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Seit Samstag regnet eine Flut von Feuer und Stahl auf die Menschen in Israel und Gaza. Auf der einen Seite die Hamas. Auf der anderen Seite die israelische Armee. Dazwischen Zivilisten, die bombardiert, erschossen, hingerichtet und als Geiseln genommen werden. Tausende haben bereits ihr Leben gelassen.
Überall auf der Welt ruft uns die herrschende Klasse dazu auf, uns für eine Seite zu entscheiden. Für den palästinensischen Widerstand gegen die israelische Unterdrückung. Oder für die israelische Antwort auf den palästinensischen Terrorismus. Jeder prangert die Barbarei des anderen an, um den Krieg zu rechtfertigen. Der israelische Staat unterdrückt die palästinensische Bevölkerung seit Jahrzehnten durch Blockaden, Schikanen, Checkpoints und Demütigungen: Darum sei Rache legitim. Palästinensische Organisationen töten Unschuldige durch Anschläge, Messerstechereien oder Bombenattentate: Darum sei Repression gerechtfertigt. Jede Seite ruft dazu auf, das Blut der anderen Seite zu vergießen.
Diese tödliche Logik ist die Logik des imperialistischen Krieges! Es sind die Ausbeuter und ihre Staaten, die immer einen gnadenlosen Krieg führen, um ihre eigenen Interessen zu verteidigen. Und wir, die Arbeiterklasse, die Ausgebeuteten, sind es, die immer den Preis dafür zahlen, mit unserem Leben.
Für uns, die Arbeiterklasse, gibt es keine Seite zu wählen, wir haben kein Vaterland, keine Nation zu verteidigen! Auf beiden Seiten der Grenze sind wir Klassenbrüder und -schwestern! Weder Israel, noch Palästina!
Es gibt kein Ende des Krieges im Nahen Osten
Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Kriege, der grausamsten Kriege in der Geschichte der Menschheit, und keiner von ihnen diente den Interessen der Arbeiterklasse. Wir wurden stets aufgefordert, zu Millionen für die Interessen ihrer Ausbeuter in den Tod zu gehen, im Namen der Verteidigung des "Vaterlandes", der "Zivilisation", der "Demokratie", ja sogar des "sozialistischen Vaterlandes" (wie einige die UdSSR unter Stalin und dem Gulag nannten).
Heute gibt es einen neuen Krieg im Nahen Osten. Auf beiden Seiten rufen die herrschenden Cliquen die Ausgebeuteten dazu auf, "die Heimat zu verteidigen", sei sie nun jüdisch oder palästinensisch. Die jüdischen Arbeiter, die in Israel von jüdischen Kapitalisten ausgebeutet werden, die palästinensischen Arbeiter, die von jüdischen Kapitalisten oder von arabischen Kapitalisten ausgebeutet werden (und oft noch viel grausamer als von jüdischen Kapitalisten, da in palästinensischen Unternehmen noch das Arbeitsrecht des ehemaligen Osmanischen Reiches gilt).
Die jüdischen Arbeiter und Arbeiterinnen haben in den fünf Kriegen, die sie seit 1948 erlitten haben, bereits einen hohen Preis für den Kriegswahnsinn der Bourgeoisie bezahlt. Die Großeltern derer, die heute die Uniform der Tsahal (Israelische Verteidigungsstreitkräfte) tragen, wurden, sobald sie aus den Konzentrationslagern und Ghettos eines vom Weltkrieg verwüsteten Europas kamen, in den Krieg zwischen Israel und den arabischen Ländern hineingezogen. Ihre Eltern haben dann in den Kriegen von '67, '73 und '82 den Preis mit Blut bezahlt. Diese Soldaten sind keine hässlichen Bestien, deren einziger Gedanke es ist, palästinensische Kinder zu töten. Es sind junge Wehrpflichtige, meist Arbeiter, die in Angst und Abscheu sterben, die gezwungen sind, als Polizisten zu fungieren und deren Köpfe mit Propaganda über die "Barbarei" der Araber gefüllt sind.
Auch die palästinensischen Arbeiter und Arbeiterinnen haben bereits einen schrecklichen Preis mit Blut bezahlt. Sie wurden 1948 durch den von ihren Führern angezettelten Krieg aus ihrer Heimat vertrieben und haben den größten Teil ihres Lebens in Lagern verbracht und wurden als Jugendliche von der Fatah, der PFLP oder den Hamas-Milizen rekrutiert.
