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Am 25. Mai kam Harvey Weinstein, ein berühmter amerikanischer Filmproduzent, in Handschellen und von zwei Polizisten abgeführt aus einer Polizeiwache heraus, auf der er sich selbst gestellt hatte. Gegen ihn wurde Anklage erhoben wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und sexueller Übergriffe. Schließlich wurde er gegen Kaution freigelassen, und bis zum Prozesstermin muss er eine elektronische Fußfessel tragen.
Ideologische Instrumentalisierung …
Die „Weinstein-Affäre“ ist seit Oktober 2017 weltweit bekannt, als die New York Times und der New Yorker eine Untersuchung der zahlreichen sexuellen Übergriffe des Hollywood-Produzenten veröffentlichten, die ihm von mehr als einem Dutzend Frauen vorgeworfen wurden. Seitdem haben zahlreiche Frauen die Übergriffe und Verbrechen vieler Machthaber aus allen Bereichen angeprangert: Filmbranche, Wirtschaft, Politik, etc. Die Medienberichterstattung über die „Weinstein-Affäre“ wurde anfangs auch zum Anlass genommen, um Trump in die Enge zu treiben und zu versuchen, belastendes Material für ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn zu sammeln. Während Bill Clintons Amtszeit war sexueller Missbrauch durch einen Mann, der sich aufgrund seiner führenden Machtposition unantastbar fühlte und meinte, ungestraft davonkommen zu können, bereits dazu benutzt worden, den damaligen Präsidenten in der berühmten Lewinsky-Affäre zu schwächen. Im Oktober 2017, als die Weinstein-Affäre publik wurde, war das verabscheuungswürdige Verhalten dieser finsteren Gestalt in amerikanischen Kultur- und Intellektuellenkreisen längst ein offenes Geheimnis. Indem die amerikanische herrschende Klasse es als ein Thema der Empörung des Volkes mediatisierte, fand sie einen Weg, den amerikanischen Präsidenten in diese Affäre mit reinzuziehen und ihn zu beschuldigen, weil er in diesen Fragen einiges auf dem Kerbholz hat (er hatte, neben anderen Schandtaten, das Schweigen einer Pornodarstellerin und eines Models erkauft, bevor er heiratete, nachdem eine dieser Frauen drohte, ihre frühere Beziehung mit ihm zu enthüllen).
In der Tat zeigt die internationale Reichweite dieses Falles viel mehr als eine weitere machiavellistische Strategie der Herrschenden. Sie offenbart eine echte und tiefe Empörung über die Lage der Frauen in der Gesellschaft. Am „Frauentag“ am 8. März 2018 war die Beteiligung an Protesten in vielen Ländern höher als in den Vorjahren (Demonstrationen fanden in der Türkei, Russland, den Philippinen, Indien, Pakistan, der Schweiz, Südkorea, Kongo, Elfenbeinküste usw. statt), mit entschlosseneren Slogans oder Forderungen. Bis nach Indien oder in die Türkei versammelten sich Demonstranten, um Angriffe und Vergewaltigungen gegen Frauen anzuprangern.
Aber diese legitime Empörung wurde von den Herrschenden durch eine von den Medien und der Kulturszene inszenierte Kampagne über soziale Netzwerke schnell wieder vereinnahmt. Frauen werden z.B. als systematische Opfer von Männern dargestellt, oder es wird behauptet, „Alle Männer sind Schweine“.
Es war zu erwarten, dass die herrschende Klasse der Empörung nicht freien Lauf lassen, sondern diese in falsche Bahnen lenken würde, indem ein falscher Gegensatz aufgezogen wurde wie der zwischen „Männer gegen Frauen“, und indem Gefühle, „Opfer zu sein“, sowie Schuldgefühle verbreitet wurden, während gleichzeitig die traditionelle Karte des Puritanismus und der Prüderie gespielt wurde. Immer mehr Stellungnahmen wurden verfasst, Regierungen mehrerer Länder traten auf den Plan und verkündeten, die „Gleichstellung der Geschlechter“ unter anderem in Bezug auf Löhne oder die Kriminalisierung von sexuellen Übergriffen und Belästigungen zu stärken. Die herrschende Klasse kann angesichts der empörten Reaktionen nicht schweigen, obwohl dieser tiefgreifende Zorn im Moment nicht in der Lage ist, sich auf einem Klassenterrain zu entfalten, denn dieser bleibt gefangen im Rahmen eines zersplitterten und klassenübergreifenden Kampfes und stellt keine Gefahr für ihre Klassenprivilegien dar. Die herrschende Klasse nutzt diese Situation, um alles in das Korsett der demokratischen Mystifikationen zu zwängen, und verstärkte die Illusion, Diskriminierung habe in dieser Gesellschaft keinen Platz.
