Die russische Erfahrung: Privateigentum und Gemeineigentum (Internationalisme, 1946)

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Einleitung


Den Artikel, den wir hier wiederveröffentlichen, wurde von der Gruppe "Kommunistische Linke Frankreichs" (GCF) in der Zeitschrift INTERNATIONALISME, Nr. 10 im Mai 1946, veröffentlicht. INTERNATIONALISME faßte sich als Fortsetzung von BILAN und OCTOBRE auf, die von der internationalen kommunistischen Linken vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht worden waren. Doch INTERNATIONALISME ist keine simple Fortsetzung von BILAN; sie geht vielmehr über letztere hinaus.
Die russische Frage stand Anfang der 30er Jahre im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen und Diskussionen im politischen Milieu des Proletariats, und diese Debatte intensivierten sich noch während des Kriegs und in den ersten Nachkriegsjahren. Grob gesagt, schälten sich vier voneinander abweichende Analysen in diesen Debatten heraus:
1) Jene, die den proletarischen Charakter der Oktoberrevolution 1917 wie auch der bolschewistischen Partei leugneten und für die die russische Revolution lediglich eine bürgerliche Revolution war. Die Hauptvertreter dieser Analyse waren Gruppen, die sich auf die rätekommunistische Bewegung beriefen, insbesondere auf Pannekoek und die holländische Linke.
2) Am anderen Ende finden wir die Linksopposition Trotzkis, aus deren Sicht Rußland trotz der konterrevolutionären Politik des Stalinismus die Haupterrungenschaften der proletarischen Oktoberrevolution behütet: Enteignung der Bourgeoisie, Verstaatlichung und Planwirtschaft, Außenhandelsmonopol. Folglich bleibe das Regime in Rußland ein degenerierter Arbeiterstaat und müsse als solcher jedesmal verteidigt werden, wenn er in einen bewaffneten Konflikt mit anderen Mächten gerät. Es sei die Pflicht des russischen und des Weltproletariats, ihn bedingungslos zu verteidigen.
3) Eine dritte, gegen diese bedingungslose Verteidigung gerichtete Position stützte sich auf eine Analyse, derzufolge das Regime in Rußland, ähnlich wie sein Staat,  "weder kapitalistisch noch proletarisch" sei, sondern ein "kollektivistisches, bürokratisches Regime". Diese Analyse wollte eine Ergänzung zur marxistischen Alternative - kapitalistische Barbarei oder proletarische Revolution für eine sozialistische Gesellschaft - sein. Jetzt sollte ein dritter Weg hinzukommen, eine neue Gesellschaft, die vom Marxismus nicht vorhergesehen worden sei, die antikapitalistische, bürokratische Gesellschaft (1). Diese dritte Strömung fand ihre Anhänger in den Reihen der Trotzkisten vor und während des Krieges, die 1948 mit dem Trotzkismus brachen, um die Gruppe "Socialisme ou Barbarie" unter der Führung von Castoriadis alias "Chaulieu" (2) zu gründen.
4) Die italienische Faktion der internationalen kommunistischen Linken bekämpfte energisch die abwegige Theorie einer "dritten Alternative", die eine "Korrektur", eine "Erneuerung" des Marxismus zu liefern vorgab. Aber weil sie keine eigene zutreffende Analyse der Wirklichkeit des dekadenten Kapitalismus anbieten konnte, zog sie es vor, auf dem festen Boden der klassischen Formel zu verbleiben: Kapitalismus = Privateigentum; Einschränkung des Privateigentums = Marsch in den Sozialismus, was sich hinsichtlich des russischen Regimes in einer anderen Formel ausdrückte: Fortbestehen des degenerierten Arbeiterstaates mit einer konterrevolutionären Politik und Nicht-Verteidigung Rußlands im Kriegsfall.
Diese widersprüchliche, hybride Formel, die allen möglichen gefährlichen Konfusionen Tür und Tor öffnete, hatte schon am Vorabend des Krieges große Kritik innerhalb der italienischen Fraktion hervorgerufen, aber diese Kritik war durch eine noch dringendere Frage verdrängt worden, nämlich die Perspektive des Ausbruchs des allgemeinen imperialistischen Kriegs, die von der Führung der Fraktion abgestritten wurde (Vercesi-Tendenz).
Die Diskussion über den Klassencharakter des stalinistischen Rußlands wurde während des Krieges von der italienischen Fraktion wiederaufgegriffen, die sich 1940 in Südfrankreich rekonstituiert hatte (diese Rekonstitution fand ohne die Vercesi-Tendenz statt, die - im Namen der Theorie des Verschwindens der Arbeiterklasse als gesellschaftliche Kraft in diesem Krieg - jede Möglichkeit der Existenz und des Lebens einer revolutionären Organisation bestritt). Diese Diskussion hat schnell kategorisch alle Zweideutigkeiten und Scheinbeweise verworfen, die in der Position über den degenerierten Arbeiterstaates enthalten waren, welche von der Fraktion vor dem Krieg vertreten wurde, und sie hat dies mit ihrer Analyse des stalinistischen  Staates als Produkt des Staatskapitalismus klar dargelegt. (3)
Doch es war vor allem die GCF, die ab 1945 in ihrer Zeitschrift INTERNATIONALISME den Begriff des Staatskapitalismus in Rußland vertiefte und erweiterte, indem sie ihn in die globale Sichtweise einer allgemeinen Tendenz des Kapitalismus in seiner Dekadenzperiode integrierte.
