Gespeichert von Weltrevolution am

Der jüngste Wahlzirkus und die danach ersichtlich gewordenen Entscheidungsmechanismen zwischen den führenden Parteien haben gezeigt, wo die eigentlichen Entscheidungen getroffen werden. Dennoch muss die herrschende Klasse regelmäßig ihre Wahlshows aufführen, um die Illusion zu wecken unser Schicksal werde an den Wahlurnen entschieden.
Tiefgreifender Vertrauensverlust in die herrschende Klasse ...
Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren ein tiefgreifender Graben aufgetan zwischen der herrschenden Klasse und der Arbeiterklasse.
Auch wenn die Wahlbeteiligung kein Gradmesser für Kampfbereitschaft und Bewusstsein der Arbeiterklasse ist, gab die jahrelang sinkende Wahlbeteiligung einen Hinweis auch auf einen wachsenden Frust in der Arbeiterklasse (und darüber hinaus in anderen Teilen der Bevökerung) über den Zustand und die Perspektiven dieser Gesellschaft. Das spiegelte sich u.a. wider im Glaubwürdigkeitsverlust der traditionellen Parteien. Die sinkende Wahlbeteiligung konnte die seit den Anfang der 2010er Jahre aufgekommenen Protestparteien abfedern, indem sie glauben machten, dass die Stimmabgabe für die Protestparteien ein ausschlaggebender Faktor bei der Bestimmung der Politik sein könnte. So konnten die Protestparteien überall für eine steigende Wahlbeteiligung sorgen – ohne dass dadurch bei den so in die Irre Geführten notwendigerweise der Glaube entstanden ist, dass die Protestparteien auch nur irgendwas lösen könnten. Schließlich sind sie meistens nur gegen etwas („anti“) und haben außer Hetze und Sündenbocksuche in Anbetracht der allgemeinen Perspektivlosigkeit nichts zu bieten. Zudem sind sie für das Kapital keine ernstzunehmende Option – selbst die Unternehmerverbände warnen vor ihnen.[1]
... und die Falle der Wahlen
Gleichzeitig haben all die „demokratischen Kräfte“ die AfD und alles, was sich sonst noch als Protestpartei anbiedert, als neue Gefahr von Rechts, gar als neu aufkommenden Faschismus angeprangert, wodurch es ihnen wiederum gelungen ist, eine beträchtliche Zahl Menschen an die Wahlurnen zu locken, um „den Rechten Einhalt zu gebieten“.
Das Resultat: infolge der völlig irreführenden Polarisierung gegen die Rechten konnte eine seit Jahren nicht mehr erreichte Wahlbeteiligung von 82,5% erzielt werden (2021 betrug sie noch 76.4). 2025 war sie die höchste seit 1989. Der Glaube, dass man im Parlament den Hebel ansetzen müsse bzw. den Einzug der AfD so verhindern könne, hat der herrschenden Klasse, die stärker als zuvor dazu aufrief „Bürger, ihr musst unbedingt wählen“, einen gewissen Punktegewinn ermöglicht.[2] Mit zu diesem Trupp der Wahlzutreiber gehörten natürlich auch die Gruppierungen der extremen Linken wie Klasse gegen Klasse, PSG, SAV – die alle die Wahltrommel rührten und eigene Kandidaten aufstellten.
Aber dieser Punktegewinn ist auf sehr dünnem Eis entstanden. Denn nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass der gleiche Trend in Deutschland zu beobachten ist, der auch international ersichtlich ist, dass nämlich alle bisher an der Regierung beteiligten Parteien herbe Verluste eingesteckt haben und die Populisten die Nutznießer sind.[3]
Es kam zu einer Art Zerfledderung der SPD, die ihre historisch schlechtestes Ergebnis seit 1876 erzielte: 16%, (-9%), Grüne 11% (-3%), FDP 4.3% (-7%) – diese flog aus dem Parlament.[4]
Mit anderen Worten: Alle jeweils an der Regierung beteiligten Parteien verlieren an Glaubwürdigkeit, „verschleißen“ sich. Zuvor hatten sich CDU und SPD schon in der GROKO verschlissen, und dieser Verlust an Glaubwürdigkeit war nicht nur durch die unbeliebte Person Merkel entstanden – sondern dahinter steckt die wachsende Angst vor der Wirklichkeit und den Perspektiven des Kapitalismus. Allen traditionellen Parteien wird immer wenig abgekauft, dass sie Wohlstand, eine gesicherte Zukunft usw. anbieten könnten.
Vor den Wahlen schon war zu erkennen, dass die altgediente CDU in den Augen vieler nur als das geringere Übel angesehen werden kann. Ihr Vorsitzender Merz wurde als der unpopulärste und unbeliebteste Kandidat eingestuft. Zudem versuchte er in einem gewissen Akt der Verzweiflung doch noch mehr Stimmern zu erhaschen, als er den Anlauf machte, dank der Unterstützung der AfD populistische Maßnahmen durchzuboxen. Somit riss er die sog. Brandmauer unter den Demokraten ein. Auch bei dem früheren „shooting star“ der deutschen Bourgeoisie, den Grünen, zeigten die Wahlergebnisse einen erkennbaren Verschleiß – nachdem diese Partei alle Ursprungsthemen über Bord geworfen und zu einer Triebfeder des deutschen Militarismus geworden war.
Zudem zeigt die Verdopplung des Stimmenanteils der AfD, ihr flächendeckender Triumph in Ostdeutschland, dass selbst dreieinhalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung Perspektivlosigkeit, Suche nach Sündenböcken, Ausländerfeindlichkeit usw. dominieren.[5] Eine Art „Spiegelstück“ dieser Proteststimmung ist auch der sprunghafte Anstieg bei der Linkspartei. Hatte zuvor schon das BSW einen Teil der Proteststimmen eingefangen, gelang es nun vor allem der Partei Die Linke viele Jugendliche in die Falle der Wahlen zu locken.[6] Ihre Themen wie „Gegen offenen Militarismus“, „gemäßigte, gesteuerte Migration“, „bestraft die Unternehmer“ oder Verstaatlichungen, führte insbesondere viele Jugendliche hinters Licht. Und weil sie nun neben der AfD im Bundestag die Hauptoppositionsrolle einnehmen werden, werden sie für das deutsche Kapital um so wertvoller, um das ramponierte Ansehen der bürgerlichen Demokratie aufzupolieren. Und für viele Jugendliche, die „etwas tun wollen“, werden sie ein Köder für deren Handlungsdrang, für einen Aktivismus sein, um letztendlich nur die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen zu verstärken.
Die Wahlergebnisse ließen dem Kapital nur eine einzig mögliche Regierungskoalition: CDU/CSU-SPD – mit entscheidender Steigbügelhilfe durch die Grünen. Sicherlich ist dies in Anbetracht des sich vollziehenden großen historischen Einschnitts gewissermaßen die „solideste“ Option für das deutsche Kapital, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.[7]
Aber langfristig zahlt das deutsche Kapital dafür einen hohen Preis, denn der nötige „Personalwechsel“ bei der SPD und die eigentlich erforderliche Radikalisierung in der Opposition sind vorerst blockiert bzw. stocken oder sind völlig unzureichend.
Die Welle der Angriffe wird die Arbeiterklasse zum Kampf zwingen
So wird einstweilen insbesondere die langfristige Schwächung der SPD weitergehen. Aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen werden sie in der Regierung dringend gebraucht. Die Aufgabe, die notwendigen harten Angriffe gegen die Arbeiter durchzuboxen, wird vor allem von der SPD – arbeitsteilig mit den Gewerkschaften – übernommen werden müssen. Auch wenn die CDU/CSU mit Merz einen „brutalen, aggressiv Kürzungen fordernden“ Diskurs einschlagen werden, werden die Sozialdemokraten sich bestens dafür einsetzen, dass die „bitteren Pillen“ der Sparbeschlüsse ohne großen Widerstand geschluckt werden.
Früher oder später werden die zahlreichen Angriffe – von Entlassungen, Stellenabbau, Inflation, Intensivierung der Arbeitshetze, Erhöhung der allgemeinen Arbeitsbelastung – zu einer Reaktion der Arbeiterklasse führen, die wegen der Generalisierung und Zuspitzung dieser Angriffe das Potential und die Notwendigkeit mit sich bringen, dass es zu einer viel umfassenderen Welle des Widerstands kommt, in der die ganze Sackgasse dieser Gesellschaft, ihr Versinken in Krieg, Zerstörung, Konkurrenzkampf, Flucht und Vertreibung usw. zur Sprache kommen muss. Auf diese Auseinandersetzungen müssen wir uns vorbereiten.
17.03.2025 WI
[1] Ihre Europa-feindliche, gegen den Euro gerichtete, und Russland-freundliche Haltung sowie ihre Unterstützung von Trump/Musk „disqualifizieren“ sie selbst aus der Sicht des Kapitals von vornherein.
[2] Scheinbar wussten ca. 30% bis zum letzten Tag nicht, was sie wählen sollten, viele redeten vom "geringerem Übel" …
[3] In Österreich wurde die FPÖ im September 2024 mit 28,9 Prozent stärkste Kraft, in Frankreich errang das Rassemblement National (RN) 2024 mit 32,1 Prozent den ersten Platz, in Italien steht Meloni mit ihren Fratelli d’Italia (FdI) an der Spitze, und in den Niederlanden rangiert die Partij voor de Vrijheid (PVV) ganz oben. In Finnland beteiligen sich Die Finnen an der Regierung und in Schweden haben die Schwedendemokraten einen größeren Einfluss, ganz oben steht in Ungarn mit Fidesz Viktor Orbán. Auch wenn in Deutschland die AfD noch keine zentrale Regierungsverantwortung hat, ist sie zur zweitstärksten Partei auf Bundesebene geworden.
[4] Wahlergebnisse in Prozent: SPD: 16.4 (-9.3), CDU: 28.6 (+4.4), Grüne: 11.6 (-3.1), FDP: 4.3 (-7.7), AfD 20.8 (+10.4), Die Linke, 8.7 (+3.8), BSW: 4.9 (+ 4,9)
[5] In Gelsenkirchen macht die AfD gar der SPD Konkurrenz und in Kaiserslautern überholte sie gar zum ersten Mal die CDU.
[6] In Berlin errangen sie 19% Stimmen und mehrere Direktmandate.
[7] Dabei ist man mit dem gescheiterten Einzug des BSW in den Bundestag und dem Scheitern der FDP an der 5%-Hürde nur knapp an der Notwendigkeit einer Dreierkoalition (die sogenannte Kenia-Koalition = CDU-CSU-SPD-Grünen) vorbeigeschlittert. Das hätte eine größere Instabilität (der Zwang zu Dreiervereinbarungen – mit starker Ablehnung der Grünen durch CSU/CDU - bedeutet). Insofern ist die jetzige Zweierkoalition für die Bourgeoisie gewissermaßen das „geringere“ Übel, denn das Regieren zu zweit ist einfacher als in einer Mehrparteienkoalition (wie in Belgien, Frankreich).