Gespeichert von Weltrevolution am
Im Aufbau Nr. 40, der Zeitung des so genannten Revolutionären Aufbaus, erschien eine nach seinen Worten “längst fällige Replik” auf einen Artikel, den die IKS vor einem Jahr zu einer Diskussionsveranstaltung dieser Gruppierung veröffentlichte (vgl. Weltrevolution Nr. 125). Unser Artikel und die Replik drehen sich um das Thema der Gewerkschaftsfrage.
Das Problem an der Replik des Aufbaus besteht nicht darin, dass sie spät erfolgt, sondern dass sie nicht eingeht auf unsere Argumente, mit denen wir begründet haben, weshalb nicht nur die Gewerkschaftsbürokratie, sondern die Gewerkschaften als solche ca. seit dem Ersten Weltkrieg Apparate des Staates und somit gegen die Arbeiterklasse gerichtet sind.
In unserem Artikel in Weltrevolution 125 über die Veranstaltung des Aufbaus haben wir die mündliche Diskussion in ihren wesentlichen Zügen wiedergegeben und dabei aufgezeigt, dass die Gewerkschaften in der dekadenten Phase des Kapitalismus unweigerlich in den totalitären Staat integriert werden. “Die materielle Unmöglichkeit, Reformen zu erkämpfen, die nicht gleich wieder rückgängig gemacht werden, verwandelte die Gewerkschaften, die diese Reformfunktion hatten, notwendigerweise in Instrumente des Staatskapitalismus, der Bewahrung der herrschenden Ordnung, der Kanalisierung des Arbeiterwiderstands in Sackgassen. (...) Es ist also kein Zufall, wenn der Gewerkschaftsapparat heute als Teil der staatlichen Strukturen (z.B. im Parlament oder bei den paritätischen Kommissionen) erscheint. Dieser Schein entspricht der tatsächlichen Klassennatur der Gewerkschaften, und zwar nicht bloss der Gewerkschaftsbürokratie, sondern der Gewerkschaften insgesamt. (...) Wer die proletarische Revolution auf seine Fahnen geschrieben hat, muss deshalb die Arbeiter und Arbeiterinnen vor den Gewerkschaften warnen, und nicht kritisch von innen oder aussen diese Organe zu “verbessern” versuchen. Je “besser” sie sind, desto wirksamer für den kapitalistischen Staat.” (1)
Statt auf unsere Ausführungen inhaltlich zu antworten und wenigstens zu versuchen, sie zu widerlegen, beschränkt sich der Aufbau in seinem Artikel darauf, der IKS irgendwelche Etiketten anzudichten, die erstens mit der Realität und unseren Positionen nichts zu tun haben und zweitens eine durch und durch bürgerliche Geschichtsauffassung des Aufbaus offenbaren.
Anscheinend hat der Aufbau weder von den Positionen Bordigas noch von denjenigen der IKS eine grosse Ahnung. Denn Bordiga lehnte die Arbeit in den Gewerkschaften keineswegs ab; und die Bordigisten tun es bis heute nicht. Offensichtlich ist der Aufbau auch mit dem,, was Lenin geschrieben hat, nicht vertraut, denn sonst müsste er ja wissen, gegen wen dieser in den Kinderkrankheiten in der Gewerkschaftsfrage polemisierte. Die IKS ist zwar keineswegs gekränkt, wenn sie in die Tradition von Bordiga gestellt wird. Er war in der Tat ein Revolutionär, der bis 1926 zusammen mit der Mehrheit der italienischen KP vorbildlich gegen die Degenerierung der Kommunistischen Internationalen und der ihr angehörenden Parteien kämpfte, was denn auch der Grund dafür ist, dass der Name Bordiga für die Stalinisten ein rotes Tuch darstellt und auch für andere linkskommunistische Strömungen herhalten muss, die längst nicht alle seiner Positionen teilen.