Der Text, den wir nun wiederveröffentlichen, gehört zu den zahlreichen Texten von INTERNATIONALISME, die sich den Problemen des Staatskapitalismus widmeten. Der Artikel hat die Frage längst nicht erschöpfend behandelt, aber mit seiner Veröffentlichung wollen wir, neben seiner unbestrittenen Bedeutung, die Kontinuität und die Entwicklung der Ideenwelt und der Theorie in der Bewegung der internationalen kommunistischen Linke aufzeigen, auf die wir uns berufen.
INTERNATIONALISME machte endgültig Schluß mit dem "Mysterium" des stalinistischen Staates in Rußland, indem sie die allgemeine historische Tendenz zum Staatskapitalismus herausgestellte, dessen Bestandteil der stalinistische Staat war. Es zeigte ebenso die Besonderheiten des russischen Staatskapitalismus auf, die, weit entfernt davon, Ausdruck "eines Übergangs von der formellen Herrschaft zur reellen Herrschaft des Kapitalismus" zu sein, wie es dummerweise unsere Dissidenten von der EFIKS tun, ihre Ursachen in der Tatsache haben, daß sie aus dem Tiumph der stalinistischen Konterrevolution hervorgegangen waren, nachdem die Oktoberrevolution die alte bürgerliche Klasse vernichtet hatte.
Aber INTERNATIONALISME hatte nicht die Zeit, ihre Analyse des Staatskapitalismus weiter voranzutreiben und insbesondere die objektiven Grenzen dieser Tendenz aufzuzeigen. Obgleich INTERNATIONALISME schrieb: "Die ökonomische Tendenz zum Staatskapitalismus, die innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft nicht in einer Vergesellschaftung und Kollektivierung zum Abschluß gelangen kann, bleibt dennoch eine sehr reelle Tendenz..." (INTERNATIONALISME, Nr. 9), hat sie die Analyse der Gründe, der Grenzen nicht vorangetrieben, die diese Tendenz daran hindern, "zum Abchluß zu kommen". Es blieb der IKS vorbehalten, diese Frage innerhalb des von INTERNATIONALISME skizzierten Rahmens anzugehen.
Es ist an uns zu demonstrieren, daß der Staatskapitalismus, weit entfernt davon, die unüberwindbaren Widersprüche der Dekadenzperiode zu lösen, nur noch neue Widersprüche hinzufügt, neue Faktoren, die die Lage des Weltkapitalismus letztlich verschlechtern. Einer dieser Faktoren ist die Schaffung einer immer größeren Masse von unproduktiven und parasitären Schichten, einer Verantwortungslosigkeit von immer mehr Staatsbediensteten, deren Aufgabe es paradoxerweise ist, die Wirtschaft zu führen, zu orientieren und zu verwalten.
Der kürzliche Zusammenbruch des stalinistischen Blocks, die Vervielfachung von Korruptionsskandalen, die in allen Staatsapparaten weltweit herrschen, liefern den Beweis, daß die "Parasitisierung", um es mal so zu sagen, die ganze herrschende Klasse ergriffen hat. Es ist unbedingt notwendig, diese Forschungsarbeit fortzusetzen und die Tendenz zum Parasitismus, zur Verantwortungslosigkeit all dieser hohen Funktionäre zu verdeutlichen, eine Tendenz, die sich unter der Herrschaft des Staatskapitalismus beschleunigt.
MC

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Es gibt überhaupt keine Zweifel mehr: all die positiven Errungenschaften und noch mehr die negativen Lehren aus der ersten Erfahrung der proletarischen Revolution stellen die Grundlage der modernen Arbeiterbewegung dar. Solange die Bilanz dieser Erfahrung nicht gezogen wird, solange ihre Lehren nicht erhellt und assimiliert werden, werden die revolutionäre Avantgarde und die Arbeiterklasse dazu verurteilt sein, auf der Stelle zu treten.
Selbst indem man das Unmögliche für möglich hält, d.h. daß das Proletariat durch ein Zusammenspiel von glücklichen Umständen die Macht an sich reißt, könnte es diese unter diesen Bedingungen nicht halten. Innerhalb kürzester Zeit würde es die die Kontrolle über die Ereignisse verlieren, und die Revolution würde umgehend auf den Weg zurück zum Kapitalismus gebracht werden.
Die Revolutionäre können sich nicht damit zufrieden geben, nur zum heutigen Rußland Stellung zu beziehen. Das Problem, ob man Rußland verteidigt oder nicht, ist seit langem kein Gegenstand der Debatte mehr im Lager der Avantgarde.
Der imperialistische Krieg von 1939-45, in dem Rußland der ganzen Welt sein wahres Gesicht zeigte, das Gesicht einer äußerst blutrünstigen, räuberischen imperialistischen Macht zeigte, machte all die Verteidiger Rußlands - gleichgültig, in welchem Gewand sie sich präsentierten - zu Agenten, zu politischen Handlangern des imperialistischen russischen Staats im Proletariat, genauso wie der Krieg von 1914-18 den endgültigen Schulterschluß der sozialistischen Parteien mit den nationalen kapitalistischen Staaten enthüllt hatte.
