Gespeichert von IKS am
LENIN, 1848-1917
I. Von Marx bis zur II. Internationale
Nachdem sie das Wirken der Linksfraktion der Kommunistischen Partei Italiens in den Jahren zwischen 1935-45 kritisiert haben, schließen die Genossen von Battaglia Comunista den Artikel, den wir schon früher zitiert haben, mit einer Verwerfung des Konzeptes der Fraktion im Allgemeinen ab:
"Welchen Sinn hat es, den Begriff der Partei ausschließlich mit dem Begriff der Macht zu verbinden oder der Möglichkeit, die Massen zu führen, indem dem politischen Organ des Klassenkampfes jede Existenzmöglichkeit außerhalb der revolutionären Phasen abgestritten wird, und indem nie deutlich definierten Organismen oder irgendwelchen Ersatzkörpern die Aufgabe zugeordnet wird, die Interessen der Klasse in den konterrevolutionären Phasen zu verteidigen....
Zu behaupten, daß die Partei nur in revolutionären Situationen entstehen kann, in denen die Frage der Macht auf der Tagesordnung steht, während in den konterrevolutionären Phasen die Partei verschwinden "muß" oder ihren Platz Fraktionen überläßt, bedeutet nicht nur, der Klasse in den schwierigsten und gefährlichsten Momenten einen politischen Bezugspunkt vorzuenthalten, wodurch das politische Handeln der Bourgeoisie erleichtert wird, sondern auch bewußt eine Leere entstehen zu lassen, die nur schwer innerhalb von 24 Stunden zu füllen ist...
Man darf solche Thesen nicht unterstützen, die die geschichtliche Erfahrung auf den Kopf stellen, und indem der bolschewistischen Partei selber die Rolle der "Fraktion" der russischen Sozialdemokratie bis 1917 zugeordnet wird (Thesen, die von der IKS in der Internationalen Revue Nr. 3 vertreten werden)"...
Rußland war das einzige europäische Land, welches trotz viel ungünstigerer Bedingungen als in anderen Ländern am 1. Weltkrieg von 1914-1918 teilnahm, und wo eine proletarische Revolution entstand. Dies war erst möglich, weil dort eine Partei vorhanden war, die als solche mindestens seit 1912 aktiv war. Von Anfang an hat sich der Bolschewismus nicht darauf beschränkt, auf politischer Ebene dem Opportunismus der Menschewiki entgegenzutreten, die theoretischen Grundlagen der Prinzipien der Revolution auszuarbeiten, Kader zu bilden und neue zu gewinnen, sondern er hat auch die ersten Beziehungen zwischen der Klasse und der Partei geknüpft, die zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich in der Hitze der sich zuspitzenden Situation zu echten Verbindungsgliedern zwischen der Spontanität der Klasse und dem taktischen und strategischen Programm der Partei wurden...
1902 schon hatte Lenin die taktischen und organisatorischen Grundlagen geschaffen, auf der man die Alternative gegenüber dem Opportunismus der russischen Sozialdemokratie, die Alternative der Partei, hatte bauen müssen, es sei denn man würde "Was tun?" als die 10 Gebote des guten Fraktionsanhängers darstellen"[1].
Um die Auffassung BC zusammenzufassen,
1) man weiß nicht, woher diese Theorie kommt, derzufolge in den konterrevolutionären Phasen die Fraktionen die Aufgabe der Partei übernehmen sollten,
2) diese Fraktionen sind "nie wirklich gut definierte Organismen" und damit unfähig, dem Proletariat eine politische Orientierung anzubieten,
3) wenn die russische Revolution stattgefunden hat, dann deshalb, weil Lenin seit 1902 die Grundlagen der bolschewistischen Partei und nicht der bolschewistischen Fraktion, wie es die IKS behauptet, gelegt hat.
Drei Behauptungen, drei Risse in der theoretisch-politischen Kohärenz Battaglias, und ein Versuch, der Geschichte der Arbeiterbewegung umzuschreiben. Sehen wir weshalb.
MARX, DER BUND DER KOMMUNISTEN, DIE I. INTERNATIONNALE UND DIE LEHREN DER KONTERREVOLUTION
"Ich bemerke d'abord, daß, nachdem der "Bund" auf meinen Antrag im Nov. 1852 aufgelöst wurde, ich nie mehr irgendeiner geheimen oder öffentlichen Gesellschaft angehört habe oder angehöre; daß also die Partei in diesem ganz ephemeren Sinne für mich seit 8 Jahren zu existieren aufgehört hat... Ich ward dann noch wiederholt, wenn nicht namentlich, so doch verständlich, bitter angegriffen wegen dieser "Tatenlosigkeit".... Aber von "Partei" in dem Sinne deines Briefes weiß ich nichts seit 1852... Der "Bund", wie die Société des Saisons zu Paris, wie 100 andere Gesellschaften, war nur eine Episode in der Geschichte der Partei, die aus dem Boden der modernen Gesellschaft sich überall naturwüchsig bildet...
Ich habe ferne das Mißverständnis zu beseitigen gesucht, als ob ich unter "Partei" einen seit 8 Jahren verstorbenen "Bund" oder eine seit 12 Jahren aufgelöste Zeitungsredaktion verstehe. Unter Partei verstand ich die Partei im großen historischen Sinne" (Marx an Freiligrath, 29.2.1860, MEW Bd 30, S. 489).
Wie man sieht, ist diese Theorie, derzufolge die proletarischen Parteien in den konterrevolutionären Phasen 'verschwinden', kein Beitrag der Genossen BILANs aus den 30er Jahren dieses Jahrhunderts, sondern eine feste Überzeugung Marxens seit der Mitte des letzten Jahrhunderts. Als er dem früheren Mitglied des Bundes der Kommunisten, Ferdinand Freiligrath, der ihn dazu aufforderte, die Führung der 'Partei' wieder zu übernehmen, antwortete, unterstrich Marx, daß diese Partei sich 8 Jahre zuvor aufgelöst hatte, nämlich am Ende der revolutionären Welle von 1848, genauso wie sich zuvor die Gesellschaft der Pariser Saisonarbeiter und anderer Organisationen aufgelöst hatte, nachdem die Welle von Kämpfen, die sie hervorgebracht hatten und deren Ergebnis sie waren, abgeebbt waren. Es steht fest, daß Marx diese zutiefst materialistische Haltung immer gegenüber den aktivistischen Vorurteilen derjenigen gehabt hat, die die Tiefe und das ganze Ausmaß der Niederlage nicht wahrhaben wollten und sofort 'wieder wie früher anfangen' wollten. Als Marx 1850 behauptete, daß der weltweite wirtschaftliche Aufschwung jede revolutionäre Perspektive in Europa in weite Ferne rückte, stellte sich die Mehrheit des Bundes (die Fraktion um Willich-Schapper) dieser Einschätzung entgegen, und warf ihm vor, er meinte, "man solle sich hinlegen und schlafen". Nur eine Minderheit unterstützte seine Ansichten - selbst nach der förmlichen Auflösung der Bundes im Jahre 1852 -man müsse sich der schwierigen Aufgabe widmen, 'die Lehren aus der Niederlage zu ziehen', indem man die Ursachen zu erhellen und die theoretischen Instrumente zu schaffen versuchte, die der Arbeiterklasse in den darauffolgenden Kampfeswellen nützlich sein würden. Es ist wichtig zu unterstreichen, daß die Genossen, die den Bund der Kommunisten um jeden Preis aufrechterhalten wollten, zunächst gezwungen waren, ihre politischen Positionen über Bord zu werfen, indem sie Intrigen spannen, künstliche Bündnissen mit den Demokraten eingingen und sich später selbst auflösten, ohne auch nur irgend etwas anderes zu hinterlassen als das aktivistische Geschwafel über die Aufrechterhaltung der Partei. Dagegen sollte die geduldige Arbeit der Klärung und der Bildung der Revolutionäre, die von der Fraktion um Marx geleistet wurde, ihre "Früchte mit dem Wiedererstarken der Arbeiterbewegung" bringen: die wenigen marxistischen Revolutionäre standen selbstverständlich an der Spitze der verschiedenen Sektionen der Internationalen Arbeiterassoziation, als diese I. Internationale 1864 gegründet wurde (indem sie sich spontan in der modernen Gesellschaft entfaltete), als es ein internationales Wiedererstarken der Arbeiterbewegung gab. Marx änderte nicht seine Position, als die Niederlage der Pariser Kommune 1871 die Tür öffnete für einen neuen Zeitraum des Rückflusses der Arbeiterbewegung. Unter diesen Umständen verstanden Marx und Engels sehr schnell, daß die Tage der I. Internationale gezählt waren, und auf dem Kongreß von Den Haag im Jahre 1872 brachten sie den Antrag zur Übersiedlung des Generalrates nach New York ein, was der Auflösung der Organisation gleichkam: "Nach meiner Ansicht von den europäischen Verhältnissen ist es durchaus nützlich, die formelle Organisation der Internationale einstweilen in den Hintergrund treten zu lassen... Die Ereignisse und die unvermeidliche Entwicklung und Verwicklung der Dinge werden von selbst für Auferstehung der Internationalen in verbesserter Form sorgen. Einsweilen genügt es, die Verbindung mit den Tüchtigsten in den verschiedenen Ländern nicht ganz aus den Händen schlüpfen zu lassen". (Marx an Sorge, 27.9.1873, MEW 33, S. 606).