In der Gewerkschaftsfrage vertrat Bordiga beispielsweise aus der Sicht der IKS eine falsche Auffassung. Die Positionen unserer Organisation gehen nicht auf ihn und die Italienische Linke in den 20er Jahren zurück, sondern auf andere Teile des Linkskommunismus, jener Tradition, die in den 20er und 30er Jahren in verschiedenen Ländern den Kampf gegen die Degenerierung der offiziellen “Kommunistischen” Parteien und den Stalinismus führte. Die Intervention der IKS in der Gewerkschaftsfrage stützt sich ab auf die deutsch-holländischen Linkskommunisten in den 20er, einen Teil der italienischen Fraktion in den 30er und vor allem auf die Positionen der Gauche Communiste de France in den 40er Jahren (3). Es waren diese Minderheiten in der Arbeiterbewegung, die trotz schwierigster Bedingungen der Konterrevolution nicht nur in ihrer Intervention in der Klasse am Internationalismus festhielten (was ebenfalls diejenigen taten, für die der Name Bordigisten zutrifft), sondern auch theoretisch die klarsten Lehren aus der Niederlage der weltrevolutionären Welle 1917-23 zogen. Zu diesen Lehren gehörte auch die Erkenntnis, dass der Eintritt des Kapitalismus in seine niedergehende Phase den Charakter der Gewerkschaften grundsätzlich verändert hatte.
Nach dieser “Methode” müsste konsequenterweise und gestützt auf die gleiche Schrift Lenins auch die “Beteiligung an den bürgerlichen Parlamenten” befürwortet werden. Denn genau diese Idee verfocht Lenin in den Kinderkrankheiten ebenfalls, indem er beispielsweise schrieb, “dass die Beteiligung an den Parlamentswahlen und am Kampf auf der Parlamentstribüne für die Partei des revolutionären Proletariats unbedingte Pflicht ist, gerade um die rückständigen Schichten ihrer Klasse zu erziehen, gerade um die unentwickelte, geduckte, unwissende Masse auf dem Lande aufzurütteln und aufzuklären” (5). Auf diese und ähnliche Aussagen Lenins berufen sich heute die Trotzkisten, um ihre parlamentarische Politik zu rechtfertigen. Wenn für den Aufbau die Worte Lenins anscheinend so heilig sind, dass das Zitieren allein schon reicht, um die Richtigkeit einer Position nachzuweisen, müsste sich diese Gruppe eigentlich auch bald einmal am parlamentarischen Zirkus beteiligen.
Hinter dieser “Methode” der Berufung auf irgendwelche Zitate steht eine idealistische, d.h. bürgerliche Geschichtsauffassung, nach der der Lauf der Geschichte durch “die grossen Männer” bestimmt wird. Die Geschichte wird da personifiziert ganz so, wie es meist im Schulunterricht geschieht: als sei die Geschichte eine Abfolge ‚grosser‘ oder berüchtigter Namen und Ideen - Kant, Napoleon, Bismarck, Lenin, Hitler etc.
Mit diesem gängigen, quasi populären Geschichtsbild wird die herrschende Ideologie weiter zementiert. Der Aufbau vermittelt damit den Eindruck, dass es die Ideen dieser Gestalten seien, die die Massen und damit die Geschichte lenken. Es ist aber umgekehrt der materielle Kampf zwischen den Klassen, der den Gang der Geschichte bestimmt. Es sind zwar die Menschen, die die Geschichte machen, aber sie tun dies nicht aus freien Stücken, sondern als Teil einer Klasse im Rahmen der vorgefundenen gesellschaftlichen Bedingungen. Welche Rolle die Individuen dabei spielen, ist zwar nicht belanglos, aber hauptsächlich von den äusseren Umständen abhängig.
Ein bestimmter Name ist somit für sich allein noch lange kein Gütesiegel für die Unfehlbarkeit - diese kennt nicht nur der Katholizismus mit dem Papst sondern auch der Stalinismus bzw. Maoismus. Die Stärken der Arbeiterklasse bestehen einerseits in ihrer Einheit (v.a. der Interessen), andererseits in der Fähigkeit, ein Bewusstsein über die herrschenden Bedingungen und die Möglichkeit ihrer Umwälzung zu erlangen. Dieser Kampf um das Bewusstsein muss mit Argumenten geführt werden. Die Arbeiterklasse ist die erste revolutionäre Klasse der Geschichte, die ihr Ziel nur mit Bewusstsein durchsetzen kann. Dies erfordert einen dauernden Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen um Klarheit, einen Kampf, der als ein Ringen der Richtungen und Parteien miteinander geführt wird. Niemand kann uns dieses Nachdenken und Argumentieren abnehmen. Den Revolutionären kommt u.a. die Aufgabe zu, genau dieses Ringen um das klarst mögliche Bewusstsein über die gegenwärtigen Aufgaben zu stimulieren und voranzutreiben.
