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Die Entfremdung der Arbeit ist die Vorbedingung für ihre Befreiung
Über die höheren Ziele des Kommunismus
Es wird oft
behauptet, daß Marx nie daran interessiert war, konkrete Pläne für die zukünftige
kommunistische Gesellschaft zu entwerfen. Das stimmt insofern, als im Gegensatz
zu den utopischen Kommunisten, aus deren Sicht der Kommunismus nur eine reine
Erfindung einiger aufgeklärter Geister war, Marx verstand, daß es nutzlos war,
detaillierte Pläne der Struktur und der Funktionsweise der kommunistischen Gesellschaft
zu entwerfen. Denn diese könnte nur hervorgehen aus einer massiven gesellschaftlichen
Bewegung, d.h. die praktische Lösung für die bislang nie dagewesene Aufgabe
der Schaffung einer Gesellschaftsordnung, die qualitativ höher stünde als alle
bisher dagewesenen. Aber diese sehr berechtigte Ablehnung, die wirkliche Bewegung
der Geschichte in die Zwangsjacke eines vorher aufgezeichneten Schemas
hineinzupressen, bedeutete nicht, daß Marx oder die marxistische Tradition im
allgemeinen kein Interesse daran gehabt hätte, die Endziele der Bewegung zu bestimmen.
Im Gegenteil. Dies ist eines der herausragenden Merkmale der Funktionen der
kommunistischen Minderheiten, denn sie "haben
theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die
Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung
voraus" (Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 474). Was
den Marxismus von allen Utopisten abhebt, ist nicht, daß die Marxisten keine
Auffassung vom allgemeinen Endziel hätten, sondern daß sie die wirkliche Verbindung
zwischen den Ergebnissen und den Bedingungen und der Bewegung, die dorthin
führt, aufzeigen. Mit anderen Worten: sie gründen ihre Auffassung von der
zukünftigen Gesellschaft auf eine tiefschürfende Analyse der bestehenden Gesellschaft,
daß z.B. die Forderung nach der Abschaffung der Marktwirtschaft nicht aus
irgendeiner rein moralischen Abneigung
gegen Kauf und Verkauf abgeleitet wird, sondern aus der Erkenntnis, daß
eine Gesellschaft, welche auf allgemeiner Warenproduktion ruht, dazu
gezwungen ist, unter dem Gewicht ihrer eigenen Widersprüche zusammenzubrechen,
daher die Notwendigkeit einer höheren Gesellschaftsform, in der Gebrauchswerte
produziert werden. Gleichzeitig entwickelt der Marxismus seine Auffassungen
über den Weg, die Bewegung hin zu dieser höheren Form aus den eigentlichen
Erfahrungen des Arbeiterkampfes gegen den Kapitalismus. Während somit der Ruf
nach der Diktatur des Proletariats schon am Anfang der marxistischen Bewegung
erhoben wurde, wurde die Gestalt, die diese Diktatur annehmen würde, viel
deutlicher durch die großen revolutionären Ereignisse in der Geschichte der
Arbeiterklasse präzisiert, insbesondere in der Pariser Kommune und in der
Oktoberrevolution.
Ohne eine allgemeine
Vorstellung von der Gesellschaft, die sie errichten will, würde die
kommunistische Bewegung blind sein. Anstatt die höchste Verkörperung dieser
einzigartigen menschlichen Fähigkeit des Planens zu sein, denn der Mensch kann
sich Baupläne in seinem Kopf ausdenken, bevor er sie in der Praxis umsetzt,
würde der Kommunismus nicht mehr sein als eine instinktive Reaktion gegen die
kapitalistische Misere. In seinem ständigen Kampf gegen die Herrschaft der
bürgerlichen Ideologie würde der Kommunismus keine Kraft besitzen, die Arbeiter
und all die anderen unterdrückten Schichten der Gesellschaft zu überzeugen,
daß ihre Hoffnung nur in der kommunistischen Revolution liegen kann. Und daß
die scheinbar unlösbaren Probleme innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft
nur durch die kommunistische Gesellschaft gelöst werden können. Und sobald die
revolutionäre Umwälzung in Gang gesetzt worden wäre, würde sie keinen
Gradmesser haben, um den Fortschritt in Richtung seines Endziels zu messen.
Und trotzdem dürfen
wir nicht vergessen, daß es einen Unterschied zwischen dem Endziel und den
"allgemeinen Resultaten" der Bewegung dorthin gibt. Wie schon gesagt,
ist letzteres einer ständigen Klärung durch die praktische Erfahrung der Klassenbewegung
unterworfen. Die Pariser Kommune stellte für Marx und Engels klar, daß das
Proletariat die alte Staatsmaschine zu zerstören hätte, bevor es seinen
eigenen Machtapparat errichten könnte. Das Auftauchen der Sowjets in den
Jahren 1905 und 1917 überzeugte Trotzki und Lenin, daß sie die "endliche
gefundene Form" der proletarischen Diktatur seien. Die höheren Ziele des
Kommunismus auf der anderen Seite müssen sehr allgemeine Schlußfolgerungen
sein, die solange nur eine Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft
bleiben, bis die wirkliche Bewegung der Klasse angefangen hat, sie praktisch
zu lösen. Dies stimmt umso mehr, weil die proletarische Revolution per Definition
zunächst eine politische und dann erst eine wirtschaftliche und gesellschaftliche
Umwälzung darstellt. Da die wirklichen Beispiele/Erfahrungen der Arbeiterrevolution
bislang nie weiter gegangen sind als bis zur
Eroberung der politischen Macht in einem
Land, beziehen sich die uns hinterlassenen Lehren hauptsächlich auf die
politischen Probleme der Formen und Methoden der proletarischen Diktatur (die
Beziehungen zwischen Partei, Klasse und Staat usw.). Nur in einem begrenzten
Maße verfügen wir über Orientierungsrichtlinien hinsichtlich der wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um die Grundlagen
für die kommunistische Produktion und Verteilung zu umreißen, wobei diese
auch nur meist negativ abgegrenzt werden können (z.B. die Erkenntnis, daß
Verstaatlichung nicht Vergesellschaftung bedeutet). Hinsichtlich der voll
entwickelten kommunistischen Gesellschaft, die nur nach einer mehr oder weniger
langen Übergangsperiode erscheinen wird, hat und konnte die historische Erfahrung
der Arbeiterklasse keinen qualitativen Durchbruch bei den Vorstellungen der
Kommunisten über solch eine Gesellschaft bringen.
Es ist deshalb kein
Zufall, daß die meist inspirierten und inspirierenden Beschreibungen der
höheren Ziele des Kommunismus zu Anfang des politischen Lebens von Marx
aufgezeichnet wurden. Diese wurden nämlich entwickelt, als Marx von der Sache
des Proletariats überzeugt wurde, und als er anfing, sich 1844 als Kommunist
zu bezeichnen. Diese ersten Vorstellungen, wie die Gesellschaft und die
Menschheit aussehen könnte, sobald die Fesseln des Kapitalismus und vorhergehender
Klassengesellschaften über Bord geworfen sein würden, wurden kaum in Marxens
späteren Schriften weiter präzisiert. Wir werden in Kürze auf das Argument
eingehen, demzufolge Marx diese ersten Definitionen als jugendlichen Leichtsinn
verwarf. Aber an dieser Stelle wollen wir nur unterstreichen, daß Marxens Vorgehensweise
gegenüber den Problemen mit seiner allgemeinen Methode vollkommen
übereinstimmt. Auf der Grundlage einer tiefgreifenden Kritik der Verarmung und
der Verunstaltung der menschlichen Tätigkeiten unter den vorherrschenden
gesellschaftlichen Bedingungen, zog er die Schlußfolgerung über die
notwendigen Maßnahmen, um diese Verkrüppelung zu verwerfen und zu überwinden.