Erneut war es für Marx und Engels klar, daß es in einer konterrevolutionären Zeit absolut unnütz ist, eine Fassade einer Partei künstlich am Leben zu erhalten, während es dagegen wesentlich ist, daß die gemeinsamen Aktivitäten dieser Fraktion fähiger Militanten in der Lage bleibt, der Demoralisierung zu widerstehen, und um das zukünftige Widererstarken des Klassenkampfes noch besser vorzubereiten.
Um die Genossen BCs zu trösten, die der Möglichkeit mit Schrecken entgegensehen, daß jemand 'entscheiden' könne, die Partei 'müsse' in einer bestimmten Phase verschwinden, muß man hervorheben, daß Marx und Engels niemals daran gedacht haben, solche 'Entscheidungen' zu treffen. Zu 'entscheiden', die Partei aufzulösen, ist ein reiner Willensakt, genauso wenn man versuchen würde, sie künstlich am Leben zu erhalten. Marx hat den Bund der Kommunisten 1850 nicht auf autoritäre Weise aufgelöst, genauso wenig 1872 die I. Internationale. Er hat nur erklärt, daß die Revolutionäre sich auf den anstehenden Zerfall, das Auseinanderbrechen der Partei vorbereiten müssen, um sich darauf einzustellen, daß man selbst nach der Auflösung dieser Parteien den roten Faden der kommunistischen Aktivität aufrechthält. Und wenn die Auflösung dieser Organe nachher tatsächlich stattgefunden hat, war dies der Ansicht Marxens nach auf die Kraft der Verhältnisse, auf die Lage selber zurückzuführen, und nicht auf die Befehle von Marx.
DIE DIALEKTIK FRAKTION - PARTEI WIRD DEUTLICH IN DER HISTORISCHEN ENTWICKLUNG DER ARBEITERBEWEGUNG
Nachdem wir jetzt gesehen haben, daß die 'seltsame' Theorie des Verschwindens der proletarischen Parteien in den konterrevolutionären Zeiträumen von Marx entwickelt wurde, müssen wir uns mit den Organen befassen, die in diesen Zeiten die Kontinuität der revolutionären Aktivitäten sicherstellen, d.h. die Fraktionen. Battaglia zufolge handelt es sich um "nie gut definierte Organismen". Es stimmt sicherlich, daß Marx nie ein umfassendes Werk der Propaganda (in dem Stile wie "Lohnarbeit und Kapital") über die Funktion des Netzes von Genossen geschrieben hat, die nach der Auflösung des Bundes der Kommunisten und der I. Internationale mit ihm zusammenblieben. Aber das heißt nicht, daß aus Marxens Sicht diese Arbeit des Bilanz Ziehens nicht wichtig war. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Begriff der Fraktion der Klassenpartei seinem Wesen zufolge mit dem Begriff der Partei selber verbunden ist. Die Definition dieses Körpers geht einher mit dem historischen Prozeß, der beim Bund der Kommunisten anfängt und sich bis zur Kommunistischen Internationale hinzieht, die "sich zur historischen Aufgabe gestellt hat, die Revolution weltweit zu verwirklichen"[2].
Im Laufe der geschichtlichen Erfahrung der Klasse haben die Umrisse dieser Avantgardepartei deutlicher Gestalt angenommen, und gleichzeitig wurde die Erfahrung für die Definition der Arbeit der marxistischen Fraktion angehäuft, die als eine Reaktion gegenüber den opportunistischen Abweichungen der Partei entstand. Nur als der Kapitalismus in seine Endphase eintrat und die Notwendigkeit und Möglichkeit der kommunistischen Revolution schließlich auf der Tagesordnung standen, konnte sich die Klassenpartei in ihrer endgültigen Form entwickeln, wodurch sie erst in die Lage versetzt wurde, wahre Fraktionen als eine Reaktion gegen den opportunistischen Kurs und die Entartung hervorzubringen. Die Italienische Linke hatte diese Lehre aus den 30er Jahren gezogen:
"Das Problem der Fraktion - wie wir sie auffassen - d.h. als ein Moment des Wiederaufbaus der Klassenpartei wurde und konnte innerhalb der I. und II. Internationale nicht richtig begriffen werden. Diejenigen, die sich damals Fraktion nannten oder allgemeiner "rechter" oder "linker Flügel", oder "unnachgiebige Strömung, oder schließlich "revolutionärer oder reformistischer Flügel" waren meistens mit Ausnahme der Bolschewiki vor oder während Kongresse zufällige Zusammenschlüsse. Dabei verfolgten sie jeweils das Ziel, bestimmte Tagesordnungspunkte in den Vordergrund zu stellen, ohne dabei irgendeine organisatorische Kontinuität aufzubauen. All das geschah zu einer Zeit, als das Problem der Machtergreifung nicht auf der Tagesordnung stand und es keine Klassenpartei geben konnte[3]. Der Zusammenbruch der II. Internationale während des Ausbruch des I. Weltkriegs war kein plötzlicher Verrat, sondern der Abschluß einer ganzen Entwicklung. Die genaue Auffassung der Aufgaben einer Fraktion ist abhängig von einer genauen Vorstellung von der Klassenpartei"[4].
Der Prozeß des Reifens und der Definition der Auffassung von der Fraktion hat seine Wurzeln (aber nicht seinen Abschluß) in diesem ersten Kreis von Genossen, die die Auflösung des Bundes der Kommunisten überlebt hatten. Da es immer unabdingbar ist zu begreifen, von wo wir ausgegangen sind und wohin wir gehen, wollen wir die Aktivität dieser ersten "Fraktion" etwas näher untersuchen.
Bestimmte Sätze des Briefes an Freiligrath oder andere isoliert betrachtete Zitate der Privatkorrespondenz zwischen Marx und Engels sind oft für den Versuch verwendet worden, aufzuzeigen, daß diese Genossen sich ins Privatleben zurückgezogen hätten, um sich mit ihren theoretischen Studien zu beschäftigen, und die sie dann später den lesehungrigen und lerneifrigen Massen zur Verfügung gestellt hätten. Die Wirklichkeit sah ganz anders aus.