Aber das ist eine Mystifikation. Wenn Gefängnisse mit Männern gefüllt sind, die ihren Frauen gegenüber gewalttätig aufgetreten oder wegen sexueller Übergriffe straffällig geworden sind, was muss sich in der Gesellschaft grundlegend ändern, damit diese Verhaltensweisen keine materielle Grundlage mehr haben? Die herrschende Klasse weiß, dass die Kriminalisierung des erniedrigenden Verhaltens gegenüber Frauen nicht mal einen Tropfen auf den heißen Stein ist, was ihr Gerede und ihre Gesten nur noch widerwärtiger erscheinen lässt. Indem die herrschende Klasse den Frauen staatlichen Schutz bietet, sperrt sie die Frauenfrage in den bürgerlich-demokratischen Rahmen ein und reduziert sie auf eine Behandlung von abweichendem Verhalten in einer Gesellschaft, in der der „Gleichstellung der Geschlechter“ nichts Strukturelles entgegenstehe.
Genau in diese Falle darf diese legitime und wirkliche Welle der Empörung nicht geraten. Wenn Frauen extrem ausgebeutet, missbraucht, als Sklavinnen und sexuelle Objekte von Männern betrachtet werden, ist es weniger das Produkt einer Art „Abgleiten“ oder „Regression“ der Gesellschaft als vielmehr ein Ausdruck des wahren Wesens der Gesellschaft, die repressiv und in Klassen gespalten ist.
... einer der Realitäten der Unterdrückung
Es dauerte nicht lange, bis die Arbeiterbewegung die spezifische Situation der Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft an den Pranger stellte. 1845 schrieb Engels Die Lage der Arbeiterklasse in England. Darin beschrieb er, wie der Kapitalismus das Leben, die Gesundheit, die Zukunft der Kinder und die Körper der Frauen zerstörte, indem er sie in die unmenschliche Produktion großer Fabriken und Bergwerke integrierte. Er erklärte auch, wie der Chef seine Arbeiterinnen durch seine Macht über Leben und Tod, nach Belieben missbrauchen kann. Aber gerade in Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates zeigte Engels, dass die Situation der Unterordnung der Frauen tief mit der Spaltung der Gesellschaft in gesellschaftliche Klassen, mit der Existenz des Privateigentums verbunden ist und wie sehr der historische Kampf des Proletariats Träger einer wahren Emanzipation der Frauen ist. Anhand von Morgans Arbeit zeigte Engels, dass die Entstehung von Privateigentum die Familie, die erste wirtschaftliche Einheit der Klassengesellschaften, hervorgebracht hat. In dieser Familie ist der Mann nun für die Versorgung der Bedürfnisse zuständig, und die Frau wird in eine Position des Objektes, des Eigentums des Mannes und der Aufzucht und Versorgung der Kinder gezwungen, welche das vom Familienoberhaupt „übermittelte“ Erbe übernehmen werden.
August Bebel seinerseits beschrieb in seinem klassischen Werk Frau und Sozialismus aus der gleichen Zeit, wie die kapitalistischen Beziehungen diese Position der Frauen im Dienste der Männer aufrechterhalten und wie die sozialen Strukturen im Kapitalismus auf dieser Position basieren, insbesondere die bürgerliche Ehe. Im Kapitalismus bleiben Frauen Eigentum der Männer bis zu dem Punkt, dass sie zu einer Rolle von Werkzeugen im Dienste der männlichen Begierden und Impulse reduziert werden. Bebel zeigte damit, wie am Ende dieser Logik die Prostitution für das „reibungslose“ Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft notwendig ist.
Der Marxismus hat daher sehr früh festgestellt, dass die Unterwerfung der Frauen unter die Männer nicht grundsätzlich moralischer oder gar physischer Natur ist, sondern materieller und sozialer Natur. In ihrer Entwicklung führten die Produktivkräfte die Menschheit von den kollektiven sozialen Formen des primitiven Kommunismus zu einer Organisation, die auf Privateigentum und Spaltung in soziale Klassen basiert. Der Kapitalismus führt, indem er Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen in seine Produktion integriert, zur Unterdrückung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, aber seine sozialen Strukturen halten zwangsläufig den Rahmen der Unterwerfung von Frauen unter Männer aufrecht, insbesondere durch Ehe und Familie.
