Gespeichert von IKS am
In der "INTERNATIONALEN REVUE" Nr.14 und 15 veröffentlichten wir die ersten zwei Artikel dieser Serie. Wir zeigten darin auf, dass die proletarische Revolution 1917 das Resultat der bewussten und massiven Aktion der Arbeiter war. Ebenso war sie das Ergebnis ihres Kampfes gegen die Organisationen der Bourgeoisie (Menschewiki, Sozialrevolutionäre), welche das Proletariat zu sabotieren versuchten und die Arbeiter im 1.Weltkrieg für die Verteidigung der imperialistischen Interessen Russlands einspannen wollten. Wir haben auch aufgezeigt, wie die Bolschewiki in diesem gewaltigen Entwicklungsprozess des Klassenbewusstseins und der Kampfkraft klar eine Vorreiterrolle spielten. Sie waren der Kristallisationspunkt dieser immensen revolutionären Energie, die den bürgerlichen Staat im Aufstand vom 24. und 25. Oktober 1917 zerstörte. Der Stalinismus war nicht die Fortsetzung dieses reissenden Stromes befreiender Energie, sondern das Gegenteil: die brutale Erwürgung allen Lebens im Proletariat; die Konterrevolution (1).
Angesichts der Degenerierung, welche durch den Stalinismus verkörpert wird, glauben viele Arbeiter den von der herrschenden Klasse verbreiteten Lügen, die behaupten, dass die Russische Revolution ‘von innen her verfaulte’ und die Bolschewiki die russischen Arbeiter missbraucht hätten, um an die Macht zu gelangen (2). Eine solche Darstellung der Oktoberrevolution, wie sie die Bourgeoisie verbreitet, widerspiegelt lediglich ihre eigene Vorstellung der Politik: Lügen und Massenmanipulation. Wie auch immer, der Kurs zur Oktoberrevolution wurde von geschichtlichen Gesetzmässigkeiten gesteuert und nicht durch die machiavellistische Politik der Bourgeoisie. "Die Russische Revolution hat hier nur die Grundlehre jeder grossen Revolution bestätigt, deren Lebensgesetz lautet: Entweder muss sie sehr rasch und entschlossen vorwärtsstürmen, mit eiserner Hand alle Hindernisse niederwerfen und ihre Ziele immer weiter stecken, oder sie wird sehr bald hinter ihren schwächlichen Ausgangspunkt zurückgeworfen und von der Konterrevolution erdrückt." (Rosa Luxemburg, "Zur Russischen Revolution", Ges. Werke, Bd.4, Seite 339).
Die gewaltige Fülle an Erfahrungen, die in der Zeit von Februar bis Oktober 1917 gemacht wurden, zeigt den Arbeitern, dass die Zerstörung des bürgerlichen Staatsapparates möglich ist. Doch die tragische Degenerierung der Russischen Revolution führt uns eine andere, genau so wichtige Lehre vor Augen: Die proletarische Revolution kann nur dann siegreich sein, wenn sie sich über den ganzen Planeten ausbreitet.
Die russische Revolution hat mit ihrer ganzen Kraft für die Ausbreitung auf andere Länder gekämpft
"Die Revolution Russlands war in ihren Schicksalen völlig von den internationalen Ereignissen abhängig. Dass die Bolschewiki ihre Politik gänzlich auf die Weltrevolution des Proletariats stellten, ist gerade das glänzendste Zeugnis ihres politischen Weitblicks und ihrer grundsätzlichen Treue, des kühnen Wurfs ihrer Politik." (Rosa Luxemburg, "Zur Russischen Revolution", Ges. Werke, Bd.4, Seite 334).
Tatsächlich waren die Bolschewiki die Vorhut der ganzen revolutionären Arbeiterbewegung, als sie 1914 bei Ausbruch des 1.Weltkrieges, der ein klares Zeichen für den Beginn der dekadenten Periode des Kapitalismus war, erklärten, dass die einzige Alternative gegenüber dem Weltkrieg nur die Weltrevolution sei. Mit dieser standhaft internationalistischen Orientierung sahen Lenin und die Bolschewiki in der Russischen Revolution nichts anderes als "den ersten Schritt der proletarischen Revolution, die unvermeidliche Konsequenz aus dem Krieg". Für das russische Proletariat hing der Ausgang der Revolution in erster Linie von den Erhebungen der Arbeiter anderer Länder, allen voran in den europäischen Staaten, ab.
Doch die Russische Revolution überliess ihr Schicksal nicht passiv der Entwicklung im Proletariat der übrigen Staaten. Sie unternahm trotz allen Schwierigkeiten, mit der sie in Russland konfrontiert war, permanent den Versuch, die Revolution auszuweiten. Der aus der Revolution hervorgegangene Staat wurde denn auch als ein erster Schritt hin zur internationalen Sowjet-Republik gesehen, welche sich nicht durch die künstlichen Grenzen der kapitalistischen Nationen, sondern die Klassengrenzen definiert. So wurde zum Beispiel gegenüber Kriegsgefangenen systematische Propaganda betrieben, mit der Absicht, diese zur Unterstützung der internationalen Revolution aufzufordern. Kriegsgefangenen gab man die Möglichkeit, Sowjetbürger zu werden (3). Ein Resultat dieser Propaganda war die "Sozialdemokratische Organisation russischer Kriegsgefangener". Sie rief die Arbeiter Deutschlands, Österreichs, der Türkei und anderer Länder dazu auf, sich zu erheben, und so dem Krieg ein Ende zu setzen, und die Revolution auszubreiten.
Deutschland war der Dreh- und Angelpunkt für die Ausbreitung der Revolution und deshalb wurde gerade zur Unterstützung des deutschen Proletariates die ganze Energie der Revolution eingesetzt. Als im April 1918 eine Russische Botschaft in Berlin eingerichtet war, wurde sie sofort in ein ‘Hauptquartier’ der Deutschen Revolution umgewandelt. Der russische Botschafter Joffe kaufte von deutschen Beamten geheime Informationen und gab sie deutschen Revolutionären weiter, in der Absicht, die imperialistische Politik der deutschen Regierung zu entlarven. Joffe kaufte auch Waffen für die revolutionären Arbeiter in Deutschland und liess tonnenweise Propagandaschriften in der Botschaft drucken. Regelmässig nachts trafen sich dort auch heimlich deutsche Revolutionäre, um die Voraussetzungen der Revolution zu diskutieren und den Aufstand vorzubereiten.
Es war diese Klarheit über die absolute Vordringlichkeit der Weltrevolution, die das russische Proletariat trotz des Hungers, den es erleiden musste, dazu brachte, den Arbeitern in Deutschland drei vollbeladene Züge mit Weizen als Unterstützung zu schicken.
Es ist lehrreich zu hören, wie die Stimmung in Russland während der ersten Periode der Deutschen Revolution war. Sie gipfelte in einer beeindruckenden Demonstration der Arbeiter vor dem Kreml: "Zehntausende von Arbeitern fielen in einen wilden Begeisterungssturm. Noch nie zuvor hatte ich so etwas gesehen. Bis spät in den Abend hinein zogen Arbeiter und Soldaten der Roten Armee vorbei. Die Weltrevolution war endlich da. Die Massen spürten ihren eisernen Schritt. Unsere Isolation ist gebrochen! (Radek, zitiert in E.H. Carr:"The Bolshevik Revolution", Bd.3, Seite 104). Ein anderer Beitrag zur Unterstützung der Weltrevolution war der leider etwas verspätete 1.Kongress der Kommunistischen Internationalen, der im März 1919 in Moskau stattfand. Die Internationale verstand, dass "es unsere Aufgabe ist, die revolutionären Erfahrungen der Arbeiterklasse zu verbreiten, so die Kräfte aller wirklich revolutionären Parteien zu stärken, und damit die Arbeiterklasse vom hemmenden Einfluss des Opportunismus und Sozialpatriotismus zu säubern. Damit werden wir den Sieg der kommunistischen Revolution erleichtern und vorantreiben." ("Manifest der Komintern an die Arbeiter der ganzen Welt").
