Zehn Jahre nach dem Bankrott von Lehman Brothers: Wie die Bourgeoisie den Zusammenbruch des Kapitalismus zu verbergen versucht

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Die Finanzkrise von 2008 traf die USA schwer. Nacheinander gingen mehrere Banken pleite; Millionen von Proletarier*innen wurden plötzlich ins Elend gestoßen. Eine bedeutende Symbolfigur des Bankensektors, eines der großen Standbeine der US-amerikanischen Wirtschaft, die New Yorker Investmentbank Lehman Brothers, wurde plötzlich insolvent und löste damit im gesamten internationalen Bankensystem, zu deren Spitzenreitern sie gehörte, eine Panik aus.

Hinter der Subprime-Krise: die Barbarei des Kapitalismus

Ermöglicht durch die Kredite, die die Bankinstitute von Lehman Brothers erhielten, wurden Haushalten mit schwachen Einkommen Hypothekendarlehen zu variablen Zinssätzen gewährt (Subprimes). Die Arbeiter*innen dieser Haushalte, die zu den ärmsten in den USA zählen, wurden zu dem Glauben verleitet, mit Hilfe dieser langfristigen Darlehen ihre Eigenheime finanzieren zu können. In Wahrheit waren die variablen Zinssätze nur vorteilhaft, solange die Immobilienpreise stiegen. Unter diesen Bedingungen konnten die potenziellen Hauseigentümer*innen bei Problemen, ihre Hypothek abzubezahlen, die Eigenheime mit einem Gewinn verkaufen, der zur Schuldenrückzahlung ausgereicht hätte. Doch Ende 2006 / Anfang 2007 kollabierte der US-amerikanische Immobilienmarkt. Die Zinssätze der Subprimes stiegen; die Arbeiter*innen konnten nicht mithalten. In dieser Situation verlangten die kreditgebenden Banken die Herausgabe des mit den Hypotheken belasteten Eigentums und eröffneten rücksichtslos eine schmutzige und massive Welle der Aneignung des Wohneigentums. Von einem Tag auf den anderen wurden rund 7,5 Millionen Arbeiter*innen brutal aus ihrem Zuhause auf die Straße geworfen, teilweise in militärmäßigen Operationen mit Unterstützung der Polizei. Während sich diese Familien ohne ein Dach über den Kopf wiederfanden, zur Übernachtung in Notunterkünften oder zu anderen Formen der Unterbringung gezwungen, blieb die Mehrzahl der zurückgenommenen Häuser unverkauft und leer.

Es versteht sich, dass die Arbeiter*innen ziemlich leicht zu dem naiven Gedanken verleitet werden konnten, sich diese Immoblien dank der „vorteilhaften“ Zinsen, mit denen man sie lockte, leisten zu können. Viele von ihnen wussten nicht einmal, was sie da eigentlich unterschrieben hatten! Diese Arbeiter*innenfamilien sind unmittelbare Opfer der kapitalistischen Haie der „Finanzwelt“, eines besonders korrupten und verdorbenen Segmentes der herrschenden Klasse.

Der US-amerikanische Staat tat offensichtlich nichts, um diese menschliche Katastrophe zu vermeiden. Im Gegenteil erlaubte er Lehman Brothers ganz bewusst, sich ohne Konsequenzen aus der Affäre zu ziehen. Damit trägt er die Hauptverantwortung dafür, dass Millionen von Proletarier*innen in den durch die platzende „Immobilienblase“ vertieften Abgrund der Not und des Elends stürzten.