Wir wollen in diesem Text auf diese Frage nicht mehr zurückkommen. Genauso wenig wollen wir hier auf den Charakter des russischen Staates zurückkommen, den die opportunistische Tendenz innerhalb der internationalen kommunistischen Linken noch als "proletarischen Charakter mit konterrevolutionärer Funktion", als "degenerierten Arbeiterstaat" darzustellen versucht. Wir meinen, daß sich dieser spitzfindige Scheinbeweis eines Gegensatzes erledigt hat, der angeblich zwischen dem proletarischen Charakter und der konterrevolutionären Funktion des russischen Staates existierte und der, statt auch nur den Ansatz einer Analyse und Erklärung der Entwicklungen in Rußland zu liefern, direkt zur Stärkung des Stalinismus, des kapitalistischen Staates Rußlands und des internationalen Kapitalismus führte. Man kann übrigens feststellen, daß seit der Veröffentlichung unserer Untersuchung und Polemik gegen diese Auffassung, die im BULLETIN INTERNATIONAL, Nr. 6, der italienischen Fraktion im Juni 1944 erschien, die Vertreter dieser Theorie es nicht mehr gewagt haben, offen weiterzubohren. Die kommunistische Linke Belgiens hat offiziell erklärt, daß sie diese Auffassung ablehnt. Die Internationale Kommunistische Partei (IKP) Italiens scheint noch nicht Stellung bezogen zu haben. Und obschon es keine offene, methodische Verteidigung dieser falschen Auffassung gibt, vermissen wir dennoch ihre ausdrückliche Ablehnung. Was erklärt, daß man in den Publikationen der IKP Italiens Begriffe wie "degenerierter Arbeiterstaat" liest, wenn sie vom kapitalistischen russischen Staat sprechen.
Es liegt auf der Hand, daß es sich nicht um eine Frage von Begriffen handelt, sondern um die substantielle Frage einer falschen Analyse der russischen Gesellschaft, um einen Mangel an theoretischer Präzision, auf den wir auch in anderen politischen und programmatischen Fragen stoßen.
Das Ziel unserer Untersuchung ist ausschließlich die Klärung der, wie uns scheint, Hauptlehren der russischen Erfahrung. Wir wollen keine Geschichte der Ereignisse schreiben, die sich in Rußland abgespielt haben, wie bedeutsam sie auch gewesen sein mögen. Solch eine Arbeit erfordert Anstrengungen, die unsere Kapazitäten überschreiten. Wir wollen nur jenen Teil dieser Erfahrung in Rußland betrachten, der über den Kontext einer einzelnen historischen Situation hinausgeht und Lehren für alle Länder und für die gesamte zukünftige gesellschaftliche Revolution beinhaltet. Damit wollen wir uns an der Untersuchung der grundlegenden Fragen beteiligen und unseren Beitrag zu diesen Fragen leisten, deren Lösung nur durch die Bemühungen aller revolutionären Gruppen mittels einer internationalen Diskussion erreicht werden kann.


 Privateigentum und Gemeineigentum

Das marxistische Konzept des Privateigentums an Produktionsmitteln als Grundlage der kapitalistischen Produktion und damit der kapitalistischen Gesellschaft schien eine andere Formel zu beinhalten: das Verschwinden des Privateigentums an Produktionsmitteln käme danach dem Verschwinden der kapitalistischen Gesellschaft gleich. Auch findet man in der gesamten marxistischen Literatur die Formel vom Verschwindens des Privateigentums an Produktionsmitteln als Synonym für den Sozialismus. Nun gibt es in der Entwicklung des Kapitalismus oder, genauer gesagt, des Kapitalismus in seiner dekadenten Phase eine mehr oder weniger markante Tendenz in allen Bereichen zur Einschränkung des Privateigentums an Produktionsmitteln, eine Tendenz hin zu ihrer Verstaatlichung.
Doch Verstaatlichungen sind kein Sozialismus, und wir wollen uns nicht damit aufhalten, dies zu beweisen. Was uns interessiert, ist die Tendenz selbst und ihre Bedeutung vom Standpunkt der Klasse aus betrachtet.
Wenn man davon ausgeht, daß das Privateigentum an Produktionsmitteln die Hauptgrundlage der kapitalistischen Gesellschaft ist, führt uns jede Konstatierung einer Tendenz zur Begrenzung dieses Privateigentums zu einem unüberwindbaren Widerspruch, nämlich: der Kapitalismus bedroht seine eigenen Grundlagen, er untergräbt seine eigene Basis.
Es wäre ganz sinnlos, hier mit Worten zu spielen und über die dem kapitalistischen Regime innewohnenden Widersprüche zu spekulieren.
Wenn man zum Beispiel von dem tödlichen Widerspruch des Kapitalismus spricht - nämlich daß dieser, um seine Produktion weiterzuentwickeln, neue Märkte erobern muß, daß er aber in dem Maße, wie er diese neuen Märkte erobert, sie in sein Produktionssystem integriert und somit den Markt zerstört, ohne den er nicht leben kann -, dann zeigt man einen reellen Widerspruch auf,  der aus der objektiven Entwicklung der kapitalistischen Produktion herrührt, unabhängig von seinem Willen und unlösbar für ihn. Das gleiche trifft zu, wenn man den imperialistischen Krieg und die Kriegswirtschaft nennt, in denen der Kapitalismus aufgrund seiner inneren Widersprüche seine Selbstzerstörung produziert.