Nachdem jedoch das Proletariat in Berlin, Wien, Budapest und München massakriert worden war, begann die Kommunistische Internationale (K.I.) gegenüber dem Parlamentarismus, dem gewerkschaftlichen Kampf und den "nationalen Befreiungskämpfen" Konzessionen zu machen, welche in den sog. "21 Aufnahmebedingungen" festgehalten wurden. Gleichfalls wurde nun die Position der Ausbreitung der Revolution mittels des "Revolutionären Krieges" aufgestellt, eine Position, welche die Bolschewiki zur Zeit des Vertrages von Brest-Litowsk 1918 klar verworfen hatten. (4) Ein weiterer Schritt, der die Degenerierung der K.I. anzeigte, war die Propagierung der unheiligen "Einheitsfront"-Parole im Dezember 1920. Sie basierte auf der Überzeugung, dass die Bedingungen für die Revolution in Europa nicht mehr gegeben seien.
Die fatalistische Logik geht ähnlich wie die bürgerliche Philosophie davon aus, dass ‘eine Sache nur so sein kann wie die Wurzeln, von denen sie herrührt’. So wird uns die Kommunistische Internationale, gleich wie alle anderen grossen Errungenschaften der Arbeiterklasse, als ein von Beginn an von den "machiavellistischen" Bolschewiki geplantes Manöver dargestellt, als ein Werkzeug zur Verteidigung des russischen kapitalistischen Staates. Doch dies ist wie gesagt nur die Logik der Bourgeoisie. Für das Proletariat ist im Gegensatz dazu die Degeneration der Russischen Revolution und der Kommunistischen Internationalen ein Resultat der Niederlage der Arbeiterklasse nach langem Kampf gegen die grausame Reaktion des Weltkapitals. Wenn diese Degeneration nur eine "Frage der Zeit" gewesen wäre, wie uns das die Bourgeoisie heute einzureden versucht, weshalb schloss sich dann das Weltkapital zusammen mit dem Ziel, die Russische Revolution niederzuwerfen?
Die Belagerung der russischen Revolution durch den Kapitalismus
Zwischen 1917 und 1923, also bis zur vollständigen Niederlage der weltrevolutionären Welle, vereinigte sich das Kapital in einem internationalen Feldzug unter der Parole "Nieder mit dem Bolschewismus!". Der deutsche Imperialismus, die zaristischen Generale und die westlichen Demokratien der Entente, die sich nur einige Monate vorher noch in der ersten grossen imperialistischen Schlächterei gegenübergestanden hatten, beteiligten sich alle am Kreuzzug gegen die Russische Revolution. Dies ist die klare Bestätigung einer wichtigen Lehre für die Arbeiterbewegung: Wenn die Arbeiterklasse den Kapitalismus in seiner Existenz bedroht, ist die Ausbeuterklasse fähig, ihre Streitigkeiten beiseite zu legen, um die Revolution zu unterdrücken.
Der deutsche Imperialismus
Das erste Hindernis, auf welches die Russische Revolution stiess und welches ihre Ausbreitung verhinderte, war die Belagerung durch die Armeen des deutschen Kaisers. Wenn einerseits die Revolution in Russland und die gesamte damalige revolutionäre Welle eine Antwort des Proletariates auf den 1. Weltkrieg war, so schuf andererseits der Krieg, wie es Rosa Luxemburg treffend ausdrückte, "die schwierigsten und abnormalsten Bedingungen" für eine Ausbreitung der Revolution.
Ein schneller Friedensschluss, eine Beendigung des Krieges, war eine absolute Notwendigkeit und hatte demnach auch absoluten Vorrang in der Revolution. Am 19. November 1917 begannen die Friedensgespräche von Brest-Litowsk. Sie wurden jede Nacht über das Radio ausgestrahlt, nicht nur für die Arbeiterklasse in Deutschland, sondern auch für die Kriegsgefangenen und die Arbeiter in anderen Ländern. Dies bedeutete jedoch keinesfalls, dass die Bolschewiki in Brest-Litowsk Vertrauen in irgendwelche "friedlichen" Absichten des deutschen Imperialismus hatten: "Wir verheimlichen vor niemandem, dass wir den heutigen kapitalistischen Regierungen keinen demokratischen Frieden zutrauen. Einzig und allein der revolutionäre Kampf der arbeitenden Massen gegen ihre Regierungen kann Europa in die Nähe eines solchen Friedens bringen. Doch ein wirklicher Frieden kann nur durch eine siegreiche proletarische Revolution in allen kapitalistischen Ländern erreicht werden (Trotzki, zitiert in E.H.Carr, Bd.3, Seite 41).
Zu Beginn des Jahres 1918 traf die Nachricht von Streiks und Meutereien in Deutschland, Österreich und Ungarn (5) ein, welche die Bolschewiki dazu ermunterten, die Friedensverhandlungen in die Länge zu ziehen. Doch die Niederschlagung dieser Aufstände brachte Lenin - wieder einmal in der Minderheitsposition innerhalb der Bolschewiki - dazu, die unbedingte Notwendigkeit einer schnellstmöglichen Unterzeichnung dieser Friedensverträge zu verteidigen. Die Ausbreitung der Revolution, für die die Bolschewiki unerschrocken kämpften, darf nicht mit der Losung des "Revolutionären Krieges", welche von den "Linkskommunisten" aufgestellt wurde, verwechselt werden (6). Diese Ausbreitung hing alleine von der Reifung und dem Erfolg der Revolution in Deutschland ab: "Es ist vollkommen statthaft, dass unter solchen Vorzeichen die Möglichkeit der Niederlage und der Verlust der Sowjetmacht nicht nur als "passend", sondern als absolut notwendig zu akzeptieren wären. Dennoch ist es klar, dass diese Vorzeichen nicht existieren. Die Deutsche Revolution reift heran, sie ist aber noch nicht deutlich ausgebrochen. Es ist offensichtlich, dass wir diesen Reifungsprozess nicht unterstützen, sondern blockieren würden, wenn wir den Verlust der Sowjetmacht einfach hinnehmen würden. Dies würde nur der Reaktion in Deutschland in die Hände spielen, der sozialistischen Bewegung Deutschlands Schwierigkeiten aufbürden, und wir würden damit die sozialistische Bewegung in den proletarischen und halbproletarischen Massen aufspalten. Eine Bewegung, die den Sozialismus bis jetzt noch nicht durchgesetzt hat, und die durch die Niederlage Sowjetrusslands eingeschüchtert würde, so wie damals die Niederlage der Pariser Kommune 1871 die englischen Arbeiter entmutigt hat. (Lenin)
Lenin beschrieb damit das Dilemma, in dem sich eine proletarische Bastion befindet, in der die Arbeiterklasse die Macht übernommen hat, aber solange isoliert bleibt, bis die Revolution sich durch siegreiche Aufstände in anderen Ländern ausbreitet. Was tun? Aufgeben oder verhandeln? Kapitulieren angesichts der feindlichen militärischen Übermacht, um so die proletarische Bastion aufrechterhalten und damit die Weltrevolution zu unterstützen?
Rosa Luxemburg, die mit den Verhandlungen von Brest-Litowsk nicht einverstanden war, zeigte mit erstaunlicher Klarheit auf, dass alleine der Kampf des deutschen Proletariates diesen Widerspruch im Sinne der Revolution hätte lösen können: "Die ganze Rechnung des russischen Friedenskampfes beruhte nämlich auf der stillschweigenden Voraussetzung, dass die Revolution in Russland das Signal zur revolutionären Erhebung des Proletariats im Westen: in Frankreich, England und Italien, vor allem aber in Deutschland, werden sollte. In diesem Falle allein, dann aber unzweifelhaft, wäre die Russische Revolution der Anfang zum allgemeinen Frieden geworden. Dies blieb bis jetzt aus. Die Russische Revolution ist, abgesehen von einigen tapferen Anstrengungen des italienischen Proletariats (Generalstreik am 22.August in Turin), von den Proletariern aller Länder im Stich gelassen worden. Die Klassenpolitik des Proletariats, von Hause aus und in ihrem Kernwesen international, wie sie ist, kann aber nur international verwirklicht werden (Rosa Luxemburg, "Die geschichtliche Verantwortung", Ges.Werke, Bd.4, Seite 377).
Überraschenderweise verstärkte das Oberkommando der deutschen Streitkräfte am 18. Februar 1918 die militärische Offensive. (Lenin bezeichnete dies als:"Schnelle, unberechenbare Bocksprünge dieses wilden Ungeheuers“). Innerhalb weniger Wochen standen die deutschen Armeen vor den Toren Petrograds, und die russische Regierung musste nun wohl oder übel einen Frieden zu schlechteren Bedingungen akzeptieren. Deutschland besetzte die ehemaligen baltischen Provinzen, den grössten Teil Weissrusslands (Region um Minsk), die gesamte Ukraine und den nördlichen Kaukasus. Später kam noch die Eroberung der Krim und des Trans-Kaukasus dazu (ausgenommen Baku und Turkestan), was ein klarer Bruch der Verträge von Brest-Litowsk war.
Wie die Italienische Kommunistische Linke (7) vertreten wir nicht die Auffassung, dass der Gewaltfrieden von Brest-Litowsk einen Rückschritt für die Revolution bedeutete, sondern dass er durch diesen Widerspruch zwischen Verteidigung der proletarischen Bastion und Ausbreitung der Revolution aufgezwungen wurde. Die Lösung dieses Problems lag weder am Verhandlungstisch noch an der militärischen Front, sondern in der Antwort des Weltproletariates. Im April 1922, als die Bourgeoisie die weltrevolutionäre Welle schon fast gänzlich niedergeschlagen hatte und die russische Regierung die Aussenpolitik der kapitalistischen Staaten durch den Vertrag von Rapallo akzeptierte, hatte ihre Politik nichts mehr Gemeinsames mit dem Frieden von Brest-Litowsk oder der revolutionären Politik des Proletariates. Weder der Form nach, Rapallo 1922 war ein Geheimvertrag, noch im Inhalt, da dieser Vertrag militärische Hilfeleistungen Russlands an die deutsche Regierung beinhaltete. Als die Kommunistische Internationale, schon voll im Degenerationsprozess begriffen, im Oktober 1923 das deutsche Proletariat zu verzweifelten Aktionen aufrief, wurden die Arbeiter in Deutschland mit Waffen massakriert, welche die russische Regierung an Deutschland verkauft hatte.
Die Zermürbungsstrategie der westlichen ‘Demokratien’
Die verbündeten Staaten der Entente, die ‘fortschrittlichen’ westlichen ‘Demokratien’, liessen sich in ihrer Absicht, die Russische Revolution zu ersticken, kein Mittel entgehen. England und Frankreich installierten in der Ukraine, Finnland, den baltischen Staaten und in Bessarabien Regimes, welche die konterrevolutionären Weissen Truppen unterstützten. Doch damit nicht genug; sie entschlossen sich, direkt in Russland einzufallen. Japanische Truppen gingen am 3.April in Wladiwostok an Land und kurz darauf schlossen sich ihnen auch französische, britische und amerikanische Truppenverbände an. "Vom Beginn der Novemberrevolution an haben die Ententemächte sich auf die Seite der gegenrevolutionären Parteien und Regierungen Russlands gestellt. Mit Hilfe der bürgerlichen Gegenrevolutionäre haben sie Sibirien, den Ural, die Küsten des europäischen Russlands, den Kaukasus und einen Teil von Turkestan annektiert. Aus den annektierten Gebieten entwenden sie Rohstoffe (Holz, Naphtha, Manganerze u.a.). Mit Hilfe der besoldeten tschechoslowakischen Banden haben sie den Goldvorrat des russischen Reiches geraubt. Unter Leitung des englischen Diplomaten Lockhart bereiteten englische und französische Spione die Sprengung der Brücken, Zerstörung der Eisenbahnen vor und versuchten, die Versorgung mit Lebensmitteln zu verhindern. Die Entente unterstützte die reaktionären Generäle Denikin, Koltschak und Krasnow, die in Rostow, Jusowka, Noworossijsk, Omsk usw. Tausende von Arbeitern und Bauern gehängt und erschossen haben, mit Geld, Waffen und militärischer Hilfe." ( "Thesen über die internationale Lage und die Politik der Entente", 1. Kongress der K.I., 6.März 1919).
Seit Beginn des Jahres 1919, also genau zur Zeit des Ausbruchs der Revolution in Deutschland, war Russland total isoliert und mit der grössten je von den westlichen ‘Demokratien’ gestarteten Truppenoffensive konfrontiert. Dazu kamen noch die Weissen Armeen. Die Bolschewiki unternahmen gegenüber den feindlichen Truppen, die von den Kapitalisten zur Niederschlagung der Revolution gesandt worden waren, Aufrufe zum proletarischen Internationalismus, revolutionäre Propaganda: "Ihr werdet nicht gegen eure Feinde kämpfen, sondern gegen Arbeiter wie ihr selbst. Wir fragen euch: Wollt ihr uns niedermetzeln? Seid euren Klassengenossen treu und verweigert dieses schmutzige Handwerk für eure Herren." (Aus einem Flugblatt an britische und amerikanische Truppen in Archangelsk, in: E.H.Carr "The Bolshevik Revolution").
Erneut hatten die Aufrufe der Bolschewiki (in Zeitschriften wie "The Call" auf englisch oder "La Laterne" auf französisch) einen Einfluss auf die zur Niederschlagung der Revolution eingesetzten Truppen. "Am 1.März 1919 brach unter französischen Truppen eine Meuterei aus. Einige Tage zuvor hatte eine britische Infanterieabteilung ihre Verlegung an die Front verweigert, und kurz darauf verweigerte auch eine amerikanische Kompanie eine Zeitlang ihre Rückkehr an die Frontlinien.“ (E.H.Carr). Im April 1919 mussten französische Truppen und die Flotte abgezogen werden, weil die Hinrichtung von Jeanne Labourbe, einer militanten Kommunistin, die Propagandamaterial verbreitet hatte, das zur Verbrüderung zwischen französischen und russischen Truppen aufrief, grosse Entrüstung unter den Soldaten hervorrief. Ebenso mussten britische und italienische Truppen zurückgezogen werden, weil in England und Italien Arbeiter gegen die Entsendung von Truppen und gegen Waffenlieferungen an die konterrevolutionären Armeen demonstrierten. Aufgrund dieser Ereignisse sahen sich die westlichen ‘Demokratien’ gezwungen, ihre Taktik zu ändern und setzten von nun an vor allem die Truppen der auf den Ruinen des alten russischen Imperiums gebildeten Nationen als Schutzwall gegen die Ausbreitung der Revolution ein. Im April 1919 besetzten polnische Truppen Teile von Weissrussland und Litauen. Im April 1920 besetzten sie Kiew in der Ukraine, und schlussendlich kontrollierte ab Mai/Juni 1920 die polnische Regierung, unterstützt vom weissen General Denikin, fast die gesamte Ukraine. Enver Pascha, der Führer der jungen türkischen ‘antifeudalen’ Revolution wurde der Anführer einer Revolte gegen die Sowjets im Oktober 1921 in Turkestan.
Die reaktionären Kräfte in Russland
Unmittelbar nach dem Aufstand im Oktober 1917 und der Machtübernahme durch die Sowjets in ganz Russland begannen die Reste der Bourgeoisie, der Armee und der reaktionären Offizierskaste, alle ihre Kräfte hinter der Flagge der provisorischen Regierung zusammenzurotten (merkwürdigerweise genau dieselbe Flagge, unter der Jelzin in den Kreml einzog). So entstand die erste Weisse Armee unter dem Kommando Kaledins, dem Führer der Donkosaken. Das immense Chaos und die Armut, in der das isolierte Russland versank, die Selbstauflösung der letzten Überreste der zaristischen Armee, die nur dürftige Bewaffnung der revolutionären Sowjets, die Sabotage durch den deutschen Imperialismus und die westlichen Demokratien, unterstützt von den Weissen Armeen, all dies führte gradlinig in Richtung Bürgerkrieg. Bis Mitte des Jahres 1918 war das Gebiet, in welchem die Sowjets die Kontrolle behalten konnten, auf das ehemalige feudale Fürstentum Moskau reduziert worden, und die Revolution war darüber hinaus noch mit der Revolte der "Tschechischen Legion" und der antibolschewistischen Regierung in Samara (8), welche die Verbindungslinien zu Sibirien abschnitt, konfrontiert. Dazu kamen noch die Kosaken Krasnows (ein in den ersten Tagen der Revolution in Pulkow besiegter General, der später von den Bolschewiki freigelassen worden war), Denikins Armeen im Süden, Kaledin im Dongebiet, Koltschak im Osten und Yudenitsch im Norden. Alles in allem blutige Orgien des Terrors, der Massaker, Ermordungen und Greueltaten, die von den ‘Demokratien’ bejubelt wurden und durch die ‘Sozialisten’, welche in Deutschland, Österreich und Ungarn Arbeiteraufstände niederschlugen, Rückendeckung fanden.
Die bürgerliche Geschichtsschreibung stellt die Grausamkeiten dieses Bürgerkrieges als "etwas in allen Kriegen Vorhandenes", als eine Folge der "menschlichen Bestialität" dar. Doch der grausame Bürgerkrieg, der drei Jahre wütete, und der zusammen mit den Epidemien und Hungersnöten, welche durch die Wirtschaftsblockaden hervorgerufen wurden, mehr als sieben Millionen Tote forderte, war der Bevölkerung Russlands durch den Weltkapitalismus aufgezwungen worden.
Den Offensiven der westlichen imperialistischen Staaten und der Weissen Truppen fügten sich Sabotageakte und konterrevolutionäre Verschwörungen der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums an. Im Juli 1918 zettelte Savinkow (9) mit der Unterstützung des französischen Botschafters Noulens in Yaroslaw eine Meuterei an, die zwei Wochen lang eine wahre Rache und Terrorwelle gegen alles, was nach Proletariat oder revolutionärem Bolschewismus roch, auslöste.
Gleichfalls im Juli, nur einige Tage nach der Landung französischer und britischer Truppen in Murmansk, versuchten die linken Sozialrevolutionäre einen Staatsstreich zu organisieren. Der deutsche Botschafter Mirbach wurde ermordet, mit der Absicht einen militärischen Zusammenstoss mit Deutschland zu provozieren. Lenin bezeichnete dies "als einen weiteren hinterhältigen Schlag der Kleinbourgeoisie", denn das Letzte, was die Revolution in dieser Situation noch brauchte, war ein erneuter offener Krieg mit Deutschland!
Die Revolution kämpfte buchstäblich ums Überleben. Sich zu behaupten hing vollends vom Erfolg der Revolution in Europa ab und forderte nicht nur auf ökonomischer Ebene wie schon beschrieben, sondern auch politisch endlose Opfer. In diesem Artikel wollen wir nicht auf Fragen wie den Repressionsapparat oder die reguläre Rote Armee (10) eingehen, Fragen, auf welche die Russische Revolution fast endlose Lehren erteilt hat. Dennoch ist es wichtig, hier hervorzuheben, dass der Prozess von einer revolutionären Gewalt hin zu offenem Terror, die Unterordnung der Arbeitermilizen unter eine hierarchische Armee, oder die wachsende Autonomie des Staatsapparates gegenüber der Kontrolle durch die Arbeiterräte hauptsächlich das Ergebnis der Isolierung der Revolution waren. Sie waren das Resultat eines zunehmend ungünstigen Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf internationaler Ebene, welches die Niederlage dieser nur in einem Land ‘siegreichen’ Revolution endgültig besiegelte.
Es gibt absolut keine logische Entwicklung von der im November 1917 gegründeten Tscheka (welche damals nur knapp 120 Mann zählte und nicht einmal Autos besass, um damit Verhaftungen vornehmen zu können) hin zum monströsen politischen Apparat der GPU, welche von Stalin gegen die Bolschewiki eingesetzt wurde. Diese Entwicklung war das direkte Resultat der tiefgreifenden Degeneration der Revolution aufgrund ihrer Niederlage. So gab es auch keine vorhersehbare Kontinuität zwischen den Roten Garden, welche die militärischen Einheitsorgane waren und durch die Arbeiterräte kontrolliert wurden, und der regulären Armee, welche im April 1919 die obligatorische Wehrpflicht, die Kasernendisziplin und militärische Grussregeln wieder einführte. Im August 1920 zählte die Rote Armee schon 315000 "Militärspezialisten", Überreste aus der alten zaristischen Armee. Diese Degenerierung war das Resultat aus dem Kampf zwischen einer proletarischen Bastion, welche unbedingt die Unterstützung der internationalen Revolution brauchte, und der fürchterlichen weltweiten Konterrevolution, die mit jeder Niederlage, die sie dem Proletariat zufügte, ein immer grösseres Übergewicht erhielt.
Die ökonomische Erstickung
Unter dem Druck der Isolierung, der permanenten Blockade durch das Weltkapital, der Sabotage im Lande selbst und unabhängig von allen Illusionen, welche die Bolschewiki über die Möglichkeiten der Einführung einer neuen Logik in der Wirtschaft hatten, war die Realität zwischen 1918 und 1921 genau die, welche Lenin als "belagerte Festung" beschrieb. Russland war eine proletarische Bastion, welche versuchte, unter den schlechtesten Bedingungen und mit der Hoffnung auf die Ausbreitung der Revolution durchzuhalten.
Wir haben schon in verschiedenen Nummern der "Internationalen Revue" (auf engl., franz., span.) versucht aufzuzeigen, dass in Russland nie eine sozialistische Gesellschaft existiert hat, da als erster Schritt dazu die Machtergreifung des Proletariats im weltweiten Rahmen erforderlich ist. Die Wirtschaftspolitik, die innerhalb einer isolierten "revolutionären Bastion" betrieben werden konnte, war deshalb notwendigerweise durch die Herrschaft des Kapitals auf Weltebene diktiert. Die Idee des "Sozialismus in einem Lande" ist von den Revolutionären immer als eine ideologische Maske der stalinistischen Konterrevolution verworfen worden.
Was wir in diesem Artikel herausstreichen wollen, ist einerseits die Tatsache, dass die schreckliche Armut, unter der das revolutionäre Russland litt, nicht ein Ergebnis des Sozialismus war und andererseits die Unmöglichkeit, diese Misere zu beseitigen, solange die Revolution isoliert bleibt. Der Unterschied zwischen diesen beiden Aspekten ist folgender: Die Bourgeoisie versucht mit der Behauptung, die Armut sei ein direktes Ergebnis der Revolution gewesen, zu erreichen, dass die Arbeiter daraus die Lehre ziehen: "Es ist besser auf die Revolution zu verzichten um überleben zu können". Aber auf der anderen Seite ist es für uns dennoch absolut unabdingbar, in jeder Situation, vom Streik in der kleinsten Fabrik bis hin zur Revolution, die ein ganzes Land erfasst, darauf hinzuweisen, dass, "wenn sich die Kämpfe nicht ausbreiten und die Revolution isoliert bleibt, der Kapitalismus nicht überwunden werden kann".
Die Russische Revolution brach als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg aus und war deshalb auch geprägt vom ökonomischen Chaos, den Rationalisierungen und der Unterordnung der Produktion unter die Bedürfnisse des Krieges. Ihre Isolation brachte zusätzlich noch die Last des Bürgerkrieges und der militärischen Interventionen der westlichen ‘Demokratien’ mit sich. Dieselben, welche sich in Versailles unter der Parole "Leben und leben lassen" eine humanitäre Maske aufgesetzt hatten, zögerten keinen Moment lang, vom März 1918 bis Anfang 1919 (einige Monate vor der definitiven Niederlage von Wrangels Weisser Armee) gegen Russland eine einschneidende ökonomische Blockade zu verhängen, welche selbst die Unterbindung der Solidaritätslieferungen von Arbeitern und Arbeiterinnen anderer Länder an ihre Klassenbrüder in Russland beinhaltete. Die Bevölkerung litt stark unter all den Entbehrungen, die sie zu ertragen hatte. Ein Beispiel ist der Mangel an Heiz- und Brennmaterial. Die winterliche Kälte übersäte Russland buchstäblich mit Leichen. Der Zugang zur Kohle aus der Ukraine war bis 1920 abgeschnitten und die Ölquellen in Baku und im Kaukasus waren aufgrund der Belagerung durch das Weltkapital zwischen Sommer 1918 und Ende 1919 in den Händen Englands. Insgesamt standen in den russischen Städten in dieser Zeit lediglich 10% des vor dem Ersten Weltkrieg erhältlichen Brennmaterials zur Verfügung.
Bittere Hungersnöte herrschten in den Städten. Brot und Zucker waren seit Beginn des imperialistischen Krieges rationiert worden. Während des Bürgerkrieges erreichten diese Rationierungen aufgrund der ökonomischen Blockaden und der Sabotage der Bauern, welche einen Teil ihrer Ernte verbargen, um sie später auf dem Schwarzen Markt teuer zu verkaufen, unmenschliche Ausmasse. Als im August 1918 die Warenbestände in den städtischen Läden aufgebraucht waren, wurde die Zuteilung unterschiedlicher Rationen eingeführt:
- Die Arbeiter und Arbeiterinnen der Schwerindustrie erhielten die grössten Rationen, welche lediglich 1200 bis ca.1900 Kalorien pro Tag ausmachten und somit nur etwa 25% ihres tatsächlichen täglichen Bedarfs enthielten. Diese Rationen wurden während des Bürgerkrieges auf die Familien von Angehörigen der Roten Armee ausgeweitet.
- Die kleinste Ration, welche nur etwa 1/4 des Nährwertes der Obengenannten enthielt, wurde der übriggebliebenen Bourgeoisie zugeteilt.
- Die restlichen Arbeiter erhielten die "mittlere Ration" die etwa dreimal mehr Kalorien als die kleine Ration enthielt.
Trotzki beschrieb die Bevölkerung Petrograds, welche im Oktober 1919 die Attacken der Weissen Armee unter General Yudenitsch vor den Toren der Stadt abzuwehren hatte, als eine Armee von Gespenstern: "Die Arbeiter Petrograds waren in einem erbärmlichen Zustand; ihre Gesichter waren grau vor Unterernährung; ihre Kleider waren Lumpen; ihre Schuhe, welche oft gar keine Sohlen mehr hatten, durchlöchert." (Trotzki, "Mein Leben").
Obwohl der Bürgerkrieg im Januar 1921 beendet war, betrug die Schwarzbrotration für Arbeiter in Betrieben mit laufender Produktion nur 800 Gramm und für Teilzeitarbeiter 600 Gramm. Die Ration für Arbeiter mit der "B-Karte" (Arbeitslose) musste bis auf 200 Gramm Schwarzbrot reduziert werden. Hering, der in der Vergangenheit oft geholfen hatte, Nahrungsmittelengpässe zu überwinden, war nicht erhältlich. Kartoffeln waren meist gefroren, wenn sie mit den Zügen, welche in einem katastrophalen Zustand waren, in den Städten eintrafen (es war nur noch ca. 20% des Vorkriegsbestandes an Wagen und Lokomotiven vorhanden). Anfang Sommer 1921 begann in den östlichen Provinzen und der Wolgaregion eine schreckliche Dürre. Während dieser Zeit waren zwischen 22 und 27 Millionen Menschen in Not, litten unter Hunger, Kälte, Typhus, Diphtherie oder Grippe (11), wie der Sowjetkongress festhielt. Zu dieser miserablen Versorgung kam noch die Spekulation hinzu. Um die offiziellen Rationen zu verbessern, war es notwendig, auf dem Schwarzmarkt, der "Sujarewka", einzukaufen (benannt nach dem Sujarewski-Platz in Moskau, wo dieser Schwarzhandel halb legal stattfand). Nur rund die Hälfte des Korns, welches in die Städte geliefert wurde, kam vom Lebensmittelversorgungs-Kommissariat, die andere Hälfte vom Schwarzmarkt, jedoch zum zehnfachen Preis der normalen Lieferungen. Es existierte noch eine andere Form von Schwarzmarkt: Der illegale Transport von Fertigwaren aufs Land, wo sie bei den Bauern gegen Lebensmittel ausgetauscht wurden. Die Revolution brachte bald eine neue Figur, die "Taschenmänner", hervor, welche auf klapprigen Güterzügen Salz, Streichhölzer, manchmal Schuhe oder mit Öl gefüllte Flaschen in die Dörfer brachten, um sie dort gegen einige Kilogramm Kartoffeln oder Mehl zu tauschen. Im September 1918 anerkannte die Regierung den Schwarzmarkt aus taktischen Gründen als offiziell und limitierte ihn auf 1.5 Pfund (ca. 25 Kilogramm) für Weizen. Von da an wurden die "Taschenmänner", welche weiterhin Wuchergeschäfte trieben, "Eineinhalb-Pfund Männer" genannt. Als dann auch Fabriken begannen, mit den von ihnen produzierten Gütern Tauschhandel zu treiben, machte dies die Arbeiter selbst oft zu solchen "Taschenmännern", da sie in den Dörfern Gürtel, Riemen, Werkzeuge usw. Gegen Lebensmittel eintauschten.
Auch die Arbeitsbedingungen hatten sich durch die gewaltige Misere, die Isolation der Revolution und den Bürgerkrieg sehr verschlimmert. Damit wurden sämtliche Forderungen der Arbeiter und die von der Regierung eingeführten Arbeitsschutzmassnahmen zur Wahrung der Interessen der Arbeiter übergangen: "Vier Tage nach der Revolution war ein Dekret erlassen worden, das die Prinzipien des 8-Stunden Tages und der 48-Stunden Woche enthielt. Es wurden darin klare Grenzen über die Arbeit von Frauen und Jugendlichen erlassen sowie die Einstellung von Kindern unter 14 Jahren verboten. Ein Jahr später musste die "Narkomtrud" (das Volkskommissariat der Arbeit) den obligatorischen Charakter dieses Dekrets zurücknehmen. Solche Verbote hatten in dieser Notstandszeit während des Bürgerkrieges, wo Arbeitskräfte überall fehlten, sowieso nur eine geringe Wirkung." (E.H. Carr, Bd.2). Derselbe Lenin, welcher den Taylorismus, die Theoretisierung der Fliessbandarbeit, als "die Versklavung des Menschen unter die Maschine" angeklagt hatte, musste der Notwendigkeit, die Produktion zu steigern, nachgeben. Er unterstützte die Einführung "Kommunistischer Samstage", für welche die Arbeiter kaum Lebensmittel erhielten und unbezahlt waren, da diese Samstage als eine Unterstützung der Revolution angesehen wurden. Im Bewusstsein, dass die Revolution in Europa nahe bevorstand, waren die kämpferischsten und bewusstesten Teile der russischen Arbeiterklasse bereit, die proletarische Bastion mit dieser Perspektive um jeden Preis zu verteidigen. Ihrer Sowjets, Arbeiterversammlungen und ihres Kampfes gegen die kapitalistische Unterjochung beraubt, waren die Arbeiter in Russland nun zunehmend den brutalsten Formen kapitalistischer Ausbeutung ausgeliefert.
Trotzdem, oder eben gerade als Resultat dieser Überausbeutung produzierten die russischen Fabriken weniger. Die Gründe des Produktivitätsrückgangs lagen in einer unterernährten Arbeiterklasse und dem Chaos in der russischen Ökonomie. Noch 1923, drei Jahre nach der Beendigung des Bürgerkrieges, verfügte die russische Industrie lediglich über 30% ihrer Kapazität von 1912. Nur in der Kleinindustrie betrug die Arbeitsproduktivität 57% derjenigen von 1913. Diese Kleinindustrie, welche vor allem 1919 errichtet wurde, war zum grossen Teil ländlich (die Produktion umfasste vor allem Werkzeuge, Seile und Möbel für den lokalen bäuerlichen Markt), und die darin Beschäftigten arbeiteten, was die Arbeitsstunden anging, unter Bedingungen, wie sie in der Landwirtschaft üblich waren. Aufgrund der schrecklichen Lebensbedingungen in den Städten, wie wir sie oben bereits beschrieben haben, wanderte ein grosser Teil der Arbeiter in ländliche Gebiete aus und wurde dort in die Kleinindustrie integriert. Selbst in grossen Fabriken Beschäftigte verliessen die Städte, um auf dem Land von den in kleinen Werkstätten hergestellten Sachen, die an die Bauern verkauft wurden, einige Bissen zu erhalten. 1920 waren insgesamt 2.2 Millionen Arbeiter in der Industrie beschäftigt, von denen lediglich 1.4 Millionen in Betrieben mit mehr als 30 Arbeitern angestellt waren.
Mit der Einführung der NEP (Neue Ökonomische Politik) 1921 wurden staatliche Betriebe im Wettbewerb mit "privaten" russischen Kapitalisten, welche in kürzester Zeit ausländische Investoren hatten, konfrontiert, und aufgrund dessen, so wie in jeder kapitalistischen Wirtschaft, musste der "staatliche Boss" laufend viel billiger produzieren (12). Mit der Demobilisierung der Armee nach dem Bürgerkrieg und der Einführung der NEP entstand eine grosse Arbeitslosigkeit. Bei den Eisenbahnen zum Beispiel wurde mehr als die Hälfte der Angestellten entlassen und die Arbeitslosigkeit stieg ab 1921 schnell an. 1923 gab es in Russland bereits eine Million registrierte Arbeitslose.
Die Bauernfrage
Rund 80% der Bevölkerung Russlands waren Bauern. Der Sowjetkongress hatte während des Aufstandes das "Landdekret" erlassen, welches auf das Bedürfnis von Millionen von Bauern nach einem eigenen Stück Land, mit dem sie sich selbst ernähren konnten, einging. Auf der anderen Seite ordnete es die Abschaffung der Grossgrundbesitzer an, welche nicht nur für die Bauern eine Geissel waren, sondern vor allem auch ein Teil der Konterrevolution. Welche Massnahmen auch immer ergriffen wurden, sie konnten keinen echten Beitrag zur Bildung grosser Arbeitervereinigungen leisten, mit denen die Landarbeiter wenigstens ein Minimum an Kontrolle hätten ausüben können. Ganz im Gegenteil, trotz all den Versuchen wie "Landarbeiterkomitees", Kolchosen (kollektive Höfe), Sowchosen (Höfe in Staatsbesitz, auch "Sozialistische Getreidefabriken" genannt, denn ihre Aufgabe war die Versorgung des Stadtproletariates mit Getreide), was sich ausbreitete, war die Kleinbauernwirtschaft mit lächerlich kleinen Höfen, von denen sich die Bauern kaum ernähren konnten. 1917 waren 58% aller Bauernhöfe kleiner als 5 Hektar, 1920 waren schon 86% des kultivierbaren Landes in solche Kleinbetriebe aufgeteilt, und solche Betriebe konnten den Hunger in den Städten natürlich keinesfalls lindern. Die Zwangsmassnahmen, mit denen die Bolschewiki versuchten, Lebensmittel für das Proletariat und die Soldaten der Roten Armee einzutreiben, führten nicht nur bezüglich der kläglichen Mengen, die eingesammelt werden konnten, zu einem Fiasko, sondern sie trieben eine grosse Zahl von Bauern in die feindlichen Weissen Armeen oder in die bewaffneten Banden, welche, wie zum Beispiel die anarchistische Machno-Bewegung in der Ukraine, oft gegen die Weissen Armeen und die Bolschewiki gleichzeitig Krieg führten.
Ab Sommer 1918 versuchte der russische Staat die mittleren Bauern zu unterstützen, um so bessere Erträge zu erzielen. Im ersten Jahr nach der Revolution hatte das Versorgungs-Kommissariat nur knapp 780 000 Tonnen Korn einsammeln können. Zwischen August 1918 und August 1919 betrug diese Menge schon 2 Millionen Tonnen. Doch die Bauern mit mittelgrossen Betrieben waren nicht zu einer Zusammenarbeit geneigt: "Der Mittelbauer produziert mehr Lebensmittel als er selber braucht und wird durch seine Überschüsse an Korn zum Ausbeuter der hungernden Arbeiter. Hier liegt unsere vordringlichste Aufgabe und der grundlegende Widerspruch. Der Bauer als Geschundener, als Mann, der von seiner mühseligen Arbeit lebt und das Joch des Kapitalismus spürt, ein solcher Bauer steht auf der Seite des Arbeiters. Doch der Bauer als Eigentümer, der seine Überschüsse an Korn besitzt, ist gewöhnt, diese als sein Eigentum anzusehen, welches er frei verkaufen kann. (Lenin, zitiert in E.H.Carr Bd.2).
Auch in dieser Frage konnten die Bolschewiki keine andere Politik verfolgen als die, welche durch das ungünstige Kräfteverhältnis zwischen der proletarischen Revolution und der Herrschaft des Kapitalismus diktiert wurde. Die Lösung dieses Berges von Widersprüchen lag weder in den Händen des russischen Staates, noch lag sie im Verhältnis zwischen Proletariat und Bauernschaft in Russland. Die Lösung lag einzig und alleine in den Händen des internationalen Proletariates: "Auf dem 9.Parteitag im März 1919, auf dem die Politik der Versöhnung mit dem Mittelbauern proklamiert wurde, unterstrich Lenin einen wunden Punkt in der kollektiven Landwirtschaft. Der Mittelbauer würde nur über die kommunistische Gesellschaftsordnung gewonnen werden,"nur wenn wir die ökonomischen Bedingungen, in denen er lebt, verbessern und erleichtern können“. Doch genau dort war der springende Punkt: "Wenn wir ihnen morgen 100 000 erstklassige Traktoren geben könnten, sie mit Mechanikern und Benzin unterstützen könnten, und ihr wisst genau, dass dies im Moment reine Phantasie ist, dann würde der Mittelbauer sagen: "Ich bin für das Kollektiv (also für den Kommunismus)". Aber um dies zu verwirklichen, müssen wir erst die internationale Bourgeoisie besiegen, um sie dann zwingen zu können, uns die Traktoren zu geben. "Den Sozialismus in Russland zu errichten, war ohne kollektive Landwirtschaft unmöglich; die Landwirtschaft zu kollektivieren, war ohne Traktoren unmöglich; Traktoren zu erhalten, war ohne die internationale proletarische Revolution unmöglich." (E.H. Carr, Bd.2, Seite 169). Weder während der Periode des "Kriegskommunismus" noch während der Zeit der NEP konnte die russische Wirtschaft je als sozialistisch bezeichnet werden. Vielmehr war sie geprägt vom erstickenden Druck, der aufgrund der isolierten Situation Russlands auf ihr lastete.
"Wir müssen davon ausgehen, dass, wenn die europäische Arbeiterklasse die Macht vorher ergriffen hätte, wir unser rückständiges Land hätten umwandeln können - ökonomisch sowie kulturell. Wir hätten dies mit technischer und organisatorischer Unterstützung tun können, was uns erlaubt hätte, unseren Kriegskommunismus teilweise oder gänzlich zu korrigieren oder umzugestalten und uns in Richtung einer wirklich sozialistischen Gesellschaft geführt hätte. (Lenin, "Die NEP und die Revolution").
Die Niederlage der revolutionären Kampfwelle des Weltproletariates führte schlussendlich auch zum Untergang der proletarischen Bastion in Russland, und mit dem Tod der Revolution entstand eine neue Bourgeoisie in Russland:
"Die neue Bourgeoisie entstand durch die Degenerierung der Revolution von innen und nicht aus Überresten der alten herrschenden Klasse des Zarismus, welche 1917 vom Proletariat eliminiert worden war. Diese neue Bourgeoisie bildete sich auf der Grundlage der parasitären Bürokratie des Staatsapparates, der unter Stalin immer mehr mit der bolschewistischen Partei identisch wurde. Die Bürokratie dieses Partei-Staates eliminierte Ende 1920 alle Teile der Gesellschaft, welche fähig gewesen wären, eine neue Privatbourgeoisie hervorzubringen (Spekulanten und Landbesitzer der NEP) und mit denen sie vorher verbündet gewesen war. So gelang es ihr, die Kontrolle über die Wirtschaft zu erhalten. (aus unserer Broschüre "Stalinism and democracy: two faces of capitalist terror").
Die Entmachtung der Arbeiterräte
Die Isolierung der Revolution brachte nicht nur Hunger und Krieg, sondern gleichfalls einen stetigen Verlust der Hauptwaffe, des Herzstücks der Revolution: Die Massenaktion und das Bewusstsein der Arbeiterklasse, welche sich zwischen Februar und Oktober 1917 so enorm ausgebreitet und vertieft hatten. (Siehe dazu unseren Artikel in der "Internationalen Revue" Nr.71, engl., franz., span.). Ende 1918 betrug die Zahl der in Petrograd lebenden Arbeiter nur noch 50% derjenigen von Ende 1916, und bis Herbst 1920, dem Ende des Bürgerkrieges, hatte die Geburtsstätte der Revolution 58% ihrer Bevölkerung verloren. Moskau, die neue Hauptstadt, war zu 45% und die restlichen Provinzhauptstädte zu 33% entvölkert worden. Die Mehrheit dieser Arbeiter war in ländliche Gebiete gezogen, wo die Lebensbedingungen etwas weniger hart waren, und eine beträchtliche Zahl war in die Rote Armee eingetreten oder im Staatsdienst beschäftigt. "Als die Lage an der Front schlecht stand, wandten wir uns an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und an den Vorstand des Zentralrates der Gewerkschaften. Diese beiden Quellen schickten nun erstrangige Arbeiter an die Front, die sich dort eine Rote Armee nach ihrem eigenen Bilde schufen" (Trotzki, zitiert in E.H.Carr, Bd.2, Seite 206).
Immer wenn die Rote Armee, welche hauptsächlich aus Bauern bestand, Niederlagen erlitten hatte, oder wenn sich Desertionen häuften, wurden ganze Brigaden von entschlossensten und bewusstesten Arbeitern rekrutiert, um eine Vorhut bei militärischen Operationen zu spielen oder als "Schutzwall" gegen die Desertionen der Bauernsoldaten zu wirken. Sie mussten aber auch dauernd Sabotageakte unterdrücken und die chaotische Versorgungslage organisieren. Die Bolschewiki bezogen sich in solchen Situationen auf den Ausspruch Lenins: "Was wir hier brauchen, ist proletarische Energie!" Doch diese "proletarische Energie" wurde so aus den Zentren des Landes entfernt, dort wo sie geboren war und sich Arbeiterräte und Sowjets entwickelt hatten. Sie wurde immer mehr in den Dienst des Staates und in die parasitäre Bürokratie integriert, welche das Organ der Konterrevolution werden sollte (13). Die tragische Folge davon war eine zunehmende Schwächung, eine Ausblutung der Sowjets:
"Da es die wichtigste Aufgabe der Regierung war, angesichts des Feindes den Widerstand zu organisieren und wir verpflichtet waren, alle Angriffe zurückzuschlagen, wurde die Kontrolle fast ausschliesslich durch Befehle ausgeübt. So nahm die Diktatur des Proletariats fast natürlich die Form einer proletarisch-militärischen Diktatur an. Somit verschwanden auch die offenen Organe der Sowjetmacht, die Räteversammlungen, fast vollständig und die Kontrolle wurde direkt durch die Exekutivkomitees ausgeübt, die auf drei bis fünf Personen beschränkte Organe waren. Speziell in den Regionen nahe der Front wurden die "offiziellen" Machtorgane, die durch die Arbeiter gewählt worden waren, durch lokale "Revolutionäre Komitees" ersetzt, welche anstatt die Probleme der Diskussion in den Massenversammlungen vorzulegen, sie auf ihre eigene Initiative hin zu lösen versuchten" (Trotzki, "Die Permanente Revolution").
Dieser Verlust einer gemeinsamen Reflexion und Diskussion war nicht nur in den Versammlungen und den lokalen Sowjets, sondern auch in den Fabrikräten zu spüren. Ab 1918 fand der landesweite Sowjetkongress, der eigentlich alle drei Monate vorgesehen war, nur noch einmal pro Jahr statt, und selbst das Zentralkomitee der Sowjets war nicht mehr in der Lage, gemeinsame Diskussionen zu führen oder Entscheidungen zu fällen. Als der Abgeordnete des "Bundes" (Jüdische Kommunistische Partei) auf dem 7. Sowjetkongress im Dezember 1919 fragte, was das Zentrale Exekutivkomitee mache, antwortete Trotzki: "Das ZEKKI ist an der Front".
Schlussendlich lagen die Entscheidungen und das ganze politische Leben in den Händen der bolschewistischen Partei, wie Kamenjew es auf dem 9. Parteikongress der Bolschewiki ausdrückte: "Wir verwalten Russland, und es ist unmöglich, es anders als durch die Kommunisten zu verwalten" (Hervorhebung durch uns).
Wir sind derselben Meinung wie Rosa Luxemburg, die in ihrem Text "Zur Russischen Revolution" folgende Kritik formulierte: "Dank dem offenen und unmittelbaren Kampf um die Regierungsgewalt........" Hier widerlegt Trotzki sich selbst und seine eigenen Parteifreunde aufs treffendste. Eben weil dies zutrifft, haben sie durch Erdrückung des öffentlichen Lebens die Quelle der politischen Erfahrung und das Steigen der Entwicklung verstopft. Oder aber müsste man annehmen, dass Erfahrung und Entwicklung bis zur Machtergreifung der Bolschewiki nötig war, den höchsten Grad erreicht hatte und von nun an überflüssig wurde. In Wirklichkeit umgekehrt! Gerade die riesigen Aufgaben, an die die Bolschewiki mit Mut und Entschlossenheit herantraten, erforderten die intensivste politische Schulung der Massen und Sammlung der Erfahrung" (Ges.Werke, Bd.4, Seite 359).
Die Italienische Kommunistische Linke drückte sich im selben Sinne aus, als sie die Gründe für die Niederlage der Russischen Revolution untersuchte: "Marx und Engels, und vor allem Lenin, haben immer die Notwendigkeit hervorgehoben, dem Staat das proletarische Gegengift entgegenzuhalten, welches als einziges die nahende Degenerierung aufhalten kann. Die Russische Revolution, weit entfernt von der Einsicht über die Aufrechterhaltung und Lebendigkeit der proletarischen Klassenorgane, integrierte sie in den Staatsapparat und verschlang damit ihre eigene Substanz." (Bilan, Nr.28).
Es half wenig, das Gewicht der Arbeiterklasse im Staat durch Gesetze aufrechterhalten zu wollen (1 Delegierter auf 25 000 Arbeiter, während auf 125 000 Bauern ebenfalls ein Delegierter kam), wenn das Problem gerade in der Aufsaugung dieser Arbeiter durch den konservativen Staatsapparat lag. Und als die proletarische Revolution in Europa definitiv niedergeschlagen war, konnte nichts, nicht einmal die eiserne Kontrolle der bolschewistischen Partei über die Gesellschaft, verhindern, dass der auf Weltebene sowie in Russland dominierende Kapitalismus die Kontrolle über den Staat ausübte und ihn in die direkt entgegengesetzte Richtung führte, als die Kommunisten es versucht hatten:
"Das Steuer entgleitet den Händen: Scheinbar sitzt ein Mensch da, der den Wagen lenkt, aber der Wagen fährt nicht dorthin, wohin er in lenkt, sondern dorthin, wohin ein anderer ihn lenkt - jemand, der illegal ist, der gesetzwidrig handelt, der von Gott weiss woher kommt, Spekulanten oder Privatkapitalisten, oder die einen und die anderen zugleich - , jedenfalls fährt der Wagen nicht ganz so und sehr häufig ganz und gar nicht so, wie derjenige, der am Steuer des Wagens sitzt, sich einbildet." (Lenin, 11.Parteitag der KPR(B), 27.3.1922, Werke Bd.33, Seite 266).
"Die Bolschewiki fürchteten, die Konterrevolution komme vor allem von den Weissen Armeen und anderen direkten Instrumenten der Bourgeoisie, und sie verteidigten deshalb die Revolution gegenüber diesen Gefahren. Sie fürchteten die Rückkehr des Privateigentums durch das Fortdauern der Kleinproduktion und vor allem durch die Bauernschaft. Doch die wirkliche Gefahr der Konterrevolution kam nicht von den Kulaken, nicht von den auf schreckliche Weise in Kronstadt massakrierten Arbeitern, nicht von den Verschwörungen der "Weissen", wie es die Bolschewiki fürchteten. Der Weg der Konterrevolution führte über die Leichen der 1919 in Deutschland massakrierten Arbeiter und über den bürokratischen Apparat, der sich als angeblicher "Halbstaat" des Proletariats ausgab, und in dem sich die Konterrevolution am deutlichsten ausdrückte." (Einführung zur Broschüre der IKS "Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus", engl., franz., span.).
Die Lösung für die Situation, welche im Oktoberaufstand 1917 ihren Anfang genommen hatte, lag, wie es Rosa Luxemburg ausdrückte, nicht in Russland selbst: "In Russland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Russland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden." Der Schlüssel dazu lag in den Händen der internationalen Arbeiterklasse. Und im gleichen Masse wie die weltrevolutionäre Welle, die auf den Ersten Weltkrieg folgte, niedergeschlagen wurde, häuften sich in Russland die Widersprüche und die verzweifelte Suche nach Lösungen. Doch keine dieser scheinbaren Lösungen vermochte den Gordischen Knoten zu zerschlagen und die Revolution auszubreiten.
"Die fatale Lage jedoch, in der sich die Bolschewiki heute befinden, ist mitsamt den meisten ihrer Fehler selbst eine Folge der grundsätzlichen Unlösbarkeit des Problems, vor das sie durch das internationale, in erster Linie durch das deutsche Proletariat gestellt worden sind. Die proletarische Diktatur und sozialistische Umwälzung in einem einzelnen Lande durchführen, das von starrer imperialistischer Herrschaft umgeben und vom blutigsten Weltkriege der menschlichen Geschichte umtobt ist, das ist eine Quadratur des Zirkels. Jede sozialistische Partei müsste an dieser Aufgabe scheitern und zugrunde gehen - ob sie den Willen zum Sieg und den Glauben an den internationalen Sozialismus oder aber den Selbstverzicht zum Leitstern ihrer Politik macht." (Rosa Luxemburg, "Die russische Tragödie", Ges. Werke Nr.4, Seite 391).
Die Russische Revolution ist die wichtigste Erfahrung in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Die zukünftigen revolutionären Kämpfe des Proletariats dürfen keine Mühe scheuen, sich all die Lehren daraus anzueignen. Und zweifellos ist die erste davon die Bestätigung des alten marxistischen Schlachtrufes: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!". Dies ist nicht eine "schöne Idee", sondern die notwendige Bedingung für den Sieg der kommunistischen Revolution. Die internationale Isolierung ist der Tod der Revolution.
Etsoem, aus "International Review", Nr. 75, 4.Quartal 1993
(auf deutsch veröffentlicht in Internationale Revue Nr.16,1995)
(1) Siehe dazu unsere Broschüre "Communism is not dead, but its worst enemy, Stalinism".
(2) Aufgrund der schweren Enttäuschung, die sich durch die Niederlage der Russischen Revolution unter den Kommunisten ausgebreitet hatte, entstanden Theorien wie der Rätismus, welche in der Russischen Revolution eine bürgerliche Revolution sahen und die Bolschewiki als eine bürgerliche Partei bezeichneten. Auch der Bordigismus schreibt der Russischen Revolution einen Doppelcharakter zu (auf der einen Seite bürgerlich, auf der anderen proletarisch). Siehe dazu unsere Kritiken in der "Internationalen Revue" (deutsch) Nr.5 und 6: "Oktober 1917: Anfang der Proletarischen Revolution".
(3) Die erste Sowjet-Verfassung erteilte das Bürgerrecht "allen Ausländern, welche sich innerhalb des Territoriums der Vereinigten Sowjetrepubliken aufhalten, vorausgesetzt, dass sie zur Arbeiterklasse gehören oder Bauern sind, welche nicht die Arbeit anderer ausbeuten".
(4) Die Sitzungen des 2. Kongresses der Kommunistischen Internationalen wurden vor einer Landkarte durchgeführt, auf der die Gebietsgewinne der Roten Armee während ihres Gegenangriffs auf Polen im Sommer 1920 eingezeichnet waren. Bekanntlich drängte dieser militärische Einfall das polnische Proletariat dazu, sich mit der eigenen Bourgeoisie zu verbünden und endete in der Niederlage der Roten Armee vor den Toren Warschaus.
(5) Im Januar 1918 brach in Berlin ein Streik aus, an dem sich ca. eine halbe Million Arbeiter beteiligten und der sich sofort auf Hamburg, Kiel und das Ruhrgebiet ausweitete. Während dieses Streiks wurden die ersten Arbeiterräte in Deutschland gebildet. Zur selben Zeit fanden in Wien und Budapest Arbeiteraufstände statt, und selbst die Mehrheit der bürgerlichen Journalisten bezeichnete sie als eine Reaktion auf die Russische Revolution und vor allem auf die Verhandlungen von Brest-Litowsk.
(6) Siehe unsere Broschüre „Die russische Revolution“: „Die kommunistische Linke in Russland“
(7) Siehe ‘Internationale Revue’ (deutsch) Nr.5 und6 und den Artikel ‘Die kommunistische Linke in Russland’ in unserer Broschüre ‘Die russische Revolution’. Sowie unsere Broschüre "Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus", in der wir anhand der russischen Erfahrung die Frage von Verhandlungen zwischen proletarischen Bastionen und kapitalistischen Regierungen untersuchen.
(8) Diese Regierung kontrollierte das ganze Gebiet der mittleren und unteren Wolga. Im Oktober 1918 fand ein Aufstand von zirka 400 000 "Wolgadeutschen" statt, die in diesem Gebiet eine Arbeiterkommune ausriefen. Die sogenannte "Tschechische Legion" waren tschechische Kriegsgefangene, welche von der russischen Regierung die Erlaubnis erhalten hatten, Russland via Wladiwostok zu verlassen. Während ihrer Reise meuterten 60 000 dieser 200.000 Soldaten und bildeten bewaffnete Banden, welche Plünderungen und Terror verübten. Es muss aber auch angefügt werden, dass rund 12.000 Soldaten dieser "Tschechischen Legion" in die Rote Armee eintraten.
(9) Dieser ehemalige Sozialrevolutionär wirkte im September 1917 als geheimer Verbindungsmann zwischen Kerenski und Kornilow. Im Januar 1918 organisierte er einen Mordanschlag auf Lenin. Er war ebenfalls der Vertreter der "Weissen" in Paris, wo er nicht nur mit den Geheimdiensten der Alliierten in Kontakt stand, sondern auch mit Ministern und Generälen, von denen er als Belohnung für seine "Dienste für die Demokratie" die Führung über Sabotagekommandos, die sog. "Grünen", erhielt.
(10) Siehe ‘Internationale Revue’ (deutsch) Nr.5 und6 ‘Oktober 1917’ und die Artikel ‘Der Niedergang der russischen Revolution’ und ‘Die kommunistische Linke in Russland’ in unserer Broschüre ‘Die russische Revolution’.
(11) Diese Typhusepidemien waren dermassen verbreitet und brachen nicht ab, so dass Lenin erklärte: "Entweder wird die Revolution diese Laus (die den Typhuserreger verbreitet) vernichten, oder dann wird die Laus die Revolution zerstören".
(12) Die NEP war nicht, wie viele Genossen der Kommunistischen Linken in Russland dachten, die Rückkehr des Kapitalismus, da in Russland nie eine sozialistische Ökonomie existiert hatte. Wir haben unsere Position zu dieser Frage in der "International Review" No.2 "Answer to Workers Voice" und in dem Artikel „Die kommunistische Linke in Russland“ in unserer Broschüre ‘Die russische Revolution’ dargelegt.
(13) Unsere Position zur Rolle des Staates in der Übergangsperiode und zum Verhältnis der Arbeiterräte zu diesem Übergangsstaat, basierend auf den Erfahrungen der Russischen Revolution, sind nachzulesen in unserer Broschüre "Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus" und in der "International Review" Nr. 8, 11, 15 und 18. Zur Auffassung, dass die Partei im Namen der Arbeiterklasse die Macht ergreift, siehe unsere Kritik in "International Review" Nr. 23, 34 und 3