Die größten Massaker an Palästinensern wurden nicht von den israelischen Armeen verübt, sondern von den Armeen der Länder, in denen sie interniert waren, wie Jordanien und Libanon: Im September 1970 ("Schwarzer September") wurden sie vom "kleinen König" Hussein massenhaft ermordet, so dass einige von ihnen nach Israel flüchteten, um dem Tod zu entgehen. Im September 1982 wurden sie in den Lagern Sabra und Schatila in Beirut von (allerdings christlichen und mit Israel verbündeten) arabischen Milizen massakriert.
Nationalismus und Religion, Gift für die Ausgebeuteten
Heute werden im Namen des "palästinensischen Heimatlandes" erneut arabische Arbeiter und Arbeiterinnen gegen die Israelis mobilisiert, die mehrheitlich israelische Lohnabhängige sind, während letztere aufgefordert werden, zur Verteidigung des "gelobten Landes" getötet zu werden.
Die nationalistische Propaganda, die von beiden Seiten in widerlicher Weise ausgestrahlt wird, ist eine betäubende Propaganda, die darauf abzielt, die Menschen in wilde Bestien zu verwandeln. Die israelische und die arabische herrschende Klasse schüren diese nationalistische Propaganda seit mehr als einem halben Jahrhundert. Den israelischen und arabischen Arbeitern und Arbeiterinnen wurde immer wieder gesagt, sie müssten das Land ihrer Vorfahren verteidigen. Bei den Ersteren hat die systematische Militarisierung der Gesellschaft eine Psychose der Einkreisung entwickelt, um sie zu "guten Soldaten" zu machen. Letzteren wurde der Wunsch eingeimpft, gegen Israel zu kämpfen, um eine Heimat zu finden. Zu diesem Zweck wurden sie von den Führern der arabischen Länder, in die sie geflüchtet waren, jahrzehntelang in Lagern unter unerträglichen Lebensbedingungen gehalten.
Der Nationalismus ist eine der schlimmsten Ideologien, die die herrschende Klasse benutzt. Es ist die Ideologie, die es ihr erlaubt, den Antagonismus zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten zu verschleiern, sie alle hinter derselben Fahne zu vereinen, für die die Ausgebeuteten im Dienste der Ausbeuter getötet werden, um die Interessen und Privilegien der herrschenden Klasse zu verteidigen.
Auch kommt in diesem Krieg noch das Gift der religiösen Propaganda hinzu, die den wahnsinnigsten Fanatismus hervorruft. Die Juden werden aufgefordert, die Klagemauer des salomonischen Tempels mit ihrem Blut zu verteidigen. Muslime müssen ihr Leben für die Moschee von Omar und die heiligen Stätten des Islam opfern. Was heute in Israel und Palästina geschieht, bestätigt eindeutig, dass die Religion "Opium für das Volk" ist, wie es die Revolutionäre des 19. Jahrhunderts beschrieben. Der Zweck der Religion ist es, die Ausgebeuteten und Unterdrückten zu trösten. Denjenigen, für die das Leben auf der Erde die Hölle ist, wird gesagt, dass sie nach ihrem Tod glücklich sein werden, wenn sie es verstehen, sich ihre Erlösung zu verdienen. Und diese Erlösung wird gegen Aufopferung, Unterwerfung, ja sogar gegen die Aufgabe ihres Lebens im Dienste des "heiligen Krieges" eingetauscht.
Die Tatsache, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts Ideologien und Aberglauben aus der Antike oder dem Mittelalter immer noch weit verbreitet sind, um Menschen dazu zu bringen, ihr Leben zu opfern, spricht Bände über den Zustand der Barbarei, in den der Nahe Osten, wie auch viele andere Teile der Welt, versunken ist.
Die Großmächte sind für den Krieg verantwortlich
Es sind die Führer der Großmächte, die die höllische Situation geschaffen haben, in der die ausgebeuteten Menschen dieser Region heute zu Tausenden sterben. Es war die europäische herrschende Klasse, insbesondere die britische, mit ihrer "Balfour-Erklärung" von 1917, die, um zu teilen und zu erobern, die Schaffung einer "jüdischen Heimstätte" in Palästina zuließ und damit die chauvinistischen Utopien des Zionismus förderte. Es waren dieselben herrschenden Klassen, die nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie gerade gewonnen hatten, dafür sorgten, dass Hunderttausende mitteleuropäischer Juden nach Palästina transportiert und abgeschoben wurden, nachdem sie die Lager verlassen hatten oder weit von ihrem Herkunftsgebiet weggezogen waren. So brauchten sie sie nicht zu Hause aufzunehmen.
