massiv wie möglich gegen die kapitalistische Ausbeutung zu kämpfen. Die Essenz dieses Kampfes ist die Vereinigung der Kämpfe, die alle, Arbeitslose, Beschäftigte, Junge, Alte, RentnerInnen, etc. vereinigt. Und wenn die Arbeiterklasse in der Lage ist, sich selbst in solch einem Umfang zu mobilisieren, dann ist sie auch im Stande, alle anderen Schichten dieser Gesellschaft, die Opfer des vom Kapitalismus verursachten Leids sind, hinter sich zu scharen. Nur diese massive Mobilisierung, die tatsächlich von den ArbeiterInnen selbst kontrolliert wird, hat die Kapazität, Staat und Bourgeoisie zurückzudrängen. Daher ist die Arbeiterklasse nicht darum bestrebt, sich den Orden für Gewalttätigkeit ans Revers zu heften, um das Kräftegleichgewicht zuungunsten der herrschenden Klasse zu verschieben, sondern stützt sich zuallererst auf ihre schiere Anzahl und ihre Einheit. Der proletarische Kampf hat nichts mit den von Journalisten gefilmten Scharmützeln zu tun. Weit entfernt von der Instrumentalisierung der Gewalt, wie wir sie heute erleben, beruht die historische und internationale Schlacht der Arbeiterklasse auf der bewussten und massenhaften Aktion. Sie besteht aus einem gewaltigen Vorhaben, dessen kulturelle und moralische Dimension den Keim der Emanzipation der gesamten Menschheit enthält. Als eine ausgebeutete Klasse hat das Proletariat keine Privilegien zu verteidigen und nur seine Ketten zu verlieren. Aus diesem Grunde sagt das Programm des Spartakusbundes, das von Rosa Luxemburg verfasst wurde, in Punkt 3: "Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors , sie hasst und verabscheut Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmitteln nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutionen bekämpft".[8] Mit seinem Geist der Assoziation und Solidarität nimmt der Arbeiterkampf die eigentliche menschliche Gemeinschaft der Zukunft vorweg. Seine Organisationsweise entspricht nicht einem Generalstab, der vom Feldherrenhügel die Schlacht leitet, sondern nimmt die Form eines bewussten, kollektiven Widerstandes an, der zahllose kreative Initiativen zur Welt bringt: "Der Massenstreik (...) flutet bald wie eine breite Meereswoge über das ganze Reich, bald zerteilt er sich in ein Riesennetz dünner Ströme; bald sprudelt er aus dem Untergrunde wie ein frischer Quell, bald versickert er ganz im Boden. Politische und ökonomische Streiks, Massenstreiks und partielle Streiks, Demonstrationsstreiks und Kampfstreiks, Generalstreiks einzelner Branchen und Generalstreiks einzelner Städte, ruhige Lohnkämpfe und Straßenschlachten, Barrikadenkämpfe - alles das läuft durcheinander, nebeneinander, durchkreuzt sich, flutet ineinander über; es ist ein ewig bewegliches, wechselndes Meer von Erscheinungen".[9] Dieses lebendige, befreiende Momentum kommt erst im Massenstreik, schließlich in der Bildung von ArbeiterInnenräten zum Ausdruck, ehe es zum Aufstand und zur weltweiten Machtübernahme durch das Proletariat führt. Im Moment ist diese Perspektive für das Proletariat, das viel zu schwach ist, nicht in Reichweite. Wenngleich nicht geschlagen, so hat es nicht ausreichend Macht, um sich selbst zu behaupten, und muss zunächst sich seiner selbst wieder bewusst werden, sich mit seiner eigenen Erfahrung und Geschichte wieder in Einklang bringen. Die Revolution steht weder unmittelbar vor der Tür, noch ist sie unvermeidlich. Es bleibt immer noch ein langer und schwieriger, mit Fallstricken übersäter Weg zu gehen. Erst muss es zu einer wahrhaftigen und tiefgehenden Umwälzung im Denken kommen, ehe es möglich ist, sich ein Bekenntnis zur revolutionären Perspektive vorzustellen.
EG/WH, 26.6.2016
[1] Lenin, Staat und Revolution, einschließlich des Zitats aus Engels' Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates.
[2] Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kap. 13.5 "Kampf zwischen Arbeiter und Maschine".
[3] Der Operaismus ist eine "arbeitertümlerische" Strömung, die 1961 rund um die Zeitschrift Quaderni Rossi entstand, mit Mario Tronti und Toni Negri als wichtigste Theoretiker. 1969 spaltete sich die operaistische Strömung in zwei miteinander rivalisierende Organisationen: Potere Operaio und Lotta Continua. Nach 1972 wurden die Operaisten in die autonome Bewegung verwickelt, die Randale und gewaltsame, so genannte "exemplarische Aktionen" pries.
[4] Von dieser Broschüre wurden in Frankreich mehr als 40.000 Exemplare verkauft.
[5] Zum Beispiel war dies in Spanien der Fall, wo in der Indignado-Bewegung Polizisten von Demonstranten enttarnt wurden. In Frankreich ist die Infiltration von Demonstrationen durch Polizisten der BAC (anti-kriminelle Brigaden), die die Aufgabe haben, die Mengen aufzuwiegeln, allseits bekannt.
[6] Eine der Arbeiterforderungen war die Errichtung eines Denkmals, das ihrer Toten, den Opfern der blutigen Repression der früheren Bewegungen 1970/71 und 1976, gedenken wollte.
[7] Wie die Slogans und Sprechchöre: "Wir hassen die Polizei" oder "All cops are bastards".
[8] Rosa Luxemburg, Was will der Spartakusbund?
[9] Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften