3. Die fatalen Fehler Trotzkis

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Eine fehlerhafte Analyse des Zyklus

Im Gegensatz zur Aktivität der "Trotzkisten" nach 1945 lag der Aktivität der Strömung rund um Trotzki von 1938, wie sie sich aus dem Übergangsprogramm ergab, zumindest der Versuch zugrunde, den Charakter der damaligen Periode (tödliche Agonie des Kapitalismus, keine Entwicklung der Produktivkräfte, baldiges Wiedererwachen des revolutionären Proletariats) einzuschätzen. Selbst wenn diese Analyse richtig gewesen wäre, hätte sie Trotzkis opportunistische und aktivistische Verwirrungen nicht gerechtfertigt. Aber es ist wichtig, die heutigen Vorkämpfer des Empirismus daran zu erinnern, dass der alte Revolutionär noch das Anliegen hatte, das sie nicht mehr haben: die eigene Tätigkeit auf ein Verständnis der objektiven Situation zu stellen.

Alle Teile von Trotzkis theoretischem und politischem Werk waren in dieser Zeit durch einen einzigen Faden miteinander verbunden: die Überzeugung vom bevorstehenden revolutionären Aufstieg des Proletariats. Trotzki betrachtete den weltweiten Rückschlag der Revolution stets als ein vorübergehendes Phänomen, das aus einer zeitweiligen Unterbrechung des 1917 begonnenen Kampfzyklus resultierte. So gesehen waren Niederlagen, die nicht einen ganzen konterrevolutionären Zyklus (Krise-Krieg-Wiederaufbau) eröffneten und nicht alle organisatorischen Errungenschaften des vorherigen Zyklus mit sich rissen, für ihn nur eine instabile Pause als Vorspiel für neue Ausbrüche des Klassenkampfs.

Diese nie in Frage gestellte Überzeugung liegt seiner Verteidigung der angeblichen "Arbeiter"-Organisationen zugrunde, die in seien Augen trotz ihrer Führer "Errungenschaften" blieben. Sie war Grundlage für seine Wahrnehmung der russischen Bürokratie als "Kugel auf der Spitze einer Pyramide", der Gewerkschaften, der "Errungenschaften" des Oktobers. Auf dieser Grundlage konnte Trotzki den Fehler begehen, den Faschismus als Reaktion auf eine Gefahr der proletarischen Revolution zu betrachten, obwohl der Faschismus sich nur entwickeln konnte, weil der Klassenkampf immer mehr erloschen war. Dieser Fehler führte Trotzki zu der Annahme, dass in Deutschland 1933 der Druck der Arbeiterklasse die KPD und die Sozialdemokratie "zwingen" könnte, den Gegenangriff zu organisieren. Diese Überzeugung rechtfertigte in Trotzkis Augen auch die Schaffung einer künstlichen vierten "Internationale", ein übereiltes Gerüst, um die Avantgarde anzuziehen, von der er überzeugt war, dass sie als Errungenschaft früherer Kämpfe innerhalb der stalinistischen und sozialdemokratischen Organisationen bestehen blieb.

Nur diese Sicht kann erklären, warum Trotzki auf dem Höhepunkt des Zusammenbruchs des Proletariats (1938) ohne zu zögern schreiben konnte: "In Frankreich haben es die Reformisten geschafft, ... den revolutionären Strom zu kanalisieren und zumindest zeitweise zu stoppen." –  "In den USA tun sie alles, um die revolutionäre Offensive der Massen einzudämmen und zu lähmen", und in Deutschland schließlich "werden die Sowjets das Land überziehen, bevor in Weimar eine neue Konstituierende Versammlung zusammentritt ...".

Trotzki verstand nicht, dass seit der Niederschlagung der Deutschen Revolution (1923), der letzten Hoffnung auf eine Wiederaufnahme der revolutionären Welle, nunmehr die Konterrevolution, d. h. das dekadente Kapital, allen Errungenschaften, allen permanenten Organisationen seine Logik aufzwang und die Kämpfe für seine Zwecke missbrauchte. Krise, Faschismus, New Deal, Volksfront, lokale Kriege, dann allgemeiner Krieg, Aufteilung der Welt, Kalter Krieg, Wiederaufbau waren nur Momente der arroganten, selbstbewussten Konterrevolution, die auf dem Leichnam der Revolution in die früheren Errungenschaften der Arbeiterklasse eindrang und sie ihres proletarischen Inhalts beraubte. Im Laufe dieses blutigen, barbarischen, unmenschlichen Zyklus wurden alle Anstrengungen der Arbeiterklasse auf das Terrain der Verteidigung einer Kapitalfraktion gegen eine andere abgelenkt.

