Verdoppelung des Rüstungshaushaltes: Grüne und Sozialdemokratie im Dienst des Militarismus

Printer-friendly version

Mit der Verdoppelung des Rüstungshaushaltes in Deutschland von heute auf morgen wurde die schnellste und umfangreichste Erhöhung eines Rüstungshaushalts in der Geschichte des 20. Jahrhunderts vollzogen. Selbst den Nazis, die mit der gesamten Rüstungsindustrie an ihrer Seite auf eine massive Aufrüstung drängten, gelang solch ein Coup nicht.

Gleichzeitig wurde mit dem Beschluss der Waffenlieferungen an die Ukraine – ob aus Bundeswehrbeständen oder direkt aus den Produktionsstätten der deutschen Waffenschmieden – in bislang nie gekanntem Ausmaß eine jahrzehntelange Zurückhaltung bzw. Weigerung von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete aufgekündigt.  

Mittlerweile rühren die Grünen, die FDP, CDU und Teile der SPD ununterbrochen die Trommel für die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Zum Beispiel: "Wir können die Ukraine in dem Krieg nicht alleine lassen. Sie kämpft auch für uns. Die Ukraine darf nicht verlieren, Putin darf nicht gewinnen." Deutschland stehe in der Pflicht, die Menschen in der Ukraine, die sich mit Mut und Opferbereitschaft wehrten, mit Waffen zu unterstützen. „Natürlich bedeutet eine Brutalisierung des Krieges auch, dass man in Quantität und Qualität der Waffenlieferungen zulegen muss", so der Grüne Hofreiter. Die grüne Außenministerin Baerbock stieß ins gleiche Horn: Keine Zeit für Ausreden, jetzt muss gehandelt werden. Oder: „Jetzt ist keine Zeit für Ausreden, sondern jetzt ist Zeit für Kreativität und Pragmatismus." „Es darf keine Tabus bei Waffenlieferungen geben.“

Kurswechsel oder konsequente Politik der Grünen?

Wenn die früher sich als pazifistisch gebärdende Partei mittlerweile neben der FDP innerhalb der Ampelkoalition als größter Fürsprecher für derartige Kriegsschritte wirbt, ist dies eine Kehrtwende, die nur dem jetzigen Vorgehens Russland geschuldet ist? Ist es ein „Abrücken“ der Grünen von bisher tapfer verteidigten Prinzipien? Wir sagen: Es handelt sich um keine Überraschung, sondern um die konsequente Umsetzung einer von Anfang an so vorgezeichneten „Laufbahn“.

Blicken wir zurück: Die Grünen rekrutierten sich Anfang der 1980er Jahre aus den Protestbewegungen gegen die Atomkraft, die Nachrüstung und dem Eintreten für Umweltschutz. Sich gegen Nachrüstung zu stellen, heißt noch lange nicht, den Militarismus und seine tieferliegenden Wurzeln infrage zu stellen. Dass der Krieg zur Überlebensform des dahinsiechenden Kapitalismus geworden ist, und nicht durch pazifistische Forderungen bekämpft werden kann, hatten die Revolutionäre schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs hervorgehoben.

„Die Sozialisten haben die Kriege unter den Völkern stets als eine barbarische und bestialische Sache verurteilt. Aber unsere Stellung zum Krieg ist eine grundsätzlich andere als die der bürgerlichen Pazifisten (der Friedensfreunde und Friedensprediger) und der Anarchisten. Von den ersteren unterscheiden wir uns durch unsere Einsicht in den unabänderlichen Zusammenhang der Kriege mit dem Kampf der Klassen im Innern eines Landes, durch die Erkenntnis der Unmöglichkeit, die Kriege abzuschaffen, ohne die Klassen abzuschaffen und den Sozialismus aufzubauen“ (Lenin – Sozialismus und Krieg, 1915).

Diese Tatsache zu verschleiern und glauben machen, dass es friedliche Lösungen innerhalb des Systems geben könnte, sollte zu einer Aufgabe der Grünen werden.

Gleichzeitig dienten die Grünen als Auffangbecken für einen Teil derjenigen, die gegen die ständig deutlicher werdende Zerstörung der Umwelt protestierten. Die spezifische Rolle der Grünen bestand auch hier darin, davon abzulenken, dass die Zerstörung der Umwelt ein zentraler Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise ist, wo die Umwelt entweder schlechthin der unmittelbaren Vernichtung preisgegeben wird oder alles zu einer Ware wird oder alles mit Geld reguliert werden könnte (z.B. Emissionshandel). Gleichzeitig entdeckten die Grünen eine neue Marktnische, wo uns mit dem Öko-Label vorgemacht werden soll, so könne jede:r Einzelne zum Erhalt der Natur beitragen. Begleitet wurde dies durch das Predigen von „individuellen Lösungen“ auf Konsumentenebene (Jede:r muss bei sich anfangen) usw. Und seit Jahren zeichnen sie sich durch die Befürwortung einer Green Economy aus, wo ebenfalls durch „saubere Techniken“ Kapitalismus und Umweltschutz besser vereinbar werden sollten. So wurden die Grünen nicht nur in das staatliche Räderwerk integriert, sondern zu einem besonders wirkungsvollen Stützpfeiler der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ideologie.