Was der Aufbau tut, ist das Gegenteil: Statt seine Auffassung zu begründen und zu argumentieren, die Leser und Leserinnen zum Nachdenken anzuregen, ruft er einen Namen an, der für Unfehlbarkeit stehen soll. Die Arbeiterklasse braucht für die Revolution nicht einen neuen religiösen Glauben, sondern eine Überzeugung, die auf Klarheit fusst und mit vernünftigen Argumenten verteidigt werden kann.
Sein vorgetäuschtes Wohlwollen gegenüber “spontan im Widerstand entstandenen Strukturen der Selbstorganisation” ist somit bloss ein Lippenbekenntnis. In einem Artikel der gleichen Ausgabe des Aufbaus, der die Gewerkschaftsbürokratie der Unia kritisiert, sagt er offen, welche Politik er betreibt und welche Ziele er anstrebt: “Um grössere Streiks durchzuführen, wäre es von Nöten, Vertrauensleute aufzubauen, welche aus ihrem politischen und gewerkschaftlichen Bewusstsein heraus, die Arbeit der Funktionäre übernehmen und die entsprechenden Diskussionen in den Betrieben und auf den Baustellen aufnehmen.” (Aufbau Nr. 40 S. 5) Der Aufbau ist also nicht einmal grundsätzlich gegen die Gewerkschaftsbürokratie, sondern findet einfach, dass die falschen Funktionäre drin sind. Er möchte die entsprechenden Stellen mit seinen Leuten besetzen und selber die Kontrolle ausüben. Warum er im nächsten Satz meint, dass damit die Möglichkeit bestünde, “dass sich Streiks nicht mehr ganz so einfach durch die Gewerkschaften kontrollieren lassen würden”, begründet er nicht. Es gibt auch keine Begründung für diese Absurdität. Es ist genau umgekehrt: Der Staat braucht gerade in der heutigen Zeit der gärenden Kampfbereitschaft “radikalere” Gewerkschaften mit “Vertrauensleuten an der Basis” die früh genug merken, wenn es in den Reihen der Arbeiter brodelt, damit eben ja keine Streiks ausbrechen, die nicht von Anfang an von den Gewerkschaften kontrolliert werden.
Der Aufbau bietet sich genau für diese Aufgabe an. Sobald die Gewerkschaftsbürokratie oder gar die “gelben” Gewerkschaften insgesamt bei Teilen der Arbeiterklasse in Frage gestellt werden, wird der Aufbau zusammen mit den Trotzkisten und weiteren linksbürgerlichen Gruppen zu denjenigen gehören, die neue Gewerkschaften propagieren. Dies ist die Erfahrung, die die Arbeiter in den 70er und 80er Jahren insbesondere in Italien, Frankreich, Belgien und Grossbritannien machen mussten: Nach den offiziellen Gewerkschaften stellt die Bourgeoisie ihnen ein weiteres, scheinbar radikaleres Instrument in den Weg - die Basisgewerkschaften, Koordinationen, Shop Stewards etc., bis auch diese von den Arbeitern als Hindernis erkannt und aus dem Weg geräumt werden.