Engels meinte dazu: "Die Hauptsache für den Moment ist: die Möglichkeit, unsere Sachen zum Druck zu bringen; entweder in einer Vierteljahresschrift, wo wir direkt attackieren und uns den Personen gegenüber unsere Position sichern; oder in dicken Büchern, wo wir dasselbe tun, ohne nötig zu haben, irgendeine dieser Spinnern auch nur zu erwähnen. Mir ist beides recht; auf die Dauer und bei der zunehmenden Reaktion scheint mir die Möglichkeit für ersteres abzunehmen und letzteres mehr und mehr unsere Ressource zu werden, worauf wir uns werfen müssen" (Engels an Marx, 13.2.1851, MEW Bd 27, S. 191). Marx äußerte sich dazu: “Ich erklärte, wir könnten direkt an keinem Blatt mitarbeiten, überhaupt an keinem Parteiblatt, das wir nicht selbst redigierten. Zu letzterem Schritt aber fehlten alle Bedingungen in diesem Augenblick". (Marx an Engels, 18. Mai 1859, MEW Bd 29, S. 435)[5]
Dies heißt überhaupt nicht Rückzug ins Privatleben und ist etwas anderes als 'eifrig Studien zu betreiben', um nachher die militanten Aktivitäten wiederaufzunehmen. Das Wesentliche für Marx und Engels, für das sie sich voll einsetzten, war die bestmögliche regelmäßige Veröffentlichung einer revolutionären Presse zur öffentlichen Verteidigung und Vertiefung der Perspektive des Kommunismus und der Kritik der kapitalistischen Gesellschaft. Sie verwarfen nicht diese organisierte und geregelte Aktivität, sondern den trügerischen Schritt der Zusammenarbeit mit verwirrten und aktivistischen Elementen, die ihre Arbeit vollkommen zerstört hätten. Wenn sie einen so streng organisierten Arbeitsrahmen nicht haben aufrechthalten können, dann nicht, weil sie es nicht versucht hätten, sondern weil die objektiv notwendigen Bedingungen für die Durchsetzung eines solchen Zieles nicht vorhanden waren. Und diese Bedingungen waren nicht vorhanden, weil die Entwicklung der Arbeiterbewegung noch in ihren Kinderschuhen steckte, und in den Rückflußphasen war selbst die Existenz einer kleinen organisierten revolutionären Gruppe unmöglich. Wir möchten nochmal wiederholen: niemand entscheidet, die Partei 'müsse' verschwinden, die Fraktion 'müsse' auf ein informelles Netz von Genossen beschränkt bleiben. Die objektiven Bedingungen der Klassengegensätze entscheiden darüber. Die Genossen können nur Entscheidungen treffen, wenn sie diese Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen, oder im Gegenteil, wenn sie die Augen davor verschließen und sich und anderen etwas vormachen, wodurch vom Organ der Klasse, der Partei, nur der Name und nichts anderes übrig bliebe. In Wirklichkeit waren diejenigen, die nicht mit in der Luft hängenden Zentralkomitees scherzen, die die Rolle der 'Partei' in den konterrevolutionären Phasen ausfüllten: die kleine informelle Gruppe von Genossen, die sich um Marx organisierte, und die allesamt so beständig und kollektiv arbeiteten, daß sie im revolutionären Milieu unter dem Begriff "Marxens Partei" bekannt wurden. Marx mußte gar in einem Brief an Freiligrath unterstreichen, daß diese Partei nicht existierte. Marx hob hervor, wenn er von der Aktivität der Partei spreche, meine er dies 'in einem weitesten historischen Sinne' als die 'Aktivität der Partei', die die politische Kontinuität zwischen den Parteien sicherstellt. Die Gruppen von Genossen, die diese Kontinuität nach der Auflösung des Bundes der Kommunisten und der I. Internationale hergestellt haben, können aufgrund ihres informellen Organisationsgrades in jeder Hinsicht als Fraktionen aufgefaßt werden, weil es sich nicht um neue revolutionäre Gruppierungen handelte, sondern um wirkliche Fraktionen der alten Parteien. Die 'Partei Marxens' der Jahre 1853-1863 war nichts anderes als die "Fraktion Marxens" der Jahre 1850-52 innerhalb des Bundes. Die "fähigsten Genossen der verschiedenen Länder" während der Zeit zwischen der Auflösung der I. Internationale bis hin zur Geburt der II. Internationale (1889) waren nichts anderes als die alte marxistische 'autoritäre' Fraktion innerhalb der I. Internationale. Unabhängig von der Art und Weise, wie die Fraktionen definiert wurden und wie diese sich den Umständen gemäß organisierten, stellten sie somit die historische Kontinuität zwischen den verschiedenen Phasen der Geschichte der Partei dar.
DAS PROBLEM DER FRAKTION IN DER II. INTERNATIONALE
Die Behauptung, daß Lenin als Chef der bolschewistischen Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands etwas mit einer Fraktion zu tun gehabt hätte, ruft bei Battaglia Verachtung hervor, denn BC zufolge war Lenin der Mann der Partei und nichts anderes. BC zufolge konnte die Revolution in Rußland siegreich sein, weil es eine bolschewistische Partei - und nicht irgendeine 'kaum definierte' Fraktion - gab.
Bevor wir auf diese weitere Geschichtsfälschung Battaglias zu sprechen kommen, muß man den historischen Rahmen in Erinnerung rufen, innerhalb dessen die Aktionen der Bolschewiki und der sozialistischen Linke im Allgemeinen innerhalb der II. Internationale entfaltet wurden. Diese war in einer für die Revolutionäre schwierigen Zeit gegründet worden: einerseits ging in Europa der Prozeß zu Ende, bei dem die Arbeiterklasse selbständig an den bürgerlichen demokratischen Revolutionen (die nunmehr 'von oben' zum Abschluß gebracht wurden, siehe Bismarck in Deutschland) teilnehmen konnte; andererseits waren die Bedingungen, die proletarische Revolution schon auf die Tagesordnung zu setzen, noch nicht vorhanden, da der Kapitalismus noch in der letzten und stürmischsten Phase seiner wirtschaftlichen Entwicklung steckte. Unter diesen Umständen meinten Marx (und Engels nach dessen Tod), daß das Vorhandensein eines starken opportunistischen Flügels in den sozialdemokratischen Parteien eine 'unvermeidbare Tatsache' war. Deshalb empfahlen sie den marxistischen Gruppierungen, vorschnelle Spaltungen zu vermeiden, um sich auf die unnachgiebige politische Verteidigung der Klassenpositionen innerhalb der Partei zu konzentrieren, wobei man auf den Ausbruch einer revolutionären Krise warten müßte, die 'automatisch' zur Spaltung und zum Entstehen wirklicher marxistischer Parteien[6] führen werde.
Die Revolutionäre müssen die entschlossensten Verteidiger der Einheit der Partei sein, wobei sie manchmal vorübergehend auf die Bildung organisatorisch klar umrissener Strömungen verzichten müssen, um der Gefahr von Ausschlüssen und damit des Absterbens zu einer Sekte zuvorzukommen, die von der wirklichen Bewegung der Klasse losgelöst gewesen wäre. Unter den damaligen Umständen war dies die einzig angemessene Vorgehensweise, und tatsächlich erzielte sie mehr als nur einen Erfolg (Annahme des marxistischen Erfurter Programms 1881). Weil aber die Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs und des sozialen Friedens jahrzehntelang andauerte, und die Existenz des opportunistischen Flügels damit 'unvermeidbar' mehr an Boden gewann und sich dieser in der Mehrheit der Partei niederließ, stieß die Partei auf große Schwierigkeiten, sich in einer vorrevolutionären Situation von diesem Einfluß zu lösen. Anfang des Jahrhunderts standen die Marxisten langsam vor der Notwendigkeit, daß sie gegenüber dieser Entwicklung einschreiten mußten, wobei sie von der 'zerstreuten' Verteidigung des Marxismus zu einer mehr koordinierten Vorgehensweise innerhalb der Partei übergehen mußten. Dabei handelte es sich jedoch um einen sehr schwierigen Übergang, denn der Mythos der Einheit über alles war bis tief in die Grundmauern der Partei selber eingedrungen, und die Führungen der Partei warteten jedes Mal mit diesem Argument auf, um die Radikalen als die Spalter der Einheit der Partei darzustellen.
1909 wurde der Versuch von Genossen der holländischen Linke, sich als Tendenz um ein Organ, DE TRIBUNE, zusammenzuschließen, im Keim erstickt, indem Genossen gruppenweise ausgeschlossen wurden, wodurch sie vorübergehend eine Minipartei bilden mußten, und wobei es nicht lange dauerte, bis diese die Schwächen der alten, ursprünglichen Partei wieder neu aufleben ließ[7].
Wie die von BILAN Nr. 24 erwähnten Zitate zeigen, waren die russischen Bolschewiki die einzige Ausnahme, die sich in eine eigenständige Fraktion der SDAPR von 1904 an organisierten. Man könnte überrascht sein, daß die ersten, die sich in Bewegung setzten, diese hinterherhinkenden Russen waren, aber die Erklärung für ihre Avantgarderolle findet sich gerade in den besonderen Bedingungen des russischen Reiches (das damals von Sibirien bis nach Polen reichte). In diesem riesigen Gebiet und in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts stand diese bürgerliche demokratische Revolution, die in Europa schon längst abgeschlossen war, noch auf der Tagesordnung. Auch hatte die verspätete Entwicklung der russischen Bourgeoisie sie daran gehindert, eine Vorreiterrolle in der demokratischen Revolution zu spielen, gleichzeitig verhinderte das vollkommen rückständige Wesen des russischen Zarismus die Verwirklichung der Revolution 'von oben', so wie sie unter Bismarck in Deutschland vollzogen worden war. Dem russischen Proletariat sollte die letzte historische Möglichkeit nicht vergönnt sein, sich selbsttätig an einer bürgerlichen Revolution zu beteiligen.