Es stimmt, dass sich der Kapitalismus 1938 in einer schrecklichen Krise befand und dass das Elend der Massen bis 1947/49 nie so groß gewesen war. Wichtig zu verstehen war jedoch: Da das Proletariat als eigenständige Klasse von der Bühne verschwunden war, würde das Kapital die Krise mit seinen eigenen Mitteln (Krieg-Umverteilung-Wiederaufbau) überwinden. Der Arbeiterklasse wird nichts erspart bleiben: Mit ihrem Blut und ihren Illusionen wird die neue Weltkarte festgelegt, von Katalonien bis Stalingrad und von Dresden bis Warschau. Und mit dem Schweiß der Arbeiter wird die kapitalistische Weltwirtschaft "wiederaufgebaut".

Unter diesen Umständen bestand die Rolle der Revolutionäre nicht darin, den demoralisierten Massen hinterherzulaufen und alle Prinzipien über Bord zu werfen, in jeder Episode des Kampfes der verschiedenen Kapitalfraktionen untereinander, der letztlich immer ein einhelliger Kampf gegen die Arbeiter ist, Partei für eines dieser Lager zu ergreifen oder den "Übergangs"-Wundertrank zu brauen, der die "Brücke" zwischen ihrer Passivität und der Revolution schlagen soll, sondern darin, die bisherigen Erfahrungen kritisch zu studieren und sich theoretisch vorzubereiten, die Klassenprinzipien zu verteidigen und allen aktivistischen und ungeduldigen Versuchungen zu widerstehen.

Diese Arbeit haben einige winzige Fraktionen, die aus den Italienischen und Deutsch-Holländischen "Linken" hervorgegangen sind, geleistet – manches besser, manches schlechter, aber sie haben sie geleistet. Ob sie selbst unter dem Druck der Periode standen, ob sie während dieser endlosen Reise sektiererische und dogmatische oder im Gegenteil empiristische Krankheiten bekamen, ändert nichts an der Tatsache, dass es ihrer Klarheit zu verdanken ist, dass wir heute den Trotzkismus überwinden können.

Das Wesen der UdSSR

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Frage nach dem Wesen der UdSSR nicht mehr eine offene Diskussion unter Revolutionären, sondern eine Klassengrenze für Internationalisten. Die Charakterisierung des russischen Kapitalismus als "Arbeiterstaat" führt zur Verteidigung eines Imperialismus in einem bewaffneten Konflikt. Sie gesteht de facto dem Stalinismus und der nationalen kapitalistischen Akkumulation eine progressive Rolle zu: mit einem Wort, dem in "sozialistische" Phrasen gehüllten Kapital. Darüber hinaus führt sie zur Verteidigung von Verstaatlichungen, d. h. zur Tendenz des dekadenten Kapitalismus zum Staatskapitalismus.

Diese Charakterisierung stiftet Verwirrung in der Arbeiterklasse, weil sie – ob sie will oder nicht – verkündet, dass es für die Arbeiterklasse nicht möglich sei, aus dem falschen Dilemma auszubrechen, in das sie seit Jahrzehnten eingesperrt ist und aus dem sie gerade erst herauszukommen beginnt: Verteidigung des russischen oder des westlichen Kapitals.

Das ist noch nicht alles. Die Theorie des "degenerierten Arbeiterstaates" vernebelt auch das Verständnis dessen, was der Kapitalismus ist. Implizit oder explizit reduziert Trotzkis Analyse den Kapitalismus auf eine Reihe formaler, rechtlicher, partieller, starrer Merkmale (individuelles Eigentum an Produktionsmitteln, ihre Veräußerbarkeit, das Erbrecht usw.). Sie versteht den Kern der Widersprüche des Systems absolut nicht. Sie erkennt diese Widersprüche in der UdSSR nicht, weil sie sie in Wirklichkeit auch in den traditionellen kapitalistischen Ländern nicht erkennt.

Die UdSSR als "Arbeiterstaat" zu charakterisieren, bedeutet in erster Linie zu behaupten, dass es in Zeiten der weltweiten Kapitalherrschaft für einen Nationalstaat möglich wäre, sich zumindest teilweise den Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise zu entziehen. Eine solch ungeheuerliche Vorstellung kann nur auf einer völlig falschen Sicht des Kapitalismus als historisches und globales System beruhen.

Betrachten wir für einen Moment einen rein imaginären und absurden Fall. Stellen wir uns vor, dass Russland, geschützt durch eine undurchdringliche Mauer, in völliger Autarkie gegenüber dem Weltmarkt lebe. Nehmen wir sogar an, dass keine der offensichtlichen "Kategorien" des Kapitalismus dort zu finden seien; dass das System an sich das Aussehen einer gigantischen Gesellschaft allgemeiner Sklaverei habe, ohne Außen- und Binnenhandel, ohne Geld, ohne Kapital. Nehmen wir weiter an, dass die Sklaven in Naturalien bezahlt würden und dass der Staat die gesamte Wirtschaft bis zur letzten Schraube oder zum letzten Weizenkorn "plane".

Selbst in diesem extremen und rein hypothetischen Fall hätten wir das Recht zu behaupten, dass ohne Lohnarbeit, Tausch und Kapital die GESETZE der russischen Gesellschaft vollständig von denen des Weltmarkts bestimmt würden und dass ohne einen erkennbaren "Wert" das WERTGESETZ das GESETZ hinter jedem Ausdruck dieser Wirtschaft darstellen würde.

Autarkie ist nur eine Form des Wettbewerbs. Selbst wenn die staatliche Akkumulation nicht die Form des Geldkapitals, der Überschuss nicht die Form des Mehrwerts und die Arbeitsprodukte nicht die Form der Ware annehmen würden, wäre es die Konkurrenz mit dem Weltkapital, die direkt die Rate, das Tempo und die Form dieser Akkumulation bestimmen würde; sie und nur sie würde es ermöglichen, die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und ihre Dynamik zu verstehen, und nicht die "Bosheit", der "Autoritarismus", der "Parasitismus" oder der "Bürokratismus" der "Verwalter".

Die bloße Notwendigkeit, diese Autarkie aufrechtzuerhalten, würde die heftige, intensive, tayloristische, ständig zunehmende Ausbeutung der Arbeiter erfordern. Je schärfer der internationale kapitalistische Wettbewerb würde, je mehr die Arbeitsproduktivität stiege, je mehr neue technische Verfahren und Waffen auftauchten, desto mehr würde die Autarkie von der Fähigkeit der "Bürokraten" abhängen, die Produktivität zu Hause zu steigern, neue Verfahren und Waffen zu erfinden. Nur wenn die Pharaonen dieses imaginären Staates Schritt für Schritt den Notwendigkeiten folgen, die ihnen der globale Wettbewerb auferlegt, könnten sie Mauern errichten, die ihnen die Illusion geben, ihren Gesetzen "zu entkommen". Daher hätten wir das Recht, diese Pharaonen als Beamte des Kapitals, als Kapitalisten zu bezeichnen, denn sie sind lediglich die Vertreter der unausweichlichen Notwendigkeit der Akkumulation in dieser Festung, die vom KAPITAL als globaler Produktionsweise vollständig durchgesetzt wird. Denn die Gesetze des globalen Kapitalismus würden nicht mehr durch ein Spiel von Angebot und Nachfrage ausgeübt und durch vorkapitalistische Reste behindert, sondern direkt durch die Beamten dieses Staates, die wahren Statthalter des internationalen Kapitals, ausgeübt.

Selbst in diesem Extremfall wäre es genauso legitim, die russischen Bürokraten als Kapitalisten zu bezeichnen, wie es für Marx legitim war, die Sklavenhalter im Süden der USA so zu nennen, weil sie, wie er sagte, nur in einem kapitalistischen System (und in Bezug auf dieses) Sklavenhalter sind. In einer kapitalistischen Welt, selbst im imaginären Land der modernen Pharaonen, wäre der Despotismus innerhalb der Fabrik der Anarchie auf dem Markt untergeordnet und die "Planung" den blinden Gesetzen der Konkurrenz.

Zum Leidwesen der Vertreter der absurden Theorie vom "degenerierten Arbeiterstaat" widerspricht die Realität den Grundlagen ihrer Analyse noch gnadenloser. Denn Russland lebt nicht nur nicht autark, sondern alle wesentlichen Erscheinungsformen des Kapitalismus sind in Russland selbst offen am Werk, und zwar nicht nur im oben genannten Sinne, sondern auch in einer leicht erkennbaren "inneren" Form. Russische Arbeiter werden mit Geld entlohnt. Diese Tatsache allein impliziert die Existenz des Tausches, der Warenproduktion, des Wertgesetzes, der Herrschaft der toten Arbeit über die lebendige Arbeit, des kapitalistischen Profits und seiner sinkenden Rate, selbst für trotzkistische Kurzsichtigkeiten, die Russland isoliert analysieren würden!

Doch die Erben der "Verratenen Revolution" (Titel eines Buches von Trotzki) erweisen sich als unfähig, die Identität der sozialen Aufgaben russischer oder amerikanischer, chinesischer oder französischer, polnischer oder deutscher Proletarier zu verstehen. Diejenigen in den sogenannten "sozialistischen" Ländern dürfen sich nicht von "reformistischen" Parolen ("Demokratie", "Abbau von Privilegien", "Selbstverwaltung", etc.) täuschen lassen – und die in den traditionellen kapitalistischen Ländern nicht von den lauten Reden gegen "Trusts" und "Spekulation" oder "Parasiten". Die Aufgaben der Arbeiterklasse in beiden imperialistischen Blöcken[1] fallen zusammen: erstens die Zerstörung des bürgerlichen Staates im Weltmaßstab und zweitens die Zerstörung der Wertform der Arbeitsprodukte – das heisst der Tatsache, dass sie über ein allgemeines Äquivalent entsprechend der gesellschaftlich zu ihrer Herstellung notwendigen Arbeitszeit getauscht werden – durch die weltweite Abschaffung der Trennung der Arbeiterklasse von den Produktionsmitteln und jeglicher Konkurrenz, ob national oder international. Durch die Zerstörung der Lohnarbeit (Austausch der Ware Arbeitskraft gegen einen Lohn) und der Warenproduktion (Austausch von Waren). Das ist die Abschaffung des Kapitals, das weder die "Macht der Monopole" noch die der "200 reichen Familien" ist, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis. Alles andere – "Verstaatlichungen", "Arbeiterkontrolle über die Profite" – sind nur Vorschläge, um den Kapitalismus besser zu verwalten.

In den östlichen Ländern stellt sich der Trotzkismus als reformistische Strömung dar, die für eine "politische" Revolution kämpft, die die kapitalistischen Produktionsverhältnisse unangetastet lässt, indem sie einfach die Worte "Arbeiterkontrolle" und "Arbeiterdemokratie" anhängt. Da sie nicht begreifen kann, dass der Staatskapitalismus nur die Verwirklichung der innersten Tendenzen des traditionellen Kapitalismus in der Epoche seines Niedergangs ist, ist sie unfähig, über diese Tendenzen hinauszudenken und entsprechend zu handeln, und schlägt einzig ein Maximalprogramm vor, das vor der Zerstörung der kapitalistischen Verhältnisse haltmacht.

In einer Zeit, in der das Kapital die gesamte Menschheit für seine eigenen Bedürfnisse versklavt, ist es nicht möglich, in Paris revolutionär und in Danzig reformistisch oder in Turin internationalistisch und in Moskau chauvinistisch zu sein.

Der Krieg in Spanien 1936-38

Trotzkis Haltung zum Krieg in Spanien zeiget die Tiefe seines Rückschritts von kommunistischen und internationalistischen Prinzipien. So kritisch er auch war, seine Unterstützung für die Volksfront, den demokratischen bürgerlichen Staat und den imperialistischen Krieg, den sie führten, waren die Vorboten des Zusammenbruchs der Vierten Internationale in den Chauvinismus während des Zweiten Weltkriegs.

Trotzkis Position während des so genannten "Bürgerkriegs" ist ein Meisterwerk des Zentrismus. Er beginnt mit einer heftigen Verunglimpfung der "bürgerlichen Demokratie" und erklärt, dass nur die unabhängige Aktion des Proletariats seinen eigenen Sieg sichern kann. Er kritisierte nicht nur die konterrevolutionäre Rolle der Stalinisten, sondern auch die der Anarchisten und der POUM, die er zu Recht als "linker Flügel der Volksfront" bezeichnete. Dennoch erklärte der ehemalige russische Revolutionär, "die offizielle Führung zu akzeptieren, solange (wir) nicht stark genug sind, sie zu stürzen", und er warnte das Proletariat vor jedem Versuch, "heute die Regierung Negrin zu zerschlagen ... (was) nur dem Faschismus dienen würde". Als echter Hardliner empfiehlt er, "sich klar von Verrat und Verrätern abzugrenzen, ohne aufzuhören, die besten Kämpfer an der Front zu sein".