Der Staat eilt zur Rettung des Finanzsystems

Wenn das US-Bankensystem entschied, Lehman Brothers kollabieren zu lassen (während es anderen Banken am Rande der Insolvenz unter die Arme griff), geschah dies, weil die führende Weltmacht damit ein Exempel statuieren wollte. Indem sie das Gespenst eines ähnlichen oder sogar schlimmeren Zusammenbruchs als den von 1929 aufscheinen ließ, sandte sie eine Warnung an die Bourgeoisien der bedeutenden Industrienationen aus, sich zur Rettung des internationalen Finanzsystems zu wappnen. Die wichtigsten europäischen Banken hatten ebenfalls massiv in Subprimes investiert, die sie für eine vernünftige Anlagemöglichkeit hielten. Nach dem Bankrott von Lehman Brothers war der Schock in den anderen bedeutenden Industrienationen sofort spürbar. Das Platzen der Immobilienblase war unmittelbar von der Gefahr weiterer Bankrotte und des Eintretens eines „Dominoeffekts“ begleitet. Um das Risiko einer Kette von Insolvenzen abzuwenden, waren die Staaten und ihre Zentralbanken in Europa wie in den USA genötigt, sofortige Rettungsmaßnahmen zu ergreifen. In Großbritannien verstaatlichte die Regierung unverzüglich einige Banken, insbesondere die Großbank Northern Rock. In Frankreich und Deutschland entschieden die Regierungen, zur Abwendung von Konkursen und eines Zusammenbruchs des Weltfinanzsystems kolossale Mengen liquider Mittel in die großen Banken zu pumpen. Doch diese Rettungsmaßnahmen erhöhten die Staatsdefizite noch weiter und verschlimmerten Erwerbslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse. Die von der herrschenden Klasse angewandten Kuren der Sparpolitik, mit denen die Staatdefizite etwas reduziert werden sollten, machten sich rasch in den schwächsten Ländern, namentlich in Griechenland, Portugal und Irland, bemerkbar und nach und nach in allen entwickelten Ländern der Welt.

Intensive Propaganda ...

Heute, da die Gefahr eines neuen Finanzgewitters am Horizont erscheint, haben die Medien eine hinterhältige Propagandakampagne zum zehnjährigen Jahrestag des Zusammenbruchs von Lehman Brothers gestartet. Indem die Staaten sich selbst als „Retter“ der Weltwirtschaft ausgeben, machen sie die „Finanzwelt“ mit ihren „gierigen Brokern“ und „halbseidenen Managern“ für diese Krise verantwortlich. All dies zielt darauf ab, das kapitalistische System an sich freizusprechen.

Mit Hilfe der effizienten Nutzung des Nationalismus und der Rolle der Zentralbanken bei der Rettung vom Konkurs bedrohter Anlagefonds begann die Bourgeoisie eine ideologische Offensive, die den Staat als Regulator der „Exzesse“ des Finanzsektors und Beschützer des Kleinsparers darstellt. Und tatsächlich ermöglichte es die Rolle des Staates als „Retter der Weltwirtschaft“ den Regierungen aller Arten bis zu einem gewissen Grad, die Notwendigkeit niedriger Löhne zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaften auf dem Weltmarkt und zur Senkung ihrer jeweiligen Staatsverschuldung zu rechtfertigen.

Im Gegensatz zu den Lügen, die von den Sprachrohren der Bourgeoisie verbreitet wurden und noch immer werden, war es nicht die Finanzkrise von 2008, die den Strom von „Reformen“ auslöste, der die Lebensbedingungen des Proletariats enorm verschlechterte und so viele sogenannte Sozialleistungen untergrub. Mit diesen großen „Reformen“ haben sich die massiven Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen des Proletariats nach den dramatischen Ereignissen von 2008 weltweit zwar verschärft, doch waren sie bereits seit Jahrzehnten im Gange. Organisiert wurden diese Angriffe von Staaten und Regierungen sowohl der Rechten als auch der Linken, ohne natürlich die Krise beheben zu können[1].