Aber wie erwähnt hatte Engels schon das Heraufziehen einer revolutionären Krise vorausgesehen, die die organisatorische Spaltung zwischen Marxisten und Opportunisten auf die Tagesordnung setzen würde. Das Heranreifen einer revolutionären Situation im Zarenreich hat die Voraussagungen Engels vollauf bestätigt. Das Zusammenwirken in einer Organisation zwischen marxistischen Revolutionären und den Opportunisten, die zu Kompromissen mit den Demokraten und gar mit den Reaktionären neigten, wurde unmöglich. In Polen hatten die Revolutionäre, die von Rosa Luxemburg geführt wurden, das Problem schon 1894 gelöst, als sie eine neue Partei gründeten, die Sozialdemokratie des Königreichs Polen (SDKP), die im Gegensatz stand zur alten sozialistischen Partei, der PPS (Polnische Sozialistische Partei), welche zutiefst vom Nationalismus durchdrungen war. So hatte Rosa Luxemburg schnell ausreichend Spielraum, aber sie hatte nie die Möglichkeit, die Erfahrung eines Fraktionskampfes zu erleben, um eine Partei zu verteidigen, die vom Entartungsprozeß bedroht ist. Deshalb hat sie es nie geschafft, eine Fraktionsarbeit zu betreiben, und damit hat sie auch nie wirklich die Auffassung einer Fraktionsarbeit verstanden. Diese Schwäche wurde teuer während des heldenhaften Kampfes der Spartakisten gegen die Entartung der deutschen SPD bezahlt, und sie war zum Teil mit ein Grund für die fatale Verspätung bei der Bildung einer neuen kommunistischen Partei in Deutschland im Jahre 1918.
Der Kampf, den Lenin mehr als 10 Jahre lang führte, fand dagegen im Innern einer Partei statt, und so konnte er die politische Auffassung von einer Linksfraktion entwickeln und ausarbeiten, wodurch die Grundlagen für die III. Internationale gelegt wurden.
II. Von Marx zu Lenin, 1848 – 1917
Lenin und die Bolschewiki
Durch die gegenwärtige Beschleunigung der Geschichte, in der die kapitalistische Gesellschaft voll in den Sumpf ihres Zerfalls geraten ist, wird die Frage der proletarischen Revolution als einzige Lösung der Barbarei, die von dem durch die Krise erschütterten Kapitalismus hervorgerufen wird, immer dringender. Die Geschichte hat bewiesen, daß eine solche Revolution nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Arbeiterklasse es schafft, sich selbständig (in Arbeiterräten) gegenüber den anderen Klassen zu organisieren und das Avantgardeorgan hervorzubringen, das sie zu ihrem Sieg führt: die Klassenpartei. Jedoch besteht heute diese Klassenpartei nicht, und viele legen entmutigt die Hände in den Schoß, weil in Anbetracht der gigantischen Aufgaben, die uns bevorstehen, die Aktivitäten gegenwärtig existierender kleiner revolutionärer Gruppen als sinnlos und hoffnungslos erscheinen. Innerhalb des revolutionären Lagers selber reagiert die Mehrheit der Gruppen in Anbetracht der Abwesenheit der Partei immer nur wiederkäuend, indem sie auf die allmächtige Partei verweisen, die da sein müsse, und sie setzen alle Hoffnung darauf, daß allein durch das Bestehen der Partei alle Probleme der Klasse gelöst würden... Der individuelle Rückzug und das große Sprücheklopfen sind zwei klassische Arten, vor dem Kampf um die Partei zu flüchten. Denn dieser Kampf findet jetzt schon, heute, statt. Er stellt eine Kontinuität mit den Aktivitäten der Linksfraktionen dar, die sich in den 20er Jahren aus der niedergehenden Kommunistischen Internationale herausgelöst hatten.
In den ersten beiden Teilen dieser Artikel haben wir die Aktivitäten der Kommunistischen Linke Italiens untersucht, die sich in den 30er und 40er Jahren als Fraktion organisiert hatte, sowie die überstürzte Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei, die vollkommen künstlich durch Genossen von Battaglia Comunista 1952 erfolgte.[8].
In diesem 3. Teil haben wir zunächst gezeigt[9], daß die Arbeitsmethode der Fraktion in den ungünstigen Perioden, in denen die Existenz einer Klassenpartei nicht möglich war, die einzige Art der politischen Arbeit war, die ja auch von Marx selber angewandt wurde. In diesem Teil wollen wir aufzeigen, daß solch eine marxistische Arbeitsmethode für die Partei möglich war aufgrund des Wirkens der bolschewistischen Fraktion der SDAPR (Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands). Gegenüber all denjenigen, die Lobesreden halten auf die "stahlharte" Partei Lenins, und die nur Ironie übrig haben gegenüber den "kleinen Grüppchen der Fraktionen der Linken", wiederholen wir, daß die "Geschichte der Fraktionen die Geschichte Lenins" [10] ist, und daß man nur auf der Grundlage der von ihr geleisteten Arbeit die zukünftige kommunistische Weltpartei aufbauen kann.
"OHNE DIE FRAKTIONEN WÄRE LENIN SELBER EIN BÜCHERWURM GEBLIEBEN"
Mit den Zitaten, welche wir im letzten Artikel gebracht haben, haben wir aufgezeigt, wie Battaglia Comunista (BC) keine Gelegenheit verpaßt, um über sich über die Tatsache ironisch zu äußern, daß Lenins "Was tun?" aus dem Jahre 1902 das ständige Handbuch des perfekten Fraktionisten sei, und so läßt BC keine Gelegenheit aus, um unaufhörlich zu zeigen, daß sie all dieses Geredes um die Fraktion überdrüssig seien[11]. Aber wenn die Genossen aufhörten, nur mit dem Begriff der Partei herum schmeißen und anfingen, die Geschichte der Partei nüchterner zu untersuchen, würden sie feststellen, daß Lenins "Was tun" kaum von einer bolschewistischen Fraktion sprechen konnte, weil sie sich erst in Genf im Juni ... 1904 gebildet hat (das Treffen der "22")[12]. Von diesem Zeitpunkt an haben die Bolschewiki den Begriff der Fraktion und ihr Verhältnis zur gesamten Partei aufgegriffen und entwickelt. Dieser Begriff wurde dann in seiner endgültigen Form präzisiert in der Erfahrung der Revolution von 1905 und insbesondere in der Reaktion auf deren Niederlage[13]:
"Eine Fraktion ist eine Organisation innerhalb der Partei, die nicht durch den Ort der Arbeit, nicht durch die Sprache oder durch andere objektive Bedingungen, sondern durch die besondere Plattform der Auffassungen in Parteifragen zusammengehalten wird." ("Über die neue Fraktion der Versöhnler oder die Tugendhaften", 18/31. Okt. 1911, Bd 17, S. 253).[14]
"In der bolschewistischen Fraktion zeichnen sich Strömungen ab, die dem Bolschewismus in seiner ganz bestimmten taktischen Physiognomie zuwiderlaufen... Die Fraktion ist aber nicht die Partei. In der Partei ist eine Fraktion eine Gruppe von Gleichgesinnten, die sich gebildet hat, um vor allem in einer bestimmten Richtung in der Partei in möglichst reiner Form ihre Auffassungen durchzusetzen. Dazu bedarf es wirklich gleicher Gesinnung. Diesen Unterschied in den Forderungen, die wir an die Einheit der Partei und an die Einheit der Fraktion stellen, muß jeder begreifen, der hinsichtlich der wirklichen Lage der Dinge, hinsichtlich der inneren Reibungen in der bolschewistischen Fraktion ein klares Bild erlangen will." (Beratung der erweiterten Redaktion des "Proleteari", 8-17(21-30) Juli 1909, Bd 15, S. 432).[15]
"Doch als Fraktion, d.h. als Bund von Gleichgesinnten in der Partei, können wir ohne Einheitlichkeit in den Grundfragen nicht weiterarbeiten. Abspaltung von einer Fraktion ist etwas anderes als Abspaltung von der Partei. Diejenigen, die sich von unserer Fraktion abgespalten haben, verlieren keineswegs die Möglichkeit, in der Partei zu arbeiten"[16].