Trotzkis Position beruhte auf einer völlig falschen Analyse der Klassenverhältnisse in Spanien. Er war der Ansicht, dass innerhalb der "republikanischen" Klasse eine "hybride, verworrene, halb blinde, halb taube Revolution" stattfände, die es in eine "sozialistische Revolution" zu verwandeln gelte. Er beschrieb den Kampf zwischen den beiden Fronten als "den Kampf zwischen zwei sozialen Lagern, von denen das eine von der bürgerlichen Demokratie und das andere vom Faschismus unterjocht wurde". Kurzum, für Trotzki die proletarische Armee mit bürgerlichen Führern: "Wenn an der Spitze der bewaffneten Arbeiter und Bauern, d.h. des republikanischen Spaniens, Revolutionäre gestanden hätten und nicht polternde Agenten der Bourgeoisie ...", wenn es Revolutionäre an der Spitze des bürgerlichen Staates gegeben hätte... Es ist nicht Louis Blanc, der hier spricht, sondern der Mann, der einst an der Spitze des Petrograder Sowjets stand!

Gleichzeitig stellte die um die Zeitschrift BILAN gruppierte Fraktion der Italienischen Kommunistischen Linken eine radikal andere Diagnose als die, die der phantasmagorischen Vision einer "halbbewussten" (sic!) Revolution zugrunde lag, die in dichten Bataillonen unter dem Befehl der "feigen Agenten der Bourgeoisie" zum Gemetzel vorrückte. In Wirklichkeit hatte die "demokratische" Fraktion des Kapitals es geschafft, das Proletariat in einen "antifaschistischen Bürgerkrieg" einzuschließen, die Arbeiter in ein bürgerliches stehendes Heer einzuspannen und die Klassenfronten vollständig durch territoriale Fronten zu ersetzen.

Der ideologische Frontalangriff war nicht sofort erfolgreich, aber der demokratischen Bourgeoisie sollte es gelingen, die Arbeiterklasse auf eine Basis zu nageln, auf der sie sich nicht mehr als eigenständige Kraft behaupten konnte.

Von da an war der "republikanisch-nationalistische" Krieg nur noch ein kapitalistischer Konflikt, in dem Arbeiter, die dem bürgerlichen Staat völlig unterworfen waren, für Interessen, die nicht die ihren waren, abgeschlachtet wurden. Wie jeder Konflikt zwischen kapitalistischen Staaten wurde auch das spanische Gemetzel sofort zu einem Teil des imperialistischen Weltkriegs, in dem die verschiedenen Länder mehr oder weniger deutlich Stellung bezogen, natürlich unter dem Deckmantel des "Faschismus" oder "Antifaschismus" und indem arme Arbeiter und Bauern ihr Blut vergossen, während französische, deutsche, russische usw. Kanonen feuerten.

Unter diesen Umständen bestand die einzige Chance auf einen revolutionären Prozess darin, den imperialistischen Fronten diejenigen des Klassenkampfes entgegenzustellen, ohne Angst, die republikanische Front zu schwächen, und indem die Arbeiter aufgerufen worden wären, die "besten Kämpfer" der Klassenfront zu sein, die sie selbst innerhalb der beiden imperialistischen Fronten errichten sollten, und nicht des "heldenhaften" Viehs der bürgerlichen Armee. Die ewigen "Realisten" schrien, dass dies Franco begünstigen würde. Aber die einzige Chance, Franco zu schlagen, bestand darin, den Klassenkampf in die von ihm besetzten Gebiete zu tragen, und dazu musste er zunächst kompromisslos dort entstehen, wo sich die fortschrittlichsten Fraktionen des Proletariats befanden, in den so genannten "freien" Zonen. Trotzki stimmte zwar generell mit der elementaren Wahrheit überein, dass die Arbeiter die soziale Revolution gegen Caballero und Franco durchführen mussten, wurde aber durch seine oberflächliche Sicht der Dinge dazu verleitet, "kritisch" Partei für eine imperialistische Armee zu ergreifen.