Dies erklärt besser die ideologische Propaganda, die 2008 entfesselt wurde. Sie hatte das Ziel, die Symptome der Finanzkrise in betrügerischer Weise als Krankheit auszugeben, die in Wirklichkeit in der historischen Krise der kapitalistischen Wirtschaft besteht.
Seit der Rückkehr der offenen Krise des Kapitalismus Ende der 1960er Jahre prägten immer tiefere Rezessionen das soziale Leben. Und jedes Mal wartete die Bourgeoisie mit Rechtfertigungen und Sündenböcken auf. 1973 wurde alles auf den „Ölpreisschock“ zurückgeführt. Zu dieser Zeit galten die Golfstaaten und ihre im Geld schwimmenden Prinzen als die Unruhestifter. In den Jahren 1987, 1998, 2001 und 2008 waren als Schuldige die Finanzwelt und die Banken an der Reihe. Doch noch nie waren diese ideologischen Angriffe so intensiv wie 2008. So wurden alle möglichen scheinheiligen Reden geführt über die Notwendigkeit, das Bankensystem zu säubern und die Banken zu „moralischem“ Vorgehen zu bringen, indem man zwielichtige Spekulanten und „skrupellose“ Bankiers wie den Vorstandsvorsitzenden von Lehman Brothers zur Verantwortung zog, der in den Medien als „der abscheulichste Mann Amerikas“ dargestellt wurde.

… soll den Bankrott des Kapitalismus verbergen

Nach den eigenen Äußerungen aller bürgerlichen Führer*innen und aller „Wirtschaftsexpert*innen“ ist die Krise von 2008 die schwerste, die das kapitalistische System seit der großen Depression, die 1929 begann, erlebt hat. Doch ermöglichen die Erklärungen, die sie bieten, kein klares Verständnis der tatsächlichen Bedeutung dieser Erschütterungen und der Zukunft, die sie für die gesamte Gesellschaft und insbesondere für die Arbeiter*innenklasse ankündigen.

Was heute von all diesen Wirtschaftsexpert*innen verschleiert wird, ist die Krise der Überproduktion, die fundamentale Unfähigkeit des Systems, die Masse der von ihm produzierten Waren zu verkaufen. Natürlich besteht keine Überproduktion in Bezug auf die Bedürfnisse der Menschheit (die zu befriedigen der Kapitalismus unfähig ist), sondern Überproduktion in Bezug auf solvente Märkte, auf die Kaufkraft der Massen. Offizielle Darstellungen der Bourgeoisie konzentrieren sich auf die Finanzkrise, auf die Schwächen der Banken allein, aber die Realität dessen, was diese bürgerlichen Kriecher „die Realwirtschaft“ nennen (im Gegensatz zur „fiktiven Wirtschaft“), zeigt sich in der täglichen Bekanntmachung von Fabrikschließungen, massiven Arbeitsplatzverlusten und Unternehmenspleiten.

Zum Zeitpunkt der Krise von 2008 offenbarte der Rückgang des Welthandels die Unfähigkeit der Unternehmen, Käufer*innen zu finden, um ihre Produktionen am Laufen zu halten. Somit war es nicht die „Finanzkrise“ (und noch weniger der Konkurs von Lehman Brothers), die der offenen Rezession von 2008 zugrunde lag; ganz im Gegenteil. Diese Finanzkrise zeigte deutlich, dass die Anhäufung von Schulden als Mittel gegen die Überproduktion nicht unendlich fortgesetzt werden konnte. Früher oder später nimmt die „Realwirtschaft“ Rache, d.h. die Basis der Widersprüche des Kapitalismus (die Unmöglichkeit, dass Unternehmen die Gesamtheit der von ihnen produzierten Güter verkaufen können) tritt wieder in den Vordergrund. Die Krise der Überproduktion ist nicht die einfache Folge einer „Finanzkrise“, wie die Mehrheit der bürgerlichen Expert*innen uns glauben machen will. Sie entsteht aus dem Innersten der kapitalistischen Wirtschaft, wie es vor anderthalb Jahrhunderten der Marxismus aufdeckte.