Aber nachdem er die Endziele des Kommunismus umrissen hatte, kam es vor allem
darauf an, daß er sich in die entstehende
proletarische Bewegung stürzte, in das Getöse und den Tumult der politischen
und ökonomischen Kämpfe, die als einzige dazu in der Lage waren, sicherzustellen,
daß diese hochgesteckten Ziele zu einer Wirklichkeit wurden.
Die Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte - und die Kontinuität in Marxens Denken
Im Sommer 1844 lebte
Marx in Paris inmitten von zahlreichen kommunistischen Gruppierungen, die von
solch ausschlaggebender Bedeutung gewesen waren, daß sie ihn von der Sache
des Kommunismus überzeugten. Dort schrieb er die mittlerweile berühmt gewordenen
Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte, die er später auch als die Grundlagen
für die "Grundrisse" und "Das Kapital" selber bezeichnete.
In ihnen versuchte er, sich mit der politischen Ökonomie vom Standpunkt der
Ausgebeuteten aus zu beschäftigen. Auch stellte er erste Überlegungen über so
wichtige Fragen wie Lohn, Preis, Grundrente und die Akkumulation des Kapitals;
alles Themen, die später einen großen Platz in seinen Arbeiten einnehmen
sollten; obgleich er in seinen Einleitungsbemerkungen zu den Manuskripten
seinen Plan für eine umfangreiche Serie von "Broschüren"
aufzeichnete, von denen der Teil zur Wirtschaft nur der Anfang sein sollte. In
den gleichen Notizen unternahm Marx auch den ersten umfassenden Versuch, mit
der idealistischen Philosophie Hegels abzurechnen, die damals nicht mehr
nützlich war, nachdem neue Grundlagen durch das Auftauchen einer materialistischen
Theorie der geschichtlichen Entwicklung gelegt worden waren. Aber die
"Manuskripte" sind wahrscheinlich am meisten für ihre Abhandlung
des Problems der entfremdeten Arbeit bekannt und (vielleicht bislang nicht so
stark) für ihre Bemühungen, die Art gesellschaftlicher Tätigkeit zu
definieren, die diese in der zukünftigen Gesellschaft ersetzen würde.
Die
Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte wurden erst 1927 veröffentlicht. Mit
anderen Worten: während der wichtigsten revolutionären Periode in der Geschichte
der Arbeiterbewegung waren sie unbekannt. Ihre Veröffentlichung fand statt zu
einem Zeitpunkt, als die revolutionäre Welle, die die kapitalistische Welt in
den 10 Jahren nach 1917 erschüttert hatte, sich zum letzten Mal aufbäumte. 1927
kam es sowohl zur Niederlage der chinesischen Revolution als auch der linken
Opposition innerhalb der kommunistischen Parteien. Ein Jahr später kündigte
die Kommunistische Internationale ihren eigenen Bankrott durch die Verabschiedung
der berüchtigten "Theorie des Sozialismus in einem Land" an. Infolge
dieser Ironie der Geschichte war es die Bourgeoisie und nicht so sehr die Arbeiterbewegung,
die am meisten über die Ökonomisch-philosopischen Manuskripte und deren Bedeutung
sich geäußert hat. Insbesondere gab es eine Kontroverse in der akademischen
und linksbürgerlichen "Theorie" hinsichtlich des angeblichen Bruchs
zwischen dem "jungen" und "alten" Marx. Da Marx die
philosophischen Manuskripte nie selbst veröffentlichte, und da er in ihnen
Ausführungen gemacht hatte, die später nicht mehr erweitert wurden, wird von
einigen behauptet, daß die ÖPM einen unreifen, Feuerbachschen, sogar einen Hegelschen
Marx zeigen, der von dem späteren reifen und wissenschaftlicher arbeitenden
Marx entschieden verworfen wurde. Die Hauptvertreter dieser Richtung sind die
... Altstalinisten und vor allem dieser sehr obskure Althusser. Ihnen zufolge
gab Marx die Auffassung des menschlichen Wesens, so wie sie in den ÖPM entwickelt
worden war, und insbesondere den Begriff der Entfremdung auf.
Es sollte
offensichtlich sein, daß solche Auffassungen nicht vom Klassenwesen des Stalinismus
getrennt werden können. Die Kritik an der entfremdeten Arbeit in den ÖPM ist
eng verbunden mit einer Kritik an einem "Kasernenkommunismus", ein Kommunismus,
in dem die Gesellschaft zu einem abstrakten, lohnzahlenden Kapitalisten wird.
Es war eine Auffassung vom Kommunismus,
die von den damals sehr unreifen proletarischen Strömungen wie den Blanquisten
verbreitet wurde. Marx verwarf diese Auffassung vom Kommunismus in den ÖPM
insgesamt, denn aus seiner Sicht machte der Kommunismus nur einen Sinn, wenn
er die Unterdrückung der schöpferischen Fähigkeiten des Menschen beendete
und die Schinderei der Arbeit zu einer freien, Vergnügen bereitenden Aktivität
werden ließ. Die Stalinisten dagegen zeichnen sich dadurch aus, daß für sie
Sozialismus mit einer Gesellschaft der Entbehrung und schrecklichen Ausbeutung
gleichzusetzen ist, die wir von den Bedingungen in den Fabriken und den Arbeitslagern
in den sog. "sozialistischen Ländern" her kennen. Hier handelt es
sich nicht mehr um einen Ausdruck der "Unreife" der proletarischen
Bewegung, sondern es ist ein Ausdruck der voll entwickelten Konterrevolution.
Da entfremdete Arbeit natürlich in dem "real existierenden
Sozialismus" im Osten vorhanden war, überrascht es kaum, daß die Stalinisten
sich gegenüber dem ganzen Begriff überhaupt unwohl fühlen. Wir könnten hier
jetzt damit fortfahren, daß z.B. Marxens Auffassung über die eigentliche Beziehung
zwischen dem Menschen und der Natur in den ÖPM überhaupt nicht in Übereinstimmung
steht mit der ökologischen Katastrophe, die die Praxis des Stalinismus hier
an den Tag gebracht. Jedenfalls läuft all dies auf den gleichen Punkt
hinaus: die Auffassung vom Kommunismus, die in den ÖPM entwickelt worden war,
steht im direkten Gegensatz zu den Lügen vom "Sozialismus" der
Stalinisten, weil sie beide von unterschiedlichen Ausgangspunkten ausgehen.
Am entgegengesetzten
Ende des bürgerlichen politischen Spektrums haben auch verschiedene Varianten
des liberalen Humanismus, protestantische Theologen und eine ganze Heerschar
von Soziologen versucht, Marx in zwei Teile, zwei Abschnitte zu trennen.