Gegen Ende des Krieges 1938/39 radikalisierte Trotzki seine Sprache so weit, dass er die Thesen der Italienischen Kommunistischen Linken übernahm, aber nie mit seiner katastrophalen Auffassung brach, wonach in einem von einem kapitalistischen Staat geführten Krieg ein revolutionärer Prozess stattfinden könne, der die Fronten nicht völlig umstoße, und dass unter der Führung eines stehenden bürgerlichen Heeres eine "unbewusste Revolution" vor sich gehen könne.

Von dieser Kapitulation bis zur Kapitulation der gesamten trotzkistischen Bewegung im Krieg von 1940-45 war es nur ein halber Schritt.

Das Übergangsprogramm

Das Übergangsprogramm ist die direkte Fortsetzung der Strategie des 2. und 3. Kongresses der Kommunistischen Internationale. Die Diskussion über die "Übergangs"-Taktik ist von grundlegender Bedeutung. Sie bringt die unüberbrückbare Kluft ans Licht, die die Revolutionäre von den Trotzkisten trennt. Wir können hier nicht den Reichtum der Frage ausschöpfen, die die dialektische Beziehung zwischen ökonomischen und politischen Kämpfen, der Bewegung und dem Ziel, der Klasse und dem Programm usw. betrifft. Aber wir können versuchen, den Kern des Problems zu umreißen und gleichzeitig zeigen, dass Trotzki es nicht wirklich angeht und sich damit begnügt, die alten sozialdemokratischen Zutaten in einer "radikalisierten" Soße neu anzurichten.

Ein Minimalprogramm in einer Epoche, in der es keins mehr geben kann

Trotzki will die traditionelle Trennung zwischen Minimal- und Maximalprogramm "überwinden", indem er ein Programm von Übergangsforderungen aufstellt, welches eine Verbindung zwischen den unmittelbaren Forderungen und der Revolution herstellen soll. Die Sorge, den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Bruch zu überwinden, ist lobenswert. Aber Trotzki begeht genau den Fehler, den er anprangert, indem er ein Programm aufstellt, das nicht das kommunistische Programm ist. Trotzki geht von der Notwendigkeit von zwei kommunistischen Programmen aus! Aber das zweite müsse, wenn es eine Daseinsberechtigung haben solle, aus Forderungen bestehen, die nicht über den bürgerlichen Rahmen hinausgingen (sonst wären sie Teil des kommunistischen Programms), also aus "minimalen" Forderungen. In seiner Idee, dass es in der Stunde des Niedergangs des Kapitalismus ein anderes Programm als das der kommunistischen Revolution geben könne, teilt Trotzki den proletarischen Prozess und seinen Verlauf erneut in zwei Etappen: heute die unmittelbaren Forderungen, morgen das revolutionäre Programm. Dass er behauptet, dass Ersteres zu Letzterem führen werde, ändert nichts am Problem: Das haben die Sozialdemokraten auch behauptet!

Es ist notwendig, kohärent zu sein: Entweder gibt es nur ein Programm, und das ist das Maximalprogramm, oder es gibt deren zwei, und dann fällt man wieder in die alte Trennung Maximalprogramm – Minimalprogramm zurück.

Trotzkis Übergangsprogramm stellt also keineswegs die Beziehung zwischen der Elementarbewegung und dem Endziel her, sondern trennt sie voneinander. Der beste Beweis dafür, dass das Übergangsprogramm nicht mehr als ein Minimalprogramm ist, das mit einer Schicht "radikaler" Phraseologie überzogen ist, ist die Tatsache, dass es von reformistischen Forderungen nur so strotzt und das kommunistische Programm völlig fehlt (auch wenn Trotzki hie und da die Notwendigkeit einer Revolution anerkennt).

So finden wir "Arbeiterkontrolle" (über das Kapital), "Arbeiter- und Bauernregierung", die Forderung nach "großen öffentlichen Arbeiten", die Enteignung bestimmter (?) Industriezweige, die zu den wichtigsten für die nationale Existenz (!), oder von bestimmten Gruppen der Bourgeoisie, die zu den parasitärsten gehören (!!!), "ein einheitliches Kreditsystem nach einem vernünftigen Plan, der den Interessen der ganzen Nation entspricht" (!!!), eine "einheitliche Staatsbank" und anderen Unsinn, der nicht einmal des gemeinsamen Programms der Linken würdig ist. Nirgendwo findet sich die Zerstörung des bürgerlichen Staates, die Diktatur des Proletariats, die Zerstörung der Konkurrenz, der Nationen, des Tausches und der Wertform der Arbeitsprodukte, der Lohnarbeit. Trotzki will modernisieren, das Kapital verstaatlichen und den Lohnempfänger verallgemeinern, Marx dagegen wollte das Kapital vernichten und den Lohnempfänger abschaffen.