Und so weiter bei all den Widersprüchen, in die sich die kapitalistische Gesellschaft verstrickt.
Mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln verhält es sich jedoch ganz anders, denn hier gibt es keine Kräfte, die den Kapitalismus zwingen, sich bewußt, wissentlich für die Bildung einer Struktur zu entscheiden, die eine Beeinträchtigung seines Charakters, seiner Essenz schlechthin darstellt.
Mit anderen Worten: indem man das Privateigentum an Produktionsmitteln zum Wesen des Kapitalismus erklärt, verkündigt man gleichzeitig, daß außerhalb dieses Privateigentums der Kapitalismus nicht bestehen kann. Gleichzeitig behauptet man, daß jegliche Veränderung im Sinne einer Limitierung dieses Privateigentums eine Einschränkung des Kapitalismus bedeuten würde und damit eine Veränderung im nicht-kapitalistischen, anti-kapitalistischen Sinne wäre. Noch einmal, es geht nicht um die Proportionen dieser Tendenz zur Einschränkung! Sich in quantitative Berechnungen zu flüchten, die beweisen sollen, daß es nicht um eine vernachlässigbare Größe handelt, hieße, der Frage aus dem Weg zu gehen. Jedenfalls wäre es falsch, denn es reicht nicht aus, das Ausmaß der tendenziellen Einschränkung in den totalitären Ländern und in Rußland zu benennen, wo alle Produktionsmittel verstaatlicht sind, um davon überzeugt zu sein. Es geht hier nicht um den Umfang, sondern um den Charakter dieser Tendenz schlechthin.
Wenn eine tendenzielle Liquidierung des Privateigentum wirklich eine antikapitalistische Tendenz bedeutet, kommt man zu einer stupenden Schlußfolgerung: weil diese Tendenz vom Staat gesteuert wird, wäre der kapitalistische Staat Makler seiner eigenen Zerstörung.
Und in der Tat enden all die "sozialistischen" Anhänger von Verstaatlichungen, der Kommandowirtschaft, all die Fabrizierer von "Plänen", die, auch wenn sie nicht bewußt den Kapitalismus stärken, dennoch Reformer in den Diensten des Kapitalismus sind, wie die Gruppen "Abondance" (etwa: Überfluß), CETES usw., in dieser Theorie des antikapitalistischen kapitalistischen Staates.
Die Trotzkisten, die nicht viel Verstand in ihrem Kopf haben, treten natürlich für diese Einschränkungen ein, denn alles, was gegen den kapitalistischen Charakter ist, ist zwangsläufig proletarisch. Vielleicht sind sie ein wenig skeptisch, aber sie meinen, es sei ein Verbrechen, auch nur die geringste Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen. Für sie stellen die Verstaatlichungen immerhin eine Schwächung des Privateigentums im Kapitalismus dar. Auch wenn sie nicht, wie die Stalinisten und die Sozialisten, sagen, daß Verstaatlichungen ein Stück Sozialismus innerhalb des Kapitalismus sind, sind sie dennoch davon überzeugt, daß sie "fortschrittlich" sind. Schlau wie sie sind, beabsichtigen sie, den kapitalistischen Staat dazu zu bringen, eine Arbeit zu verrichten, die andernfalls das Proletariat nach der Revolution erfüllen müsse. "Es bedeutet, daß es weniger für uns zu tun gibt", sagen sie und reiben sich die Hände, froh, den kapitalistischen Staat übers Ohr gehauen zu haben.
Aber: "Das ist Reformismus!", schreit der Linkskommunist von der Art Vercesis. Und als "Marxist" versucht er nicht das Phänomen zu erklären, sondern es ganz einfach zu leugnen und zu beweisen, daß es z.B. Verstaatlichungen nicht gibt, nicht geben kann, daß sie nur eine Erfindung, eine demagogische Lüge der Reformisten seien.
Warum diese auf den ersten Blick überraschende Entrüstung, dieses starrsinnige Leugnen? Weil  er mit den Reformisten einen gemeinsamen Ausgangspunkt hat, denn darauf fußt seine ganze Theorie des proletarischen Charakters der russischen Gesellschaft. Und weil sie den gleichen Maßstab für die Einschätzung des Klassencharakters der Wirtschaft haben, kann die Anerkennung solch einer Tendenz in den kapitalistischen Ländern für ihn nur die Anerkennung einer allmählichen Transformation des Kapitalismus in den Sozialismus bedeuten.
Dies ist nicht so, weil er am "marxistischen" Begriff des Privateigentums festhält, sondern vielmehr weil er auf die Umkehrung dieses Begriffes, auf seine Karikatur fixiert ist, d.h. daß das Fehlen von Privateigentum an Produktionsmitteln das Kriterium für den proletarischen Charakter des russischen Staates ist; so führt es ihn dazu, die Tendenz und die Möglichkeit der Einschränkung des Privateigentums an Produktionsmitteln in der kapitalistischen Gesellschaft leugnen. Anstatt die objektive und reelle Entwicklung des Kapitalismus und seine Tendenz zum Staatskapitalismus zu beobachten und seine Position zum Klassencharakter des russischen Staats zu korrigieren, zieht er es vor, an dem Begriff festzuhalten und seine Theorie über den proletarischen Charakter Rußlands zu retten, und sei es auf Kosten der Realität. Und weil der Widerspruch zwischen dem Begriff und der Wirklichkeit unüberwindbar ist, wird die Wirklichkeit schlicht geleugnet, und die Sache ist geritzt.
