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Arbeitslose und Beschäftigte aller Länder:
Kämpft gegen die Logik des Kapitals!
Als 1989 die stalinistischen Regime Osteuropas fielen, brach damit einer der schlimmsten Feinde der Arbeiterklasse zusammen. Der Stalinismus: Das war die Konterrevolution in Russland und weltweit, welche die Arbeiterklasse im Namen des Sozialismus ausbeutete und massakrierte, welche im Namen des proletarischen Internationalismus den Einflussbereich des "sowjetischen" Imperialismus ausdehnte. Mehr als jede andere Lüge, welche die Kapitalistenklasse je verbreitet hat, trug die Behauptung, dass der Stalinismus irgend etwas mit Sozialismus oder mit der Sache der Arbeiterklasse zu tun habe, entscheidend dazu bei, das Prinzip des Klassenkampfes und die Perspektive einer klassenlosen, wirklich menschlichen Gesellschaft zu diskreditieren.
Trotzdem war 1989 kein Sieg der Arbeiterklasse, sondern eine Sternstunde der Ideologie der herrschenden Klasse. Zwar hatten die Arbeiter Osteuropas sich Jahrzehnte lang immer wieder gegen den Stalinismus erhoben. Bereits in den Arbeitslagern Stalins gab es riesige Erhebungen der Strafgefangenen. 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, 1970 und 1980 in Polen usw. fanden Massenstreiks der Arbeiter statt. Doch 1989 spielte die arbeitende Bevölkerung als Klasse, als eigenständige gesellschaftliche Kraft, überhaupt keine Rolle. Leider war es nicht das Proletariat, welches seinem Todfeind den Todesstoß gab. Der Stalinismus brach zusammen, u.a. weil seine besonders starre, bürokratische, ineffiziente Form des Staatskapitalismus im internationalen Konkurrenzkampf unterlegen war.
Als im Herbst 1989 die Bevölkerung Leipzigs auf die Straße ging, waren natürlich viele Arbeiter darunter. Doch der Ruf, welcher auf diesen ersten "Montagsdemos erklang, lautete: "Wir sind das Volk". Das bedeutet, dass man sich nicht als Lohnabhängige wehrte, indem man die eigenen wirtschaftlichen, materiellen Interessen mit politischen Forderungen wie der Befreiung der politischen Gefangenen oder dem Sturz des Regimes verband - wie dies 1953 in der DDR zumindest anfangs der Fall gewesen war. Statt dessen demonstrierte man als Bürger der bestehenden Gesellschaft, die Dinge einfordern, die in der bürgerlichen Gesellschaft eigentlich selbstverständlich sind, und im "Westen" längst jedem Bettler, der auch Staatsbürger ist, zugestanden werden: Reisefreiheit, "freie Wahlen" und dergleichen mehr. Das waren Forderungen, womit auch die Bundesregierung in Bonn oder die Bildzeitung sich anfreunden konnten. Sie reagierten darauf mit dem Versprechen von Wohlstand für alle Staatsbürger: "Deutschland einig Vaterland". So war es nur folgerichtig, dass auf den darauf folgenden "Montagsdemos" aus dem "Wir sind das Volk" die Parole: "Wir sind ein Volk" erwuchs. Der Nationalismus ist einer der Grundideologien der kapitalistische Gesellschaft. Es lässt glauben, dass alle Staatsbürger eines Landes, egal welcher Klasse sie angehören, gemeinsame Interessen haben und zusammen eben "das Volk" bilden. Damals, 1989, gaukelte man der Bevölkerung der DDR vor, sie könnten dem Abwärtssog der kapitalistischen Krise entrinnen, welche damals bereits nicht nur die sog. Dritte Welt, sondern auch Osteuropa auf furchtbare Weise mit sich riss, indem sie sich nicht als Arbeiter, sondern als Deutsche wehren.
1989, mit dem Bankrott des Stalinismus, erhielt die Idee, dass der Kommunismus und der Gedanke des Klassenkampfes "tot" seien, enormen Auftrieb. Die Arbeiterklasse existierte zwar weiterhin. Die Ausbeutung der Lohnarbeit blieb die Grundlage der Gesellschaft. Und die Arbeiter sahen sich weiterhin mit Lohnabbau und sozialer Unsicherheit konfrontiert. Aber man fühlte sich subjektiv nicht mehr als Arbeiter. So wehrte man sich in den Jahren nach 1989 nur wenig gegen die Angriffe des Kapitals. Und wenn man es tat, dann mit dem Gefühl, sich nicht als Teil einer Klasse, sondern als Krankenschwester oder Bergarbeiter, als "Wessi" oder als "Ossi" zu wehren. Sozusagen als eine berufsmäßige und regionale "Lobby", wie andere Lobbys in der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft auch. Neben dem Nationalismus ist die Demokratie die zweite Grundideologie des Kapitalismus. Soll heißen: wenn die Mehrheit der Einzelinteressen und Gruppenlobbys das Gefühl haben, sich nicht genügend Geltung verschaffen zu können, dürfen sie die Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen und die Regierung abwählen. "Wir sind das Volk!"
Die Kapitalistenklasse hat mit Leibeskräften mitgewirkt bei dieser Auflösung der Arbeiterklasse ins Volk. Und sie hat sich riesig darüber gefreut. Denn das Proletariat ist nur so lange machtlos, wie es die eigene Identität vergisst oder verliert. Wehrt sich das Proletariat aber als Ganzes, realisiert es die Gemeinsamkeit der Interessen aller Lohnabhängigen, entwickelt es seine Solidarität im Kampf als Vorbote einer künftigen Gesellschaft, die nicht mehr auf Konkurrenz, sondern auf menschlicher Gemeinschaft ruht, dann kann es eine gewaltige Kraft werden.
