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Artikelserie zur ‚deutschen Revolution‘ (1914-1923)
Inhalt
Einleitung
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Die Revolutionäre in Deutschland im 1. Weltkrieg
Die Revolutionäre und ihr Kampf gegen den Krieg
Die Revolutionäre international
Das Kräfteverhältnis gerät ins Wanken
Die russische Revolution – Auftakt der revolutionären Welle
Die Intervention der Revolutionäre
Die Ausdehnung der Revolution auf die Zentren des Kapitalismus lebenswichtig
Die Januarkämpfe: Die SPD Speerspitze der Bourgeoisie gegen die Arbeiter
Die Beendigung des Krieges nur möglich durch das Wirken der Revolutionäre
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Der Beginn der Revolution
Die Revolutionäre bereiten den Aufstand vor
Die Ereignisse des 9. November
Die Arbeiter griffen nach der Macht – die Kräfte der Bourgeoisie standen Gewehr bei Fuß
Die zwei Waffen des Kapitals: politische Sabotage und Repression
Die Intervention der Revolutionäre
Die Arbeiterräte – Speerspitze der Revolution und die Sabotage durch die Bourgeoisie
Der Reichsrätekongress
Das Lebenselixier der Revolution: Die Massenaktivität
Die Aufgabe kann nur international gelöst werden
Die Bourgeoisie hatte die Lehren aus Russland gezogen
Die Laster der Vergangenheit
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Der verfrühte Aufstand
Die militärische Provokationen vom 6. und 24. Dezember
Die SPD stachelte zum Mord an den Kommunisten an
Die Falle des verfrühten Aufstands in Berlin
Der Aufstand – nur eine Frage der Partei?
Der Aufstand stützt sich auf den revolutionären Aufschwung der Klasse
Die zentrale Rolle der Kommunisten
Das Drama der zersplitterten Kämpfe
Bremen im Januar, das Ruhrgebiet im Februar, Mitteldeutschland im Februar und März, wieder Berlin im März, die bayrische Räterepublik im April,
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Fraktion oder Partei
Die Fraktionsarbeit
Die Strömungen in der Arbeiterbewegung
Welche Intervention gegenüber dem Zentrismus? Programmatische Klarheit vor Einheit
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Von der Fraktionsarbeit zur Gründung der KPD
Der gescheiterte Versuch der Parteigründung durch die Linksradikalen
Die Intervention der Spartakisten in den revolutionären Kämpfen
Die Gründung der KPD
Die Organisationsfrage auf dem Parteitag
Die Schwächen bei der Organisationsfrage
Der marxistische Flügel zur Organisationsfrage in der Minderheit
Die Laster der Vergangenheit
Der Parteiaufbau kann nur international erfolgen
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Der gescheiterte Organisationsaufbau
1919: Nach der Repression die KPD von der Bühne der Kämpfe abwesend
Der 2. Parteitag im Oktober 1919: Von der politischen Verwirrung zur organisatorischen Zerstreuung
Ein Bruch darf nur auf der klarsten Grundlage erfolgen
Falsche programmatische Positionen öffnen die Tür zum Opportunismus
Die Bourgeoisie trieb das Auseinanderbrechen der Partei voran
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Die Gründung der KAPD
Wie die Schwächen bei der Organisationsfrage zum Verschwinden der Organisation führen
Das Drama der Selbstverstümmelung
Die falschen Organisationsauffassungen der KPD beschleunigen ihren weg zum Opportunismus
„Die deutsche Revolution“: Geschichte der Schwäche der Partei
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Der Kapp-Putsch: Die Rechten greifen an, die Demokratie fügt den Arbeitern die Niederlage bei Die Arbeiterklasse sollte die Kosten des Krieges tragen
Die Bourgeoisie setzt den Versailler Vertrag zur Spaltung der Arbeiterklasse ein
Der Kapp-Putsch: Die Rechten greifen an
Die Reaktion der Arbeiterklasse: Der bewaffnete Abwehrkampf
Die Grenzen der Reaktion der Arbeiter
SPD und Gewerkschaften: Speerspitze bei der Niederschlagung der Arbeiterklasse
Seit dem 1. Weltkrieg sind alle bürgerlichen Parteien reaktionär und Todfeinde der Arbeiterklasse
Die Schwäche der Revolutionäre - für die Arbeiterklasse fatal
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Die Märzaktion 1921: Die Gefahr kleinbürgerlicher Ungeduld
Die Bourgeoisie sucht die Arbeiter zu provozieren
Die Revolution forcieren?
Welche Bilanz aus den Märzkämpfen?
Falsche Organisationsauffassungen – eine Fessel für die Fähigkeit der Partei zur Selbstkritik
Die Reaktion der KAPD
Die Haltung der Komintern zur Märzaktion
Welche Haltung einnehmen?
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Der Rückfluss der revolutionären Welle und die Entartung der Kommunistischen Internationale
Die internationale Bourgeoisie vereinigte sich, um die revolutionäre Welle zu stoppen
Die Entwicklung der Komintern vom 2. zum 3. Kongress
Der rückläufige Klassenkampf verlieh dem Opportunismus Auftrieb
Der Schlachtruf ‚Zu den Massen‘ – ein Schritt zur opportunistischen Verwirrung
Die Debatte um die Entwicklung in Russland
Wer übt die Kontrolle über den Staat aus? Partei oder Räte?
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Die Kommunistische Linke und das Problem des wachsenden Konfliktes zwischen dem russischen Staat und den Interessen der Weltrevolution
Der Beitrag der KAPD
Der wachsende Konflikt zwischen dem russischen Staat und den Interessen der Weltrevolution
Die Schwächen der KAPD bei der Organisationsfrage
Wie gegenüber der Gefahr der Entartung der Komintern reagieren? Flucht oder Kampf?
Die falschen Antworten der Kommunisten aus Russland
Der Rückfluss des Klassenkampfes ermöglichte die Entfaltung des Staatskapitalismus
Wuchern des Staatsapparates in Russland
Der 4. Kongress der Komintern: Die Unterwerfung unter den russischen Staat
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1923: Die Bourgeoisie will der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beifügen
Die verheerende Politik der KPD: Schutz der Demokratie und Einheitsfront
Mit dem Abebben der revolutionären Welle – Zuspitzung der imperialistischen Konflikte
Die Provokation der Ruhrgebietsbesetzung: Welche Aufgaben der Arbeiterklasse?
Die Komintern treibt die Arbeiter in die Falle des Nationalismus
Die KPD und die Hoffnung auf ein ‚nationales Bündnis‘
Nationalistische Lockrufe an die patriotische Kleinbourgeoisie
Die Arbeiterklasse wehrt sich auf ihrem Klassenterrain
Die KPD gegen die Intensivierung der August-Kämpfe
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1923: Eine Niederlage, die das Ende der weltweiten revolutionären Welle bedeutete
Die Komintern verirrte sich im Abenteuer des Aufstands
Ungünstige Bedingungen
Die Aufstandsvorbereitungen
Aufstand durch ein Regierungsbündnis mit der SPD?
Chronik einer angekündigten Niederlage
Die Lehren der Niederlage
Die Unfähigkeit der Komintern und der KPD, die wahren Lehren zu ziehen
Deutsche Revolution I
Die Revolutionäre in Deutschland im 1. Weltkrieg
Als im Aug. 1914 der 1. Weltkrieg ausgelöst wurde, der mehr als 20 Mio. Opfer hinterließ, da war für alle Beteiligten klar, welche entscheidende Rolle damals die Gewerkschaften und vor allem die deutsche Sozialdemokratie gespielt hatten.
Im Reichstag hatte die SPD einstimmig den Kriegskrediten zugestimmt. Gleichzeitig hatten die Gewerkschaften einen Burgfrieden ausgerufen, der jegliche Streiks verbot und ausschlaggebend dafür war, alle Kräfte für den Krieg einzuspannen.
Die Zustimmung der SPD-Fraktion zu den Kriegskrediten rechtfertigte die Sozialdemokratie damit: „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen ..... von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite“. „Vaterland in Gefahr“, „nationale Verteidigung“, „Volkskrieg um Existenz“, „Kultur und Freiheit“ - das waren die Stichworte, die von der parlamentarischen Vertretung der SPD gegeben wurden
Das war der erste große Verrat einer Arbeiterpartei gewesen. Als ausgebeutete Klasse ist die Arbeiterklasse eine internationale Klasse. Deshalb ist der Internationalismus für die Arbeiterklasse der grundlegendste Bestandteil der Positionen aller ihrer Organisationen - und der Verrat desselben führt diese Organisationen unvermeidlich ins gegnerische Lager, in das des Kapitals.
Während das Kapital in Deutschland den Krieg nie ausgelöst hätte, wenn es nicht auf die Gewerkschaften und die SPD-Führung als sichere Stützen hätte rechnen können, und für das Kapital deren Verrat somit nicht als Überraschung kam, sorgte dieser Verrat jedoch in den Reihen der Arbeiterbewegung selbst für einen großen Schock. Selbst Lenin wollte am Anfang nicht glauben, daß die SPD in Deutschland den Kriegskrediten zugestimmt hatte. Er hielt die ersten Nachrichten für eine Manipulation zur Spaltung der Arbeiterbewegung.(1)
Denn da die imperialistischen Spannungen seit Jahren zugenommen hatten, war die 2. Internationale schon sehr früh gegen diese Kriegsvorbereitungen auf die Bühne getreten. 1907 auf dem Stuttgarter Kongreß, 1912 auf dem Basler Kongreß und gar bis in die letzten Juli-Tage des Jahres 1914 hinein hatte sie gegen die Kriegspropaganda mobilisiert - auch wenn dies gegen den erbitterten Widerstand des damals schon starken rechten Flügels geschah.
„Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht der Sozialdemokratie, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.“ (schon 1907 angenommen, 1912 bestätigt).
„Gefahr ist im Verzuge, der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die Euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen Euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Gewalthabern in die Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!“ (Aufruf des Vorstands der SPD am 25. Juli 1914, d.h. 10 Tage vor dem Votum für den Krieg am 4.8.1914).
Als die Sozialdemokratischen Abgeordneten dem Krieg zustimmten, taten sie das als Repräsentanten der größten Arbeiterpartei in Europa, deren Einfluß weit über Deutschland hinausging und als Partei, die vor dem Krieg in jahrzehntelanger Aufbauarbeit errichtet worden war - selbst unter den ungünstigsten Bedingungen des Sozialistengesetzes, als sie verboten war. Die SPD hatte Dutzende von Wochen-, Tageszeitungen in ihren Händen. Schon 1899 hatte die SPD über 73 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 400.000 Exemplaren; 49 Zeitungen erschienen täglich. Schon um 1900 hatte sie über 100.000 Mitglieder, 1914 ca. eine Million.
So stand die revolutionäre Bewegung nach dem Verrat der Führung der SPD vor der Grundsatzfrage: sollte man es zulassen, daß diese Arbeiterorganisation mit Mann und Maus ins Feindeslager überwechselt?
Aber nicht nur die SPD-Führung in Deutschland hatte verraten. In Belgien wurde der Vorsitzende der Internationale, Vandervelde, Minister; Jules Guesde, der Führer der sozialistischen Partei in Frankreich wurde auch Minister. Die sozialistische Partei in Frankreich stimmte auch einstimmig für den Krieg. In England, wo es keine Wehrpflicht gab, übernahm die Labour-Partei die Organisierung der Rekrutierung. Auch wenn die österreichische SP formell nicht für den Krieg stimmen mußte, rührte sie die Werbetrommel für ihn. In Schweden, Norwegen, der Schweiz, den Niederlanden bewilligten die SP-Führer jeweils die Kredite. In Polen rief die SP im galizisch-schlesischen Teil zur Unterstützung für den Krieg auf, in Russisch-Polen war sie dagegen. In Rußland gab es ein geteiltes Bild: ehemalige Führer der dortigen Arbeiterbewegung wie Plechanow, der Führer der russischen Anarchisten Kropotkin, eine Handvoll Mitglieder der Bolschewistischen Partei in der französischen Emigration riefen zur Verteidigung vor dem preußisch-deutschen Militarismus auf. In Rußland gab die sozialdemokratische Dumafraktion eine Erklärung gegen den Krieg. Sie war die erste offizielle Antikriegserklärung einer Parlamentsfraktion in einem großen kriegführenden Land. Die Sozialistische Partei Italiens nahm von Anfang an eine ablehnende Stellung gegen den Krieg ein. Im Dezember 1914 schloß die Partei eine Gruppe von Renegaten unter der Führung von Benito Mussolini aus, die auf die Seite der ententefreundlichen Bourgeoisie getreten war und die Teilnahme Italiens am Weltkrieg propagierten. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei in Bulgarien (Tesnyaks) verteidigte ebenfalls einen konsequent internationalistischen Standpunkt. Die wenigen serbischen sozialdemokratischen Abgeordneten stimmten gegen den Krieg.
Die Internationale, der Stolz der Arbeiterklasse, war in den Flammen des Weltkrieges zerfallen. Die deutsche SPD war ein „stinkender Leichnam“ geworden. Die Internationale löste sich, wie Rosa Luxemburg meinte, „in einen Haufen wildgewordener nationalistischer Bestien auf, die sich gegenseitig zur höheren Ehre der bürgerlichen Rechtsordnung und Moral zerfleischten.“ Nur wenige Gruppen in Deutschland, die „Internationale“, „Lichtstrahlen“, die Bremer Linke, Trotzkis Gruppe, Martow, Teile französischer Syndikalisten, die Gruppe Tribune (Gorter, Pannekoek) in Holland sowie die Bolschewiki verfochten einen resolut internationalistischen Standpunkt.
Gleichzeitig mit diesem entscheidenden Verrat der Mehrzahl der Parteien der 2. Internationale wurde die Arbeiterklasse zur Zielscheibe eines ideologischen Angriff, bei dem ihr eine fatale Dosis nationalistisches Gift injiziert wurde. Im August 1914 hatten sich nicht nur große Teile des Kleinbürgertums für die Expansionspläne Deutschlands einspannen lassen, sondern auch Bereiche der Arbeiterklasse waren dem Nationalismus aufgesessen. Die bürgerliche Propaganda verbreitete die Hoffnung, „in einigen Wochen, spätestens Weihnachten“ sei der Krieg vorbei, das ganze Gespenst beendet und man sei wieder zu Hause.
Nach der Auslösung des Krieges zog sich die Minderheit der Revolutionäre, die den Prinzipien des proletarischen Internationalismus treu geblieben war, nicht resigniert zurück, und sie gab auch nicht in Anbetracht der besonders ungünstigen Bedingungen den Kampf auf.
Die Revolutionäre und ihr Kampf gegen den Krieg
Während große Teile der Arbeiterklasse noch nationalistisch benebelt waren, versammelten sich noch am Abend des 4. August führende Vertreter der Linken der Sozialdemokratie in Rosa Luxemburgs Wohnung (K. und H. Duncker, Hugo Eberlein, Julian Marchlewski, F. Mehring, E. Meyer, W. Pieck). Auch wenn ihre Zahl an diesem Abend verschwindend gering war, sollte ihr Wirken während der nächsten 4 Jahre von ungeheurer Ausstrahlung sein.
Auf der Tagesordnung des Treffens stand: Wie sieht das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, wie innerhalb der SPD aus, welche Ziele muß der Widerstand gegen den Verrat der Parteiführung verfolgen, welche Perspektiven stehen an, wie müssen wir kämpfen?
Auch wenn die Situation momentan bedrückenden und niederschlagenden war, war das für die Revolutionäre kein Anlaß zu resignieren. Ihre Haltung war: wir dürfen die Organisation jetzt nicht über Bord schmeißen, sondern müssen entschlossen in der Organisation um ihre proletarischen Prinzipien kämpfen.
In der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion hatte es vor der offiziellen Abstimmung eine interne gegeben, in der 78 Abgeordnete für, 14 gegen die Kriegskredite gestimmt hatten. Aus Fraktionszwang hatten sich die 14 Abgeordneten, auch Liebknecht, dem Mehrheitsvotum gebeugt und den Krediten zugestimmt. Diese Tatsache wurde von der SPD-Führung geheimgehalten.
Vor Ort sah es in der Partei noch uneinheitlicher aus. Aus vielen Ortsvereinen wurden sofort Proteste gegen den Vorstand laut. Am 6. August sprach die überwältigende Mehrheit der Ortsversammlung in Stuttgart der Reichstagsfraktion das Mißtrauen aus. Dort gelang es den Linken gar, die Rechten aus der Partei zu schließen und die örtliche Zeitung an sich zu reißen. In Hamburg sammelten Laufenberg und Wolfheim die Opposition um sich, in Bremen trat die ‚Bremer-Bürger-Zeitung‘ um Knief entschlossen gegen den Krieg auf, der ‚Braunschweiger Volksfreund‘, das ‚Gothaer Volksblatt‘, „der Kampf“ in Duisburg, Zeitungen in Nürnberg, Halle, Leipzig und Berlin protestierten ebenfalls und spiegelten die Ablehnung großer Teile der Parteibasis wider. Auf einer Versammlung in Stuttgart am 21. September 1914 wurde Kritik am Verhalten Liebknechts geübt. Dieser sprach dann selbst von einem verheerenden Fehler, aus Fraktionsdisziplin so gehandelt zu haben. Da aber von Kriegsbeginn alle Zeitungen unter Zensur gestellt wurden, wurden die Proteststimmen sofort abgewürgt. Die SPD-Opposition stützte sich daher auf die Möglichkeit, im Ausland ihre Stimme zum Ausdruck zu bringen. Die „Berner Tagwacht“ sollte zum Sprachrohr der SPD-Linken werden, auch in der Zeitschrift ‘Lichtstrahlen’, die von Borchardt herausgegeben wurde und von September 1913 bis April 1916 erschien, konnten die Internationalisten ihre Position zum Ausdruck bringen.
Ein Überblick über die Lage innerhalb der SPD zeigte: auch wenn die Führung verraten hatte, nicht die ganze Organisation hatte sich für den Krieg einspannen lassen. Deshalb war die Perspektive klar: Um die Organisation zu verteidigen, um sie nicht den Verrätern zu überlassen, mußte für deren Rausschmiß gesorgt, für klare Trennung von ihnen eingetreten werden.
Bei dem Treffen in Rosa Luxemburgs Wohnung kam auch die Frage auf, ob man nicht aus Protest, aus Abscheu vor dem Verrat aus der Partei austreten sollte? Einstimmig wurde diese Idee verworfen, denn man durfte den Verrätern nicht das Feld überlassen, die Organisation sozusagen als Geschenk in den Dienst der herrschenden Klasse stellen. Man konnte nicht einfach die Partei verlassen, die unter größten Anstrengungen aufgebaut worden war, so wie Ratten das sinkende Schiff verlassen. Deshalb bedeutete damals die Verteidigung der Organisation nicht Austritt sondern für deren Rückeroberung einzutreten.
Niemand dachte daran die Organisation zu verlassen. Das Kräfteverhältnis zwang die Minderheit nicht dazu; auch ging es jetzt noch nicht darum, eine neue, eigenständige Organisation außerhalb der SPD zu aufzubauen, erst einmal mußte um die Organisation gekämpft werden. Rosa Luxemburg und ihre Genossen gehörten damit zu den konsequentesten Verteidigern der Notwendigkeit der Organisation.
Tatsache ist, lange bevor die Arbeiterklasse anfing, aus der nationalistischen Betäubung zu erwachen, hatten die Internationalisten längst den Kampf aufgenommen. Als Avantgarde warteten sie nicht auf die Reaktionen der Klasse insgesamt, sondern sie waren ihrer Klasse voraus. Während das nationalistische Gift in der Arbeiterklasse noch wirkte, die Klasse damals sowohl ideologisch wie auch physisch dem Maschinengewehrfeuer des imperialistischen Krieges ausgeliefert war, hatten die Revolutionäre selbst schon - unter den schwierigsten Bedingungen der Illegalität - das imperialistische Wesen des Krieges selber enttarnt. Auch hier - bei ihrer Arbeit gegen den Krieg - sind die Revolutionäre nicht in Wartestellung auf die ganze Klasse gegangen, um auf die Bewußtwerdung größerer Teile der Klasse zu warten. Und - wir werden ausführlich darauf zurückkommen - die Internationalisten erkannten ihre Verantwortung als Revolutionäre, als Mitglieder einer politischen Organisation, die sie sofort verteidigten. Es war noch keine Nacht vergangen, da hatten die Revolutionäre sich schon um die späteren Spartakisten versammelt, um die Verteidigung der Organisation in die Hand zu nehmen und faktisch die Grundlagen für den Bruch mit den Verrätern zu legen. Soweit zum angeblichen Spontaneismus der Spartakisten und Rosa Luxemburg.
Sofort traten die Revolutionäre in Kontakt mit den Internationalisten in den anderen Ländern. Liebknecht wurde deshalb als prominentester Vertreter ins Ausland geschickt. In Belgien und Holland nahm er Kontakt auf mit der dortigen sozialistischen Partei.
Und auf zwei Ebenen wurde der Widerstand gegen den Krieg vorangetrieben.
Einmal auf der Ebene des Parlamentes, wo die Spartakisten die Parlamentstribüne noch ausnutzen sollten.
Andererseits - viel wichtiger - durch die Entfaltung des Widerstandes vor Ort in der Partei selbst und im direkten Kontakt mit der Arbeiterklasse.
So sollte in Deutschland selbst Liebknecht bald zum Fanal des Widerstandes werden.
Innerhalb des Parlamentes gelang es Liebknecht, immer mehr Abgeordnete auf seine Seite zu ziehen. Zwar überwogen am Anfang noch Angst und Zögern, am 22. Oktober 1914 verließen 5 SPD-Abgeordnete aus Protest den Saal, am 2. Dezember 1914 stimmte Liebknecht als einziger öffentlich gegen die Kriegskredite, im März 1915 verließen ca. 30 Abgeordnete bei der Abstimmung den Saal, und ein Jahr später, am 19. August 1915, stimmten schon 36 Abgeordnete gegen die Kredite.
Der wirkliche Schwerpunkt lag jedoch bei den Aktivitäten der Arbeiterklasse selber: Zum einen an der Basis der Arbeiterparteien, zum anderen in den Massenaktionen der Arbeiter in den Fabriken und auf der Straße.
Unmittelbar nach der Auslösung des Krieges hatten die Revolutionäre energisch und klar gegen das imperialistische Wesen des Krieges Stellung bezogen (2). Im April wurde die erste und einzige Nummer der „Internationale“ mit 9.000 Exemplaren gedruckt, von denen allein am ersten Abend 5.000 Exemplare abgesetzt wurden (daher der Name der Gruppe „Die Internationale“).
Ab den Wintermonaten 1914/15 wurden die ersten illegalen Flugblätter gegen den Krieg verteilt; am berühmtesten wurde „Der Feind steht im eigenen Land“.
In vielen Versammlungen vor Ort zirkulierte das Material gegen den Krieg. Allein die Tatsache, daß Liebknecht seine Zustimmung verweigert hatte, dies öffentlich bekannt wurde, ließ ihn schnell zum bekanntesten Kriegsgegner in Deutschland und später auch in den Nachbarländern werden. Die Texte wurden als „höchst gefährlich“ von den bürgerlichen Sicherheitskräften eingestuft. In einigen Ortsversammlungen denunzierten die örtlichen Parteiführer diejenigen Mitglieder, die Material gegen den Krieg verteilten. Oft genug wurden sie kurz danach verhaftet! Die SPD war bis ins Innerste gespalten!
Hugo Eberlein berichtete später auf dem Gründungsparteitag der KPD am 31.Dezember 1918, daß eine Verbindung mit ca. 300 Städten bestand. Um die ständig wachsende Gefahr des Widerstands in den Reihen der SPD zu bannen, beschloß der Parteivorstand im Januar 1915 gemeinsam mit der militärischen Führung, Liebknecht sollte mundtot gemacht werden, indem er zum Militär eingezogen wurde. Damit erhielt er Redeverbot, durfte nicht auf Versammlungen auftreten. Am 18. Februar 1915 wurde Rosa Luxemburg bis Februar 1916 inhaftiert. Mit Ausnahme einiger Monate zwischen Februar und Juli 1916 hielt sie das Regime bis zum 8. November 1918 im Gefängnis. Im September 1915 wurden Ernst Meyer, Hugo Eberlein, später der 70jährige Mehring, und viele andere verhaftet.
Aber selbst unter diesen schwierigsten Bedingungen betrieben sie ihre Arbeit gegen den Krieg weiter und unternahmen alles, um das Organisationsnetz weiter aufzubauen.
Mittlerweile hatte die Wirklichkeit des Krieges auch immer mehr Arbeiter aus ihrem nationalistischen Getaumel zurückgeholt. Denn die deutsche Offensive in Frankreich war schnell ins Stocken geraten und ein langer Stellungskrieg hatte angefangen. Allein bis Ende 1914 waren schon 800.000 Soldaten gefallen. Die Stellungskriege in Belgien und Frankreich kosteten im Frühjahr 1915 Hunderttausende Tote. Allein an einem Tag starben 60.000 Soldaten an der Somme. An der Front kehrte schnell Ernüchterung ein, vor allem aber an der „Front zu Hause“ wurde die Arbeiterklasse ins Elend gestürzt. Frauen wurden in die Kriegsproduktion gezerrt, Nahrungsmittel wurden horrend teuer und später rationiert. Am 18. März 1915 kam es zur ersten Frauendemo gegen den Krieg. Vom 15.-18. Oktober wurden blutige Zusammenstöße von Anti-Kriegsdemonstranten mit Polizei in Chemnitz gemeldet, am 30. November 1915 demonstrierten ca. 10-15.000 gegen den Krieg in Berlin. Auch in anderen Ländern kam Bewegung in die Arbeiterklasse. In Österreich brachen zahlreiche ‘wilde’ Streiks gegen den Willen der Gewerkschaften aus. In England streikten 250.000 Bergarbeiter in Südwales, in Schottland streikten Maschinenbauer im Clydetal, in Frankreich gab es Streiks im Textilbereich.
Die Arbeiterklasse hatte angefangen, langsam aus der nationalistischen Benebelung zu erwachen und wieder ihre Interessen als Ausgebeutete zu manifestieren. Der Burgfrieden geriet allmählich ins Wanken.
Die Revolutionäre international
Mit der Auslösung des 1. Weltkriegs und dem Verrat verschiedener Parteien der 2. Internationale war eine Epoche zu Ende gegangen. Die Internationale war damit gestorben, denn einige ihrer Mitgliedsparteien vertraten nicht mehr eine internationalistische Richtung, sondern waren auf die Seite der jeweiligen nationalen Bourgeoisie übergewechselt. Eine Internationale, aus verschiedenen nationalen Mitgliederparteien zusammengesetzt, verrät als solche nicht; sie stirbt dann, verliert ihre Rolle für die Arbeiterklasse, kann als solche nicht mehr aufgerichtet werden.
Aber der Krieg hatte zu einer Polarisierung innerhalb der internationalen Arbeiterbewegung geführt: Auf der einen Seite die Parteien, die Verrat betrieben hatten, auf der anderen Seite die revolutionäre Linke, die konsequent und unnachgiebig revolutionäre Positionen vertrat, aber anfänglich nur eine kleine Minderheit bildete.
Dazwischen trieb eine zentristische Strömung, die zwischen den Verrätern und den Internationalisten schwankte und ständig zögerte, klar und unzweideutig Stellung zu beziehen und keinen klaren Bruch mit den Sozialpatrioten herbeiführen wollte.
Innerhalb Deutschlands selbst war die Opposition gegen den Krieg ebenfalls sehr früh in mehrere Gruppierungen gespalten:
- auf der einen Seite die Zögernden, von denen die meisten der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion angehörten; Haase, Ledebour, waren einige bekannte Namen.
- die Gruppe um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, DIE INTERNATIONALE, die ab 1916 den Namen „Spartakusgruppe“ annahm,
- die Gruppen um die „Bremer Linke“ (Bremer Bürgerzeitung, die ab Juli 1916 erschien), mit Knief, K. Radek an ihrer Spitze, die Gruppe um Borchardt (Lichtstrahlen), dann in verschiedenen Städten (Hamburg: Wolfheim, Lauffenberg), (Dresden: Rühle). Ab Ende 1915 fimierten die Bremer Linken und Borchardt unter dem Namen Internationale Sozialisten Deutschland (ISD).
Nach einer ersten Phase der Desorientierung und unterbrochener Kontakte konnten ab Frühjahr die Internationale Sozialistische Frauenkonferenz vom 26. bis 28. März und die Internationale Sozialistische Jugendkonferenz vom 5. bis 7. April 1915 jeweils in Bern abgehalten werden. Und nach mehrmaligem Verschieben konnten sich vom 5. bis 8. September 1915 in Zimmerwald (in der Nähe von Bern) 37 Delegierte aus 12 europäischen Ländern treffen. Die zahlenmäßig stärkste Delegation war die deutsche, ihr gehörten 10 Vertreter an, die 3 oppositionelle Gruppen repräsentierten: die Zentristen, die Gruppe „Internationale“ (E. Meyer, B. Thalheimer), von den ISD (Internationale Sozialisten Deutschlands) Julian Borchardt. Während die zentristischen Kräfte nur für die Beendigung des Krieges - ohne Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse - eintraten, stellten die Linken den Zusammenhang zwischen Krieg und Revolution in den Mittelpunkt. Die Zimmerwalder Konferenz endete nach heftigen Diskussionen mit der Annahme eines Manifestes, in dem die Arbeiter aller Länder aufgefordert wurden, durch unversöhnlichen proletarischen Klassenkampf für die Befreiung der Arbeiterklasse, für die Ziele des Sozialismus einzutreten. Dagegen hatten die Zentristen sich gegen die Betonung des organisatorischen Bruch mit dem Sozialchauvinismus gestellt und die Forderung nach dem Sturz der eigenen imperialistischen Regierung verhindert. Das Zimmerwalder Manifest sollte dennoch eine große internationale Ausstrahlung auf die Arbeiter und Soldaten haben. Auch wenn es ein Kompromiß war, der von den linken Kräften selbst kritisiert wurde, da die Zentristen noch zu stark vor klaren Stellungnahmen zurückweichen konnten, war es ein Schritt hin zum Zusammenschluß der revolutionären Kräfte.
In einem früheren Artikel der International Review (Nr. 44) haben wir die Schwächen gerade der Gruppe „Internationale“ kritisiert, die anfänglich noch zögerlich war, die Notwendigkeit des Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg anzuerkennen.
Das Kräfteverhältnis gerät ins Wanken
Während die Klasse insgesamt langsam anfing, aus dem Taumel des Nationalismus zu erwachen, hatten die Revolutionäre ihren Zusammenschluß vorangetrieben. Ihre Intervention stieß auf ein immer größeres Echo.
Am 1. Mai 1916 demonstrierten ca. 10.000 Teilnehmer gegen den Krieg. Liebknecht ergriff das Wort und rief: „Nieder mit dem Krieg, nieder mit der Regierung“. Daraufhin wurde er verhaftet, was eine Protestwelle auslösen sollte. Das mutige Auftreten K. Liebknechts diente als Ansporn und Orientierung. Die Entschlossenheit der Revolutionäre- gegen den sozialpatriotischen Strom zu schwimmen und die proletarischen Prinzipien weiter zu verteidigen, trieb sie nicht in eine größere Isolierung, sondern wirkte als Aufforderung für den Rest der Klasse, selbst in den Kampf zu treten.
Im Mai 1916 traten Bergleute im Kreis Beuthen für Lohnerhöhungen in den Streik. In Leipzig, Braunschweig, Koblenz kam es zu Demonstrationen hungernder Arbeiter und Kundgebungen gegen Lebensmittelwucher. Über Leipzig wurde der Belagerungszustand verhängt. Und die Aktionen der Revolutionäre, die Tatsache, daß trotz Zensur und Versammlungsverboten sich die Nachricht vom zunehmenden Widerstand gegen den Krieg immer mehr ausbreitete, sollte der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse insgesamt weiter Auftrieb geben.
Am 27. Juni 1916 demonstrierten 25.000 Arbeiter in Berlin gegen die Verhaftung Liebknechts. Einen Tag später kam es zum ersten politischen Massenstreik gegen die Verhaftung Liebknechts, ca 55.000 Arbeiter streikten. In Braunschweig, Bremen, Leipzig und vielen anderen Städten kam es auch zu Solidaritätskundgebungen und Hungerdemonstrationen. In nahezu einem Dutzend Städten versammelten sich Arbeiter. Wir haben hier eine Verdeutlichung des Verhältnisses zwischen den Revolutionären und der Arbeiterklasse. Die Revolutionäre stehen nicht außerhalb der Arbeiterklasse oder irgendwie über ihr, sondern sind nur der entschlossenste, klarste und in politischen Organisationen zusammengefaßte Teil. Ihre Ausstrahlung hängt aber selbst von der ‘Empfangsbereitschaft’ der Arbeiterklasse insgesamt ab. Wenn die organisierte Anhängerschaft der Spartakusbewegung noch klein war, so folgten doch schon Hunderttausende ihren Losungen. Sie war Träger der Massenstimmung geworden. Der Burgfrieden hatte seine bändige Kraft verloren. Das Erwachen begann.
Das Kapital selbst versuchte die Revolutionäre von der Arbeiterklasse zu isolieren, denn gerade in dieser Phase löste es eine Repressionswelle aus. Viele Mitglieder des Spartakusbundes wurden in ‘Schutzhaft’, genommen. So Rosa Luxemburg, nahezu die ganze Zentrale des Spartakusbundes wurde in der zweiten Hälfte 1916 verhaftet. Viele Spartakisten wurden, nachdem sie in Sitzungen der SPD Flugblätter verteilt hatten, von den SPD-Funktionären denunziert; die Polizeizellen waren gefüllt mit Spartakisten.
Die Schlachten an der Westfront (Verdun) hinterließen immer mehr Opfer, gleichzeitig verlangte das Kapital in den Fabriken den an der ‘Heimatfront’ kämpfenden Arbeitern immer mehr ab. Ein Krieg kann nur geführt werden, wenn die Arbeiterklasse bereit ist, ihr ganzes Leben für das Kapital zu opfern.
Und hier stieß das Kapital auf einen immer stärkeren Widerstand.
Die Proteste gegen den Hunger rissen nicht mehr ab (die Bevölkerung erhielt nur ein Drittel ihres Kalorienbedarfs!) . Im Herbst 1916 gab es nahezu jeden Tag in einer größeren Stadt Proteste und Demos - im September in Kiel, im November in Dresden, im Januar 1917 die Bergarbeiter im Ruhrgebiet. Das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit begann sich hier langsam zu wenden.
Auch innerhalb der SPD selbst geriet die sozialpatriotische Führung immer mehr in Bedrängnis. Auch wenn sie noch durch enge Zusammenarbeit mit der Polizei jeweils oppositionelle Arbeiter durch das Militär verschleppen ließ, auch wenn sie durch Manipulationen bei Abstimmungen innerhalb der Partei die Mehrheitsverhältnisse zu ihren Gunsten aufrechterhalten konnte, der wachsende Widerstand gegen ihre Haltung war nicht mehr kleinzukriegen. Die SPD-Führung geriet immer mehr in die Minderheit. Ab Herbst 1916 beschlossen immer mehr Ortsvereine eine Beitragssperre für den Vorstand.
Die Opposition strebte zu diesem Zeitpunkt nach dem Zusammenschluß ihrer Kräfte, um den Vorstand auszuhebeln und die Partei wieder in ihre Hände zu bekommen.
Der SPD-Vorstand sah klar, wie sich dieses Kräfteverhältnis zu seinen Ungunsten entwickelte. Nachdem sich die Opposition am 7. Januar 1917 auf einer Reichskonferenz getroffen hatte, beschloß der Vorstand den Ausschluß aller Oppositionellen. Die Spaltung war vollzogen. Der organisatorische Bruch war da! Die internationalistischen Aktivitäten und das politische Leben der Arbeiterklasse konnte sich nicht mehr innerhalb der SPD entwickeln, sondern nunmehr nur noch außerhalb. Das proletarische Leben innerhalb der SPD war ausgelöscht, nachdem die revolutionären Minderheiten ausgeschlossen worden waren. Eine Arbeit innerhalb der SPD war nicht mehr möglich, die Revolutionäre mußten sich außerhalb organisieren. (3)
Die Opposition stand nunmehr vor der Frage, welche Organisation neu errichten? An dieser Stelle sei nur gesagt, daß zu diesem Zeitpunkt, im Frühjahr 1917, die verschiedenen Strömungen innerhalb des linken Lagers in Deutschland verschiedene Richtungen einschlugen.
Wie die Organisationsarbeit zum damaligen Zeitpunkt einzuschätzen war, werden wir in einem nächsten Artikel näher aufgreifen.
Die russische Revolution - Auftakt der revolutionären Welle
Gleichzeitig hatte international der Druck der Arbeiterklasse gegen den Krieg einen entscheidenden Durchbruch erzielt.
Im Februar (März westeuropäischer Zeitrechnung) hatten in Rußland die Arbeiter und Soldaten bei ihrem Kampf gegen den Krieg wie schon 1905 Arbeiter- und Soldatenräte errichtet. Der Zar wurde gestürzt. Eine revolutionäre Entwicklung hatte in Rußland eingesetzt, die sehr schnell ein Echo in den Nachbarländern, ja auf der ganzen Welt finden sollte. Dies ließ in den Reihen der Arbeiter Hoffnung aufkommen.
Die weitere Entwicklung der Kämpfe kann nur verstanden werden im Lichte der Revolution in Rußland. Denn die Tatsache, daß die Arbeiterklasse in einem Land den Herrscher gestürzt hatte, anfing, an den kapitalistischen Grundmauern zu rütteln, wirkte wie ein leuchtender Stern, auf den die Arbeiterklasse in der ganzen Welt zu blicken begann. Nicht nur in den Nachbarländern, sondern weltweit.
Die Kämpfe der Arbeiterklasse in Rußland sollten vor allem eine große Ausstrahlung in Deutschland haben.
Im Ruhrgebiet kam es vom 16. bis 22. Februar 1917 zu einer Streikwelle. Weitere Massenaktionen gab es in zahlreichen anderen deutschen Städten. Es sollte keine Woche mehr ohne größere Widerstandsaktionen mit Forderungen nach Lohnerhöhungen und besserer Lebensmittelversorgung vergehen. In nahezu allen Großstädten wurde von Lebensmittelunruhen berichtet. Als im April eine erneute Kürzung der Lebensmittelrationen angekündigt wurde, schwappte die Wut der Arbeiterklasse über. Ab dem 16. April kam es zu einer großen Welle von Massenstreiks in Berlin, Leipzig, Magdeburg, Hannover, Braunschweig, Dresden. Das Militär, führende bürgerliche Politiker, Gewerkschaftsführer und die SPD-Führer Ebert und Scheidemann berieten gemeinsam, wie sie der Streikbewegung Herr werden können.
In mehr als 300 Betrieben streikten ca. 300.000 Arbeiter. In den Straßen bildeten sich Demonstrationszüge. Es war nach den Streiks gegen die Verhaftung Liebknechts im Juli 1916 der zweite große Massenstreik. „Unzählige Versammlungen fanden in Lokalen und unter freiem Himmel statt, es wurden Reden gehalten und Beschlüsse gefaßt. So ist im Nu der Belagerungszustand durchbrochen worden und zerflossen in nichts, sobald die Masse sich rührte und entschlossen von der Straße Besitz ergriff.“ (Aus Spartakusbriefe, April 1917)
Die Arbeiterklasse in Deutschland trat damit in die Fußstapfen ihrer Klassenbrüder in Rußland, die in einem gewaltigen Massenkampf dem Kapital entgegentraten.
Sie kämpften genau mit den Mitteln, die Rosa Luxemburg in ihrer Schrift „Massenstreik“ nach den Kämpfen 1905 geschrieben hatte: Massenversammlungen, Demonstrationen, Kundgebungen, Diskussionen und gemeinsame Beschlüsse in den Betrieben, Vollversammlungen bis hin zur Bildung von Arbeiterräten.
Nachdem die Gewerkschaften ab 1914 in den Staat integriert worden warten, dienten sie nunmehr als Bollwerk gegen die Abwehrkämpfe der Arbeiter. Sie sabotierten den Kampf der Arbeiter mit allen Mitteln. Die Arbeiter mußten sich selber organisieren, sich selbst aktivieren, sich selbst zusammenschließen. Keine vorher aufgebaute Organisation nahm ihnen diese Arbeit ab. Und die Arbeiterklasse in Deutschland, dem höchst entwickelten Industrieland der damaligen Zeit, zeigte ihre Fähigkeit, sich selbst zu organisieren. Entgegen dem Gerede, das uns heute noch unaufhörlich präsentiert wird, ist die Arbeiterklasse sehr wohl dazu fähig, massenhaft in den Kampf zu treten. Dazu konnte sie ihren Kampf nicht mehr in gewerkschaftlichen Bahnen führen, wo in den verschiedenen, voneinander getrennten Berufszweigen jeweils um Reformen gerungen wurde. Die Arbeiterklasse schloß sich über alle Berufsgruppen, Fabrikzweige hinweg zusammen und trat ein für Forderungen, die alle Arbeiter vereinigten: Brot und Frieden, die Freilassung ihrer revolutionären Kräfte. Überall erscholl der Ruf nach der Freilassung K. Liebknechts.
Die Kämpfe konnten vorher nicht mehr sorgfältig, generalstabsmäßig vorbereitet werden wie im vorigen Jahrhundert. Aufgabe einer politischen Organisation war es, eine politische Führungsrolle in diesen Kämpfen zu spielen und nicht die Klasse zu organisieren.
Bei dieser Streikwelle waren die Arbeiter zum ersten Mal voll mit den Gewerkschaften zusammengeprallt. Während die Gewerkschaften im vorigen Jahrhundert von den Arbeitern selbst geschaffen worden waren, während sie zu Kriegsbeginn schon als Stützpfeiler für das Kapital in den Fabriken dienten, sollten sie nunmehr eine Hürde für den Kampf der Arbeiter selber werden. Die Arbeiter in Deutschland machten als erste die Erfahrung, daß sie nunmehr in den Kampf nur gegen den Widerstand der Gewerkschaften treten konnten.
Die Auswirkungen der begonnenen Revolution in Rußland griffen vor allem auch auf die Reihen der Soldaten über. Nach dem Beginn der russischen Revolution debattierten die Soldatenmassen mit größter Erregtheit das Geschehen, an der Ostfront häuften sich Verbrüderungen zwischen russischen und deutschen Soldaten. Im Sommer 1917 kam es dann im Juli zu den ersten Meutereien in der deutschen Flotte. Zwar konnte auch hier noch eine blutige Repression die ersten Flammen wieder ersticken, aber die Ausdehnung und Intensivierung des revolutionären Elans ließen sich langfristig nicht mehr aufhalten. Die Spartakusanhänger und die Angehörigen der Bremer Linksradikalen hatten einen großen Einfluß auf Matrosen.
Auch in den Industriestädten rumorte der Widerstand weiter: Vom Ruhrgebiet über Mitteldeutschland, Berlin und der Küste, überall war die Klasse dabei, dem Kapital die Stirn zu zeigen. Am 16. Juli erließen die Arbeiter in Leipzig einen Aufruf, daß sich die Arbeiter anderer Städte ihnen anschließen sollten.
Die Intervention der Revolutionäre
Die Spartakisten standen bei diesen Bewegungen an vorderster Stelle.
Vom Frühjahr 1917 an hatten sie die Bedeutung der Entwicklung in Rußland erkannt. Sie waren die Kräfte, die die Brücke zur Arbeiterklasse in Rußland schlagen, die die Perspektive des internationalen Ausdehnung der revolutionären Kämpfe in Rußland aufzeigten wollten.
In ihren Schriften, in Flugblättern, in Redebeiträgen, in den Betrieben, immer wieder traten sie gegen die schwankenden, zögernden, vor klaren Stellungnahmen sich drückenden Zentristen an und trugen zum Begreifen der neuen Lage bei. Immer wieder entblößten sie den Verrat der Sozialpatrioten und zeigten den Weg auf, wie die Arbeiterklasse zu ihrem Klassenterrain zurückfinden konnte.
Die Spartakisten pochten unaufhaltsam darauf:
- wenn die Arbeiterklasse ein ausreichend großes Kräfteverhältnis entwickeln könnte, würde sie den Krieg zu Ende bringen und den Sturz der Kapitalistenklasse herbeiführen können,
- dazu war es aber notwendig, die revolutionäre Flamme, die die Arbeiterklasse in Rußland angezündet hatte, weiterzutragen. An entscheidender Stelle stand die Arbeiterklasse in Deutschland!
„In Rußland haben Arbeiter und Bauern... die alte zarische Regierung gestürzt und die Leitung ihrer Geschicke selbst in die Hand genommen. Streiks und Arbeitseinstellungen von gleicher Zähigkeit und Geschlossenheit bringen uns in der gegenwärtigen Zeit nicht nur kleine Erfolge, sondern das Ende des Völkermordens, bringen den Sturz der deutschen Regierung (...). Die Arbeiterklasse war nie mächtiger als jetzt im Krieg, wenn sie geschlossen, solidarisch handelnd und kämpfend sich betätigt, die herrschende Klasse nie sterblicher(...). Nur die deutsche Revolution kann allen Völkern den heißersehnten Frieden und die Freiheit bringen. Die siegreiche russische Revolution im Bunde mit der siegreichen deutschen Revolution sind unbesiegbar. Von dem Tage an, wo unter den revolutionären Schlägen des Proletariats die deutsche Regierung samt dem deutschen Militarismus zusammenbricht, beginnt ein neues Zeitalter: ein Zeitalter, in dem Kriege, kapitalistische Ausbeutung und Bedrückung für immer verschwinden müssen.“ (Flugblatt der Spartakisten, April 1917)
„Die Herrschaft der Reaktion und der imperialistischen Klassen in Deutschland gilt es zu brechen, wenn wir dem Völkermord ein Ende machen wollen... Nur durch Massenkampf, durch Massenauflehnung, durch Massenstreiks, die das ganze wirtschaftliche Getriebe und die gesamte Kriegsindustrie zum Stillstand bringen, nur durch Revolution und die Erringung der Volksrepublik in Deutschland durch die Arbeiterklasse kann dem Völkermord ein Ende gesetzt und der allgemeine Frieden herbeigeführt werden. Und nur so kann auch die russische Revolution gerettet werden. (...) Die internationale Katastrophe vermag nur das internationale Proletariat zu bändigen. Den imperialistischen Weltkrieg kann nur eine proletarische Weltrevolution liquidieren.“ (Spartakus Nr. 6, August 1917)
Die Linksradikalen waren sich ihrer Verantwortung bewußt und sahen, was auf dem Spiel stand, wenn die Revolution in Rußland isoliert bleiben sollte: „ ..... das Schicksal der russischen Revolution: sie kann lediglich als Prolog der europäischen Revolution des Proletariats ihr Ziel erreichen. Werden hingegen die europäischen, die deutschen Arbeiter dem spannenden Schauspiel weiter wohlwollend zuschauen und nur die Zaungäste spielen, dann darf die russische Sowjetherrschaft nichts anderes gewärtigen (erwarten) als das Geschick der Pariser Kommune [sprich die blutige Niederschlagung].“ (Spartakus, Januar 1918)
Deshalb mußte gerade das Proletariat in Deutschland, das an der Schlüsselstelle zur Ausdehnung der Revolution stand, seine historische Rolle wahrnehmen.
„Das deutsche Proletariat ist der treueste, zuverlässigste Verbündete der russischen und internationalen proletarischen Revolution.“ (Lenin)
Überprüfen wir die Intervention der Spartakisten inhaltlich, können wir erkennen, daß sie klar, internationalistisch war und die richtige Orientierung für den Kampf der Arbeiter gab: Sturz der Regierung, die Perspektive: ein weltweiter Umsturz der kapitalistischen Gesellschaft, Bloßlegung der Sabotagetaktiken der Kräfte der Bourgeoisie.
Die Ausdehnung der Revolution auf die Zentren des Kapitalismus lebenswichtig
Während die Bewegung der Arbeiterklasse in Rußland vom Februar 1917 gegen den Krieg gerichtet war, war die Arbeiterklasse in Rußland selber zu schwach gewesen, den Krieg zu Ende zu bringen. Dazu ist es nötig, daß die Arbeiterklasse in den Industriehochburgen selber auf den Plan tritt. Die Arbeiter in Rußland waren sich dieser Notwendigkeit bewußt, und unmittelbar nachdem sie im Oktober 1917 die Macht übernommen hatten, sandten sie sofort einen Appell an die Arbeiterklasse in den kriegführenden Ländern mit dem Aufruf:
„Die Arbeiter- und Bauernregierung, die durch die Revolution vom 24/25. Oktober geschaffen wurde und sich auf die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten stützt, schlägt allen kriegführenden Völkern und ihren Regierungen vor, sofort Verhandlungen über einen gerechten demokratischen Frieden aufzunehmen.“ (26. November 1917)
Die Weltbourgeoisie war sich jedoch der Gefahr, die für ihre Klassenherrschaft von dieser Lage ausging, voll bewußt. Sie wollte deshalb alles unternehmen, um das in Rußland entstandene Feuer zu löschen. Deshalb setzte die deutsche Bourgeoisie ihre Kriegsoffensive gegen Rußland fort, nachdem sie im Januar 1918 den Friedensabschluß von Brest-Litowsk unterzeichnet hatte.
Die Spartakisten hatten gegenüber diesen Friedensverhandlungen in einem Flugblatt „Die Stunde der Entscheidung“ im Dezember 1917 gewarnt: „Auch für das deutsche Proletariat schlägt nunmehr die Stunde der Entscheidung! Seid auf der Hut! Denn gerade durch diese Verhandlungen beabsichtigt die deutsche Regierung, dem Volke Sand in die Augen zu streuen, das Elend und den Jammer des Völkermordens noch zu verlängern und zu verschärfen. Die Regierung und die deutschen Imperialisten verfolgen nur durch neue Mittel ihre alten Ziele. Unter dem Deckmantel des Selbstbestimmungsrechts der Nationen sollen aus den besetzten russischen Provinzen Zwergstaaten geschaffen werden, damit sie - zu einer Scheinexistenz verdammt und von den deutschen ‘Befreiern’ wirtschaftlich wie politisch abhängig - später bei der ersten günstigen Gelegenheit, von ihnen regelrecht verspeist werden können.“
Es dauerte jedoch noch ein weiteres Jahr, bis die Arbeiterklasse in Industriezentren selbst stark genug war, um den imperialistischen, mörderischen Arm der jeweiligen Bourgeoisie zurückzuhalten.
Aber die Ausstrahlung der siegreichen Revolution in Rußland auf der einen Seite sowie die Intensivierung des Krieges durch die Imperialisten auf der anderen Seite führten jedoch nur zur einer noch größeren Entschlossenheit der Arbeiterklasse, den Krieg zu Ende zu bringen.
Die revolutionäre Flamme griff langsam auf andere Länder über.