Die Fraktion ist also eine Organisation innerhalb der Partei, die durch eine Plattform genau definiert ist, und die um Einfluß innerhalb der Partei kämpft, und die das Endziel verfolgt, daß ihre Prinzipien "in der reinst möglichen Form" innerhalb der Partei siegen, d.h. ohne irgendwelche Vermittlung oder nicht vorhandene Homogenität. Während dieser Zeit wirkt die Fraktion in der Partei mit den Fraktionen, die andere Plattformen verteidigen, so daß die praktische Erfahrung und die öffentliche politische Debatte es der gesamten Partei ermöglichen, sich darüber im klaren zu werden, welche Plattform am korrektesten ist. Diese Koexistenz ist unter der Bedingung möglich, daß es innerhalb der Partei keinen Platz gibt für diejenigen, die sich schon für einen Austritt aus der Partei entschieden haben. Denn wenn diese weiter in der Partei, innerhalb der Organisation selber bleiben, wird die Organisation auch von Zerstörung bedroht. Dies war die Rolle der "liquidatorischen" (zerstörerischen) Strömung in Rußland, die für die Auflösung der illegalen Partei und ihre Unterwerfung unter die zaristische "Legalität" eintrat. Die grundsätzliche Divergenz zwischen den Bolschewiki und den anderen Fraktionen bestand gerade darin, daß während die einen die "Liquidatoren" im allgemeinen verurteilten, betrachteten sie sie weiterhin als Mitglieder der Partei. Die Bolschewiki meinten, es müsse einen Platz in der sozialistischen Partei für alle Meinungen geben, mit Ausnahme derjenigen, die antisozialistisch solche Auffassungen vertreten:
"Falsch und verlogen ist am Versöhnlertum die Grundlage - das Bestreben, die Einheit der Partei des Proletariats auf dem Bündnis aller, darunter auch der anti-sozialdemokratischen, nicht-proletarischen Fraktionen aufzubauen, falsch und verlogen ist seine prinzipienlose "Vereinigungs"-Projektemacherei, die zur Aufschneiderei führt; falsch sind die Phrasen gegen die "Fraktionen" (wobei in der Tat eine neue Fraktion gebildet wird).[17]
Es ist interessant festzustellen, daß diese Zeilen Lenins gegen Trotzki gerichtet waren, der in der SDAPR der Hauptgegner der organisierten Existenz der Fraktionen war, welche er als unnütz und als für die Partei schädlich betrachtete. Trotzki verstand überhaupt nicht die Notwendigkeit einer Fraktionsarbeit. Dies sollte katastrophale Konsequenzen während und nach dem Niedergang der russischen Revolution haben.
"Man muß feststellen, daß Trotzki - bei allen Fragen hinsichtlich der Revolution von 1905 wie auch während der ihr nachfolgenden Zeit - im allgemeinen auf der Seite der Bolschewiki hinsichtlich der Prinzipienfragen stand, aber bei allen Organisationsfragen schlug er sich auf die Seite der Menschewiki.
Sein mangelndes Begreifen der Rolle der Partei, ihres Konzeptes während dieser Zeit war ausschlaggebend für seine Position "gegen die Fraktionen" zugunsten der Einheit um jeden Preis.
Seine jämmerliche gegenwärtige Position - die ihn in die Arme der Sozialdemokratie treibt - beweist, daß Trotzki in dieser Hinsicht nichts aus den Ereignissen gelernt hat"[18].
Natürlich wurde Lenin sowohl in der Bewegung in Rußland als auch international aufgrund seiner sektiererischen und spalterischen "Verrücktheit" angegriffen, während gleichzeitig einhellig das "Ende der Fraktionen" gefordert wurde. Lenin wollte eigentlich als erster selber das Ende der Fraktionen, weil er wußte, daß die Existenz von Fraktionen ein Symptom der Krise in der Partei war. Aber er wußte auch, daß der offene, praktische Kampf der Fraktion das einzige wirksame Mittel gegen die Krankheit der Partei war, weil nur aus der öffentlichen Konfrontation der Plattformen die Klarheit über den einzuschlagenden Weg hervorgehen würde.
"Jede Fraktion ist davon überzeugt, daß ihre Plattform und Politik der beste Weg zur Beseitigung der Fraktion sei, denn niemand hält das Bestehen von Fraktionen für ein Ideal. Der Unterschied besteht darin, daß Fraktionen mit einer klaren, konsequenten, in sich geschlossenen Plattform ihre Plattform geradeheraus verteidigen, während sich prinzipienlose Fraktionen hinter billigem Geschrei über ihre Tugendhaftigkeit, ihre fraktionelle Ungebundenheit verstecken" ("Über neue Fraktionen der Versöhnler oder der Tugendhaften", ebenda, Bd. 17, S. 254).[19]
Eine der Hauptlügen, die der Stalinismus hervorgebracht hat, ist die der Existenz einer monolithischen bolschewistischen Tradition, in der es keinen Platz gegeben habe für viel Gerede und die Debatten nur Intellektuellen gedient hätten. Diese Lüge wird ja auch gerade von den Menschewisten als Vorwurf erhoben, als sie gegenüber den Bolschewiki sagten, die "Debatten sind verschlossen". Natürlich stimmt es, daß die Debatte zwischen den Menschewiki und den Versöhnlern "frei" war, während die unter den Bolschewiki "einem Zwang" unterworfen war. Aber das stimmt nur insofern, als die erstgenannten sich frei fühlten, über alles zu diskutieren, wenn es ihnen jeweils in den Sinn kam, und zu schweigen, wenn sie jeweils Divergenzen zu verheimlichen hatten. Für die Bolschewiki dagegen waren die Debatten nicht "frei", sondern eine Pflicht, und sie waren jeweils umso mehr geboten, wenn Divergenzen innerhalb der Fraktion auftauchten. Diese Divergenzen mußten nämlich öffentlich ausdiskutiert werden, um überwunden, oder auf die Spitze getrieben zu werden, der dann eine organisatorische Abtrennung folgte, die auf klaren Motiven fußte.
"Zu diesem Zweck eröffneten wir im "Proletari" die Diskussion über diese Fragen. Wir brachten alles, was uns zuging, und übernahmen alles, was diesbezüglich von den Bolschewiki in Rußland geschrieben wurde. Nicht einen einzigen Diskussionsartikel haben wir bisher abgelehnt, und so werden wir auch in Zukunft verfahren. Leider haben die Genossen Otsowisten und die mit ihnen sympathisierenden Genossen bisher unserer Zeitung wenig Material zugesandt und überhaupt eine offene und vollständige Darlegung ihres prinzipiellen Glaubensbekenntnisses auf den Seiten der Presse gescheut, und dafür Gespräche "unter sich" vorgezogen. Wir fordern alle Genossen, Otsowisten wie orthodoxe Bolschewisten auf, ihre Anschauungen in den Spalten des "Proletari" darzulegen. Wenn erforderlich, werden wir die uns zugegangenen Materialien auch in einer besonderen Broschüre herausgeben. Ideologische Klarheit und Prinzipienfestigkeit, das brauchen wir, besonders in der gegenwärtig schwierigen Situation... Unsere Fraktion darf den inneren ideologischen Kampf, wenn er einmal notwendig geworden ist, nicht fürchten. Sie wird dadurch noch mehr erstarken" (Zu den nächsten Aufgaben, 12./25. Juli 1909, Bd 15, S. 358).[20]
Solch ein Bericht deckt den großen Beitrag Lenins zur historischen Beschreibung des Wesens und der Funktion der Fraktion auf - ungeachtet all der Ironie Battaglias über die "10 Gebote eines guten Fraktionisten". Nur nebenbei wollen wir festhalten, daß BC in einem Satz von der Alternative zur Partei von 1902 an spricht und in einem anderen behauptet, die Partei habe als solche "mindestens von 1912 an" gehandelt. Und was hat dann Lenin von 1902 - 1912 getan - da er ja keine Fraktionsarbeit geleistet hat? Hat er makrobiologische Kochkunst betrieben? In Wirklichkeit will BC behaupten, daß die Bolschewiki sich nicht darauf beschränkt hätten, theoretische Arbeit zu leisten und Kader auszubilden, sondern daß sie auch eine Arbeit in Richtung der Massen betrieben, und daß sie deshalb auch keine Fraktion sein konnten. In Wirklichkeit ist also aus BCs Sicht die Entscheidung, als Fraktion zu wirken, eine Flucht vor dem Klassenkampf, eine Weigerung, sich die Hände mit der Massenarbeit zu beschmutzen, was bewirkt daß man sich auf eine "Politik stützt, die von einem großen Bekehrungseifer geprägt ist und auf Propaganda beschränkt, und sich auf die Untersuchung der sog. Hintergrundfragen eingrenzt, wodurch die Aufgaben der Partei auf die Aufgaben einer Fraktion, wenn nicht gar einer Sekte eingeschränkt werden".[21].