Eine dritte Tendenz versucht die Lösung in der Ablehnung des Marxismus zu finden. "Diese Doktrin", so behauptet sie, "war richtig, solange sie auf die kapitalistische Gesellschaft angewandt wurde, doch was Marx nicht vorhergesehen hatte und weshalb er 'überholt' ist, das ist die Tatsache, daß eine neue Klasse aufgetaucht ist, die die politische und wirtschaftliche Macht der Gesellschaft schrittweise und zum Teil friedlich (!) an sich reißt, auf Kosten des Kapitalismus und des Proletariats." Diese neue (?) Klasse wäre für die einen die Bürokratie, für die anderen die Technokratie und für dritte wiederum die "Synarchie".
Belassen wir es bei diesen Ausführungen und kehren zu unserem Thema zurück. Es ist unleugbar, daß es eine Tendenz gibt, die in Richtung einer Einschränkung des Privateigentums an Produktionsmitteln geht und die sich täglich in allen Ländern verstärkt. Diese Tendenz konkretisiert sich in der allgemeinen Entwicklung eines Staatskapitalismus, der die Hauptproduktionszweige und das Wirtschaftsleben des Landes verwaltet. Der Staatskapitalismus ist nicht das Vorrecht einer bestimmten Fraktion der Bourgeoisie oder einer einzelnen ideologischen Denkschule. Man sieht ihn sowohl im demokratischen Amerika wie auch in Hitlerdeutschland, im Labour-regierten England wie im "sowjetischen" Rußland sich ausbreiten.
Innerhalb des Rahmens dieser Untersuchung können wir die Analyse des Staatskapitalismus, der Bedingungen und historischen Ursachen, welche diese Form bestimmen, nicht in ihrer Gänze fortführen. Wir wollen nur anmerken, daß der Staatskapitalismus die der dekadenten Phase des Kapitalismus entsprechende Form ist, wie seinerzeit der Monopolkapitalismus der Phase der vollen Entwicklung des Kapitalismus entsprach. Eine weitere Bemerkung: ein charakteristisches Merkmal des Staatskapitalismus scheint uns seine Entwicklung zu sein, die stärker in direkter Verbindung steht zu den Auswirkungen der permanenten Wirtschaftskrise in den verschiedenen entwickelten kapitalistischen Ländern.
Der Staatskapitalismus stellt jedoch mitnichten eine Negation des Kapitalismus und noch weniger eine schrittweise Umwandlung zum Sozialismus dar, wie die Reformisten der verschiedenen Denkschulen behaupten.
Die Furcht, dem Reformismus anheimzufallen, wenn man die Tendenz zum Staatskapitalismus anerkennt, hängt mit dem Fehler zusammen, den man bei der Einschätzung des Klassencharakters des Kapitalismus begeht. Dieser definiert sich nicht durch das Privateigentum an Produktionsmitteln, das nur eine Form ist, die für eine gegebene Periode des Kapitalismus, den liberalen Kapitalismus, geeignet ist, sondern durch die Trennung der Produktionsmittel von den Produzenten.
Der Kapitalismus ist die Trennung zwischen der vergangenen, akkumulierten Arbeit, die sich in den Händen einer Klasse befindet, die die lebendige Arbeit einer anderen Klasse diktiert und ausbeutet. Es kommt nicht darauf an, wie die besitzende Klasse die Anteile unter ihren Mitgliedern verteilt. Im kapitalistischen Regime ändert sich diese Aufteilung ständig durch den Wirtschaftskampf oder durch die militärische Gewalt. Wie wichtig die Untersuchung der Funktionsweise dieser Aufteilung vom Standpunkt der politischen Ökonomie auch ist, sie spielt hier keine Rolle.
Unabhängig von den auftretenden Änderungen in den Beziehungen zwischen den verschiedenen Schichten der Bourgeoisie in der Kapitalistenklasse bleibt aus der Sicht des gesellschaftlichen Systems der Klassenbeziehungen das Verhältnis zwischen der besitzenden und produzierenden Klasse kapitalistisch.
Daß der während des Produktionsprozesses aus den Arbeitern herausgepreßte Mehrwert auf die eine oder andere Art verteilt wird, daß der Anteil, den das Finanz-, Handels- oder Industriekapital erhält, unterschiedlich groß ist, beeinflußt und ändert keinesfalls den eigentlichen Charakter des Mehrwerts. Für die kapitalistische Produktion ist es vollkommen unerheblich, ob es sich dabei um Privateigentum oder Gemeineigentum der Produktionsmittel handelt. Was den kapitalistischen Charakter der Produktion bestimmt, ist die Existenz von Kapital, das heißt, von akkumulierter Arbeit in den Händen der einen Klasse, die über die lebendige Arbeit der anderen Klasse gebietet, um Mehrwert zu produzieren. Der Kapitaltransfer aus privaten, individuellen Händen in die Hände des Staates bedeutet nicht eine Veränderung des Charakters des Kapitalismus in Richtung eines Nicht-Kapitalismus , sondern eine strikte Konzentration des Kapitals, welche die Ausbeutung der Arbeitskräfte rationaler, perfekter gestalten soll.