* In Finnland wurde im Januar 1918 ein Arbeiterkomitee gegründet, das die Machtergreifung vorbereitete. Die Kämpfe in Finnland wurden dann im März militärisch niedergeschlagen. Das deutsche Militär mobilisierte alleine über 15.000 Soldaten. Bilanz der massakrierten Arbeiter: mehr als 25.000.
* Am 15. Januar 1918 begann in Wien Neustadt ein politischer Massenstreik, der sich über fast alle Teile der Habsburger Monarchie ausbreitete. In Brünn, Budapest, Graz, Prag, Wien und in anderen Städten kam es zu gewaltigen Demos für Frieden.
Ein Arbeiterrat wurde gebildet, der die Aktionen der Arbeiterklasse bündelte. Am 1. Februar 1918 erhoben sich die Matrosen der österreichisch-ungarischen Flotte im Kriegshafen Cattaro gegen die Weiterführung des Krieges und verbrüderten sich mit den streikenden Arsenalarbeitern.
Zur gleichen Zeit fanden Streiks in England, Frankreich und Holland statt (siehe dazu unseren Artikel in International Revue Nr. 80).
Die Januarkämpfe: Die SPD - Speerspitze der Bourgeoisie gegen die Arbeiter
Nachdem die deutsche Regierung die Offensive gegen die junge revolutionäre Arbeitermacht in Rußland fortsetzen wollte, kochte die Wut in den Reihen der Arbeiter in Deutschland über. Am 28. Januar traten in Berlin 400.000 Arbeiter in den Streik. Vor allem Rüstungsbetriebe wurden bestreikt. Am 29. Januar erhöhte sich die Zahl der Streikenden gar auf 500.000. Die Bewegung pflanzte sich in andere Städte in Deutschland fort: In München erließ eine Streikversammlung folgenden Aufruf: „Die streikenden Arbeiter Münchens entbieten ihre brüderliche Grüße den belgischen, französischen, englischen, italienischen, russischen, amerikanischen Arbeitern. Wir fühlen uns eins mit Euch in dem Entschluß, dem Weltkrieg sofort ein Ende zu bereiten... Wir wollen gemeinsam den Weltfrieden erzwingen ..... Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ (zitiert von R. Müller, S. 148)
In dieser größten Massenbewegung im Krieg bildeten die Arbeiter in Berlin einen Arbeiterrat. Ein Flugblatt der Spartakisten rief dazu folgendermaßen auf:
„Wir müssen eine freigewählte Vertretung nach russischem und österreichischem Muster schaffen mit der Aufgabe, diesen und die weiteren Kämpfe zu leiten. Jeder Betrieb wählt pro 1000 Beschäftigten je einen Vertrauensmann.“ Insgesamt kamen über 1.800 Delegierte zusammen.
Die Belegschaften wurden von den Spartakisten dazu aufgerufen, daß die „Gewerkschaftsführer, Regierungssozialisten und andere ‘Durchhalter’ unter keinen Umständen in die Vertretungen gewählt werden. (...) Diese Handlanger und freiwilligen Agenten der Regierung, diese Todfeinde des Massenstreiks haben unter den kämpfenden Arbeitern nichts zu suchen! ..während des Massenstreiks im April 1917 haben sie in heimtückischer Weise der Streikbewegung das Genick gebrochen, indem sie die Unklarheit der Masse ausnutzten und den Kampf auf falsche Bahnen lenkten.(...) von diesen Wölfen im Schafspelz droht der Bewegung eine viel schlimmere Gefahr als von der königlich-preußischen und anderweitigen Polizei.“. Im Mittelpunkt der Forderungen standen: Frieden, Zuziehung von Arbeitervertretern aller Länder zu den Friedensverhandlungen. (...) Die Versammlung der Arbeiterräte rief dazu auf: „Wir richten an die Proletarier Deutschlands wie der anderen kriegführenden Länder insgesamt die dringende Aufforderung, wie schon die Arbeitskollegen in Österreich-Ungarn erfolgreich uns vorangegangen sind, so nunmehr gleichfalls in Massenstreiks einzutreten, denn erst der gemeinsame internationale Klassenkampf schafft uns endgültig Frieden, Freiheit und Brot.“ Ein weiteres Flugblatt der Spartakisten betonte: „Wir müssen mit der Reaktion ‘russisch’ reden.“ Es rief dazu auf, gemeinsam Demonstrationen auf der Straße durchzuführen.
Nachdem sich ca. eine Million Arbeiter der Bewegung angeschlossen hatten, schlug die herrschende Klasse eine Taktik ein, welche sie später immer wieder gegen die Arbeiterklasse einsetzte. Sie schaffte es, drei Vertreter der SPD in den Aktionsausschuß (Streikleitung) zu schicken, die ihre ganze Kraft für den Abbruch der Streiks einsetzten. Sie waren die Saboteure von Innen. Ebert gab unumwunden zu: „Ich bin mit der bestimmten Absicht in die Streikleitung eingetreten, den Streik zum schnellen Abschluß zu bringen und eine Schädigung des Landes zu verhüten’ (...) ‘Es war ja schließlich die Pflicht der Arbeiter daheim, ihre Brüder und Väter an der Front zu stützen und ihnen das Beste an Waffen zu liefern, was es gibt. Die Arbeiter Frankreichs und Englands verlieren auch nicht eine Arbeitsstunde, um ihren Brüdern an der Front zu helfen. Der Sieg ist selbstverständlich der Wunsch jedes Deutschen.“ (Ebert, 31.Januar1918) Die Arbeiter sollten ihre Illusionen über die SPD und ihre Führer noch teuer zu zahlen haben.
Nachdem die SPD seit 1914 die Arbeiter für den Krieg mobilisiert hatte, trat sie jetzt mit aller Kraft den Streiks entgegen. Das zeigt die Klarheit und den Überlebensinstinkt der herrschenden Klasse, wie bewußt sie sich war über die Gefährlichkeit der Arbeiterklasse. Die Spartakisten hatten die tödliche Gefahr, die von der Sozialdemokratie ausging, erkannt und warnten die Arbeiter vor ihnen. Aber selbst die heimtückischen Methoden der Sozialdemokratie reichten nicht.
Denn gleichzeitig mußte die herrschende Klasse direkt mit dem Militär brutal gegen die Streikenden vorgehen. Ein Dutzend Arbeiter wurden erschossen, mehrere Zehntausend Streikende zwangsrekrutiert, obgleich diese Zwangsrekrutierten in den darauffolgenden Monaten in der Armee agitierten und zu deren Destabilisierung beitrugen.
Die Streiks wurden dann am 3. Februar abgebrochen.
Wir sehen hier, daß die Arbeiterklasse in Deutschland genau die gleichen Kampfmittel einsetzte, Massenstreik, gewählte und abwählbare Delegierte, massives Zusammenkommen auf der Straße... Dies sind seitdem die ‘klassischen’ Waffen der Arbeiterklasse.
Die Spartakisten gaben auch dieser Bewegung die richtige Ausrichtung, hatten aber selbst noch keinen ausschlaggebenden Einfluß. „Unter den Delegierten waren eine Menge unserer Leute gewesen, nur waren sie zersplittert, hatten keinen Aktionsplan und verschwanden in der Menge.“ (Barthel, S. 591) Mit entscheidend war aber die Sabotagearbeit der Sozialdemokratie.
Diese Schwäche der Revolutionäre und die Sabotagearbeit der Sozialdemokratie waren die entscheidenden Faktoren für die Beendigung der Bewegung zum damaligen Zeitpunkt.
„Wenn wir nicht in das Streikkomitee hineingegangen wären (...) , dann wäre der Krieg und alles andere meiner festen Überzeugung nach schon im Januar erledigt gewesen (...) Es bestand die Gefahr des totalen Zusammenbruchs und des Eintritts russischer Zustände. Durch unser Wirken wurde der Streik bald beendet und alles in geregelte Bahnen gelenkt.“ (Scheidemann)
Wir können sehen, daß die Bewegung in Deutschland auf einen viel stärkeren Widerstand stoßen sollte als in Rußland. Die Kapitalistenklasse hatte schon die Lehren gezogen, um gegenüber der Arbeiterklasse in Deutschland wie anderswo mit allen Mitteln vorzugehen.
Hier schon bewies die SPD, wie sie Fußangeln aufstellen konnte und der Bewegung die Spitze brach.
In den später folgenden Kämpfen sollte sich dies als noch verheerender erweisen.
Die Januar-Niederlage der Arbeiterklasse gab dem Kapital wiederum die Möglichkeit, seinen Krieg noch einige Monate fortzusetzen.
Im Laufe des Jahres 1918 sollte das Militär weitere Offensiven einleiten. Sie kosteten allein in Deutschland 1918 550.000 Tote und nahezu eine Million Verwundete.
Nach der Niederlage der Arbeiter im Januar 1918 war die Kampfbereitschaft trotzdem aber ungebrochen geblieben, und gerade unter dem Druck der sich weiter verschlechternden militärischen Lage desertierten immer mehr Soldaten, die Front fing an zu bröckeln. Ab dem Sommer 1918 nahm die Streikbereitschaft in den Betrieben wieder zu. Das Militär mußte offen eingestehen, daß die Fronten sich nicht mehr halten lassen könnten. Es drängte auf einen Waffenstillstand.
Und die herrschende Klasse hatte eine entscheidende Lehre aus Rußland gezogen.
Während noch im April 1917 die deutsche Bourgeoisie Lenin im verplombten Zug durch Deutschland rollen ließ, in der Hoffnung, die russischen Revolutionäre würden dort für Chaos sorgen und damit die deutschen imperialistischen Ziele erleichtern (daß dann später im Oktober 1917 eine proletarische Revolution entstand, hatten die deutschen Militärs nicht erwartet), mußte jetzt eine revolutionäre Entwicklung wie in Rußland vermieden werden.
Die SPD wurde in eine neu gebildete Regierung mit einbezogen, sie sollte als Puffer dienen.
„Wenn wir jetzt unter allen Umständen unsere Mitarbeit verweigern, dann wäre mit der sehr ernsten Gefahr zu rechnen, (...) daß dann die Bewegung über uns hinweggeht und ein bolschewistisches Regime vorübergehend auch bei uns Platz greifen würde.“ (G. Noske, 23.09.1918)
In den Fabriken brodelte es, immer wieder brachen an verschiedenen Orten Streiks aus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Massenstreikbewegung das ganze Land erfassen würde. Die aufsteigende Kampfbereitschaft lieferte dann den Nährboden für die Reaktion der Soldaten selber. Denn als das Militär im Oktober eine neuen Flottenoffensive befahl, kam es zu Meutereien. Die Matrosen von Kiel und anderen Ostseehäfen weigerten sich auszulaufen. Am 3. November erhob sich eine Welle von Protesten und Streiks gegen den Krieg. Überall wurden Arbeiter- und Soldatenräte gegründet. Innerhalb einer Woche war ganz Deutschland von einer Welle von Arbeiter- und Soldatenräte ‘überrollt’.
Während in Rußland die Fortsetzung des Krieges unter der Kerenski-Regierung nach Februar 1917 den entscheidenden Anstoß für den Arbeiterkampf geliefert hatte, so daß die Arbeiterklasse im Oktober 1917 selbst die Macht ergriffen hatte und den Krieg beenden wollte, setzte die herrschende Klasse in Deutschland, die besser gerüstet war als die russische, alles daran, ihre Macht zu verteidigen.
Am 11. November, d.h. eine Woche nach der rapiden Ausdehnung der Arbeiterkämpfe, dem Entstehen von Arbeiter- und Soldatenräten, wurde der Waffenstillstand vereinbart. In Deutschland beging die Bourgeoisie also nicht den Fehler, den Krieg ‘koste was es wolle’ gegen die Welle von Arbeiterkämpfen fortzusetzen. Mit der Beendigung des Krieges versuchte sie der Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, damit es nicht zu einer Ausdehnung der Revolution kam. Darüber hinaus schickte sie ihr stärkstes Geschütz ins Feld: die SPD - mit den Gewerkschaften an ihrer Seite.
„Der Regierungssozialismus stellt sich mit seinem jetzigen Eintritt in die Regierung als Retter des Kapitalismus der kommenden proletarischen Revolution in den Weg. Die proletarische Revolution wird über seine Leiche hinwegschreiten.“ (Spartakus-Brief Oktober 1918)
Ende Dezember schrieb Rosa Luxemburg: „In allen früheren Revolutionen traten die Kämpfer mit offenem Visier in die Schranken: Klasse gegen Klasse, Programm gegen Programm, Schild gegen Schild... In der heutigen Revolution treten die Schutztruppen der alten Ordnung nicht unter eigenen Schildern und Wappen der herrschenden Klassen, sondern unter der Fahne einer ‘sozialdemokratischen Partei’ in die Schranken. Es ist eine sozialistische Partei, es ist das ureigenste Geschöpf der Arbeiterbewegung und des Klassenkampfes, das sich in das wuchtigste Instrument der bürgerlichen Gegenrevolution verwandelt hat.“ (Rosa Luxemburg, Ein Pyrrhussieg, 21.Dezember1918)
Die Beendigung des Krieges nur möglich durch das Wirken der Revolutionäre
Die Arbeiterklasse in Deutschland hätte nie diese Kraft entfalten können ohne die systematische Hilfe und Intervention der Revolutionäre in ihren Reihen. Der Übergang vom Rausch des Hurrapatriotismus in großen Teilen der Arbeiterklasse 1914 bis hin zur Erhebung im November 1918 und zur erfolgreichen Beendigung des Krieges war nur dank der Arbeit der Revolutionäre möglich. Nicht der Pazifismus, sondern die revolutionäre Erhebung der Arbeiterklasse hatte den Krieg zu Ende gebracht.
Wenn die Revolutionäre nicht von Anfang an den Verrat der Sozialpatrioten mutig zur Sprache gebracht, sie nicht laut und deutlich in den Versammlungen, Fabriken, auf den Straßen ihre Stimme erhoben, sie nicht entschlossen die Saboteure des Klassenkampfes bloßgestellt hätten, wäre der Widerstand der Arbeiterklasse ohne Bezugspunkt geblieben.
Wenn wir zurückblicken und Bilanz ziehen hinsichtlich der Arbeit der Revolutionäre, können wir viele Lehren für heute ziehen.
Zunächst ließen sich Handvoll Revolutionäre im August 1914 nicht einschüchtern oder durch ihre geringe Zahl deprimieren. Sie behielten das Vertrauen in ihre Klasse und traten resolut weiter für die Prinzipien der Arbeiterklasse ein und intervenierten entschlossen ungeachtet der großen Schwierigkeiten, um das Kräfteverhältnis zum Kippen zu bringen. In den Ortsvereinen, an der Basis selber wie auch in anderen Ländern gruppierten die Revolutionäre schnell ihre Kräfte, ohne aufgrund der momentanen Niederlage der Arbeiterklasse ihre eigene Rolle zu verwerfen.
Indem sie der Arbeiterklasse eine politische Orientierung anboten, indem sie eine richtige politische Analyse des Imperialismus, der Klassenverhältnisse lieferten, indem sie die richtige Perspektive aufzeigten, dienten sie als politischer Kompaß.
Die konsequente Verteidigung der Organisation, um die SPD nicht kampflos den Verrätern zu überlassen, wie auch der Aufbau einer neuen Organisation, auf den wir in der nächsten Nummer eingehen wollen, waren ebenso zentraler Bestandteil dieses Kampfes.
Die Revolutionäre sind von Anfang für den Internationalismus und den internationalen Zusammenschluß der Revolutionäre zunächst (Zimmerwald & Kienthal) und der Klasse insgesamt (Zusammenschluß der Kämpfe) eingetreten.
Indem sie erkannten, daß der imperialistische Krieg nicht durch pazifistische Mittel, sondern nur durch Klassenkrieg, Bürgerkieg beendet werden könnten, daß also der Sturz der Kapitalsherrschaft notwendig war, um die Welt von der Barbarei zu befreien, traten sie konkret für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft ein.
Diese politische Arbeit wäre nicht möglich gewesen, ohne die theoretische und programmatische Klärung vor dem Krieg. Ihr Kampf war eine Fortsetzung der Positionen der Linken innerhalb der II. Internationale gewesen, an deren Spitze Rosa Luxemburg und Lenin standen.
Wir können sehen, auch wenn die Zahl der Revolutionäre und ihr Einfluß am Anfang des Krieges noch gering waren (für die führenden Köpfe reichte anfangs noch der Platz Rosa Luxemburgs Wohnung, und die Delegierten von Zimmerwald paßten in drei Taxen), sollte ihre Arbeit ausschlaggebend werden. Auch wenn ihre Presse am Anfang noch in geringer Auflage zirkulierte, waren ihre inhaltlichen Aussagen und Orientierungen für die Arbeiterklasse unerläßlich und lieferten die Keime für die später aufgehende Saat.
All das muß uns die Augen für die Wichtigkeit der Arbeit der Revolutionäre öffnen. 1914 brauchte die Arbeiterklasse 4 Jahre, um sich aus ihrer Niederlage zu erholen und gegen den Krieg zu erheben. Heute zerfleischt sich die Arbeiterklasse in den Industriezentren nicht in einem Krieg, sondern muß sich gegen die Folterkammer der Krise zur Wehr setzen. Es dauert länger, bis die Arbeiterklasse ihre Kraft sammelt, um das System zu überwinden - aber genauso wie sie damals den Krieg nie hätte zu Ende bringen können, wenn nicht die Revolutionäre in ihrer Mitte entschlossen und klar gekämpft hätten, hängt sie heute noch mehr von der Intervention der Revolutionäre ab.
Wir werden dies in weiteren Artikeln verdeutlichen. Dv.
(1) „Aber nein, das ist eine Lüge! Das haben sie gefälscht, die Herren Imperialisten! Der ‘echte’ Vorwärts ist wahrscheinlich beschlagnahmt!“ so Sinowjew über Lenin)
(2) Pannekoek schrieb „Der große europäische Krieg und Sozialismus“, F. Mehring: „Vom Wesen des Krieges“, Lenin „Der Zusammenbruch der II. Internationale“, „ Sozialismus und Krieg“, „Die Aufgaben der revolutionären Sozialdemokratie im europäischen Krieg“, C. Zetkin und K. Duncker „Thesen zum Krieg“, Rosa Luxemburg „Junius-Broschüre/Die Krise der Sozialdemokratie“, Liebknecht „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“
(3) bis 1917 war der Mitgliederstand der SPD von einer Million 1914: auf ca. 200.000 geschrumpft.
Deutsche Revolution, Teil 2
Der Beginn der Revolution
Im letzten Artikel haben wir aufgezeigt, daß der Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Krieg immer stärker wurde. Anfang 1917 - nach zweieinhalb Jahren Krieg, hatte die Arbeiterklasse international ein Kräfteverhältnis entwickeln können, wodurch die herrschende Klasse immer mehr unter Druck geriet. Im Februar 1917 erhoben sich die Arbeiter in Rußland gegen den Krieg und stürzten den Zar. Um aber den Krieg zu beenden, hatten sie im Oktober 1917 die bürgerliche Regierung absetzen und die Macht ergreifen müssen. Rußland hatte gezeigt: die Herbeiführung des Friedens war nicht möglich ohne den Sturz der herrschenden Klasse. Die siegreiche Machtübernahme sollte eine gewaltige Ausstrahlung auf die Arbeiter in den anderen Ländern haben. Zum ersten Mal in der Geschichte hatte es die Arbeiterklasse in einem Land geschafft, die Macht an sich zu reißen. Dies sollte ein Fanal für die Arbeiter in den anderen Ländern, vor allem in Österreich, Ungarn, ganz Mitteleuropa, hauptsächlich aber in Deutschland sein.
Auch in Deutschland hatten die Arbeiter nach anfänglichem Hurrapatriotismus zunehmend gegen den Krieg angekämpft. Angespornt durch die revolutionäre Entwicklung in Rußland war nach mehreren vorausgegangenen Kämpfen im April 1917 ein Massenstreik entbrannt. Im Januar 1918 stürzten sich ca. 1 Million Arbeiter in eine neue Streikbewegung, gründeten einen Arbeiterrat in Berlin. Unter dem Einfluß der Ereignisse in Rußland zerbröckelte im Sommer 1918 die Kampfbereitschaft an den Fronten immer mehr. In den Fabriken brodelte es, auf den Straßen sammelten sich immer mehr Arbeiter, um den Widerstand gegen den Krieg zu intensivieren. Die herrschende Klasse in Deutschland spürte die Ausstrahlung der russischen Revolution und wollte - um ihre eigene Haut zu retten - unbedingt ein Bollwerk gegen die Ausdehnung der Revolution errichten.
Aus der Entwicklung in Rußland „schlau“ geworden, zwang das Militär den Kaiser Ende September 1918 zum Abdanken und setzte eine neue Regierung ein. Aber die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse blieb weiter im Auftrieb. Es gärte weiterhin unaufhörlich.
Am 28. Oktober begann in Österreich, in den tschechischen und slowakischen Gebieten sowie in Budapest eine Welle von Streiks, die jeweils zum Sturz der Monarchie führten. Überall entstanden wie in Rußland Arbeiter- und Soldatenräte.
Die herrschende Klasse aber auch die Revolutionäre bereiteten sich jetzt auch in Deutschland auf eine entscheidende Phase der Auseinandersetzungen vor...
Die Revolutionäre bereiten den Aufstand vor
Auch wenn nahezu die gesamte Führungsspitze der Spartakisten (Liebknecht, Luxemburg, Jogiches) im Gefängnis saß, auch wenn durch einen Polizeischlag die illegale Druckerei der Partei für eine kurze Zeit lahmgelegt wurde, bereiteten die Revolutionäre um die Gruppe der Spartakisten weiter den Aufstand vor.
Anfang Oktober hielten die Spartakisten mit den Linksradikalen aus Bremen und anderen Städten eine Konferenz ab.
Auf dieser Konferenz wurde der Beginn der offenen revolutionären Auseinandersetzungen signalisiert und folgender Aufruf beschlossen, der in Deutschland wie an der Front in zahlreichen Exemplaren verbreitet wurde. Seine Hauptideen waren:
Die Soldaten haben begonnen, ihr Joch abzuwerfen, die Armee zerbricht, aber diese erste Regung der Revolution findet schon die Konterrevolution auf ihrem Posten. Indem sie scheinbare „demokratische“ Rechte einräumt, versucht die Konterrevolution, da die Gewaltmittel versagen, die Bewegung einzudämmen. Parlamentarisierung und ein neues Wahlrecht sollen das Proletariat dazu bewegen, weiter seine Lage zu erdulden.
„In der Diskussion über die internationale Lage wurde der Tatsache Ausdruck gegeben, daß die Bewegung in Deutschland eine wesentliche moralische Unterstützung durch die russische Revolution gefunden hat. Es wurde beschlossen, den Genossen in Rußland den Ausdruck des Dankes, der Solidarität und brüderlicher Sympathie zu übermitteln mit dem Versprechen, diese Solidarität nicht durch Worte, sondern durch Aktionen, entsprechend dem russischen Vorbild, zu bestätigen (…). Die spontanen Meuterungen unter den Soldaten gilt es mit allen Mitteln zu unterstützen, zum bewaffneten Aufstand überzuleiten, den bewaffneten Aufstand zum Kampf um die ganze Macht für die Arbeiter und Soldaten auszuweiten und durch Massenstreiks der Arbeiter für uns siegreich zu machen. Das ist die Arbeit der allernächsten Tage und Wochen.“
Vom Anfang dieser revolutionären Auseinandersetzungen an können wir feststellen, daß die Spartakisten sofort die politischen Manöver der herrschenden Klasse durchschauten, den trügerischen Charakter der bürgerlichen Demokratie bloßlegten und die erforderlichen Schritte zum Vorantreiben der Bewegung ohne Verzögerung erkannt hatten: den Aufstand vorbereiten und die Arbeiterklasse in Rußland nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten unterstützen. Sie hatten verstanden: die Solidarität der Arbeiterklasse in dieser neuen Situation konnte sich nicht auf Worte beschränken, sondern die Arbeiter müssen selber in den Kampf treten. Diese Lehre zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch die Erfahrung der Arbeiterkämpfe!
Aber die Bourgeoisie stand Gewehr bei Fuß. Sie hatte den Kaiser abgesetzt und ihn durch einen neuen Prinzen, Max von Baden, am 3. Oktober ersetzt. Und die SPD war schon im Oktober 1918 an der Regierung beteiligt.
Die SPD, die im vorigen Jahrhundert von der Arbeiterklasse selbst gegründet worden war, deren Führung 1914 verraten hatte, die die Internationalisten um die Spartakisten und die Linksradikalen sowie auch die Zentristen herausgeschmissen hatte, und seitdem kein proletarisches Leben mehr in sich barg, die jetzt schon seit Kriegsbeginn die imperialistische Politik unterstützte, sollte nun auch im revolutionären Ansturm des Proletariats gegen das kapitalistische Gebilde der revolutionären Erhebung der Arbeiterklasse entgegentreten.
Zum ersten Mal konnte das Kapital eine frühere, mittlerweile in das Lager des Kapitals übergewechselte „linke“ Partei an die Regierung holen - um in dieser revolutionären Situation den kapitalistischen Staat gegen die Arbeiterklasse zu schützen. Während sich viele Arbeiter dadurch Sand in die Augen streuen lassen sollten, erkannten die Revolutionäre sofort die neue Rolle der Sozialdemokratie. Rosa Luxemburg schrieb: „Der Regierungssozialismus stellt sich mit seinem jetzigen Eintritt in die Regierung als Retter des Kapitalismus der kommenden proletarischen Revolution in den Weg“ (Oktober 1918).
Seit Januar 1918, als der erste Arbeiterrat in den Massenstreiks in Berlin entstanden war, trafen sich regelmäßig geheim revolutionäre Obleute und führende Spartakisten. Die revolutionären Obleute standen der USPD sehr nahe. Auf dem Hintergrund der weiter ansteigenden Kampfbereitschaft, der zusammenbröckelnden Front, dem Drang der Arbeiter nach Taten fingen sie Ende Oktober nach der oben erwähnten Konferenz der Revolutionäre an, in einem Aktionsausschuß konkrete Pläne für einen Aufstand zu erörtern.
Am 23. Oktober war Liebknecht aus dem Gefängnis entlassen worden. Mehr als 20.000 Arbeiter begrüßten ihn bei seiner Ankunft in Berlin.
Nachdem die Regierung auf Drängen der SPD die Angehörigen der russischen Botschaft aus Berlin ausgewiesen hatte und von den Revolutionären anläßlich der russischen Revolution Versammlungen organisiert werden sollten, diskutierte der Aktionsausschuß über die Lage. Liebknecht drängte auf einen Generalstreik, auf Massendemonstrationen, die sich anschließend bewaffnen sollten. In einer Sitzung der revolutionären Obleute am 2. November schlug Liebknecht den 5 November vor, die Parolen sollten sein: „Sofortiger Frieden und Aufhebung des Belagerungszustandes, Deutschland sozialistische Republik, Bildung einer Regierung der Arbeiter- und Soldatenräte.“ (Drabkin S. 104)
Die revolutionären Obleute, die meinten, die Lage sei noch nicht reif, plädierten für weiteres Abwarten. Unterdessen warteten die Mitglieder der USPD in den Städten auf weitere Instruktionen, denn man wollte nicht vor Berlin losschlagen. Die Nachricht über einen bevorstehenden Aufstand wurde jedoch bis in andere Städte des Reichs verbreitet. Dies sollte die Ereignisse in Kiel fördern.
Als am 3. November in Kiel die Flotte zu weiteren Gefechten auslaufen sollte, erhoben sich die Matrosen und meuterten. Sofort wurden Soldatenräte gegründet, denen im gleichen Atemzug die Gründung von Arbeiterräten folgte. Die Führung des Militärs erwog, Kiel zu bombardieren. Aber nachdem sie erkannt hatte, daß die Meuterei sich nicht mehr gewaltsam unterdrücken ließ, schickten sie ihr trojanisches Pferd - den SPD-Führer Noske. Er schaffte es nach seiner Ankunft in Kiel, sich in den Arbeiterrat reinzuschmuggeln.
Aber gleichzeitig hatten die Kieler Arbeiter- und Soldatenräte ein Signal gesetzt. Sie bildeten massive Delegationen von Arbeitern und Soldaten, die sich in andere Städte begaben. Riesige Delegationen wurden nach Hamburg, Bremen, Flensburg, ins Ruhrgebiet, gar bis nach Köln geschickt, die dort vor Versammlungen der Arbeiter sprachen und zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten aufriefen. So zogen Tausende von Arbeiter und Matrosen von den norddeutschen Städten auch nach Berlin und in andere Städte in die Provinz. Dort wurden viele von ihnen zunächst von regierungstreuen Soldaten verhaftet (über 1300 alleine am 6.November in Berlin), in Kasernen gesteckt - von wo sie allerdings ihre Agitation fortsetzten.
Innerhalb von einer Woche waren in den Großstädten Deutschlands überall Arbeiter- und Soldaten-Räte gegründet worden.
Die Arbeiter hatten die Ausdehnung ihrer Bewegung selber in die Hände genommen. Nicht Gewerkschaften oder parlamentarischen Vertretern hatten sie ihr Schicksal überlassen, sondern sie hatten ihren Kampf selbst in die Hand genommen. Nicht mehr nach Branchen, isoliert voneinander, kämpften die Arbeiter, mit jeweils branchenspezifischen Forderungen, sondern die Arbeiter einer ganzen Stadt schlossen sich zusammen und stellten gemeinsame Forderungen auf. Sie handelten selbst und suchten den Anschluß an die Arbeiter der anderen Städte! (1)
Weniger als 2 Jahre später als ihre Klassenbrüder in Rußland stellten die Arbeiter in Deutschland ihre Fähigkeit unter Beweis, ihren Kampf selbst in die Hand zu nehmen.
Bis zum 8. November wurden in nahezu allen Städten - mit Ausnahme Berlins - Arbeiter- und Soldatenräte (A/S-Räte) errichtet.
Am 8. November meldeten SPD-Vertrauensleute:
„Die revolutionäre Bewegung sei nicht mehr aufzuhalten, wenn die SPD sich der Bewegung entgegenstellen wollte, würde sie einfach überrannt.“
Nachdem die ersten Nachrichten aus Kiel am 4. November in Berlin eintrafen, schlug Liebknecht im Vollzugsausschuß den Aufstand für den 8. November vor. Es war klar, während die Bewegung sich mittlerweile spontan im ganzen Land ausgedehnt hatte, erforderte der Aufstand in Berlin, dem Sitz der Regierung, ein zielgerichtetes, planmäßiges, die ganze Kraft bündelndes Vorgehen der Arbeiterklasse. Der Vollzugsrat zögerte weiter. Erst nachdem zwei Mitglieder des Vollzugsrates, die im Besitz der Aufstandspläne waren, am 8.November verhaftet worden waren, entschloß man sich, am nächsten Tag loszuschlagen. Die Spartakisten erließen am 8. November 1918 folgenden Aufruf:
„Jetzt, da die Stunde des Handelns gekommen ist, darf es kein Zurück mehr geben. Die gleichen „Sozialisten“, die 4 Jahre lang der Regierung Zuhälterdienste geleistet haben, ... setzen alles daran, um Euren Kampf zu schwächen, um die Bewegung abzuwiegeln.
Arbeiter und Soldaten! Was Euren Genossen und Kameraden in Kiel, Hamburg, Bremen, Lübeck, Rostock, Flensburg, Hannover, Magdeburg, Braunschweig, München und Stuttgart gelungen ist: Das muß auch Euch gelingen. Denn von dem was Ihr erringt, von der Zähigkeit und dem Erfolge Eures Kampfes, hängt auch der Sieg Eurer dortigen Brüder ab, hängt der Erfolg des Proletariats der ganzen Welt ab. Soldaten! Handelt wie Eure Kameraden von der Flotte, vereinigt Euch mit Euren Brüdern im Arbeitskittel. Laßt Euch nicht gegen Eure Brüder gebrauchen, folgt nicht den Befehlen der Offiziere, schießt nicht auf die Freiheitskämpfer. Arbeiter und Soldaten! Die nächsten Ziele Eures Kampfes müssen sein:
1. Befreiung aller zivilen und militärischen Gefangenen.
2. Aufhebung aller Einzelstaaten und Beseitigung aller Dynastien
3. Wahl von Arbeiter- und Soldatenräten, Wahl von Delegierten hierzu in allen Fabriken und Truppenteilen.
4. Sofortige Aufnahme der Beziehungen zu den übrigen deutschen Arbeiter- und Soldatenräten.
5. Übernahme der Regierung durch die Beauftragten der Arbeiter- und Soldatenräte.
6. Sofortige Verbindung mit dem internationalen Proletariat, insbesondere mit der russischen Arbeiterrepublik.
Hoch die sozialistische Republik!
Es lebe die Internationale!
Die Gruppe Internationale (Spartakusgruppe ) (8. November).
DIE EREIGNISSE DES 9. NOVEMBER
In den Morgenstunden des 9. November begann in Berlin der revolutionäre Aufstand.
„Arbeiter, Soldaten, Genossen!
Die Entscheidungsstunde ist da! Es gilt, der historischen Aufgabe gerecht zu werden...
Wir fordern nicht Abdankung einer Person, sondern Republik!
Die sozialistische Republik mit all ihren Konsequenzen. Auf zum Kampf für Friede, Freiheit und Brot.
Heraus aus den Betrieben! Heraus aus den Kasernen! Reicht Euch die Hände! Es lebe die sozialistische Republik.“
(Flugblatt der Spartakisten)
Hunderttausende Arbeiter folgten den Aufrufen der Spartakusgrupppe und des Vollzugsausschusses, legten die Arbeit nieder und strömten in riesigen Demonstrationszügen in das Zentrum der Stadt. An der Spitze marschierten bewaffnet Arbeitergruppen. Die große Mehrheit der Truppen schloß sich den demonstrierenden Arbeitern an, verbrüderten sich mit ihnen. Am Mittag war Berlin in den Händen der revolutionären Arbeiter und Soldaten. Wichtige Punkte wurden von den Arbeitern besetzt. Eine Kolonne demonstrierender Arbeiter und Soldaten zog vor das Schloß. Dort sprach Liebknecht:
„Die Herrschaft des Kapitalismus, der Europa in ein Leichenfeld verwandelt hat, ist gebrochen.... Wenn auch das Alte niedergerissen ist, dürfen wir doch nicht glauben, daß unsere Aufgabe getan sei. Wir müssen alle Kräfte anspannen, um die Regierung der Arbeiter und Soldaten aufzubauen... Wir reichen (den Arbeitern der anderen Länder) die Hände und rufen sie zur Vollendung der Weltrevolution auf...“
„Ich proklamiere die freie sozialistische Republik Deutschland.“ (Liebknecht am 9. November).
Liebknecht warnte die Arbeiter davor, bei dem Erreichten stehenzubleiben, er rief sie zur Übernahme der Macht und zum internationalen Zusammenschluß der Arbeiterklasse auf.
Am 9. November hatte das alte Regime das Schlachtfeld ohne Anwendung von Gewalt geräumt. Allerdings geschah das nicht, weil es vor Blutvergießen zurückscheute - es hatte schließlich Millionen Menschenleben auf dem Gewissen, sondern weil ihm die Revolution die Soldaten genommen hatte, die auf das Volk schießen konnten. Ähnlich wie in Rußland im Februar 1917, als sich die Soldaten auf die Seite der kämpfenden Arbeiter schlugen, sollte auch in Berlin die Reaktion der Soldaten im Kräfteverhältnis ein wichtiger Faktor sein. Aber erst indem sich die Arbeiter selbst organisierten, aus den Fabriken rauszogen und „die Straße besetzten“, sich massiv zusammenschloßen, konnte der „Knoten“ der Soldaten gelöst werden. Sie ließen sich von den Arbeitern überzeugen, anstecken, um sich dann mit ihnen zu verbrüdern. Das zeigt die führende Rolle der Arbeiterklasse auf!
Am Nachmittag des 9. Novembers kamen Tausende Delegierte im Zirkus Busch zusammen. R. Müller, ein führendes Mitglied der revolutionären Obleute rief dazu auf, daß „am 10. November in allen Betrieben und Truppenteilen Berlins die Wahl der Arbeiter- und Soldatenräte durchgeführt werden sollte. Die gewählten Räte sollten sich um 17.00 h im Zirkus Busch versammeln, um die provisorische Regierung zu wählen. Je 1000 Arbeiter und Arbeiterinnen hatten ein Mitglied des Arbeiterrates zu wählen, ebenso alle Soldaten je Bataillon ein Mitglied des Soldatenrates. Kleinere Betriebe (unter 500 Beschäftigte) wählten je einen Delegierten. Die Versammlung bestand auf Berufung der Machtorgane durch eine Räteversammlung.“ (Antrag R. Müller)
Die Arbeiterklasse hatte die ersten Schritte unternommen, um eine Doppelmacht aufzubauen. Würden sie soweit kommen können wie ihre russischen Klassenbrüder? Die Spartakisten bestanden darauf, daß der Druck und die Initiative aus den örtlichen Räten verstärkt werden müsse. Die lebendige Demokratie der Arbeiterklasse, aktive Selbstbeteiligung der Arbeiter, Vollversammlung in den Fabriken, Ernennung von Delegierten, die vor diesen Vollversammlungen verantwortlich und von ihnen abwählbar waren ! Das sollte die Praxis der Arbeiterklasse sein.
Revolutionäre Arbeiter und Soldaten besetzten am Abend des 9. November die Druckerei des „Berliner-Lokal-Anzeigers“ und druckten die erste Nummer der „Rote Fahne“. Diese erste Nummer warnte: „Es gibt keine Gemeinschaft mit denen, die euch vier Jahre verraten haben. Nieder mit dem Kapitalismus und seinen Agenten! Es lebe die Revolution. Es lebe die Internationale“.
Die Arbeiter griffen nach der Macht - die Kräfte der Bourgeoisie standen Gewehr bei Fuß
Der 1. Berliner Arbeiter- und Soldatenrat (genannt Vollzugsausschuß) verstand sich schnell als Organ der Macht. In seiner ersten Bekanntmachung vom 11. November hatte er sich als oberste Kontrollinstanz aller Kommunal-, Landes-, Reichs- und Militärbehörden konstituiert.
Aber die herrschende Klasse überläßt natürlich der Arbeiterklasse nicht freiwillig und ohne erbittertsten Widerstand das Feld.
Denn während Liebknecht vor dem Schloß die sozialistische Republik verkündet hatte, hatte gleichzeitig Prinz Max von Baden abgedankt; er übertrug die Regierungsgeschäfte an Ebert, den er zum Reichskanzler ernannte. Die SPD proklamierte „die freie deutsche Republik“.
Während die SPD offiziell die Regierungsgeschäfte übernahm und sofort zu „Ruhe und Ordnung“ aufrief, „freie Wahlen“ ankündigte, hatte sie gespürt, daß sie am besten der Bewegung entgegentreten könnte, indem sie sie von innen her untergrub.
Sie proklamierte einen eigenen Arbeiter- und Soldatenrat, der nur aus SPD-Funktionären bestand und von niemanden eine Legitimation besaß.
Nachdem dieser sich als A/S-Rat ausgab, behauptete die SPD dann, daß die Bewegung, die schon längst in Gang gekommen war, von der SPD und der USPD gemeinschaftlich geleitet wurde.
Diese Taktik, die Bewegung einzukreisen und von Innen her zu zerstören, ist seitdem immer wieder von den Linken mit ihren selbsternannten Räten, selbsternannten Streikkomitees, Koordinationen usw. angewandt worden. Die Sozialdemokratie und ihre späteren Nachfolger, die linkskapitalistischen Gruppierungen der sogenannten extremen Linken sind mittlerweile darauf spezialisiert, sich sofort an die Spitze einer Bewegung zu stellen, so zu tun, als seien sie deren Vertreter.
Während sie so im Vollzugsrat selber den Wind aus den Segeln nehmen wollten, griffen sie die Arbeiterklasse jedoch auch von der Regierung aus an, an deren Spitze sie sich schnell stellten. Die SPD verkündete, sie werde eine gemeinsame Regierung mit der USPD bilden. Die USPD willigte in die Regierungsbildung mit der SPD ein, wogegen die Spartakisten sie ablehnten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Spartakisten noch Mitglieder der USPD. In den Augen der meisten Arbeiter war der Unterschied zwischen USPD und Spartakisten hier verwischt. Die Spartakisten hatten jedoch eine klare Haltung zur Regierungsbildung. Sie hatten die Falle gerochen! Man setzt sich nicht mit dem Klassenfeind in ein Boot. Das beste Mittel, um Illusionen der Arbeiter über eine linkskapitalistische Partei zu bekämpfen, ist nicht, wie seitdem immer wieder die Trotzkisten und andere linke Gruppierungen behaupten, sie erst an die Regierung zu bringen, um ihr dort den Schleier der Lügen abzuziehen. Um das Bewußtsein voranzubringen, ist die schärfste Abgrenzung erforderlich und nichts anderes.
Am Abend des 9. November ließen sich die SPD und die USPD-Führung als Volksbeauftragte, als vom Vollzugsrat getragene Regierung proklamieren.
Die SPD hatte ihre ganze Cleverness gezeigt. Sowohl von der Regierungsbank aus wie auch im Namen des Vollzugsrates konnte sie gegen die Arbeiter vorgehen. Ebert war Reichskanzler wie auch Volksbeauftragter (d.h. vom Vollzugsrat gewählt), konnte so den Anschein erwecken, auf Seite der Revolution zu stehen. Daß er das Vertrauen des Kapitals besaß, stand fest; aber mit soviel Cleverness das Vertrauen des Vollzugsrat erschlichen zu haben, zeigt, wie betrügerisch die linken Kräfte des Kapitals vorgehen können.
Schauen wir an, wie geschickt die SPD auf der Versammlung des Berliner A/S-Rates am 10. November vorging. Ca. 3000 Menschen waren anwesend, es gab keine Kontrolle der Mandate, die Soldatenvertreter waren in der Mehrheit. Ebert sprach als erster. Der „alte Bruderstreit“ sei beendet, SPD und USPD hätten eine gemeinsame Regierung gebildet, jetzt ginge es darum, „gemeinsam den Aufbau der Wirtschaft auf den Grundsätzen des Sozialismus vorzunehmen. Es lebe die Einigkeit der deutschen Arbeiterklasse und der deutschen Soldaten“. Im Namen der USPD sprach Haase von der „Einheit“. „Wir wollen die Errungenschaften der großen sozialistischen Revolution befestigen... Die Regierung wird eine sozialistische sein.
„Die bis vorgestern noch gegen die Revolution gearbeitet haben, sind nun nicht mehr dagegen.“ (E. Barth, 10. November 1918) „Es soll alles getan werden, damit sich die Konterrevolution nicht erhebe.“
Während die SPD schon alle Register zog, um die Arbeiter zu täuschen, trug die USPD das Ihre zur Deckung dieses Manövers bei. Die Spartakisten hatten die Gefahren erkannt: Liebknecht sprach auf dieser Versammlung:
„Ich muß Wasser in den Wein Eurer Begeisterung schütten. Die Gegenrevolution ist bereits auf dem Marsche, sie ist bereits in Aktion... Ich sage Euch: Feinde ringsum!
(er nennt die konterrevolutionären Absichten der Sozialdemokratie.) Ich weiß, wie unangenehm Ihnen diese Störung ist, aber wenn Sie mich erschießen, ich werde das aussprechen, was ich für notwendig halte“
Die Spartakisten warnten vor den Feinden und bestanden auf der Notwendigkeit des Sturzes des Systems. Nicht Auswechslung von Personen sei angesagt, sondern Überwindung des Systems selber.
Während die SPD und in deren Schlepptau die USPD so taten, als ob es mit der Auswechslung der Führer, mit dem Einsetzen einer neuen Regierung getan sei, nur um die alten Machtstrukturen, um das System intakt zu lassen, riefen die Revolutionäre zur Fortführung des Kampfes auf.
Auch hier lieferte die SPD eine Lehrstunde für die Vorgehensweise der Verteidiger des Kapitals. Diese Vorgehensweise haben sie immer wieder praktiziert, sie lenken die Wut auf Führerpersönlichkeiten, um das System unangetastet zu lassen. (2)
Die SPD trommelte auf die Arbeiter in ihrer Zeitung „Vorwärts“ ein. Am 10. November schrieb er unter dem Titel: „Einigkeit: Kein Bruderkampf“
„Der gestrige Tag (9. November) hat in der Arbeiterschaft das Gefühl für die Notwendigkeit innerer Einheit hoch emporlodern lassen. Aus fast allen Städten, aus ganzen Ländern, aus ganzen Bundesstaaten hören wir, daß alte Partei und Unabhängige sich am Tage der Revolution wieder zusammengefunden und zu der alten geschlossenen Partei geeint haben... Das Versöhnungswerk darf nicht an einigen Verbitterten scheitern, deren Charakter nicht stark genug ist, um alten Groll überwinden und vergessen zu können. Soll nun der Welt nach solchem herrlichen Triumph (über das alte Regime) das Schauspiel der Selbstzerfleischung der Arbeiterschaft in sinnlosem Bruderkampf geboten werden?“ (Vorwärts, 10.11.1918).
DIE ZWEI WAFFEN DES KAPITALS :POLITISCHE SABOTAGE …
Die SPD brachte ein ganzes Arsenal von Waffen gegen die Arbeiterklasse ins Feld. Neben dem Ruf nach „Einheit“ spritzte sie vor allem das Gift der bürgerlichen Demokratie. Die Einführung des „allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts aller erwachsenen Männer und Frauen wurde als die wichtigste politische Errungenschaft der Revolution und zugleich als das Mittel dargestellt, die kapitalistische Gesellschaftsordnung nach dem Willen des Volkes in planmäßiger Arbeit zur sozialistischen umzuwandeln“. Mit der Ausrufung der Republik, dadurch, daß SPD-Minister an der Macht seien, sei das Ziel, der Republik erreicht, und mit der Abdankung des Kaisers und der Ernennung Eberts zum Reichskanzler sei „der freie Volksstaat“ da. Dabei war in Deutschland nur ein Anachronismus (an der Staatsspitze hatte noch ein Kaiser gestanden, obwohl die politische Herrschaft längst in den Händen der bürgerlichen Klasse lag) abgeschafft worden. An der Staatsspitze stand jetzt kein Monarch mehr, sondern ein „Bürgerlicher“.
Der Ruf nach „demokratischen Wahlen“ war direkt gegen die Arbeiterräte gerichtet. Die SPD bombardierte die Arbeiter mit einer verlogenen Propaganda: „Wer Brot will, muß den Frieden wollen. Wer den Frieden will, muß die Konstituante wollen, die freigewählte Vertretung des ganzen deutschen Volkes. Wer die Konstituante verhindert oder hinauszögert, bringt sie um Frieden, Freiheit und Brot, raubt ihnen die unmittelbaren Früchte des Revolutionssieges, ist ein Konterrevolutionär.
Die Sozialisierung wird und muß kommen... durch den Willen des arbeitenden Volkes, das grundsätzlich die Wirtschaft beseitigen will, die vom Streben des einzelnen nach Profit bewegt wird. Aber sie wird tausendmal leichter durchzusetzen sein, wenn die Konsitutante sie beschließt, als wenn die Diktatur irgendeines Revolutionsausschusses sie verordnet...
Der Schrei nach der Konstituante ist der Schrei nach dem aufbauenden, schaffenden Sozialismus, nach jenem Sozialismus, der den Volkswohlstand mehrt, Volksglück und Volksfreiheit erhöht und für den allein sich zu kämpfen lohnt.
Die deutsche Einheit erfordert die Nationalversammlung. Nur unter ihrem Schutz kann sich die neue deutsche Kultur entfalten, die stets unser Ziel und der Kern unseres nationalen Wollens gewesen ist.
Die Errungenschaften der Revolution sind im Willen des ganzen Volkes so fest verankert, daß nur Angsthasen vor der Konterrevolution Alpdrücken bekommen könnten.“ (Flugblatt der SPD)
Wenn wir hier so ausführlich die SPD zitieren, dann damit man ein wirkliches Bild von der Spitzfindigkeit und Verschlagenheit der Linken bekommt.
Wir haben hier ein seitdem klassisches Merkmal des Klassenkampfes in den hochindustrialisierten Ländern. Wenn die Arbeiterklasse ihren Zusammenschluß anstrebt, sind es immer wieder die Kräfte der Linken gewesen, die mit cleverster Demagogie auftreten, vorgeben, im Namen der Arbeiter zu handeln; die die Kämpfe von innen her zu sabotieren versuchen und die Bewegung daran hindern, einen entscheidenden Schritt voranzugehen. Es stand hier der revolutionären Arbeiterklasse in Deutschland ein ungleich stärkerer Gegner gegenüber als den Arbeitern in Rußland. Mit einer radikalen Sprache bezichtigte die SPD im Namen der Revolution die Spartakisten als Konterrevolutionäre. Um die Arbeiterklasse zu täuschen, sind die Linken gezwungen, eine radikale Sprache zu sprechen und sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Gleichzeitig war damals schon deutlich, wie stark die SPD in den Staat integriert war, daß sie nicht als außerhalb des Staates stehende Partei gegen die Arbeiter vorging, sondern gar von dessen Spitze aus.
Die ersten Tage revolutionärer Auseinandersetzungen zeigten damals schon ein allgemeines Merkmal des Klassenkampfes in den hochindustrialisierten Ländern auf. Eine mit allen Wassern gewaschene Bourgeoisie prallt mit einer starken Arbeiterklasse zusammen. Es war eine Illusion zu glauben, der Arbeiterklasse könnte der Sieg leicht in die Hände fallen.
Wie wir später sehen werden, traten als zweiter Stützpfeiler des Kapitals die Gewerkschaften auf, die sofort nach Ausbruch der Bewegung eine Arbeitsgemeinschaft mit den Unternehmern eingingen. Nachdem sie im Krieg die Produktion für den Krieg organisiert hatten, sollten sie nun mit der SPD für die Niederschlagung der Bewegung eintreten. Einige Konzessionen wie unter anderem der 8-Stunden-Tag wurden gemacht, um durch das Zugestehen von ökonomischen Verbesserungen die Arbeiter von einer weiteren Radikalisierung abzuhalten.
Aber selbst die politische Sabotage, die Untergrabung des Bewußtseins der Arbeiter durch die SPD reichte nicht aus, denn - gleichzeitig schlug die SPD in Absprache mit den Militärs eine militärische Vorgehensweise ein.
… REPRESSION
Der Oberbefehlshaber des Militärs, General Groener, der im Krieg tagtäglich mit SPD und Gewerkschaften zusammenarbeitete, denn er war für Rüstungsvorhaben verantwortlich, erklärte:
„Wir haben uns verbündet zum Kampf gegen den Bolschewismus. An eine Wiedereinführung der Monarchie war nicht zu denken… Ich habe dem Feldmarschall den Rat gegeben, nicht mit der Waffe die Revolution zu bekämpfen, weil zu befürchten sei, daß bei der Verfassung der Truppen eine solche Bekämpfung scheitern würde. Ich habe ihm vorgeschlagen, die Oberste Heeresleitung möge sich mit der SPD verbünden, da es zurzeit keine Partei gebe, die Einfluß genug habe im Volke, besonders bei den Massen, um eine Regierungsgewalt mit der Obersten Heeresleitung wieder herzustellen. Die Rechtsparteien waren vollkommen verschwunden, mit den äußersten Radikalen zusammenzugehen, war ausgeschlossen. Zunächst handelte es sich darum, in Berlin den Arbeiter- und Soldatenräten die Gewalt zu entreißen. Zu diesem Zwecke wurde ein Unternehmen geplant. 10 Divisionen sollten in Berlin einmarschieren. Ebert war damit einverstanden.... Wir haben ein Programm ausgearbeitet, das nach dem Einmarsch eine Säuberung Berlins und die Entwaffnung der Spartakisten vorsah. Das war auch mit Ebert besprochen, dem ich dafür besonders dankbar bin wegen seiner absoluten Vaterlandsliebe... Dieses Bündnis war geschlossen gegen die Gefahr der Bolschewiken und gegen das Rätesystem“ (Groener, Oktober- November 1925, Zeugenaussage).
Zu diesem Zweck telefonierte Groener täglich abends mit Ebert und seinen Konsorten auf geheimen Leitungen zwischen 23.00 und 1.00 Uhr nachts und traf Absprachen.
Im Gegensatz zu Rußland, wo die Macht im Oktober in die Hände der Arbeiter nahezu unblutig fiel, schickte sich die Bourgeoisie in Deutschland sofort an, neben der politischen Sabotage einen Bürgerkrieg auszulösen. Vom ersten Tag an traf sie alle Vorbereitungen für eine militärische Niederschlagung.
DIE INTERVENTION DER REVOLUTIONÄRE
Um die Intervention der Revolutionäre zu bewerten, müssen wir jeweils ihre Fähigkeit überprüfen, die Bewegung der Klasse, das Kräfteverhältnis, das „Erreichte“, die weiteren Perspektiven richtig einzuschätzen. Was sagten die Spartakisten?
„Die Revolution hat begonnen. Nicht Jubel über das Vollbrachte, nicht Triumph über den niedergeworfenen Feind ist am Platz, sondern strengste Selbstkritik und eiserne Zusammenhaltung der Energie, um das begonnene Werk weiterzuführen. Denn das Vollbrachte ist gering, und der Feind ist NICHT niedergeworfen. Was ist erreicht? Die Monarchie ist hinweggefegt, die oberste Regierungsgewalt ist in die Hände von Arbeiter- und Soldatenvertretern übergegangen. Aber die Monarchie war nie der eigentliche Feind, sie war nur Fassade, sie war das Aushängeschild des Imperialismus.... Die Abschaffung der Kapitalsherrschaft, die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung- dies und nichts Geringeres ist das geschichtliche Thema der gegenwärtigen Revolution. Ein gewaltiges Werk, das nicht im Handumdrehen durch ein paar Dekrete von oben herab vollbracht, das nur durch die eigene bewußte Aktion der Masse der Arbeitenden in Stadt und Land ins Leben gerufen, das nur durch höchste geistige Reife und unerschöpflichen Idealismus der Volksmassen durch alle Stürme glücklich in den Hafen gebracht werden kann.
Die ganze Macht in die Hände der arbeitenden Masse, in die Hände der Arbeiter- und Soldatenräte, Sicherung des Revolutionswerkes vor seinen lauernden Feinden: dies die Richtlinie für alle Maßnahmen der revolutionären Regierung…
Ausbau und Wiederwahl der lokalen Arbeiter- und Soldatenräte, damit die erste chaotische und impulsive Geste ihrer Entstehung durch bewußten Prozeß der Selbstverständigung über Ziele, Aufgaben und Wege der Revolution ersetzt wird;
tändige Tagung dieser Vertretungen der Masse und Übertragung der eigentlichen politischen Macht aus dem kleinen Komitee des Vollzugsrates in die breitere Basis des Arbeiter- und Soldatenrats;
schleunigste Einberufung des Reichsparlamentes der Arbeiter und Soldaten, um die Proletarier ganz Deutschlands als Klasse, als kompakte politische Macht zu konstituieren und hinter das Werk der Revolution als ihre Schutzwehr und ihre Stoßkraft zu stellen;
unverzügliche Organisierung nicht der „Bauern“, sondern der ländlichen Proletarier und Kleinbauern, die als Schicht bisher noch außerhalb der Revolution stehen;
Bildung einer proletarischen Roten Garde zum ständigen Schutz der Revolution und Heranbildung der Arbeitermiliz, um das gesamte Proletariat zur jeder Zeit bereiten Wacht zu gestalten;
Verdrängung der übernommenen Organe des absolutistischen militärischen Polizeistaats von der Verwaltung, Justiz und Armee,
...
sofortige Einberufung des Arbeiter-Weltkongresses nach Deutschland, um den sozialistischen und internationalen Charakter der Revolution scharf und klar hervorzukehren, denn in der Internationale, in der Weltrevolution des Proletariats allein ist die Zukunft der deutschen Revolution verankert“ (Rote Fahne, 18. November 1918)
Zerstörung der Machtposition der Gegenrevolution, Aufbau und Festigung der proletarischen Macht - das waren die beiden Aufgaben, die die Spartakisten mit bemerkenswerter Klarheit in den Vordergrund stellten.
„Das Fazit der ersten Woche der Revolution heißt: Im Staate der Hohenzollern hat sich im wesentlich nichts verändert, die Arbeiter- und Soldatenregierung fungiert als Stellvertreterin der imperialistischen Regierung, die bankrott geworden ist. All ihr Tun und Lassen ist von der Furcht vor der Arbeitermasse getragen. ..
Der reaktionäre Staat der zivilisierten Welt wird nicht in 24 Stunden zum revolutionären Volksstaat. Soldaten, die gestern in Finnland, Rußland, der Ukraine, im Baltikum als Gendarmen der Reaktion revolutionäre Proletarier mordeten, und Arbeiter, die dies ruhig geschehen ließen, sind nicht in 24 Stunden zu zielklaren Trägern des Sozialismus geworden.“(Rote Fahne, 18. November 1918)
Die Einschätzung der Spartakisten, daß es sich nicht um eine bürgerliche Revolution, sondern um die bürgerliche Konterrevolution handelte, die da auf dem Vormarsch war, ihre Fähigkeit, die Lage mit Überblick, Weitblick einzuschätzen, ist ein schlagender Beweis für die Notwendigkeit revolutionärer Organisationen.
DIE ARBEITERRÄTE – SPEERSPITZE DER REVOLUTION …
Wie weiter oben beschrieben, waren in den ersten Novembertagen überall in den Großstädten Arbeiter- und Soldatenräte entstanden. Auch wenn die Räte „plötzlich“ auftauchten, kam ihr Entstehen für die Revolutionäre alles andere als unerwartet. In Rußland waren sie ebenfalls in den revolutionären Kämpfen aufgetaucht, genauso wie in Österreich-Ungarn. Denn die Arbeiterräte sind, wie es die Kommunistische Internationale im März 1919 durch die Stimme Lenins ausdrückte: „die praktische Form, die das Proletariat in den Stand setzt, seine Herrschaft zu verwirklichen. Diese Form ist das Sowjetsystem mit der Diktatur des Proletariats. Diktatur des Proletariats! Das war bisher Latein für die Massen. Mit der Ausbreitung des Sowjetsystems in der ganzen Welt ist dieses Latein in alle modernen Sprachen übersetzt worden: die praktische Form der Diktatur ist durch die Arbeitermassen gefunden...“
Das Entstehen von Arbeiterräten spiegelt den Willen der Arbeiterklasse wider, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen.
Als solches können die Arbeiterräte erst entstehen, wenn in der Klasse insgesamt eine Massenaktivität und tiefgreifende Bewußtseinsentwicklung in Gang gekommen ist. Die Arbeiterräte sind insofern nur die Speerspitze einer allumfassenden Bewegung der Klasse, und sie stehen und fallen mit der Gesamtaktivität der Klasse. Wenn die Aktivität der Arbeiterklasse in den Betrieben nachläßt, wenn die Kampfbereitschaft insgesamt abflaut, wenn das Bewußtsein der Klasse zurückweicht, haben auch die Arbeiterräte keine Überlebenschance.
Sie sind das Mittel, die Kämpfe der Klasse zu zentralisieren und stellen den Hebel dar, mit dem die Arbeiterklasse ihren Kampf zur Zerschlagung des bürgerlichen Staats führt.
In vielen Städten ergriffen die Arbeiterräte entschlossen Maßnahmen, um die Staatsgewalt unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Arbeiter versuchten vom ersten Tag der Existenz der Arbeiterräte an, den bürgerlichen Staatsapparat lahmzulegen und ihre eigenen Entscheidungen an Stelle der bürgerlichen Regierung zu treffen und durchzuführen. Es war der Beginn einer Doppelherrschaft, genau wie in Rußland nach der Februarrevolution 1917. Diese Entwicklung gab es überall, aber in Berlin, wo die Regierung des Kapitals saß, kam sie am deutlichsten zum Vorschein.
…UND DIE SABOTAGE DER BOURGEOISIE
Weil die Arbeiterräte der Dreh- und Angelpunkt der Zentralisierung der Arbeiterkämpfe sind, weil in ihnen die Initiative der Massen zusammenfließt, ist es für die Arbeiterklasse lebenswichtig, die Kontrolle über die Arbeiterräte zu behalten.
In Deutschland sollte die Kapitalistenklasse ein trojanisches Pferd - die SPD - gegen die Arbeiterräte einsetzen. Die SPD war bis 1914 eine Arbeiterpartei gewesen, aber jetzt bekämpfte sie die Räte von Innen und versuchte sie von ihren wirklichen Zielen abzulenken - all das geschah „im Namen der Arbeiterklasse“.
Schon bei der Zusammensetzung der Räte wandte sie alle Tricks an, damit ihre Delegierte in die Räte einziehen konnten. Der Vollzugsrat war anfänglich aus jeweils 6 Vertretern der SPD und USPD sowie 12 Soldatenvertretern zusammengesetzt. Jedoch hatte es die SPD in Berlin geschafft, unter dem Vorwand der notwendigen Stimmenparität und der Einigkeit der Arbeiterklasse eine gleichgroße Anzahl von Vertretern in den Vollzugsrat zu schleusen. So entstand die gleichmäßige Verteilung der Mandate zwischen USPD und SPD - ohne durch irgendeine Versammlung in dieser Form legitimiert zu sein. Mit der Taktik des Parteienproporzes erhielt die SPD in vielen Räten mehr Stimmen als es der tatsächlichen Gewichtung entsprach. In der Provinz sah es nicht viel anders aus. In etwa 40 Großstädten standen fast 30 Arbeiter- und Soldatenräte unter dem beherrschenden Einfluß der SPD- und USPD-Führer. Nur in den Städten, wo die Spartakisten einen größeren Einfluß hatten, konnten die Arbeiterräte eine radikale Richtung einschlagen.
Was die Aufgaben der Arbeiterräte angeht, versuchte die SPD ihnen die Spitze zu brechen. Während die Räte von ihrem Wesen her danach streben, als Gegenpol zum bürgerlichen Staatsapparat zu wirken, diesen zu zerschlagen, versuchte die SPD, die Räte dem bürgerlichen Staatsapparat unterzuordnen. Einmal dadurch, daß die Räte sich nur als Übergangsorgan bis zur Einberufung der bürgerlichen Nationalversammlung auffassen sollten, dann indem sich die Räte für alle Volksschichten öffnen sollten. Die SPD inszenierte in vielen Städten sog. „Wohlfahrtsausschüsse“, in der alle Teile der Bevölkerung, vom kleinen Geschäftsmann und Bauern bis zum Arbeiter, alle „gleichberechtigt“ integriert wurden. Dadurch sollte das Entstehen von Arbeiterräten, die dem bürgerlichen Staat entgegenwirken, vereitelt werden.
Während die Spartakisten von Anfang an auf die Bildung von Roten Garden drängten, um so die Maßnahmen der Arbeiterräte notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen, torpedierte die SPD dies in den Soldatenräten mit dem Vorwand, daß „damit ein Mißtrauen gegenüber den Soldaten zum Ausdruck käme.“
Im Berliner Vollzugsrat wie auch in allen anderen Räten kam es ständig zu heftigen Auseinandersetzungen über die zu treffenden Maßnahmen. Zwar kann man nicht davon ausgehen, daß die gewählten Vertreter alle über ausreichend Klarheit und Entschlossenheit zu allen Fragen verfügten, aber die SPD unternahm alles, um sowohl aus dem Innern der Räte selbst wie auch von „offizieller Regierungsseite“ aus, die Autorität der Räte und die getroffenen Entscheidungen zu unterlaufen.
Einige Beispiele:
- Ordnete der Vollzugsrat etwas an, erließ der Rat der Volksbeauftragten (von der SPD geführt) entsprechende Gegenmaßnahmen.
- Der Vollzugsrat besaß nie ein eigene Presse, er mußte bei der bürgerlichen Presse um Platz für die Veröffentlichung seiner Beschlüsse betteln. Daran hatten die SPD-Vertreter kräftig mitgewirkt.
- Als im November und Dezember Streiks in Berliner Betrieben ausbrachen, sprach sich der Vollzugsrat unter dem Einfluß der SPD gegen diese Streiks aus, obwohl sie gerade die Stärke der Arbeiterklasse zum Ausdruck bringen konnten und die Fehlentscheidungen des Vollzugsrat selbst hätten korrigieren können.
- Schließlich drohte die SPD von Regierungsseite aus, die Alliierten würden in Deutschland militärisch einmarschieren, um eine Bolschewisierung Deutschlands zu verhindern. Und wenn die Arbeiter- und Soldatenräte zu weit gingen, würden keine Lebensmittel von den USA an die hungernde Bevölkerung geliefert.
Von direkter Einschüchterung von Außen, Sabotage vom Innern her, der Entartung des Wesens der Räte selber bis zu physischen Angriffen gegen die Räte - die SPD ließ keine Mittel aus.
Von Anfang an aber versuchte die SPD die Räte von der Basis in den Betrieben selbst abzukoppeln.
Die Räte setzen sich zusammen aus Delegierten. Diese Delegierte sind von den Vollversammlungen in den Betrieben zu wählen. Sie müssen sich gegenüber ihnen verantworten - denn wenn die Arbeiter in den jeweiligen Vollversammlungen nicht mehr selber entscheiden können, die Räte sich von der Aktivität „der Basis“ lösen, dann wird ihnen selber die Luft ausgehen, und sie werden selber zum Opfer der Konteroffensive der Bourgeoisie. Deshalb drängte die SPD z.B. sofort auf die Zusammensetzung gemäß Parteienproporz - anstatt auf der Verantwortbarkeit und Rechenschaftspflicht der Delegierten gegenüber ihren jeweiligen Vollversammlungen in den Betrieben. Die Rechenschaft gegenüber den sie wählenden Versammlungen ist kein förmliches Prinzip der Arbeiterdemokratie, sondern der Hebel, mit der die Arbeiterklasse von der kleinsten Zelle aus ihren Kampf selber mitsteuern und lenken kann. Die Erfahrung in Rußland hatte schon gezeigt, wie elementar die Aktivität in den Fabriken, die Aktivität der Fabrikkommitees war. Wenn sich die Arbeiterräte nicht gegenüber den Vollversammlungen verantworten müssen, sich von ihnen loslösen, müssen die Arbeiter in den Betrieben neue Delegierte wählen, ihren Druck erhöhen, ihren Kampf „von unten“ intensivieren.
Schon in Rußland hatte Lenin erkannt:
„Um kontrollieren zu können, muß man die Macht haben. Wenn ich aber diese Grundbedingung durch die Kontrolle verdecke, dann sage ich die Unwahrheit und arbeite den Kapitalisten und Imperialisten in die Hände… Ohne Macht ist die Kontrolle eine kleinbürgerliche Phrase, die den Gang und die Entwicklung der Revolution hemmt“ (Lenin, Aprilkonferenz, Referat zur politischen Lage, 7. Mai, Werke Bd. 24, S. 220)
Während in Rußland in den ersten Wochen nach Februar die Räte, die sich auf die bewaffneten Arbeiter und Soldaten stützten, über reale Macht verfügten, besaß sie der Berliner Vollzugsrat nicht. Rosa Luxemburg stellte zurecht fest:
„Der Vollzugsrat der vereinigten Räte Rußlands ist - mag man gegen ihn schreiben was man will - freilich ein ander Ding als der Berliner Vollzugsrat. Jener ist Haupt und Hirn einer gewaltigen revolutionär-proletarischen Organisation, dieser das
5. Rad am Wagen einer krypto-kapitalistischen Regierungsclique, jener ist die unerschöpfliche Quelle proletarischer Allmacht, dieser kraft und orientierungslos, jener ist der lebendige Geist der Revolution und dieser ihr Sakropharg.“ (Rosa Luxemburg, 12. Dezember1918).
DER REICHSRÄTEKONGRESS:
Am 23. November rief der Berliner Vollzugsrat zur Abhaltung eines Reichsrätekongresses in Berlin für den 16. Dezember auf. Weil die Bewegung in den Fabriken jedoch noch nicht wirklich voll zu pulsieren angefangen hatte, sollte dieser Versuch der Zusammenballung der Kräfte der Arbeiterklasse in Wirklichkeit zu einem Hebel gegen sie werden. Die SPD setzte durch, daß in den einzelnen Gebieten des Reiches auf je 200.000 Einwohner ein „Arbeiterdelegierter“, auf je 100.000 Soldaten jedoch ein Soldatenvertreter gewählt werden sollte, wodurch die Soldatenvertreter ein übergroßes Gewicht einnehmen konnten. Anstatt die Aktivität der Klasse in den Fabriken entsprechend widerzuspiegeln, lief die Taktik der SPD darauf hinaus, den Reichsrätekongreß von der Initiative der Klasse abzuschotten.
Den Saboteuren des Klassenkampfes zufolge sollten als „Arbeiterdelegierte“ nur „Hand- und Kopfarbeiter“ zugelassen werden. Nachdem alle Gewerkschafts- und SPD- Parteifunktionäre plötzlich mit ihrer „Berufsangabe“ auftraten, blieben die Vertreter des Spartakusbundes Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ausgeschlossen. Wir können sehen, während die bürgerlichen Kräfte mit dem Einsatz aller möglichen Tricks immer Zugang zu finden suchen, werden die Revolutionäre, die als solche offen auftreten, am Reden gehindert.
Als der Rätekongreß am 16. Dezember zusammentrat, verwarf er zuvor eine Beteiligung russischer Delegierter.
„Bei der Vollversammlung handelt es sich aber nicht um die Beratung internationaler, sonderlich lediglich um deutsche Angelegenheiten, bei deren Beratung natürlich Ausländer nicht mitreden können... Es handelt sich bei der Delegation um nichts anderes als um bolschewistische Diktaturvertreter.“ (so rechtfertige der Vorwärts das SPD-Blatt am 11. Dezember 1918 die Entscheidung) Indem dieser Beschluß durchgesetzt wurde, verwarf die SPD sofort den grundlegendsten Charakter der Arbeiterräte: daß sie ein Ausdruck der weltweiten proletarischen Revolution sind, die in Rußland begonnen hatte.
Um die Sabotage des Kongresses fortzusetzen, brachte die SPD den Kongreß dazu, die Nationalversammlung für den 19. Januar 1919 einzuberufen.
Die Spartakisten, die die Gefahren erkannt hatten, riefen zu einer Großdemo vor dem Kongreß auf. Mehr als 250.000 demonstrierten unter der Losung: „Für die Arbeiter- und Soldatenräte, gegen die Nationalversammlung“!
Während der Kongreß dabei war, den Interessen der Arbeiterklasse entgegenzuarbeiten, sprach Liebknecht vor der Kongreßhalle. „Wir verlangen von dem Kongreß, daß er die volle politische Macht zwecks Durchführung des Sozialismus in die Hand nimmt und die Macht nicht einer Nationalversammlung überträgt, die nicht ein Organ der Revolution sein würde. Wir fordern von dem Rätekongreß, daß er die Hand nach unseren russischen Brüdern ausstreckt und die Delegierten der Russen herüberruft. Wir wollen die Weltrevolution und die Vereinigung der Proletarier aller Länder unter Arbeiter- und Soldatenräten.“ (17. Dezember 1918) D.h. die Revolutionäre erkannten die Notwendigkeit der Mobilisierung der Massen selber! Druck ausüben auf die Delegierten, Initiative der Versammlungen in den Betrieben, die Selbständigkeit der Räte gegen die bürgerliche Nationalversammlung verteidigen, die Verbrüderung mit der internationalen Arbeiterklasse herbeiführen. Aber auch nach der Massendemo verwarf der Kongreß weiterhin die Beteiligung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, unter dem Vorwand, sie seien keine Arbeiter, während unterdessen die Bourgeoisie ihre Leute in den Kongreß eingeschleust hatte. Auf dem Kongreß stellten sich die SPD-Vertreter schützend vor die Armee, um sie vor weiterem Zerfall durch die Soldatenräte zu bewahren.
Der Kongreß beschloß alsbald, keine Arbeiter- und Soldatendelegationen mehr zu empfangen, um sich dem Druck der Arbeiter nicht mehr zu beugen.
Zum Abschluß verbreitete der Kongreß noch eine Rauchwolke, indem er über erste Sozialisierungsmaßnahmen palaverte, obwohl die Arbeiter noch nicht einmal die Macht ergriffen hatten. „Sozialpolitische Maßnahmen in einzelnen Betrieben durchzuführen ist eine Illusion, solange die Bourgeoisie die politische Macht in den Händen hat. Mit diesem Gerede soll vom Endkampf abgelenkt werden“ (IKD, Der Kommunist). Die zentrale Frage, Entwaffnung der Konterrevolution, Sturz der bürgerlichen Regierung, wurde dadurch beiseite gedrängt.
Was hätten die Revolutionäre gegen solch eine Entwicklung tun sollen? Otto Rühle, mittlerweile zum ausgesprochenen Rätekommunist geworden, hatte am 16. Dezember in Dresden gegenüber dem örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat das Handtuch geschmissen, als dort starke sozialdemokratische Kräfte die Überhand hatten. Die Spartakisten dagegen überließen nicht dem Feind das Feld.
Nach der Verurteilung der Ergebnisse dieses Reichsrätekongresses, pochten sie auf die Initiative der Arbeiter. „Der Rätekongreß hat seine Vollmachten überschritten, hat das Mandat verraten, das ihm von den Arbeiter- und Soldatenräten eingehändigt war, hat den Boden aufgehoben, auf dem seine Existenz und seine Autorität fußte. Die Arbeiter- und Soldatenräte werden nunmehr mit verzehnfachter Energie ihre Macht ausbauen und ihr Daseinsrecht... zu verteidigen haben. Sie werden das gegenrevolutionäre Werk ihrer ungetreuen Vertrauensmänner für null und nichtig erklären…“(Rosa Luxemburg, 20. Dezember 1918)
DAS LEBENSELIXIER DER REVOLUTION - DIE MASSENAKTIVITÄT
Die Orientierung der Spartakisten bestand dann auch darin, die Masseninitiative vor Ort zu intensivieren. Diese Ausrichtung haben die Spartakisten auf dem Gründungskongreß der KPD, der nur 10 Tage nach dem Ende des Reichsrätekongresses stattfand, hervorgehoben.
Die Spartakisten hatten verstanden: Der Puls der Revolution schlägt in den Räten; die proletarische Revolution ist die erste Revolution, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung, von der ausgebeuteten Klasse gemacht wird. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Revolutionen, die von Minderheiten durchgeführt werden konnten, kann die proletarische nur siegreich sein, wenn sie ständig gespeist, unaufhörlich vorangetrieben wird durch die Aktivität der ganzen Arbeiterklasse. Die Räte und ihre Delegierte sind kein vom Rest der Klasse isolierter Teil, der sich von diesem abschotten und isolieren muß, oder die den Rest der Klasse in Passivität hält. Nein - die Revolution kann nur vorankommen durch die bewußte, wachsame, aktive und kritische Selbstbeteiligung der Klasse.
Für die Arbeiterklasse hieß dies, daß eine neue Stufe im Kampf eintreten mußte, wo der Druck aus den Betrieben verstärkt werden mußte. Die verstärkte Agitation der Kommunisten in den lokalen A/S-Räten stand für sie als oberste Priorität an. Sie folgten damit der gleichen Politik, wie sie Lenin schon im April 1917 vertrat, als in Rußland eine ähnliche Situation vorhanden war:
„Aufklärung darüber, daß die Sowjets der Arbeiterdeputierten die einzig mögliche Form der revolutionären Regierung sind und daß daher unsere Aufgabe, solange sich diese Regierung von der Bourgeoisie beeinflussen läßt, nur in geduldiger, systematischer, beharrlicher, besonders den praktischen Bedürfnissen der Massen angepaßter Aufklärung über die Fehler ihrer Taktik bestehen kann. Solange wir in der Minderheit sind, besteht unsere Arbeit in der Kritik und Klarstellung der Fehler, wobei wir gleichzeitig die Notwendigkeit des Übergangs der gesamten Staatsmacht an die Sowjets der Arbeiterdeputierten propagieren, damit die Massen sich durch die Erfahrung von ihren Irrtümern befreien.“ (Lenin, Aprilthesen, 4. These, April 1917. Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution)
Wir können aber die Dynamik in den Räten nicht wirklich verstehen, wenn wir nicht die Rolle der Soldaten näher beleuchten.
Die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse war vorangetrieben worden durch den Kampf gegen den Krieg. Dabei hatte der Widerstand der Arbeiter „zu Hause“ die Soldaten „an der Front“ infiziert (der Anteil der Arbeiter unter den Soldaten war in Deutschland viel größer als in Rußland). Die Meutereien der Soldaten wie die Erhebungen der Arbeiter hatten schließlich die Bourgeoisie gezwungen, den Krieg zu beenden. Solange der Krieg dauerte, waren die kriegsmüden Soldaten die besten Verbündeten der Arbeiter. Dank dieses wachsenden Widerstandes entstand auch ein günstiges Kräfteverhältnis an der Front „zu Hause“. Wie Liebknecht schrieb, destabilisierte das die Armee. Sobald der Krieg jedoch von der Bourgeoisie beendet worden war, kam es zu einer Spaltung innerhalb der Soldaten selbst. „Die Masse der Soldaten ist revolutionär gegen den Militarismus, gegen den Krieg und die offenkundigen Repräsentanten des Imperialismus; im Verhältnis zum Sozialismus ist sie noch zwiespältig, schwankend, unausgegoren.“ (Liebknecht, 19. November 1918)
Solange der Krieg fortdauerte und die Truppen noch mobilisiert blieben, hatten sich an vielen Orten Soldatenräte gebildet. „Die Soldatenräte sind der Ausdruck einer aus allen Klassen der Gesellschaft zusammengesetzten Masse, in der zwar das Proletariat bei weitem überwiegt, aber keineswegs das zielbewußte, klassenkampfbereite Proletariat; sie sind oft geradewegs von oben herab, durch das Eingreifen der Offiziere, auch hochfeudaler Kreise gebildet, die so in schlauer Anpassung ihren Einfluß auf die Soldaten zu bewahren suchten und sich zu ihren Vertretern haben wählen lassen.“ (Liebknecht, 21. November 1918).
Die Armee als solches ist natürlich ein klassisches Instrument, kontrolliert und dirigiert von dem Staat ergebenen Offizieren. In einer revolutionären Situation jedoch, wo es unter Tausenden von Arbeitern in Uniform brodelt, wo die alten hierarchischen Strukturen nicht mehr respektiert werden und Arbeiter in Uniform gemeinsam Beschlüsse fassen, kann dies eine Armee zum Auseinanderbrechen, zur Spaltung bringen, insbesondere wenn die Soldaten bewaffnet sind. Dazu muß die Arbeiterklasse aber einen ausreichend starken Bezugspol darstellen - auf den sich die Arbeiter in Uniform zubewegen und mit ihnen verbrüdern können. Während des Krieges gab es diese Dynamik.
Deshalb beendete die Bourgeoisie den Krieg, um eine weitere Radikalisierung der Arbeiter in Uniform zu verhindern.
Aufgrund dieses Schrittes hatte es die herrschende Klasse geschafft, die Arbeiter „zu beruhigen“ und sie von der Revolution „abzuschotten“, während die Bewegung der Arbeiterklasse noch nicht stark genug war, um die Soldaten stärker auf die Seite der Arbeiter zu ziehen. Dadurch konnten die Manipulationen der Bourgeoisie in den Reihen der Soldaten um so besser wirken.
Das Gewicht der Soldaten war bedeutsam während der aufsteigenden Phase der Bewegung - und es trug entscheidend zur Beendigung des Krieges bei. Aber ihre Rolle änderte sich, als die Bourgeoisie ihre Gegenoffensive begann.
DIE AUFGABE KANN NUR INTERNATIONAL GELÖST WERDEN
Während die Kapitalisten sich im Krieg vier Jahre lang bekämpft, Millionen von Toten als Kanonenfutter geopfert hatten, war das Kapital sofort nach dem Ausbruch der Revolution in Rußland und vor allem, als das Proletariat in Deutschland zum Sturmlauf ansetzte, bereit, sich zusammenzuschließen. Die Spartakisten hatten von Anfang an verstanden, welche Gefahr aus der Isolierung der Arbeiterklasse in Rußland und Deutschland entstehen würde. Am 25. November richteten sie folgenden Aufruf: „An die Proletarier aller Länder“ ... die Stunde der Abrechnung mit der kapitalistischen Herrschaft hat geschlagen. Dies große Werk aber kann das deutsche Proletariat allein nicht vollbringen, es kann nur kämpfen und siegen, indem es die Solidarität der Proletarier der ganzen Welt anruft. Genossen der kriegführenden Länder, wir kennen Eure Lage. Wohl wissen wir, daß Eure Regierungen nun, da sie den Sieg errungen haben, manche Volksschichten durch den äußern Glanz des Sieges blenden.... Eure siegreichen Kapitalisten stehen bereit, unsere Revolution, die sie wie die eigene fürchten, blutig zu unterdrücken. Ihr selbst seid durch den „Sieg“ nicht freier, Ihr seid nur noch versklavter geworden. Gelingt es Euren herrschenden Klassen, die proletarische Revolution in Deutschland wie in Rußland abzuwürgen, dann werden sie sich mit doppelter Wucht gegen Euch wenden.... Deutschland ist schwanger mit der sozialen Revolution, aber den Sozialismus kann nur das Weltproletariat verwirklichen.“ (Spartakusbund, 25. November 1918, in Rosa Luxemburg, Ges. Werke, Bd 4, S. 418)
Während die SPD alles daran setzte, die Arbeiter in Deutschland von Rußland abzukoppeln, setzten sich die Revolutionäre mit aller Kraft für den Zusammenschluß der Arbeiterklasse ein.
Dabei waren sich die Spartakisten bewußt: „Jetzt herrscht bei den Völkern der Entente begreiflicherweise ein mächtiger Siegestaumel, und die Freude über die Zertrümmerung des deutschen Militarismus, über die Befreiung Belgiens und Frankreich ist so laut, daß wir ein revolutionäres Echo von Seiten der Arbeiterschaft unser bisherigen Feinde in diesem Augenblick nicht erwarten.“ (Liebknecht, 23. Dezember 1918.
Sie wußten, daß die Revolution eine gefährliche Spaltung in den Reihen der Arbeiter hinterlassen hatte. Und die Verteidiger des Kapitals, die SPD, gingen jetzt daran, die Arbeiterklasse in Deutschland gegen die Arbeiter anderer Länder auszuspielen. Drohung mit ausländischen Interventionen, all dies hat die herrschende Klasse seitdem mehrfach praktiziert.
DIE BOURGEOISIE HATTE DIE LEHREN AUS RUSSLAND GEZOGEN
Nachdem die Bourgeoisie und die Militärs unter Führung der SPD am 11. November aus Angst, die Arbeiterklasse könnte sich weiter radikalisieren und den „russischen Weg einschlagen“, den Waffenstillstand geschlossen hatten, der Krieg damit zu Ende gebracht war, war eine neue Situation eingetreten.
Wie R. Müller, ein führendes Mitglied der Obleute meinte;
„Die ganze Kriegspolitik mit ihren Wirkungen auf die Lage der Arbeiter, der Burgfrieden mit der Bourgeoisie, alles was die Arbeiter bis aufs Blut gereizt hatte, war vergessen.“ (R. Müller, S. 35)
Die Bourgeoisie hatte die Lehren aus Rußland gezogen. Hätte die Bourgeoisie in Rußland beispielsweise im März, April 1917 den Krieg beendet, wäre die Revolution im Oktober auch nicht möglich, auf jeden Fall viel schwerer gewesen. Der Krieg läßt sich zwar abstellen, um einer Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auch hier stand die Arbeiterklasse in Deutschland vor einer anderen Situation als ihre Klassenbrüder in Rußland.
„Man kann nicht erwarten, wenn man auf dem Boden historischer Entwicklung steht, daß man in dem Deutschland, das das furchtbare Bild des 4. August und der vier Jahre darauf geboten hat, plötzlich am 9. November 1918 eine großartige, klassen- und zielbewußte Revolution erlebt; und was wir am 9. November erlebt haben, war zu drei Vierteln mehr Zusammenbruch des bestehenden Imperialismus als Sieg eines neuen Prinzips. Es war einfach der Moment gekommen, wo der Imperialismus wie ein Koloß auf tönernen Füßen, innerlich morsch, zusammenbrechen mußte, und was darauf folgte, war eine mehr oder weniger chaotische, planlose, sehr wenig bewußte Bewegung, in der das einigende Band und das bleibende, das rettende Prinzip nur in der Losung zusammengefaßt war: die Bildung der Arbeiter- und Soldatenräte... Es waren eben die ersten Kinderschritte der Revolution, die noch Gewaltiges zu leisten hat und einen weiten Weg zu gehen hat, um heranzuwachsen zur völligen Verwirklichung ihrer ersten Losung.“ (Rosa Luxemburg, Gründungsparteitag KPD)
Deswegen konnte man nicht den Anfang der Bewegung mit dem Ende verwechseln, denn
„Kein Proletariat der Welt, auch nicht das deutsche, kann die Spuren einer jahrtausendelangen Knechtung von heute auf morgen... beseitigen. Sowenig die politische hat die geistige Verfassung des Proletariats am ERSTEN Tag der Revolution ihren höchsten Stand. Erst die Kämpfe der Revolution werden in jedem Sinne das Proletariat zur vollen Reife erheben“. (Rosa Luxemburg, 3. Dezember 1918).
DIE LASTER DER VERGANGENHEIT
Den Spartakisten hatten recht zu sagen, daß die Ursachen dieser großen Schwierigkeiten in den Lastern der Vergangenheit lagen. Denn das Vertrauen, das viele noch in die Politik der SPD hatten, war ein gefährliches Überbleibsel. Viele hielten zu einem guten Teil die Kriegspolitik der SPD für eine vorübergehende Verirrung. Sie hielten den ganzen Krieg für eine schändliche Mache der eben gestürzten Regierungsclique. Sie erinnerten sich an die einigermaßen erträgliche Lage vor dem Kriege und hofften, über das gegenwärtige Elend bald wieder und endgültig hinweg zu sein. Gegen neue Kriege schienen ihnen die Versprechungen Wilsons, der angekündigte Völkerbund, die Demokratie Sicherheit zu bieten, die demokratische Republik schien ihnen nicht als Bourgeoisrepublik, sondern tatsächlich als der Boden, aus dem der Sozialismus sprießen könnte. Kurzum: der Druck der demokratischen Illusionen, die mangelnde Erfahrung im Zusammenprall mit den Saboteuren der SPD und der Gewerkschaften waren ausschlaggebend. „In allen früheren Revolutionen traten Kämpfer mit offenem Visier in die Schranken: Klasse gegen Klasse, Programm gegen Programm, Schild gegen Schild... Es waren (früher) stets Anhänger des gestürzten oder bedrohten Systems, die im Namen und zur Rettung dieses Systems gegenrevolutionäre Maßnahmen ergriffen… In der heutigen Revolution treten die Schutztruppen der alten Ordnung nicht unter eigenen Schildern und Wappen der herrschenden Klasse, sondern unter der Fahne einer sozialdemokratischen Partei in die Schranken… Die bürgerliche Klassenherrschaft kämpft heute ihren letzten weltgeschichtlichen Kampf unter fremder Flagge, unter der Flagge der Revolution selbst. Es ist eine sozialistische Partei, es ist das ureigenste Geschöpf der Arbeiterbewegung und des Klassenkampfes, das sich in das wuchtigste Instrument der bürgerlichen Gegenrevolution verwandelt hat. Kern, Tendenz, Politik, Psychologie, Methoden - alles ist gut kapitalistisch. Nur Schilder, Apparat und Phraseologie sind vom Sozialismus übrig geblieben.“ (Rosa Luxemburg, 21. Dezember 1918)
Eine deutlichere Entblößung des Charakters der Konterrevolution in Gestalt der SPD konnte nicht formuliert werden.
Deshalb zeigten die Spartakisten die nächste, jetzt erforderliche Etappe auf:
„Der Umschlag der vorwiegend soldatischen Revolution des 9. November in eine ausgesprochene Arbeiterrevolution, der oberflächlichen, rein politischen Umwälzung in den langatmigen Prozeß der wirtschaftlichen Generalauseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital erfordert von der revolutionären Arbeiterklasse einen ganz anderen Grad der politischen Reife, Schulung, Zähigkeit, als wie sie der ersten anfänglichen Phase genügten.“ (Rosa Luxemburg, 3. Januar 1919
Zwar war die Bewegung Anfang November nicht nur eine „Soldatenrevolution“ gewesen, denn ohne die Arbeiter in den Fabriken hätten die Soldaten sich nie soweit radikalisieren können. Die Spartakisten sahen die Perspektive eines wirklichen Schrittes voran, als in der zweiten Novemberhälfte und im Dezember im Ruhrgebiet und in Oberschlesien eine Welle von Streiks ausbrach. Das bedeutete eine Aktivierung der Arbeiterklasse in den Fabriken selbst, ein Zurückdrängen des Gewichtes der Soldaten. Denn nach dem Ende des Krieges kam es zum wirtschaftlichen Zusammenbruch und zu einer noch größeren Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiter. Im Ruhrgebiet legten viele Bergarbeiter die Arbeit nieder. Um ihre Forderungen durchzusetzen, zogen sie oft zu den anderen Bergwerken, damit mehr Bergleute sich ihnen anschlossen und sie ein größeres Gewicht hatten. Bald klangen die Streiks etwas ab, bald entfalteten sie sich mit neuer Kraft.
„In der heutigen Revolution sind die eben ausgebrochenen Streiks… der erste Anfang einer Generalauseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit, sie läuten den Beginn des gewaltigen direkten Klassenkampfes ein, dessen Ausgang kein anderer sein kann als die Beseitigung des Lohnverhältnisses und Einführung der sozialistischen Wirtschaft. Sie lösen die lebendige soziale Kraft der gegenwärtigen Revolution aus: die revolutionäre Klassenenergie der proletarischen Massen. Sie eröffnen die Periode der unmittelbaren Aktivität der breitesten Massen.“
Deshalb betonte Rosa Luxemburg zurecht,
„Nach der ersten Phase der Revolution, der des vorwiegend politischen Kampfes, kommt eine Phase des verstärkten, gesteigerten, in der Hauptsache ökonomischen Kampfes…
In der kommenden Phase der Revolution werden sich die Streiks nicht nur immer mehr ausdehnen, sondern sie werden im Mittelpunkt, im entscheidenden Punkt der Revolution stehen, zurückdrängend die rein politischen Fragen.“ (Rosa Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD)
Nachdem der Krieg durch die Bourgeoisie unter dem Druck der Arbeiter beendet, die Bourgeoisie eine politische Offensive eingeleitet, die ersten Versuche der Arbeiterklasse nach der Macht zu greifen abgewehrt worden waren, mußte die Bewegung in eine neue Stufe eintreten. Entweder würde die Arbeiterklasse neue Schubkraft durch die Initiative der Arbeiter in den Fabriken entwickeln können, den „Umschlag in eine ausgesprochene Arbeiterrevolution“ schaffen, oder aber die Bourgeoisie würde ihre Offensive fortsetzen können. DV
(1) In Köln war die revolutionäre Bewegung besonders stark. Innerhalb von 24 Stunden hatten am 9. November allein 45.000 Soldaten den Militaristen den Gehorsam verweigert und waren „auseinander gelaufen“. Schon am 7. November waren revolutionäre Matrosen aus Kiel auf dem Weg nach Köln. Der spätere Bundeskanzler Adenauer, damals Bürgermeister von Köln, und die Führung der SPD trafen sofort Maßnahmen, um die „Lage zu beruhigen“.
(2) Seitdem geht das Kapital immer mit der gleichen Taktik vor: 1980, als Polen von einem Massenstreik der Arbeiter erfaßt wurde, wechselte das Kapital auch die Regierung aus. Die Liste der Beispiele ist endlos lange. Personen austauschen, um die Kapitalsherrschaft nicht anzutasten
Deutsche Revolution, Teil 3
Der verfrühte Aufstand
In diesem 3. Teili wollen wir eine der schwierigsten Fragen des Arbeiterkampfes aufgreifen: die Bedingungen und der Zeitpunkt des Aufstands. Auch wenn die Erfahrung in Deutschland negativ ausging, liefert sie dennoch eine Reihe von wertvollen Lehren für die zukünftigen revolutionären Kämpfe.
Im November 1918 hatte die Arbeiterklasse durch ihre Erhebung die Bourgeoisie in Deutschland gezwungen, den Krieg zu beenden. Um eine weitere Radikalisierung der Arbeiterklasse, um eine Wiederholung der Ereignisse in Rußland zu verhindern, hatte die Kapitalistenklasse die SPDii als Speerspitze gegen die Arbeiterklasse in die Schlacht geschickt. Mit ausgefuchster politischer Sabotage versuchte die SPD mit Hilfe der Gewerkschaften, die Schlagkraft der Arbeiterräte zu untergraben.
Aber die herrschende Klasse setzte von Anfang an auch auf die Notwendigkeit einer militärischen Niederschlagung der Bewegung.
In Anbetracht der explosiven Entwicklung, als es überall zu Meutereien der Soldaten und deren Überlaufen auf die Seite der aufständischen Arbeiter kam, war es für die Bourgeoisie nicht möglich, unmittelbar an Repression zu denken. Die Bourgeoisie mußte zuerst politisch gegen die Arbeiterklasse vorgehen, um dann militärisch einen Sieg zu erringen. Die Vorbereitungen für ein militärisches Vorgehen wurden jedoch vom ersten Tag an getroffen. Nicht die ‘rechten’ Parteien leiteten diese militärische Repression in den Weg, sondern die SPD, die sich noch als die ‘große Partei des Proletariats’ darstellte, und dies in engster Absprache mit den Militärs. Es waren die vielgepriesenen Demokraten, die als letztes Bollwerk zur Verteidigung des Kapitalismus auftraten. Sie sollten sich als der wirksamste Schutzwall des Kapitals herausstellen. Die SPD fing an, systematisch Freikorps aufzubauen, da reguläre Truppenteile unter dem ‘Infekt der Arbeiterkämpfe’ immer mehr der bürgerlichen Regierung die Gefolgschaft versagten. Freiwilligenverbände, die mit Sonderprämien geheuert wurden, sollten als militärische Handlanger dienen.
Die militärischen Provokationen vom 6. und 24. Dezember
Gerade ein Monat nach dem Beginn der Kämpfe gab die SPD in Absprache mit dem Militär Order, daß Soldaten am 6. Dezember in die Räume der Redaktion der „Roten Fahne“ eindringen. K. Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie andere Spartakisten aber auch Mitglieder des Vollzugsrats sollten verhaftet werden. Gleichzeitig attackierten regierungstreue Truppen demonstrierende entlassene und desertierte Soldaten, 14 Demonstranten wurden getötet. Als Reaktion traten am 7. Dezember mehrere Betriebe in Streik, es wurden überall Vollversammlungen in den Betrieben abgehalten. Am 8. Dezember gab es zum ersten Mal eine bewaffnete Demonstration von Arbeitern und Soldaten mit mehr als 150’000 Teilnehmern. In Städten des Ruhrgebietes wie Mülheim verhafteten Arbeiter und Soldaten Industrielle.
Aber gegenüber dieser militärischen Provokation riefen die Revolutionäre nicht zum Aufstand auf, sondern drängten auf eine massive Mobilisierung der Arbeiter. Die Spartakisten schätzten das Kräfteverhältnis so ein, daß die Bedingungen für den Sturz der bürgerlichen Regierung noch nicht vorhanden waren, daß die Arbeiterklasse dazu noch nicht ausreichend Kraft entwickelt hatte.iii
Der Reichsrätekongresses Mitte Dezember 1918 (16.–21. Dezember) verdeutlichte dies; die Bourgeoisie hatte sofort gemerkt, daß sie einen Punktesieg errungen hatte. Auf dem Reichsrätekongreß hatten die Delegierten unter dem Einfluß der SPD beschlossen, ihre Entscheidungen einer zu wählenden Nationalversammlung zu unterwerfen. Gleichzeitig wurde ein ‘Zentralrat’ gewählt, der ausschließlich aus SPD-Mitgliedern bestand und vorgab, im Namen der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands sprechen zu können. Nach diesem Kongreß spürte die Bourgeoisie, daß sie die politische Schwächung der Arbeiterklasse unmittelbar auch militärisch ausnutzen konnte. Am 24. Dezember zettelte sie die nächste militärische Provokation an. Freikorps und regierungstreue Truppen griffen revolutionäre Matrosen an. 11 Matrosen und mehrere Soldaten starben. Wieder große Empörung unter den Arbeitern. Arbeiter der Daimler-Motoren-Gesellschaft und vieler Berliner Betriebe forderten die Bildung einer Roten Garde. Auch hier wieder machtvolle Demonstrationen am 25. Dezember zur Abwehr dieses Angriffes. Die Regierung mußte einen Rückzieher machen. Nach soviel Diskreditierung mußte auch die USPDiv, die bis dahin noch mit der SPD im Rat der Volksbeauftragten gesessen hatte, am 29. Dezember aus der Regierung austreten.
Die Bourgeoisie gab jedoch nicht nach. Sie strebte weiter danach, das immer noch bewaffnete Proletariat in Berlin zu entwaffnen und einen entscheidenden Schlag gegen die Arbeiterklasse in Berlin zu führen.
Die SPD stachelte zum Mord an den Kommunisten an
Um die Bevölkerung gegen die Arbeiterklasse anzuheizen, machte sich die SPD zum Sprachrohr einer gewaltigen Meuchelmordkampagne gegen die Arbeiterklasse und gegen die Spartakisten insbesondere:
„Wollt ihr Frieden? Dann sorgt Mann für Mann dafür, daß die Gewaltherrschaft der Spartakus-Leute ein Ende nimmt! Wollt ihr Freiheit? Dann macht die bewaffneten Tagediebe Liebknechts unschädlich! Wollt ihr hungern? Dann hört auf Liebknecht! Wollt ihr Sklaven der Entente werden? Liebknecht vermittelt es! Nieder mit der Diktatur der Anarchisten des Spartakus! Der rohen Gewalt dieser Verbrecherbande kann nur mit Gewalt begegnet werden!“ (Flugblatt des Bürgerrates von Groß-Berlin vom 29.12.1918) „Das schändliche Treiben Liebknechts und Rosa Luxemburgs beschmutzt die Revolution und gefährdet alle Errungenschaften. Keine Minute länger dürfen die Massen ruhig zusehen, wie diese Gewalttäter und ihr Anhang die Tätigkeit der republikanischen Behörden lahmlegen... Mit Lüge, Verleumdung und Gewalt wollen sie alles niederreißen und niederschlagen, was sich ihnen entgegenzustellen wagt (...)
Wir haben die Revolution gemacht, um den Krieg zu beenden! Spartakus will eine neue Revolution, um einen neuen Krieg anzufangen.“ (SPD-Flugblatt Januar 1919)
Die Spartakisten waren Ende Dezember aus der USPD ausgetreten und hatten sich am 31.12./1.1. mit den Genossen der IKDv zur KPD zusammengeschlossen. Damit hatte die Arbeiterklasse eine inmitten der Kämpfe geborene Kommunistische Partei an ihrer Seite, die sofort zur Zielscheibe der Angriffe der SPD, des Hauptverteidigers des Kapitals, wurde.
Die KPD erkannte, daß die Aktivität der breitesten Arbeitermassen erforderlich war, um dieser Taktik des Kapitals gegenüberzutreten. „Nach der ersten Phase der Revolution, der des vorwiegend politischen Kampfes, kommt eine Phase des verstärkten, gesteigerten, in der Hauptsache ökonomischen Kampfes“ (Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD). Die SPD-Regierung wird mit den „emporlodernden Flammen des ökonomischen Klassenkampfes nicht fertig werden.“ (ebenda) Deshalb sollte das Kapital mit der SPD an seiner Spitze versuchen, eine weitere Verschärfung der Kämpfe dadurch zu verhindern, indem militärische Aufstände der Arbeiter angezettelt werden sollten. Durch eine frühzeitige Schwächung der Arbeiter in einer militärischen Niederschlagung – insbesondere in Berlin – sollte so schnell ein Zentrum der Arbeiterklasse getroffen werden, um dann schrittweise gegen den Rest der Klasse vorzugehen.
Die Falle des verfrühten Aufstands in Berlin
Ende Dezember hatte die Bourgeoisie die in Berlin stationierten Truppen neu organisiert. Mehr als 10’000 Mann starke Stoßtruppen standen ihr jetzt um Berlin zur Verfügung. Insgesamt hatte sie über 80’000 Soldaten um Berlin zusammengezogen. Anfang Januar wollte die Bourgeoisie erneut gegen die Arbeiter militärisch losschlagen. Am 4. Januar wurde der Polizeipräsident von Berlin, der im November von den Arbeitern ernannt worden war, Eichhorn, von der bürgerlichen Regierung entlassen. Dies sollte sofort als Herausforderung der revolutionären Arbeiterschaft empfunden werden. Am Abend des 4. Januar versammelten sich die revolutionären Obleutevi zu einer Sitzung, an der auch Liebknecht und Pieck im Namen der frisch gegründeten KPD teilnahmen. Es wurde ein ‘provisorischer Revolutions-Ausschuß’ gegründet, der sich auf den Kreis der Obleute stützte. Gleichzeitig gab es weiterhin den ‘Vollzugsrat’, der in der Zwischenzeit um einen ‘Zentralrat’ ergänzt worden war, und die beide unter der Vorherrschaft der SPD standen.