Allerdings ziehen sie diesmal den warm-herzigen, romantischen, idealistischen
jungen Marx gegenüber dem kalten, materialistischen Autor des
"Kapitals" vor. Aber zumindest behaupten diese Leute nicht von sich,
Marxisten zu sein.
In einer Schrift aus
den 50er Jahren war Bordiga einer der wenigen Stimmen in der proletarischen
Bewegung, der versuchte, die ÖPM zu kommentieren. Und er verwarf diese künstliche
Spaltung: "Ein anderer weit verbreiteter
Gemeinplatz ist, daß Marx in seinen Jugendschriften ein Hegelianer gewesen
sei, und daß er erst später zu einem Theoretiker des historischen Materialismus
und mit zunehmenden Alter zu einem Vulgäropportunisten geworden sei(1)".
Gegenüber solchen Clichés verteidigte Bordiga zurecht die Kontinuität im
Denken von Marx, das sich wie ein roter Faden von dem Zeitpunkt an erkennen
läßt, als sich Marx der Sache des Proletariats anschloß. Aber bei seiner
Reaktion gegen die verschiedenen Theorien der damaligen Zeit, die entweder
versuchten, den Marxismus als überholt darzustellen, oder ihn mit verschiedenen
Zusätzen auch "aufzupäppeln" wie der Existentialismus, verwechselte
Bordiga diese Kontinuität mit dem "Monolithismus
des ganzen Systems von seiner Geburt bis zum Tod Marx und selbst danach (die
grundlegenden Konzepte der Invarianz, die grundlegende Verwerfung der
bereichernden Entwicklung der Parteidoktrin)" (ebenda). Diese Auffassung
läßt den Marxismus zu einem staatlichen Dogma wie dem Islam werden, denn aus
der Sicht eines wahren Moslems ist der Koran das Wort des Propheten, gerade
weil kein einziges Komma oder Punkt an den Geboten geändert wurden, seitdem sie
vom Propheten geschrieben wurden. Dies ist eine gefährliche Auffassung, die
dazu führt, daß die Bordigisten die "wirklichen Bereicherungen"
vergessen, die von der Strömung erarbeitet wurden, aus der sie hervorgegangen
waren - die Fraktion der Italienischen Kommunistischen Linken. Und sie sind
damit auf Positionen zurückgefallen, die seit dem Beginn des Niedergangs des
Kapitalismus vollkommen überholt sind. Gegenüber der hier erwähnten Schrift
ist dies fehlgegriffen. Wenn wir die ÖPM mit den Grundrissen vergleichen,
die gewissermaßen der 2. Entwurf der gleichen großen Arbeit waren, erscheint
die Kontinuität als ziemlich offensichtlich. Der Idee entgegentretend, daß
Marx das Konzept der Entfremdung aufgab, kann man sehen, daß sowohl das Wort
als auch das Konzept immer wieder in dieser Arbeit des "reifen Marx"
auftauchen, genauso wie im "Kapital" selber. Aber es gibt keinen Zweifel
daran, daß die Grundrisse eine Bereicherung gegenüber den ÖPM darstellen.
Z.B. werden einige grundlegende Fragen so wie der Unterschied zwischen Arbeit
und Arbeitskraft beleuchtet und auch das Geheimnis des Mehrwertes wird aufgeklärt.
Bei seiner Analyse des Problems der Entfremdung wird das Problem auch historisch
besser dargestellt als in den früheren Arbeiten, weil darin Bezug genommen
wird auf die Produktionsweisen, die dem Kapitalismus vorhergingen. Aus unserer
Sicht besteht die richtige Herangehensweise darin, sowohl die Kontinuität als
auch die schrittweise Bereicherung der "Parteidoktrin" hervorzuheben,
weil der Marxismus sowohl eine tiefe historische Tradition als auch eine lebendige
Methode ist.
Wir bleiben davon
überzeugt, daß das Konzept der Entfremdung wesentlich ist für die Ausarbeitung
einer kommunistischen Kritik an der gegenwärtigen Gesellschaft. Ohne eine
tiefgreifende Untersuchung des Problems, das wir hier zu lösen versuchen;
ohne zu begreifen, wie umfassend das Problem ist, kann man hier keine Lösung
formulieren. Deswegen werden wir hier Marxens Methode aus den ÖPM folgen, um
die Endziele der kommunistischen Umwälzung zu definieren, d.h. um die Umrisse
einer wirklich menschlichen Gesellschaft aufzuzeigen, müssen wir zunächst
verdeutlichen, wieweit der Mensch sich von der eigenen Menschheit entfernt hat.
Das Konzept der Entfremdung - vom Mythos zur Wissenschaft
Die Auffassung,
derzufolge sich der Mensch entfremdet und entfernt hat von der eigenen Macht
und Kraft, ist sehr alt. Aber in allen, dem Kapitalismus vorhergehenden Gesellschaften
mußte diese Auffassung notwendigerweise in mythischen oder religiösen Formen
erscheinen - insbesondere in dem Mythos der Vertreibung des Menschen aus einem
göttlichen Paradies, in dem er göttliche Kräfte besaß.
Dieser Mythos ist
älter als die Klassengesellschaften; er ist ein zentraler Punkt in den Auffassungen
und Praktiken der primitiven kommunistischen Gesellschaften. Die australischen
Ureinwohner z.B. glaubten, daß ihre Vorfahren die verschwenderischen,
schöpferischen Wesen der "Urzeit", der "Zeit der Träume"
waren, und daß seit dem Ende dieser mythischen Zeit die Macht und das Wissen
der Menschen stark zurückgegangen sind.
Wie die Religion, die
daraus hervorgeht, ist der Mythos sowohl ein Protest gegen Entfremdung als
auch ein Ausdruck derselben. Bei beiden projiziert der Mensch die Kräfte, die
tatsächlich ihm gehören, auf übernatürliche Wesen außerhalb seiner selbst.
Aber der Mythos ist die charakteristische Ideologie einer Gesellschaft vor
dem Entstehen von Klassenspaltungen. In dieser ungeheuer langen historischen
Epoche gab es die Entfremdung nur in einer sehr embryonalen Form. Die
brutalen Bedingungen des Überlebenskampfes brachten eine harte Herrschaft
des Stamms über das Individuum hervor mittels der unveränderten Gewohnheiten
und Traditionen, die von den mythischen Vorfahren entwickelt worden waren.
Aber dies ist noch keine Welt der Klassenherrschaft.
Ideologisch wird diese Lage durch einen zweiten Aspekt der "Zeit der
Träume" widergespiegelt: "Die Traumzeit" kann durch die gemeinsamen
Feste periodisch wiederhergestellt werden, und jedes Mitglied des Stamms
besitzt eine geheime Identität und Brücke mit den Urvorfahren. Kurzum der
Mensch fühlt sich noch nicht vollständig getrennt von seinen eigenen
schöpferischen Kräften und Mächten.
Mit der Auflösung der
primitiven Gemeinschaften und der Entwicklung der Klassengesellschaft
spiegelte sich der Beginn der eigentlichen Entfremdung in dem Auftauchen von
eng religiösen Auffassungen wider. In Gesellschaften wie dem alten Ägypten
und Mesopotamien wird die nach Außen gerichtete Form der alten zyklischen
Feste der Erneuerung aufrechterhalten. Aber die Massen werden nun zu bloßen
Beobachtern eines weit entwickelten Rituales, das von Priestern zelebriert
wird mit dem Ziel der Verherrlichung eines vergöttlichten Despoten. Somit war
ein Graben entstanden zwischen dem Menschen und den Göttern, der den wachsenden
Graben zwischen den Menschen selbst zum Ausdruck brachte.
In den
jüdisch-christlichen Religionen wird die zutiefst konservative zyklische Auffassung
der primitiven und asiatischen Gesellschaften ersetzt durch die revolutionäre
Idee, daß das Drama der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies und seiner
Erlösung eine ständige geschichtliche Weiterentwicklung ist. Aber parallel zu
dieser Entwicklung wurde der Graben zwischen dem Menschen und Gott nahezu
unüberwindbar. Gott befahl Adam, das Paradies Eden zu verlassen, gerade
aufgrund der Sünde, daß er versucht hatte, selbst auch ein göttliches Niveau zu
erreichen.
Innerhalb der
westlichen religiösen Traditionen entstand jedoch eine Reihe von esoterischen
und mystischen Strömungen, die die Vertreibung aus dem Paradies nicht so sehr
als eine Bestrafung der Menschen infolge des Ungehorsams gegenüber einer weit
entfernten Vaterfigur ansahen, sondern als einen dynamischen kosmischen
Prozeß, in der der ursprüngliche Geist "sich selbst vergessen"
hatte und in die Welt der Spaltung und der offensichtlichen Wirklichkeit eingezogen
war. Dieser Auffassung zufolge war die Entfremdung zwischen der geschaffenen
Welt und dem letzten Daseinsgrund keine absolute: für die entsprechend
gebildeten Menschen bestand weiterhin die Möglichkeit, sich an ihre verdeckte
Einheit mit dem "höchsten Geist" zu erinnern. Diese Auffassungen
wurden z.B. von den jüdisch-kabbalistischen Traditionen und ihren zahlreichen
christlichen, alchimistischen und esoterischen Ablegern vertreten. Es ist bezeichnend,
daß solche Strömungen - die sehr oft in den Bereich der Ketzerei, des Pantheismus
und Atheismus überwechselten- mit dem Zusammenbruch der feudalen katholischen
orthodoxen Welt immer einflußreicher wurden
und man brachte sie, wie Engels in "Die Bauernkriege in
Deutschland" aufzeigte, oft mit den subversiven gesellschaftlichen Bewegungen
in der Zeit des aufsteigenden Kapitalismus in Verbindung.
Es gibt sicher eine,
wenn auch wenig untersuchte Verbindung zwischen dem Denken Hegels und einiger
dieser esoterischen Traditionen, insbesondere in den Schriften eines radikalen Protestanten, der visionäre
Auffassungen hatte, und den Marx einmal als Jakob Boehme bezeichnete (6).
Aber Hegel war auch der am meisten fortgeschrittene Theoretiker der
revolutionären Bourgeoisie und somit ein Erbe der rationalisierenden
Philosophie der alten Griechen. Somit unternahm er einen großartigen Versuch,
das ganze Problem der Entfremdung von der Ebene des Mythos und des Mystizismus
herauszulösen und es wissenschaftlich zu stellen. Aus Hegels Sicht bedeutete
dies, daß das, was früher esoterisch und jeweils der geheime geistige Bereich
einer privilegierten Minderheit gewesen war, bewußt klar, deutlich und
kollektiv gemacht werden mußte: "Erst was vollkommen bestimmt ist, ist
zugleich esoterisch, begreiflich, und fähig, gelernt und das Eigentum Aller zu
sein. Die verständige Form der Wissenschaft ist der Allen dargebotene und für
Alle gleichgemachte Weg zu ihr" (Phänomenologie des Geistes, Vorrede S.
19, Frankfurt 1973, Hegel Werke, Bd. 2, 1832,1841). Hegel unternahm somit den Versuch, die Entfremdung
des Menschen von einem bewußt dialektischen und historischen Standpunkt aus
zu begreifen, und Marx rechnete es ihm sogar hoch an, daß er gewisse
Erkenntnisse über die Schlüsselrolle der Arbeit in der Selbstschöpfung, Selbstentstehung
des Menschen erreicht hatte. Und trotzdem, wie Marx Feuerbach folgend
hervorhob, macht das Hegelsche System nur ein oder zwei Schritte hin zur
Wissenschaft, bevor es wieder zurück in den Mystizismus verfällt. Man kann
schnell sehen, daß die Hegelsche Auffassung von der Geschichte "als die
Entfremdung von der absoluten Idee" eine Wiederholung der kabbalistischen
Vision des ursprünglichen kosmischen Falls ist. Dagegen war aus Marxens
Sicht das Problem nicht die Geschichte Gottes, sondern der "Natur, die
zum Menschen wurde", damit nicht der Übergang von einem ursprünglichen Bewußtsein
in den gewöhnlichen Bereich der Materie, sondern der materielle Aufstieg vom
unbewußten zum bewußten Sein.
Als Hegel sich mit
der Entfremdung als einem Aspekt der konkreten menschlichen Erfahrung
befaßte, wurde diese erneut zeit- und geschichtslos dargestellt, weil als eine
absolute Kategorie der menschlichen Beziehungen zu der äußeren Welt. Mit Marxens
Begriffen: Hegel verwechselte Vergegenständlichung, die menschliche Fähigkeit,
zwischen Subjekt und Objekt zu trennen - mit Entfremdung. Wenn also die Entfremdung
zwischen dem Menschen und der Welt überhaupt überwunden werden könnte, dann
könnte dies nur im abstrakten Bereich der "Gedanken", dem Bereich
der Welt der Philosophen geschehen, die aus Marxens Sicht nichts anderes als
eine Widerspiegelung der Entfremdung war. Aber Marx überließ das Konzept der
Entfremdung nicht den Hegelianern. Anstelle dessen versuchte er es auf die
materiellen Grundlagen zurückzuführen, indem er ihren Ursprung in der menschlichen
Gesellschaft ansiedelte. Feuerbach hatte erklärt, daß Hegels absolute Idee,
wie alle vorherigen Ausdrücke oder Erscheinungen Gottes in Wirklichkeit die
Vorstellungen des Menschen waren, der unfähig sei, seine eigene Macht zu
verwirklichen, da es sich um einen von sich selbst entfremdeten Menschen
handelte. Aber Marx ging weiter, als er die Tatsache anerkannte, daß "die weltliche Grundlage sich von sich
selbst abhebt und sich ein selbständiges Reich in den Wolken fixiert, ist eben
nur aus der Selbstzerrissenheit und dem Sichselbst-Widersprechen dieser
weltlichen Grundlagen zu erklären" (F. Engels, Redigierte Thesen von
Marx über Feuerbach" Nr. 4). Das Konzept der Entfremdung blieb für Marx
ein Schlüsselelement, denn es sollte zu einer Waffe bei seinem Angriff auf
die "weltliche" Basis, d.h. auf die bürgerliche Gesellschaft werden,
und vor allem gegen die bürgerliche politische Ökonomie. Mit dem siegreichen
Einzug der bürgerlichen Gesellschaft konfrontiert, mit all den "Wundern
des Fortschritts", die sie mit sich gebracht hatte, benutzte Marx das
Konzept der Entfremdung, um aufzuzeigen, was all dieser Fortschritt für die
wirklichen Produzenten des Wohlstands, die Arbeiter, Proletarier bedeutete.
Er zeigte, daß der wachsende Wohlstand der kapitalistischen Gesellschaft
tatsächlich die zunehmende Verarmung der Arbeiter mit sich brachte, nicht nur
deren physische Verarmung, sondern die Verarmung ihres ganzen "inneren Lebens". "Je mehr der Arbeiter sich ausarbeitet,
umso mächtiger wird die fremde, gegenständliche Welt, die er sich gegenüber
schafft, um so ärmer wird er selbst, seine innre Welt, um so weniger gehört
ihm zu eigen. Es ist ebenso in der Religion. Je mehr der Mensch in Gott
setzt, je weniger behält er in sich selbst. Der Arbeiter legt sein Leben in den
Gegenstand; aber nun gehört es nicht mehr ihm, sondern dem Gegenstand. Je größer
also diese Tätigkeit, umso gegenstandsloser ist der Arbeiter. Was das Produkt
seiner Arbeit ist, ist er nicht. Je größer also dieses Produkt, je weniger ist
er selbst. Die Entäußerung des Arbeiters in seinem Produkt hat die Bedeutung,
nicht nur, daß seine Arbeit zu einem Gegenstand, zu einer äußeren Existenz
wird, sondern daß sie außer ihm, unabhängig, fremd von ihm existiert und eine
selbständige Macht gegenüber ihm wird, daß das Leben, was er dem Gegenstand
verliehen hat, ihm feindlich und fremd gegenübertritt" (ÖPM, S. 77) (4)
Hier ist Marxens
Vorgehensweise eindeutig: gegen die Abstraktionen Hegels (die eine karikaturale
Form bei den Arbeiten der jungen Hegelianer um Bruno Bauer annahm) siedelte
Marx sein Konzept der Entfremdung in den "gegenwärtigen ökonomischen
Alltagstatsachen" an. Er zeigte auf, daß Entfremdung ein aus dem Lohnarbeitsverhältnis,
aus der kapitalistischen Welt nicht wegzuschaffendes und wegzudenkendes Teil
ist, was dazu führt, je mehr der Arbeiter produziert, desto mehr bereichert
er nicht sich selbst, sondern das Kapital, diese über ihm stehende fremde
Macht.
So hört die
Entfremdung auf ein bloßer Bewußtseinszustand zu sein, ein innewohnender
Aspekt der Beziehungen der Menschen zur Welt (in diesem Fall könnte sie nie
überwunden werden) und wird zu einem besonderen Produkt der menschlichen, geschichtlichen
Entwicklung. Die Entfremdung begann nicht mit dem Kapitalismus: die
Lohnarbeit, wie Marx in den "Grundrissen" aufzeigte, ist nur die
höchste und Endform der Entfremdung. Aber weil sie ihre höchst entwickelte
Form ist, liefert sie auch den Schlüssel für das Begreifen der Geschichte der
Entfremdung im allgemeinen, ebenso wie das Auftauchen der bürgerlichen
politischen Ökonomie es möglich machte, die ökonomischen Grundlagen der
vorherigen Produktionsformen zu untersuchen. Die Wurzeln der Entfremdung
werden unter den bürgerlichen Produktionsbedingungen offengelegt: sie fallen
nicht irgendwo aus den Wolken oder aus den Vorstellungen der Menschen
schlechthin, sondern sie liegen im Arbeitsprozeß, in den konkreten und praktischen
Beziehungen zwischen den Menschen untereinander und zwischen den Menschen und
der Natur. Nachdem dieser theoretische Durchbruch geschafft war, wurde es dann
möglich aufzuzeigen, wie die Entfremdung des Menschen bei der Arbeit nach Außen
in alle anderen Aktivitäten vordrang. Dadurch wird auch die Möglichkeit der
Untersuchung der geschichtlichen Ursprünge der Entfremdung und ihrer
Entwicklung in den vorhergehenden Gesellschaften möglich. Obgleich man betonen
muß, daß Marx und die marxistische Bewegung hier nur die Grundlagen für solch
eine Untersuchung geliefert haben, denn andere Aufgaben waren vorrangiger als
diese.
Die vier Gesichter der Entfremdung
Obgleich Marxens
Theorie der Entfremdung überhaupt keine "abgeschlossene" Auffassung
war, zeigten seine Schriften in den ÖPM, daß er keinesfalls darauf abzielte,
beim Konzept der Entfremdung irgendwelche Unklarheiten oder Unsicherheiten zu
belassen. In dem Kapitel über "entfremdete Arbeit" untersuchte er
deshalb das Problem sehr präzise, wobei er 4 unterschiedliche, aber
miteinander verbundene Aspekte der Entfremdung feststellte. Der erste Aspekt
ist der, der schon in dem vorherigen Zitat aus den ÖPM aufgegriffen wurde und
kurz an einer anderen Stelle wieder zusammengefaßt wird: "Das Verhältnis des Arbeiters zum Produkt der Arbeit als
fremden und über ihn mächtigen Gegenstand. Dies Verhältnis ist zugleich das
Verhältnis zur sinnlichen Außenwelt, zu den Naturgegenständen als einer fremden, ihm feindlich gegenüberstehenden Welt"
(ÖPM, S. 79).
Unter den Bedingungen
der Entfremdung werden die Produkte der menschlichen Arbeit gegen den Menschen
selbst gerichtet, und obgleich dies auch auf vorhergehende Formen der
Klassenausbeutung zutrifft, erreichte dies im Kapitalismus eine neue Stufe.
Der Kapitalismus ist nämlich eine völlig unpersönliche, unmenschliche Macht,
die von den Menschen selbst geschaffen wird, aber gleichzeitig deren Kontrolle
vollkommen entweicht und die ganze Gesellschaft immer wieder in katastrophale
Krisen stürzt. Diese Definition findet offensichtlich Anwendung auf den
unmittelbaren Ablauf der Produktion: Kapital - in Gestalt der Maschinen und
Technologie - beherrscht die Arbeiter, und anstatt seine Freizeit zu erhöhen,
wird seine Erschöpfung, der Verschleiß seiner Arbeitskraft nur verschärft.
Auch stellt die Kritik der Lohnarbeit, die per Definition entfremdete Arbeit
ist, sich all den Versuchen der Bourgeoisie entgegen, die beiden zu trennen.
Z.B. die trügerischen Themen, die in den 60er Jahren sehr populär waren, und
darauf abzielten, eine größere job satisfaction, Zufriedenheit mit der Arbeit
zu schaffen, indem die für die Fabrikarbeit typische extreme Spezialisierung
reduziert wurde durch die Schaffung von Arbeitsteams oder anderen
"Innovationen" dieser Art. Aus marxistischer Sicht ändert all dies
nichts an der Tatsache, daß die Arbeiter Gegenstände produzieren, über die sie
keine Kontrolle besitzen, und die nur dazu dienen, andere auf ihre Kosten zu
bereichern, und dies bleibt gültig, egal wie "gut" die Arbeiter
angeblich bezahlt sein sollen. Aber diese ganze Problematik erstreckt sich
viel weiter als der unmittelbare Produktionsprozeß. Es wird z.B. insbesondere
in der Zeit der kapitalistischen Dekadenz immer offensichtlicher, daß der gesamte
bürokratische und militärische Apparat des Kapitals ein solches Ausmaß erreicht
hat, daß er die Menschen wie eine große Dampfwalze erdrücken kann. Die Atombombe
verdeutlicht diese Tendenz am klarsten. In einer Gesellschaft, die von unmenschlichen
Kräften - nämlich dem Markt und der kapitalistischen Konkurrenz - regiert wird,
sieht es so aus, daß all das, was die Menschen produzieren, deren Kontrolle entweicht,
und daß die Menschen nunmehr von der Ausrottung bedroht sind. Das Gleiche
trifft im Kapitalismus zu hinsichtlich des Verhältnisses Mensch - Natur:
natürlich hat der Kapitalismus als solcher nicht die Entfremdung zwischen
Menschen und Natur geschaffen, denn dies hat viel tiefergreifende Ursprünge.