Wie Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 schrieben, ist die Gesellschaft zu „reich“ geworden! Der Kapitalismus produziert zu viele Waren, während solvente Märkte immer weiter schrumpfen, wie wir am bitteren Handelskrieg zwischen den USA und Europa sehen können, der zudem mit der Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Waren konfrontiert ist.

Der Kapitalismus wird heute durch das überwältigende Gewicht seiner Schulden erstickt. Gleichzeitig kann er sich nur künstlich, dank des Kredits, in Gang halten. Die einzige „Lösung“, die das Kapital bieten kann, ist ein weiterer Vorstoß in eine teuflische Schuldenspirale. Mit der Entwicklung der Spekulation scheint diese auf dem Streben nach Profit basierende Produktionsweise mehr und mehr zur Casino-Wirtschaft zu werden. Die Maßnahme, liquide Mittel in Banken und andere große Finanzinstitutionen zu pumpen, kann in der realen Welt die Krankheit nur verschlimmern, insbesondere durch eine Erhöhung der Staatsverschuldung bei den Banken.

Zehn Jahre nach den erschütternden Ereignissen von 2008 wird die Bourgeoisie trotz der eiligen Rettungsmaßnahmen für das Finanzsystem und trotz einer gewissen, sehr fragilen „Erholung“ der Wachstumsrate 2012-2013 wieder unruhig. Zehn Jahre Austeritätskur haben nichts grundlegend verändert. Nach wie vor sind die Staaten mit Schulden überlastet, und die Zentralbanken wurden mit zweifelhaften Vermögenswerten zwangsversorgt. Das weltweite Wachstum hat sich erneut verlangsamt, und alle Akteure gehen immer höhere Risiken ein. Seit Mitte 2018 schlagen die Medien und bürgerliche Ökonom*innen aus Angst vor einer ähnlichen oder schlimmeren Situation als 2008 Alarm. Durch die Ausweitung dieser alarmierenden Äußerungen und Kampagnen bezüglich der Exzesse der Finanzwelt versucht die Bourgeoisie, die Arbeiter*innenklasse zu terrorisieren und zu lähmen, um sie hinter dem „rettenden Staat“ zu versammeln. Damit ihre (illusorischen) Pläne zur Rettung des Finanzsystems nicht blockiert werden, sind die Proletarier*innen aufgerufen, den Gürtel noch enger zu schnallen und neue Opfer, neue Einbrüche in ihren Einkommen hinzunehmen.

Angesichts dieser kapitalistischen Barbarei, die sich insbesondere 2008 an den skandalösen Vertreibungen von Millionen von Arbeiter*innen aus ihren Häusern im reichsten Land der Welt offenbarte, hat das Proletariat keine andere Wahl, als wieder einmal den Kampf für die Verteidigung seiner Lebensbedingungen und gegen die soziale Ordnung seiner Ausbeuter*innen aufzunehmen. Es muss verstehen, dass der bürgerliche Staat weit davon entfernt ist, ein „neutraler Beschützer“ zu sein, der die spekulativen Exzesse von Finanzhändler*innen reguliert, sondern in erster Linie eine Organisation der Unterdrückung ist, die der Aufrechterhaltung aller Ungerechtigkeiten des Kapitalismus zu dienen hat. In der Insolvenz von Banken und Unternehmen zeigt sich lediglich die Schwäche der kapitalistischen Produktionsweise, die der Menschheit keine Zukunft bietet. Die einzige Lösung der Krise besteht im Sturz dieses Systems und in der Zerstörung des Staates durch die Klasse, die alle Reichtümer der Gesellschaft hervorbringt: das internationale Proletariat.

Sonia, 17. November 2018


[1] Es ist dieser Umstand, der die erhebliche Diskreditierung der traditionellen politischen Parteien in den Augen der Arbeiter*innenklasse miterklärt. In den USA ist es die Ablehnung des „Establishments“, besonders in den stark betroffenen Industriegebieten, die einen großen Teil der Arbeiter*innenklasse dazu brachte, für Trump zu stimmen.

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Wirtschaftskrise