Für Sonntag, den 5. Januar, rief der revolutionäre Aktionsausschuß zu einer Protestkundgebung auf. Ca. 150’000 Menschen versammelten sich nach einer Demonstration vor dem Polizeipräsidium. Am Abend des 5. Januar besetzten einige Demonstranten – vermutlich aufgewiegelt durch Provokateure, jedenfalls ohne das Wissen und die Zustimmung des Aktionsausschusses – die Gebäude der SPD-Zeitung Vorwärts und anderer Verlage.
Aber die Bedingungen für einen Sturz der Regierung waren nicht vorhanden. So schrieb die KPD Anfang Januar 1919 in einem Flugblatt: „Würden die Berliner Arbeiter heute die Nationalversammlung auseinanderjagen, würden sie die Scheidemann-Ebert ins Gefängnis werfen, während die Arbeiter des Ruhrgebietes, Oberschlesiens, die Landarbeiter Ostelbiens ruhig bleiben, so würden die Kapitalisten morgen Berlin durch Aushungerung unterwerfen können. Der Angriff der Arbeiterklasse auf das Bürgertum, der Kampf um die Macht der Arbeiter- und Soldatenräte müssen das Werk des gesamten arbeitenden Volkes im ganzen Reiche werden. Nur wenn der Kampf der Arbeiter in Stadt und Land überall jeden Tag sich verschärft, zunimmt, wenn er zum reißenden Strome wird, der ganz Deutschland durchbraust, die Welle der Ausbeutung und Unterdrückung hinwegschwemmt, nur dann wird die Regierung des Kapitalismus, wird die Nationalversammlung gesprengt und auf ihren Ruinen die Regierung der Arbeiterklasse errichtet werden, die im weiteren Kampf gegen die Bourgeoisie das Proletariat zum vollen Siege führen wird. Deswegen darf unser Kampf gegen die Nationalversammlung weder in passiver Abstinenz, in einfacher Stimmenthaltung, noch in bloßer Störung der Wahlen, noch in dem bloßen Versuch der Auseinanderjagung der Nationalversammlung bestehen, es gilt, in diesem Kampfe Machtpositionen zu erobern.
... Arbeiter und Arbeiterinnen, Soldaten und Matrosen! Ruft überall Versammlungen ein und klärt die Volksmassen über den Schwindel der Nationalversammlung auf... In jeder Werkstatt, in jedem Truppenteil. seht Euch in jeder Stadt Euren Arbeiter- und Soldatenrat an, prüft, ob er wirklich gewählt worden ist, ob in ihm Vertreter des kapitalistischen Systems, Verräter der Arbeiterklasse, wie die Scheidemänner, oder haltlos hin- und herschwankende Gestalten, wie die Unabhängigen, sitzen. Dann klärt die Arbeiter auf, und setzt die Wahl von Kommunisten durch... Wo ihr die Mehrheit in den Arbeiterräten habt, da sorgt, daß diese Arbeiterräte mit ebensolchen Arbeiterräten in der Provinz in Verbindung treten... Verschleißt euch nicht in Euren Versammlungssälen, geht hinaus... klärt die anderen Arbeiter auf...
Wenn dieses Programm verwirklicht wird... wird Deutschland als Räterepublik zusammen mit der Räterepublik der russischen Arbeiter die Arbeiter Englands, Frankreichs, Italiens unter die Fahne der Revolution ziehen.“ (aus einem Flugblatt der KPD, Anfang Januar 1919 verteilt). Aus dieser Einschätzung geht hervor, daß sich die KPD darüber im klaren war, daß der Umsturz der Kapitalistenklasse noch nicht unmittelbar möglich war. Der Aufstand stand noch nicht auf der Tagesordnung.
Nach der riesigen Massendemonstration vom 5. Januar gab es am gleichen Abend erneut eine Sitzung der Obleute mit Beteiligung von Delegierten der USPD, KPD, und Vertretern der Garnisonstruppen. Unter dem Eindruck der machtvollen Demonstration versuchte man die Stimmung auszuloten. Von einer kampfbereiten Stimmung wurde bei den Truppen berichtet. Die Anwesenden wählten einen Aktionsausschuß aus 33 Mitgliedern, an dessen Spitze als Vorsitzender Ledebour (USPD), Scholze für die revolutionären Obleute und Liebknecht für die KPD traten. Für den darauffolgenden 6. Januar beschloß man den Generalstreik und eine erneute Demonstration.
Der Aktionsausschuß verteilte ein Flugblatt mit der Parole: ‘Auf zum Kampf um die Macht des revolutionären Proletariats’, Nieder mit der Regierung Ebert-Scheidemann’.
Soldaten kamen und erklärten dem Aktionsausschuß ihre Solidarität. Eine Soldatendelegation versicherte, sie werde sich auf die Seite der revolutionären Arbeiterschaft stellen, wenn man die vorhandene Ebert-Scheidemann-Regierung für abgesetzt erkläre. Liebknecht für die KPD und Scholz für die revolutionären Obleute unterschrieben daraufhin ein Dekret, die Regierung sei abgesetzt, der Revolutionsausschuß habe die Regierungsgeschäfte übernommen. Am 6. Januar demonstrierten ca. 500.000 auf der Straße, in allen Stadtteilen fanden Demonstrationen und Versammlungen statt, die Arbeiter der Großbetriebe forderten Waffen. Die KPD forderte die Bewaffnung der Arbeiter und die Entwaffnung der Konterrevolutionäre.
Während jedoch diese Parole „Nieder mit der Regierung“ vom Aktionsausschuß ausgegeben worden war, unternahm der Ausschuß selber keine ernsthaften Versuche, um diese Ausrichtung umzusetzen. In den Betrieben wurden keine Kampftruppen aufgestellt, es wurde nicht versucht, die Staatsgeschäfte in die Hand zu nehmen, die alte Regierung zu lähmen. Der Aktionsausschuß besaß nicht nur keinen Aktionsplan, er wurde gar am 6. Januar von Marinesoldaten aufgefordert, ein Gebäude, wo er tagte, zu verlassen – was er tat!
Die demonstrierenden Arbeitermassen warteten in den Straßen auf Anweisungen, während die Führer ratlos tagten. Während die Führung des Proletariats wankte und schwankte, abwartete, zögerte, selbst keinen Plan hatte, erholte sich die SPD-geführte Regierung schnell vom Schock des ersten Widerstands der Arbeiterklasse. Sobald sich die Schwäche der Revolutionäre und der Mangel an Führung offenbarte, straffte sich auf der Gegenseite die Entschlossenheit und von allen Seiten wuchsen ihr jetzt Hilfskräfte zu. Die SPD rief zu Streiks und Demos zur Unterstützung der Regierung auf. Es war die Partei der ‘Demokratie’, die die gewaltigste Hetze gegen die Kommunisten startete: „Wo Spartakus herrscht, ist jede persönliche Freiheit und Sicherheit aufgehoben. Dem deutschen Volke und insbesondere der deutschen Arbeiterschaft drohen die schlimmsten Gefahren. Wir wollen uns nicht länger von Irrsinnigen und Verbrechern terrorisieren lassen. Es muß endlich Ordnung in Berlin geschaffen und der ruhige Aufbau des neuen revolutionären Deutschland gesichert werden. Wir fordern euch auf, zum Protest gegen die Gewalttaten der Spartakusbanden die Arbeit einzustellen und sofort vor dem Haus der Reichsregierung zu erscheinen.
Arbeiter, Soldaten, Genossen!... Ihr müßt jetzt bereit sein, Euch mit Eurer ganzen Person für die revolutionäre Ordnung einzusetzen. Zu diesem Zweck fordern wir Euch auf, eine freiwillige republikanische Schutzwehr zu bilden. Bringt Eure Partei- und gewerkschaftliche Legitimation mit. Nähere Anweisungen werden Euch gegeben. Wir dürfen nicht eher ruhen, als bis die Ordnung in Berlin wieder hergestellt und dem ganzen Volke der Genuß der revolutionären Errungenschaften gesichert ist. Nieder mit den Mördern und Verbrechern. Hoch die sozialistische Republik – Vorstand der SPD, 6. Januar 1919.“
Die Arbeitsstelle Berliner Studenten schrieb: „Ihr bürgerlichen kommt heraus aus Euren Häusern und stellt Euch Schulter an Schulter mit den Mehrheitssozialisten! Höchste Eile tut not!“ (Flugblatt vom 7./8. Januar)
„Die Reichsregierung hat mir die Führung der republikanischen Soldaten übertragen. Ein Arbeiter steht also an der Spitze der Macht der sozialistischen Republik. Ihr kennt mich und meine Vergangenheit in der Partei. Ich bürge Euch dafür, daß kein unnützes Blut vergossen wird. Ich will säubern, nicht vernichten. Die Einigkeit der Arbeiterklasse muß gegen Spartakus stehen, wenn Demokratie und Sozialismus nicht untergehen sollen.“ (Noske 11. Januar 1919)
Der Zentralrat, der vom Reichskongreß „ernannt“ worden war und vor allem von der SPD beherrscht wurde, erklärte: „..eine kleine Minderheit ist bestrebt, eine brutale Gewaltherrschaft zu errichten. Das verbrecherische, alle Errungenschaften der Revolution gefährdende Treiben bewaffneter Banden hat uns genötigt, der Reichsleitung (Reichsregierung) außerordentliche Vollmachten zu erteilen, damit in Berlin endlich einmal die Ordnung ...wiederhergestellt werden kann. Alle Meinungsverschiedenheiten im einzelnen müssen jetzt zurückgestellt werden hinter dem Ziel... das ganze werktätige Volk vor neuem furchtbaren Unglück zu bewahren. Es ist die Pflicht aller Arbeiter- und Soldatenräte, uns und die Reichsleitung (die Regierung) dabei mit allen Mitteln zu unterstützen... – Der Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik“ (Extrablatt Vorwärts, 6. Januar 1919).
Im Namen der Revolution und der Interessen der Arbeiterklasse trat die SPD (mit ihren Komplizen) nun auf und bereitete sich darauf vor, die Revolutionäre zu massakrieren. Mit der spitzfindigsten Doppelzüngigkeit rief sie die Arbeiterräte dazu auf, sich hinter die Regierung zu stellen, um nun gegen die ‘bewaffneten Banden’ vorzugehen. Die SPD selbst stellte eine militärische Abteilung auf, die in Kasernen Waffen erhielt, und man ernannte Noske zum Chef der Repressionstruppen. „Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht“.
Schon am 6. Januar kam es zu vereinzelten Gefechten, während die Regierung um Berlin immer mehr Truppen zusammenzog, tagte am Abend des 6. Januar der Berliner Vollzugsrat. Der Berliner Vollzugsrat, von SPD und USPD beherrscht, schlug dem revolutionären Aktionsausschuß Verhandlungen zwischen den revolutionären Obleuten und der SPD-Regierung vor, zu deren Sturz der Aktionsausschuß gerade erst aufgerufen hatte. D.h. anstatt an der Spitze der Bewegung gegen die Regierung zu stehen, setzte sich der Vollzugsrat zwischen zwei Stühle. Der Vollzugsrat wollte als ‘versöhnende Kraft’ auftreten, indem das Unversöhnliche versöhnt wurde. Dieser Schritt des Vollzugsrates brachte die bis dahin abwartenden und zögernden Soldaten ganz ins Schwanken. Die Matrosen erklärten, sie wollten sich nunmehr ‘neutral’ verhalten. Jedes Schwanken kann schnell zu einem Vertrauensverlust in die Fähigkeit der Arbeiterklasse selbst, vor allem aber zu Mißtrauen gegenüber den politischen Organisationen der Arbeiterklasse führen.
Die SPD schaffte es so, die Arbeiterklasse zutiefst zu schwächen. Gleichzeitig setzte sie Provokateure ein (wie sich später herausstellte), die die Arbeiter zu Zusammenstößen trieb. So wurden am 7. Januar verschiedene Zeitungsredaktionen besetzt.
Die Leitung der KPD hatte gegenüber den Unternehmungen in Berlin und dem von den revolutionären Obleuten gefaßten Beschluß auf Eroberung der politischen Gewalt eine klare Position: Ausgehend von der Einschätzung der Lage auf dem Gründungsparteitag der KPD, hielt die KPD den Zeitpunkt für einen Aufstand für verfrüht.
Am 8. Januar schrieb die ‘Rote Fahne’: „Heute gilt es also, die Arbeiter- und Soldatenräte neu zu wählen, den Vollzugsrat neu zu besetzen unter der Losung: Hinaus mit den Ebert und Anhängern! Heute gilt es, die Erfahrungen der letzten 8 Wochen in den A- und S-Räten zum Ausdruck zu bringen, solche A- und S-Räte zu wählen, die der Auffassung, den Zielen und Bestrebungen der Massen entsprechen. Es gilt mit einem Wort, die Ebert-Scheidemann vor allem in den Fundamenten der Revolution, in den A- und S-Räten zu schlagen. Dann, aber erst dann werden die Berliner Massen und ebenso die Massen im ganze Reiche in den A- und S-Räten revolutionäre Organe haben, die ihnen in allen entscheidenden Momenten wirkliche Führer, wirkliche Zentren der Aktion, der Kämpfe und Siege abgeben werden.“ (Rote Fahne, 8. Januar) Die Spartakisten drängten somit die Arbeiterklasse zu einer Intensivierung des Druckes vor allem in den Arbeiterräten, indem die Kämpfe auf ihrem eigenen Boden in den Fabriken geführt werden sollten und indem Ebert, Scheidemann & Co. davongejagt werden. Indem der Druck in den Räten erhöht würde, könnte die Bewegung einen neuen Anschub erhalten, um die Schlacht um die Machtergreifung anzutreten.
Am 8. Januar übten Rosa Luxemburg und Leo Jogiches scharfe Kritik am Aufruf zum unmittelbaren Sturz der Regierung, der vom Revolutionsausschuß aufgestellt wurde, aber auch und vor allem daran, daß dieser wegen seiner zögernden und kapitulantenhaften Haltung unfähig war, die Bewegung der Klasse zu leiten. Insbesondere warfen sie Karl Liebknecht vor, auf eigene Faust zu handeln, sich durch seinen Enthusiasmus und seine Ungeduld hinreißen zu lassen, anstatt sich an die Beschlüsse der Partei zu halten und sich auf das Programm und die Einschätzung der Partei zu stützen und daran zu halten.
Diese Situation zeigte, daß es weder an einem Programm noch an politischen Analysen der Lage mangelte, sondern an der Fähigkeit der Partei, als Organisation ihre politische Führungsrolle der Arbeiterklasse zu übernehmen. Die erst wenige Tage alte KPD hatte nicht den Einfluß und noch weniger die Solidität und den organisatorischen Zusammenhalt, den insbesondere die Bolschewistische Partei 1917 in Rußland hatte. Diese Unreife der KPD war der Grund für die Zerstreuung in ihren Reihen, die später eine schwere und dramatische Bürde darstellen sollte.
In der Nacht vom 8. auf den 9. Januar überfielen Regierungstruppen Arbeiter. Der Aktionsausschuß, der das Kräfteverhältnis noch immer nicht richtig einschätzte, drängte auf ein Losschlagen gegen die Regierung, obwohl diese selbst im Aufwind war: „Auf zum Generalstreik, auf zu den Waffen... Es gibt keine Wahl! Es muß gekämpft werden bis aufs Letzte“. Dem Aufruf folgten viele Arbeiter, warteten jedoch erneut vergeblich auf präzise Anweisungen des Ausschusses, was konkret zu tun sei. Nichts geschah, um die Massen zu organisieren, die Verbrüderung der revolutionären Arbeiter mit den Truppen herbeizuführen... Die Regierungstruppen marschierten unterdessen in Berlin ein und lieferten den bewaffneten Arbeitern tagelang heftige Straßenkämpfe. Bei immer wieder aufflammenden Zusammenstößen in verschiedenen Stadtteilen Berlins wurden unzählige Arbeiter erschossen und verletzt. Die Kämpfe dauerten nahezu eine Woche. Am 13. Januar wurde von der USPD-Führung der Generalstreik für beendet erklärt. Am 15. Januar wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von den Schergen des sozialdemokratisch geführten Regimes ermordet! Die Kampagne ‘Tötet Liebknecht’ war ‘erfolgreich’ abgeschlossen. Die KPD war ihrer besten Führer beraubt!
Während die frisch gegründete KPD das Kräfteverhältnis für richtig eingeschätzt hatte und vor einem Aufstand gewarnt hatte, hatte der von den revolutionären Obleuten dominierte Aktionsausschuß die Lage falsch eingeschätzt. Es ist deshalb eine Geschichtsverfälschung von einer sogenannten ‘Spartakuswoche’ zu reden. Die Spartakisten hatten sich gegen überstürzte Schritte ausgesprochen. Der Bruch der Parteidisziplin durch Liebknecht und Pieck darf nicht das Bild entstehen lassen, der Spartakusbund hätte diese Kämpfe angezettelt. Es war das überstürzte, vor Ungeduld brennende und letztendlich kopflose Verhalten der revolutionären Obleute, die für das Fiasko verantwortlich sind. Die KPD besaß zu dem Zeitpunkt nicht die Kraft, die Bewegung zurückzuhalten – so wie es im Juli 1917 die Bolschewiki geschafft hatten. Der spätere Polizeichef gab dies zu: „Ein Erfolg der Spartakusleute war von vornherein ausgeschlossen, da wir sie durch unsere Vorbereitungen zum früheren Zuschlagen genötigt haben. Ihre Karten wurden früher aufgedeckt, als sie es wünschten, und wir waren daher in der Lage, ihnen entgegenzutreten“ (Polizeipräsident Ernst (SPD), der den alten abgelöst hatte).
Die Bourgeoisie verspürte jedoch sofort, daß nach ihrem militärischen Erfolg sie diesen weiter ausbauen mußte. In einer Welle blutiger Repression wurden tausende Berliner Arbeiter, Kommunisten ermordet, mißhandelt und gefangengenommen. Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war keine Ausnahme, sondern die wilde Entschlossenheit der Bourgeoisie, ihre Todfeinde, die Revolutionäre, auszulöschen. Am 19. Januar triumphierte dann die Demokratie – die Wahlen zur Nationalversammlung fanden statt. Die Regierung hatte unter dem Druck der Arbeiterkämpfe ihren Sitz nach Weimar verlegt. Die deutsche Demokratie, die Weimarer Republik, wurde nach und erst dank dem Massaker an der Arbeiterklasse geboren.
Der Aufstand – nur eine Frage der Partei?
Hinsichtlich der Frage des Aufstands stützte sich die KPD klar auf die Positionen des Marxismus und insbesondere auf die Aussagen von Friedrich Engels nach der Erfahrung von 1848:
„Nun ist der Aufstand eine Kunst. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Werte sich jeden Tag ändern können; die Kräfte des Gegners haben alle Vorteile der Organisation, der Disziplin und der hergebrachten Autorität auf ihrer Seite; kann man ihnen nicht mit starker Überlegenheit entgegentreten, so ist man geschlagen und vernichtet. Zweitens, hat man einmal den Weg des Aufstands beschritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands; er ist verloren, noch bevor er sich mit dem Feinde gemessen hat. Überrasche deinen Gegner, solange seine Kräfte zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch noch so kleine Erfolge; erhalte dir das moralische Übergewicht, das der Anfangserfolg der Erhebung dir verschafft hat; ziehe so die schwankenden Elemente auf deine Seite, die immer dem stärksten Antrieb folgen und sich immer auf die sichere Seite schlagen; zwinge deine Feinde zum Rückzug, noch ehe sie ihre Kräfte gegen dich sammeln können...“ (Engels in ‘Revolution und Konterrevolution in Deutschland’, 1848, geschrieben 1851, in MEW Bd. 8, S.. 95).
Die Spartakisten hatten die gleiche Herangehensweise gegenüber der Aufstandsfrage wie Lenin im April 1917.
„Um erfolgreich zu sein, darf sich der Aufstand nicht auf eine Verschwörung, nicht auf eine Partei stützen, er muß sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen. Dies zum ersten. Der Aufstand muß sich auf den revolutionären Aufschwung des Volkes stützen. Dies zum zweiten. Der Aufstand muß sich auf einen solchen Wendepunkt in der Geschichte der anwachsenden Revolution stützen, wo die Aktivität der vordersten Reihen des Volkes am größten ist, wo die Schwankungen in den Reihen der Feinde und in den Reihen der schwachen, halben, unentschlossenen Freunde der Revolution am stärksten ist. Dies zum dritten. Durch diese drei Bedingungen eben unterscheidet sich der Marxismus in der Behandlung der Frage des Aufstands vom Blanquismus“ (Lenin, Marxismus und Aufstand, Brief an das ZK der SDAPR, geschrieben 13. Sep. 1917, in Werke Bd. 26, S. 4)
Wie stand es im Januar 1919 konkret um die von Lenin genannten Kriterien?
Der Aufstand stützt sich auf den revolutionären Aufschwung der Klasse
Die Analyse der KPD auf ihrem Gründungskongreß war: Die Klasse ist noch nicht reif für den Aufstand. Nach der anfänglich von Soldaten dominierten Bewegung hätte jetzt ein neuer Schub aus den Betrieben, neuer Druck aus den Versammlungen und Demonstrationen der Arbeiter kommen müssen. Dies hätte der Bewegung Auftrieb und mehr Selbstvertrauen geben müssen. Wenn der Aufstand kein Putschversuch seitens einiger verzweifelter und ungeduldiger Elemente sein sollte, sondern sich auf den ‘revolutionären Aufschwung der Arbeiterklasse’ stützen mußte, wäre diese Intensivierung des Kampfes notwendig gewesen.
Zudem hatten die Arbeiterräte im Januar noch lange nicht die Zügel in der Hand, war die Doppelmacht durch die Arbeiterräte aufs heftigste von der SPD sabotiert worden. Wie im letzten Artikel dargestellt, war der Reichsrätekongreß Mitte Dezember ein Sieg der Bourgeoisie gewesen, und es war noch zu keiner Neubelebung der Arbeiterräte gekommen. Die Einschätzung des Kräfteverhältnisses, der Dynamik der Entwicklung, die die KPD hatte, war realistisch.
Manche meinen, die Partei solle die Macht ergreifen. Aber dann soll man erklären, wie eine noch so starke Partei das machen kann, wenn große Teile der Arbeiterklasse ihr Bewußtsein noch nicht ausreichend entwickelt haben, noch zögerlich sind und schwanken, wenn die Arbeiterklasse noch nicht einmal ausreichend starke Arbeiterräte gebildet hat, die sich dem bürgerlichen Regime entgegenstellen können. Aus unserer Sicht steckt dahinter ein grundsätzliches Verkennen der fundamentalsten Charakteristiken einer proletarischen Revolution und des Aufstandes, der, wie Lenin an erster Stelle hervorhob, ‘keine Verschwörung der Partei sein kann, sondern sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen muß’. Es sei denn, man hat eine blanquistische, putschistische Auffassung? Selbst im Oktober 1917 bestanden die Bolschewiki nachdrücklich darauf, daß nicht die Bolschewistische Partei die Macht ergreift, sondern der Petrograder Sowjet.
Der Aufstand ist keine Frage der ‘Deklaration von Oben’, der dann die Massen folgen müssen, sondern die Massen selber müssen vorher genügend Eigeninitiative und Kontrolle über ihre Kämpfe entwickelt haben, daß sie im Moment des Aufstands tatsächlich den Anweisungen und Orientierungen der Räte und der Partei bewußt folgen.
Deshalb ist ein proletarischer Aufstand kein Putsch oder ein Handstreich – wie die bürgerlichen Ideologen es sich nur vorstellen können, sondern das Werk der Arbeiterklasse selbst. Denn, damit das Proletariat das Joch des Kapitalismus abschüttelt, reichen nicht allein der Wille und die Entschlossenheit der Revolutionäre, d.h. des klarsten und entschlossensten Teils der Klasse. „...das aufständische Proletariat kann nur auf seine zahlenmäßige Stärke, seine Geschlossenheit, seine Kader, seinen Stab rechnen“ (Trotzki, Geschichte der russischen Revolution, Die Kunst des Aufstands, S. 833).
Dieser Reifegrad war aber in der Klasse im Januar in Deutschland noch nicht erreicht.
Die zentrale Rolle der Kommunisten
Die Kommunisten erkannten deshalb im Januar ihre Aufgabe, die Arbeiterklasse durch unermüdliche ‘Aufklärungsarbeit’ weiter voranzudrängen. Nichts anderes als das hatte Lenin in seinen Aprilthesen im April 1917 betont:
„Es scheint, als sei das ‘bloß’ propagandistische Arbeit. In Wirklichkeit ist es im höchsten Grade praktische revolutionäre Arbeit, denn man kann eine Revolution nicht vorwärtstreiben, die zum Stillstand gekommen, die in Redensarten versandet ist, die ‘auf der Stelle tritt’ nicht etwa äußerer Hindernisse wegen, nicht weil die Bourgeoisie Gewalt gegen sie anwendet, sondern weil die Massen in blinder Vertrauensseligkeit befangen sind. Nur durch den Kampf gegen diese blinde Vertrauensseligkeit ... können wir uns von der grassierenden revolutionären Phrase befreien und wirklich sowohl das Bewußtsein des Proletariats als auch das Bewußtsein der Massen sowie ihre kühne, entschlossene Initiative ...vorantreiben.“ (Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution“, Bd 24, S. 47)
Wenn der Siedepunkt dann erreicht ist, muß gerade die Partei ‘den Moment für das Angriffssignal richtig erfassen’ (Trotzki) können, um die Klasse zum richtigen Zeitpunkt zum Aufstand zu drängen. Die Klasse muß ‘über sich eine weitblickende, feste und sichere Leitung (in Form der Partei) fühlen’. (Trotzki).
Im Gegensatz zu den Bolschewiki im Juli 1917 hatte die KPD im Januar 1919 noch längst nicht soviel Gewicht, daß sie den Lauf der Kämpfe entscheidend hätte mitbestimmen können. Es reicht nicht, daß die Partei eine richtige Position hat, sie muß auch ein entsprechendes Gewicht in der Klasse haben. Und weder die verfrühte Aufstandsbewegung in Berlin noch weniger die darauf folgende blutige Niederlage ermöglichten es, dieses Gewicht aufzubauen. Die Bourgeoisie dagegen schaffte es, die revolutionäre Vorhut zu schwächen, indem ihre besten Militanten umgebracht wurden und ihr Hauptinterventionsinstrument in der Klasse, ‘Die Rote Fahne’ zum Schweigen gebracht wurde. In einer Zeit, als die breitest mögliche Intervention der KPD erforderlich war, stand die KPD wochenlang ohne Presse da.
Das Drama der zersplitterten Kämpfe
International traten in diesen Wochen die Arbeiter in mehreren Ländern dem Kapital entgegen. Während in Rußland die Offensive der konterrevolutionären Weißen Truppen gegen die Arbeitermacht sich verstärkte, hatte das Kriegsende gleichzeitig zu einer Beruhigung in den ‘Siegerländern’ an der Klassenfront geführt. In England und Frankreich gab es zwar auch eine Reihe von Streiks, aber die Kämpfe schlugen nicht die radikale Richtung ein wie in Deutschland und Rußland. Die Arbeiter in Deutschland und in Mitteleuropa schlugen sich relativ abgeschnitten vom Rest der Klasse in den anderen Industriezentren. Im März errichteten die Arbeiter in Ungarn eine Räterepublik, die nach wenigen Wochen von konterrevolutionären Truppen niedergemetzelt wurde.
Nachdem sie den Arbeiteraufstand in Berlin niedergeschlagen hatte, betrieb die Bourgeoisie eine Politik des Versuchs der Auflösung der Soldatenräte; sie wollte eine Bürgerkriegsarmee aufstellen. Darüber hinaus strebte sie die systematische Entwaffnung der Arbeiterklasse an. Aber die Kampfbereitschaft der Arbeiter flammte immer noch an vielen Orten auf. In den darauf folgenden Monaten entfaltete sich eine Reihe von zerstreuten Kämpfen in ganz Deutschland, wobei es in nahezu jeder großen Stadt zu heftigen Zusammenstößen zwischen Kapital und Arbeit kam, die aber isoliert voneinander blieben.
Bremen im Januar ...
Am 10. Januar rief in Bremen der Arbeiter- und Soldatenrat aus Solidarität mit den Berliner Arbeitern die Republik aus. Er verkündete die Entfernung der SPD-Mitglieder aus dem Arbeiterrat, Bewaffnung der Arbeiter, Entwaffnung der bürgerlichen Elemente. Der Arbeiter- und Soldatenrat ernannte eine Räteregierung, die ihm gegenüber rechenschaftspflichtig war. Am 4. Februar hatte die Reichsregierung ausreichend Truppen vor Bremen versammelt, um die isoliert gebliebene Stadt mit ihrem Arbeiter- und Soldatenrat anzugreifen. Am gleichen Tag noch fiel Bremen in die Hände der Bluthunde.
Das Ruhrgebiet im Februar ...
Auch im Ruhrgebiet, der größten Konzentration von Arbeitern, flammte die Kampfbereitschaft nach Beendigung des Krieges weiter auf. Noch vor dem Krieg hatte es 1912 eine längere Streikwelle gegeben, dann reagierten die Arbeiter im Juli 1916, im Januar 1917, Januar 1918, August 1918 mit großen Streiks gegen den Krieg. Im November 1918 befanden sich die dort entstandenen Arbeiter- und Soldatenräte meist noch unter dem Einfluß der SPD. Vor allem ab Januar und Februar 1919 brachen viele wilde Streiks aus. Streikende Belegschaften zogen zu Nachbarzechen und bewogen sie zum Anschluß. Da kam es oft zu gewalttätigen Zusammenstößen mit Arbeiterräten, die in dieser Phase noch von der SPD beherrscht wurden. Die KPD trat für folgende Orientierung ein:
„Die Machtergreifung durch das Proletariat und die Durchführung des Sozialismus hat zur Voraussetzung, daß die überwiegende Mehrheit des Proletariats sich zum Willen hindurchringt, die Diktatur zu ergreifen. Wir glauben nicht, daß dieser Augenblick schon gekommen ist. Wir glauben, daß die Entwicklung der nächsten Wochen und Monate erst das Proletariat als Gesamtheit zu der Auffassung wird heranreifen lassen, daß nur in seiner Diktatur sein Heil liegt. Die Regierung Ebert-Scheidemann lauert auf die Gelegenheit, diese Entwicklung im Blut zu ersticken. Wie in Berlin, wie in Bremen wird sie versuchen, Revolutionsherde einzeln zu ersticken, um so der allgemeinen Revolution zu entgehen. Das Proletariat hat die Pflicht, diese Provokationen zuschaden zu machen, indem es vermeidet, in bewaffneten Aufständen den Henkern Opfer freiwillig anzubieten. Es gilt vielmehr, bis zu dem Augenblick der Machtergreifung die revolutionäre Energie der Masse in Demonstrationen, in Versammlungen, in Propaganda, Agitation und Organisation aufs höchste zu steigern, die Massen in immer größerem Umfang zu gewinnen und die Geister bereit zu machen für die kommende Stunde. Vor allem ist überall auf die Neuwahl der Arbeiterräte zu dringen unter der Parole:
Heraus mit den Ebert-Scheidemännern aus den Arbeiterräten!
Heraus mit den Henkern!“
(Aufruf der Zentrale der KPD vom 3. Februar 1919 zur Neuwahl der Arbeiterräte)
Am 6. Februar tagten die Delegierten von 109 Arbeiter- und Soldatenräten des Ruhrgebiets und forderten die Sozialisierung der Produktionsanlagen. Hinter der Sozialisierungsforderung stand die wachsende Erkenntnis der Arbeiter, daß die Kontrolle über die Produktionsmittel nicht in den Händen des Kapitals bleiben durfte. Solange jedoch die Arbeiter noch nicht die politische Macht in den Händen halten, noch nicht die bürgerliche Regierung gestürzt ist, kann sich diese Forderung als Bumerang erweisen. Denn wenn es vorher keinen politischen Sturz der Bourgeoisie gegeben hat, dann sind alle Sozialisierungsmaßnahmen ohne politische Macht in den Händen der Arbeiter nicht nur Sand in den Augen, sondern auch ein Mittel, um den Kampf abzuwürgen. So versprach die SPD ein Sozialisierungsgesetz, mit dem eine staatliche Scheinkontrolle unter ‘Mitwirkung der Arbeiterschaft’ angeboten werden sollte. „Die Arbeiterräte werden als wirtschaftliche Interessensvertretung grundsätzlich anerkannt und in der Verfassung verankert. Wahl und Aufgaben werden durch ein sofort zu veranlassendes besonderes Gesetz geregelt.“ (Gesetzestext).
Gleichzeitig sollten die Arbeiterräte in Betriebsräte umgewandelt werden. Ihre Funktion sollte nunmehr sein: kontrollierend und mitbestimmend im Wirtschaftsprozeß mitzuwirken.
Das Ziel dieses Vorgehens war: Abstumpfung der Arbeiterräte, ihre Integration in den Staat. Sie sollten nicht mehr als Organ der Doppelmacht gegen den kapitalistischen Staat wirken, sondern der Regelung der kapitalistischen Produktion dienen. Diese Mystifizierung läßt den Glauben aufkommen, man könne jetzt sofort ‘in seiner Fabrik’ mit der Umwälzung der Produktion beginnen, die Arbeiter werden leicht auf die lokalen, fabrikspezifischen Bedingungen fixiert – anstatt in dieser Phase für die internationale Ausdehnung und Vereinigung der Kämpfe einzutreten.. Diese Taktik, die zum ersten Mal von der deutschen Bourgeoisie ansatzweise eingesetzt wurde, äußerte sich dann in Betriebsbesetzungen. In den Kämpfen in Italien 1919/1920 sollte sie von der Bourgeoisie dort mit großen Erfolg eingebracht werden.
Ab dem 10. Februar waren die Truppen, die vorher in Berlin und Bremen ihr Blutbad angerichtet hatten, im Anmarsch aufs Ruhrgebiet. Die Arbeiter- und Soldatenräte des gesamten Industriegebietes beschlossen, den Generalstreik und den bewaffneten Kampf gegen die Freiwilligenkorps aufzunehmen. Überall erscholl der Ruf ‘Heraus aus den Betrieben’. Es gab eine Unmenge von militärischen Zusammenstößen. Und wieder das gleiche Bild: Die SPD rief zur Beendigung der Streiks auf. Wieder bildete sie militärische Abteilungen zum Kampf gegen streikende Arbeiter. Die Rage der Arbeiter war oft so groß, daß SPD-Gebäude angegriffen wurden. So am 22. Februar in Mülheim-Ruhr. Dort beschossen Kommunisten eine SPD-Versammlung mit Maschinengewehrfeuer. In Gelsenkirchen, Dortmund, Bochum, Duisburg, Oberhausen, Wuppertal, Mülheim-Ruhr und Düsseldorf standen bewaffnete Arbeiter und Soldaten in größerer Anzahl. Aber auch hier fehlte es wie zuvor schon in Berlin an Leitung und Organisation. Während der gesamte Staatsapparat mit der SPD an der Spitze zentralisiert gegen die Arbeiter vorgehen konnte, gab es keine einheitliche, die Kraft der Arbeiter steuernde Leitung.
Bis zum 20. Februar streikten über einen Monat lang ca. 150’000 Arbeiter. Am 25. Februar wurde die Wiederaufnahme der Arbeit beschlossen, der bewaffnete Kampf eingestellt. Wieder konnte die Bourgeoisie ihre Repression ungehindert ausüben. Freikorps besetzten im Ruhrgebiet eine Stadt nach der anderen. Dennoch kam es Anfang April wieder zu einem Generalstreik. Am 1. April streikten 150’000, am 10. April 300’000 und Ende April war die Zahl der Streikenden wieder gefallen auf 130’000. Ab Mitte April erneut Repression und Jagd auf Kommunisten.
Gleichzeitig standen in Württemberg, Braunschweig, Berlin, Frankfurt, Danzig, Mitteldeutschland große Massen im Streik. Das Ruhrgebiet war für die Bourgeoisie eine Priorität, es mußte zur Ruhe gebracht werden.
Mitteldeutschland im Februar und März ..
Als Ende Februar die Bewegung im Ruhrgebiet abgeflacht war, die Truppen dort die Oberhand gewonnen hatten, tauchte auch das Proletariat in Mitteldeutschland wieder auf der Bühne auf. Während die Bewegung sich im Ruhrgebiet auf Kohle und Stahl beschränkt hatte, erfaßte sie in Mitteldeutschland die ganze Industrie-Arbeiterschaft und den Transportbereich. In nahezu allen Städten und größeren Betrieben beteiligten sich die Arbeiter an der Bewegung.
Am 24. Februar wurde ein Generalstreik ausgerufen, d.h. 3 Tage nach Ende der Bewegung im Ruhrgebiet. Sofort erließen die Arbeiter- und Soldatenräte einen Aufruf an Berlin, daß es sich anschließen sollte. Auch hier lag der KPD nichts an einer überstürzten Aktion: „solange die Revolution noch nicht ihre zentralen Aktionsorgane hat, müssen wir die an Tausende Punkte ansetzende lokale Aktion der Räteorganisation entgegensetzen.“ (Flugblatt der Zentrale der KPD) Verstärkung des Drucks aus den Betrieben! Intensivierung der ökonomischen Kämpfe und Erneuerung der Räte! Weitergehende Forderungen nach dem Sturz der Regierung wurden nicht erhoben.
Auch hier schaffte es die Bourgeoisie jedoch mit einem Abkommen über die angestrebte Sozialisierung der Bewegung die Spitze zu brechen. Am 6./7. März wurde die Arbeit wieder aufgenommen.
Und wiederum das gleiche Nachstoßen des Militärs und der SPD: „Bei allen militärischen Unternehmungen... ist rechtzeitig Fühlung mit den regierungstreuen führenden SPDlern zu nehmen“ (Maercker, militärischer Führer der Niederschlagung in Mitteldeutschland).
Nachdem die Streikwelle auf ganz Sachsen, Thüringen, Anhalt übergegriffen hatte, übten die Schergen der Bourgeoisie in Mitteldeutschland ihre Repression bis Mai.
Wieder Berlin im März ...
Nachdem die Bewegung im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland ihrem Ende zuneigte, trat am 3. März das Proletariat in Berlin in einen Generalstreik. Die Orientierung war: Verstärkung der Arbeiter- und Soldatenräte, Freilassung aller politischer Gefangenen, Bildung einer revolutionären Arbeiterwehr, Kontaktaufnahme mit Rußland.
Die rapide Verschlechterung der Lage der Bevölkerung nach dem Krieg, explodierende Preise, aufkommende Massenarbeitslosigkeit nach der Demobilisierung trieben die Arbeiter zu verstärkten Abwehrkämpfen. Auch in Berlin traten die Kommunisten dafür ein, durch eine Neuwahl in den Arbeiterräten eine größere Druckwelle gegen die Regierung nach den Wahlen zur bürgerlichen Nationalversammlung aufzubauen. Die Bezirksleitung Groß-Berlin der KPD schrieb: „Glaubt ihr, eure revolutionären Ziele mit dem Stimmzettel zu erreichen? .... Wollt ihr die Revolution weitertreiben, dann setzt eure ganze Kraft ein für die Arbeit in den A.- und S.-Räten. Sorgt dafür, daß sie ein wirkliches Instrument der Revolution werden. Sorgt für Neuwahlen zu den Arbeiter- und Soldatenräten.“
Die SPD stemmte sich jedoch gegen Neuwahlen zu den Arbeiterräten und zum Vollzugsrat. Auch hier wieder Sabotage der Kämpfe mit politischen und – wie wir sehen werden- mit militärischen Mitteln. Als die Berliner Arbeiter Anfang März in den Streik traten, übernahm der Vollzugsrat die Leitung des Streiks. Wieder wurde der Vollzugsrat aus Delegierten der SPD und USPD zusammengesetzt. Die KPD wollte nicht mit der SPD in einer Streikleitung sitzen. ‘Die Vertreter dieser Politik in die Streikleitung zu übernehmen, bedeutet den Verrat an dem Generalstreik und an der Revolution.’
Wie es heute immer wieder die Sozialdemokraten und Stalinisten und andere Vertreter der extremen Linken tun, schaffte es die SPD, sich dank der Leichtgläubigkeit der Arbeiter aber auch durch alle möglichen Tricks und Täuschungsmanöver in die Streikleitung einzuschleichen. Die KPD ließ sich nicht von einer Bloßstellung dieser Henker der Arbeiterklasse abbringen.
Die Regierung verbot die Veröffentlichung der ‘Roten Fahne’, während die SPD ihre Zeitung ‘Vorwärts’ weiter drucken lassen konnte. Die Konterrevolutionäre konnten ungehindert sprechen, die Revolutionäre sollten zum Schweigen verurteilt werden!
Aus Vorsicht vor Angriffen konterrevolutionärer Truppen im Streik und bei Demonstrationen warnte die „Rote Fahne“: „Laßt die Arbeit ruhen! Bleibt vorläufig in den Betrieben. Versammelt Euch in den Betrieben. Klärt die Zaghaften und Zurückgebliebenen auf! Laßt euch nicht in unnütze Schießereien ein, auf die der Noske nur lauert, um neues Blut zu vergießen!“
Frühzeitig jedoch schon initiierte die Bourgeoisie Plünderungen, die als offizielle Rechtfertigung für den Einsatz des Militärs dienten. Noske-Soldaten zerstörten als allererstes die Redaktionsräume der „Roten Fahne“. Führende KPD-Mitglieder wurden wieder in Haft genommen, Leo Jogiches erschossen. Gerade weil die ‘Rote Fahne’ die Arbeiterklasse vor den Provokationen der Bourgeoisie gewarnt hatte, wurde die ‘Rote Fahne’ zur sofortigen Zielscheibe der konterrevolutionären Truppen.
Die Repression in Berlin begann am 4. März. Ca. 1.200 Arbeiter wurden erschossen, wochenlang wurden Leichen in der Spree ans Ufer gespült. Wer ein Bild von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht besaß, wurde verhaftet. Wir betonen erneut: Nicht Faschisten zeichneten für diese blutrünstige Repression verantwortlich, sondern die SPD!
Als am 6. März der Generalstreik in Mitteldeutschland abgebrochen wurde, wurde er auch in Berlin am 8. März beendet.
In Sachsen, Baden, Bayern, überall gab es zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig Generalstreiks, aber der Funken zwischen diesen Bewegungen sprang nicht über.
Die bayrische Räterepublik im April
Aber auch in Bayern erhob die Arbeiterklasse die Stirn.
Am 7. April versuchten SPD und USPD die ‘Gunst der Massen durch eine pseudo-revolutionäre Aktion zu gewinnen’ (Léviné). Wie im Januar in Berlin hatte die KPD erkannt, daß überhaupt kein für die Arbeiter günstiges Kräfteverhältnis vorhanden war. Sie stellte sich gegen die Ausrufung der Bayrischen Republik!
Aber die Kommunisten in Bayern riefen die Arbeiter dazu auf, einen „wirklich revolutionären Rat“ zu wählen zur Erkämpfung und Durchführung der wirklichen kommunistischen Räterepublik. Léviné trat am 13. April an die Spitze einer neuen Räteregierung, die auf ökonomischer, politischer und militärischer Ebene energische Maßnahmen gegen die Bourgeoisie ergriff. Trotzdem war diese Bildung eines ‘revolutionären Aktionsausschusses’ ein schwerwiegender Fehler der Revolutionäre in Bayern und widersprach dem Beschluß der Partei.
Vom Rest Deutschlands vollkommen abgeschnitten, wurde von der Bourgeoisie eine umfassende Konteroffensive gegen die Bayrische Republik gestartet. Die Lebensmittelzufuhren nach München wurden abgebrochen, Truppen von über 100’000 Mann wurden um München zusammengezogen. Am 27. April wurde der Vollzugsrat in München gestürzt. Wieder schlug der blutige Arm der Repression zu. Tausende Arbeiter wurden in den Kämpfen standrechtlich erschossen und anderswie umgebracht. Erneut setzte eine Kommunistenjagd ein, und Léviné wurde zum Tode verurteilt.
Gerade die heutigen Generationen von Arbeitern können sich kaum vorstellen, was eine mächtige Welle von Arbeiterkämpfen – nahezu gleichzeitig – in den größten Arbeiterkonzentrationen bedeutet, welch riesiger Druck dadurch auf das Kapital entsteht. Die Arbeiterklasse in den Hochburgen des Kapitalismus hatte bewiesen, daß sie gegenüber einer der erfahrensten Bourgeoisien ein Kräfteverhältnis aufbauen konnte, das zum Sturz des Kapitals hätte führen können. Diese Erfahrung zeigt, daß die revolutionäre Bewegung nicht auf die Arbeiterklasse im angeblich rückständigen Rußland reduziert war, sondern die Arbeiterklasse in höchst entwickelten Industrieländern sich daran massiv beteiligte.
Eine Welle revolutionärer Kraft kam in diesen Monaten zerstreut, zersprengt zur Entfaltung. Diese Kraft, die zusammengefaßt und vereinigt, ausgereicht hätte zum Sturz der Regierung. Aber diese gewaltige Kraft ging verloren, die Regierung konnte sie stückweise zerschlagen und vernichten, die Berliner Januaraktion hatte der Revolution den Kopf abgeschlagen und das Rückgrat gebrochen,
Richard Müller, ein Führer der revolutionären Obleute, die sich über lange Zeit durch ihre großen Schwankungen und Zögerungen auszeichneten, kann nicht umhin festzustellen: „Wenn es nicht zur Niederschlagung der Kämpfe im Januar in Berlin gekommen wäre, dann hätte die Bewegung woanders im Frühjahr weiter Auftrieb erhalten können, und die Frage der Macht wäre näher in Reichweite gerückt, aber die militärische Provokation hatte der Bewegung gewissermaßen schon den Wind aus den Segeln genommen. Die Januaraktion hat Argumente geliefert für die Hetze, für einen Lügenfeldzug, für die Schaffung einer Atmosphäre des Bürgerkrieges ...“
Ohne diese Niederlage hätte das Berliner Proletariat die Kämpfenden in den anderen Teilen Deutschlands unterstützen können. Aber diese Schwächung dieses zentralen Teils der Revolution ermöglichte es den Kräften des Kapitals in eine Offensive einzutreten und überall die Arbeiter in verfrühte und zerstreute militärische Auseinandersetzungen zu locken. Die Arbeiter wiederum schafften es nicht, selbst eine breite, vereinte und zentralisierte Bewegung auf die Beine zustellen, eine Doppelmacht im ganzen Lande aufzubauen, die eine Zentralisierung durch die Verstärkung der Räte ermöglicht hätte.
Nur der Aufbau solch eines Kräfteverhältnisses ermöglicht es, einen Anlauf zum Aufstand zu machen, der die größte Überzeugung und die Koordination aller Handlungen erfordert. Und diese Dynamik kann sich nicht ohne die klare und entschlossene Intervention einer politischen Partei innerhalb der Bewegung entfalten. Nur so kann die Arbeiterklasse siegreich diesen historischen Kampf gewinnen.
Die Niederlage der Revolution in Deutschland in den ersten Monaten des Jahres 1919 war nicht nur auf die Geschicklichkeit der deutschen Bourgeoisie zurückzuführen. Sie war nur möglich dank des gemeinsamen Vorgehens der internationalen Kapitalistenklasse.
Während die Arbeiterklasse in Deutschland dem Kapital zersplitterte Kämpfe lieferte, standen die Arbeiter in Ungarn im März dem Kapital in revolutionären Auseinandersetzungen gegenüber. Am 21. März 1919 wurde in Ungarn die Räterepublik ausgerufen – die jedoch im Sommer von konterrevolutionären Truppen niedergemetzelt wurde.
Sicher stand die internationale Kapitalistenklasse geschlossen hinter dem Kapital in Deutschland. Während sie sich zuvor 4 Jahre im Krieg auf das heftigste bekämpft hatte, trat sie nun vereint der Arbeiterklasse gegenüber.
Lenin meinte, daß sich die Ententemächte „mit den deutschen Paktierern auf jede Weise verständigten, um die deutsche Revolution zu erwürgen.“ (Lenin, 9. Parteitag der KPR, Werke Bd. 30, S. 441) Das Proletariat tritt seitdem in keinem Teil der Welt einer gespaltenen Kapitalistenklasse gegenüber, sondern jedesmal, wenn sich die Arbeiterklasse anfängt zusammenzuschließen, steht die Front des Kapitals schon geschlossen!
Wenn die Arbeiterklasse in Deutschland es geschafft hätte, die Macht zu ergreifen, wäre der kapitalistische Staudamm auch international gebrochen, die Revolutionäre in Rußland nicht isoliert geblieben.
Als die 3. Internationale im März 1919 in Moskau gegründet wurde, d.h. zu einem Zeitpunkt, als in Deutschland die Kämpfe voll entflammt waren, schien diese Perspektive den Kommunisten in greifbare Nähe gerückt. Aber die Niederlage der Arbeiter in Deutschland sollte den Niedergang der internationalen revolutionären Welle und insbesondere der russischen Revolution einläuten. Es war die Bourgeoisie mit der SPD an ihrer Spitze, die durch ihre konterrevolutionären Aktionen die Revolution in Rußland entscheidend isolierte, ihre Entartung möglich mache und so zum Geburtshelfer des Stalinismus wurde. DV.
Siehe die beiden vorherigen Artikel in Int. Revue Nr. 17 und 18.
2 Die SPD war die größte Arbeiterpartei vor 1914; im August 1914 verriet die Führung der SPD – mit der Reichstagsfraktion und den Gewerkschaftsführern an der Spitze – alle internationalistischen Prinzipien der Partei. Die Führung schloß sich voll dem Lager des nationalen Kapitals als Rekrutierungskraft für das imperialistische Abschlachten an.
3 Zu welchem unverantwortlichen Verhalten man sich hinreißen lassen kann, wenn man keine klare Analyse hat, zeigte 1980 die CWO. Sie forderte zur Zeit der Massenkämpfe in Polen: ‘Revolution Now’!
4 Die „Unabhängige Sozialistische Partei Deutschlands“ war eine zentristische Abspaltung von der SPD, welche deren offensichtlichsten bürgerlichen Auffassungen zwar verwarf, jedoch unfähig war, eine klare internationalistische, kommunistische Haltung einzunehmen. 1917 war der Spartakusbund der USPD mit der Absicht beigetreten, so seinen Einfluss in der Arbeiterklasse, welche durch die Politik der SPD zunehmend angewidert war, zu verstärken.
5 „Internationale Kommunisten Deutschlands“. Vor dem 23. November 1918, als sie in Bremen beschlossen, das Wort Sozialisten durch Kommunisten zu ersetzen, auch bekannt als „Internationale Sozialisten Deutschlands“. Diese Gruppe war kleiner als der Spartakusbund und besaß auch weniger Einfluss, teilte jedoch deren revolutionäre internationalistische Positionen. Die IKD waren Mitglied der Zimmerwalder Linken und stand der Internationalen Kommunistischen Linken sehr nahe, vor allem der Holländischen Linken (Pannekoek und Gorter gehörten vor dem Krieg zu ihren Theoretikern) und der Russischen Linken (Radek war einer ihrer Genossen). Ihre Ablehnung der Gewerkschaften und des Parlamentarismus stand am Gründungsparteitag der KPD gegenüber der Position von Rosa Luxemburg in der Mehrheit.