Worum es hier geht, ist nicht das marxistische Konzept, sondern ausschließlich sein beschränktes Verständnis, seine engstirnige und und formelle Lesart. Die Produktion nimmt nicht deshalb einen kapitalistischen Charakter an, weil es Privateigentum an Produktionsmitteln gibt. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln existierte in der Sklavengesellschaft wie auch im Feudalismus. Was den kapitalistischen Charakter der Produktion bestimmt, ist die Trennung der Produktionsmittel von ihren Produzenten, ihre Umwandlung in Erwerbsmittel und in Mittel zur Beherrschung der lebendigen Arbeit mit dem Ziel, sie Überschüsse, Mehrwert produzieren zu lassen, d.h. die Umwandlung der Produktionsmittel, die ihre Eigenschaft als einfache Werkzeuge im Produktionsprozeß verlieren, um zu Kapital zu werden und als solches zu existieren.
Die Form, in der das Kapital existiert, ob in privater oder konzentrierter Gestalt (Trust, Monopol oder verstaatlicht), bestimmt genausowenig seine Existenz wie die Größe des Mehrwerts oder die Formen, die er annehmen kann (Profit, Bodenrente). Die Formen sind nur die Manifestation der Existenz der Substanz und spiegeln dies nur unterschiedlich wider.
In der Epoche des liberalen Kapitalismus war die Form, in der das Kapital existierte, vor allem die des privaten Kapitals. Auch die Marxisten konnten sich ohne weiteres des Begriffs bedienen, der hauptsächlich diese Form darstellte, um seinen Inhalt auszudrücken und zu präsentieren.
Für die Propaganda gegenüber den Massen erwies sich dies sogar als Vorteil, um eine etwas abstrakte Idee in ein konkretes, lebendiges und leichter verständliches Bild zu übersetzen.
"Privateigentum der Produktionsmittel = Kapitalismus" und "Einschränkung des Privateigentums = Sozialismus" waren die gängigen Formulierungen, aber sie waren nur zum Teil wahr.
Der Nachteil wurde erst offenbar, als die Form sich zu verändern begann. Die Gewohnheit, den Inhalt durch die Form darzustellen, die in einem gegebenen Augenblick miteinander korrespondiert hatten, wurde in eine falsche Identifikation umgewandelt und führte zum Irrtum, den Inhalt durch die Form zu ersetzen. Wir finden diesen Irrtum in der russischen Revolution, wo er in seiner ganzen Vollständigkeit zum Ausdruck kam.
Der Sozialismus erfordert einen sehr hohen Entwicklungsgrad der Produktivkräfte, der nur im Gefolge größter Konzentration und Zentralisierung der Produktivkräfte denkbar ist.
Diese Konzentration kommt durch die Enteignung des Privateigentums an Produktionsmitteln zustande. Doch diese Enteignung ist wie die Konzentration der Produktivkräfte auf nationaler und selbst auf internationaler Ebene erst nach dem Triumph der proletarischen Revolution eine Bedingung für die Entwicklung in Richtung Sozialismus, aber selbst noch nicht Sozialismus.
 Die weitreichendsten Enteignungen können allenfalls für das Verschwinden der Kapitalisten als Individuen sorgen, die vom Mehrwert leben, aber damit ist noch nicht das Verschwinden der Mehrwertproduktion, d.h. des Kapitalismus, sichergestellt.
Diese Behauptung mag auf den ersten Blick als paradox erscheinen, aber eine aufmerksame Untersuchung der russischen Erfahrung wird diese Realität beweisen. Damit es Sozialismus oder auch nur eine Tendenz zum Sozialismus gibt, reicht es nicht aus, daß es Enteignungen gibt, sondern ist es notwendig, daß die Produktionsmittel aufhören, als Kapital zu funktionieren. Mit anderen Worten: das kapitalistische Produktionsprinzip an sich muß umgewälzt werden.
Das kapitalistische Prinzip der akkumulierten Arbeit, die die lebendige Arbeit im Hinblick auf die Mehrwertproduktion beherrscht, muß ersetzt werden durch das Prinzip der lebendigen Arbeit, die die akkumulierte Arbeit hinsichtlich der Konsumgüterproduktion für die Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft bestimmt.
Einzig und allein aus diesem Prinzip besteht der Sozialismus.
Der Fehler der russischen Revolution und der bolschewistischen Partei war gewesen, die Betonung auf die Bedingung zu legen, nämlich die Enteignung, die als solche noch keinen Sozialismus darstellt und auch kein entscheidender Faktor bei der Ausrichtung der Wirtschaft in sozialistischem Sinne ist, sowie das Prinzip einer sozialistischen Ökonomie an sich vernachlässigt und in den Hintergrund gerückt zu haben.