Im Jahre 1999 haben sie sich einen neuen historischen Verdienstorden erworben, als sie zusammen mit der SPD unter Schröder die Beteiligung am Nato-Einsatz in Jugoslawien und die Bombardierung Belgrads durchsetzten. Damals gelang es Rot-Grün, dem deutschen Militarismus nach 1989 wieder das Tor zur direkten militärischen Intervention aufzustoßen, auch wenn sie mit der Etikette hausierten, gegen zu große Rüstungsanstrengungen zu sein. Als ideologischen Baustein für die moralische Notwendigkeit der Kriegsbeteiligung verwendeten sie eine modernisierte Form des bürgerlichen Humanismus, voll von Heuchelei. Die historische Verantwortung des Holocausts verlange geradezu die deutsche Kriegsbeteiligung gegen Serbiens „Völkermord“.  Immer wieder ging es darum, mit noch gewiefteren Rechtfertigungen für ein militärisches Vorgehen einzutreten. Vor den Wahlen im September 2021 kündigten sie schon gegenüber den bekannten ‚diktatorischen Regimen‘ an, stärker auf die Menschenrechte zu pochen. Der eigentliche Hintergrund war, dass das deutsche Kapital in eine viel zu starke Abhängigkeit von Märkten und Lieferungen von/nach China oder Russland geraten war und dass eine strategische Neuorientierung aus globaler Sicht des deutschen Kapitals dringend geboten war, um diese erdrückende Abhängigkeit zu lockern. Die Grünen lieferten die ideologische Rechtfertigung mit dem Gerede vom Schutz der Menschenrechte, der Rhetorik des Völkermords und der moralischen Verantwortung für eine solche Umorientierung Deutschlands.

D.h. lange vor dem Ukraine-Krieg hatten sich die Grünen als ein Trumpf des deutschen Kapitals erwiesen. Dass sie nun mit am lautesten nach schweren Waffen für die Ukraine rufen, ist keine Abkehr, kein Verrat, sondern eine vorhersehbare Entwicklung, sozusagen in ihren Genen festgeschrieben. Der Schritt von den pazifistischen Forderungen über den Humanismus hin zu glühendem Aufrufen für Waffenlieferungen beweist erneut, wie der Staatskapitalismus solche anfänglichen kleinbürgerlichen Protestbewegungen in sich aufsaugen, sie für sich instrumentalisieren und ihnen einen besonders nützlichen Platz in der Kriegsmaschinerie zuordnen kann.

Hätten andere bürgerliche Parteien dafür plädiert, wie es die Grünen nun im Namen der Sicherheit der Energieversorgung wegen eines geplanten Stopps der Gaslieferungen aus Russland tun, auch in Kauf zu nehmen, dass die Laufzeiten von Kohlekraftwerken oder gar AKWs verlängert werden,  hätte dies sicherlich für Proteste gesorgt. Die Grünen erweisen sich auch hier bereit, alles für die militärischen Bedürfnisse des Landes zu opfern.

Nachdem die Grünen bei den letzten Wahlen viele – vor allem jüngere Leute – an die Wahlurnen haben locken können und viele der Teilnehmer:innen an den Fridays-for-Future-Protesten den Grünen auf den Leim gegangen sind, mögen jene sich enttäuscht und verbittert fühlen. Wir meinen, dass man die tiefere Entwicklung und die Mechanismen hinter diesem Vorgehen der Grünen sehen und damit jegliche Illusionen in solche Parteien über Bord werfen muss, weil diese Parteien tatsächlich als ein besonders perfider Teil der Kriegsmaschinerie agieren.

Zauderer oder Taktiker Scholz?

Die SPD hat die Interessen des deutschen Militarismus schon seit langem bestens bedient. Im 1. Weltkrieg rief die Führung der SPD zusammen mit den Gewerkschaften zum Burgfrieden zwischen Arbeitern und Kapital &   Militär auf und sorgte 4 Jahre lang bis 1918 konsequent für die Fortsetzung des Krieges. Als die Arbeiter in Deutschland sich schließlich – angespornt durch die Arbeiter in Russland – im November 1918 gegen den Krieg erhoben, stellte sich ihnen die Sozialdemokratie mit den Freikorps, den Militärs und dem Rest der deutschen Bourgeoisie entgegen und organisierte die Repression gegen die Arbeiter.