Aber er trieb diesen Graben auf seinen Höhepunkt. Indem die Feindschaft zwischen
dem Menschen und der Natur immer weiter ausgedehnt wurde, indem die ganze Welt
der Natur auf den Status einer Ware reduziert wurde, beinhaltet die Entwicklung
der kapitalistischen Produktion jetzt die Gefahr, daß unsere Lebensgrundlagen
zerstört werden. (siehe unsere Internationale
Revue, Nr.13, "Ökologie: Der Kapitalismus vergiftet die Erde")
Die von Marx
aufgegriffene zweite Dimension der Entfremdung zeigt "sich nicht nur im Resultat, sondern im Akt der Produktion,
innerhalb der produzierenden Tätigkeit selbst... Wenn also das Produkt der
Arbeit die Entäußerung ist, so muß die Produktion selbst die tätige
Entäußerung, die Entäußerung der Tätigkeit, die Tätigkeit der Entäußerung
sein.... Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu
seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern
verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und
geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist
ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in
der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er
arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig,
sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines
Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um die Bedürfnisse außer ihr zu
befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein
physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen
wird" (S. 78/79).
Jeder, der irgendeine
"normale" Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft gehabt hat,
aber vor allem jeder, der jemals in einer Fabrik gearbeitet hat, kann sich
in den oben zitierten Aussagen wiederfinden, es nachvollziehen und ebenso
nachempfinden. In einer kapitalistischen Gesellschaft, die seit langem ihre
Herrschaft über die Welt errichtet hat, wird die Tatsache, daß die Arbeit eine
verhaßte Sache für die große Mehrzahl der Menschheit ist, fast als ein
Naturgesetz dargestellt. Aber für Marx und den Marxismus war und ist dies
überhaupt nichts Natürliches. Bei früheren Produktionsformen (z.B. primitive
Gemeinschaftsarbeit, Handwerksarbeit) war diese Spaltung zwischen der
Handlung der Produktion und der Sinnesfreude noch nicht so weit entwickelt.
Dies war ein Beweis dafür, daß die vollständige Trennung, die das Kapital
herbeigeführt hat, eine historische war, aber kein natürliches Ergebnis. Sich
auf diese Erkenntnis stützend, vermochte Marx die wirklich "skandalöse"
Qualität dieser Situation, die durch die Lohnarbeit bewirkt worden war,
aufzudecken. Und dies führt zum nächsten Aspekt der Entfremdung: der
Entfremdung vom Gattungsleben.
Dieser 3. Aspekt der
Marxschen Theorie der Entfremdung ist sicherlich der tiefstgreifende und am
wenigsten verstandene. In dem Teil des gleichen Kapitels behauptet Marx, daß
der Mensch sich vom menschlichen Wesen entfremdet hat. Aus der Sicht
Althussers und anderer Kritiker des "jungen Marx" sind diese
Ideen ein Beweis dafür, daß die Manuskripte
von 1844 keinen entscheidenden Bruch mit Feuerbach und der radikalen Philosophie
im allgemeinen bedeuten. Wir stimmen damit nicht überein. Marx verwarf bei
Feuerbach den Begriff einer "festgeformten und unveränderlichen menschlichen
Natur". Da die Natur selbst nicht festgefügt und unveränderbar ist, wäre
es sicherlich eine theoretische Sackgasse, tatsächlich eine Form der
Abgötterei. Marxens Auffassung vom menschlichen Wesen entsprach dem überhaupt
nicht. Sie war im Gegenteil dialektisch. Der Mensch war noch ein Teil der
Natur. Die Natur war "der anorganische Körper des Menschen", wie er
es in einem Teil der ÖPM formulierte. Der Mensch war immer noch eine Schöpfung
der Instinkte, wie er es an einer anderen Stelle in der gleichen Arbeit umriß
(12). Aber der Mensch unterschied sich von allen anderen Schöpfungen der Natur
durch seine Fähigkeit, diesen Körper durch bewußte schöpferische Aktivitäten
umzuwälzen. Das tiefstgreifende menschliche Wesen, das Gattungswesen, wie
Marx es formulierte, bestand darin, daß der Mensch als Schöpfer, als Umwälzer
der Natur tätig werden konnte.
Vulgärkritiker des
Marxismus behaupten manchmal, daß er den Menschen auf den "homo
faber" reduzierte, der ein reines Arbeitstier, nur eine wirtschaftliche
Kategorie sei. Aber diese Kritiker werden durch die Charakteristiken der
Lohnarbeit verblendet. Als er den Menschen als einen bewußten Produzenten
darstellte, führte ihn Marx eigentlich zum "Tor des Paradies", denn
ist Gott nichts anderes als das entfremdete Bild des Menschen, des
schöpferischen Menschen? Für Marx war der Mensch nur ein Mensch, wenn er in
Freiheit produziert. Dagegen "produziert das Tier "nur unter der Herrschaft des unmittelbaren
physischen Bedürfnisses, während der Mensch selbst frei vom physischen Bedürfnis
produziert und erst wahrhaft produziert in der Freiheit von demselben"(S.
81).
Dies ist sicherlich
eine der radikalsten Aussagen, die Marx jemals machte. Während die
kapitalistische Ideologie meint, es sei
eine ewige Tatsache der Natur, daß Arbeit eine Form der geistigen und
körperlichen Folter sei, behauptete Marx, daß der Mensch nur ein Mensch wird,
nicht nur, indem er einfach produziert, sondern wenn er produziert aus reiner
Freude an der Produktion, wenn er frei ist von der Peitsche der unmittelbaren
physischen Bedürfnisse. Andernfalls führt der Mensch nur eine Existenz wie
ein Tier. Engels hob Jahre später den gleichen Punkt bei seiner Schlußfolgerung
seines Textes "Sozialismus - von der Utopie zur Wissenschaft", als
er sagte, daß der Mensch sich nicht wirklich vom Rest des Tierreiches unterscheidet,
solange er nicht in das Reich der Freiheit, die höchste Stufe der kommunistischen
Gesellschaft eingetreten ist.
Man könnte sogar
meinen, daß die entfremdete Arbeit den Menschen auf eine Stufe unterhalb der
Tierwelt herabdrückt: "Indem daher
die entfremdete Arbeit dem Menschen den Gegenstand seiner Produktion entreißt,
entreißt sie ihm sein Gattungsleben, seine wirkliche Gattungsgegenständlichkeit,
und verwandelt seinen Vorzug vor dem Tier in den Nachteil, daß sein
unorganischer Leib, die Natur, ihm entzogen wird.