Nicht ist lehrreicher zu diesem Thema als die Lektüre der zahlreichen Reden und Schriften Lenins über die Notwendigkeit einer raschen Entwicklung der Industrie und der Produktion in Sowjetrußland. Aus Lenins Sicht ist die Entwicklung der Industrie identisch mit der Entwicklung des Sozialismus. Er verwendete häufig und fast undifferenziert die Begriffe "Staatskapitalismus" und "Staatssozialismus", ohne sie genau voneinander zu unterscheiden. Formulierungen wie "Kommunismus - das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung" und anderer dieser Art spiegeln nur die Konfusionen und das Tasten der Führer der Oktoberrevolution von 1917 in diesem Bereich wider.
Es ist sehr bezeichnend, daß Lenin die Aufmerksamkeit vor allem auf den Privatsektor und den kleinbäuerlichen Landbesitz gelenkt hat, die ihm zufolge eine Bedrohung für die Entwicklung der russischen Wirtschaft zum Kapitalismus darstellen konnten, und  die andere, viel präsentere und entscheidendere Gefahr, die von der verstaatlichten Industrie ausging, völlig vernachlässigt hat.
Die Geschichte hat Lenins Analyse über diesen Punkt vollständig widerlegt. Die Liquidierung des kleinbäuerlichen Eigentums in Rußland sollte nicht die Stärkung eines sozialistischen Sektors bedeuten, sondern führte dazu, daß ein staatlicher Sektor von der Stärkung des Staatskapitalismus profitierte.
Es steht fest, daß die Schwierigkeiten, auf die die russische Revolution durch ihre Isolierung und durch den Staat hinter ihrer Wirtschaft stieß, auf internationaler Ebene größtenteils hätten abgeschwächt werden können. Allein auf dieser Ebene ist die sozialistische Entwicklung der Gesellschaft und eines jeden Landes möglich. Genauso trifft es zu, daß selbst auf internationaler Ebene das grundlegende Problem nicht in der Enteignung, sondern im eigentlichen Produktionsprinzip liegt.
Nicht nur in den rückständigen Ländern, sondern selbst in den Ländern, in denen der Kapitalismus seine höchste Entwicklungsstufe erreicht hat, wird das Privateigentum in einigen Bereichen der Produktion eine Zeitlang überleben und nur langsam und schrittweise absorbiert werden.
Jedoch wird die Gefahr einer Rückkehr zum Kapitalismus nicht hauptsächlich aus diesen Bereichen kommen, denn die Gesellschaft in ihrer Evolution zum Sozialismus kann nicht zu einem Kapitalismus in seiner primitiven und von ihm selbst überwundenen Form zurückkehren.
Die große Gefahr einer Rückkehr zum Kapitalismus kommt hauptsächlich aus dem verstaatlichten Sektor, zumal sich der Kapitalismus in seiner unpersönlichen, sozusagen ätherischen Form befindet. Die Verstaatlichung kann dazu dienen, lange einen Prozeß gegen den Sozialismus zu kaschieren.
Das Proletariat wird diese Gefahr nur dann überwinden, wenn es die Gleichsetzung von Enteignung und Sozialismus ablehnt, wenn es zwischen der Verstaatlichung selbst mit dem Adjektiv "sozialistisch" und dem sozialistischen Wirtschaftsprinzip zu unterscheiden weiß.
Die russische Erfahrung zeigt und ruft uns in Erinnerung, daß es nicht die Kapitalisten sind, die den Kapitalismus erzeugen, sondern umgekehrt. Es ist der Kapitalismus, der die Kapitalisten hervorbringt. Die Kapitalisten können nicht außerhalb des Kapitalismus existieren; das Gegenteil ist der Fall.
Das kapitalistische Produktionsprinzip kann nach dem juristischen und selbst realen Verschwinden der Kapitalisten, die vom Mehrwert profitieren, weiter existieren. In diesem Fall wird der Mehrwert genau wie im Privatkapitalismus in den Produktionsprozeß zwecks Auspressens einer größeren Mehrwertmasse reinvestiert.
Kurzfristig erzeugt die Existenz von Mehrwert die Menschen, die die Klasse bilden, welche sich den Mehrwert aneignen wird. Die Funktion schafft sich ihr Organ. Gleichgültig, ob es sich um Parasiten, Bürokraten oder Techniker handelt, die sich an der Produktion beteiligen, ob der Mehrwert mehr oder weniger direkt oder indirekt mittels des Staates verteilt wird, ob in der Form hoher Gehälter oder leistungsgebundenen Dividenden oder als Staatsanleihen (wie es in Rußland der Fall ist), all dies ändert nichts an der grundlegenden Tatsache, daß es sich um eine neue kapitalistische Klasse handelt.
Der zentrale Punkt der kapitalistischen Produktion besteht in dem Unterschied zwischen dem Wert der Arbeitskraft, der durch die notwendige Arbeitszeit bestimmt wird, und der Arbeitskraft, die mehr als ihren eigenen Wert reproduziert. Dies drückt sich im Unterschied zwischen der für den Arbeiter notwendigen Arbeitszeit, um seine eigene Subsistenz zu reproduzieren und für die er bezahlt wird, sowie der Arbeitszeit aus, die er mehr arbeitet und für die er nicht bezahlt wird und die den Mehrwert bildet, den der Kapitalist an sich reißt. Es ist das Verhältnis zwischen der bezahlten und unbezahlten Arbeitszeit, das die sozialistische von der kapitalistischen Produktion unterscheidet.