Wenn uns also der Aufbau unterstellt, wir würden uns “elegant um die politische Verantwortung drücken”, wenn wir nicht innerhalb der Gewerkschaften arbeiten, so entgegnen wir ohne Scham: Die Verantwortung dafür, die Arbeiter und Arbeiterinnen in Fallen zu locken und in Fesseln zu legen, lehnen wir in jedem Fall ab. Wir intervenieren umgekehrt nach unseren Kräften in der Klasse und stellen da die gemeinsamen, vereinheitlichenden Interessen des Proletariats und der Gesamtbewegung in den Vordergrund. N.P., 09.07.05
1) Zitat aus dem Artikel “Den Bock zum Gärtner machen?” in Weltrevolution 125; vgl. weiter dazu unsere Broschüre “Die Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse”
2) geschrieben im April/Mai 1920, veröffentlicht in Lenin Werke Bd. 31 S. 5 ff.
3) vgl. zum Linkskommunismus: “Kurze Geschichte des Linkskommunismus” unter und unsere Broschüren “Die Deutsch-Holländische Linke 1919-1933” und “Die Italienische Linke”
4) Der vom Aufbau zitierte Satz Lenins enthält zudem noch eine Stellungnahme gegen die Arbeiter-Unionen. Falls der Aufbau auch damit auf die IKS abzielte, müsste er einmal mehr belehrt werden: Voll daneben! Die IKS hat die Idee der Gründung von Arbeiter-Unionen (oder ähnlicher, letztlich doch wieder gewerkschaftsähnlicher Organisationen) immer kritisiert. Aus Platzgründen können wir aber hier nicht weiter darauf eingehen, vgl. dazu aber z.B. die Broschüre “Die Deutsch-Holländische Linke 1919-1933” S. 14 und 33 f.
5) Lenin Werke Bd. 31 S. 44 (Hervorhebungen im Original)
Das Problem an der Replik des Aufbaus besteht nicht darin, dass sie spät erfolgt, sondern dass sie nicht eingeht auf unsere Argumente, mit denen wir begründet haben, weshalb nicht nur die Gewerkschaftsbürokratie, sondern die Gewerkschaften als solche ca. seit dem Ersten Weltkrieg Apparate des Staates und somit gegen die Arbeiterklasse gerichtet sind.
In unserem Artikel in Weltrevolution 125 über die Veranstaltung des Aufbaus haben wir die mündliche Diskussion in ihren wesentlichen Zügen wiedergegeben und dabei aufgezeigt, dass die Gewerkschaften in der dekadenten Phase des Kapitalismus unweigerlich in den totalitären Staat integriert werden. “Die materielle Unmöglichkeit, Reformen zu erkämpfen, die nicht gleich wieder rückgängig gemacht werden, verwandelte die Gewerkschaften, die diese Reformfunktion hatten, notwendigerweise in Instrumente des Staatskapitalismus, der Bewahrung der herrschenden Ordnung, der Kanalisierung des Arbeiterwiderstands in Sackgassen. (...) Es ist also kein Zufall, wenn der Gewerkschaftsapparat heute als Teil der staatlichen Strukturen (z.B. im Parlament oder bei den paritätischen Kommissionen) erscheint. Dieser Schein entspricht der tatsächlichen Klassennatur der Gewerkschaften, und zwar nicht bloss der Gewerkschaftsbürokratie, sondern der Gewerkschaften insgesamt. (...) Wer die proletarische Revolution auf seine Fahnen geschrieben hat, muss deshalb die Arbeiter und Arbeiterinnen vor den Gewerkschaften warnen, und nicht kritisch von innen oder aussen diese Organe zu “verbessern” versuchen. Je “besser” sie sind, desto wirksamer für den kapitalistischen Staat.” (1)
Statt auf unsere Ausführungen inhaltlich zu antworten und wenigstens zu versuchen, sie zu widerlegen, beschränkt sich der Aufbau in seinem Artikel darauf, der IKS irgendwelche Etiketten anzudichten, die erstens mit der Realität und unseren Positionen nichts zu tun haben und zweitens eine durch und durch bürgerliche Geschichtsauffassung des Aufbaus offenbaren.
Was hat die Position der IKS zur Gewerkschaftsfrage mit Bordiga zu tun?
Der Aufbau meint, die Position der IKS gegen die Gewerkschaften und für die Selbstorganisierung der Arbeiter gehöre “nunmehr seit 80 Jahren zum von linksradikalen bordigistischen Positionen verbreiteten Unsinn”. Die Positionen Amadeo Bordigas, der laut Aufbau der “Urvater der IKS” sein soll, seien bereits mit Lenins Schrift Der ‚linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus (2) widerlegt worden.Anscheinend hat der Aufbau weder von den Positionen Bordigas noch von denjenigen der IKS eine grosse Ahnung. Denn Bordiga lehnte die Arbeit in den Gewerkschaften keineswegs ab; und die Bordigisten tun es bis heute nicht. Offensichtlich ist der Aufbau auch mit dem,, was Lenin geschrieben hat, nicht vertraut, denn sonst müsste er ja wissen, gegen wen dieser in den Kinderkrankheiten in der Gewerkschaftsfrage polemisierte. Die IKS ist zwar keineswegs gekränkt, wenn sie in die Tradition von Bordiga gestellt wird. Er war in der Tat ein Revolutionär, der bis 1926 zusammen mit der Mehrheit der italienischen KP vorbildlich gegen die Degenerierung der Kommunistischen Internationalen und der ihr angehörenden Parteien kämpfte, was denn auch der Grund dafür ist, dass der Name Bordiga für die Stalinisten ein rotes Tuch darstellt und auch für andere linkskommunistische Strömungen herhalten muss, die längst nicht alle seiner Positionen teilen.
In der Gewerkschaftsfrage vertrat Bordiga beispielsweise aus der Sicht der IKS eine falsche Auffassung. Die Positionen unserer Organisation gehen nicht auf ihn und die Italienische Linke in den 20er Jahren zurück, sondern auf andere Teile des Linkskommunismus, jener Tradition, die in den 20er und 30er Jahren in verschiedenen Ländern den Kampf gegen die Degenerierung der offiziellen “Kommunistischen” Parteien und den Stalinismus führte. Die Intervention der IKS in der Gewerkschaftsfrage stützt sich ab auf die deutsch-holländischen Linkskommunisten in den 20er, einen Teil der italienischen Fraktion in den 30er und vor allem auf die Positionen der Gauche Communiste de France in den 40er Jahren (3). Es waren diese Minderheiten in der Arbeiterbewegung, die trotz schwierigster Bedingungen der Konterrevolution nicht nur in ihrer Intervention in der Klasse am Internationalismus festhielten (was ebenfalls diejenigen taten, für die der Name Bordigisten zutrifft), sondern auch theoretisch die klarsten Lehren aus der Niederlage der weltrevolutionären Welle 1917-23 zogen. Zu diesen Lehren gehörte auch die Erkenntnis, dass der Eintritt des Kapitalismus in seine niedergehende Phase den Charakter der Gewerkschaften grundsätzlich verändert hatte.
Die Geschichte als Werk “grosser Männer”?
Es trifft zwar zu, dass Lenin in der vom Aufbau zitierten Broschüre die Position z.B. Anton Pannekoeks (der seinerzeit unter dem Pseudonym K. Horner schrieb) und der im Frühjahr 1920 gegründeten KAPD zur Gewerkschaftsfrage bekämpfte. Der Aufbau legt aber nicht dar, warum die Position Lenins richtig sein soll. Die Replik zitiert nur gerade einen Satz aus den Kinderkrankheiten. Dieser wiederum erschöpft sich inhaltlich in der Behauptung, dass die Ablehnung der Arbeit in den Gewerkschaften ein “lächerlicher, kindischer Unsinn” sei (4). Der Aufbau meint anscheinend, die Berufung auf Lenin sei genug, um die Richtigkeit irgendeiner Auffassung zu begründen. Für ihn ersetzt die Berufung auf Lenin die Argumentation.Nach dieser “Methode” müsste konsequenterweise und gestützt auf die gleiche Schrift Lenins auch die “Beteiligung an den bürgerlichen Parlamenten” befürwortet werden. Denn genau diese Idee verfocht Lenin in den Kinderkrankheiten ebenfalls, indem er beispielsweise schrieb, “dass die Beteiligung an den Parlamentswahlen und am Kampf auf der Parlamentstribüne für die Partei des revolutionären Proletariats unbedingte Pflicht ist, gerade um die rückständigen Schichten ihrer Klasse zu erziehen, gerade um die unentwickelte, geduckte, unwissende Masse auf dem Lande aufzurütteln und aufzuklären” (5). Auf diese und ähnliche Aussagen Lenins berufen sich heute die Trotzkisten, um ihre parlamentarische Politik zu rechtfertigen. Wenn für den Aufbau die Worte Lenins anscheinend so heilig sind, dass das Zitieren allein schon reicht, um die Richtigkeit einer Position nachzuweisen, müsste sich diese Gruppe eigentlich auch bald einmal am parlamentarischen Zirkus beteiligen.
Hinter dieser “Methode” der Berufung auf irgendwelche Zitate steht eine idealistische, d.h. bürgerliche Geschichtsauffassung, nach der der Lauf der Geschichte durch “die grossen Männer” bestimmt wird. Die Geschichte wird da personifiziert ganz so, wie es meist im Schulunterricht geschieht: als sei die Geschichte eine Abfolge ‚grosser‘ oder berüchtigter Namen und Ideen - Kant, Napoleon, Bismarck, Lenin, Hitler etc.
Mit diesem gängigen, quasi populären Geschichtsbild wird die herrschende Ideologie weiter zementiert. Der Aufbau vermittelt damit den Eindruck, dass es die Ideen dieser Gestalten seien, die die Massen und damit die Geschichte lenken. Es ist aber umgekehrt der materielle Kampf zwischen den Klassen, der den Gang der Geschichte bestimmt. Es sind zwar die Menschen, die die Geschichte machen, aber sie tun dies nicht aus freien Stücken, sondern als Teil einer Klasse im Rahmen der vorgefundenen gesellschaftlichen Bedingungen. Welche Rolle die Individuen dabei spielen, ist zwar nicht belanglos, aber hauptsächlich von den äusseren Umständen abhängig.
Ein bestimmter Name ist somit für sich allein noch lange kein Gütesiegel für die Unfehlbarkeit - diese kennt nicht nur der Katholizismus mit dem Papst sondern auch der Stalinismus bzw. Maoismus. Die Stärken der Arbeiterklasse bestehen einerseits in ihrer Einheit (v.a. der Interessen), andererseits in der Fähigkeit, ein Bewusstsein über die herrschenden Bedingungen und die Möglichkeit ihrer Umwälzung zu erlangen. Dieser Kampf um das Bewusstsein muss mit Argumenten geführt werden. Die Arbeiterklasse ist die erste revolutionäre Klasse der Geschichte, die ihr Ziel nur mit Bewusstsein durchsetzen kann. Dies erfordert einen dauernden Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen um Klarheit, einen Kampf, der als ein Ringen der Richtungen und Parteien miteinander geführt wird. Niemand kann uns dieses Nachdenken und Argumentieren abnehmen. Den Revolutionären kommt u.a. die Aufgabe zu, genau dieses Ringen um das klarst mögliche Bewusstsein über die gegenwärtigen Aufgaben zu stimulieren und voranzutreiben.
Was der Aufbau tut, ist das Gegenteil: Statt seine Auffassung zu begründen und zu argumentieren, die Leser und Leserinnen zum Nachdenken anzuregen, ruft er einen Namen an, der für Unfehlbarkeit stehen soll. Die Arbeiterklasse braucht für die Revolution nicht einen neuen religiösen Glauben, sondern eine Überzeugung, die auf Klarheit fusst und mit vernünftigen Argumenten verteidigt werden kann.
Politik des Aufbaus
Offensichtlich geht es dem Aufbau aber nicht darum, dass die Leute selber nachdenken. Vielmehr will er derjenige sein, der für die Arbeiter denkt, sie organisiert und ihnen sagt, wo es lang geht.Sein vorgetäuschtes Wohlwollen gegenüber “spontan im Widerstand entstandenen Strukturen der Selbstorganisation” ist somit bloss ein Lippenbekenntnis. In einem Artikel der gleichen Ausgabe des Aufbaus, der die Gewerkschaftsbürokratie der Unia kritisiert, sagt er offen, welche Politik er betreibt und welche Ziele er anstrebt: “Um grössere Streiks durchzuführen, wäre es von Nöten, Vertrauensleute aufzubauen, welche aus ihrem politischen und gewerkschaftlichen Bewusstsein heraus, die Arbeit der Funktionäre übernehmen und die entsprechenden Diskussionen in den Betrieben und auf den Baustellen aufnehmen.” (Aufbau Nr. 40 S. 5) Der Aufbau ist also nicht einmal grundsätzlich gegen die Gewerkschaftsbürokratie, sondern findet einfach, dass die falschen Funktionäre drin sind. Er möchte die entsprechenden Stellen mit seinen Leuten besetzen und selber die Kontrolle ausüben. Warum er im nächsten Satz meint, dass damit die Möglichkeit bestünde, “dass sich Streiks nicht mehr ganz so einfach durch die Gewerkschaften kontrollieren lassen würden”, begründet er nicht. Es gibt auch keine Begründung für diese Absurdität. Es ist genau umgekehrt: Der Staat braucht gerade in der heutigen Zeit der gärenden Kampfbereitschaft “radikalere” Gewerkschaften mit “Vertrauensleuten an der Basis” die früh genug merken, wenn es in den Reihen der Arbeiter brodelt, damit eben ja keine Streiks ausbrechen, die nicht von Anfang an von den Gewerkschaften kontrolliert werden.
Der Aufbau bietet sich genau für diese Aufgabe an. Sobald die Gewerkschaftsbürokratie oder gar die “gelben” Gewerkschaften insgesamt bei Teilen der Arbeiterklasse in Frage gestellt werden, wird der Aufbau zusammen mit den Trotzkisten und weiteren linksbürgerlichen Gruppen zu denjenigen gehören, die neue Gewerkschaften propagieren. Dies ist die Erfahrung, die die Arbeiter in den 70er und 80er Jahren insbesondere in Italien, Frankreich, Belgien und Grossbritannien machen mussten: Nach den offiziellen Gewerkschaften stellt die Bourgeoisie ihnen ein weiteres, scheinbar radikaleres Instrument in den Weg - die Basisgewerkschaften, Koordinationen, Shop Stewards etc., bis auch diese von den Arbeitern als Hindernis erkannt und aus dem Weg geräumt werden.
Wenn uns also der Aufbau unterstellt, wir würden uns “elegant um die politische Verantwortung drücken”, wenn wir nicht innerhalb der Gewerkschaften arbeiten, so entgegnen wir ohne Scham: Die Verantwortung dafür, die Arbeiter und Arbeiterinnen in Fallen zu locken und in Fesseln zu legen, lehnen wir in jedem Fall ab. Wir intervenieren umgekehrt nach unseren Kräften in der Klasse und stellen da die gemeinsamen, vereinheitlichenden Interessen des Proletariats und der Gesamtbewegung in den Vordergrund. N.P., 09.07.05
1) Zitat aus dem Artikel “Den Bock zum Gärtner machen?” in Weltrevolution 125; vgl. weiter dazu unsere Broschüre “Die Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse”
2) geschrieben im April/Mai 1920, veröffentlicht in Lenin Werke Bd. 31 S. 5 ff.
3) vgl. zum Linkskommunismus: “Kurze Geschichte des Linkskommunismus” unter und unsere Broschüren “Die Deutsch-Holländische Linke 1919-1933” und “Die Italienische Linke”
4) Der vom Aufbau zitierte Satz Lenins enthält zudem noch eine Stellungnahme gegen die Arbeiter-Unionen. Falls der Aufbau auch damit auf die IKS abzielte, müsste er einmal mehr belehrt werden: Voll daneben! Die IKS hat die Idee der Gründung von Arbeiter-Unionen (oder ähnlicher, letztlich doch wieder gewerkschaftsähnlicher Organisationen) immer kritisiert. Aus Platzgründen können wir aber hier nicht weiter darauf eingehen, vgl. dazu aber z.B. die Broschüre “Die Deutsch-Holländische Linke 1919-1933” S. 14 und 33 f.
5) Lenin Werke Bd. 31 S. 44 (Hervorhebungen im Original)