"Das Spiel ist gelaufen": auf der einen Seite steht Lenin, der an die Massen denkt, und der somit nur die Partei sein kann, auf der anderen Seite wiederum gibt es in den 30er Jahren die Italienische Linke im Ausland, die als Fraktion wirkt und nur ein Kreis von Studenten und kleinen Professoren sein kann. Wir haben schon von den wirklichen Aktivitäten Lenins gesprochen; schauen wir uns jetzt an, worin die wirklichen Aktivitäten der Italienischen Linken bestanden.
"Man könnte meinen, daß die Aufgaben der Fraktion rein didaktischer Art seien. Aber solch eine Kritik kann von den Marxisten mit den gleichen Argumenten gegenüber all denjenigen verworfen werden, die trügerischerweise den Kampf des Proletariats für die Revolution und die Umwandlung der Welt auf die gleiche Ebene setzen wie Wahlkämpfe.
Es stimmt vollkommen, daß die besondere Rolle der Fraktion gerade in einer erzieherischen Rolle der Kader durch die Aufarbeitung der Erfahrung besteht, und dies durch die gewissenhafte Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Ereignisse erfolgen muß. Aber es trifft auch zu, daß diese hauptsächlich ideologische Arbeit auch die Bewegung der Massen berücksichtigen und jeweils politische Lösungen für den Erfolg dieser Massenbewegungen anbieten muß. Ohne die Arbeit der Fraktionen wäre Lenin selber ein Bücherwurm geblieben und kein revolutionärer Chef geworden.
Die Fraktionen sind also der einzige historische Ort, an dem die Arbeiterklasse ihre Aufgabe für die Organisierung als Klasse fortführen kann. Von 1928 bis heute hat der Genosse Trotzki diese Arbeit des Aufbaus der Fraktionen vollkommen vernachlässigt, und deshalb hat er nicht zur Verwirklichung der Bedingungen zum Entstehen einer neuen Massenbewegung beigetragen"[22].
Wie man sieht ist die Ironie Battaglias über die Fraktion als eine vor den Massen flüchtende Sekte ganz fehl am Platz. BILAN hatte die gleiche Sorge wie die Bolschewiki, nämlich "dazu beizutragen, die Entwicklung für die Bedingungen einer Massenbewegung zu erfüllen". Die Tatsache, daß die quantitative Dimension der Verbindungen zu den Massen, den die Bolschewiki in den Jahren um 1910 und die Italienische Linke in den 30er Jahren hatten, ganz anders war, hängt sicher nicht von den persönlichen Tendenzen des einen oder anderen ab, sondern von den objektiven Bedingungen des Klassenkampfes, die ganz unterschiedlich waren. Die bolschewistische Fraktion war nicht zusammengesetzt aus einer Gruppe von Genossen, die den Tod einer Partei überlebt hatten. Sondern sie waren eine Gruppe von Genossen, die in einer Zeit der Konterrevolution und der tiefsten Niederlage des Proletariats lebten. Es handelte sich um einen (oft in der Mehrheit befindlichen) Teil einer proletarischen Massenpartei (wie alle Parteien der 2. Internationale), die in einer unmittelbar vorrevolutionären Phase (1904) gegründet worden waren, und die sich während einer gewaltigen revolutionären Welle entfaltet hatte, welche zwei Jahre lang (1905-6) das gesamte russische Reich vom Ural bis hin zu Polen erschütterte. Wenn man quantitative Vergleiche zwischen den Aktionen der Fraktion der Italienischen Linken und denen der Bolschewiki anstellen will, muß man sich auf eine Zeit beziehen, die geschichtlich relativ vergleichbar ist, d.h. den revolutionären Jahren zwischen 1917-21. Während jener Jahre entfaltete sich die "Abstentionistische Kommunistische Fraktion" (linke Fraktion der PSI) so, daß sie zur Zeit der Gründung der Italienischen Kommunistischen Partei ein Drittel der Mitglieder der alten sozialistischen Massenpartei und die Gesamtheit des Jugendverbandes umfaßte. Die Genossen, die dazu in der Lage gewesen waren, diesen Prozeß zu steuern, wirkten 10 Jahre später in der Fraktion der Linken im Ausland mit, obgleich ihre Anzahl damals auf ein gutes Dutzend Kader zusammengeschmolzen war. Was hatte sich geändert? Hatten die Genossen nicht mehr den Willen, eine Massenbewegung zu führen? Natürlich nicht!
"Seitdem wir bestehen, war es uns nicht möglich eine Massenbewegung zu führen. Wir müssen uns klar vor Augen halten, daß dies nicht von unserem Willen abhing, von unserer Unfähigkeit, oder aufgrund der Tatsache, daß wir eine Fraktion gewesen wären, sondern dies ist zurückzuführen auf eine Situation, deren Opfer wir waren, genauso wie die revolutionäre Arbeiterklasse der ganzen Welt selber das Opfer dieser Verhältnisse ist" (BILAN, Nr. 28, 1935).
Was sich geändert hatte, waren also die objektiven Bedingungen des Klassenkampfes, der von einer vorrevolutionären Phase - welche die Umwandlung der Fraktion zur Partei auf die Tagesordnung stellte - zu einer konterrevolutionären Phase übergewechselt war, welche die Fraktion zwang, gegen den Strom zu schwimmen. Durch ihre Arbeit trug sie zur Entfaltung neuer Situationen bei, die die erneute Umwandlung zur Partei auf die Tagesordnung stellen würden.
VON DER BOLSCHEWISTISCHEN FRAKTION DER SDAPR ZUR KOMMUNISTISCHEN PARTEI RUSSLANDS
Wenn man die Positionen Battaglias kritisiert, kommt man immer auf den entscheidenden Punkt, d.h. auf die Bedingungen für das Entstehen der Partei zu sprechen. Wir haben gesehen, wie BC gerne Lenin von der beleidigenden Bezeichnung "guter Fraktionist", die er ja schon von 1902 trug, weißwaschen möchte. Weil sie Konzessionen machen wollen, sind die Genossen von BC bereit, ein Lippenbekenntnis abzulegen und zu sagen, daß die Bolschewistische Partei nur von 1912 existiert habe, unter der Voraussetzung, daß sie eindeutig vor der revolutionären Phase bestanden habe, die im Februar 1917 anbrach. Sie wollen auf jeden Fall vermeiden zuzugeben, daß der Kampf der bolschewistischen Fraktion der SDAPR 1917 in der Umwandlung zur Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewisten) mündete, weil dies bedeutete einzugestehen, daß "die Umwandlung der Fraktion der Partei bedingt wird ... durch das Auftauchen von revolutionären Bewegungen, die es der Fraktion ermöglichen würden, die Führung der Kämpfe um den Aufstand zu übernehmen" (BILAN, Nr. 1, 1933). Man muß also klären, ob diese Umwandlung 1912 - fünf Jahre vor der Revolution - stattgefunden hat oder nicht.
Was war 1912 passiert? In Prag hatte es eine Konferenz der territorialen Organisationen der SDAPR gegeben, welche in Rußland tätig waren. Und diese Konferenz hatte eine Neuorganisierung der Partei ermöglicht, welche nach der Niederlage der Revolution von 1905 zerstört worden war. Auch war ein neues Zentralkomitee gewählt worden, welche das zuvor aufgelöste ersetzte. Die Konferenz und das neue Zentralkomitee waren von den Bolschewiki beherrscht worden, während die anderen Tendenzen der SDAPR sich nicht an der "spalterischen" Initiative Lenins beteiligten.