"Aber", werden uns die Trotzkisten antworten, "wir stimmen zu, es geht um das endgültige Programm, doch in der Zwischenzeit wollen wir ein anderes Programm, um die Massen zu mobilisieren". Gut, aber dann hört auf, heuchlerisch um den heißen Brei herumzureden, und anerkennt, dass ihr zwei Programme propagiert, eines "minimal" und eines "maximal", eines für den Kampf und eines für die Reden, eines für die Wochentage und eines für den Sonntag! Hört auf, die Sozialdemokraten zu verhöhnen, die dies, im Gegensatz zu euch, zumindest offen anerkennen.

Ein utopischer und bürokratischer Plan

Die Kommunisten haben kein Programm für die kapitalistische Gesellschaft. Aber es ist unbestritten, dass sie den elementaren Kämpfen, die spontan auf ihrem Boden entstehen, entscheidende Bedeutung beimessen. Sie teilen nicht die akademische Geringschätzung der bürgerlichen Intellektuellen gegenüber solchen "quantitativen" Fragen. Sie wissen, dass die soziale Krise eine Revolte gegen die gesellschaftlichen Existenzbedingungen hervorruft, wie sie sich für die Arbeiterklasse tagtäglich manifestieren, und dass nur aus dieser Revolte heraus eine Einsicht in die Notwendigkeit der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft erfolgen kann. Sie wissen, dass aus dem elementaren spontanen Kampf des Proletariats der Prozess der eigenen Selbstüberwindung in Gang gesetzt wird.

Aber gerade weil die Revolutionäre die gewaltigen Möglichkeiten der Ausweitung, der Entwicklung der ökonomischen Kämpfe auf dem revolutionären Terrain kennen, legen sie diese nicht im Voraus in starren Forderungen fest. Jeder zu Beginn einer Klassenbewegung festgelegte Forderungskatalog behindert die Vertiefung dieser Bewegung, indem er sie auf Teilaspekte fixiert, bevor sie Zeit hat, sich auszuweiten, ihre Breite zu erreichen.

Weil Revolutionäre wissen, dass eine Klassenbewegung ihre Illusionen und ihre partikularen Fixierungen schneller verwirft, als sie ihre Flugblätter verbreiten, hüten sie sich, den Reichtum, die Kraft und das Potenzial des Kampfes in einem starren Forderungsprogramm und in einem doktrinären Schema zu verpacken wie Trotzki.

Trotzkis Übergangsprogramm ist nicht nur reformistisch, was den Inhalt seiner Forderungen angeht, sondern auch, weil seine ganze Logik darin besteht, die Bewegung in den engen Sack ihrer Parolen zu sperren, noch bevor sie begonnen hat, ihre gigantischen Möglichkeiten des Wachstums zu entfalten.

Trotzki begnügt sich nicht damit, den Prozess des Klassenkampfes auf Teilaspekte festlegen zu wollen. Er erhebt auch den Anspruch, die Abfolge der Kampfformen vom Streik bis zum Aufstand zu "programmieren". Er will die Bewegung in einer Art Gänsemarsch seiner dogmatischen Fantasie voranbringen. Er glaubt, dass der Kampf zuerst auf diesen und jenen Platz geht, dann unter dem Impuls dieser und jener Losung zum nächsten Platz weitergeht. Und schließlich kommt er, nachdem er die geplanten Schritte sanftmütig "durchlaufen" hat, am Ziel an.

Doch die wirkliche Bewegung des Proletariats folgt keinem bürokratischen Schema. Streiks, ökonomische Kämpfe, politische Kämpfe, Streikkomitees, informelle Initiativen, Besetzungen, Sowjets: Der Kampf entfaltet sich nicht nach einem vorgefertigten Plan, sondern seine Formen bedingen sich gegenseitig, durchdringen sich, lösen sich ab, verschwinden und kehren im am wenigsten erwarteten Moment wieder.