6 Die Revolutionären Obleute waren ursprünglich zum grössten Teil in Betrieben gewählte Gewerkschaftsdelegierte, welche mit den sozialchauvinistischen Gewerkschaftsführungen gebrochen hatten. Sie waren ein direktes Produkt des Widerstandes der Arbeiterklasse gegen den Krieg und gegen den Verrat der Gewerkschaften und sog. “sozialistischen“ Parteien. Leider führte ihr Kampf gegen die Gewerkschaftsführungen zu einem generellen Misstraunen gegenüber zentralisiertem Handeln, und sie entwickelten lokalistische und auf Betriebe reduzierte Standpunkte. Sie waren in politischen Fragen oft sehr schwankend und neigten zu Auffassungen der USPD.
Deutsche Revolution, Teil 4
Fraktion oder Partei?
Wir haben in den vorherigen 3 Artikeln aufgezeigt, daß die Arbeiterklasse in Deutschland durch ihre Kämpfe das Kapital zwang, den 1. Weltkrieg zu beenden. Um eine weitere Ausdehnung der revolutionären Kämpfe zu verhindern, hatte das Kapital schließlich alles unternommen, um die Arbeiterklasse in Deutschland von der Arbeiterklasse in Rußland zu spalten und eine weitere Radikalisierung der Kämpfe zu sabotieren. Wir wollen in diesem Artikel aufzeigen, wie die Revolutionäre in Deutschland mit der Frage des Aufbaus der Organisation gegenüber dem Verrat der Sozialdemokratie konfrontiert wurden.
Die Auslösung des 1. Weltkriegs war nur möglich gewesen, weil ein Großteil der Parteien der 2. Internationale sich den Interessen des nationalen Kapitals unterworfen hatte. Nachdem die Gewerkschaften, ohne zu zögern, den Burgfrieden mit dem Kapital eingingen, war vor allem die Zustimmung der SPD-Reichstagsfraktion und des SPD-Vorstandes die Voraussetzung dafür gewesen, daß das Kapital in Deutschland den Krieg anzettelte. Die Bewilligung der Kriegskredite kam nicht als Überraschung sondern als Abschluß eines vorherigen Versumpfungsprozesses des opportunistischen Flügels der SPD. Gegen diese Versumpfung hatte der linke Flügel in der Vorkriegszeit aufs heftigste angekämpft. Vom ersten Kriegstag an sammelten sich die Internationalisten unter dem Banner der Gruppe, die sich kurze Zeit später ‘Spartakisten’ nennen sollte. Sie bezeichneten als ihre erste Verantwortung, gegen den Verrat der SPD-Führung den Internationalismus der Arbeiterklasse zu verteidigen - und dies hieß nicht nur diese programmatische Position zu propagieren, sondern auch und vor allem die Organisation der Arbeiterklasse, deren Führung verraten hatte, gegen den Würgegriff des Kapitals zu verteidigen. Unter allen Internationalisten gab es nach dem Verrat der Parteiführung Einstimmigkeit, die Partei nicht in die Hände der Verräter fallen zu lassen. Alle arbeiteten darauf hin, die Partei zurückzuerobern. Niemand wollte freiwillig austreten, sondern konsequent weiter innerhalb der Partei Fraktionsarbeit betreiben mit dem Ziel, die sozialpatriotische Parteiführung hinauszuschmeißen.
Die Hochburg der Verräter waren die Gewerkschaften, die unwiderruflich in den Staat integriert worden waren. Hier gab es nichts wieder zu erobern. Die SPD war ein Ort des Verrates gewesen, aber gleichzeitig ein Ort des Widerstandes. Die Reichstagsfraktion selbst war von dieser Spaltung in Verräter und Internationalisten deutlich geprägt. Im Reichstag war, wenn auch - wie wir in einem früheren Artikel gezeigt haben - nur unter großen Schwierigkeiten und langem Zögern, doch bald deutlich eine Stimme gegen den Krieg zu hören. Aber vor allem an der Parteibasis selbst wurde die größte Hebelwirkung gegen den Verrat entfaltet.
„Wir klagen die Reichstagsfraktion an, die bisherigen Parteigrundsätze und damit zugleich den Gedanken des Klassenkampfes verraten zu haben. Die Fraktion hat sich dadurch selbst außerhalb der Partei gestellt; sie hat aufgehört, als die berechtigte Vertreterin der deutschen Sozialdemokratie betrachtet zu werden... Parteigenossen! (Flugblatt der Opposition, zitiert von R. Müller, Bd 1, S. 87).
Konsens war, daß man den Verrätern nicht die Organisation überlassen wollte.
„Das bedeutet nicht, daß die sofortige Abspaltung von den Opportunisten in allen Ländern wünschenswert oder auch nur möglich wäre; das bedeutet, daß die Spaltung historisch herangereift, daß sie unvermeidlich geworden ist und einen Fortschritt darstellt, eine Notwendigkeit für den revolutionären Kampf des Proletariats, daß die geschichtliche Wendung vom „friedlichen“ Kapitalismus zum Imperialismus zu einer solchen Spaltung treibt“ (Lenin, Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale)
Wir haben in einem früheren Artikel aufgezeigt, daß die Spartakisten und die Linksradikalen aus anderen Städten darauf abzielten, ein Kräfteverhältnis aufzubauen, das den sozialpatriotischen Vorstand in die Minderheit drängen würde. Wie nun den organisatorischen Bruch mit den Verrätern vollziehen? Es war klar, daß nicht beide - die Verräter und die Internationalisten - in der gleichen Partei verbleiben konnten. Einer mußte gewinnen. Tatsache war, daß der Vorstand dank des Widerstands der Spartakisten immer mehr in Bedrängnis geriet, die Partei insgesamt den Verrätern immer weniger folgte. Dadurch waren die Sozialpatrioten im Vorstand gezwungen, in eine Offensive gegen die Internationalisten zu treten, ihnen die Luft abzuschnüren. Wie gegenüber dieser Offensive reagieren? Beim ersten Gegenangriff durch den Vorstand die Tür zuschlagen und das Weite suchen, sofort eine neue Organisation außerhalb der SPD aufbauen?
Hier gab es Divergenzen innerhalb der Linken.
Denn nachdem die Sozialpatrioten angefangen hatten, die revolutionären Linken aus der SPD hinauszudrängen - zunächst aus der parlamentarischen Fraktion, dann aus der Partei selber (so wurden, nachdem Liebknecht schon im Januar 1916 ausgeschlossen worden war, im Frühjahr 1916 auch die Parlamentsabgeordneten, die gegen die Kriegskredite gestimmt hatten, aus der Fraktion geschmissen), stand diese Frage im Raum: Bis zu welchem Punkt um die alte Organisation kämpfen?
Die Haltung Rosa Luxemburgs war deutlich:
„Aus kleinen Sekten und Konventikeln kann man „austreten“, wenn sie einem nicht mehr passen, um neue Sekten und Konventikel zu gründen. Es ist nichts als unreife Phantasie, die gesamte Masse der Proletarier aus diesem schwersten und gefährlichsten Joch der Bourgeoisie durch einfachen „Austritt“ befreien zu wollen und ihr auf diesem Wege mit tapferem Beispiel voranzugehen. Das Hinwerfen des Mitgliedsbuchs als Befreiungsillusion ist nur die auf den Kopf gestellte Verhimmelung des Mitgliedsbuchs als Machtillusion, beides nur die verschiedenen Pole des Organisationskretinismus... Der Zerfall der deutschen Sozialdemokratie ist ein geschichtlicher Prozeß größter Dimensionen, eine Generalauseinandersetzung zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie, und von diesem Schlachtfeld drückt man sich nicht vor Ekel auf die Seite.. Diesen Riesenkampf gilt es auszufechten bis zum Äußersten. An der tödlichen Schlinge der offiziellen deutschen Sozialdemokratie und der offiziellen freien Gewerkschaften, die die herrschende Klasse um den Hals der verirrten und verratenen Massen gelegt hat, gilt es zu zerren mit vereinten Kräften, bis sie zerreißt.. Die Liquidierung des „Haufens organisierter Verwesung“, der sich heute deutsche Sozialdemokratie nennt, ist nicht als Privatangelegenheit in den Entschluß einzelner oder vereinzelter Gruppen gegeben... sie muß als große öffentliche Machtfrage unter Aufbietung aller Kräfte ausgefochten werden..“ (Der Kampf, Duisburg, 6. Jan. 1917).
„Nicht Spaltung oder Einheit, nicht neue Partei oder alte Partei heißt die Parole, sondern Zurückeroberung der Parteien von unten auf durch Rebellion der Massen, die die Organisationen und ihre Mittel in eigene Hände nehmen müssen, nicht durch Worte, sondern durch Taten der Rebellion... Der Entscheidungskampf um die Partei hat begonnen.“ (Spartakusbriefe 30.06.1914, verfaßt von R. Luxemburg))
Die Fraktionsarbeit
Während Rosa Luxemburg auf einem möglichst langen Verbleiben in der SPD beharrte, sie am stärksten von der Notwendigkeit der Fraktionsarbeit innerhalb der SPD überzeugt war, fingen die Bremer Linken an, früher auf der Notwendigkeit einer eigenständigen Organisation zu bestehen.
Diese Frage wurde jedoch bis Ende 1916, Anfang 1917 zu keinem Streitpunkt. Denn Karl Radek, ein prominenter Vertreter der Bremer Linken sagte selbst: „Die Propaganda der Spaltung bedeutet keinesfalls, daß wir jetzt aus der Partei austreten sollen. Umgekehrt: unsere Bemühungen müssen darauf gerichtet sein, alle möglichen Organisationen und Organe der Partei in die Hände zu bekommen. Sie wurden in einem halben Jahrhundert des Kampfes für den Kampf geschaffen und gehören uns auf Grund des historischen Rechts. Wir haben alles zu tun, um die Sozialimperialisten zu nötigen, für ihre neuen bürgerlichen Zwecke sich neue Organisationen zu schaffen. Unsere Pflicht ist es, solange wie möglich auf den Posten auszuharren, denn je länger das geschieht, desto größer wird der Teil der Arbeiter sein, der mit uns geht, falls die Sozialimperialisten, die natürlich unsere Taktik ausgezeichnet verstehen, auch wenn wir sie verschweigen würden, uns ausschlössen.... Ein Gebot der Stunde ist es, daß sich die auf dem Boden der Opposition stehenden lokalen Parteiorganisationen zusammenschließen und eine provisorische Leitung der entschiedenen Opposition einsetzen.“ (Radek, S. 327, Ende 1916)(1)
Es ist deshalb ein Mythos zu behaupten, die Bremer Linke hätte sofort im August 1914 die organisatorische Trennung angestrebt. Erst Ende 1916 trat sie dafür ein, als das Kräfteverhältnis in der SPD immer mehr zu wackeln anfing. Die Dresdner und Hamburger plädierten ab 1916 für Eigenständigkeit, auch wenn sie selbst keine festen Organisationsvorstellungen hatten.
Die Bilanz der beiden ersten Jahre nach dem Kriegsbeginn zeigte: Die Revolutionäre haben sich keinen Maulkorb anlegen lassen, keine der Gruppen hat ihre organisatorische Selbständigkeit aufgegeben. Deshalb wäre es 1914 ein Überbordwerfen der Prinzipien gewesen, hätten sie die Organisation in den Händen der Sozialpatrioten gelassen. Und auch 1915 - nachdem der Druck der Arbeiter selbst mehr anstieg, als sich immer mehr Widerstand regte - bestand kein Anlaß für den Aufbau einer eigenständigen neuen Organisation außerhalb der SPD. Solange noch kein ausreichendes Kräfteverhältnis bestand, solange noch nicht genügend Kampfkraft in den Reihen der Arbeiter selber vorhanden war, und die Revolutionäre noch in solch einer geringen Minderheit waren, kurzum die Bedingungen für die Gründung einer Partei nicht vorhanden waren, mußte man in der SPD als Fraktion arbeiten.
Ziehen wir Bilanz: Als der Schock über den Verrat der Parteiführung im August 1914 in den Reihen der SPD noch wirkte, als die Arbeiterklasse 1914 mit dem vorübergehenden Sieg des Nationalismus eine Niederlage eingesteckt hatte, war es unmöglich, die neue Partei zu gründen. Zunächst mußte der Kampf um die alte Partei geführt, eine harte Fraktionsarbeit geleistet und dann die Vorbereitungen für den Aufbau einer neuen Partei getroffen werden - aber eine sofortige Neugründung war 1914 undenkbar. Die Arbeiterklasse mußte sich zunächst von den Auswirkungen der Niederlage von 1914 erholen. Weder der direkte Austritt noch die direkte Neugründung standen 1914 auf der Tagesordnung.
Im September 1916 berief der Parteivorstand eine Reichskonferenz der SPD ein. Obgleich er die Delegiertenschlüssel manipuliert hatte, bekam die Führung die Opposition nicht mehr in Griff. Die Opposition beschloß Beitragssperren an den Vorstand. Darauf reagierte der Vorstand durch den Ausschluß der Beitragsverweigerer. Die Bremer wurden als erste ausgeschlossen.
In dieser sich rasant zuspitzenden Situation, als die Stimmung gegen den Parteivorstand immer ablehnender wurde, die Arbeiterklasse immer mehr Widerstand gegen den Krieg bot, und nachdem die SPD-Führung mit den ersten größeren Ausschlüssen angefangen hatte, traten die Spartakisten nicht für ein „scheibchenweises“ Austreten, Verlassen der SPD ein, wie es Teile der Bremer Genossen mit ihrer Taktik der Beitragssperre befürworteten. „Eine solche Spaltung aber würde unter den gegebenen Umständen nicht etwa den Hinauswurf der Mehrheitspolitiker und der Scheidemänner aus der Partei bedeuten, was wir anstreben, sondern muß notwendig zur Absplitterung von kleinen Kränzchen der besten Genossen der Partei führen und die Genossen zur vollständigen Ohnmacht verurteilen. Diese Taktik halten wir für schädlich, ja für verhängnisvoll“ (Leo Jogiches, 30.09.1916). D.h. sie traten für ein einheitliches und nicht zersplittertes Vorgehen gegenüber den Sozialpatrioten ein. Gleichzeitig wurde ein klares Kriterium für das weitere Verbleiben in der SPD betont:
„Die Zugehörigkeit zur gegenwärtigen SPD darf von der Opposition nur solange aufrechterhalten werden, als diese ihre selbständige politische Aktion nicht hemmt noch beeinträchtigt. Die Opposition verbleibt in der Partei, nur um die Politik der Mehrheit auf Schritt und Tritt zu bekämpfen und zu durchkreuzen, die Massen vor der unter dem Deckmantel der Sozialdemokratie betriebenen imperialistischen Politik zu schützen und die Partei als Rekrutierungsfeld für den proletarischen antiimperialistischen Klassenkampf zu benutzen“.
E. Meyer erklärte: „Wir bleiben in der Partei nur so lange, als wir den Klassenkampf gegen den Parteivorstand führen können. In dem Augenblick, wo wir darin gehemmt werden, wollen wir in der Partei nicht bleiben. Umgekehrt treten wir auch nicht für eine Spaltung ein“ (Wohlgemuth S. 167).
Der Spartakusbund wollte innerhalb der SPD eine Organisation der gesamten Opposition bilden. Dies war die Orientierung der Zimmerwalder Konferenz gewesen. Wie Lenin richtig eingeschätzt hatte: „Es fehlt der deutschen Opposition noch sehr an festem Boden. Sie ist noch zersplittert, zerfällt in selbständige Strömungen, denen vorerst ein gemeinsamer Boden fehlt, der notwendig ist zur Aktionsfähigkeit“. „Wir betrachten es nun als unsere Aufgabe, solange es geht, die zersplitterten Kräfte zu einem aktionsfähigen Organismus zusammenzuschweißen.“ (Lenin, Wohlgemuth S. 118)
Solange die Spartakisten als eigenständige Gruppe in der SPD verblieben, gaben sie sich keine getrennte Organisationsform. Eine Fraktion innerhalb der Partei ist ein politischer Bezugspol, der gegen den Niedergang, den Verrat eines Flügels der Partei ankämpft. Den Organisationsprinzipien der Arbeiterbewegung folgend nimmt die Fraktion keine separate Existenz, keine organisatorische Unabhängigkeit an, sondern bleibt innerhalb der Partei. Erst bei Ausschluß aus der Partei ist dann eine eigenständige organisatorische Fraktionsexistenz möglich.
Die anderen Gruppierungen der Linken, allen voran der Flügel um Borchardt („Lichtstrahlen“vii) und die Hamburger fingen in dieser Phase im Jahre 1916 an, sich eindeutig für den Aufbau einer eigenständigen Organisation außerhalb der SPD auszusprechen.
Wie vorhin ausgeführt, nahm dieser Flügel der Linken (meist die Hamburger und Dresdner) den Verrat der sozialpatriotischen Führung gleichzeitig als Vorwand, die Notwendigkeit der Partei generell infragezustellen. Aus Angst vor einer weiteren Bürokratisierung, vor dem Ersticken des Abwehrkampfes um die Organisation fingen sie an, politische Organisationen selbst über Bord zu werfen. Anfänglich nahm dies noch die Gestalt von Mißtrauen gegenüber jeder Zentralisierung, dem Pochen auf Föderalismus an. In dieser späteren Phase aber äußerte es sich in einer offenen Flucht vor dem Kampf mit den Sozialpatrioten innerhalb der Partei. Es war die Geburtsstunde des späteren Rätekommunismus gewesen, der in den weiteren Jahren noch größeren Auftrieb erfahren sollte.
Das Prinzip der konsequenten Fraktionsarbeit, Fortsetzung des Widerstands INNERHALB der SPD , so wie es von den Linken in Deutschland in dieser Phase praktiziert wurde - diente danach als Beispiel für die Genossen der Italienischen Linken, die innerhalb der Kommunistischen Internationale keine 10 Jahre später weiter gegen die Entartung der Komintern fochten. Dieses Prinzip, das von Rosa Luxemburg und den meisten Spartakisten verfochten wurde, sollte später allzuschnell von einem Teil der KPD über Bord geworfen werden, die - sobald sie Divergenzen hatten - und diese Divergenzen bezogen sich noch nicht einmal auf einen Verrat, wie ihn die Sozialpatrioten der SPD begangen hatten, - die Organisation möglichst schnell verließen.
Die Strömungen in der Arbeiterbewegung
Die Arbeiterbewegung hatte in über 2 Kriegsjahren in allen Ländern 3 Strömungen hervorgebracht. Lenin umriß diese 3 Strömungen im April 1917 in ‘Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution’ folgendermaßen:
- die Sozialchauvinisten, d.h. Sozialisten in Worten, Chauvinisten in der Tat; weil sie für die ‘Verteidigung des Vaterlandes’ eintreten, sind sie unsere Klassengegner, sie sind auf die Seite der Bourgeoisie übergegangen;
- die Internationalisten (denen die ‘Zimmerwalder Linke’ am nächsten kommt) traten für den rückhaltlosen Kampf gegen die imperialistische Regierung und den völligen Bruch mit dem Sozialchauvinismus ein;
- dazwischen gab es eine dritte Strömung, die Lenin als das sog. ‘Zentrum’ bezeichnete, die zwischen den Sozialchauvinisten und den wirklichen Internationalisten schwanken. Sie waren für den Frieden mit den Sozialchauvinisten, für die ‘Einheit’ und gegen die Spaltung. Das ‘Zentrum’ ist von der Notwendigkeit der Revolution gegen die eigene Regierung nicht überzeugt, es propagiert sie nicht, führt keine rückhaltlosen revolutionären Kampf, erfindet gegen ihn die allerplattesten und erz’marxistisch’ klingenden Ausflüchte. Diese zentristische Strömung hatte keine programmatische Klarheit, sondern war inkonsequent, inkohärent, bereit zu allen möglichen Konzessionen, scheute sich vor programmatischen Festlegungen, suchte sich an jede neue Lage anzupassen. Sie ist der Ort, wo kleinbürgerlicher und revolutionärer Einfluß aufeinanderprallen. Diese Strömung war selbst auf den Zimmerwälder Konferenz im September 1915 in der Mehrheit - und auch in Deutschland waren sie in der Überzahl. So stellten sie auf einer Konferenz der Opposition am 7. Januar 1917 von 187 die Mehrzahl der Delegierten; nur 35 Delegierte gehörten den Spartakisten an.
Die zentristische Strömung selbst war aus einem rechten und einem linken Flügel zusammengesetzt. Der rechte Flügel lehnte sich stärker an die Sozialpatrioten an, während der linke Flügel den Interventionen der Revolutionäre gegenüber offener war.
In Deutschland stand an der Spitze dieser Strömung Kautsky, die sich ab März 1916 unter dem Namen Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft (SAG) innerhalb der SPD zusammenschloß und vor allem in der Reichstagsfraktion am stärksten war. Haase, Ledebour waren führende zentristische Reichstagsabgeordnete. Es gab also nicht nur Verräter und Revolutionäre, sondern eine lange Zeit eine die Mehrheit der Arbeiter auf ihre Seite ziehende zentristische Strömung.
„Wer den realen Boden der Anerkennung der Existenz dieser drei Strömungen, ihrer Analyse und des konsequenten Kampfes für die wirklich internationalistische Strömung verläßt, der verurteilt sich selbst zu Ohnmacht, zur Hilflosigkeit und zu Fehlern.“ (Lenin, Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, Bd. 24, S. 60)
Während die Sozialpatrioten weiterhin die Arbeiterklasse mit ihrem nationalistischen Gift vollspritzen wollten, die Spartakisten erbittert dagegen ankämpften, wollten die Zentristen zwischen beiden Polen hin- und herschwanken. Wie sollten die Spartakisten sich gegenüber den Zentristen verhalten? Der Flügel um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht betonte, daß ‘man politisch auf die Zentristen einknüppeln muß’, daß die Revolutionäre ihnen gegenüber intervenieren müssen.
Welche Intervention gegenüber dem Zentrismus ? Programmatische Klarheit vor Einheit
Als eine Konferenz der Kriegsgegner im Winter 1916 einberufen werden sollte, schrieb Rosa Luxemburg im Januar 1916:
„Unsere Taktik auf dieser Konferenz müßte dahin gehen, nicht etwa die ganze Opposition unter einen Hut zu bringen, sondern umgekehrt aus diesem Brei den kleinen, festen und aktionsfähigen Kern herauszuschälen, den wir um unsere Plattform gruppieren können. Mit organisatorischer Zusammenfassung hingegen ist große Vorsicht geboten. Denn alle Zusammenschlüsse der „Linken“ führen nach meiner bitteren langjährigen Parteierfahrung nur dazu, den paar aktionsfähigen Leuten die Hände zu binden.“
Ein organisatorisches Zusammengehen mit den Zentristen innerhalb der SPD war für sie ausgeschlossen gewesen. „Genossen, und Genossinnen! Laßt euch nicht durch die alte Phrase von der Einigkeit, die die Kraft bilde, einfangen. Jawohl, Einigkeit macht stark, aber Einigkeit der festen, inneren Überzeugung, nicht äußere mechanische Zusammenkoppelung von Elementen, die innerlich auseinanderstreben. Nicht in der Zahl liegt ihre Kraft, sondern in dem Geiste, in der Klarheit, in der Tatkraft, die uns beseelt.“ (Rosa Luxemburg, Bd 4, S. 179 Frühjahr 1916)
Auch Liebknecht hatte im Februar 1916 betont: „Nicht Einheit, sondern Klarheit über alles. Durch unerbittliche Aufdeckung und Austragung der Differenzen zur prinzipiellen und taktischen Einmütigkeit und damit zur Aktionsfähigkeit und damit zur Einheit, so geht der Weg. Nicht den Beginn des Gärungsprozesses (...) erst seinen Abschluß darf die „Einheit“ bilden.“ (Spartakusbriefe, S. 112)
Der Eckpfeiler der Methode Rosa Luxemburgs und der anderen Spartakisten war die Notwendigkeit programmatischer Klarheit. Als sie darauf bestand, programmatisch solide, politisch nicht verschwommen, dabei lieber zahlenmäßig klein, aber inhaltlich klar zu bleiben, war das kein Sektierertum, sondern die Fortsetzung der alten marxistischen Methode. Mit dieser programmatischen Schärfe und Strenge stand Rosa Luxemburg nicht allein auf weiter Flur; die gleiche Methode wandten später auch die Genossen der Italienischen Linken an, als sie bei der Analyse der Bilanz von Rußland und in den 30er Jahren vor jeder Tendenz warnten, programmatisch politische Zugeständnisse zu machen, nur um dadurch zahlenmäßig größer zu sein. Vielleicht spürte in diesen Kriegsjahren aber Rosa Luxemburg schon die Auswirkungen der neuen Situation, die die Dekadenz des Kapitalismus mit sich gebracht hatte. In der Niedergangsphase des Kapitalismus kann es nämlich keine Massenparteien der Arbeiterklasse mehr geben, sondern nur zahlenmäßig kleine Parteien, die aber programmatisch solide sein müssen. Diese theoretische Zementierung war deshalb der Kompaß bei der Arbeit der Revolutionäre gegenüber den Zentristen, die per Definition hin- und herschwanken und Scheu vor jeder programmatisch politischen Klarheit haben.
Als nun im März 1917 die Zentristen - nach ihrem Rausschmiß aus der SPD - eine eigene Organisation gründen wollten, erkannten die Spartakisten die Notwendigkeit einer Intervention gegenüber ihnen. Hier übernahmen sie die Verantwortung, die sie als Revolutionäre gegenüber der Klasse hatten.
Auf dem Hintergrund der revolutionären Entwicklung in Rußland, der zunehmenden Radikalisierung der Arbeiter in Deutschland selber ging es darum, die besten Elemente, die noch unter zentristischem Einfluß standen, nach vorne zu peitschen und zur weiteren Klärung zu treiben. Wir müssen sehen: Die zentristischen Strömungen wie die SAG waren - genau wie eine Vielzahl der Parteien, die im März 1919 der Kommunistischen Internationale beitraten - nicht homogen, ohne jede Kohärenz und Stabilität. Während die zentristischen Bewegungen einerseits der Ausdruck der Unreife des Bewußtseins in der Klasse sind, können sie jedoch bei aufsteigender Tendenz des Klassenkampfes sich auf mehr Klärung zubewegen und damit ihrem historischen Schicksal folgen - auseinanderzubrechen, zu verschwinden. Dazu ist jedoch neben der Dynamik der Klasse selbst auch ein programmatisch-organisatorischer Bezugspol erforderlich, der in der Lage ist, gegenüber den Zentristen einen Pol der Klarheit darzustellen. Ohne die Existenz und Intervention einer revolutionären Organisation, die die offenen, aufnahmefähigen Elemente, die sich im Zentrismus verfangen haben, nach vorne peitscht, ist eine Fortentwicklung und Loslösung dieser Elemente vom Zentrismus nicht möglich.
Lenin faßte diese Aufgabe folgendermaßen zusammen: „Der größte Mangel des gesamten revolutionären Marxismus in Deutschland ist das Fehlen einer festgefügten illegalen Organisation, die systematisch ihre Linie verfolgt und die Massen im Geiste der neuen Aufgaben erzieht: eine solche Organisation müßte sowohl dem Opportunismus als auch dem Kautskyanertum gegenüber eine eindeutige Stellung einnehmen.“ (Lenin, Juli 1916, Bd 22, S. 312)
Wie die Arbeit dieses Bezugspols ausüben? Im Februar schlugen die Zentristen die Gründung einer gemeinsamen Organisation für den 6.-8. April 1917 mit dem Namen USPD vor. Darüber kam es nun zu tiefgreifenden Divergenzen zwischen den revolutionären Internationalisten.
Die Bremer Linke stellten sich gegen eine Beteiligung der revolutionären Linken an dieser gemeinsamen Organisation. Radek meinte: „Nur ein organisierter klarer Kern kann auf die radikalen Zentrumsarbeiter Einfluß ausüben. Bis jetzt, solange wir auf dem Boden der alten Partei wirkten, konnte man mit der losen Verbindung einzelner Linksradikaler auskommen. Jetzt...kann nur eine linksradikale Partei mit klarem Programm und eigenen Organen die zerstreuten Kräfte sammeln, zusammenhalten und vergrößern. (Wir können unsere Aufgabe nur erfüllen) durch die Organisation der Linksradikalen in eine eigene Partei.“ (Radek, Unter eigenem Banner, S. 414).
Die Spartakisten selber waren nicht einstimmiger Meinung.
Auf einer Vorkonferenz des Spartakusbundes am 5. April sprach sich eine Vielzahl von Delegierten gegen die Beteiligung an der USPD aus. Aber dieser Standpunkt konnte sich offenbar nicht durchsetzen, denn die Spartakisten beteiligten sich doch an der USPD.
Die Absicht war, „wir wollen die besten Elemente herausholen und sie zu unserer Seite rüberziehen“. „Die A.G. beherbergt in sich nämlich... eine ganze Menge Arbeiterelemente, die geistig und politisch zu uns gehören und nur durch Mangel an Berührung mit uns oder aus Unkenntnis der tatsächlichen Beziehungen innerhalb der Opposition und anderen zufälligen Ursachen der A.G. folgen...“ (Leo Jogiches, 25.12.1916).
„Es gilt ebenso, die neue Partei, die größere Massen in sich vereinigen wird, als Rekrutierungsfeld für unsere Ansichten, für die entschiedene Richtung in der Opposition auszunutzen; es gilt ferner, der A.G. den geistigen und politischen Einfluß auf die Massen innerhalb der Partei selbst streitig zu machen; es gilt schließlich, die Partei als ganzes durch rücksichtslose Kritik, durch unsere Tätigkeit in den Organisationen selbst wie auch durch unsere selbständigen Aktionen vorwärtszutreiben, eventuell auch ihrer schädlichen Einwirkung auf die Klasse entgegenzuwirken“ (Spartakus im Kriege, S. 184).
Es gab viele Argumente für und gegen diese Beteiligung. Die Frage lautete: Ist es besser, eine Fraktionsarbeit außerhalb der USPD zu betreiben oder auf sie von Innen her zu wirken? Während die Sorge der Spartakisten, gegenüber der USPD zu intervenieren, die besten Elemente aus ihr herauszureißen, auf der Hand lag, war es damals schwierig zu entscheiden, ob dies von „innen her“ oder von „außen her“ zu tun sei.
Jedoch konnte die Frage sich nur so stellen, weil die Spartakisten zurecht die USPD als eine zentristische Bewegung ansahen, die innerhalb der Arbeiterklasse existierte. Es war keine Partei der Bourgeoisie.
Selbst Radek und mit ihm die Bremer Linken erkannten die Notwendigkeit der Intervention gegenüber dieser zentristischen Bewegung: „Um die Unentschiedenen ringen wir, indem wir - ohne nach rechts und links zu schauen - unseren Weg gehen. Wir wollen versuchen, sie zu uns zu ziehen. Sollten sie aber .. uns jetzt schon nicht folgen können, sollte ihre Orientierung später eintreten, als die Notwendigkeiten der Politik uns organisatorische Selbständigkeit zum Gebot machen werden, nun, dann ist dagegen nichts zu machen. Dann werden wir unseren Weg gehen müssen... (die USPD war eine) Partei, die über kurz oder lang zwischen den Mühlsteinen der entschiedenen Rechten und Linken zerrieben werden würde.“ (Einheit oder Spaltung)
Welche Bedeutung die zentristische USPD hatte und die Tatsache, daß sie noch über einen großen Einfluß in den Arbeitermassen verfügte, kann man nur verstehen, wenn wir uns den Hintergrund der weiter sich verstärkenden Gärung vergegenwärtigen. Nach der Februarrevolution in Rußland gab es ab dem Frühjahr 1917 eine Streikwelle im Norden Deutschlands und im Ruhrgebiet im März, eine Reihe von Massenstreiks in Berlin im April mit mehr als 300’000 Teilnehmern, eine Protest- und Streikbewegung im Sommer in Halle, Braunschweig, Magdeburg, Kiel, Wuppertal, Hamburg, Nürnberg, erste Meutereien im Juni in der Flotte, dann im Januar 1918 ein weitere Streikwelle. Nur die brutalste Repression vermochte diese Streiks zu Ende zu bringen.
Nach dem Beitritt der Spartakisten zur USPD setzte eine vorübergehende Spaltung unter den Linken ein: mit den Spartakisten auf der einen Seite und der Bremer Linke mit den anderen Teilen der revolutionären Linken auf der anderen Seite. Die Bremer Linke drängte auf eine schnelle Parteigründung, während die Spartakisten mehrheitlich als Fraktion der USPD beitraten. Dv.
1 „Lichtstrahlen“ erschien von August 1914 bis April 1916; „Arbeiterpolitik“ aus Bremen erschien von Ende 1915 an, ab Juni 1916 wurde es als Organ der Internationalen Sozialisten Deutschlands (ISD) veröffentlicht.
Deutsche Revolution 5. Teil
Von der Fraktionsarbeit zur Gründung der KPD
Im vorherigen Artikel haben wir gezeigt, wie die Revolutionäre in Deutschland mit der Frage des Aufbaus der Organisation gegenüber dem Verrat der Sozialdemokratie umgegangen sind: zunächst den Kampf innerhalb der alten Partei bis zum Ende fortsetzen, eine harte Fraktionsarbeit betreiben und, wenn diese Arbeit nicht mehr möglich ist, den Aufbau einer neuen Partei vorbereiten. Diese verantwortungsvolle Vorgehensweise wurde von den Spartakisten gegenüber der SPD eingeschlagen, und sie brachte sie schließlich dazu, im Gegensatz zu der Bremer Linken, die die unmittelbare Gründung einer eigenen Partei forderten, mehrheitlich der zentristischen USPD beizutreten. In diesem Artikel werden wir uns mit der Gründung der KPD und den organisatorischen Schwierigkeiten beim Aufbau dieser neuen Partei befassen.
Der gescheiterte Versuch der Parteigründung durch die Linksradikalen
Am 5. Mai 1917 warfen die Linksradikalen aus Bremen und Hamburg den Spartakisten vor, ihre organisatorische Selbständigkeit mit dem Eintritt in die USPD aufgegeben zu haben; deshalb meinten sie “die Zeit ist reif für die Gründung einer linksradikalen Organisation der Internationalen Sozialistischen Partei Deutschlands”.
Während des Sommers trafen die Linksradikalen aus Bremen und Hamburg Vorbereitungen für eine neue Parteigründung. Für den 26. August 1917 war eine Gründungskonferenz in Berlin geplant. 13 Delegierte waren eingetroffen, 5 aus Berlin, die anderen aus anderen Städten. Die Polizei war aber schneller; sie sprengte das Treffen! Es zeigte sich, der Wille allein genügt nicht, man muss auch die organisatorischen Fähigkeiten haben. “Es reicht eben nicht, das ‘reine Banner’ aufzupflanzen, die Aufgabe jedoch ist, es zu den Massen zu tragen, um sie zu gewinnen” hatte Rosa Luxemburg im Duisburger ‘Kampf’ ihre Herangehensweise bekundet.
Am 2. September 1917 wurde ein weiterer Versuch unternommen, diesmal hieß die Organisation “Internationaler Sozialistischer Arbeiterbund”. Die Statuten sahen vor, daß jeder Ortsverein Autonomie besitzen sollte. Sie meinten, die “Zweiteilung in politische und wirtschaftliche Organisationen sei geschichtlich überholt”. Ein weiteres Indiz für die große Heterogenität in Sachen Organisationsfrage. Es entspricht deshalb nicht der Wahrheit zu sagen, die Bremer Linken seien in der Organisationsfrage die politisch und praktisch klarste Gruppe in der revolutionären Bewegung in Deutschland gewesen.
Die Dresdner um O. Rühle und andere Mitglieder dieser Strömung fingen an, ihre organisationsfeindlichen Gedanken weiter zu entwickeln. Die Geburtsphase des späteren Rätekommunismus rückte weiter vor. Auch wenn es typisch für die Rätekommunisten ist, daß sie sich selber nicht in politischen Organisationsformen zusammenfassen, waren ihre Stimmen unüberhörbar.
Während die Spartakisten auf ein immer größeres Echo stießen, schafften es die Bremer Linke und die ISD nie, über einen kleinen Kreis hinauszukommen. Auch wenn die Bilanz der Arbeit der Spartakisten in der USPD über eineinhalb Jahre hinweg nicht die erwarteten Früchte trug, hatte der Spartakusbund entgegen den anfänglichen Behauptungen der ISD nie seine Selbständigkeit aufgegeben. Denn durch ihre Intervention in den Reihen der USPD ließen sich die Spartakisten keinen Maulkorb anlegen.
Sei es während der Auseinandersetzungen um die Verhandlungen in Brest-Litovsk ab Dezember 1917, während der riesigen Streikwelle im Januar 1918, als ca. eine Million streikten und Arbeiterräte in Deutschland entstanden, immer wieder standen die Spartakisten an vorderster Stelle.
Gerade als das deutsche Kapital sich zum letzten Mal aufbäumte und bereit war, noch mehr Kanonenfutter ins Feuer zu schicken (1), hatte der Spartakusbund in der Zwischenzeit sein Organisationsnetz weiter ausgebaut. Er brachte 8 Publikationen in Auflagen von 25.000 - 100.000 Exemplaren heraus.
All dies zu einem Zeitpunkt, wo nahezu die gesamte Leitung der Spartakisten im Gefängnis saß (2).
Selbst nachdem die Bremer Linken die Gründung einer eigenständigen Partei angestrebt hatten, verhielt sich die Gruppe Spartakus nicht sektiererisch, sondern arbeitete weiter auf die Umgruppierung, die Bündelung der revolutionären Kräfte in Deutschland hin.
Am 7. Oktober 1918 lud die Spartakusgruppe zu einer Reichskonferenz, an der auch Abgesandte mehrerer Ortsgruppen von Linksradikalen teilnahmen. Eine organisatorische Zusammenarbeit zwischen Spartakisten und den anderen Linksradikalen wurde beschlossen, ohne daß die Linksradikalen in die USPD eintreten sollten. Gleichzeitig wurde jedoch auf dieser Konferenz - in Anbetracht der heraufziehenden revolutionären Entwicklung - noch nicht klar genug die Notwendigkeit der Gründung einer eigenen Partei hervorgehoben. Lenin hatte diese Notwendigkeit betont: “Das größte Unglück und die größte Gefahr für Europa bestehen darin, daß es dort keine revolutionäre Partei gibt... Gewiß, die mächtige revolutionäre Bewegung der Massen kann diesen Mangel beheben, er bleibt aber ... eine große Gefahr.”
Die Intervention der Spartakisten in den revolutionären Kämpfen
Als die revolutionären Kämpfe im November 1918 ausbrachen, leisteten die Spartakisten auch eine heldenhafte Arbeit. Ihre Intervention in den Kämpfen war inhaltlich auf der Höhe. Sie traten dafür ein, die Brücke zur Arbeiterklasse in Rußland zu schlagen, entblößten ohne zu zögern die Manöver und Sabotagearbeit der Bourgeoisie, erkannten die Rolle der Arbeiterräte und die Notwendigkeit, nach Beendigung des Krieges die Bewegung auf eine neue Stufe zu stellen, in der die Bewegung durch den Druck aus den Fabriken verstärkt werden müßte.
Aus Platzgründen können wir nicht näher auf ihre Intervention zurückkommen.
Trotz ihrer inhaltlichen Stärke besaßen die Spartakisten jedoch in den Kämpfen noch nicht den ausschlaggebenden Einfluß innerhalb der Arbeiterklasse. Um eine wirkliche Partei zu sein, reicht es nicht aus, politisch inhaltlich richtige Positionen zu haben, sondern man muß auch einen entsprechenden Einfluß innerhalb der Arbeiterklasse haben. Man muß die Bewegung steuern können wie ein Steuermann sein Schiff, damit sich das Schiff in die richtige Richtung bewegt.
Während die Spartakisten im Krieg hervorragende Propagandaarbeit gegen den Krieg geleistet hatten, waren die Spartakisten bei Ausbruch der Kämpfe erst ein loser Zusammenschluß. Es fehlte das eng geflochtene organisatorische Netz.
Erschwerend kam hinzu, daß sie noch der USPD angehörten und viele Arbeiter deshalb den Unterschied zwischen den Zentristen und den Spartakisten noch nicht deutlich genug sahen. Das ermöglichte der SPD, daraus Gewinn zu schlagen, indem sie von der notwendigen ‘Einheit’ zwischen den Arbeiterparteien sprach.
Der organisatorische Ausbau der Spartakisten wurde erst nach dem Ausbruch der Kämpfe beschleunigt. Am 11. November wurde die Spartakusgruppe in den Spartakusbund umgewandelt. Gleichzeitig wurde eine Zentrale mit 12 Genossen gebildet.
Im Gegensatz zur SPD, die allein über ca. 100 Zeitungen verfügen und sich auf einen umfangreichen Funktionärsapparat und die Gewerkschaften bei ihren konterrevolutionären Aktivitäten stützen konnte, waren die Spartakisten bei Ausbruch der Kämpfe nicht einmal im Besitz einer Zeitung. In der entscheidenden Woche vom 11.-18. November waren die Spartakisten ohne Presse, die ‘Rote Fahne’ konnte nicht erscheinen. Die Spartakisten hatten eine bürgerliche Zeitung besetzt, und die SPD setzte alle Hebel in Bewegung, um ein Drucken der ‘Roten Fahne’ in dem besetzten Betrieb unmöglich zu machen. Erst nachdem eine andere Druckerei besetzt worden war, konnte die Rote Fahne weiter erscheinen.
Nachdem die Forderung der Spartakisten nach Einberufung eines Parteitages der USPD auf keine Mehrheit stieß, beschlossen sie die Gründung einer eigenständigen Partei. Die ISD, die sich in der Zwischenzeit in IKD umbenannt hatten, hielten bereits am 24. Dezember eine Reichskonferenz in Berlin ab, an der Delegierte von der Wasserkante, dem Rheinland, Sachsen, Bayern, Württemberg und Berlin teilnahmen. Radek drängte auf der Konferenz auf die Verschmelzung der IKD mit den Spartakisten. Am 30/31. Dezember und 1. Januar 1919 wurde die KPD gegründet.
Die KPD war somit das Ergebnis einer Umgruppierung der beiden Gruppierungen IKD und Spartakisten.
Die Gründung der KPD
Als erster Punkt auf der Tagesordnung stand die Bilanz der Arbeit in der USPD. Rosa Luxemburg hatte schon die Schlußfolgerung am 29. November 1918 gezogen, daß es in einer Zeit aufsteigenden Klassenkampfes “für eine Partei der Halbheit und Zweideutigkeit in der Revolution keinen Platz mehr” (Rosa Luxemburg, 29. November 1918) gibt. Zentristische Parteien wie die USPD müssen in revolutionären Situation auseinanderfliegen.
“Wir haben der USPD angehört, um aus der UPSD herauszuschlagen, was herausgeschlagen werden kann, um die wertvollen Elemente der UPSD voranzutreiben, um sie zu radikalisieren, um auf diese Weise schließlich bei einem Zersetzungsprozeß, bei weiterem Fortgang des Zersetzungsprozesses zu erreichen, daß möglichst starke revolutionäre Kräfte gewonnen werden könnten für die Zusammenfassung in einer geschlossenen, einheitlichen, revolutionären proletarischen Partei. .. Das, was erreicht wurde, war außerordentlich gering...(Mittlerweile dient die USPD) als Feigenblatt für die Ebert-Scheideman. Sie haben in den Massen das Gefühl für einen Unterschied zwischen der Politik der USPD und der Mehrheitssozialisten geradewegs verwischt.... Jetzt hat die Stunde geschlagen, in der alle proletarisch revolutionären Elemente der UPSD den Rücken kehren müssen, um eine neue, selbständige Partei mit klarem Programm, festem Ziel, einheitlicher Taktik, höchster revolutionärer Entschlossenheit und Tatkraft zu schaffen, als ein starkes Instrument zur Durchführung der beginnenden sozialen Revolution” (Liebknecht, S. 84,92 Protokoll des Gründungsparteitages).
Beiseiteräumen der zentristischen Hürde, klarste Abgrenzung von ihnen, Zusammenschluß aller Revolutionäre um die KPD - hieß die Aufgabe.
Bei der Einschätzung des Standes der revolutionären Kämpfe bewies Rosa Luxemburg in ihrem Referat zu ‘Unser Programm und die politische Situation’ den besten Überblick über die Lage. Sie sprach sich gegen eine Tendenz aus, vieles zu überstürzen und die Schwierigkeiten zu unterschätzen. Sie hatte erkannt, daß man sich “mit voller Klarheit alle Schwierigkeiten und Komplikationen dieser Revolution vor Augen führen” muß. “Wenn ich es so schildere, nimmt sich der Prozeß vielleicht etwas langwieriger aus, als man geneigt wäre, ihn sich im ersten Moment vorzustellen... ich hoffe, wie auf mich, so wirkt auch auf keinen von Euch die Schilderung der großen Schwierigkeiten, der sich auftürmenden Aufgaben dahin, daß ihr etwa in eurem Eifer oder eurer Energie erlahmt”.
Daß sie in dieser Situation gleichzeitig die Wichtigkeit der Rolle der Partei sah, beweist folgende Aussage:
“Die jetzige Revolution, die erst in ihrem Anfangsstadium steht, die gewaltige Perspektiven vor sich und weltgeschichtliche Probleme zu bewältigen hat, muß einen untrüglichen Kompaß haben, der in jedem Teilstadium des Kampfes, in jedem Siege und in jeder Niederlage unbeirrbar nach demselben großen Ziele weist: nach der sozialistischen Weltrevolution, nach dem rücksichtslosen Machtkampf des Proletariats um die Befreiung der Menschheit vom Joch des Kapitals. Dieser richtungsweisende Kompaß, dieser vorwärtstreibende Keil, der proletarisch-sozialistische Sauerteig (Hefe) der Revolution zu sein - das ist die spezifische Aufgabe des Spartakusbundes in der gegenwärtigen Auseinandersetzung zweier Welten” (29. Dez. 1918, Rosa Luxemburg).
“Wir müssen die Massen erst darin schulen, daß der Arbeiter- und Soldatenrat der Hebel der Staatsmaschinerie nach allen Richtungen sein soll, daß er jede Gewalt übernehmen muß und sie alle in dasselbe Fahrwasser der sozialistischen Umwälzung leiten muß. Davon sind auch noch diejenigen Arbeitermassen, die schon in den Arbeiter- und Soldatenräten organisiert sind, meilenweit entfernt, ausgenommen natürlich einzelne kleine Minderheiten von Proletariern, die sich ihrer Aufgabe klar bewußt sind” (Rosa Luxemburg, Unser Programm, die politische Situation, Bd. 4, S.511)
Lenin betrachtete das Programm der Spartakisten ‘Was will der Spartakusbund’, das er Ende Dezember erhielt, als Eckpfeiler für die Gründung der Kommunistischen Internationale. “Dazu muß man a) die Grundsätze für eine Plattform formulieren (ich denke, man kann (a die Theorie und Praxis des Bolschewismus nehmen.... (b) ferner ‘Was will der Spartakusbund?’ nehmen). Aus a + b gehen die Grundsätze für eine Plattform klar genug hervor.” (Lenin Briefe, Bd. 5, S. 221, Dez. 1918)
Die Organisationsfrage auf dem Parteitag
Die Zusammensetzung der Delegierten - aus 46 Orten waren 83 Delegierte geschickt worden, wobei ein Großteil von ihnen über kein richtiges Mandat verfügte - sollte die ganze Unreife der Organisation selber widerspiegeln. Neben dem alten Stamm revolutionärer Parteiarbeiter, die schon vor dem Kriege zur linksradikalen Opposition um R. Luxemburg gehört hatten, saßen jetzt junge Arbeiter, die im Kriege Träger der revolutionäreren Propaganda und Aktion gewesen waren, aber noch zu wenig politische Erfahrungen hatten, Soldaten, angefüllt mit der Erbitterung über alle Leiden und Entbehrungen des Krieges, Pazifisten, die wacker gegen den Krieg gekämpft hatten und durch die Verfolgungen nach links getrieben worden waren, die in der radikalen Arbeiterbewegung ein fruchtbares Feld für ihre Ideen sahen, Künstler und andere Intellektuelle, die vom Strom der Revolution hochgeschleudert worden waren, kurz Elemente, wie sie in jeder Revolution plötzlich in die Bewegung gerissen werden.
Der Kampf gegen den Krieg hatte verschiedene Kräfte sich in eine gemeinsame Front einreihen lassen. Gleichzeitig hatte die Repression viele Führer im Gefängnis landen lassen, viele erfahrene Parteiarbeiter starben gar, und junge radikalisierte Elemente, die kaum über Organisationserfahrung verfügten, waren ebenso präsent. Der Krieg selber liefert nicht notwendigerweise die besten Bedingungen für den Aufbau der Partei.
Wie sich herausstellen sollte, gab es einen marxistischen Flügel bei der Organisationsfrage - angeführt von Rosa Luxemburg, Leo Jogiches; einen organisationsfeindlichen Flügel, der später in die rätekommunistische Strömung münden sollte; einen aktionistischen, bei Organisationsfragen schwankenden Flügel, der durch Karl Liebknecht verkörpert wurde.
Der Kongreß sollte aufzeigen, daß eine große Kluft zwischen der programmatischen Klarheit (auch wenn es große Divergenzen gab), den Grundsatzpositionen, wie sie Rosa Luxemburg in ‘Unser Programm’ umrissen hatte, und den Auffassungen zur Organisationsfrage gab.
Die Schwächen bei der Organisationsfrage
Zunächst nahm die Organisationsfrage auf dem Gründungskongreß nur einen zeitlich geringen Raum ein, zudem waren einige Delegierte schon abgereist. Der Bericht Eberleins auf dem Kongreß selber war schon ein Spiegelbild der Schwächen der KPD in dieser Frage. Zunächst zog Eberlein als Berichterstatter Bilanz der bisherigen Arbeit der Revolutionäre.
“Die alten Organisationen waren schon ihrem Namen und ihrer Tätigkeit nach Wahlvereine. Die neue Organisation soll nicht ein Wahlverein, sondern eine politische Kampforganisation werden... Die sozialdemokratischen Organisationen waren Wahlvereine. Ihre ganze Organisation beruhte darauf, die Vorarbeiten und die Agitation zu den Wahlen einzuleiten und durchzuführen, und es war faktisch so, daß ein bißchen Leben in den Organisationen auch nur dann vorhanden war, wenn man vor Wahlen oder mitten in den Wahlen stand. Die übrige Zeit war es in den Organisationen öde und ausgestorben.” (Aus Bericht Eberleins zur Organisationsfrage, S. 260)
Diese Einschätzung des Lebens in der Vorkriegs-SPD spiegelt das absterbende Leben infolge der Verrottung durch den Reformismus wider. Die ausschließliche Orientierung auf die Parlamentswahlen saugte das Leben aus den Ortsvereinen aus. Durch diese Fixierung auf die parlamentarische Tätigkeit (parlamentarischer Kretinismus) sowie die damit einhergehende Bindung an die bürgerliche Demokratie konnte die gefährliche Illusion entstehen, Hauptachse des Kampfes der Partei sei die parlamentarische Tätigkeit. Es war erst bei Kriegsbeginn, nachdem die Parlamentsfraktion im Reichstag verraten hatte, daß es zu einem Aufbäumen in vielen Ortsvereinen kam.