Wenn immer die SPD nach dem 2. Weltkrieg an der Regierung beteiligt war, zeichneten sich die von ihr gestellten Verteidigungsminister durch ihre vorbehaltlose Unterstützung der Bundeswehr sowie besondere strategische Herangehensweisen heraus. Zur Zeit des Kalten Kriegs fädelte die Regierung unter Willy Brandt (Scheel) die „Ostpolitik“ ein, die auf einen Ausgleich mit der Sowjetunion abzielte und später in „Wandel durch Handel“ umgemünzt wurde. Auf der einen Seite war die SPD eine transatlantische, d.h. den USA treu ergebene Partei, auf der anderen Seite baute man gleichzeitig insbesondere nach 1989 besondere Beziehungen zu Russland auf. Die Verflechtung zahlreicher SPD-Politiker (nicht nur Schröder mit den russischen Gasgiganten, sondern auch mehrere SPD-Ministerpräsidenten) mit Russland sowie die Politik der CDU mit Merkel an der Spitze, um eine privilegierte Stellung gegenüber Russland aufzubauen, wurde von allen Teilen der deutschen Bourgeoisie mitgetragen, weil man so am besten den Interessen des deutschen Kapitals dienen konnte. 

So ist es für das deutsche Kapital um so schmerzhafter gegenüber Russland nun entschlossen die Stirn bieten zu müssen, dennoch will man sich nicht voll in die Politik der USA der nahezu grenzenlosen Konfrontation mit Russland einspannen lassen. Hinter dem in der Öffentlichkeit angeprangerten Zaudern des angeblich allzu zaghaften, ausweichenden Bundeskanzlers Scholz liegt keineswegs eine Hasenfüßigkeit gegenüber Russland, sondern vielmehr die Sorge um die langfristigen gesamtstaatlichen Belange. Die SPD will keineswegs alle Verbindungen mit Russland kappen, und vor allem nicht komplett in die Arme der USA laufen und in deren Vorgehen gegenüber Russland ohne eigenen Spielraum eingespannt werden. Jemandem, der wie Scholz die Verdopplung des Rüstungshaushalts von heute auf morgen durchgesetzt hat, kann man kein Zaudern vorwerfen. Er verfolgt vielmehr eine andere Taktik: anstatt alle möglichen Waffensysteme gegen Russland ins Gefecht zu bringen und allzu deutlich zu einem Handlanger der USA degradiert zu werden, widersetzt sich Scholz und seine SPD dieser Vorgehensweise der USA. Es handelt sich also keineswegs um irgendeine größere Prinzipienfestigkeit oder gar um ein Ausweichen des Taktierers Scholz, sondern eine kalkulierende Form der Herangehensweise zur Verteidigung der Interessen des deutschen Kapitals. Übrigens genießt Scholz in dieser Frage die Unterstützung bedeutender Kreise des deutschen Kapitals. Wir meinen hiermit nicht die Chefs der deutschen Waffenindustrie, die keinen Auftrag verschmähen, sondern die Industriekapitäne, die mit weiterem Druck der USA rechnen – ob jetzt unter Biden oder wie zuvor unter Trump oder nach den nächsten Präsidentschaftswahlen eventuell unter einem Präsidenten aus den Reihen der Republikaner.

Während die Grünen (und die FDP) sich von den USA leichter vor sich hertreiben lassen, ist sich die SPD vielleicht auch mehr der Gefahr von unberechenbaren Eskalationen, gar der Flucht nach vorn in Nuklearschläge Russlands bewusst.

Zudem hat die SPD bei allen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der „inneren Sicherheit“ an vorderster Stelle mitgewirkt und nie zögerlich gehandelt. Dass die SPD dabei von den Gewerkschaften Unterstützung erhält, ist auch nicht überraschend. Der DGB erklärte, die Bundesregierung habe „zu Recht verteidigungspolitisch schnell auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert“, ohne genauer zu benennen, was der DGB damit meinte.

Auch wenn die Reaktionen der verschiedenen bürgerlichen Parteien gegenüber dem Krieg in Ton und Art der Vorgehensweise sich voneinander zu unterscheiden scheinen, in Wirklichkeit müssen sich alle bürgerlichen Parteien den Bedürfnissen des Kriegs unterordnen.

Wt. 26.04.2022

Rubric: 

Deutscher Imperialismus