Dies wird durch die Medienberichterstattung über das heutige Verhalten umfassend bestätigt. Die gesellschaftliche Entwicklung seit Engels und Bebel, die weit davon entfernt ist, den Frauen einen besseren Platz in der Gesellschaft zu geben, hat ihren Status als Gebrauchsgegenstand bestätigt und verewigt. Die Frau wird immer objektiv als ein grundlegend minderwertiges Wesen betrachtet und damit dem Mann unterworfen. Diese ihr übertragene materielle Natur führt zu einer zunehmenden Entmenschlichung der Frauen und ihrer Beziehungen zu Männern. Die Werbung beispielsweise spiegelt dieses Frauenbild brutal in der Form von unterwürfigen Sexualobjekten wider. Pornografie wird mit dem Internet immer wichtiger und vermittelt jüngeren Menschen eine entmenschlichte und verdinglichte Vorstellung von Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die erniedrigendes Verhalten, Belästigung und sexuelle Gewalt nur trivialisieren können, vor allem auf der Arbeit, wo Herrschafts- und Unterwerfungsbeziehungen sichtbarer sind als anderswo.
Außerdem bietet die Arbeit nicht mehr die Mindestbedingungen für ein gesellschaftliches Leben. Die Zersetzung des sozialen Gefüges und die Ausbeutungsbedingungen erzeugen und verstärken eine teilweise extreme Atomisierung der Menschen, die sie sehr oft in Einsamkeit und sexuelles Elend stürzt.
Doch die herrschende Klasse befasst sich auch mit der „Frauenfrage“. Feministische Bewegungen sind nicht neu und haben regelmäßig die Sozialgeschichte des Kapitalismus geprägt. Denn leiden bürgerliche Frauen nicht genauso unter der Herrschaft ihrer Männer? Zweifellos kann man das teilweise einräumen, aber die feministische Bewegung ist Teil eines Prozesses klassenübergreifender Forderungen, die einerseits nur einen begrenzten Spielraum im Rahmen einer Gesellschaft haben können, deren Struktur nicht in Frage gestellt wird, und andererseits eine reale Gefahr für das Proletariat in dem Sinne darstellen, dass der Feminismus, wie alle klassenübergreifenden Bewegungen, dazu beiträgt, von Forderungen und Positionen der Klasse, die allein die Lösung beinhalten, abzubringen.
Durch ein tiefes Verständnis des Zusammenhangs, der den Status und die Ausbeutung von Frauen eng mit der Organisation der kapitalistischen Gesellschaft verbindet, konnte sich die Arbeiterbewegung sehr früh mit der Situation von Frauen auseinandersetzen und sich gleichzeitig sehr klar und deutlich von der feministischen Bewegung unterscheiden, die von einem Teil der Bourgeoisie unterstützt wurde, der sich für den Zugang von Frauen zu Bildung, Verantwortung und Wahlrecht einsetzte. Clara Zetkin und August Bebel in der Zweiten Internationale, Alexandra Kollontaï in der bolschewistischen Partei, um nur diese drei zu nennen, betonten alle die Hauptverantwortung des kapitalistischen Systems für die Lage der Frauen und damit die Bedeutung der Verbindung dieser Frage mit der Lage der Arbeiterklasse, mit dem Kampf der gegen den Kapitalismus vereinigten Arbeiter, um eine neue Gesellschaft aufzubauen, in der Männer und Frauen frei von ihren Ketten leben werden.
Es war die Arbeiterbewegung, die den Frauentag (damals Internationaler Frauentag) ins Leben rief, der zum ersten Mal am 28. Februar 1909 stattfand. Nach 1914 fanden am Internationalen Frauentag militante Demonstrationen und Proteste gegen den imperialistischen Krieg statt, und in Russland riefen am 8. März 1917 [i] Frauen (und Männer gemeinsam) Slogans gegen Krieg und Hunger, was dann den Funken darstellte, welcher das Feuer der proletarischen Revolution anfachte.
Was hat sich für Frauen im Kapitalismus seit der von Engels 1845 beschriebenen Situation geändert? In den entwickelten Ländern haben Frauen eine Reihe von Rechten erworben: Zugang zu Bildung, Wahlmöglichkeiten ... Einige stehen an der Spitze großer Unternehmen, sogar großer Länder! Aber ihre Lage unterscheidet sich ungeachtet aller geringfügigen Unterschiede und Heucheleien nicht wesentlich. Wenn eine Frau nicht mehr bis zum Tag ihrer Geburt arbeiten muss, wie Engels in der englischen Industrie beobachten konnte, wird eine arbeitslose Frau garantiert arbeitslos bleiben, wenn sie schwanger ist, und die Anstellung junger Frauen wird durch das „Schwangerschaftsrisiko“ behindert, wenn das den Personalabteilungen bekannt wird.