Ebenso
indem die entfremdete Arbeit die Selbstätigkeit, die freie Tätigkeit, zum Mittel
herabsetzt, macht sie das Gattungsleben des Menschen zum Mittel seiner
physischen Existenz" (ÖPM S. 82)
Mit anderen Worten,
die Fähigkeit des Menschen zur bewußten Arbeit läßt ihn zum Menschen werden
und ist das, was ihn von allen anderen Schöpfungen unterscheidet. Aber unter
den Bedingungen der Entfremdung wird dieser Fortschritt zu einem Rückschritt.
Die Fähigkeit des Menschen, das Subjekt vom Objekt zu trennen, das ein
grundlegendes Moment in dem spezifisch menschlichen Bewußtsein ist, wird in
eine Beziehung der Feindschaft zur Natur, zu der sinnlichen objektiven Welt
pervertiert. Gleichzeitig hat die entfremdete Arbeit, insbesondere die
kapitalistische Lohnarbeit die grundlegendsten und die am meisten gepriesenen
Eigenschaften - seine spontanen, freien, bewußten Aktivitäten - zu einem bloßen
Überlebensinstrument werden lassen. Ja seine Aktivitäten sind zu etwas
geworden, die auf dem Markt gekauft und verkauft werden können. Kurzum das
"Normale" der Arbeit im Kapitalismus wird zur höchstentwickelten
Verzerrung und Verunstaltung des menschlichen Gattungswesen.
Der vierte Aspekt der
Entfremdung geht direkt aus den vorherigen drei hervor. "Eine unmittelbare Konsequenz davon, daß der
Mensch dem Produkt seiner Arbeit, seiner Lebenstätigkeit, seinem Gattungswesen
entfremdet ist, ist die Entfremdung des Menschen von dem Menschen. Wenn der
Mensch sich selbst gegenübersteht, so steht ihm der andere Mensch
gegenüber." (ÖPM, S. 82)
Die Entwicklung der
Arbeit in ihrer voll ausgereiften Form beinhaltet ein Ausbeutungsverhältnis:
die Aneignung der Mehrarbeit durch eine herrschende Klasse. In den ersten Klassengesellschaften
(Marx erwähnte Ägypten, Indien, Peru; Beispiele, die er später als asiatische
Produktionsformen einstufte) waren ungeachtet der Tatsache, daß dieser
Mehrwert formell Göttern geweiht war, die wirkliche fremde Macht, die über die
Arbeit der Ausgebeuteten herrschte, keine Götter, sondern Menschen.
"Das
fremde Wesen, dem die Arbeit und das Produkt der Arbeit gehört, in dessen
Dienst die Arbeit und zu dessen Genuß das Produkt der Arbeit steht, kann nur
der Mensch selbst sein" (ÖPM, S. 83)
Diese grundlegende
Spaltung im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens schuf unvermeidbar eine
grundlegende Entfremdung der Menschen untereinander. Vom Standpunkt der herrschenden
Klassen in irgendeiner Klassengesellschaft sind die Erzeuger des Wohlstands,
die Ausgebeuteten jeweils nur Kräfte, jeweils nur ein Gut, die nur zu ihrem
Nutzen bestehen (obgleich man hier wieder sagen muß, daß nur unter dem Kapitalismus
diese Entfremdung ihren Höhepunkt erreicht hat, da in dieser Produktionsform
die Ausbeutungsverhältnisse ihren an Personen gebundenen Charakter verlieren
und ausschließlich zu unmenschlichen und mechanischen Verhältnissen
werden). Vom Standpunkt der ausgebeuteten
Klasse werden die Herrscher der Gesellschaft auch hinter einem Nebel von
Verschleierungen versteckt, die einmal als "Götter", ein andermal als
"Teufel", je nach den Umständen erscheinen. Erst als das
proletarische Klassenbewußtsein entstand, das ja die Verwerfung aller
ideologischen Formen der Wahrnehmung ist, wurde es der ausgebeuteten Klasse
möglich, ihre Ausbeuter in einem klaren Licht zu erkennen, nämlich als reine
Ergebnisse der gesellschaftlichen und historischen Beziehungen (2).
Aber diese Spaltung
wird nicht auf das direkte Verhältnis zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten
beschränkt. Aus Marxens Sicht ist das Typische der Gattung Mensch kein isoliertes
Wesen, das in jedem einzelnen Individuum enthalten ist, sondern es ist das Gemeinwesen.
Dies ist ein Schlüsselbegriff, der zeigt, daß das menschliche Wesen zutiefst
gesellschaftlich ist, und daß das Gemeinwesen die einzig wirkliche Existenzform
ist. Der Mensch ist kein isolierter, individueller Erzeuger. Per Definition
ist er ein gesellschaftlicher, kollektiver Produzent. Dennoch - dieses Element
wird in den Grundrissen besonders ausführlich entwickelt -kann man die Geschichte
der Menschen seit Stammeszeiten als eine fortgesetzte Auflösung der
ursprünglichen gesellschaftlichen Verbindungen ansehen, die die ersten
menschlichen Gemeinschaften zusammenhielten. Diese Entwicklung ist eng
verbunden mit der Entfaltung der Warenbeziehungen, denn diese sind vor allem
der auflösende Faktor der Existenz einer Gemeinschaft. Dies konnte man schon
in den Zeiten der Antike beobachten, in denen das bis dahin unerreichte Wachsen
der Handelsbeziehungen die alten Gentilverbindungen untergraben hatte und in
der Gesellschaft eine Entwicklung des Krieges, einen Kampf, wo "Jeder
gegen Jeden" antritt emporsprießen ließ. Diese Tatsache wurde von Marx
schon sehr früh wie z.B.in seiner Doktorarbeit über die griechische Philosophie
hervorgehoben. Aber die Vorherrschaft der Warenbeziehungen erreichte ihren
Höhepunkt natürlich erst im Kapitalismus, der ersten Gesellschaft, in der die
Warenbeziehungen sich im eigentlichen
Herzen des gesellschaftlichen Organismus voll ausbreiteten. Dieser Aspekt der
kapitalistischen Gesellschaft als die Gesellschaft des weltweiten,
universellen Egoismus, in der die Konkurrenz einen Graben zwischen den Menschen
entstehen läßt, wodurch jeder mit jedem kämpft, war insbesondere schon in der
frühen Schrift "Zur Judenfrage" aufgeworfen worden, in der Marx
seine erste Kritik an der bürgerlichen Auffassung einer rein politischen
Befreiung äußerte. "Keines der sogenannten
Menschenrechte geht also über den egoistischen Menschen hinaus, über den Menschen,
wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich auf sich, auf sein
Privatinteresse und seine Privatwillkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen
abgesondertes Indivdiuum ist. Weit entfernt, daß der Mensch in ihnen als Gattungswesen
aufgefaßt wurde, erscheint vielmehr das Gattungsleben selbst, die
Gesellschaft, als ein den Individuuen äußerlicher Rahmen, als Beschränkung
ihrer ursprünglichen Selbständigkeit" (Zur Judenfrage, MEW Bd. 1, S.