Auf den ersten Blick scheint Battaglia recht zu haben: eine Konferenz der Bolschewiki hat die Initiative zum Wiederaufbau der Partei ergriffen, unabhängig von den anderen Fraktionen. Also von jenem Moment an handelten die Bolschewiki als Partei, ohne auf den Anbruch einer vorrevolutionären Phase zu warten. Aber wenn wir uns das ganze etwas näher betrachten, kann man sehen, daß das alles etwas anders war. Die Geburt einer revolutionären Fraktion innerhalb der alten Partei fand statt als Reaktion gegen die Krankheiten der Partei, gegen ihre Unfähigkeit, ausreichende Antworten auf die neuen historischen Notwendigkeit zu liefern, auf die Löcher, die offen gebliebenen Fragen in ihrem Programm. Die Umwandlung der Fraktion zur Partei heißt nicht, daß man ganz einfach zum vorherigen "Status Quo" zurückkehrt, zur alten, von den Opportunisten leergefegten Partei. Das heißt Bildung einer neuen Partei, die auf dem neuen Programm fußte, die die vorherigen Unklarheiten eliminiert hatte, wobei man sich auf die "reinsten" Prinzipien der revolutionären Fraktion stützte. Andernfalls wäre man zum Ausgangspunkt zurückgekehrt, von wo aus sich die gleiche opportunistische Abweichung entfaltet hätte, die jetzt verjagt worden war. Und soll Lenin 1912 die Fraktion zur Partei auf der Grundlage eines "neuen Programms" umgewandelt haben? Selbst im Schlaf hätte er nicht solch eine Idee gehabt. Erstens bringt die Resolution, die von der Konferenz abgestimmt wurde, die Wichtigkeit der Arbeit zum Ausdruck, die für den "Zusammenschluß aller Parteiorganisationen Rußlands ohne Unterschied der Fraktionen sowie für den Wiederaufbau unserer Partei"[23] geleistet wurde. Es handelte sich also keineswegs um eine rein bolschewistische Konferenz, zumal ihre Organisierung zum Großteil dem territorialen Komitee in Kiew übertragen worden war, das von den Menschewisten beherrscht wurde, und es war gerade ein Menschewik, der der Mandatsprüfungskomission vorstand[24]. Von einer Änderung des alten Programms war nichtmal die Rede, und die getroffenen Entscheidungen bestanden einfach in der Anwendung der Resolutionen, welche die Liquidatoren verurteilten. Es handelte sich dabei um Resolutionen, die 1908 und 1910 von den "Repräsentanten aller Fraktionen" verabschiedet worden waren.
Die Konferenz setzte sich also nicht nur aus "Mitgliedern der Partei zusammen, unabhängig von ihrer Fraktionszugehörigkeit", sondern sie stützte sich auch auf eine Resolution, die von "den Repräsentanten aller Fraktionen" unterstützt wurde. Es liegt auf der Hand, daß es sich nicht um die Gründung einer neuen bolschewistischen Partei handelte, sondern um die einfache Neuorganisierung der alten sozialdemokratischen Partei. Es lohnt sich hervorzuheben, daß solch eine Umorganisierung nur als möglich angesehen wurde, weil "die Arbeiterbewegung wieder auf dem aufsteigenden Pfad" sei[25] nach den Jahren der Reaktion von 1908-1910. Wie man sieht, dachte Lenin überhaupt nicht an die Gründung einer neuen Partei vor den revolutionären Schlachten, sondern er hatte nicht mal die Illusion der Neuorganisierung dieser alten Partei, wenn es keine neue Phase des Klassenkampfes geben würde. Die Genossen von Battaglia - und nicht nur sie - sind so sehr von dem Wort Partei hypnotisiert, daß sie nicht mehr in der Lage sind, die Tatsache mit klarem Kopf zu untersuchen, wobei sie als eine entscheidende Wende das bezeichnen, was in Wirklichkeit eine wichtige Etappe bei dem Prozeß der Abgrenzung vom Opportunismus war. Die Wahl eines Zentralkomitees 1912 auf einer Konferenz, in der die Bolschewiki die vorherrschende Gruppe waren, kann nicht als Beweis für das Ende der Fraktionsphase und als den Anfang der Phase der Partei aufgefaßt werden. Ganz einfach schon allein, weil es in London 1905 eine ausschließlich von Bolschewiki besuchte Konferenz gegeben hatte, die sich als den 3. Kongreß der Partei bezeichnet hatte, und die ein Zentralkomitee gewählt hatte, welches ausschließlich aus Bolschewiki bestand und die Menschewiki als außerhalb der Partei stehend auffaßte. Aber im darauffolgenden Jahr wurde sich Lenin des Fehlers bewußt, der begangen worden war, und auf dem Kongreß von 1906 hatte sich die Partei wieder zusammengeschlossen, wobei die beiden Fraktionen als Fraktionen ein- und derselben Partei auftraten. So schätzte Lenin zwischen 1912-14 die Situation auch so ein, daß die Phase des Kampfes der Fraktion jetzt dabei sei vorüberzugehen und daß die Stunde der endgültigen Herauskristallisierung geschlagen habe. Aus einem eng russischen Standpunkt aus konnte dies vielleicht zutreffen, aber aus einem internationalen Standpunkt aus war dies sicherlich eine vorreife, verfrühte Einschätzung:
"Diese Fraktionsarbeit Lenins fand nur innerhalb der russischen Partei statt, ohne zu versuchen, diese auf internationaler Ebene auszudehnen. Man muß nur seine verschiedenen Interventionen auf den verschiedenen Kongressen lesen, um sich davon zu überzeugen, und man kann sehen, daß diese Arbeit außerhalb der russischen Kreise vollkommen unbekannt blieb".[26].
Praktisch fand dann die endgültige Herauskristallisierung zwischen 1914 und 1917 gegenüber der doppelten Herausforderung des Krieges und der Revolution statt, die unter den Sozialisten eine klare Abgrenzung zwischen Sozialpatrioten und Internationalisten bewirkte. Lenin war sich dessen voll bewußt - und genauso wie er 1906 für die Wiedervereinigung der Partei gekämpft hatte - trat er im Februar 1915 dafür ein, als er der Gruppe Trotzkis "Nashe slovo" antwortete: "Wir sind voll mit euch einverstanden, daß die Sammlung aller wirklichen sozial-demokratischen Internationalisten eine der dringendsten Aufgeben der jetzigen Zeit ist..."[27].
Das Problem war, daß aus Lenins Sicht die Vereinigung der Internationalisten in einer wirklich kommunistischen Partei nur unter der Bedingung möglich war, daß man diejenigen, die nicht wirklich konsequent internationalistisch waren, beiseite drängt und herausschmeißt, während Trotzki - wie gewohnt - das Unversöhnliche "versöhnen" wollte. Denn er wollte die Einheit der internationalistischen Partei "auf der Union all der Fraktionen" bauen, wobei diejenigen eingeschlossen wären, die nicht bereit wären, mit den Feinden des Internationalismus zu brechen. Drei Jahre lang hat Lenin unaufhörlich gegen diese Illusionen gekämpft, als er seinem Fraktionskampf um die Klarheit von dem zuvor ausschließlich russischen Rahmen auf eine internationale Ebene übertrug, den der "Zimmerwälder Linken"[28]. Dieser große internationale Kampf war der Gipfel und der Abschluß der Fraktionsarbeit der Bolschewiki, die bei Ausbruch der Revolution in Rußland gut vorbereitet dastanden. Dank dieser Kampftradition und aufgrund der Entwicklung einer revolutionären Situation konnte Lenin unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Rußland die Vereinigung der Bolschewiki mit den anderen konsequenten Internationalisten auf der Grundlage eines neuen Programms vorschlagen. Der neue Name sollte "Kommunistische Partei" sein, wodurch der alte Begriff "Sozialdemokratie" ersetzt wurde. Dadurch kam es zum letzten Ausscheidungsprozeß bei den rechten Bolschewiki (Voitinski, Goldenberg), die zu den Menschewiki überwechselten, während das Zentrum der "alten Bolschewiki" (Sinowjew, Kamenew) sich Lenin entgegenstellte unter Berufung auf das alte Programm, auf das sich die Konferenz von 1912 gestützt hatte. Lenin wurde beschuldigt, der "Totengräber des ganzen bolschewistischen Kampfes" zu sein. Darauf erwiderte er, daß der ganze Kampf der Bolschewiki nur eine Vorbereitung für den Aufbau einer wirklich kommunistischen Partei gewesen sei: "Schaffen wir eine proletarische kommunistische Partei; Elemente einer solchen Partei haben die besten Anhänger des Bolschewismus bereits aufgebaut.[29]“ Hier kam der lange Kampf der bolschewistischen Fraktion zum Abschluß, hier kam es zur wirklichen Umwandlung zur Partei. Wir sagen wirklichen, weil von einem formalen Standpunkt aus der Name Kommunistische Partei erst im März 1918 eingeführt wurde, während die endgültige Fassung des neuen Programms erst im März 1919 angenommen wurde. Aber der grundsätzliche Übergang fand im April 1917 statt (8. Gesamtrussische Konferenz der Bolschewiki). Man darf nicht vergessen, was eine Partei von einer Fraktion unterscheidet, ist ihre Fähigkeit, direkt den Lauf der Ereignisse zu beeinflussen. Die Partei ist tatsächlich "ein Programm, aber auch ein Willen zur Handlung" (Bordiga), unter der Voraussetzung natürlich, daß dieser Willen auch in objektiv günstigen Voraussetzungen für die Entwicklung einer Klassenpartei zum Ausdruck kommen kann. Im Februar 1917 waren die Bolschewiki nur einige Tausend, und sie hatten keine führende Rolle bei dem spontanen Aufstand gespielt, der die revolutionäre Periode eröffnete. Ende April waren sie schon mehr als 60.000 und waren als einzige wirkliche Opposition gegen die bürgerliche provisorische Regierung anerkannt. Mit der Zustimmung zu den Aprilthesen und der Notwendigkeit eines neuen Programms wurde die Fraktion zur Partei, und sie öffnete die Tür zum "roten Oktober".