Wie im 19. und frühen 20. Jahrhundert steht die Arbeiterklasse damit grundsätzlich vor den gleichen Problemen. Aber in der Vergangenheit konnten Arbeiterparteien diese Themen aufgreifen und Bildung und Propaganda entfalten, die in der Arbeiterklasse ein Echo fanden. Heute, wo der Kapitalismus nur durch den Zusammenbruch der sozialen Beziehungen überlebt, hat die Arbeiterklasse große Schwierigkeiten, ihre Klassenidentität zu erkennen, was ein großes Hindernis für das Verständnis des notwendigerweise revolutionären Charakters ihres Kampfes darstellt, der die radikale Veränderung des Status der Frauen einschließen muss. Was die Arbeiterbewegung seit langem vertreten hat, nämlich dass Frauen nur dann von ihren Ketten befreit werden, wenn die ganze Menschheit durch den Sieg der proletarischen Revolution und den Aufbau des Kommunismus befreit ist, wird heute von der Arbeiterklasse wegen des niedrigen Niveaus ihres Klassenbewusstseins nicht mehr wahrgenommen.
Die herrschende Klasse nutzt also die Situation, um das Problem auf das verfaulte und gefährliche Terrain des Interklassismus zu zerren. Gemäß dieser Sicht der herrschenden Klasse sollten sich Frauen zusammenschließen, um sich von Männern zu befreien und einen Teil der Macht zurückzugewinnen, die Männer gegen Frauen zu behalten suchen. Diese Auffassung verdeckt nicht nur die Konflikte in den gesellschaftlichen Klassenbeziehungen (als hätten die Arbeiterinnen die gleichen wirtschaftlichen oder sozialen Interessen wie die Frauen aus der herrschenden Klasse!), sondern sie erzeugt auch einen Gegensatz, der ohne das Eingreifen des Staates, des Garanten der „Gleichheit“, unüberwindbar erscheint, um „die Starken“ zu zwingen, einige ihrer Vorteile zugunsten der „Schwachen“ aufzugeben. In diesem Rahmen soll der feministische Kampf Druck auf den Staat ausüben, um mehr Rechte und mehr Gleichheit zu erreichen. Teile und herrsche, das Rezept funktioniert immer noch!
Die Empörung der gegenwärtigen Bewegung über die ungerechte, demütigende und erniedrigende Behandlung von Frauen ist ein Zeichen dafür, dass das kapitalistische System nicht in der Lage ist, die Lebensbedingungen der Ausgebeuteten zu verbessern. Im Gegenteil, und in völligem Widerspruch zum Gerede vom wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, verschlechtern sich die Bedingungen und führen ständig zu einer noch stärkeren Auflösung des gesellschaftlichen Gewebes. Bei allen „unterdrückten Kategorien“ (Frauen, Einwanderer, Homosexuelle, diese oder jene Rasse oder ethnische Gruppe usw.), die sich ausgeschlossen, bedrängt oder abgelehnt fühlen, geschieht dies nicht wegen ihrer „Besonderheiten“, sondern weil das kapitalistische System nur durch die Unterscheidung nach zwei Kategorien von Menschen (Ausbeuter und Ausgebeutete) funktioniert und nur auf einem wesentlichen Merkmal beruht: dem Wettbewerb aller gegen alle, dem Druck der Krise, und darüber hinaus noch einer Fäulnis ausgesetzt ist. Die Solidarität wird somit behindert bzw. unmöglich gemacht, weil sie gefesselt wird durch die Verteidigung von Partikularinteressen.
Was August Bebel in Die Frau und der Sozialismus schrieb, ist weiterhin von beeindruckender Aktualität: „Bei dieser handelt es sich um die Stellung, welche die Frau in unserem sozialen Organismus einnehmen soll, wie sie ihre Kräfte und Fähigkeiten nach allen Seiten entwickeln kann, damit sie ein volles, gleichberechtigtes und möglichst nützlich wirkendes Glied der menschlichen Gesellschaft werde. Von unserem Standpunkt fällt diese Frage zusammen mit der Frage, welche Gestalt und Organisation die menschliche Gesellschaft sich geben muss, damit an Stelle von Unterdrückung, Ausbeutung, Not und Elend die physische und soziale Gesundheit der Individuen und der Gesellschaft tritt. Die Frauenfrage ist also für uns nur eine Seite der allgemeinen sozialen Frage, die gegenwärtig alle denkenden Köpfe erfüllt und alle Geister in Bewegung setzt; sie kann daher ihre endgültige Lösung nur finden durch die Aufhebung der gesellschaftlichen Gegensätze und Beseitigung der aus diesen hervorgehenden Übel“ (Bebel, Die Frau und Sozialismus, Einleitung, Berlin 1973, S. 25).
GD, 2.7.2018
[i] Der letzte Sonntag im Februar im alten russischen (julianischen) Kalender. Später wurde der 8. März zum offiziellen Frauentag.