366)
Diese Atomisierung
des Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft ist ein unabdingbarer Schlüssel
zur Untersuchung all der gesellschaftlichen Fragen, die außerhalb des unmittelbaren
Produktionsprozesses liegen: das Verhältnis zwischen den Geschlechtern und der
Institution der Familie, das Phänomen der "Einsamkeit der Massen",
das so viele Soziologen vor Rätsel gestellt hat und das so charakteristisch
zu sein scheint für die Zivilisation dieses Jahrhundert und im allgemeinen der
ganze Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen. Aber sie hat auch eine
direkte Auswirkung für den Kampf des Proletariats, denn sie ist von Bedeutung
für die Art und Weise, wie der Kapitalismus das Proletariat selbst spaltet und
jeden Arbeiter zu einem Konkurrent gegenüber den anderen werden läßt; wodurch
die in dem Proletariat innewohnende Tendenz zur Vereinigung bei der Verteidigung
seiner gemeinsamen Interessen gegen die kapitalistische Ausbeutung geschwächt
wird.
Das Phänomen der
Atomisierung ist besonders heute sehr weit entwickelt, d.h. in der Endphase
der kapitalistischen Dekadenz, der Phase des allgemeinen Zusammenbrechens der
gesellschaftlichen Beziehungen. Wie wir in zahlreichen anderen Texten (3)
hervorgehoben haben, wird diese Phase vor allem geprägt durch die Flucht in
den Individualismus und ein Verhalten des "jeder für sich selbst",
und durch Verzweiflung, Selbstmord, Drogenabhängigkeit, Wahnsinn usw., ein
Ausmaß wie noch nie zuvor in der Geschichte angenommen haben. In dieser Phase
der Gesellschaft, deren Motto Thatchers Parole "eine Gesellschaft gibt es
nicht, es gibt nur Individuen und deren Familien" ist tatsächlich - wie
die blutigen Ereignisse in der ehemaligen Sowjetunion beweisen - die eines
weltweiten Kannibalismus, in der Massen von Menschen in die irrationalsten
und mörderischsten Konflikte, Pogrome, Bruderkämpfe und Kriege getrieben werden.
Dadurch entsteht eine direkte Bedrohung für die Zukunft der Menschheit
selbst. Es ist überflüssig zu sagen, daß die Wurzeln dieser Irrationalität in
der Entfremdung, d.h. im Herzen der bürgerlichen Gesellschaft selbst zu
suchen sind, und daß ihre Lösung nur in deren Zentrum durch eine radikale Änderung
der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse selbst liegt.
Die Entfremdung der Arbeit ist die Voraussetzung für die Befreiung
Wir dürfen nicht
vergessen, daß Marx die Theorie der Entfremdung nicht entwickelte, um die
Armut, die er um sich herum sah, zu bejammern, oder die Geschichte der Menschheit
so wie es viele Arten des "wahren" und feudalen Sozialismus taten,
als eine bedauernswerten Sturz aus dem ursprünglichen Zustand des Reichtums
darzustellen. Aus Marxens Sicht war die Entfremdung des Menschen das notwendige
Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung, und als solches behielt sie
schon in sich den Keim für ihre eigene Überwindung: "Auf diese absolute Armut mußte das menschliche Wesen reduziert werden,
damit es seinen inneren Reichtum aus sich herausgebäre" (ÖPM, S. 103).
Aber die Schaffung dieses äußeren Wohlstands, der außerhalb der Reichweite
und des Zugriffs derjenigen liegt, die ihn auch geschaffen haben, macht es damit
auch für den Menschen möglich, daß sie aus der Entfremdung in das Reich der
Freiheit hinübertreten. Wie Marx es in den Grundrissen formulierte: "Daß die äußerste Form der Entfremdung,
worin, im Verhältnis des Kapitals zur Lohnarbeit, die Arbeit, die produktive
Tätigkeit zu ihren eigenen Bedingungen und ihrem eigenen Produkt erscheint,
ein notwendiger Durchgangspunkt ist, und daher an sich, nur noch in verkehrter,
auf den Kopf gestellter Form schon enthält die Auflösung aller bornierten
Voraussetzungen der Produktion, und vielmehr die unbedingten Voraussetzungen
der Produktion schafft und herstellt, daher die vollen materiellen Bedingungen
für die totale, universelle Entwicklung der Produktivkräfte des Individuums..."(Grundrisse,
S. 422) (5)
Hier muß man zwei
Aspekte beachten: erstens in Anbetracht der bislang unerreichten Produktivität
der Arbeit, die in der kapitalistischen Produktionsweise verzeichnet wird,
kann der alte Traum von einer Gesellschaft des Überflusses, in der alle Menschen
und nicht nur einige wenige Privilegierte das Vergnügen haben, sich der
"totalen, universellen Entwicklung" ihrer schöpferischen Kräfte zu
widmen, aufhören ein Traum zu sein, um Wirklichkeit zu werden. Aber die
Möglichkeit des Kommunismus ist nicht nur eine Frage einer rein technischen
Möglichkeit. Sie ist vor allem eine gesellschaftliche Möglichkeit, die sich
entwickelt hat aufgrund der Existenz einer Klasse, die ein materielles
Interesse daran hat, daß diese Möglichkeit verwirklicht wird. Und hier zeigt
Marxens Theorie der Entfremdung ebenfalls, daß sowohl trotz und aufgrund der
Entfremdung, unter der das Proletariat in der bürgerlichen Gesellschaft
leidet, das Proletariat gezwungen ist, gegen seine Existenzbedingungen Sturm
zu laufen: "Die besitzende Klasse
und die Klasse des Proletariats stellen dieselbe menschliche Selbstentfremdung
dar. Aber die erste Klasse fühlt sich in dieser Selbstentfremdung wohl und
bestätigt, weiß die Entfremdung als ihre eigene Macht und besitzt in ihr den
Schein einer menschlichen Existenz; die zweite fühlt sich in der Entfremdung
vernichtet, erblickt in ihr ihre Ohnmacht und die Wirklichkeit einer unmenschlichen
Existenz. Sie ist, um einen Ausdruck von Hegel zu gebrauchen, in der
Verworfenheit die Empörung über diese Verworfenheit, eine Empörung, zu der sie
notwendig durch den Widerspruch ihrer menschlichen Natur mit ihrer Lebenssituation,
welche die offenherzige, entschiedene, umfassende Verneinung dieser Natur ist,
getrieben wird" (Marx & Engels, "Die heilige Familie", IV.
Kapitel, S. 37, MEW Bd 2).
Die Theorie der
Entfremdung ist nichts, wenn sie keine Theorie des Klassenwiderstandes ist,
eine Theorie der Revolution, der historischen Kämpfe für den Kommunismus. Im
nächsten Artikel werden wir uns mit den ersten Umrissen einer kommunistischen
Gesellschaft befassen, die Marx aus dieser Kritik an der kapitalistischen
Entfremdung "ableitete".
CDW
(1) Bordiga, "Kommentare zu den Manuskripten von
1844", in "Bordiga und die
Leidenschaft des Kommunismus", von Jacques Camatte, Edition
Spartacus , 1974,),
(2) siehe
insbesondere Lukacs "Geschichte und Klassenbewußtsein" sowie die Broschüre
der IKS "Klassenbewußtsein und kommunistische Organisationen"
(3) siehe
"Zerfall - die letzte Phase der kapitalistischen Gesellschaft" in
Internationale Revue Nr. 13
(4) Marx-Engels
Studienausgabe II, Frankfurt 1966,
(5) Grundrisse, MEW
42,