Doch seit 1989 haben sich die Zeiten geändert. Die kapitalistische Wirtschaftskrise hat sich derart verschärft, dass sich selbst in den hochentwickelten westlichen Industriestaaten eine wirkliche Massenarmut ausbreitet. Der Bankrott der kapitalistischen Produktionsweise beginnt sichtbar zu werden. Zur Zeit stehen zwei massive Angriffe im Mittelpunkt, welche sich gegen alle Lohnabhängigen richten. Der eine Angriff ist "Hartz", welcher die Erwerbslosen zum Paupers reduziert, und die Erpressbarkeit der Beschäftigten enorm erhöht. Der andere Angriff ist die Erpressung der Beschäftigten in den Großbetrieben der Metallindustrie, zunächst bei Siemens und Daimler, jetzt auch bei Opel und VW, um auf breitester Front immer längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich durchzusetzen und ähnliches durchzusetzen.
Diese Zuspitzung der Krise und die Massivität der Angriffe, welche sich gleichzeitig gegen alle Lohnabhängige richten, werden - über kurz oder lang -unweigerlich das Bewusstsein der Betroffenen wieder zum Leben erwecken, einer eigenen Klasse anzugehören, die mit dem Kapital in Feindschaft lebt, deren Lebensinteressen mit denen des Kapitals letztendlich unvereinbar sind. Der Kampf bei Daimler in diesem Sommer, wo die Arbeiter im Werk Bremen gegen ihre Kollegen in Stuttgart ausgespielt werden sollten, sich statt dessen aber mit diesen Kollegen solidarisierten, zeigt bereits das erste Aufkeimen eines solchen Klassenbewusstseins.
Um dies zu verhindern, versucht man jetzt, den Geist der Montagsdemos von 1989 wieder zu beleben. Wieder geistert die Parole "Wir sind das Volk" durch die Medien. Wieder soll sich das Prinzip des Klassenkampfes - Lohnarbeit gegen Kapital - in einen dumpfen, populistischen, nationalen und demokratischen Zusammenschluss der Ausbeuter mit den Ausgebeuteten auflösen.
Wir wissen: Die Forderungen der Montagsdemos von 2004 sind nicht mehr die von 1989. Die Forderung "Weg mit Hartz" ist eine wirkliche Klassenforderung, so fern sie jede Verschlechterung der Lebenslage der Lohnabhängigen ablehnt. Heute können die Herrschenden es nicht mehr verhindern, dass die Betroffenen sich gegen die Angriffe zu empören beginnen. Aber weitaus mehr als vor dieser Empörung fürchten sich die Herrschenden vor dem Klassenbewusstsein der Betroffenen. Empörung ohne Bewusstsein, ohne Verstand, lässt sich ohne weiteres missbrauchen. Die Arbeiter bei Daimler-Chrysler kämpften noch mit dem Bewusstsein, einen "Dammbruch" in der Frage der verlängerten Arbeitszeiten verhindern zu wollen und somit nicht nur für ihre eigenen Belange, sondern für die aller Arbeiter zu streiten. Mittels der Montagsdemos wird die berechtigte Empörung gegenüber der Hartz-Gesetzgebung missbraucht, und die gegenwärtigen, großen Schwierigkeiten der Erwerbslosen sich zu wehren, ausgenutzt, um Ressentiments zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen, v.a. aber zwischen Ost und West zu schüren sowie um einen dumpfen Nationalismus zu verbreiten. Statt Klassenkampf rückt der Wahlkampf in den Vordergrund. "Das Volk" darf durch "Protestwahlverhalten" seinen Unmut artikulieren. Für wen es stimmt, spielt dabei keine Rolle. Denn darin sind sich alle Staatsparteien einig: Der Standort Deutschland muss fit gemacht werden für den sinnlosen, zerstörerischen kapitalistischen Konkurrenzkampf. Und das kann immer nur geschehen auf Kosten der Lohnsklaven.
Durch eine letzte, "nationale" Demo in Berlin - die auch noch am 2. Oktober, also am Vorabend des "Tages der deutschen Einheit" stattfinden soll - sollen die Proteste gegen Hartz wahrscheinlich zu Grabe getragen werden. Es wäre wünschenswert, wenn damit auch die Illusionen absterben würden, dass man als Teil "des Volkes", im Schulterschluss mit den Lokalpolitikern etwa, oder mit dem Wahlzettel in der Hand etwas für die Arbeiter erreichen werden.
Am selben Tag wie in Berlin findet in den Niederlanden ebenfalls eine Großdemo gegen die brutale Streichung der Arbeitslosenunterstützung statt. Zur selben Zeit werden die Beschäftigten von VW und Opel ebenso brutal erpresst. Die Probleme, aber auch die Interessen der Arbeiter, sind überall die gleichen. Diese Interessen lassen sich tatsächlich längst nicht mehr mit denen des Kapitals vereinbaren. Die Solidarität der Arbeiterklasse muss alle Lohnabhängigen, ob beschäftigt oder erwerbslos, erfassen. Die Solidarität der Arbeiterklasse ist international. Sie muss die ganze Menschheit erfassen, indem sie für die Zukunft der Menschheit einsteht. Nur der gemeinsame Kampf aller Arbeiter kann die herrschende Klasse das Fürchten lehren sowie eine neue, solidarische Perspektive für die Gesellschaft eröffnen. 17.09.04