Während des Krieges jedoch “mußten wir jahrelang eine illegale Tätigkeit ausüben, so daß aufgrund dieser illegalen Tätigkeit eine feste Organisationsform nicht möglich war.”
In der Tat war Liebknecht von Sommer 1915 bis Oktober 1918 entweder zur Armee eingezogen oder saß im Gefängnis, wodurch ihm die ‘freie Meinungsäußerung’ und der Kontakt zu den anderen Genossen genommen werden sollte, Rosa Luxemburg war 3 Jahre und 4 Monate im Gefängnis eingesperrt, Leo Jogiches von 1918 an, die Mehrzahl der Mitglieder der im Jahre 1916 gebildeten Zentrale war ab 1917 hinter Gittern, insbesondere im Jahre 1918 - kurz vor Ausbruch der entscheidenden Kämpfe, war ein Großteil der führenden Genossen immer noch im Gefängnis. Zwar konnte damit Spartakus nicht zum Schweigen gebracht, aber dem organisatorischen Aufbau konnte ein schwerer Schlag zugefügt werden, indem einer organisatorisch noch nicht ausgereiften Bewegung die Führung geraubt wurde.
Während die objektiven Bedingungen, Illegalität und Repression, eine große Fessel für den Aufbau eines Organisationsnetzes darstellten, darf das jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es vielerorts eine schwerwiegende Unterschätzung der Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Organisation gab. Eberlein meinte :
“Sie alle wissen, daß wir in unserem Optimismus der Auffassung sind, daß die kommenden Wochen und Monate uns Dinge bringen werden, die alle diese Diskussionen überflüssig machen können. Deshalb will ich bei der vorgeschrittenen Zeit, die uns heute zur Verfügung steht, Sie nicht weiter aufhalten... wir stehen jetzt mitten drin im politischen Kampf, da ist zu Paragraphenfuchserei (Diskussion über Statuten) keine Zeit... wir dürfen und sollen in diesen Tagen unser Hauptgewicht nicht auf diese kleinen Dinge der Organisation legen. Wir wollen, soweit es möglich ist, in den nächsten Wochen und Monaten Ihnen in den Orten das alles selbst überlassen... (wenn wir mehr und überzeugte Mitglieder haben), die für die kommenden Tage der Aktion bereit sind, die ihre ganzen Gedanken auf die Aktion der nächsten Zeit lenken. Dann werden wir über die kleinen Schwierigkeiten der Organisierung und der Organisationsform leicht hinwegkommen.” (S. 272)
Natürlich ist in der Stunde revolutionärer Entscheidungen Klarheit und Einheit zu revolutionären Aufgaben geboten, alles eilt, in der ‘Hitze des Feuers’ drängt alles, der Faktor Zeit spielt eine ausschlaggebende Rolle. Insofern liegt es auf der Hand, daß die Klärung der Organisationsfragen als eine vorherige Errungenschaft der Organisation wünschenswert wäre und gar notwendig ist. Bei der Beschleunigung der revolutionären Entwicklung, die ein Großteil der Delegierten für die nächsten Wochen erwartete, gab es jedoch bei dem Flügel, der der Organisation mißtrauisch gegenüber eingestellt war, sicherlich auch die Stimmung, die Partei werde durch die Entwicklung der Dinge selber überflüssig gemacht werden.
Die Aussagen Eberleins bringen nicht nur eine Ungeduld, sondern eine dramatische Unterschätzung der Organisationsfrage zum Ausdruck. “Wir hatten in diesen vier Jahren keine Zeit, um uns zu überlegen, wie wir uns organisieren wollten. Wir wurden in diesen vier Jahren einfach von Tag zu Tag vor Tatsachen gestellt und mußten aufgrund der feststehenden Tatsachen entscheiden, ohne zu fragen, ob dabei ein Organisationsstatut geschaffen werden kann.” (S. 264)
Zwar trifft es zu, daß die Spartakisten, wie Lenin meinte, “unter den schwierigsten Umständen eine systematische revolutionäre Propaganda” betrieben haben, aber es wird dennoch deutlich, daß die Spartakisten eine Gefahr nicht haben vermeiden können. So heldenhaft und messerscharf die revolutionäre Propaganda der Spartakisten war, eine revolutionäre Organisation darf sich durch ihre Intervention in der Klasse nicht ‘aufsaugen’ lassen. D.h. die Intervention einer Organisation darf nie zu einer Lähmung der organisatorischen Aktivitäten selber einer Organisation führen. Eine Gruppe von Revolutionären kann gerade in einer so dramatischen Situation wie einem Krieg noch so intensiv und heldenhaft intervenieren, wenn bei einem Durchbruch der Kämpfe der Arbeiter kein festgefügtes, schlagkräftiges organisatorisches Gewebe da ist, keine Kampforganisation an der Seite des Proletariats steht, dann können Jahre vorheriger aufopferungsvollster Intervention sich als unzureichend erweisen. Der Aufbau eines Organisationsnetzes, die Klärung der Funktion und Funktionsweise einer Organisation, die Ausarbeitung von organisatorischen Regeln (Statuten) sind unerläßliche Bausteine für das Errichten, die Funktionsweise und die Intervention einer Organisation. Diese Aufbauarbeit darf durch die Intervention in der Klasse nicht behindert werden. Eine Intervention in der Klasse kann nur wirklich ihre Früchte tragen, wenn sie nicht auf Kosten des Aufbaus einer Organisation geschieht.
Die Verteidigung, der Aufbau der Organisation ist eine ständige Verantwortung der Revolutionäre - ob in der Stunde der tiefsten Ebben im Klassenkampf oder in der Phase heranbrausender Fluten des Klassenkampfes.
Gleichzeitig reagierte ein Flügel der KPD auf die Erfahrungen in der SPD wie ein gebranntes Kind. Es stimmt, daß der Parteivorstand, der Parteikörper einen ungeheuren bürokratischen Apparat hatte entstehen lassen, und gerade im Prozeß der opportunistischen Entartung hatte die Führung der Partei die Initiativen vor Ort immer mehr behindert. Aus Angst vor der Erstickung durch eine neue Zentrale machte sich ein Teil der KPD zum Fürsprecher eines Föderalismus. Eberlein stimmte in diesen Chor ein: “Es wäre notwendig, daß bei dieser Organisationsform den einzelnen Orten von seiten der Gesamtorganisation die weitmöglichste Freiheit gelassen wird, daß nicht von oben herunter schematisch verordnet wird... Wir sind weiter der Meinung, daß das alte System der Unterordnung der einzelnen Orte unter die Zentrale aufhören muß, daß die einzelnen örtlichen Organisationen, die einzelnen Betriebsorganisationen eine völlige Autonomie haben müssen. Sie müssen selbständig sein in ihrer Tätigkeit, ... sie müssen die Möglichkeit haben, selbst in die Aktion einzutreten, ohne daß die Zentrale immer das Recht hat zu sagen: “Das dürft Ihr tun, oder das dürft Ihr nicht tun”.”(S. 269)
Mit dieser Ausrichtung des zentralisierungsfeindlichen Flügels hatte die rätekommunistische Strömung einen Rückschritt in der Organisationsgeschichte der revolutionären Bewegung herbeigeführt. Das gleiche kam bei der Presse zum Ausdruck. “Wir sind weiter der Meinung, daß die Frage der Presse nicht zentral geregelt werden kann, daß die örtlichen Organisationen überall die Möglichkeit haben müssen, ihre eigene Zeitung zu gründen... Einige Genossen haben (die Zentrale) angegriffen und uns gesagt: Ihr gebt eine Zeitung heraus, was sollen wir damit machen, wir können sie nicht gebrauchen, wir geben selbst eine Zeitung heraus.” (S. 270)
Dieses mangelnde Vertrauen in die Organisation und vor allem das Mißtrauen gegenüber der Zentralisierung kam besonders stark bei den Vertretern der ehemaligen ‘Linksradikalen’ aus Bremen zum Vorschein (3). Aus der richtigen Erkenntnis heraus, daß die neue KPD keine nahtlose Fortsetzung der alten SPD sein konnte, gab es jedoch gleichzeitig Ansätze, in das andere Extrem zu verfallen, nämlich jegliche Kontinuität zu leugnen. “Das alte Organisationsstatut brauchen wir überhaupt nicht mehr zur Hand zu nehmen, um uns das herauszuklauben, was auf uns übertragen werden könnte.” (S. 263)
Aus den Ausführungen Eberleins geht hervor, wie stark die Heterogenität der frisch gegründeten KPD zur Organisationsfrage war.
Der marxistische Flügel zur Organisationsfrage in der Minderheit
Als resolut marxistischer Flügel trat auf dem Kongreß hauptsächlich die Gruppierung um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches auf; er blieb jedoch in einer Minderheit. Als direkter Gegenpol wirkte der organisationsfeindliche Flügel, die Rätekommunisten, die die Rolle der politischen Organisation grundsätzlich unterschätzten und aus Mißtrauen gegenüber der Organisation vor allem die Zentralisierung ablehnten und auf Selbständigkeit der örtlichen Sektionen drängten. Rühle war der prominenteste Vertreter (4). Ein weiterer, jedoch mit keiner klaren Alternative auftretender Flügel war der um Karl Liebknecht. Dieser Flügel um Liebknecht ragte heraus durch seine beispiellose Kampfbereitschaft. Aber um als Partei zu wirken, reicht nicht der Wille zur Intervention, sondern programmatische Klarheit und ein fester Organisationskörper sind unerläßlich. Liebknechts Flügel richtete seine Aktivitäten nahezu ausschließlich auf die Intervention in der Klasse aus. Am deutlichsten wurde dies, als er am 23. Oktober 1918 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Bei seiner Ankunft warteten ca. 20.000 Arbeiter am Anhalter-Bahnhof in Berlin auf ihn. Seine allerersten Aktivitäten waren, daß er sofort vor die Fabriktore ging und unter den Arbeitern agitierte. Während im Oktober 1918 die Temperatur in der Klasse weiter anstieg, wäre es vor allem die dringlichste Aufgabe der Revolutionäre gewesen, nicht nur zu intervenieren, sondern alle Kräfte für den Aufbau der Partei einzusetzen, zumal die Spartakisten erst eine lose Organisation waren, noch ohne feste Strukturen. Diese Haltung Liebknechts in der Organisationsfrage unterscheidet sich stark von der Lenins. Während Lenin im April 1917 in Petrograd am Bahnhof eintraf und triumphal empfangen wurde, verkündete er sofort seine Aprilthesen und tat alles, damit die Bolschewistische Partei auf einem Sonderparteitag aus der entstandenen Krise herauskam und ein klares Programm besaß. Liebknechts erste Sorge galt dagegen nicht so sehr der Organisation und ihrem Aufbau. Gleichzeitig hatte er scheinbar die Organisationsidee entwickelt, daß ein revolutionärer Militant unbedingt ein Held, ein herausragendes Individuum sein muß, anstatt zu sehen, daß eine proletarische Kampforganisation vor allem durch ihre kollektive Stärke lebt. Daß er dann später öfter zu Aktionen auf eigene Faust drängte, war nur eine Kontinuität seines Verhaltens und seines fehlerhaften Organisationsbildes. Rosa Luxemburg beklagte dann später oft, daß “Karl ständig unterwegs war, von einer Rede zu den Arbeitern zur anderen eilte, er kam oft nur zu Redaktionssitzungen der ‘Rote Fahne’, sonst war es schwer, ihn zu einer Sitzung der Organisation aufzutreiben.” Das Bild des Einzelkämpfers! Er verstand nicht, daß seine größte Hebelwirkung, sein größter Beitrag in der Zementierung der Organisation bestand.
Die Laster der Vergangenheit
Die SPD war jahrelang von der parlamentarischen Tradition angenagt worden. Die Illusionen infolge der Dominanz der parlamentarisch-reformistischen Tätigkeit hatten der Auffassung Auftrieb verliehen, die bürgerlich parlamentarische Demokratie sei die Hauptwaffe der Arbeiterklasse, anstatt sie nur als ein vorübergehendes Instrument zum Ausnutzen der Widersprüche zwischen den verschiedenen Fraktionen des Kapitals zu sehen und als eine Möglichkeit, dem Kapital vorübergehend Konzessionen abzugewinnen. Durch den Parlamentarismus ‘verwöhnt‘, hatte man dazu geneigt, die Kampfstärke anhand von Stimmen für die SPD im bürgerlichen Parlament zu messen. Hier liegt einer der Hauptunterschiede zwischen den Kampfbedingungen der Bolschewiki und dem linken Flügel in Deutschland. Während die Bolschewiki einerseits die Kampferfahrung von 1905 hatten und unter Repression und Illegalität zwar auch im russischen Parlament Duma mit einer viel kleineren Zahl von Abgeordneten auftraten, lag ihr Schwerpunkt keineswegs im parlamentarisch-gewerkschaftlichen Kampf. Während die SPD eine gewaltige, vom Opportunismus zernagte Massenpartei geworden war, waren die Bolschewiki eine relativ kleine, schlagkräftige Partei gewesen, die dem Opportunismus trotz der Krisen, die auch sie durchschritten hatte, besser widerstanden hatte. Es ist kein Zufall, daß der marxistische Flügel in Sachen Organisationsfragen, mit Rosa Luxemburg und Leo Jogiches an der Spitze, aus der polnisch-litauischen SDKPiL hervorgegangen war, d.h. einem Teil der revolutionären Bewegung, der direkte Kampferfahrung von 1905 besaß und nicht im parlamentarischen Sumpf abgesoffen war.
Der Parteiaufbau kann nur international erfolgen
Schließlich brachte der Kongreß noch eine weitere Schwäche der revolutionären Bewegung zum Ausdruck. Während die Bourgeoisie in Deutschland sofort internationale Schützenhilfe von der Bourgeoisie auch der Länder erhielt, die sie vorher im Krieg bekämpft hatte, das Kapital also in seinem Kampf gegen die revolutionäre Arbeiterklasse international vereinigt vorging - gegen die Arbeitermacht in Rußland schlossen sich die Weißen Armeen aus 21 Ländern im Bürgerkrieg zusammen -, hinkten die Revolutionäre bei ihrem organisatorischen Zusammenschluß noch hinterher. Zum einen ist dies auf die Überreste der Auffassungen aus der Zeit der 2. Internationale zurückzuführen. Die Parteien der 2. Internationale waren föderalistisch aufgebaut. Die förderalistische Auffassung, derzufolge sozusagen ‘jeder bei sich’ in der Organisation wirken sollte, hatte die Revolutionäre damals noch davon abgehalten, die Organisationsfrage international zentralisiert zu stellen. Der linke Flügel hatte in den Parteien der 2. Internationale noch getrennt voneinander gekämpft.
“Diese Fraktionsarbeit Lenins fand nur innerhalb der russischen Partei statt, ohne zu versuchen, diese auf internationaler Ebene auszudehnen. Man muß nur seine verschiedenen Interventionen auf den verschiedenen Kongressen lesen, um sich davon zu überzeugen, und man kann sehen, daß diese Arbeit außerhalb der russischen Kreise vollkommen unbekannt blieb.” (Das Problem der Fraktion in der 3. Internationale, BILAN, Nr. 24, 1935)
So war Radek der einzige ausländische Delegierte, der auf dem Gründungskongreß anwesend war. Dabei hatte er nur mit großem Glück und Geschicklichkeit die Fangmaschen der Kontrollen durchdringen können, die die SPD-geführte Regierung aufgebaut hatte. Wieviel anders hätte der Kongreß ausgesehen, wenn nicht nur Radek, sondern auch mehr angesehene Führer der revolutionären Bewegung, Lenin, Trotzki aus Rußland, andere bekannte Führer wie Bordiga aus Italien oder Pannekoek und Gorter aus Holland beteiligt gewesen wären.
Wir können heute die Lehre daraus ziehen, daß es keinen Parteiaufbau in einem Land geben kann, wenn nicht gleichzeitig die Revolutionäre international, zentralisiert die gleiche Aufgabe angehen.
Die Parallele zur Aufgabe der Arbeiterklasse insgesamt ist offensichtlich: auch der Kommunismus kann in einem Land nicht isoliert aufgebaut werden. Die Konsequenzen für heute liegen auf der Hand: der Aufbau der Partei erfordert eine internationale Vorgehensweise.
Mit der KPD war eine neue Partei entstanden, die in ihrer Zusammensetzung sehr heterogen war, programmatisch gespalten, in der der marxistische Flügel in Organisationssachen in der Minderheit war, in der das Mißtrauen gegenüber der Organisation und insbesondere gegenüber der Zentralisierung unter vielen Delegierten schon weit verbreitet war, und die noch nicht genügend Ausstrahlung und Einfluß besaß, um der Bewegung ihren Stempel entscheidend aufzudrücken
Die Erfahrung der KPD zeigt, daß die Partei auf ein festes organisatorisches Gerüst aufgebaut werden muß. Die Ausarbeitung organisatorischer Prinzipien, das Funktionieren mit einem Parteigeist kann nicht durch einfache Proklamation erfolgen, auf ‘Anordnung/’Dekret’, sondern ist das Ergebnis eines langjährigen Funktionierens, Praktizierens nach diesen Prinzipien. Der Aufbau einer Organisation braucht lange Zeit und Ausdauer. Es liegt auf der Hand, daß die Revolutionäre heute die Lehren aus den Schwächen der Revolutionäre in Deutschland ziehen müssen. Dv
(1) Vom März bis Nov. 1918 verzeichnete Deutschland an der Westfront ca. 200.000 Tote, 450.000 Vermißte und Gefangene, 860.000 Verwundete.
(2) Nach der Verhaftung von Liebknecht im Sommer 1916 gab es am 4. Juni 1916 eine Besprechung des linken Flügels der Sozialdemokraten. Um die durch die Repression abgerissene Verbindung unter den revolutionären Gruppen wiederherzustellen, wurde ein 5 köpfiger Aktionsausschuß (dem u.a. Duncker, Meyer, Mehring angehörten) gebildet. Otto Rühle wurde zum Vorsitzenden bestimmt! Wie stark die Spartakisten in die Klemme gekommen sein müssen durch die Repression, wird dadurch ersichtlich, daß ein der Zentralisierung und dem Organisationsauffbau ablehnend gegenüberstehender Genosse wie Otto Rühle mit dem Vorsitz betraut wurde .
(3) P. Frölich, im Krieg Vertreter der Bremer Linken, auf dem Gründungsparteitag in die Zentrale aufgenommen, meinte: “Die Orte müssen deshalb bei allen Aktionen vollkommenes Selbstbestimmungsrecht haben, und daraus folgt auch das Selbstbestimmungsrecht im Rahmen des Programms und der Parteitagsbeschlüsse. für die übrige Parteiarbeit.” (11. Jan. 1919, Der Kommunist) Knief, Repräsentant der Bremer Linken, vertrat die Auffassung: “Ohne die Notwendigkeit einer Zentrale zu leugnen, fordern die Kommunisten (der IKD) der gegenwärtigen revolutionären Situation entsprechend die größte Selbständigkeit und Beweglichkeit der örtlichen und provinziellen Organisationen.”
(4) Borchardt hatte schon 1917 verkündet: “Worauf es uns ankommt, ist die Beseitigung jeglichen Führertums in der Arbeiterbewegung. Was wir brauchen, um zum Sozialismus zu gelangen, ist reine Demokratie unter den Genossen, d.h. Gleichberechtigung und Selbständigkeit, Wille und Kraft zur eigenen Tat bei jedem Einzelnen. Nicht Führer dürfen wir haben, sondern nur ausführende Organe, die, anstatt ihren Willen den Genossen aufzuzwingen, umgekehrt nur als deren Beauftragte handeln.” (Arbeiterpolitik, 1917, Nr. 10)
Deutsche Revolution VI
Der gescheiterte Organisationsaufbau
Wir haben im letzten Artikel gesehen, daß die KPD in Deutschland Ende Dezember 1918 in der Hitze der Kämpfe gegründet worden war. Obwohl die Spartakisten eine ausgezeichnete Propagandaarbeit gegen den Krieg geleistet hatten, entschlossen und mit großer Klarheit in der revolutionären Bewegung selbst interveniert hatten, war die frisch gegründete KPD längst noch keine solide Partei. Der Organisationsaufbau hatte erst begonnen, das Organisationsgewebe war noch sehr lose gesponnen. Die Partei war auf ihrem Gründungskongreß von großer Heterogenität geprägt. Verschiedene Positionen prallten nicht nur bei der Frage der Arbeit in den Gewerkschaften und der Beteiligung an der Nationalversammlung aufeinander, schwererwiegender noch: Vor allem bei der Organisationsfrage gab es große Divergenzen. Der marxistische Flügel bei der Organisationsfrage um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches war in der Minderheit.
Diese noch ‘unfertige’ Partei zeigte: Es reicht nicht, die Partei zu proklamieren. Um eine Partei zu sein, muß ein solides organisatorisches Gewebe vorhanden sein, das sich auf Einigkeit in der Organisation hinsichtlich der Funktion und der Frage der Funktionsweise stützen muß.
Diese Unreife der Partei sollte dazu führen, daß sie nicht wirklich ihre Rolle gegenüber der Arbeiterklasse erfüllen konnte.
Die Tragödie der Arbeiterklasse in Deutschland (und damit auch für die Weltarbeiterklasse) sollte sein, daß sie in solch einer entscheidenden Phase wie nach dem Krieg ohne die wirksame Unterstützung der Partei kämpfen mußte.
1919: Nach der Repression die KPD von der Bühne der Kämpfe abwesend
Eine Woche nach dem Gründungskongreß der KPD zettelte Anfang Januar 1919 die deutsche Bourgeoisie den sogenannten Januaraufstand an. Die KPD hatte vor diesen verfrühten Aufständen gewarnt. Die Zentrale der KPD hatte betont, daß der Moment des Ansturms auf den bürgerlichen Staat noch nicht gekommen war.
Als dann die Bourgeoisie die Arbeiter provozierte, sich unter den Arbeitern Wut und Empörung breit machten, die KPD vor einem verfrühten Aufstand warnte, stürzte sich Liebknecht, einer der prominentesten Führer in der Partei zusammen mit den Revolutionären Obleuten entgegen den Beschlüssen der Partei in die Kämpfe.
Nicht nur wurde der Arbeiterklasse insgesamt eine tragische Niederlage beigefügt, sondern die Revolutionäre trafen die Schläge der Repression besonders hart. Neben Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht wurden viele andere Revolutionäre erschossen, Leo Jogiches wurde im März 1919 umgebracht. Die KPD stand mehr oder weniger enthauptet da .
Es war kein Zufall, daß gerade der marxistische Flügel um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches zur Zielscheibe der Repression geworden war. Dieser Flügel hatte für den Zusammenhalt der Partei gesorgt, war immer wieder als resolutester Verteidiger der Organisation in Erscheinung getreten.
Die KPD wurde dann monatelang mit einigen Unterbrechungen in die Illegalität getrieben. Die ‘Rote Fahne’ konnte vom Januar bis März und vom Mai bis Dezember 1919 nicht mehr erscheinen, in den Streikwellen vom Februar bis April spielte sie keine entscheidende Rolle. Ihre Stimme war vom Kapital schnell erwürgt bzw. eingeschränkt worden.
Wäre die KPD stark und einflußreich genug gewesen, um die Provokation der Bourgeoisie in der Januarwoche effektiv entlarven und die Arbeiter davon abbringen zu können, in diese Falle zu laufen, wäre die Bewegung anders ausgegangen.
So hatte die Arbeiterklasse einen hohen Preis für die organisatorischen Schwächen der Partei bezahlt. Die Partei selbst wurde zur Zielscheibe der heftigsten Repression: Überall wurde Jagd auf die Kommunisten gemacht. Mehrfach wurde die Kommunikation zwischen der Rest-Zentrale und den Bezirken unterbrochen. Auf einer Reichskonferenz am 29. März 1919 wurde festgestellt, daß ‘die Ortsgruppen von einem Heer von Spitzeln überschwemmt werden’. Bezüglich der programmatischen Divergenzen meinte die Konferenz: ‘In der Gewerkschaftsfrage ist die Konferenz der Meinung, daß die Parole ‘Heraus aus den Gewerkschaften!’ jetzt nicht angebracht ist(...) Der verwirrenden syndikalistischen Agitation muß entgegentreten werden nicht durch Zwangsmaßregeln, sondern durch planmäßige Aufklärung über die Gegensätze in der Auffassung und der Taktik’ (Zentrale der KPD, Reichskonferenz, 29.3.1919). Es ging also darum, die Divergenzen durch Diskussionen weiter auszutragen.
Auf einer Reichskonferenz am 14./15. Juni 1919 in Berlin nahm die KPD eine Satzung an, die die Notwendigkeit einer straff zentralisierten Partei betonte. Und obwohl die Partei klar gegen den Syndikalismus Stellung bezog, wurde empfohlen, daß man gegen Mitglieder, die syndikalistischen Gewerkschaften angehörten, keine Maßnahmen ergreifen solle.
Auf der Reichskonferenz im August 1919 wurde den 22 Reichsbezirken der Partei je 1 Delegierter zugestanden, unabhängig von der Größe der Bezirke; gleichzeitig erhielten die Mitglieder der Zentrale jeweils eine Stimme. Auf dem Gründungskongreß Ende 1918 war noch kein Modus für die Bestellung von Delegierten festgelegt worden, und die Frage der Zentralisierung war noch nicht weiter präzisiert worden. Im August 1919 war die Zentrale stimmenmäßig überrepräsentiert, während die Stellung und die Meinung der örtlichen Parteibezirke unterbewertet waren. So gab es die Gefahr einer Verselbständigung der Zentrale, was das Mißtrauen gegenüber der Zentrale noch verstärkte. Dennoch konnte sich der Standpunkt der Zentrale und Levis (der mittlerweile zum Vorsitzenden der Partei gewählt worden war) zu den Gewerkschaften und der Parlamentsarbeit nicht durchsetzen, da die Mehrheit der Delegierten zu den Positionen der Linken neigten.
Wie wir zuvor aufgezeigt haben, strömten in den zahlreichen Kampfwellen, die in der ersten Hälfte des Jahres 1919 ganz Deutschland erschütterten und in denen die Stimme der KPD kaum gehört werden konnte, immer mehr Arbeiter aus den Gewerkschaften. Sie spürten, daß die Gewerkschaften als klassische ökonomische Forderungsorgane nicht mehr ihre Funktion der Verteidigung der Arbeiterinteressen erfüllen konnten, ja daß die Gewerkschaften nachdem sie schon im Weltkrieg einen Burgfrieden mit dem Kapital durchgesetzt hatten, gerade in dieser revolutionären Situation erneut auf Seiten des Kapitals standen.
Gleichzeitig brodelte es nicht mehr so wie im November und Dezember 1918, als die Arbeiter sich überall in Arbeiterräten zusammenschlossen und den Staat herausforderten. In dieser Situation gründeten viele Arbeiter ‘Betriebsorganisationen’, die als Unionen alle kämpferischen Arbeiter zusammenfassen sollten. Diese Unionen stellten zum Teil politische Plattformen auf, die den Sturz des kapitalistischen Systems anstrebten. Viele Arbeiter meinten zum damaligen Zeitpunkt, daß die Unionen (Fabrikorganisationen) der ausschließliche Sammelpunkt proletarischer Kräfte sein sollten und daß die Partei sich in ihnen auflösen sollte. Es war die Zeit, in der anarcho-syndikalistische Auffassungen wie auch rätekommunistische Ideen auf ein großes Echo stießen. Mehr als 100.000 Arbeiter fingen an, sich in den Unionen zusammenzuschließen. Im August 1919 wurde die Allgemeine Arbeiter Union (AAU) in Essen gegründet.
Gleichzeitig brachte die Entwicklung nach dem Krieg eine rapide Verschlechterung der Lage der Arbeiterklasse. Hatte sie schon im Krieg bluten und hungern müssen, war sie im Winter 1918/1919 ausgemergelt worden, so sollte sie jetzt noch die Kriegsschulden bezahlen. Im Sommer 1919 wurde im Versailler Vertrag dem deutschen Kapital und vor allem der Arbeiterklasse die Leistung von Reparationszahlungen aufgebürdet. Dem deutschen Kapital war natürlich daran gelegen, die Bestrafung so gering wie möglich ausfallen zu lassen. Deshalb unterstützte es alle Stimmen, die gegen diese Reparationszahlungen Stellung bezogen, insbesondere die Stimmen einiger Hamburger Parteiführer. Es gab Kreise in den Reihen des Militärs, die Verbindung aufnahmen zu Laufenberg und Wolffheim, die ab dem Winter 1919/20 dafür eintraten, einen ‘nationalen Volkskrieg’ zu führen, wo die Arbeiterklasse gemeinsam mit dem deutschen Kapital gegen ‘die nationale Unterdrückung ankämpfen sollte’.
Der 2. Parteitag im Oktober 1919:
Von der politischen Verwirrung zur organisatorischen Zerstreuung
Nach dem Höhepunkt der Kämpfe und nach deren Niederschlagung in der ersten Jahreshälfte 1919 fand auf diesem Hintergrund vom 20. bis 24. Oktober 1919 der 2. Parteitag der KPD in Heidelberg statt. Als erster Punkt auf der Tagesordnung: die Politische Lage und der Geschäftsbericht. In der Einschätzung der politischen Lage wurde vorwiegend auf die wirtschaftliche und imperialistische Entwicklung, insbesondere auf die Position Deutschlands, jedoch nahezu gar nicht auf das internationale Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat eingegangen. Die Schwächung und Krise der Partei schien die tiefergreifende Einschätzung des Standes des Klassenkampfes weltweit verdrängt zu haben. Während es vor allem darum ging, alles zu unternehmen, um alle revolutionären Kräfte zusammenzufassen, stellte die Zentrale der KPD von Anfang an ihre ‘Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik’ in den Vordergrund - von denen einige Aspekte schwerwiegende Konsequenzen für die Partei haben und den Weg für zahlreiche Spaltungen bereiten sollten - und versuchte sie dem Kongreß aufzuzwingen.
In den Leitsätzen wurde hervorgehoben, daß "die Revolution ein politischer Kampf der Proletariermassen um die politische Macht ist. Dieser Kampf wird mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt. ... Dabei aber kann die KPD auf kein politisches Mittel grundsätzlich verzichten, das der Vorbereitung dieser großen Kämpfe dient. Als solches Mittel kommt auch die Beteiligung an Wahlen in Betracht." Weiter sahen die Leitsätze die Beteiligung der Kommunisten an den Gewerkschaften vor, damit man sich ‘nicht von den Massen isoliere’.
Es gab also keine grundsätzliche Bejahung der Gewerkschaften oder des Parlamentes, sondern man sah dies als eine taktische Frage an. Schließlich wurde zurecht der Föderalismus verworfen und straffste Zentralisation verlangt.
Der letzte Punkt jedoch verwarf die Möglichkeit jeglicher weiterer Diskussionen: "Mitglieder der KPD, die diese Anschauungen über Wesen, Organisation und Aktion der Partei nicht teilen, haben aus der Partei auszuscheiden." (Leitsätze)
Wir haben eingangs aufgezeigt, daß die Divergenzen innerhalb der KPD hinsichtlich der Grundsatzfragen der Arbeit in den Gewerkschaften und der Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung tiefgreifend waren.
Auf dem Gründungskongreß war die erste Zentrale gewählt worden, die hinsichtlich dieser Fragen nicht die Mehrheitsposition vertrat und auch nicht ihre Meinung der Mehrheit aufzwingen wollte. Es spiegelt das richtige Verständnis der Organisation, insbesondere bei den Mitgliedern der Zentrale wider, wenn sie aufgrund dieser Divergenz nicht aus der Organisation austraten, sondern diese Divergenz als einen Punkt auffaßten, der erst durch die weitere Diskussion in all seinen Auswirkungen festgelegt werden mußte (1).
Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß die Arbeiterklasse zum damaligen Zeitpunkt zwar seit dem Beginn des 1. Weltkriegs schon über viel Erfahrung für einen klaren Standpunkt gegen die Gewerkschaften und gegen die Beteiligung an den bürgerlichen Parlamentswahlen gewonnen hatte, trotz allem war diese Position noch keine Klassengrenze und noch kein Grund zur Spaltung. Die Auswirkungen der kapitalistischen Dekadenz waren noch von keinem Teil der revolutionären Bewegung umfassend und kohärent aufgearbeitet worden. Es herrschte noch große Heterogenität und in den meisten Ländern gab es in der revolutionären Bewegung überall Divergenzen zu dieser Frage. Es war das Verdienst der Kommunisten in Deutschland gewesen, diese Position überhaupt als erste formuliert zu haben. International standen die Kommunisten in Deutschland zu dieser Frage in der Minderheit. Selbst auf dem Gründungskongreß der Komintern im März 1919 lief zwar die ganze Ausrichtung auf die Verwerfung der Gewerkschaften und der Nationalversammlung hinaus, indem der ganze Schwerpunkt auf die Sowjets gelegt wurde, aber auch die Komintern hatte noch keine theoretisch fundierte Position zu dieser Haltung entwickelt. Wir können sehen, daß auf dem Gründungskongreß der KPD zwar eine richtige Position vertreten worden war, die theoretische Erklärung dafür aber noch nicht ausreichend entwickelt war. Dies spiegelte die Unreife der gesamten Bewegung zum damaligen Zeitpunkt wider. Sie war mit einer objektiven Situation konfrontiert, wo das Bewußtsein, die theoretische Aufarbeitung der Revolutionäre selbst hinterherhinkte. Auf jeden Fall wurde deutlich, daß eine Debatte zu diesen Fragen unerläßlich war und vorangetrieben mußte und daß man ihr nicht ausweichen konnte. Aus all diesen Gründen durften die programmatischen Divergenzen zur Gewerkschaftsfrage und zur Wahlbeteiligung noch kein Grund für einen Parteiausschluß und Abspaltung der Anhänger der einen oder anderen Position sein. Das Gegenteil zu behaupten hieße, daß sonst Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die auf dem Gründungskongreß der Minderheitsposition zur Gewerkschaftsfrage und Wahlbeteiligung angehörten und einhellig gewählt worden waren, hätten ausgeschlossen werden müssen.
Gleichzeitig war die KPD jedoch zutiefst in der Organisationsfrage selber gespalten gewesen. Auf ihrem Gründungskongreß war die KPD noch ein breites Sammelbecken gewesen, die links von der USPD standen, aber in verschiedene Flügel insbesondere hinsichtlich der Organisationsfrage gespalten war. Der marxistische Flügel um Rosa Luxemburg und L. Jogiches, der für die Verteidigung und die Einheit der Organisation am entschlossensten eingetreten war, stand einer Reihe von Elementen gegenüber, die die Notwendigkeit der Organisation entweder unterschätzten, ihr mißtrauisch oder ihr sogar feindlich gegenüberstanden.
Deshalb hatte der 2. Parteitag die Verteidigung und den weiteren Aufbau der Organisation in Angriff zu nehmen.
Aber die objektiven Bedingungen waren schon nicht sehr günstig. Denn:
- das Leben der Organisation selber war schwer angeschlagen. Aufgrund der Illegalität und der Repression war eine umfassende Diskussion in den örtlichen Sektionen über die oben genannten programmatischen Fragen und die organisatorischen Konsequenzen unmöglich gewesen. Insofern konnte sich das Meinungsbild innerhalb der Organisation auf dem Kongreß nicht deutlich auf eine umfassende Diskussion stützen.
- die auf dem Gründungskongreß gewählte Zentrale war stark dezimiert:
3 der neun Mitglieder (Rosa Luxemburg, Liebknecht, Jogiches) waren ermordet, Mehring gestorben, drei weitere konnten aus Verfolgungen und Befürchtung vor Verhaftung nicht am Kongreß teilnehmen. Übrig blieben: P. Levi, Pieck, Lange und Thalheimer.
Gleichzeitig waren die rätekommunistischen und anarcho-syndikalistischen Ideen im Aufschwung begriffen. Anhänger der Unionen plädierten dafür, die Partei in den Unionen aufzulösen, andere drängten auf den Rückzug bei Lohnkämpfen. Der Begriff ‘Führerpartei und Führerdiktatur’ machte die Runde und zeigte, daß organisationsfeindliche Tendenzen Auftrieb gewannen.
Auf diesem Kongreß sollten fehlerhafte Organisationsauffassungen ein Desaster anrichten. Denn schon bei der Zusammensetzung der Delegierten hatte Levi im Namen der Zentrale die Stimmenverhältnisse zu Gunsten der Zentrale zurechtgeschnitten. So warf die Zentrale die politischen Prinzipien des Gründungskongresses über Bord (auch wenn dieser es noch nicht geschafft hatte, bei der Statutendiskussion eine genaue Festlegung des Delegiertenschlüssels vorzunehmen). Statt auf eine Repräsentierung der örtlichen Delegierten, die ein extrem heterogenes Meinungsbild repräsentierten, zu achten, legte er, wie im August 1919 in Frankfurt, den Delegiertenschlüssel so fest, daß die Zentrale eine Mehrheit haben würde.
Von Anfang an verstärkte die Haltung der Zentrale die Spaltungen und bereitete den Ausschluß der früheren Mehrheit vor.
Ausgehend von den in nahezu allen kommunistischen Parteien vorhandenen Debatten zur Parlaments- und Gewerkschaftsfrage hätte die Zentrale ihre Leitsätze als einen Diskussionsbeitrag einbringen müssen, der die Klärung weiter vorantreibt, anstatt ihn als ein Mittel zu sehen, das die Diskussion abwürgt und die Gegenseite aus der Partei ausschließt. Der letzte Punkt, der einen Ausschluß aller Delegierten, die nicht mit den Leitsätzen einverstanden waren, vorsah, spiegelte ein falsches, weil monolithisches Organisationsverständnis wider, das auch im Widerspruch zum Organisationsverständnis des marxistischen Flügels um Rosa Luxemburg und L. Jogiches stand, die immer für eine breitest mögliche Diskussion in der ganzen Organisation eingetreten waren.
Während die auf dem Gründungskongreß gewählte Zentrale die richtige politische Auffassung gehabt hatte, daß die damals vorhandenen Divergenzen zu Grundsatzfragen wie Gewerkschaften und Wahlbeteiligung kein Grund zur Spaltung sein durften, trug die Zentrale auf dem 2. Kongreß selbst zur fatalen Spaltung der Partei auf falscher Grundlage bei.
Die Delegierten, die die Mehrheitsposition des Gründungskongresses vertraten, verlangten, in Anbetracht der schwerwiegenden Entscheidungen die jeweiligen Parteizellen konsultieren zu können und die ‘Entscheidung einer Spaltung nicht übers Knie zu brechen’.
Aber die Parteizentrale wollte auf Biegen und Brechen eine Entscheidung herbeiführen. 31 stimmberechtigte Kongreßteilnehmer stimmten für die Leitsätze, 18 dagegen. Diese 18 Delegierten, die überwiegend die mitgliederstärksten Bezirke der Partei repräsentierten und unter denen sich fast alle Delegierten der ehemaligen ISD/IKD (Internationale Sozialisten Deutschlands / Internationale Kommunisten Deutschlands) befanden, galten nunmehr als ausgeschlossen.
Ein Bruch darf nur auf der klarsten Grundlage erfolgen
Um in einer Situation der Divergenz verantwortlich mit der Diskussion umzugehen, ist es notwendig, daß jede Position ihren Standpunkt umfassend und uneingeschränkt darstellen kann. Levi warf in seiner Attacke gegen die Mehrheit jedoch zunächst alle in einen Topf und betrieb eine glatte Deformation.
Denn es gab die unterschiedlichsten Argumentationen. Otto Rühle beispielsweise trat am offensten gegen die Parlamentsarbeit und Gewerkschaften auf. Aber seine Argumentation war rätekommunistisch. Er schoß gegen eine ‘Führerpolitik’.
Die Genossen aus Bremen, die ebenfalls entschlossene Parlaments- und Gewerkschaftsgegner waren, verwarfen aber nicht die Partei. Auf dem Kongreß brachten die Bremer jedoch ihren Standpunkt nicht energisch und klar genug vor. Sie überließen dem zerstörerischen Treiben von Abenteurern wie Wolffheim und Laufenberg sowie den Föderalisten und Unionisten die Bühne.
Es herrschte allgemeine Verwirrung vor, die Standpunkte waren noch nicht ausreichend geklärt. Insbesondere bei der Organisationsfrage, wo ein klarer Bruch zwischen Parteibefürwortern und Parteigegnern hätte herbeigeführt werden müssen, wurde alles vermischt.
Denn die Verwerfung der Gewerkschaften und der Parlamentswahlen war nicht gleichzusetzen mit einer grundsätzlichen Leugnung der Partei. Leider tat Levi das Gegenteil, als er alle Gegner der Gewerkschafts- und Parlamentsarbeit als Parteigegner bezeichnete. Damit vollzog er eine komplette Deformation der Positionen und verdrehte alles, was auf dem Spiel stand.
Gegenüber dieser Vorgehensweise der Zentrale gab es unterschiedliche Reaktionen:
Nur Laufenberg und Wolffheim sowie zwei weitere Delegierten erklärten die Spaltung für unumgänglich und vollzogen und kündigten am gleichen Abend noch die Gründung einer neuen Partei an. Vorher säten Laufenberg und Wolffheim Mißtrauen und wollten der Zentrale das Vertrauen wegen Lücken im Kassenbericht absprechen. In einem undurchsichtigen Manöver wollten sie selbst die offene Auseinandersetzung um die Organisationsfrage vermeiden.
Die Delegierten aus Bremen verhielten sich dagegen verantwortlich. Sie wollten sich nicht ausschließen lassen.
Am nächsten Tag kamen sie wieder, um ihre Delegiertentätigkeit fortzusetzen. Aber die Zentrale hatte das Tagungslokal verlegt und wollte die Minderheit nicht mehr zulassen.
So entledigte man sich eines großen Teils der Organisation, indem man nicht nur Tricks bei den Delegiertenschlüsseln anwandte, sondern Genossen auch durch Zwang vom Parteitag ausschloß.
Der Kongreß war geprägt von falschen Organisationsvorstellungen. Die Levi-Zentrale hatte eine monolithische Organisationsauffassung, in der Minderheitspositionen zur Gewerkschaftsfrage und Wahlbeteiligung keinen Platz hatten. Aber mit Ausnahme der Bremer Genossen, die für ihr Verbleiben in der Partei kämpften, vertrat auch die Minderheit selber ein monolithisches Verständnis. Denn sie hätte am liebsten auch die Zentrale aus der Partei ausgeschlossen. Statt dessen stürzten sich beide Seiten in eine Spaltung auf völlig unklarer Grundlage. Der marxistische Flügel zur Organisationsfrage hatte sich nicht durchsetzen können.
Damit sollte unter den Kommunisten in Deutschland eine Tradition ihren Einzug halten, deren Muster sich nachher immer wiederholten sollte: bei jeder Divergenz eine Spaltung.
Falsche programmatische Positionen öffnen die Tür zum Opportunismus
Dabei brachten die Leitsätze, die noch die Arbeit im Parlament und in den Gewerkschaften unter hauptsächlich taktischen Gesichtspunkten sahen, eine Schwierigkeit zum Ausdruck, die in der ganzen kommunistischen Bewegung damals vorhanden war: die Lehren aus der Dekadenz ziehen, zu erkennen, daß die Dekadenz neue Bedingungen mit sich gebracht hatte, daß die alten Kampfmittel nicht mehr adäquat waren, weil sich die Bedingungen selbst geändert hatten.
Der Staat hatte das Parlament und die Gewerkschaften längst in sich aufgesogen. Diesen Prozeß hatten der linke Flügel mehr gespürt als theoretisch verstanden. Aber die taktische Orientierung der Führung der KPD, die auf einer konfusen Sicht dieser Frage beruhte, trug zum opportunistischen Abgleiten bei, als die Partei unter dem Vorwand, ‘sich nicht von den Massen zu isolieren’, zu immer mehr Konzessionen gegenüber denjenigen getrieben wurde, die das Proletariat verraten hatten. Dieses Abgleiten wurde ebenso deutlich durch die Tendenz, eine Brücke zur zentristischen USPD zu schlagen, um so zu einer ‘Massenpartei’ zu werden. Indem diese Genossen, die Divergenzen gegenüber der Orientierung der Führung der Partei hatten, ausgeschlossen wurden, hatte die KPD eine Reihe von parteitreuen Militanten eliminiert, was der KPD lebenswichtiges kritisches Blut entziehen sollte, das dazu in der Lage gewesen wären, diese opportunistische Fäulnis zu bremsen.
Der Schlüssel für diese Tragödie war das mangelnde Verständnis der Organisationsfrage und deren Bedeutung. Die Lehre liegt heute auf der Hand: Einen Ausschluß oder eine Spaltung ist viel zu ernsthaft und zu schwerwiegend als daß man ihn übers Knie brechen dürfte. Nur nach vorheriger tiefgreifender abschließender Klärung ist solch eine Entscheidung möglich. Deshalb muß in den Statuten einer jeden Organisation entsprechend klar diese politische Einsicht festgeschrieben werden.
Die Kommunistische Internationale selber, die auf der einen Seite die Position Levis zur Gewerkschafts- und Parlamentsfrage teilte, bestand auf der anderen Seite auf der Notwendigkeit, eine vertiefte Debatte fortzusetzen und verwarf jeden Bruch auf der Grundlage dieser Divergenzen.
Als Reaktion auf ihren Ausschluß aus der Partei richteten die Bremer eine ‘Informationsstelle’ der Opposition ein, die u.a. den Kontakt der Linkskommunisten im Reiche zu gewährleisten hatte. Sie hatten das richtige Verständnis einer Fraktionsarbeit. Aus Sorge um die Vermeidung der Parteispaltung und durch Kompromißversuche in den wichtigsten Streitpunkten der Organisationspolitik, zur Parlamentarismus- und Gewerkschaftsfrage wollten sie um die Einheit der Partei kämpfen. Am 23.12.1919 forderte die Bremer Informationsstelle:
"1. Einberufung einer neuen Reichskonferenz Ende Januar,
2. Zulassung aller Bezirke, die vor der 3. Reichskonferenz zur KPD gehörten, ob sie die Leitsätze anerkennen oder nicht.
3. Die sofortige Zur-Diskussionsstellung von Leitsätzen und Anträgen für die Reichskonferenz
4. Die Zentrale ist verpflichtet, bis zur Einberufung der neuen Konferenz jede weitere parteispaltende Tätigkeit einzustellen" (KAZ, Nr. 197).
Indem sie dem 3. Parteitag der KPD, der vom 25. bis 26. Februar 1920 in Karlsruhe tagte, Abänderungsvorschläge zu den Leitsätzen unterbreitete und die Wiedereingliederung forderte, betrieben die Bremer Genossen eine wirkliche Fraktionsarbeit.
Diese Abänderungsanträge liefen auf organisatorischer Ebene auf eine Stärkung der Stellung der örtlichen Parteigruppen gegenüber der Zentrale hinaus, während sie in der Gewerkschafts- und Parlamentarismusfrage Konzessionen an die Grundsätze der Zentrale enthielten. Gleichzeitig setzte die Parteizentrale der KPD jedoch in den Bezirken, aus denen die ausgeschlossenen Delegierten kamen (Hamburg, Bremen, Hannover, Berlin und Dresden waren ausgeschlossen), ihre spalterische Politik fort und fing an, neue Ortsgruppen aufzubauen.
Auf dem 3. Parteitag, der am 25./26. Februar 1920 stattfand, wurde der Aderlaß deutlich. Hatte es im Oktober 1919 noch knapp über 100.000 Mitglieder gegeben, zählte man jetzt nur noch ca. 40.000. Darüber hinaus hatte die Entscheidung des Parteitages im Oktober 1919 soviel Unklarheit hinterlassen, daß auf dem Februarparteitag 1920 Verwirrung darüber herrschte, ob die Bremer noch der KPD angehörten oder nicht. Erst auf dem 3. Parteitag wurde dann der endgültige Ausschluß beschlossen, obwohl er schon im Oktober 1919 wirksam geworden war.
Die Bourgeoisie trieb das Auseinanderbrechen der Partei voran
Auf einer Reichskonferenz der Opposition am 14.3.1920 erklärte die Bremer ‘Informationsstelle’ unter dem Eindruck des gerade begonnen Kapp-Putsches, sie könne die Gründung einer neuen kommunistischen Partei nicht verantworten und löste sich auf. Ende März kehrten die Bremer nach dem 3. Parteitag wieder in die KPD zurück und lösten die Informationsstelle auf.
Sofort nach ihrem Ausschluß kündigten die Delegierten von Hamburg, Laufenberg und Wolffheim, die Gründung einer neuer Partei. Diese Vorgehensweise entspricht in keiner Weise der des Marxismus gegenüber der Organisationsfrage. Ihre Haltung nach ihrem Ausschluß legt ein bewußtes zerstörerisches Treiben gegenüber revolutionären Organisationen bloß. Von diesem Zeitpunkt an entwickelten sie offen und frenetisch ihre ‘nationalbolschewistische’ Position. Schon während des Krieges hatten sie Propaganda für den ‘revolutionären Volkskrieg’ betrieben. Im Gegensatz zu den Spartakisten bezogen sie keine internationalistische Position sondern riefen zur Unterwerfung der Arbeiterklasse unter die Reichswehr auf, um ‘die britisch-amerikanische Vorherrschaft zu beenden’. Sie beschuldigten gar die Spartakisten, zum Zerfall der Reichswehr beigetragen und ihr somit ‘einen Dolchstoß versetzt’ zu haben. So lauteten auch die Beschuldigungen der Extremen Rechten nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages. Während im Jahre 1919 Laufenberg und Wolffheim bei ihren Angriffen gegen die Gewerkschaften eine radikale Maske anlegten, traten sie nach ihrem Ausschluß aus der KPD mit der ‘national-bolschewistischen Haltung’ in den Vordergrund. Gegenüber den Arbeitern in Hamburg stieß ihre Politik auf kein großes Echo. Aber diese beiden Individuen gingen geschickt vor und veröffentlichten ihren Standpunkt als Beilage zur Kommunistischen Arbeiterzeitung ohne die Zustimmung der Partei. Je mehr sie innerhalb der KPD isoliert waren, desto mehr offen antisemitische Angriffe richteten sie gegen den Führer der KPD Levi, den sie als ‘Juden’ und ‘englischen Agenten’ bezeichneten. Wie sich später herausstellte, war Wolffheim der Sekretär des Offiziers Lettow-Vorbeck; als solcher wurde er als ein Agent provocateur der Polizei entlarvt. Er hatte also nicht aus eigener Initiative gehandelt und sein Treiben richtete sich bewußt und systematisch mit Unterstützung von dunklen Kreisen, die im ‘Hintergrund’ blieben, auf die Zerstörung der Partei.