Im nächsten Artikel dieser Serie werden wir untersuchen, wie die besonderen und geschichtlich neuen Bedingungen des Niedergangs der russischen Revolution das Auftauchen einer Linksfraktion verhindert haben, um in der entartenden bolschewistischen Partei den Kampf Lenins innerhalb der sozialdemokratischen Partei wieder aufzunehmen. Die Unfähigkeit der russischen Opposition, eine Fraktion zu bilden, legte die Grundlage für das historische Scheitern der trotzkistischen internationalistischen Opposition, während die Italienische Linke - sich auf die Arbeitsmethode Marxens und Lenins stützend - von 1937 an in der Lage war, eine Internationale Kommunistische Linke zu bilden[30]. Wir werden ebenfalls sehen, wie die Aufgabe dieser Arbeitsmethode von den Genossen, die die Internationalistische Kommunistische Partei 1943 gegründet haben, die Ursache ist für die Unfähigkeit, als revolutionärer Umgruppierungspol zwischen den Organisationen zu wirken (Battaglia Comunista und Programma Comunista), die aus dieser Partei hervorgingen.
Beyle.
(aus Internationale Revue, Nr. 65, englisch, französisch, spanische Ausgabe, 2. Quartal 1991).
[1] "Fraktion und Partei in der Erfahrung der Italienischen Linke",in Prometeo, Nr. 2,März 1979,
[2] "Hin zur 2 3/4 Internationale?" in BILAN; Nr. 1, Nov. 1933
[3] Es konnte keine voll entwickelte Klassenpartei geben. Der Bund der Kommunisten und die I. Internationale waren beide Klassenparteien, die der Entwicklung der Bewegung der Arbeiterklasse voll entsprachen. (Hinweis der IKS).
[4] "Das Problem der Fraktion in der II. Internationale", in BILAN, Nr. 24,1935.
[5] Marx verstand darunter eine wirklich sozialistische Zeitung. Die unterschiedslose Verwendung des Wortes 'Partei' zeigt klar, daß man noch in den Kinderschuhen steckte bei der historischen Definition der Struktur und der Funktion der Klassenpartei.
[6] siehe dazu die Korrespondenz von Marx und Engels mit den Führern der deutschen Partei,
[7] Während des I. Weltkriegs schwankte die Führung der holländischen Sozialdemokratie zwischen einer Politik der zweideutigen Unterstützung des englisch-amerikanischen Imperialismus. Die internationalistischen Schriften der linken Parteimitglieder wie Gorter wurden einer Zensur unterworfen; siehe dazu "Die holländische Linke", Artikelsammlung der IKS.
[8] Die ersten Teile dieser Artikelserie wurden in der International Review Nr. 59/61 (engl., franz., spann. Ausgabe) veröffentlicht. Weiteres Vertiefungsmaterial in "La Gauche Communiste d'Italie, 1927-52 (erhältlich auch auf Englisch), sowie "Rapports entre fraction de gauche du PC d'Italie et l'Opposition de Gauche Internationale 1929-1933".
[9] Siehe 3. Teil "Von Marx bis Lenin, 1848-1917, I. Lenin und die Bolschewiki",
[10] Intervention Bordigas auf dem 6. erweiterten Exekutivkomitee der Komintern 1926.
[11] "1902 schon hatte Lenin die taktischen und organisatorischen Grundlagen geschaffen, auf der die Alternative zum Opportunismus der russischen Sozialdemokratie, die Parteialternative aufgebaut wurde; es sei denn man möchte "Was tun?" als die 10 Gebote des guten Fraktionisten darstellen" ("Fraktion und Partei in der Erfahrung der Italienischen Linken", in Prometeo Nr. 2, März 1979).
[12] Die (mehrheitlichen) Bolschewiki auf dem Kongreß von 1903 der SDAPR waren das Ergebnis der vorübergehenden Allianz zwischen Lenin und Plekanov. Die Fraktion von 1904 nannte sich Bolschewistisch, um sich auf die Positionen zu berufen, die von der Mehrheit des Kongresses von 1903 vertreten wurde.
[13] Es ist aufschlußreich, daß die vollständige Theoretisierung des Konzeptes der Fraktion durch Lenin erst in den Jahren der furchtbaren Reaktion nach der Revolution von 1905 stattfand. Erst die Aktivität der Fraktion machte es möglich, den ungünstigen Zeiten zu widerstehen.
[14] "Über die neue Fraktion der Versöhnler oder die Tugendhaften", Sozialdemokrat Nr. 24, 18(31) Okt. 1911, Lenin, Ges. Werke, Bd. 17,
[15] "Beratung der erweiterten Redaktion des "Proletari", 8-17(21-30) Juli 1909, Bd 15, S. 432).
[16] "Die Liquidierung des Liquidatorentums", Proletari Nr. 46, 11 (24) Juli 1909, Bd 15).
[17] Ebenda, siehe Fußnote 7
[18] "Das Problem der Fraktionen in der 2. Internationale", in BILAN Nr. 24, 1935.
[19] Ebenda, Fußnote 7
[20] ("Zu den nächsten Aufgaben", 12/25. Juli 1909, Bd 15, S. 358).
[21] Politische Plattform der Internationalistischen KP (BC) von 1952. In einer neulich stattgefundenen Aktualisierung im Jahre 1982 ist dieser Absatz unverändert übernommen worden.
[22] "Hin zur 2 3/4 Internationale" in BILAN Nr. 1, 1933, Auszüge sind im "Bulletin d'Etude et de Discussion de Révolution Internationale", Nr. 6, April 1974.
[23] (6. Konferenz der SDAPR in Prag, 6-17 (18-30) Jan. 1912, Resolution der Konferenz, "Über die Organisationskommission Rußlands, die mit dem Aufruf zur Konferenz befaßt ist", Bd 17.
[24] "Die Situation in der SDAPR und die unmittelbaren Aufgaben der Partei", 16.Juli 1912, Gazeta Robotnicza, Nr. 15-16, Bd 18, "Es war gerade der Delegierte dieser Organisation (aus Kiew), der der Vorsitzende der Mandatskommission auf der Konferenz wurde".
[25] Aus den Resolutionen der Konferenz. Lenin kam 1915 nochmal auf dieses Thema zu sprechen: "Die Jahre 1912-14 standen im Zeichen des Beginns eines neuen grandiosen revolutionären Aufschwungs in Rußland. Wir wurden aufs neue Zeugen einer gewaltigen Streikbewegung, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Am revolutionären Massenstreik nahmen im Jahre 1913 nach den minimalsten Berechnungen anderthalb Millionen teil, im Jahre 1914 überstieg die Zahl schon 2 Mio. und näherte sich dem Stand von 1905" (Sozialismus und Krieg, "Die Arbeiterklasse und der Krieg", MEW Bd 21, S. 321, Sommer 1915).
[26] "Das Problem der Fraktionen in der 2. Internationale", BILAN, Nr. 24, 1935
[27] "Brief des ZK der SDAPR an die Reaktion des Nashe Slovo", 10 (23) März 1915, Bd. 21
[28] Für ein umfassenderes Verständnis der Rolle der Bolschewiki bei der Zimmerwalder Konferenz siehe "International Review" Nr. 57.
[29] "Zur Doppelmacht", Prawda, Nr. 28, 9.April 1917, Bd. 24.
[30] Siehe die beiden ersten Teile dieser Artikelserie zur Geschichte der Italienischen Fraktion in den 30er Jahren.