Marx schrieb, dass die Kommunisten keine besonderen Prinzipien haben, nach denen sie die praktische Bewegung des Klassenkampfes zu modellieren vorgeben würden. Dieser Satz ist tiefgründiger, als man denken könnte. Er bedeutet, dass es nicht Sache der Organisation der Revolutionäre ist, im Voraus idealistische Formen und Forderungen zu definieren. Dies wird das Proletariat selbst im Feuer der Aktion tun, entsprechend den konkreten Umständen und auf viel sicherere Weise als irgendeine angeblich "aufgeklärte" Minderheit.

In unserer Epoche beginnt ein großer Teil der Klassenbewegungen ohne präzise Forderungen, und erst bei einem gewissen Kräfteverhältnis stellt sich das Problem, präzise Ziele zu setzen, zu verhandeln, usw. Es ist diese Abwesenheit von a priori gesetzten Grenzen, die es der Bewegung ermöglicht, sich auszubreiten, zu vertiefen und zu radikalisieren. Unter diesen Bedingungen besteht die konterrevolutionäre Rolle der Gewerkschaften und der Trotzkisten darin, die Bewegung zu zermürben, indem sie sie von vornherein auf angeblich "realistische" Grenzen festnageln.

Revolutionäre wissen zwei Dinge:

- dass hinter jedem Streik das Gespenst der Revolution steht und dass ihre Funktion nur darin besteht, die den Kämpfen innewohnenden revolutionären Tendenzen zum Ausdruck zu bringen;

- dass selbst unmittelbare wirtschaftliche Erfolge von einem politischen Kräfteverhältnis auf gesellschaftlicher Ebene abhängen und dass die Bewegung, je weniger sie sich zu Beginn "realistische" und "vernünftige" Ziele setzt, umso mehr eine Machtposition durchsetzen wird, die die herrschende Klasse zum Nachgeben zwingen kann. Dies hat natürlich den Effekt, dass ihre Entschlossenheit gestärkt wird.

Bewegung und Programm

Revolutionäre verurteilen oder fetischisieren keine Form des Klassenkampfes. Ihre Rolle besteht nicht darin, die Bewegung zu formen, sondern sie zu befruchten, indem sie ihre allgemeine Bedeutung zum Ausdruck bringen und so alles tun, um zu verhindern, dass Gewerkschaften und die Linken deren Potenzial einschränken und ihre Bedeutung und Richtung vernebeln.

Wir müssen sowohl extrem flexibel als auch extrem unnachgiebig sein. Flexibel, weil wir als Teil der Klasse wissen, wie man unter den verschiedensten Umständen die Formen und Forderungen, die spontan von den Massen aufkommen, aufgreift und mit Klarheit verstärkt, wie man formuliert, was die Massen fühlen, wie man vereinheitlichende Forderungen vorschlägt, weil sie in die Richtung der Ausweitung und Radikalisierung der Bewegung gehen. Unnachgiebig, weil wir als Organisation das kommunistische Programm als einziges Programm zu jeder Zeit verteidigen (alles andere sind flüchtige Kompromisse). Das ist unsere besondere Aufgabe als Organisation, denn um dieses Programm herum scharen sich die bewusstesten Arbeiter und Arbeiterinnen und ziehen andere an, und auf der Grundlage dieser Vision des Ziels heben wir die revolutionären Tendenzen der Bewegung hervor.

Das Programm ist die Richtung der Bewegung, die Bewegung ist der Träger des Programms. Nur diese Flexibilität, die es erlaubt, die Bewegung in all ihren Phasen auszudrücken, und diese Unnachgiebigkeit bei der Verteidigung des endgültigen Programms, die es erlaubt, die Widersprüche der Bewegung selbst zu überwinden.

Doch Trotzki ist für Flexibilität im Programm und den Verzicht auf das Ziel und für starren Dogmatismus gegenüber der Bewegung! Der Kommunismus ist die Richtung der Bewegung. Den Kommunismus aufzugeben bedeutet, das Wesen der Bewegung zu verraten, es bedeutet, ihre einzige Verwirklichung zu verhindern: den Kommunismus.

März 1973

 

[1] Note aus der Zeit der Wiederveröffentlichung (2024): Diese Zeit der Blöcke dauerte von 1945-1989.

Rubric: 

Der Trotzkismus gegen die Arbeiterklasse