Das Drama der Opposition bestand darin, sich nicht rechtzeitig und ausreichend von diesen Leuten abgegrenzt zu haben. Die Folge war, daß sich immer mehr Genossen von den Aktivitäten Laufenbergs und Wolffheims abgestoßen fühlten. Viele Genossen kamen nicht mehr zu den Parteitreffen, zogen sich zurück (siehe Protokoll des KPD-Parteitages S. 23).
Nach der Reihe von Niederlagen im Jahre 1919 wollte das Kapital im Frühjahr 1920 die Schwächung der Arbeiterklasse ausnützen und entfaltete eine Offensive.
Am 13. März schlugen die Truppen von Kapp und Lüttwitz zum gewaltsamen Angriff gegen die Arbeiter los. Der Kapp-Putsch war ein eindeutiger Angriff gegen die Arbeiterklasse, auch wenn vordergründig die bürgerliche SPD-geführte Regierung ‘gestürzt’ werden sollte. Mit der Alternative konfrontiert, sich gegen die Angriffe der Militärs zur Wehr zu setzen oder einer blutigen Repression ausgesetzt zu sein, erhob sich in nahezu allen Städten Widerstand gegen das Militär. Die Arbeiterklasse hatte keine andere Wahl, als sich zu verteidigen. Die Widerstandsbewegung ging am weitesten im Ruhrgebiet, wo eine ‘Rote Armee’ aufgestellt wurde.
Gegenüber diesem Vorgehen des Militärs reagierte die KPD-Zentrale in Berlin desorientiert. Nach anfänglicher Unterschätzung der Verteidigungsbereitschaft der Arbeiter, ließ sich die KPD in die Irre führen, als das Kapital eine SPD-USPD geführte Regierung vorschlug, ‘um die Demokratie zu bewahren’. Die KPD betrachtete die sozialdemokratisch geführte Regierung ‘als geringeres Übel’ und bot ihr eine ‘loyale Opposition’ an.
Die aufflammenden Abwehrkämpfe der Arbeiter und diese Reaktion der KPD sollte jedoch für den Rest der aus der KPD Ausgeschlossenen den Vorwand bieten, eine neue Partei zu gründen. Dv.
(1)"Also vor allem, was die Frage der Nichtbeteiligung an den Wahlen betrifft: Du überschätzt enorm die Tragweite dieses Beschlusses.... Unsere ‘Niederlage’ (sie meint die Abstimmungsniederlage der späteren Zentrale zu dieser Frage) war nur der Triumph eines etwas kindischen, unausgegorenen, gradlinigen Radikalismus... Vergiß nicht, daß die ‘Spartakisten’ zu einem großen Teil eine frische Generation sind, frei von den verblödenden Traditionen der ‘alten bewährten’ Partei - und das muß mit Licht- und Schattenseiten genommen werden. Wir haben alle einstimmig beschlossen, den Casus nicht zur Kabinettsfrage zu machen und nicht tragisch zu nehmen" (Rosa Luxemburg in einem Brief an Clara Zetkin, 11. Januar 1919).
Deutsche Revolution VII
Die Gründung der KAPD
Im vorherigen Artikel in der Internationalen Revue Nr. 22 haben wir gesehen, wie die KPD, deren besten Mitglieder ermordet wurden und der Repression ausgesetzt waren, es nicht schaffte, die Rolle zu erfüllen, die sie zu spielen gehabt hätte, und wie falsche Organisationsauffassungen zu einem Fiasko führten, bis hin zum Ausschluß der Mehrheit der Mitglieder der Partei! Auf dem Hintergrund politischer Konfusionen und der aufflammenden Kampfbereitschaft sollte die KAPD gegründet werden.
Am 4./5. April 1920 trafen sich drei Wochen nach dem Beginn des Kapp-Putsches und der Welle von Abwehrkämpfen, die dieser in ganz Deutschland hervorgerufen hatte, in Berlin Delegierte der Opposition, um eine neue Partei aus der Taufe zu heben: die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD).
Es ging darum, endlich eine Partei der „revolutionären Aktion“ zu gründen und eine Kraft haben, die dem opportunistischen Kurs der KPD entgegentrat.
So schwerwiegend die Fehler der KPD während des Kapp-Putsches auch waren – dies war jedoch noch kein Anlaß, damit eine neue Partei aus der Taufe zu heben. Ohne vorher alle Möglichkeiten der Fraktionsarbeit ausgeschöpft zu haben, gründete man völlig überstürzt – zum Teil aus „Frust“, fast aus Verärgerung auf die Schnelle eine neue Partei. Hauptsächlich kamen die Delegierten aus Berlin und einigen anderen Städten. Sie beanspruchten, ca. 20’000 Mitglieder zu vertreten.
Ähnlich dem Gründungskongreß der KPD war die neu gegründete KAPD sehr heterogen zusammengesetzt. Sie war wiederum eher ein Sammelbecken der Opposition und Ausgeschlossenen (1).
Es gab:
– Die Berliner Tendenz: sie wurde von Intellektuellen wie Schröder, Schwab und Reichenbach angeführt, die alle aus dem Milieu sozialistischer Studenten kamen, und Arbeitern, die ausgezeichnete Organisatoren waren wie Emil Sachs, Adam Scharrer und Jan Appel, geprägt. Aus ihrer Sicht waren die Unionen nur ein Ableger der Partei, deswegen verwarfen sie jede Form des revolutionären Syndikalismus und den anarchisierenden Föderalismus. Sie stellten den marxistischen Flügel innerhalb der KAPD dar.
– Die „Parteigegner“, deren prominentester Sprecher Rühle war, und die als solche eher eine lose Gruppierung waren. All ihre Kräfte auf die Unionen zu konzentrieren, darin bestand die einzige Orientierung, die sie verband. Es handelte sich um eine syndikalistisch-revolutionäre Tendenz.
– Die nationalbolschewistische Tendenz um Wolffheim und Laufenberg, die in Hamburg die Mehrheit darstellte; auch wenn Wolffheim und Laufenberg nicht direkt an der Gründung der KAPD mitwirkten, traten sie ihr bei und versuchten sie zu infiltrieren.
Gleichzeitig erhielt die KAPD schnell Zulauf von jungen, radikalisierten, unzufriedenen Arbeitern, die über wenig organisatorische Erfahrung, aber großen revolutionären Enthusiasmus verfügten. Selbst viele Mitglieder der Berliner Sektion waren nicht sehr stark in der Arbeiterbewegung vor dem Krieg verwurzelt gewesen. Zudem hatte der 1. Weltkrieg eine Radikalisierung vieler Künstler und Intellektueller mit sich gebracht (F. Jung, Dichter; H. Vogeler, Anhänger einer Kommune; Pfemfert und O. Kanehl, Künstler; usw.), die sich massenhaft zur KPD und später zur KAPD hingezogen fühlten. Die meisten von ihnen sollten eine verheerende Rolle spielen. Denn ähnlich dem Einfluß der bürgerlichen Intellektuellen nach 1968 haben sie sehr stark die Saat der Organisationsfeindlichkeit verbreitet und den Individualismus, die Zentralisierungsfeindlichkeit, den Föderalismus usw. propagiert. Dieses Milieu von Leuten ist leicht infizierbar durch die kleinbürgerliche Ideologie und deren Verhaltensweisen und macht sich zu deren Träger. Ohne damit von vornherein ein negatives Gesamtimage der KAPD zu zeichnen, denn die KAPD wurde später leichtfertig und pauschalisierend als „kleinbürgerlich“ beschimpft, weil der Einfluß dieser Strömung spürbar war, sollte die KAPD dennoch stark darunter leiden. Diese Intellektuellen-Kreise halfen auch bei dem Aufkommen des bis dahin in der Arbeiterbewegung nicht verbreiteten „Proletenkults“, was sie nicht daran hinderte, selbst Feinde einer theoretischen Vertiefung zu sein. So mußte der marxistische Flügel innerhalb der KAPD von Anfang an eine Abgrenzung von den organisationsfeindlichen Elementen vollziehen.
Wie die Schwächen bei der Organisationsfrage zum Verschwinden der Organisation führen
Es ist nicht das Ziel dieses Artikels, die programmatischen Positionen der KAPD näher zu untersuchen. Wir haben dies im Detail in unserem Buch Die holländische Linke getan. Die KAPD sollte trotz aller theoretischer Schwächen einen historisch wertvollen Beitrag hinsichtlich der Gewerkschafts- und Parlamentsfrage liefern. Sie leistete Pionierarbeit bei der Vertiefung des Verständnisses, warum im dekadenten Kapitalismus eine Arbeit in den Gewerkschaften nicht mehr möglich ist, warum die Gewerkschaften selber zu Staatsorganen geworden sind und warum sich das Parlament nicht mehr zugunsten der Arbeiterklasse benutzen läßt, sondern zu einer gefährlichen Waffe gegen das Proletariat geworden ist. Auch bezüglich der Rolle der Partei sollte die KAPD als erste Partei einen klaren Standpunkt zur Frage des Substitutionismus entwickeln. Sie hatte im Gegensatz zu den Parteien der Komintern erkannt, daß im neuen Zeitraum der Dekadenz keine Massenparteien mehr möglich sind. „Die historisch gegebene Organisationsform zur Zusammenfassung der bewußtesten, klarsten, tatbereitesten proletarischen Kämpfer ist die Partei (...) Die kommunistische Partei muß ein programmatisch durchgearbeitetes, in einheitlichem Wollen organisiertes und diszipliniertes Ganzes sein. Sie muß der Kopf und die Waffe der Revolution sein (....) insbesondere darf sie ihren Mitgliederbestand nie rascher erweitern, als es die Angliederungskraft des festen kommunistischen Kerns gestattet.“ (Leitsätze über die Rolle der Partei in der proletarischen Revolution, Thesen der KAPD, Proletarier Nr. 7, Juli 1921)
Wir heben diese programmatischen Errungenschaften der KAPD an erster Stelle hervor, um zu betonen, daß die Kommunistische Linke sich ungeachtet der fatalen Schwächen der KAPD, auf die wir jetzt eingehen, auf diese Errungenschaften berufen muß. Gerade die KAPD sollte verdeutlichen, daß es nicht reicht, „programmatisch zu Schlüsselfragen“ klar zu sein, denn solange man kein ausreichend klares Verständnis der Organisationsfrage hat, stellt die programmatische Klarheit zu obengenannten Fragen keine Garantie für ein Überleben der Organisation dar. Ausschlaggebend ist nämlich die Fähigkeit, eine revolutionäre Organisation nicht nur programmatisch auf solide Füße zu stellen, sondern die Organisation auch aufzubauen, sie zu verteidigen und sicherzustellen, daß die Organisation ihre historische Rolle erfüllt und nicht zerfressen wird von falschen Organisationsauffassungen, und den Höhen und Tiefen des Klassenkampfes standhält.
Als einer der ersten Tagesordnungspunkte auf dem Gründungskongreß hatte die KAPD beschlossen, sofort der Kommunistischen Internationale beizutreten, ohne vorher die Mitgliedschaft bei ihr zu beantragen. Während sie sich so von Anfang an der internationalen Bewegung zugehörig fühlte, lief die Ausrichtung ihrer Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt darauf hinaus, als Schwerpunkt „innerhalb der 3. Internationale den Kampf gegen den Spartakusbund“ zu führen. In einer Diskussion mit Vertretern des KPD hatte man vorher erklärt, daß wir „die reformistische Taktik des Spartakusbundes als nicht im Einklang mit den Prinzipien der 3. Internationale stehend betrachten und daß wir den Ausschluß des Spartakusbundes aus der 3. Internationale betreiben würden“ (Protokoll des Gründungsparteitages, zit. bei Bock, S. 207). Als Leitmotiv bei dieser Diskussion tauchte immer wieder die Idee auf: „Wir lehnen ein Zusammengehen mit dem Spartakusbund ab und werden ihn scharf bekämpfen... Unsere Stellung zum Spartakusbund ist klar und einfach zu präzisieren: Wir glauben, daß einzelne kompromittierte Führer aus der proletarischen Kampffront ausgeschlossen werden müssen, und wir haben die Bahn frei für das Zusammengehen der Massen gemäß dem maximalistischen Programm..... Eine Delegation von zwei Genossen, die dem Exekutiv-Komitee der Dritte Internationale mündlichen Bericht erstatten sollen, wird beschlossen. Die Delegation wird von Berlin und Hamburg gestellt, da besonderes Gewicht darauf gelegt wird, die Hamburger Entwicklung klarlegen zu lassen.“ (ebenda S. 211)
Während ein politischer Kampf gegen die opportunistischen Positionen des Spartakusbundes in der Tat unerläßlich war, spiegelte diese dermaßen feindliche Haltung gegenüber der KPD jedoch ein völliges Verdrehen der Prioritäten wider. Anstatt Klärung gegenüber der KPD mit dem Ziel der Festlegung für die Bedingungen der Einheit, Vereinigung zu betreiben, überwog eine sektiererische, unverantwortliche, jede Organisation zerstörerische Haltung. Haupttriebkraft dieser Haltung waren vor allem die Hamburger Nationalbolschewisten.
Zunächst war es ein Fiasko, daß die KAPD bei ihrer Gründung die Hamburger Nationalbolschewisten in ihre Reihen aufgenommen hatte. Diese Strömung war antiproletarisch. Allein ihre Anwesenheit ließ das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der KAPD in den Augen der Komintern von vornherein schwerwiegend absinken( 2).
Als Delegierte zum im Juli tagenden 2. Kongreß der Komintern wurden Jan Appel und Franz Jung ernannt( )3.
In Diskussionen mit dem Exekutivkomitee der Komintern stellten sie den Standpunkt der KAPD dar. Im Anschluß an diese Diskussionen versicherten sie dem EKKI, daß sowohl die nationalbolschewistische Strömung um Laufenberg und Wolffheim als auch die parteifeindliche Strömung um Rühle aus der KAPD ausgeschlossen werden würde. Bei der Gewerkschafts- und Parlamentarismusfrage prallten die Standpunkte der KAPD und des EKKI heftig aufeinander. Lenin hatte kurz zuvor seine Schrift Der linke Radikalismus – die Kinderkrankheit im Kommunismus fertiggestellt. Nachdem die KAPD aufgrund der kriegsbedingten Blockade keine Nachricht von ihren Delegierten erhalten hatte, schickte man eine 2. Delegation, Otto Rühle und Merges. Das war das Schlimmste, das sie machen konnte.
Vor allem Rühle war Repräsentant der föderalistischen Minderheit, die die kommunistische Partei auflösen und in ein System von Unionen überführen wollte. Jegliche Zentralisierung ablehnend, verwarfen sie deshalb auch implizit die Existenz einer Internationale überhaupt. Nach einer Reise durch Rußland, wo sie von den Auswirkungen des Bürgerkrieges, den die 21 Armeen gegen Rußland angezettelt hatten, geschockt waren und ein „belagertes Regime“ sahen, wollten die beiden Delegierten ohne Absprache mit der KAPD wieder abreisen, überzeugt davon, daß „die Diktatur der Bolschewistischen Partei der Nährboden für das Erscheinen einer neuen sowjetischen Bourgeoisie war.“ Obwohl Lenin, Sinowjew, Radek und Bucharin ihnen eine beratende Stimme auf dem 2. Kongreß 1920 einräumen wollten und sie zur Teilnahme am Kongreß drängten, wollten sie auf die Teilnahme verzichten. Vor ihrer Abreise gestand das Exekutivkomitee der Komintern ihnen gar eine beschließende und nicht mehr nur eine beratende Stimme zu. „Während wir uns schon in Petrograd auf dem Rückweg befanden, schickte uns das Exekutivkommission eine neue Einladung zum Kongreß, mit der Erklärung, daß die KAPD auf diesem Kongreß auch das Stimmrecht erhalte, obgleich sie keine der drakonischen Bedingungen des Offenen Briefes an die KAPD erfüllt oder auch nur versprochen hätte, sie zu erfüllen.“
Resultat war: Der Zweite Kongreß der Komintern fand ohne die kritische Stimme der KAPD-Delegierten statt. Die verhängnisvolle opportunistische Entwicklung in der Komintern konnte leichter vonstatten gehen, die Arbeit in den Gewerkschaften wurde in den 21 Aufnahmebedingungen als bindend beschlossen. Der Widerstand der KAPD gegen diese opportunistische Kehrtwende war auf diesem Kongreß nicht zu spüren.
Auch war es infolgedessen nicht möglich, daß sich die kritischen Stimmen gegenüber dieser Entwicklung in der Komintern auf dem Kongreß selber zusammenfanden. Durch dieses schädliche Verhalten der KAPD-Delegierten kam es zu keinen internationalen Absprachen und keinem gemeinsamen Vorgehen. Die Ansätze einer internationalen Fraktionsarbeit wurden verpaßt.
Nach ihrer Rückkehr wurde die Strömung um Rühle aus der KAPD wegen organisationsfeindlichem Verhalten und Auffassungen ausgeschlossen. Nicht nur verwarfen die Rätekommunisten die politische Organisation des Proletariats und leugneten damit die besondere Rolle der Partei, die diese bei der Bewußtseinsentwicklung des Proletariats zu spielen hatte (siehe dazu die Thesen zur Partei der KAPD). Sie reihten sich ein in die bürgerlichen Propagandastimmen, die die Erfahrung der Russischen Revolution verzerrten. Anstatt die Lehren aus dem Scheitern der Russischen Revolution zu ziehen, fingen sie an, die Revolution als eine doppelte (proletarisch und bürgerlich, bzw. kleinbürgerlich) zu bezeichnen. Damit gaben sie sich selbst den politischen Todesstoß. Die „Rätisten“ wirkten nicht nur schädlich, indem sie die Rolle der Revolutionäre bei der Bewußtseinsentwicklung verneinten, sondern sie wirkten auch auf die Auflösung des revolutionären Lagers hin und verstärkten die allgemeine Organisationsfeindlichkeit. Nach ihrer Auflösung und Verstreuung konnten sie keinen politischen Beitrag mehr leisten. Diese Strömung besteht heute noch und hält sich hauptsächlich in den Niederlanden am Leben (obwohl ihre Ideologie weit über dieses Land hinaus verbreitet ist).
Der Zentralausschuß der KAPD beschloß auf dem 1. Ordentlichen Parteitag der KAPD im August 1920, daß es nicht darum ging, die Dritte Internationale zu bekämpfen, sondern in ihren Reihen solange zu kämpfen, bis der Standpunkt der KAPD gesiegt habe. Diese Einstellung unterschied sich kaum von der Haltung der Italienischen Linken, allerdings änderte sich das später. Aber die Auffassung, daß man nur eine „Opposition“ und keine Internationale Fraktion innerhalb der Komintern bilden sollte, verhinderte es, daß eine internationale Plattform der Kommunistischen Linken entwickelt wurde.
Im November 1920 fuhr eine 3. Delegation nach dem 2. Kongreß der KAPD nach Moskau (ihr gehörten Gorter, Schröder und Rasch an). Die Komintern wies gegenüber der KAPD zurecht darauf hin, daß die Existenz zweier Organisationen (KPD und KAPD) in einem Land eine Anomalie sei und beendet werden müsse. Aus der Sicht der Komintern sollte der Ausschluß der Parteigegner um Rühle und der Nationalbolschewisten um Laufenberg und Wolffheim der Vereinigung der beiden Strömungen den Weg freimachen und den Zusammenschluß mit dem linken Flügel der USPD ermöglichen. Während die KAPD und die KPD sich jeweils wiederum vehement gegen den Zusammenschluß beider Parteien stellten, verwarf die KAPD prinzipiell jeden Zusammenschluß mit dem linken Flügel der USPD. Trotz dieser Ablehnung der Position der Komintern erhielt die KAPD den Status einer sympathisierenden Partei der Dritten Internationale mit beratender Stimme.
Auf dem 3. Kongreß der Komintern (22.6.–13.7.1921) äußerte die Delegation der KAPD erneut ihre Kritik an den Positionen der Komintern. Sie trat mutig und entschlossen der opportunistischen Entwicklung der Komintern in zahlreichen Redebeiträgen entgegen. Der Versuch, eine linke Fraktion auf dem Kongreß zu errichten, schlug fehl, denn von den anderen kritischen Stimmen aus Mexiko, England, Belgien, Italien und den USA, war niemand zu einer internationalen Fraktionsarbeit bereit. Nur die niederländische KAP und Genossen aus Bulgarien schlossen sich ihnen an. Schließlich wurde die Delegation mit einem Ultimatum der Komintern konfrontiert: Innerhalb von 2-3 Monaten sollte die KAPD ihre Verschmelzung mit der VKPD vollziehen. Ansonsten werde die KAPD aus der Komintern ausgeschlossen.
Damit beging die Komintern einen schwerwiegenden Fehler, denn durch ihr Ultimatum brachte sie wie die KPD zwei Jahre zuvor auf dem Oktober-Parteitag in Heidelberg eine kritische Stimme in ihren eigenen Reihen zum Schweigen. Die opportunistische Entwicklung der Komintern stieß auf eine Hürde weniger.
Die Delegation der KAPD in Moskau wollte diese Entscheidung nicht vor Ort im Namen der Partei treffen, sondern dazu die Instanzen der Partei anhören.
Als revolutionäre Strömung stand die KAPD vor einer schweren und schmerzhaften Wahl, auch deshalb, weil sie sich auf die gesamte linkskommunistische Strömung auswirken würde:
– entweder mit der VKPD zusammengehen, damit der opportunistischen Entwicklung Vorschub leisten;
– oder zu einer externen Fraktion der Internationale werden, mit der Absicht, die Komintern wiederzuerobern und auch die deutsche VKPD, wobei sich gleichzeitig andere größere Fraktionen bilden müßten;
– oder auf die Bedingungen der Gründung einer neuen kommunistischen Internationale hinarbeiten;
– oder sich künstlich und ohne Berücksichtigung der subjektiven Bedingungen für die Bildung einer neuen 4. Internationale entscheiden.
Die Führung der KAPD ließ sich vom Juli 1921 an in überstürzte Entscheidungen treiben. Trotz des Widerstands der Vertreter aus Hannover und Ostsachsen, trotz der Enthaltung des größten Parteibezirks – Großberlin – entschied sich die Führung der Partei für die Annahme einer Resolution, die den Bruch mit der Dritten Internationale verkündete. Schwererwiegend als diese außerhalb des Rahmens eines Kongresses getroffene Entscheidung war der Beschluß, auf die „Errichtung einer Kommunistischen Arbeiter-Internationale“ hinzuarbeiten. Auf einem Außerordentlichen Kongreß der KAPD vom 11.–14. Sept. 1921 wurde dann einstimmig der sofortige Austritt aus der Komintern als sympathisierende Partei verkündet.
Gleichzeitig betrachtete die KAPD alle Sektionen der Komintern als verloren. Ihr zufolge könnten aus deren Reihen keine revolutionären Fraktionen mehr hervorgehen. Die Wirklichkeit verzerrend, stellten sie die verschiedenen Parteien als „Hilfstruppen“ im Dienste des Aufbaus des „russischen Kapitals“ dar. Vor lauter revolutionärem Eifer hatte die KAPD nicht nur das Potential des Widerstandes gegen die opportunistischen Entwicklung der Komintern unterschätzt, sondern auch die Prinzipien im Umgang unter revolutionären Gruppen verletzt. Diese sektiererische Haltung sollte einen Vorgeschmack auf die spätere sektiererische Haltung anderer revolutionärer Organisationen liefern. Der Feind schien nicht mehr das Kapital sondern die anderen Gruppen zu sein, denen man absprach revolutionär zu sein.
Das Drama der Selbstverstümmelung
Einmal aus der Komintern ausgeschlossen, sollte in der KAPD eine weitere Schwäche voll zum Tragen kommen.
Nicht nur gab es auf ihren Konferenzen kaum umfassende Einschätzungen des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen auf internationaler Ebene, man beschränkte sich mehr oder weniger auf die Analyse der Lage in Deutschland und die Hervorhebung der besonderen Verantwortung der Arbeiterklasse dort. Man war nicht bereit sich einzugestehen, daß die revolutionäre Welle international im Rückfluß begriffen war. Anstatt aus diesem Rückfluß die Lehren zu ziehen und die Aufgaben der Stunde neu zu definieren, meinte man, daß die „Situation überreif war für die Revolution“. Und dennoch fiel sehr schnell ein Großteil der Mitglieder, vor allem jüngere, die nach dem Krieg zur Bewegung gestoßen waren, ab, als sie merkten, daß der Gipfel der revolutionären Kampfwelle überschritten war. Als Reaktion darauf versuchte man, wie wir in einem weiteren Artikel sehen werden, der Lage künstlich entgegenzutreten, indem eine Tendenz zu Einzelaktionen und Putschismus sich breit machte.
Anstatt den Rückfluß des Klassenkampfes anzuerkennen, anstatt eine zähe Fraktionsarbeit außerhalb der Komintern zu betreiben, strebte man die Gründung einer Kommunistischen Arbeiter-Internationale an. Die Sektionen der KAPD in Berlin und in Bremerhaven wandten sich gegen diese Haltung, blieben aber in der Minderheit.
Gleichzeitig fing im Winter 1921/22 ein Flügel der KAPD um Schröder an, die Notwendigkeit von Lohnkämpfen zu verwerfen. Diese seien zur Zeit der „Todeskrise des Kapitalismus“ opportunistisch; nur politische Kämpfe, die die Frage der Macht stellen, sollten unterstützt werden. Mit andern Worten: Die Partei könne ihre Funktion nur in Zeiten revolutionärer Kämpfe ausüben; eine andere Spielart rätekommunistischer Auffassungen!
Im März 1922 gewann Schröder durch Manipulation des Abstimmungsmodus eine Mehrheit für seinen Flügel, die nicht den tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen in der Partei entsprach. Der Bezirk Groß-Berlin, der zahlenmäßig der stärkste war, schloß daraufhin Schröder, Sachs, Goldstein aus der Partei wegen „parteischädigenden Verhaltens und wegen ihres maßlosen persönlichen Ehrgeizes“ aus. Als Folge schloß der offiziell die Mehrheit vertretende Schröder den Berliner Bezirk aus, ließ sich in Essen nieder und rief eine „Essener Strömung“ ins Leben. Es gab nunmehr zwei KAPDs, zwei Zeitungen mit dem gleichen Namen. Die Zeit der persönlichen Inkrimierungen und Verleumdungen begann.
Anstatt die Lehren aus dem Ausschluß auf dem Oktober-Parteitag der KPD 1919 gezogen, anstatt die Erkenntnis aus dem Ausschluß aus der Komintern gewonnen zu haben, war es so, als wollte man die Kontinuität dieser Reihe von Fiaskos bewahren! Der Begriff der Partei wurde eine einfache Etikette für jede sich abspaltende Organisation, die auf einige wenige Hundert Mitglieder zusammenschrumpfte, wenn nicht weniger.
Um den Gipfel des organisatorischen Selbstmordes zu besteigen, gründete die Essener Strömung um Schröder dann am 2.–6. April 1922 die Kommunistische Arbeiter-Internationale.
Nachdem die KAPD selber im April 1920 mehr oder weniger auf die Schnelle aus dem Boden gestampft worden war, ohne vorher die Möglichkeit einer Fraktionsarbeit außerhalb der KPD ausgeschöpft zu haben, beschloß man jetzt – sobald man aus der Komintern ausgeschlossen war und die unverantwortliche Spaltung der KAPD in eine Essener und Berliner Strömung selber herbeigeführt hatte – überstürzt eine neue Internationale aus dem Boden zu stampfen! Eine rein künstliche Gründung, als ob die Gründung einer Organisation nur eine Frage des Willens sei! Ein vollkommen unverantwortliches Verhalten – das ein weiteres Fiasko bedeutete.
Die Essener Strömung spaltete sich im November 1923 erneut, es löste sich ein „Kommunistischer Rätebund“ ab, Teile der Essener Richtung (Schröder, Reichenbach) kehrten 1925 wieder in die SPD zurück, ein anderer Teil zog sich aus der Politik ganz zurück. Die Berliner Richtung schaffte es noch, eine längere Zeit am Leben zu bleiben. Ab 1926 wandte sie sich dem linken Flügel innerhalb der KPD zu. Nachdem die Berliner Richtung der KAPD 1926 noch ca. 1.500-2.000 Mitglieder umfaßte, während ein Großteil der Ortsgruppen – vor allem im Ruhrgebiet – zusammengebrochen war, gab es noch einmal einen zahlenmäßigen Auftrieb (man zählte ca. 6.000 Mitglieder) durch den Zusammenschluß mit der „Entschiedenen Linken“, die aus der KPD ausgeschlossen worden war.
Nach einer weiteren Spaltung 1928 versank die KAPD immer mehr in Bedeutungslosigkeit.
Die Entwicklung zeigt: Die Linkskommunisten in Deutschland hatten verhängnisvoll falsche Auffassungen in Sachen Organisationsfrage. Ihr organisatorisches Vorgehen war nichts anderes als eine Katastrophe für die Arbeiterklasse.
Zwar schwankten sie nicht hinsichtlich der Frage der Gewerkschaften und des Parlamentarismus, zur Aufarbeitung der Erfahrung der Russischen Revolution leisteten sie jedoch keinen Beitrag. Zu stark lastete der rätekommunistische Einfluß, der ja die Russische Revolution vollständig zu verwerfen begonnen hatte, in ihren Reihen. Nachdem sie von der Komintern ausgeschlossen worden waren und die Farce der Kommunistischen Arbeiter-Internationale in die Welt gesetzt hatten, konnten sie nicht einmal eine konsequente internationale Fraktionsarbeit leisten. Diese Aufgabe sollte die Italienische Linke wahrnehmen.
Die Verteidigung der Lehren der Kämpfe aus der revolutionären Welle konnte nur erfolgreich durchgeführt werden, wenn sie als Organisation selber am Leben blieben. Jedoch hatten ihre Schwächen und fehlerhaften Auffassungen zur Organisationsfrage dazu geführt, daß sie es nicht schafften, ihre Organisation als Fraktion am Leben zu erhalten. Zwar versuchte die Bourgeoisie von Anfang an, mit ihren Repressionskräften (anfänglich die Sozialdemokratie, später die Stalinisten und Faschisten) die linkskommunistischen Kräfte physisch zu vernichten, aber ihre Unfähigkeit, die Organisation zu verteidigen, hatte mit zu ihrem politischen Todesurteil, zu ihrer Verstümmelung beigetragen. Das revolutionäre Erbe in Deutschland sollte – von einigen sporadischen Ausnahmen abgesehen – ausgelöscht werden. Die Konterrevolution hatte vollständig gesiegt. Die vermachten Lehren aus der Organisationserfahrung der „Deutschen Linken“ aufzuarbeiten und sich anzueignen, ist deshalb heute für die Revolutionäre eine dringende Aufgabe, um eine Wiederholung des Fiaskos von damals zu verhindern.
Die falschen Organisationsauffassungen der KPD beschleunigen ihren Weg zum Opportunismus
Die KPD selber sollte nach 1919, nachdem sie die „Opposition“ ausgeschlossen hatte, in einen verheerenden opportunistischen Strudel geraten.
Vor allem begann die KPD, die Arbeit in den Gewerkschaften und dem Parlament zu propagieren. Von der „rein taktischen“ Frage auf dem 2. Kongreß im Oktober 1919 war der Weg nicht weit zu einer ausgesprochenen Verteidigung und Hauptausrichtung auf diese „Strategien“.
Weil man sah, daß die revolutionäre Welle von Kämpfen sich nicht weiter ausdehnte und radikalisierte, wollte man „an die rückständigen“ und noch „mit Illusionen behafteten“ Arbeiter in den Gewerkschaften „rankommen“, indem man mit der Sozialdemokratie „Einheitsfronten“ in den Unternehmen aufbaute. Zunächst wurde im Dezember 1920 der Zusammenschluß mit der zentristischen USPD vollzogen in der Hoffnung, durch die Bildung einer Massenpartei mehr Einfluß zu bekommen. Vor allem nach Wahlerfolgen bei den Parlamentswahlen geriet die KPD selber unter die Räder ihrer eigenen Illusionen, indem sie glaubte, je mehr Stimmen sie bei den Wahlen gewinne, desto größer werde ihr Einfluß in der Arbeiterklasse. Schließlich wurde es für die Mitglieder Pflicht, in den Gewerkschaften mitzuarbeiten.
Beschleunigt wurde ihre opportunistische Entwicklung noch dadurch, als sie ihre Türen dem Nationalismus öffnete. Hatte sie 1919 die Nationalbolschewisten berechtigterweise rausschmeißen wollen, ließ sie ab 1920/21 selbst die nationalistischen Elemente durch die Hintertür rein.
Gegenüber der KAPD nahm sie eine sehr ablehnende Haltung ein. Nachdem die Komintern im November 1920 die KAPD als beratende Partei zugelassen hatte, drängte die KPD auf deren Hinauswurf aus der Komintern.
Vor allem nach den Kämpfen von 1923, und nachdem der Stalinismus in Rußland immer mehr triumphiert hatte, wurde die KPD zum Sprachrohr des russischen Staates. In den 20er Jahren wurde die KPD eines der treuesten Anhängsel Moskaus. Während große Teile der KAPD die russische Erfahrung ganz verwarfen, war die KPD völlig unkritisch geworden! Die falschen Organisationsauffassungen hatten damit selbst die Kräfte des Widerstandes innerhalb der KPD gegen den Opportunismus entscheidend geschwächt.
„Die Deutsche Revolution“: Geschichte der Schwäche der Partei
Blicken wir zurück auf die Kämpfe und die Rolle der Kommunisten, sticht sofort ins Auge, daß der Arbeiterklasse in Deutschland eine ausreichend starke Partei an ihrer Seite fehlte. War das Gewicht der Spartakisten in den Kämpfen in der Anfangsphase im November und Dezember 1918 verständlicherweise noch relativ gering gewesen, gab es ein wahres Fiasko im Januar 1919, als die frisch gegründete KPD die Provokation der Bourgeoisie nicht verhindern konnte. Das ganze Jahr 1919 über zahlte die Arbeiterklasse dann den Preis für die Schwächen der Partei. In der Welle von Kämpfen in den verschiedenen Orten hatte die KPD keinen entscheidenden Einfluß. Dieser Einfluß sank noch mehr ab, als es ab Oktober 1919 zu einer Spaltung der KPD kam. Als sich dann im März 1920 eine geballte Reaktion der Arbeiter gegen den Kapp-Putsch erhob, war wiederum die KPD nicht auf der Höhe.
Nachdem wir aufgezeigt haben, welche Tragöde die Schwächen der Partei für die Arbeiterklasse bedeutete, und betont haben, wie die Parteiarbeit hätte aussehen sollen, könnte man meinen, damit sei das Rätsel für die Niederlage der Revolution in Deutschland entschlüsselt.
Es stimmt, daß diese Schwäche der Partei, die Fehler der Revolutionäre vor allem zu den Organisationsfragen sich nicht wiederholen dürfen.
Jedoch liefern die Fehler und Schwächen der Partei nicht die ganze Erklärung dafür, daß die Revolution in Deutschland gescheitert ist.
Oft wird hervorgehoben, die Bolschewistische Partei um Lenin habe ein Modell dafür geliefert, wie eine Revolution „erfolgreich“ durchgeführt werden könne. Und Deutschland liefere nur das Gegenbeispiel für die Schwächen der Revolutionäre. Aber damit macht man es sich zu einfach. Lenin und die Bolschewiki waren die ersten, die dies hervorhoben: „Wenn es so leicht war, mit der Bande solcher kläglichen, schwachsinnigen Kreaturen wie Romanow und Rasputin fertig zu werden, so ist es unendlich schwieriger, gegen die organisierte und starke Clique der deutschen gekrönten und ungekrönten Imperialisten zu kämpfen.“ (W. Lenin, Auf dem Ersten Gesamtrussischen Kongreß der Kriegsflotte, in Werke Bd. 26, S. 342, 25. November 1917)
„Für uns war es leichter, die Revolution anzufangen, aber es ist für uns außerordentlich schwer, sie fortzusetzen und zu vollenden. Furchtbar schwer kommt die Revolution in einem so hochentwickelten Lande wie Deutschland, in einem Lande mit einer so ausgezeichnet organisierten Bourgeoisie, zustande (...).“ (Lenin, Referat auf der Moskauer Gouvernementskonferenz der Betriebskomitees, 23. Juli 1918, Werke Bd. 27, S. 547)
Vor allem indem die Bourgeoisie durch den Druck der Arbeiter den Krieg zu Ende brachte, nahm sie eine wichtige Triebkraft aus den Kämpfen weg. Als dann nach Kriegsende ein Massenkampf der Arbeiter, mit zunehmendem Druck aus den Betrieben, mit verstärkter Initiative in den Arbeiterräten selbst zustande kam, prallte die Arbeiterklasse auf die ausgefeilte Sabotagetaktik der konterrevolutionären Kräfte mit der SPD und den Gewerkschaften an zentraler Stelle.
Die Lehre für heute liegt auf der Hand: Gegenüber solch einer cleveren Bourgeoisie wie sie die deutsche damals war – und in einer zukünftigen Revolution wird die ganze Bourgeoisie vereint mit allen Mitteln gegen die Arbeiterklasse ankämpfen – können die Revolutionäre nur ihre Aufgabe erfüllen, wenn sie selber solide und international organisiert sind.
Die Partei kann nur aufgebaut werden, indem sie sich auf langwierige vorherige programmatische Klärung und vor allem die Ausarbeitung fester organisatorischer Prinzipien stützt. Die Erfahrung in Deutschland zeigt: Ohne die Klarheit über eine marxistische organisatorische Funktionsweise wird jede Organisation auseinanderbrechen.
Das Versagen der Revolutionäre in Deutschland in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg beim wirklichen Parteiaufbau hat katastrophale Auswirkungen gehabt. Nicht nur zerstümmelte und verkrüppelte die Partei sich damit selbst. Im Laufe der Konterrevolution wurden schon bis Ende der 20er Jahre die Stimmen der organisierten Revolutionäre weitestgehend zum Schweigen gebracht. In Deutschland sollte dann ein mehr als 50jährige Friedhofsruhe herrschen. Als das Proletariat dann nach 1968 auch in Deutschland wieder seine Stirn zeigte, fehlte natürlich diese revolutionäre Stimme des Proletariats. Es gehört somit zu den wichtigsten Aufgaben der Vorbereitung der zukünftigen proletarischen Revolution, den Organisationsaufbau erfolgreich in Angriff zu nehmen. Sonst wird es nicht nur zu keiner Revolution kommen, sondern ihr Scheitern wäre jetzt schon vorprogrammiert.
Deshalb steht der Kampf für den Aufbau der Organisation im Mittelpunkt der Vorbereitung der Revolution von morgen.
DV
1 Siehe unser Buch La gauche hollandaise (Die holländische Linke) und unsere Broschüre Die deutsch-holländische Linke, in welchen Publikationen wir auf die Frage der KAPD und ihre Entwicklung detailliert eingehen, insbesondere den Teil „Linkskommunismus und die Revolution – 1919-1927“.
2 Erst nach der Rückkehr der Delegation am Ende des Sommers 1920 wurden sie aus der KAPD ausgeschlossen. Ihre Mitgliedschaft in der KAPD zeigt, wie heterogen die KAPD zum Zeitpunkt ihrer Gründung war, und daß sie eher ein Sammelbecken als eine Partei war, die auf soliden programmatischen und organisatorischen Grundlagen aufgebaut war.
3 Über Land konnte man damals Moskau infolge der Belagerung durch die „Armeen der Demokratie“ und des Bürgerkriegs nicht erreichen. Erst nachdem Jan Appel und F. Jung ein Schiff gekapert hatten und die Matrosen zur Absetzung des Kapitäns überreden konnten, nahm das Schiff Kurs auf Rußland. Unter abenteuerlichen Umständen gelang es ihnen, die
Blockade der russischen Häfen, die die konterrevolutionären Armeen gegen Rußland im Bürgerkrieg errichtet hatten, zu unterlaufen und Ende April Murmansk zu erreichen, von wo aus sie nach Moskau weiterfuhren.
Deutsche Revolution VIII
Der Kapp-Putsch 1920
Die Rechten greifen an, die Demokratie fügt den Arbeitern die Niederlage bei
In der Internationalen Revue Nr. 19 haben wir aufgezeigt, dass die Arbeiterklasse 1919 nach dem Scheitern des Januaraufstands in einer Reihe von zerstreuten Kämpfen schwerwiegende Niederlagen hinnehmen musste. Mit der blutrünstigsten Gewalt schlug die herrschende Klasse in Deutschland gegen die Arbeiter zu.
1919 war die Spitze der revolutionären Welle überschritten. Und nachdem die Arbeiterklasse in Russland gegenüber dem Ansturm der konterrevolutionären Truppen, die die demokratischen Staaten gegen Russland organisiert hatten, isoliert blieb, wollte in Deutschland die Bourgeoisie die Arbeiterklasse, die durch die 1919 erlittenen Niederlagen angeschlagen war, weiter angreifen und vollständig auf den Boden werfen.
Die Arbeiterklasse sollte die Kosten des Krieges tragenNach dem Desaster des Krieges, als die Wirtschaft dabei war zusammenzubrechen, wollte die herrschende Klasse die Situation ausnutzen, um der Arbeiterklasse die ganzen Kosten des Krieges aufzubürden. In Deutschland waren zwischen 1913 und 1920 die Ernten in der Landwirtschaft und die industrielle Produktion um mehr als die Hälfte gefallen. Von der vorhandenen Produktion sollte noch ein Drittel an die Siegerländer abgeführt werden. In vielen Wirtschaftszweigen brach die Produktion weiter zusammen. Unterdessen schossen die Preise rasant in die Höhe; betrugen die Lebenshaltungskosten 1913 100 Einheiten, waren sie 1920 auf 1100 Einheiten angestiegen. Nach dem Hungern im Krieg stand jetzt wieder der Hunger im ‘Frieden’ auf dem Programm. Die Unterernährung dehnte sich weiter aus. Chaos und Anarchie der kapitalistischen Produktion, Verarmung und Hunger in den Reihen der Arbeiter herrschten überall.
Die Bourgeoisie setzt den Versailler Vertrag zur Spaltung der Arbeiterklasse einGleichzeitig wollten die Siegermächte des Westens die deutsche Bourgeoisie als Verlierer des Krieges zur Kasse bitten. Zu dem Zeitpunkt bestanden jedoch große Interessensgegensätze zwischen den Siegermächten.
Während die USA daran interessiert waren, dass Deutschland als Gegenpol gegen England wirken könnte und sich deshalb gegen eine Zerschlagung Deutschlands stellten, wollte Frankreich die möglichst nachhaltigste militärische, wirtschaftliche und territoriale Schwächung und gar eine Zerstückelung Deutschlands. Im Versailler Vertrag (28. Juni 1919) wurde deshalb beschlossen, dass in Deutschland das Militär bis zum 10. April 1920 von 400000 auf 200000 Mann, bis zum 10. Juli auf 100000 Mann reduziert werden solle. Von 24000 Offizieren würden nur 4000 in die neue republikanische Armee, die Reichswehr, übernommen werden. Die Reichswehr fasste diesen Beschluss als eine lebensgefährliche Bedrohung für sie auf und wollte sich mit allen Mitteln dagegen zur Wehr setzen. Unter allen bürgerlichen Parteien – von der SPD über das Zentrum bis zu den Rechten – herrschte Einigkeit, dass der Versailler Vertrag aus nationalem Interesse verworfen werden sollte. Nur aufgrund des von den Siegermächten ausgeübten Zwangs beugten sie sich. Gleichzeitig benutzte die Bourgeoisie den Versailler Vertrag dazu, die schon im Krieg vorhandene Spaltung in der internationalen Arbeiterklasse noch weiter zu vertiefen: in Arbeiter der Siegermächte und der Verliererstaaten.
Vor allem große Teile des Militärs fühlten sich durch den Versailler Vertrag bedroht und wollten sofort ihren Widerstand organisieren. Erneut strebten sie einen Krieg mit den Siegermächten an. Dazu musste aber der Arbeiterklasse eine weitere entscheidende Niederlage schnell beifügt werden.
Aber das Großkapital wollte die Militärs nicht an die Macht kommen lassen. Die SPD hatte bislang an der Spitze des Staates ganze Arbeit geleistet. Seit 1914 hatte sie die Arbeiterklasse gefesselt, in den revolutionären Kämpfen im Winter 1918/1919 die Sabotage und Repression organisiert. Das Kapital brauchte nicht die Militärs, um seine Herrschaft aufrechtzuerhalten, es hatte die Diktatur der Weimarer Republik und setzte weiter auf sie. So schossen von der SPD befehligte Polizeitruppen am 13. Januar 1920 auf eine Massendemo vor dem Reichstag. 42 Tote blieben auf der Strecke. In einer Streikwelle im Ruhrgebiet Ende Februar wurde von der ‘demokratischen Regierung’ die Todesstrafe gegen revolutionäre Arbeiter angedroht.
Als im Februar Teile des Militärs Putschbestrebungen in Gang setzten, wurden diese deshalb nur von wenigen Kapitalfraktionen gestützt. Vor allem der agrarische Osten bildete ihren Stützpunkt, da er besonders stark an einer Rückeroberung durch den Krieg verloren gegangener Gebiete interessiert war.
Der Kapp-Putsch
Die Rechten greifen an ...
Dass ein Putschversuch in Vorbereitung war, pfiffen die Spatzen von den Dächern. Aber die SPD-geführte Regierung unternahm zunächst nichts gegen diese Bestrebungen. Am 13. März zog eine ‘Marine-Brigade’ unter dem Kommando des Generals von Lüttwitz in Berlin ein, umstellte das Regierungsgebäude und rief den Sturz der Ebert-Regierung aus. Nachdem Ebert die Generale Seeckt und Schleicher um sich versammelte, um mit ihnen die Niederschlagung des rechtsradikalen Putsches durch die SPD-geführte Regierung zu besprechen, weigerten sich die Militärs, denn wie der oberste Militärchef sagte: „Die Reichswehr will keinen ‘Bruderkrieg’ Reichswehr gegen Reichswehr zulassen.“
Die Regierung floh zunächst nach Dresden und dann nach Stuttgart. Zwar erklärte Kapp die bürgerliche Regierung für abgesetzt, aber sie wurde nicht einmal verhaftet. Vor ihrer Flucht nach Stuttgart konnte die Regierung noch einen Aufruf zum Generalstreik erlassen, der ebenfalls von den Gewerkschaften unterstützt wurde, und zeigte damit erneut, wie heimtückisch dieser linke Flügel des Kapitals gegen die Arbeiter vorzugehen verstand.
„Kämpft mit jedem Mittel um die Erhaltung der Republik. Lasst allen Zwist beiseite! Es gibt nur ein Mittel gegen die Diktatur Wilhelm II.:
– Lahmlegung jeden Wirtschaftslebens
– Keine Hand darf sich mehr rühren
– Kein Proletarier darf der Militärdiktatur helfen
– Generalstreik auf der ganzen Linie
– Proletarier vereinigt Euch. Nieder mit der Gegenrevolution.
Die sozialdemokratischen Mitglieder der Regierung: Ebert, Bauer, Noske,
Der Parteivorstand der SPD– O. Wels“
Gewerkschaften und SPD traten sofort für den Schutz der bürgerlichen Republik ein – auch wenn sie dabei eine ‘arbeiterfreundliche Sprache’ benutzten(1). Kapp erklärte die Nationalversammlung für aufgelöst, kündigte Neuwahlen an und drohte jedem streikenden Arbeiter mit der Todesstrafe.
Die Reaktion der Arbeiterklasse: Der bewaffnete AbwehrkampfDie Empörung unter den Arbeitern war riesig. Ihnen war sofort klar, dass es sich um einen Angriff gegen die Arbeiterklasse handelte. Überall entflammte heftigster Widerstand. Natürlich ging es nicht darum, die für abgesetzt erklärte, verhasste Scheidemann-Regierung zu verteidigen, die vorher so blutig gegen die Arbeiterklasse gewütet hatte.
Von der Waterkant über Ostpreußen, Mitteldeutschland, Berlin, Baden-Württemberg, Bayern bis zum Ruhrgebiet, keine Großstadt, in der es nicht Demonstrationen gab, kein Industriezentrum, wo nicht die Arbeiter in den Streik traten und versuchten, Polizeistationen zu stürmen und sich zu bewaffnen. Keine Fabrik, wo es keine Vollversammlung gab, um über den Widerstand zu entscheiden. In den meisten Großstädten fingen die putschistischen Truppen oder die Reichswehr an, auf demonstrierende Arbeiter zu schießen. Dutzende von Arbeitern fielen am 13. und 14. März unter den Schüssen der Putschisten.
In den Industriezentren wurden Aktionsausschüsse, Vollzugsräte, Arbeiterräte gebildet. Die Arbeitermassen strömten auf die Straße.
Seit dem November 1918 war die Mobilisierung der Arbeiter noch nie so stark gewesen.
Überall bäumte sich die heftigste Wut der Arbeiter gegen die rechten Militärs gleichzeitig auf.
Am 13. März, dem Tag des Einmarsches der Kapp-Truppen in Berlin, reagierte die KPD-Zentrale in Berlin mit Abwarten. In einer ersten Stellungnahme riet die KPD-Zentrale noch vom Generalstreik ab, „Das Proletariat wird keinen Finger rühren für die demokratische Republik ... Die Arbeiterklasse, die gestern noch in Banden geschlagen war von den Ebert-Noske, und waffenlos, ... ist in diesem Augenblick nicht aktionsfähig. Die Arbeiterklasse wird den Kampf gegen die Militärdiktatur aufnehmen in dem Augenblick und mit den Mitteln, die ihr günstig erscheinen. Dieser Augenblick ist noch nicht da(...).“ Doch die KPD-Zentrale täuschte sich. Die Arbeiter selber wollten nicht abwarten, sondern innerhalb von wenigen Tagen reihten sich mehr Arbeiter in diesen Abwehrkampf ein, als sich seit Beginn der revolutionären Welle in den vielen zerstreuten Bewegungen zuvor mobilisiert hatten. Überall hieß die Parole ‘Bewaffnung der Arbeiter’, ‘Niederschlagung der Putschisten’.
Während 1919 in ganz Deutschland zerstreut gekämpft worden war, hatte der Putsch an vielen Orten die Arbeiterklasse gleichzeitig mobilisiert. Dennoch kam es abgesehen vom Ruhrgebiet kaum zu Kontaktaufnahmen der Arbeiter in den verschiedenen Städten untereinander. Landesweit erhob sich der Widerstand spontan, ohne eine ihn zentralisierende Bewegung.