Jede Gesellschaft benötigt einen wirtschaftlichen Reservefond, um die Fortsetzung ihrer Produktion und der erweiterten Produktion zu gewährleisten. Dieser Fond besteht aus unverzichtbarer Mehrarbeit. Andererseits ist ein gewisses Quantum an Mehrarbeit unverzichtbar, um für die Bedürfnisse von unproduktiven Mitgliedern der Gesellschaft aufzukommen. Die kapitalistische Gesellschaft neigt vor ihrem Verschwinden dazu, die - dank der unbarmherzigen Ausbeutung der Arbeiter - gewaltigen Massen von akkumulierter Arbeit zu zerstören.
Nach der Revolution wird das siegreiche Proletariat vor Ruinen und einer katastrophalen Wirtschaftslage stehen, dem Erbe der kapitalistischen Gesellschaft. Sie wird den wirtschaftlichen Reservefond neu aufbauen müssen.
Das heißt, daß der Teil der Mehrarbeit, den die Arbeiterklasse wird erbringen müssen, anfangs möglicherweise ebenso groß sein wird wie im Kapitalismus. Das sozialistische Wirtschaftsprinzip kann also hinsichtlich seiner unmittelbaren Umfangs nicht durch das Verhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit unterschieden werden. Allein die Tendenz der Kurve, die Tendenz zur Annäherung des Verhältnisses kann als Maßstab für die Wirtschaftsentwicklung dienen und das Barometer sein, das den Klassencharakter der Produktion anzeigen kann.
Das Proletariat und seine Klassenpartei werden daher sehr wachsam sein müssen. Die größten industriellen Errungenschaften würden (selbst dann, wenn der Anteil der Arbeiter am Wert absolut gesehen zwar größer, aber relativ gesehen geringer wäre) die Rückkehr zum kapitalistischen Produktionsprinzip bedeuten. All die subtilen Demonstrationen der Nicht-Existenz des Privatkapitalismus durch Verstaatlichung der Produktionsmittel können diese Wirklichkeit nicht verbergen.
Das Proletariat und seine Partei dürfen nicht diesen eigennützigen Spitzfindigkeiten anheimfallen,  die nur der Aufrechterhaltung der Ausbeutung der Arbeiter dienen, und müssen sofort einen unerbittlichen Kampf führen, um dieser Orientierung auf eine Rückkehr zur kapitalistischen Wirtschaft Einhalt zu gebieten und mit allen Mitteln die Wirtschaftspolitik der Arbeiterklasse hin zum Sozialismus durchzusetzen.
Abschließend wollen wir eine Passage von Marx zitieren, um unsere Gedanken hierzu zu verdeutlichen und zusammenzufassen:
"Der große Unterschied zwischen kapitalistischem und sozialistischem Prinzip der Produktion besteht in folgendem: ob die Arbeiter die Produktionsmittel als Kapital vor sich finden und darüber nur verfügen, um das Mehrprodukt und den Mehrwert zugunsten ihrer Ausbeuter zu erhöhen, oder ob sie anstatt durch diese Produktionsmittel beschäftigt zu sein, sie diese verwenden, um den Reichtum zu ihrem eigenen Nutzen zu produzieren.” (eigene Übersetzung, da keine Quellenangabe im franz. Originaltext)

Internationalisme (1946)

 

 Fußnoten:

(1) Unter den ersten Vertretern dieser Theorie befand sich Albert Treint, der 1932 zwei Broschüren mit dem Titel "Das russische Rätsel" veröffentlicht hatte, und der in dieser Frage mit der Gruppe gebrochen hatte, die unter dem Namen Bagnolet-Gruppe bekannt war. Albert Treint, vormals Generalsektretär der KPF, früherer Führer der linksoppositionellen Gruppe "Die Leninistische Einheit" 1927 und der Gruppe "Redressement Communiste" (etwa: Kommunistische Wiederbelebung) von 1928 bis 1931, hatte sich nach dem Bruch mit der Bagnolet-Gruppe wie viele andere in Richtung Sozialistische Partei, in die er 1935 eintrat, und der Résistance während des Krieges entwickelt. 1945 trat er nicht nur der Armee mit seinem Dienstgrad als Hauptmann bei, sondern er führte auch als Kommandant ein Besatzungsbataillon in Deutschland.
(2) Es ist dabei zu berücksichtigen, daß die Rätekommunisten der holländischen Linken und insbesondere Pannekoek persönlich die Hauptideen dieser brillanten Analyse einer dritten Alternative teilten (siehe die Korrespondenz Chaulieu-Pannekoek in 'Socialsme ou Barbarie').
(3) Die Ad hoc-Gründung der Internationalen Kommunistischen Partei in Italien 1945, die überstürzte Auflösung der Fraktion, das Wiederauftauchen Bordigas mit seinen Theorien der "Invarianz" des Marxismus, der "Doppelrevolution", der "Unterstützung der nationalen Befreiungen", der Unterscheidung nach "geographischen Zonen", der Proklamierung des "US-Imperialismus zum Hauptfeind" usw., usf. stellten einen klaren Rückschritt dieser neuen Partei in der Frage des Klassencharakters des stalinistischen Regimes und eine Ablehnung des Dekadenzbegriffs und seines politischen Ausdrucks: den Staatskapitalismus dar.

 

Theoretische Fragen: 

Erbe der kommunistischen Linke: