Die Zukunft gehört dem Klassenkampf

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Zur Zeit werden die schlimmsten Angriffe gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung in den Industriestaaten seit dem Zweiten Weltkrieg gefahren. Errungenschaften, welche Generationen in mühsamen, opferreichen Arbeiterkämpfen erworben haben, werden über Nacht hinweggefegt. Der Ansturm der rot-grünen Regierung in Deutschland lässt von den Lohnabhängigen - Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentnern, Jugendlichen - niemanden ungeschoren davon kommen, spart keinen Bereich des Lebens der Bevölkerung aus. Auf einem Schlag werden die Steuern und Abgabenlasten massiv erhöht, die Erwerbslosen weiter in die Armut getrieben und einem unerbittlichen Zwangsregime unterworfen; die Rentner ins Elend gestürzt; die Gesundheitsversorgung radikal zusammengestrichen und verteuert; der Kündigungsschutz weitgehend aufgehoben; die Beschäftigten zu horrenden Leistungssteigerungen erpresst.

Es liegt auf der Hand: Auch wenn es in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nicht leicht ist, sich zur Wehr zu setzen, dürfen die Lohnabhängigen diese Angriffe nicht widerspruchslos hinnehmen. Gegenwehr tut Not. Doch um zu wissen, wie man sich erfolgreich zur Wehr setzen kann, muss man sich Klarheit darüber verschaffen, wie es zu der jetzigen, rasanten Verschlechterung der Lebenslage der großen Bevölkerungsmehrheit gekommen ist.

Die Lügen der Regierenden

Regierung und Opposition in Berlin haben zwei sehr bequeme Antworten auf die Frage, weshalb die Arbeitslosigkeit immer neue Rekorde bricht, weshalb die Finanzgrundlagen der Sozialversicherungen immer mehr wegbrechen: weil die „demographische Entwicklung", die zunehmende Überalterung der Bevölkerung, das Gesundheitssystem bzw. die Rentenkassen überfordem würden und die Arbeitskosten in Deutschland zu hoch seien. Träfe dies zu, bliebe uns nichts anderes übrig, als den Gürtel solange enger zu schnallen, bis ein neuer Beschäftigungsboom wieder frische Mittel in die Sozialkassen spülen würde. Doch diese „Erklärungen" sind der Gipfel der Heuchelei. Wäre die Überalterung die Ursache der Pleite der Sozialkassen, müsste die Bundesrepublik bzw. die EU händeringend nach jungen Arbeitskräften als potentiellen Beitragszahlem Ausschau halten. Tatsächlich aber werden Jährlich hundertjausende, auf Arbeitssuche sich befindende junge Menschen und ihre Familien mit Hinweis auf das Problem der Massenarbeitslosigkeit gewaltsam daran gehindert, das Gebiet der EU überhaupt zu betreten. Es ist umgekehrt so, dass die Erwerbslosigkeit die Hauptursache des zunehmenden Bankrotts der Sozialversicherungssysteme darstellt. Auch die Überalterung der Bevölkerung ist darauf zurückzuführen, dass seit Jahrzehnten die zunehmende Arbeitshetze, die Misere, die Wohnungsnot und die Unsicherheit der Beschäftigung viele Menschen abschreckt, Kinder in die Welt zu setzen. Mit ihrem Gerede von der „Generationsgerechtigkeit" wollen SPD/ Grüne/ Union/ FDP/ PDS nicht nur die wahren Ursachen der Wirtschaftskrise vertuschen, sondern darüber hinaus Jung und Alt gegeneinander aufhetzen, die Mentalität der Selektionsrampe fördern.

Auch das Gerede über die verlorengegangene Konkurrenzfähigkeit des Standortes Deutschland als Ursache der Misere verschleiert das wirkliche Problem. Es unterstellt, dass Massenarbeitslosigkeit und zunehmende Verarmung spezifische Probleme der Bundesrepublik seien. Tatsächlich ist aber kein Staat der Erde genügend konkurrenzfähig, da der kapitalistische Weltmarkt unter chronischer Überproduktion und Überschuldung leidet. Seit Jahrzehnten wird die arbeitende Bevölkerung aller Länder dazu aufgerufen, die Angriffe des Kapitals tatenlos hinzunehmen, um die verlorengegangene Konkurrenzfähigkeit wiederzuerlangen - was aber nur zu einer Verschlechterung der Lage der Lohnabhängigen in allen Ländern geführt hat.

Die Lügen der linken „Reformisten"

Die Organisatoren der heutigen Demo hingegen behaupten, die ausufernde Verschuldung des Staates sowie die Deckungslücken der Sozialversicherungen sei das Ergebnis einer falschen Politik. Die ständige Reduzierung des Arbeitgeberanteils an den Versicherungen sei ursächlich für die Defizite des Gesundheitssystems sowie der Rentenkassen verantwortlich, die zunehmende Zahlungsunfähigkeit der Kommunen sei das Resultat der Abschaffung der Gewerbesteuer usw. Und wenn die Kapitalisten lieber ihr Geld verspekulierten, anstatt es in neue Jobs zu investieren, dann weil der „Neoliberalismus" das Finanzkapital einseitig begünstige, anstatt, wie von dem Ökonomen Tobin vorgeschlagen, internationale Finanztransaktionen zu besteuern.

Manche dieser „Linksradikalen" sprechen von einem „Investitionsstreik" und fordern entweder, dass der Staat die Unternehmen zu produktiven Investitionen zwingen oder aber die Konzerne gleich verstaatlichen solle, damit der Staat an ihrer Stelle neue Jobs schaffe. Ware eine „falsche Politik" tatsächlich die Ursache der Wirtschaftskrise, so wäre ein eigenständiger Widerstand der Beschäftigten und Erwerbslosen gegen die Agenda 2010 höchst überflüssig. Nicht Klassenkampf, sondern ein „Politikwechsel", eine „Reform des Systems" wäre von Nöten. D.h., es würde reichen, linke Politiker vom Schlage Lafontaines bzw. Gewerkschaftsführer wie Bsirske oder Peters an das Ruder der Macht zu bringen, um eine Umverteilung von oben nach unten zu bewerkstelligen. Die Globalisierungsgegner haben richtig erkannt, was heutzutage jeder mit eigenen Augen sehen kann: dass der Staat ausschließlich die Interessen der Besitzenden auf Kosten der Besitzlosen vertritt. ATTAC, Teile der Gewerkschaften sowie die „radikale Linke" behaupten aber, dass der Staat durch einen Politikwechsel dazu gebracht werden könnte, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung gegen, die des Kapitals zu verfechten. Doch der Staat dient nicht deshalb den Interessen des Kapitals, weil er durch eine bestimmte, „neoliberale" Politik fehlgeleitet wird, sondern weil der Staat ein Herrschaftsinstrument und eine Ordnungsmacht ist, welcher in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gar nicht anders kann als die Interessen des Kapitals zu vertreten. Wenn der Staat alles tut, um die Gewinne der Unternehmen zu sichern, dann deshalb, weil die kapitalistische Gesellschaft nur dann ordnungsgemäß geführt werden kann, wenn ausreichend Profit erzielt wird. Bei ihren Investitionsentscheidungen lassen sich die Kapitalisten nicht durch neoliberale oder andere Ideologien, sondern durch die voraussichtlichen Gewinnaussichten leiten. Und auch wenn der Staat bestimmte Investitionen aus politischen Erwägungen vorschreiben oder betätigen kann, beschleunigen diese Investitionen, sobald sie an den Bedürfnissen des Marktes vorbeigehen, letztendlich den wirtschaftlichen Niedergang - wie der Zusammenbruch der staatskapitalistischen Regime Osteuropas 1989 gezeigt hat.

Wenn seit Jahrzehnten weltweit die Investitions- und Wachstumsraten nachlassen, so zeigt dies auf, dass die Wirtschaften auf kapitalistischer Grundlage immer weniger ergiebig, sprich, profitabel wird. Wenn sich der Finanzsektor immer mehr auf Kosten der Industrie aufbläht, so ist dies ein sicheres Zeichen des Niedergangs des Profitsystems. Die menschliche Arbeitskraft ist nämlich die Quelle des kapitalistischen Mehrwerts. Durch Finanztransaktionen und dergleichen entsteht kein neuer Reichtum, sondern der vorhandene Reichtum wird lediglich neu verteilt. Die Schranken des Marktes, die Produktion für Profit, sind zu einem unerträglichen Hindernis für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geworden. Die zunehmende Barbarei der niedergehenden bürgerlichen Gesellschaft seit dem Ersten Weltkrieg zeigt den historischen Bankrott der kapitalistischen Produktionsweise auf. Um dennoch zu überleben, bleibt dem Kapitalismus nichts anderes übrig, als auf Kosten der Lohnabhängigen die Profite der Herrschenden möglichst zu stützen. Deswegen werden die Steuern und Abgaben der Unternehmen zusammengestrichen, die der Arbeiter unaufhörlich angehoben: um die Banken, Versicherungen und Industriekonzerne über Wasser zu halten. Nur durch eine fortschreitende, absolute Verelendung der Arbeiterklasse, kann der Kapitalismus bestehen, wie Karl Marx bereits vor 150 Jahren aufgezeigt hat.

Der einzige Ausweg: der Klassenkampf

Da die Regierenden, der Staat und auch die „linken Reformkräfte" ein Teil des Problems, ein Teil des Kapitalismus sind, können sie niemals ein Teil der Lösung des Problems werden. Nur die Betroffenen selbst, nur die Arbeiterklasse kann sich gegen die Angriffe zur Wehr setzen. Indem die Arbeiter sich wehren, vertreten sie die Interessen der Menschheit gegen die Interessen des Kapitals. Denn die Logik des Kapitalismus verlangt die Unterordnung der lebendigen Arbeit unter die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals. Indem die Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentner ihr Leben und Überleben verteidigen, widersprechen sie der Logik der „Wirtschaftlichkeit", sprich, der Konkurrenz, des Marktes und des Profites. Damit erheben sie in der Praxis den Anspruch auf eine neue Gesellschaft, in der nicht mehr der private Gewinn, sondern die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse das Ziel sein wird. Nur die Arbeiterklasse kann gegen die Angriffe etwas ausrichten - diese Botschaft wird vielen, gerade heutzutage, wenig verheißungsvoll klingen. Schließlich wird uns unaufhörlich eingeredet, dass es keine Klassen mehr gebe, dass der Marxismus nicht mehr zeitgemäß sei. Doch langsam beginnt die Krise die Arbeiter zu zwingen sich zu wehren. Und dort wo, wie in diesem Jahr in Frankreich, Österreich oder Italien Hunderttausende auf die Straße gehen, um gegen die Rentenkürzungen der Regierungen zu demonstrieren, da dämmerte es allmählich: die Arbeiterklasse, die gibt es doch noch. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Noch besitzen die Lohnabhängigen kaum Selbstvertrauen oder ein Gefühl der Zusammengehörigkeit als Klasse. Noch fühlen sie sich eingeschüchtert durch die Macht ihres Gegners sowie durch die Angst vor Entlassungen und Repressalien. Da ist es verständlich, dass sie wenig Neigung verspüren, sich unüberlegt in den Kampf zu stürzen.

Man soll sich auch nicht unüberlegt in den Kampf stürzen. Der Kampf lohnt sich, weil die Tatenlosigkeit der Betroffenen seit Menschengedenken die Herrschenden nur ermuntert hat, noch rücksichtsloser anzugreifen. Der Kampf lohnt sich aber auch deshalb noch, weil wir durch den Kampf die Tradition der Solidarität, das Gefühl der Zusammengehörigkeit wiedererlangen können. Die kapitalistische Wirtschaftskrise ist eine Geißel der Menschheit. Sie birgt aber auch die Chance, dass die Arbeiterklasse dadurch allmählich das Wesen des Systems und die Notwendigkeit seiner Überwindung begreift. Denn die lohnabhängige Bevölkerung erlebt am eigenen Leibe die Widersprüche des Kapitalismus. Wenn, wie zur Zeit bei der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), fast die Hälfte der Stellen gestrichen wird, während die verbleibenden Beschäftigten die Arbeit der „Ausgemusterten" bei deutlich weniger Lohn mit übernehmen sollen, stellt sich die Notwendigkeit einer wirklich kommunistischen Produktion, wo die Ergiebigkeit und planmäßige Organisation der Arbeit der Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse dient, bei einer radikalen Kürzung der Arbeitszeit für alle.

Die Bedürfnisse des Kampfes

Die Angriffe des Kapitals machen die Wiederaufnahme des Klassenkampfes dringend erforderlich. Um ein Kräfteverhältnis zu Gunsten der Arbeiterklasse aufbauen zu können, müssen die Kämpfe möglichst allgemein geführt werden. Gemeinsam müssen Beschäftigte, Erwerbslose und Rentner, die Arbeiter des öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft, im Osten wie im Westen kämpfen. Dies erfordert möglichst massive Straßendemonstrationen sowie die Erhebung möglichst einheitlicher Forderungen, welche die Gemeinsamkeit der Interessen und die Solidarität aller Arbeiter zum Ausdruck bringen. Dies macht eine möglichst eigenständige Organisierung des Kampfes, gegen die Sabotage von Seiten der linken, kapitalistischen Ordnungskräfte, vor allem der Gewerkschaften erforderlich. Vollversammlungen werden erforderlich sein, welche den Willen der Arbeiter selbst zum Ausdruck bringen können.

Um diese Kämpfe vorzubereiten ist es erforderlich, dass die bereits kämpferischen, bereits politisch nachdenkenden Minderheiten zusammenkommen, um über die Bedingungen des Kampfes zu reden, um die Lehren aus den ersten Aktionen zu ziehen und über das Wesen des Kapitalismus und die Perspektive einer künftigen Gesellschaft zu sprechen.

 

Die Zukunft gehört dem Klassenkampf! Internationale Kommunistische Strömung 01.11.2003