Es waren dieselben herrschenden Klassen, zunächst die britische und französische, dann die amerikanische, die den Staat Israel bis an die Zähne bewaffneten, um ihm während des Kalten Krieges die Rolle der Speerspitze des westlichen Blocks in dieser Region zu geben, während die UdSSR ihrerseits ihre arabischen Verbündeten so gut wie möglich bewaffnete. Ohne diese großen "Sponsoren" hätten die Kriege von 1956, 67, 73 und 82 nicht stattfinden können.
Heute bewaffnen und unterstützen die Herrschenden des Libanon, des Iran und wahrscheinlich auch Russlands die Hamas. Die USA haben gerade ihren größten Flugzeugträger ins Mittelmeer geschickt und neue Waffenlieferungen an Israel angekündigt. In der Tat sind alle Großmächte mehr oder weniger direkt an diesem Krieg und diesen Massakern beteiligt!
Dieser neue Krieg droht, den gesamten Nahen Osten ins Chaos zu stürzen! Dies ist nicht lediglich die x-te blutige Konfrontation, die diesen Teil der Welt in Trauer stürzt. Das Ausmaß des Mordens zeigt, dass die Barbarei ein neues Niveau erreicht hat: tanzende Jugendliche auf einem Festival, die mit Maschinengewehren niedergemäht werden, Frauen und Kinder, die auf der Straße aus nächster Nähe erschossen werden, ohne ein anderes Ziel als die Befriedigung eines blinden Rachegefühls, ein Bombenteppich, der ganze Teile der Bevölkerung auslöscht; zwei Millionen Menschen in Gaza, denen alles genommen wird, Wasser, Strom, Gas, Nahrung... Es gibt keine militärische Logik für all diese Gräueltaten, für all diese Verbrechen! Beide Seiten schwelgen in der entsetzlichsten und irrationalsten Mordwut!
Aber es gibt etwas noch Schlimmeres: Diese Büchse der Pandora wird sich nie wieder schließen. Wie im Irak, in Afghanistan, Syrien und Libyen wird es kein Zurück mehr geben, keine "Rückkehr zum Frieden". Der Kapitalismus zieht immer größere Teile der Menschheit in den Krieg, in den Tod und in den Zerfall der Gesellschaft. Der Krieg in der Ukraine dauert nun schon fast zwei Jahre an und ist ein endloses Gemetzel. Auch in Berg-Karabach sind Massaker im Gange. Und es droht bereits ein neuer Krieg zwischen den Nationen des ehemaligen Jugoslawiens. Kapitalismus ist Krieg!
Um dem Krieg ein Ende zu setzen, muss der Kapitalismus gestürzt werden
Die Arbeiterklasse aller Länder muss sich weigern, für das eine oder andere Kriegslager Partei zu ergreifen. Insbesondere müssen sie sich weigern, sich von der Rhetorik der Parteien täuschen zu lassen, die sich als "Arbeiterparteien" ausgeben, der Parteien der Linken und der extremen Linken, die sie auffordern, "Solidarität mit den palästinensischen Massen" in ihrem Streben nach ihrem Recht auf ein "Heimatland" zu zeigen. Das palästinensische "Heimatland" wird nie etwas anderes sein als ein bürgerlicher Staat im Dienste der Ausbeuterklasse und zur Unterdrückung eben dieser Massen, mit Repression und Gefängnissen. Die Solidarität der Arbeiterklasse der entwickeltsten kapitalistischen Länder gilt nicht den "Palästinensern", genauso wenig wie sie den "Israelis" gilt, unter denen es Ausbeuter und Ausgebeutete gibt. Sie geht an die Arbeiter und Arbeiterinnen und Arbeitslosen in Israel und in Palästina (die im Übrigen trotz aller Gehirnwäsche, der sie unterzogen wurden, bereits Kämpfe gegen ihre Ausbeuter geführt haben), genauso wie an die Arbeiter und Arbeiterinnen aller anderen Länder der Welt. Die beste Solidarität besteht darin, ihre nationalistischen Illusionen nicht zu fördern.
Diese Solidarität bedeutet vor allem, den Kampf gegen das kapitalistische System zu führen, das für alle Kriege verantwortlich ist, einen Kampf gegen die "eigene" herrschende Klasse.
Die Arbeiterklasse muss den Frieden gewinnen, indem sie den Kapitalismus auf globaler Ebene stürzt, und das bedeutet heute, dass sie ihre Kämpfe auf dem Terrain der Klasse entwickeln muss, gegen die immer härteren wirtschaftlichen Angriffe, die ihr von einem System in einer unüberwindbaren Krise aufgezwungen werden.
Gegen den Nationalismus, gegen die Kriege, in die eure Ausbeuter euch hineinziehen wollen:
Arbeiterinnen und Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!
IKS, 9. Oktober 2023