Das Ruhrgebiet, die größte Konzentration der Arbeiterklasse, war zentrale Zielscheibe der Kappisten gewesen. So wurde das Ruhrgebiet zum Zentrum des Abwehrkampfes. Von Münster aus wollten die Kappisten die Arbeiter im Ruhrgebiet einkesseln. Nur die Arbeiter im Ruhrgebiet bündelten ihre Kämpfe in mehreren Städten und bildeten eine zentrale Streikleitung. Überall wurden Aktionsausschüsse gebildet. Es wurden systematisch bewaffnete Arbeiterverbände aufgestellt. Man spricht von 80000 bewaffneten Arbeitern im gesamten Ruhrgebiet. Dies war die größte militärische Mobilisierung in der Geschichte der Arbeiterbewegung neben dem Abwehrkampf in Russland.
Obwohl der Widerstand der Arbeiter auf militärischer Ebene nicht zentral geleitet wurde, gelang es den bewaffneten Arbeitern, den Vormarsch der Kapp-Putschisten zu stoppen. In einer Stadt nach der anderen konnten die Putschisten verjagt werden. Diese Erfolge hatten die Arbeiter 1919 in den verschiedenen Erhebungen nicht verbuchen können. Am 20. März musste sich das Militär gar aus dem Ruhrgebiet ganz zurückziehen. Am 17. März war Kapp schon zurückgetreten, sein Putsch hatte keine 100 Stunden gedauert. Der Widerstand der Arbeiterklasse hatte ihn zu Fall gebracht.
Ähnlich der Entwicklung ein Jahr zuvor hatten sich die stärksten Widerstandszentren in Sachsen, Hamburg, Frankfurt und München gebildet (2). Die machtvollste Reaktion der Arbeiter kam jedoch im Ruhrgebiet zustande.
Während in den anderen Orten Deutschlands die Bewegung nach dem Rücktritt Kapps und dem Scheitern des Putsches sofort wieder stark abflachte, war im Ruhrgebiet mit dem Rücktritt des Putschisten die Bewegung nicht zu stoppen. Viele Arbeiter glaubten, dass man jetzt weitergehen müsse.
Die Grenzen der Reaktion der ArbeiterWährend sich spontan und in Windeseile eine große Abwehrfront der Arbeiter gegen die blutrünstigen Putschisten erhoben hatte, war klar, dass die Frage des Sturzes der Bourgeoisie keineswegs auf der Tagesordnung stand, sondern es ging in den Augen der meisten Arbeiter nur um ein Zurückschlagen eines bewaffneten Angriffs.
Und welcher Schritt der erfolgreichen Abwehr des Putschistenangriffes hätte folgen sollen, war damals unklar.
Abgesehen vom Ruhrgebiet erhoben die Arbeiter in anderen Regionen kaum Forderungen, die der Bewegung der Klasse eine größere Dimension hätte geben können. Solange sich der Druck aus den Betrieben gegen den Putsch richtete, gab es eine einheitliche Linie unter den Arbeitern, aber sobald die putschistischen Truppen niedergeworfen wurden, trat die Bewegung auf der Stelle und suchte ein klares Ziel. Einen Teil des Militärs zurückschlagen, ihn in einer Gegend zum Rückzug zu zwingen, heißt noch nicht, die Kapitalistenklasse gestürzt zu haben.
An verschiedenen Orten gab es Versuche von anarcho-syndikalistisch-rätistischen Kräften, erste Maßnahmen in Richtung Sozialisierung der Produktion in Gang zu setzen, weil man glaubte, nachdem man in einer Stadt die rechtsradikalen Kräfte vertrieben hatte, die Tür zum Sozialismus öffnen zu können. So wurden vielerorts durch die Arbeiter eine Reihe von ‘Kommissionen’ gebildet, die dem bürgerlichen Staat Anweisungen geben wollten, was zu tun sei. Erste Maßnahmen der Arbeiter nach einer erfolgreichen ‘Schlacht’ auf dem Weg zum Sozialismus, erste winzige Ansätze einer Doppelmacht – als solche wurden sie dargestellt. Aber diese Auffassungen sind ein Zeichen der Ungeduld, die in Wirklichkeit von der dringendsten Aufgabe ablenkt. Solche Maßnahmen ins Auge zu fassen, nachdem man nur LOKAL ein günstiges Kräfteverhältnis aufgebaut hat, sind eine große Gefahr für die Arbeiterklasse, weil sich die Machtfrage zunächst für ein ganzes Land und in Wirklichkeit nur international stellt. Deshalb müssen solche Zeichen kleinbürgerlicher Ungeduld und des ‘sofort alles haben wollen’ bekämpft werden.
Während die Arbeiter wegen der Bedrohung durch die Militärs sich sofort militärisch mobilisierten, fehlte jedoch der unabdingbare Druck aus den Fabriken. Ohne den entsprechenden Impuls aus den Betrieben, ohne die Masseninitiative, die auf die Straße drängt und sich in Arbeiterversammlungen äußert, wo gemeinsam die Lage diskutiert wird und Entscheidungen getroffen werden, kann die Bewegung nicht wirklich von der Stelle kommen. Dazu ist aber die größtmögliche Eigeninitiative, das Bestreben nach der Ausdehnung und dem Zusammenschluss der Bewegung erforderlich, was wiederum mit einer tiefgreifenden Bewusstseinsentwicklung verbunden ist, wo die Feinde des Proletariats entlarvt werden.
Deswegen reicht nicht einfach die Bewaffnung und die entschlossene militärische Abwehrschlacht – die Arbeiterklasse selber muss ihr wichtigstes Geschütz auffahren: ihr Bewusstsein über ihre eigenen Rolle, ihre Fähigkeit, sich selbst zu organisieren, vorantreiben. Dazu stehen die Arbeiterräte an zentraler Stelle. Die Arbeiterräte und Aktionsausschüsse, die in den Abwehrkämpfen wieder spontan entstanden waren, waren jedoch noch zu schwach entwickelt, um der Bewegung als Sammelpunkt und als Speerspitze zu dienen.
Hinzu kam, dass die SPD von Anfang an alles unternahm, um gerade ihren Sabotagehebel gegen die Räte anzusetzen. Während die KPD den Schwerpunkt ihrer Intervention auf die Neuwahl der Arbeiterräte setzte, die Initiative in den Räten selber verstärken wollte, blockierte die SPD diese Versuche.
SPD und Gewerkschaften:
Speerspitze bei der Niederschlagung der Arbeiterklasse
Im Ruhrgebiet saßen wiederum viele SPD-Vertreter in den Aktionsausschüssen und in der zentralen Streikleitung. So versuchte die SPD erneut wie zwischen November 1918 und Ende 1919 die Bewegung sowohl von Innen wie auch von Außen her zu sabotieren, um, sobald die Arbeiter entscheidend geschwächt waren, mit der Repression gegen sie vorzugehen.
Denn nachdem am 17. März Kapp zurückgetreten war und seine Truppen aus dem Ruhrgebiet am 20. März abzogen, und nachdem die ‘geflüchtete’ SPD-geführte Regierung um Ebert-Bauer wieder die Geschäfte übernommen hatte, konnte die Regierung und mit ihr das Militär ihre Kräfte neu gruppieren.
Wieder einmal kamen SPD und Gewerkschaften dem Kapital zu Hilfe. Sie verlangten das sofortige Ende der Kämpfe. Die Regierung stellte ein Ultimatum. Mit großer demagogischer Kunst wollten sie die Arbeiter zum Einstellen der Kämpfe bewegen. Ebert und Scheidemann riefen sofort zur Wiederaufnahme der Arbeit auf: „Kapp und Lüttwitz sind erledigt, aber junkerliche und syndikalistische Empörung bedrohen noch immer den deutschen Volksstaat. Ihnen gilt der weitere Kampf, bis auch sie sich bedingungslos unterwerfen. Für dieses große Ziel ist die republikanische Front noch inniger und fester zu schließen. Der Generalstreik trifft bei längerer Dauer nicht nur die Hochverräter, sondern auch unsere eigene Front. Wir brauchen Kohlen und Brot zur Fortführung des Kampfes gegen die alten Mächte, deshalb Abbruch des Volksstreiks, dafür aber stets Alarmbereitschaft.“
Gleichzeitig bot die SPD politische Scheinkonzessionen an, mit deren Hilfe sie der Bewegung die Spitze brechen wollte. So versprach sie „mehr Demokratie“ in den Betrieben, einen „entscheidenden Einfluss auf die Neuregelung der wirtschaftlichen und sozialen Gesetzgebung“ und die Säuberung der Verwaltung von putschfreundlich gesinnten Kräften. Vor allem die Gewerkschaften legten sich ins Zeug, damit ein Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Im sogenannten Bielefelder Abkommen wurden dann Konzessionen versprochen, die aber nur ein Vorwand sein konnten, um nach dem Bremsen der Bewegung um so heftiger die Repression zu organisieren.
Gleichzeitig wurde wieder mit der ‘ausländischen Intervention’ gedroht. Sollte es zu einer weiteren Ausdehnung der Kämpfe kommen, würden ausländische Truppen – vor allem die USA – eingreifen. Lebensmittellieferungen aus Holland an die hungernde Bevölkerung wurden von den Militärs unterbunden.
So sollten SPD und Gewerkschaften wieder zum Drahtzieher der Repression gegen die Arbeiter werden. Dieselbe SPD, deren Minister einige Tage zuvor noch, am 13. März, zum Generalstreik gegen die Putschisten aufgerufen hatten, nahmen jetzt wieder die Zügel in die Hand für die Repression. Denn während die ‘Waffenstillstandsverhandlungen’ stattfanden, die Regierung scheinbare Konzessionen machte, war die volle Mobilisierung der Reichswehr in Absprache mit der SPD schon im Gange. So gingen viele Arbeiter von der fatalen Illusion aus, da man Regierungstruppen vor sich habe, die der ‘demokratische Staat’ der Weimarer Republik gegen die Putschisten geschickt habe, würden diese keine Kampfhandlungen gegen die Arbeiter unternehmen. So rief das Verteidigungskomitee in Berlin-Köpenick die Arbeiterwehren dazu auf, den Kampf einzustellen. Nach dem Einzug der ‘regierungstreuen Truppen’ wurden sofort Standgerichte gebildet, deren Wüten sich in nichts von dem blutrünstigen Vorgehen der Freikorps ein Jahr zuvor unterschied. Jeder, der im Besitz von Waffen war, wurde sofort erschossen. Tausende Arbeiter wurden misshandelt, gefoltert und erschossen und unzählige Frauen vergewaltigt. Man spricht von mehr als 1000 ermordeten Arbeitern allein im Ruhrgebiet.
Es waren die Truppen des frisch gegründeten demokratischen Staates, die gegen die Arbeiterklasse geschickt wurden.
Und während die Schergen der Putschisten es nicht geschafft hatten, die Arbeiter zu Boden zu werfen, sollten dies die Henker der Demokratie bewerkstelligen.
Seit dem 1. Weltkrieg sind alle bürgerlichen Parteien reaktionär und Todfeinde der ArbeiterklasseIn der dekadenten Phase des Kapitalismus hat die Arbeiterklasse seitdem diese Erkenntnis immer wieder gewinnen müssen: Es gibt keine Fraktion der herrschenden Klasse, die weniger reaktionär oder der Arbeiterklasse gegenüber weniger feindselig eingestellt ist. Im Gegenteil: Die linken Kräfte, wie die SPD es wieder einmal unter Beweis stellen sollte, sind nur noch hinterlistiger und heimtückischer in ihren Angriffen gegen die Arbeiter.
Im dekadenten Kapitalismus gibt es keine Fraktion der Bourgeoisie, die noch irgendwie fortschrittlich und unterstützungswert wäre. Deshalb sollten die Illusionen über die Sozialdemokratie in Wirklichkeit mit dem Blut der Arbeiterklasse bezahlt werden. Bei der Niederschlagung der Bewegung gegen den Kapp-Putsch zeigte die SPD erneut ihre ganze heimtückische List, wie sie im Dienste des Kapitals handelt.
Einmal trat sie als „radikaler Vertreter der Arbeiter“ auf. Nicht nur schaffte sie es, die Arbeiter zu täuschen, sondern auch die Arbeiterparteien ließen sich durch die SPD Sand in die Augen streuen. Denn während die KPD laut und deutlich vor der SPD auf Reichsebene warnte, vorbehaltlos den bürgerlichen Charakter ihrer Politik aufzeigte, wurde sie vor Ort selber Opfer der Heimtücke der SPD. Denn in den verschiedenen Städten unterzeichnete die KPD mit der SPD Aufrufe zum Generalstreik:
In Frankfurt z.B. riefen SPD, USPD und KPD dazu auf: „Nun gilt es den Kampf aufzunehmen, nicht zum Schutze der bürgerlichen Republik, sondern zur Aufrichtung der Macht des Proletariats. Verlaßt sofort die Betriebe und die Büros!“
In Wuppertal beschlossen die Bezirksleitungen von SPD, USPD und KPD den Aufruf: „Der einheitliche Kampf muss geführt werden mit dem Ziel:
1. Erringung der politischen Macht durch die Diktatur des Proletariats, bis zur Festigung des Sozialismus auf der Grundlage des reinen Rätesystems.
2. Sofortige Sozialisierung der dazu reifen Wirtschaftsbetriebe.
Dieses Ziel zu erreichen, rufen die unterzeichneten Parteien (USPD, KPD, SPD) dazu auf, am Montag, den 15. März, geschlossen in den Generalstreik zu treten ...“
Die Tatsache, dass KPD und USPD die wahre Rolle der SPD hier nicht entblößten, sondern der Illusion einer möglichen Einheitsfront mit dieser Partei Vorschub leisteten, die die Arbeiterklasse verraten hatte und der soviel Blut an den Fingern wegen der von ihr organisierten Repression gegen die Arbeiter klebte, sollte für die Arbeiterklasse verheerende Auswirkungen haben.
Die SPD wiederum zog in Wirklichkeit alle Fäden der Repression gegen die Arbeiter. Sie sorgte sofort nach Rückzug der Putschisten mit Ebert an der Regierungsspitze dafür, dass die Reichswehr einen neuen Chef – von Seeckt – bekam, der sich als ausgekochter Militär einen Ruf als Henker der Arbeiterklasse verdient hatte. Mit grenzenloser Demagogie stachelte das Militär den Hass gegen die Arbeiter an: „Während der Putschismus von rechts zerschlagen abtreten muss, erhebt der Putschismus von links aufs neue das Haupt (..). wir führen die Waffen gegen jeden Putsch.“ So wurden die Arbeiter, die gegen die Putschisten gekämpft hatten, als die eigentlichen Putschisten beschimpft. „Lasst euch nicht irremachen durch bolschewistische und spartakistische Lügen. Bleibt einig und stark. Macht Front gegen den alles vernichtenden Bolschewismus. Im Namen der Reichsregierung: von Seeckt und Schiffer.“
Das wirkliche Blutbad gegen die Arbeiter übte die Reichswehr aus, die von der SPD dirigiert wurde. Es rückte die ‘demokratische Armee’, die Reichswehr gegen die Arbeiter vor, die Kappisten hatten längst die Flucht ergriffen!
Die Schwäche der Revolutionäre – für die Arbeiterklasse fatalWährend die Arbeiterklasse sich mit großem Heldenmut dem Angriff der Militärs entgegenwarf und nach einer weiteren Orientierung für ihre Kämpfe suchte, hinkten die Revolutionäre selbst der Bewegung hinterher. So wurde das Fehlen einer starken Kommunistischen Partei zu einer der entscheidenden Ursachen des erneuten Rückschlags, den die proletarische Revolution in Deutschland erleiden sollte.
Wie wir in früheren Artikeln aufgezeigt haben, war die KPD durch den Ausschluss ihrer Opposition auf dem Heidelberger Parteitag im Oktober 1919 entscheidend geschwächt worden, und im März 1920 gab es in Berlin gerademal einige Hundert Mitglieder, die Mehrzahl der Mitglieder war ausgeschlossen worden.
Zudem lastete über der Partei das Trauma der verheerenden Fehler der Revolutionäre aus der blutigen Januarwoche 1919, als die KPD nicht geschlossen die Falle, die die Bourgeoisie für die Arbeiter aufgestellt hatte, aufdecken und die Arbeiter nicht daran hindern konnte, in diese zu laufen.
So schätzte die KPD jetzt am 13. März das Kräfteverhältnis falsch ein, denn sie meinte, es sei zu früh zum Zurückschlagen. Fest stand, dass die Arbeiterklasse gegenüber einer Offensive der Bourgeoisie nicht die Wahl des Zeitpunktes hatte, und die Abwehrbereitschaft der Arbeiter war groß. In dieser Lage war die Orientierung der Partei vollkommen richtig: „Sofortiger Zusammentritt in allen Betrieben zur Neuwahl von Arbeiterräten. Sofortiger Zusammentritt der Räte zu Vollversammlungen, die die Leitung des Kampfes zu übernehmen und die über die nächsten Maßnahmen zu beschließen haben. Sofortiger Zusammentritt der Räte zu einem Zentralkongreß der Räte. Innerhalb der Räte werden die Kommunisten kämpfen: für die Diktatur des Proletariats, für die Räterepublik ...“ (15. März 1920).
Aber nachdem die SPD nach dem 20. März die Zügel der Regierungsgeschäfte wieder in die Hand genommen hatte, erklärte die KPD-Zentrale am 21. März 1920:
„Für die weitere Eroberung der proletarischen Massen für den Kommunismus ist ein Zustand, wo die politische Freiheit unbegrenzt ausgenützt werden, wo die bürgerliche Demokratie nicht als die Diktatur des Kapitals auftreten könnte, von der größten Wichtigkeit für die Entwicklung in der Richtung zur proletarischen Diktatur.
Die KPD sieht in der Bildung einer sozialistischen Regierung unter Ausschluß von bürgerlich-kapitalistischen Parteien einen erwünschten Zustand für die Selbstbetätigung der proletarischen Massen und ihr Heranreifen für die Ausübung der proletarischen Diktatur.
Sie wird gegenüber der Regierung eine loyale Opposition treiben, solange diese Regierung die Garantien für die politische Betätigung der Arbeiterschaft gewährt, solange sie die bürgerliche Konterrevolution mit allen ihr zu Gebot stehenden Mitteln bekämpft und die soziale und organisatorische Kräftigung der Arbeiterschaft nicht hemmen wird“ (21. März 1920, Zentrale der KPD).
Wenn die KPD der SPD gegenüber eine ‘loyale Opposition’ versprach, was erwartete sie von dieser? War es nicht die gleiche SPD gewesen, die während des Krieges und seit Beginn der revolutionären Welle alles unternommen hatte, um die Arbeiter zu täuschen, sie an den Staat zu binden und immer wieder kaltblütig die Repression organisiert hatte!
Indem die KPD-Zentrale diese Haltung einnahm, ließ sie sich auf das gefährlichste durch die Manöver der SPD täuschen.
Wenn die Avantgarde der Revolutionäre sich schon so irreführen ließen, war es nicht verwunderlich, dass unter den Massen der Arbeiter die Illusionen über die SPD noch größer waren!
Diese Politik der Einheitsfront ‘von unten’, die im März 1920 von der KPD-Zentrale schon praktiziert wurde, sollte dann von der Komintern Zug um Zug übernommen werden. Die KPD hatte damit einen tragischen Anfang gesetzt.
Für die aus der KPD im Oktober 1919 ausgeschlossenen Genossen sollten die Fehler der KPD-Zentrale dann der Anlass sein, nur kurze Zeit später, Anfang April 1920, in Berlin die KAPD zu gründen.
Wieder einmal hatte die Arbeiterklasse in Deutschland heldenhaft gegen das Kapital gekämpft. Während international die Kampfeswelle schon stärker abgeklungen war, hatte sich die Arbeiterklasse in Deutschland ein weiteres Mal den Angriffen des Kapitals entschlossen entgegengeworfen. Aber erneut musste die Arbeiterklasse ohne eine wirklich schlagkräftige Organisation an ihrer Seite auskommen.
Das Zögern und die politischen Fehler der Revolutionäre in Deutschland verdeutlichen, wie schwerwiegend die Unklarheit und das Versagen einer revolutionären Organisation ins Gewicht fällt.
Diese von der Bourgeoisie angezettelte Provokation nach dem Kapp-Putsch endete leider in einer neuen und schwerwiegenden Niederlage der Arbeiterklasse in Deutschland. Trotz des heldenhaften Mutes und der Entschlossenheit, mit der sich die Arbeiter in den Kampf stürzten, mussten die Arbeiter erneut ihre weiterhin bestehenden Illusionen über die SPD und die bürgerliche Demokratie teuer bezahlen. Durch die chronische Schwäche ihrer revolutionären Organisation politisch gehandikapt, durch die Politik und das heimtückische Vorgehen der Sozialdemokratie getäuscht, erlitten sie eine Niederlage und wurden schließlich nicht den Kugeln der rechtsextremen Putschisten ausgeliefert, sondern der sehr demokratischen Reichswehr, die unter dem Befehl der SPD-geführten Regierung stand.
Aber diese neue Niederlage des Proletariats in Deutschland war vor allem ein Schlag gegen die weltweite revolutionäre Welle, wodurch Sowjetrussland noch weiter in die Isolation geriet.
Dv
(1) Die Frage ist bis heute ungeklärt, ob es sich nicht um eine gezielte Provokation gehandelt hat, wo es eine Absprache zwischen den Militärs und Regierung gab. Man kann keinesfalls als ausgeschlossen betrachten, dass die herrschende Klasse einen Plan hatte, um die Putschisten als provozierenden Faktor einzusetzen nach dem Konzept: die ‘Rechten’ locken die Arbeiter in die Falle, die ‘demokratische’ Diktatur schlägt dann zu!.
(2) In Mitteldeutschland trat zum ersten Mal Max Hoelz in Erscheinung, der durch die Organisierung von bewaffneten Kampfverbänden der Arbeiter Polizei und Militär viele Gefechte lieferte, bei seinen Aktionen in Geschäften Waren beschlagnahmte und sie an Arbeitslose verteilte. Wir werden in einem späteren Artikel erneut auf ihn zurückkommen.
Deutsche Revolution, Teil 9
Die März-Aktion 1921: Die Gefahr kleinbürgerlicher UngeduldIm vorigen Artikel zum Kapp-Putsch 1920 haben wir herausgestellt, dass die Arbeiterklasse nach den Niederlagen von 1919 wieder auf dem Vormarsch war. Aber weltweit war die revolutionäre Welle doch absteigend.
Die Beendigung des Krieges hatte in vielen Ländern den revolutionären Elan gebrochen und es vor allem der Bourgeoisie ermöglicht, die Spaltung der Arbeiterklasse in Arbeiter der „Siegermächte“ und der besiegten Staaten auszunutzen. Zudem schaffte es das Kapital, die revolutionäre Bewegung in Russland immer weiter zu isolieren. Die Siege der Roten Armee über die Weißen Truppen, die von den westlichen bürgerlichen Demokratien kräftig unterstützt wurden, hinderte die herrschende Klasse nicht daran, ihre Konteroffensive international fortzusetzen.
In Russland selber forderten die Isolierung der Revolution und die wachsende Integration der Bolschewistischen Partei in den russischen Staat ihren Preis. Im März 1921 erhoben sich in Kronstadt revoltierende Arbeiter und Matrosen.
Auf diesem Hintergrund sollte in Deutschland die Arbeiterklasse noch immer eine stärkere Kampfbereitschaft zeigen als in den anderen Staaten. Überall standen die Revolutionäre vor der Frage: nachdem der Höhepunkt der internationalen Welle revolutionärer Kämpfe überschritten war und die Bourgeoisie weiter in der Offensive blieb, wie auf diese Situation reagieren?
Innerhalb der Komintern setzte sich eine politische Kehrtwende durch. Die auf dem 2. Kongress im Sommer 1920 verabschiedeten 21 Aufnahmebedingungen verdeutlichten dies klar. Hierin wurde die Arbeit in den Gewerkschaften wie die Beteiligung an den Parlamentswahlen bindend vorgeschrieben. Damit hatte die Komintern einen Rückschritt zu den alten Methoden aus der Zeit des aufsteigenden Kapitalismus gemacht, in der Hoffnung, dass man damit größere Kreise von Arbeiter erreichen würde.
Diese opportunistische Kehrtwende äußerte sich in Deutschland darin, dass die Kommunistische Partei im Januar 1921 einen „Offenen Brief“ an die Gewerkschaften und SPD wie auch an die Freie Arbeiterunion (Syndikalisten), USPD und KAPD richtete, in dem „sämtlichen sozialistischen Parteien und Gewerkschaftsorganisationen vorgeschlagen (wurde), gemeinsame Aktionen zur Durchsetzung der dringendsten wirtschaftlichen und politischen Forderungen der Arbeiter zu führen“. Durch diesen Aufruf insbesondere an die Gewerkschaften und die SPD sollte die „Einheitsfront der Arbeiter in den Betrieben“ hergestellt werden. Die VKPD betonte, „sie wollte zurückstellen die Erinnerung an die Blutschuld der mehrheitssozialdemokratischen Führer. Sie wollte für den Augenblick zurückstellen die Erinnerungen an die Dienste, die die Gewerkschaftsbürokratie den Kapitalisten im Krieg und in der Revolution geleistet hat.“ (aus „Offener Brief“, Rote Fahne, 8.1.1921) Während man mit opportunistischen Schmeicheleien Teile der Sozialdemokratie auf die Seite der Kommunisten ziehen wollte, wurde gleichzeitig in den Reihen der Partei zum ersten Mal die Notwendigkeit einer proletarischen Offensive theoretisiert. Und „sollten die Parteien und Gewerkschaften, an die wir uns wenden, nicht gewillt sein, den Kampf aufzunehmen, so würde die VKPD sich verpflichtet erachten, diesen Kampf allein zu führen, und sie ist überzeugt, dass ihr die Arbeitermassen folgen werden“. (ebenda)
Gleichzeitig hatte der im Dezember 1920 vollzogene Zusammenschluss zwischen KPD und USPD, der zur Gründung der VKPD führte, in der Partei die Auffassungen von der Möglichkeit einer Massenpartei erstarken lassen. Dies wurde dadurch verstärkt, dass die Partei jetzt über 500000 Mitglieder verfügte. So ließ sich die VKPD selbst blenden durch den Stimmenanteil bei den Wahlen zum Preußischen Landtag, wo sie im Februar nahezu 30% aller Stimmen erzielte (1).
Die Idee machte sich breit, man könne die Lage in Deutschland „aufheizen“. Vielen schwebte die Idee eines Rechtsputsches vor, der wie ein Jahr zuvor im Kapp-Putsch eine mächtige Reaktion der gesamten Arbeiterklasse mit Aussichten auf die Machtergreifung auslösen würde. Diese irrigen Auffassungen sind im wesentlichen auf den verstärkten Einfluss des Kleinbürgertums in der Partei seit dem Zusammenschluss zwischen KPD und USPD zurückzuführen. Die USPD war wie jede zentristische Richtung in der Arbeiterbewegung stark von den Auffassungen und Verhaltensweisen des Kleinbürgertums beeinflusst. Das zahlenmäßige Wachstum der Partei neigte zugleich dazu, das Gewicht des Opportunismus, Immediatismus und der kleinbürgerlichen Ungeduld zu vergrößern.
Auf diesem Hintergrund – Rückgang der revolutionären Welle international, tiefgreifende Verwirrung innerhalb der revolutionären Bewegung in Deutschland – leitete die Bourgeoisie im März 1921 eine neue Offensive gegen das Proletariat ein. Hauptzielscheibe ihres Angriffs sollten die Arbeiter in Mitteldeutschland sein. Im Krieg war dort im Industriegebiet um Leuna, Bitterfeld und das Mansfelder Becken eine große Konzentration von Proletariern entstanden, die überwiegend relativ jung und kämpferisch waren, aber über keine große Organisationserfahrung verfügten. So zählte die VKPD dort allein über 66000 Mitglieder, die KAPD brachte es auf 3200 Mitglieder. In den Leuna-Werken gehörten von 20000 Beschäftigten ca. 2000 den Arbeiterunionen an.
Da nach den Auseinandersetzungen von 1919 und nach dem Kapp-Putsch viele Arbeiter bewaffnet geblieben waren, wollte die Bourgeoisie den Arbeitern weiter an den Kragen.
Die Bourgeoisie versucht die Arbeiter zu provozieren
Am 19. März 1921 zogen starke Polizeitruppen in Mansfeld ein, um die Arbeiter zu entwaffnen.
Der Befehl ging nicht vom „rechten“ Flügel der Herrschenden (innerhalb der Militärs oder der rechten Parteien) aus, sondern von der demokratisch gewählten Regierung. Es war die bürgerliche Demokratie, die die Henkersrolle der Arbeiterklasse spielte und darauf abzielte, diese mit allen Mitteln zu Boden zu werfen.
Es ging der Bourgeoisie darum, durch die Entwaffnung und Niederlage eines sehr kämpferischen, relativ jungen Teils des deutschen Proletariats die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen und zu demoralisieren. Vor allem aber verfolgte die Bourgeoisie das Ziel, der Vorhut der Arbeiterklasse, den revolutionären Organisationen, einen fürchterlichen Schlag zu versetzen. Das Aufzwingen eines vorzeitigen Entscheidungskampfes in Mitteldeutschland sollte dem Staat vor allem die Gelegenheit geben, die Kommunisten gegenüber der gesamten Klasse zu isolieren, um diese Parteien dann in Verruf zu bringen und der Repression auszusetzen. Es ging darum, der frisch gegründeten VKPD die Möglichkeit zu rauben, sich zu konsolidieren, sowie die sich anbahnende Annäherung zwischen KAPD und VKPD zunichte zu machen. Schließlich wollte das deutsche Kapital stellvertretend für die Weltbourgeoisie die Russische Revolution und die Kommunistische Internationale weltweit weiter isolieren.
Die Komintern hatte gleichzeitig jedoch verzweifelt nach Möglichkeiten einer Hilfe von Außen für die Revolution in Russland gesucht. Man hatte gewissermaßen auf die Offensive der Bourgeoisie gewartet, damit die Arbeiter weiter in Zugzwang gerieten und endlich losschlagen würden. Anschläge wie der gegen die Siegessäule in Berlin am 13. März, der von der KAPD initiiert wurde, hatten dazu dienen sollen, die Kampfbereitschaft weiter anzustacheln.
Levi berichtete von einer Sitzung der Zentrale, wo der Moskauer Gesandte Rakosi meinte: „Russland befinde sich in einer außerordentlich schwierigen Situation. Es sei unbedingt erforderlich, dass Russland durch Bewegungen im Westen entlastet würde, und aus diesem Grunde müsse die deutsche Partei sofort in Aktion treten. Die VKPD zähle jetzt 500000 Mitglieder, mit diesen könne man 1500000 Proletarier auf die Beine bringen, was genügt, um die Regierung zu stürzen. Er sei also für sofortigen Beginn des Kampfes mit der Parole: Sturz der Regierung“. (P. Levi, „Brief an Lenin“, 27.03.1921)
„Am 17. März fand die Zentralausschusssitzung der KPD statt, in der die Anregungen oder Weisungen des aus Moskau gesandten Genossen zur Richtlinie gemacht wurden.
Am 18. März stellte sich die Rote Fahne auf diesen neuen Beschluss um und forderte zum bewaffneten Kampf auf, ohne zunächst zu sagen, für welche Ziele, und hielt diesen Ton einige Tage fest.“ (Levi, ebenda)
Die erwartete Offensive der Regierung im März 1921 war mit dem Vorrücken der Polizeitruppen nach Mitteldeutschland eingetreten.
Die Revolution forcieren?
Die vom sozialdemokratischen Polizeiminister Hörsing am 19. März nach Mitteldeutschland beorderten Polizeikräfte sollten Hausdurchsuchungen vornehmen und die Arbeiter um jeden Preis entwaffnen. Die Erfahrung aus dem Kapp-Putsch vor Augen, hatte die Regierung davor zurückgeschreckt, Soldaten der Reichswehr einzusetzen.
In derselben Nacht wurde vor Ort der Entschluss zum Generalstreik ab dem 21. März gefasst. Am 23. März kam es zu ersten Kämpfen zwischen Truppen der Sicherheits-Polizei und Arbeitern. Am gleichen Tag erklärten die Arbeiter der Leuna-Werke bei Merseburg den Generalstreik. Am 24. März riefen die VKPD und KAPD gemeinsam zum Generalstreik in ganz Deutschland auf. Nach diesem Aufruf kam es sporadisch in mehren Städten des Reichs zu Demonstrationen und Schießereien zwischen Streikenden und Polizei. Etwa 300000 Arbeiter beteiligten sich landesweit an den Streiks.
Der Hauptkampfplatz blieb jedoch das mitteldeutsche Industriegebiet, wo sich ca. 40000 Arbeiter und 17000 Mann Polizei- und Reichswehrtruppen gegenüberstanden. In den Leuna-Werken waren insgesamt 17 bewaffnete proletarische Hundertschaften aufgestellt worden. Die Polizeitruppen setzten alles daran, die Leuna-Werke zu stürmen. Erst nach mehreren Tagen gelang es ihnen, die Fabrik zu erobern. Dazu schickte die Regierung kurzerhand Flugzeuge und bombardierte die Leuna-Werke. Gegen die Arbeiterklasse waren ihr alle Mittel recht.
Auf Initiative der KAPD und VKPD wurden Dynamit-Attentate in Dresden, Freiberg, Leipzig, Plauen und anderswo verübt. Die besonders hetzerisch gegen die Arbeiter vorgehende Hallische – und Saale-Zeitung sollten am 26. März mit Sprengstoff zum Schweigen gebracht werden.
Während die Repression in Mitteldeutschland spontan die Arbeiter zu bewaffnetem Widerstand trieb, gelang es diesen jedoch wiederum nicht, den Häschern der Regierung einen koordinierten Widerstand entgegenzusetzen. Die von der VKPD aufgestellten Kampforganisationen, die von Hugo Eberlein geleitet wurden, waren militärisch und organisatorisch völlig unzureichend vorbereitet. Max Hoelz, der eine ca. 2500 starke Arbeiter-Kampftruppe aufgestellt und es geschafft hatte, bis einige Kilometer vor die von Regierungstruppen belagerten Leuna-Werke zu gelangen, versuchte vor Ort eine Zentralisierung aufzubauen. Aber seine Truppen wurden ebenso am 1. April aufgerieben, nachdem die Leuna-Werke zwei Tage zuvor schon erstürmt worden waren.
Obwohl in anderen Städten die Kampfbereitschaft nicht im Ansteigen begriffen war, hatten VKPD und KAPD zu einem sofortigen militärischen Zurückschlagen gegen die eingerückten Polizeikräfte aufgerufen.
„Die Arbeiterschaft wird aufgefordert, den aktiven Kampf aufzunehmen mit folgenden Zielen:
1. Sturz der Regierung...
2. Entwaffnung der Konterrevolution und Bewaffnung der Arbeiter“
(Aufruf vom 17. März).
In einem weiteren Aufruf der Zentrale der VKPD schrieb sie am 24. März:
„Denkt daran, dass ihr im Vorjahr in fünf Tagen mit Generalstreik und bewaffnetem Aufstand die Weißgardisten und Baltikumstrolche besiegt habt. Kämpft mit uns wie im Vorjahr Schulter an Schulter die Gegenrevolution nieder!
Tretet überall in den Generalstreik! Brecht mit Gewalt die Gewalt der Konterrevolution, Entwaffnung der Konterrevolution, Bewaffnung, Bildung von Ortswehren aus den Kreisen der organisierten Arbeiter, Angestellten und Beamten!
Bildet sofort proletarische Ortswehren! Sichert Euch die Macht in den Betrieben! Organisiert die Produktion durch Betriebsräte und Gewerkschaften! Schafft Arbeit für die Arbeitslosen!“
Vor Ort jedoch waren die Kampforganisationen der VKPD und die spontan bewaffneten Arbeiter nicht nur schlecht organisatorisch und militärisch gerüstet; die örtlichen Parteileitungen selber hatten keinen Kontakt zu ihren Parteizentralen. Verschiedene Truppenverbände (die von Max Hoelz und Karl Plättner waren die bekanntesten) kämpften an mehreren Orten im Aufstandsgebiet unabhängig voneinander. Nirgendwo gab es Arbeiterräte, die ihre Aktionen hätten koordinieren können. Dagegen standen die Repressionstruppen der Bürgerlichen natürlich im engsten Kontakt mit ihrem Generalstab und koordinierten ihre Taktik!
Nachdem die Leuna-Werke gefallen waren, zog die VKPD am 31. März 1921 den Aufruf zum Generalstreik zurück. Am 1. April lösten sich die letzten bewaffneten Arbeitertruppen in Mitteldeutschland auf.
Wieder herrschten Ruhe und Ordnung! Wieder schlug die Repression zu. Wieder wurden viele Arbeiter ermordet und misshandelt. Hunderte waren erschossen worden, über 6000 wurden verhaftet.
Die Hoffnung großer Teile der VKPD und KAPD, ein provokatives Vorgehen des staatlichen Repressionsapparates würde eine Spirale des Widerstandes in den Reihen der Arbeiter auslösen, war enttäuscht worden. Die Arbeiter in Mitteldeutschland waren relativ isoliert geblieben.
In dieser Situation hatten die VKPD und die KAPD derart auf ein Losschlagen gebrannt, ohne die Gesamtlage im Auge zu behalten, dass sie sich durch die Devise „Wer nicht für uns ist, der ist wider uns“ (Editorial der Roten Fahne, 20. März), von den unentschlossenen und nicht-kampfbereiten Arbeitern völlig isolierten und einen Graben der Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse aushoben.
Anstatt zu erkennen, dass die Lage nicht günstig war, schrieb die Rote Fahne am 30. März: „Nicht nur auf das Haupt eurer Führer, auf das Haupt jedes einzelnen von euch kommt die Blutschuld, wenn ihr stillschweigend oder auch nur unter lahmen Protesten duldet, dass die Ebert, Severing, Hörsing den weißen Schrecken und die weiße Justiz gegen die Arbeiter loslassen (...)
Schmach und Schande über den Arbeiter, der jetzt noch beiseite steht, Schmach und Schaden über den Arbeiter, der jetzt noch nicht weiß, wo sein Platz ist.“
Um die Kampfbereitschaft weiter anzustacheln, hatte man die Arbeitslosen als Speerspitze einsetzen wollen.
„Die Arbeitslosen wurden als Sturmkolonnen vorangeschickt. Sie besetzten die Tore der Fabriken. Sie drangen in die Betriebe ein, löschten hier und da die Feuer und versuchten, die Arbeiter aus den Betrieben herauszuprügeln... Es war ein entsetzlicher Anblick, wie die Arbeitslosen, laut weinend über die Prügel, die sie empfangen, aus den Betrieben hinausgeworfen wurden, und wie sie denen fluchten, die sie dahin gesandt.“
Dass die VKPD-Zentrale vor dem Beginn der Kämpfe das Kräfteverhältnis falsch eingeschätzt hatte und nach Auslösung der Kämpfe ihre Einschätzung nicht revidierte, war schon tragisch genug. Es kam noch schlimmer, denn statt dessen verbreitete sie die Parole: „Leben oder Tod“. Nach dem falschen Motto: „Kommunisten weichen nie zurück“!
„Unter keinen Umständen darf ein Kommunist, auch wenn er in Minderheit ist, zur Arbeit schreiten. Die Kommunisten gingen hinaus aus den Betrieben. In Trupps von 200, 300 Mann, oft mehr, oft weniger, gingen sie aus den Betrieben: der Betrieb ging weiter. Sie sind heute arbeitslos, die Unternehmer haben die Gelegenheit benutzt, die Betriebe ‘kommunistenrein’ zu machen in einem Falle, in dem sie selbst ein groß Teil der Arbeiter auf ihrer Seite hatten.“ (Die Rote Fahne)
Welche Bilanz aus den März-Kämpfen?
Während dieser Kampf der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie aufgezwungen wurde und sie ihm nicht ausweichen konnte, hatte die VKPD den Fehler begangen, dass sie „den defensiven Charakter des Kampfes nicht klar genug hervorhob, sondern durch den Ruf von der Offensive den gewissenlosen Feinden des Proletariats, der Bourgeoisie, der SPD und der USPD Anlass gab, die VKPD als Anzettlerin von Putschen dem Proletariat zu denunzieren. Dieser Fehler wurde von einer Anzahl von Parteigenossen gesteigert, indem sie die Offensive als die hauptsächlichste Methode des Kampfes der VKPD in der jetzigen Situation darstellten“ („Thesen und Resolutionen des 3. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale“,
S. 52/53, Juni 1921).
Dass die Kommunisten weiter für eine Verstärkung der Kampfbereitschaft eintraten, war ihre erste Pflicht. Aber Kommunisten sind nicht einfach Aufpeitscher der Kampfbereitschaft. Die „Kommunisten sind (...) praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegungen voraus.“ (Kommunistisches Manifest) Deshalb müssen sie sich gegenüber der Klasse insgesamt durch ihre Fähigkeit auszeichnen, das Kräfteverhältnis richtig einzuschätzen, die Strategie des Klassengegners zu durchschauen, denn eine für entscheidende Kämpfe noch zu schwache Arbeiterklasse in eine sichere Niederlage zu führen, oder sie in die von der Bourgeoisie gestellten Fallen zu treiben, ist das Unverantwortlichste, was Revolutionäre tun können. Insbesondere erfordert dies vor allem auch die Fähigkeit zu entwickeln, den jeweiligen Bewusstseinsstand und die Kampfbereitschaft innerhalb der Arbeiterklasse einschätzen zu können, und die Vorgehensweise der Herrschenden zu durchschauen. Nur so können revolutionäre Organisationen ihre wirkliche Führungsrolle in der Klasse übernehmen.
Sofort nach dem Ende der März-Aktion kam es zu heftigen Debatten innerhalb der VKPD und der KAPD.
Falsche Organisationsauffassungen — eine Fessel für die Fähigkeit der Partei zur Selbstkritik
In einem Leitartikel vom 4.–6. April verkündete die Rote Fahne, dass die „VKPD eine revolutionäre Offensive eingeleitet“ habe und die März-Aktion „der Beginn, der erste Abschnitt der entscheidenden Kämpfe um die Macht“ sei.
Am 7./8. April tagte der Zentralausschuss der VKPD. Anstatt eine kritische Einschätzung der Intervention zu liefern, versuchte Heinrich Brandler vor allem die Politik der VKPD-Zentrale zu rechtfertigen. Er begründete die Hauptschwäche in einer mangelnden Disziplin der VKPD-Mitglieder vor Ort und im Versagen der sogenannten Militärorganisation. Brandler meinte gar, „Wir haben keine Niederlage erlitten, wir hatten eine Offensive“.
Gegenüber dieser Einschätzung sollte Paul Levi innerhalb der VKPD zum heftigsten Kritiker der Vorgehensweise der Partei in der März-Aktion werden.
Nachdem er neben Clara Zetkin im Februar 1921 schon aus dem Zentralausschuss ausgeschieden war, weil es unter anderem zu Divergenzen um die Gründung der KP in Italien gekommen war, sollte er sich erneut als unfähig erweisen, die Organisation durch Kritik nach vorne zu treiben. Das Tragische war, dass er „mit seiner Kritik an der März-Aktion 1921 in Deutschland in vielem dem Wesen der Sache nach recht“ hatte (Lenin, „Brief an die deutschen Kommunisten“, Werke Bd. 32, S. 541). Aber anstatt seine Kritik innerhalb des Rahmens der Organisation den Regeln und Prinzipien derselben folgend vorzubringen, verfasste er am 3./4. April eine Broschüre, die am 12. April veröffentlicht wurde, ohne dass die Partei ihren Inhalt kannte (2).
In dieser Broschüre brach er nicht nur die Organisationsdisziplin, sondern er veröffentliche Details aus dem internen Leben der Partei. Somit brach er ein proletarisches Prinzip, gefährdete gar die Organisation, indem er in aller Öffentlichkeit die Funktionsweise der Organisation preisgab. Dafür wurde er am 15. April aus der Partei wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossen(3).
Levi, der wie wir in einem früheren Artikel zum Oktoberparteitag der KPD 1919 festgestellt haben, dazu neigte, jede Kritik als Angriff auf die Organisation, als Infragestellung einer ganzen Linie und somit als Bedrohung der Organisation, aber auch seiner Person aufzufassen, sabotierte jeden Versuch einer kollektiven Funktionsweise. Seine Einstellung offenbart dies: „Ist die März-Aktion richtig, dann gehöre ich hinausgeworfen (aus der Partei). Oder ist die März-Aktion ein Fehler, dann ist meine Broschüre gerechtfertigt.“ (Levi, „Brief an die Zentrale der VKPD“) Diese organisationsschädigende Haltung war von Lenin wiederholt kritisiert worden. Nach Bekanntwerden seines Austritts aus der Zentrale der VKPD im Februar schrieb Lenin dazu: „Aber Austritt aus der Zentrale!!?? Das jedenfalls der größte Fehler! Wenn wir solche Gepflogenheiten dulden werden, dass verantwortliche Mitglieder der Zentrale austreten, wenn sie in der Minderheit geblieben sind, dann wird die Entwicklung und Gesundung der kommunistischen Parteien niemals glatt gehen. Statt auszutreten – die strittige Frage mehrere Male besser mit der Exekutive ventilieren (...). Alles mögliche und etwas unmögliches dazu zu tun – aber, es koste was es wolle, Austritt vermeiden und Gegensätze nicht verschärfen.“ (Lenin an Clara Zetkin und Paul Levi, 16.4.1921).
Levis zum Teil maßlosen und überspitzten Beschuldigungen (dass er die Verantwortung der Bourgeoisie für die Kämpfe im März in den Hintergrund geraten ließ und der VKPD praktisch die Alleinschuld aufbürdete) verzerrten die Wirklichkeit.
Nachdem er aus der Partei ausgeschlossen war, gab er eine kurze Zeit die Zeitschrift ‚Sowjet’ heraus, die zum Sprachrohr der Gegner dieses Kurses der VKPD wurden. Levi wollte seine Kritik an der Taktik der VKPD dem Zentralausschuss vortragen, wurde aber zur Tagung nicht mehr zugelassen. Statt dessen trug Clara Zetkin eine Reihe seiner Kritiken vor. „Die Kommunisten haben nicht die Möglichkeit (...) die Aktion an Stelle des Proletariats, ohne das Proletariat, am Ende gar gegen das Proletariat zu machen“ (Levi). Zetkin schlug eine Gegenresolution zur Stellungnahme der Partei vor. Mehrheitlich verwarf die Sitzung des Zentralausschusses jedoch die Kritik und hob hervor, dass ein „Ausweichen vor der Aktion (...) unmöglich für eine revolutionäre Partei, (...) ein glatter Verzicht auf ihren Beruf, die Revolution zu führen“ gewesen wäre. Die VKPD „muss, wenn sie ihre geschichtliche Aufgabe erfüllen will, festhalten an der Linie der revolutionären Offensive, die der März-Aktion zugrunde liegt, und sie muss entschlossen und sicher auf diesem Wege fortschreiten“ („Leitsätze über die März-Aktion“, Die Internationale Nr. 4, April 1921).
Die Zentrale bestand auf der Fortsetzung der eingeschlagenen Offensivtaktik und verwarf alle Kritiken. In einem vom 6. April 1921 gezeichneten Aufruf hatte das EKKI (Erweitertes Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationalen) noch die Haltung der VKPD gebilligt und aufgerufen, „Ihr habt richtig gehandelt (...) Rüstet zu weiteren Kämpfen“ (Rote Fahne, 14.4.1921).
So waren auf dem 3. Weltkongress der Komintern weder das EKKI noch der Kongress selber einig über die Einschätzung der deutschen Ereignisse. Vor allem die Gruppe um Clara Zetkin in der KPD wurde in dem ersten Teil der Diskussion erbittert angegriffen. Erst das Eingreifen und die Autorität Lenins und Trotzkis in der Debatte brachten die Wende in der Auseinandersetzung, indem die Hitzköpfe zur Abkühlung gebracht wurden.
Lenin, der sowohl durch die Ereignisse in Kronstadt wie auch durch die Staatsführung so beschäftigt war, dass er die Ereignisse und die Debatten um die Bilanz nicht hatte näher verfolgen können, fing an, sich eingehend mit der Bilanz der März-Aktion zu befassen. Während er den Disziplinbruch Levis auf das schärfste verwarf, trat er dafür ein, dass die März-Aktion wegen ihrer „großen internationalen Bedeutung dem 3. Weltkongress der Komintern unterbreitet werden solle“. Breitestmögliche, ungehinderte Diskussion innerhalb der Partei, hieß seine Devise.
W. Koenen, der Vertreter der VKPD beim EKKI, wurde im April vom EKKI mit dem Auftrag nach Deutschland geschickt, dass der Zentralausschuss keine endgültigen Beschlüsse gegen die Opposition fassen sollte. In der Parteipresse kamen dann auch wieder die Kritiker der März-Aktion zu Wort. Die Diskussion über die Taktik wurde fortgesetzt.
Dennoch vertrat die Mehrheit der Zentrale weiterhin ihre im März eingenommene Haltung. Arkady Maslow verlangte die neuerliche Billigung der März-Aktion. Guralski, ein Gesandter des EKKI forderte gar: „keine Beschäftigung mit der Vergangenheit. Die beste Antwort auf Angriffe der Richtung Levi sind die weiteren politischen Kämpfe der Partei“. Auf der Sitzung des Zentralausschusses vom 3.-5. Mai trat Thalheimer dafür ein, die Aktionseinheit der Arbeiter wieder aufzunehmen. Fritz Heckert plädierte für verstärkte Arbeit in den Gewerkschaften.
Am 13. Mai veröffentlichte die Rote Fahne Leitsätze, die auf eine künstliche Beschleunigung der revolutionären Entwicklung abzielten. Als Beispiel wurde dafür die März-Aktion hingestellt. Die Kommunisten „müssen in zugespitzten Situationen, wo wichtige Interessen des Proletariats bedroht sind, den Massen einen Schritt vorausgehen und versuchen, sie durch ihre Initiative in den Kampf zu führen, auch auf die Gefahr hin, nur Teile der Arbeiterschaft mit sich zu reißen“. Wilhelm Pieck, der sich schon in der Januar-Woche 1919 mit Karl Liebknecht entgegen den Parteibeschluss am Aufstand beteiligt hatte, meinte: Auseinandersetzungen unter den Arbeitern „werden wir noch häufiger erleben. Die Kommunisten müssen sich gegen die Arbeiter wenden, wenn diese nicht unseren Aufrufen folgen“.
Die Reaktion der KAPD
Während VKPD und KAPD einen Schritt vorwärts gemacht hatten und zum ersten Mal gemeinsam losschlagen wollten, lag das Drama darin, dass diese Aktionen selbst unter ungünstigen Bedingungen stattgefunden hatten. Auch war der gemeinsame Nenner der VKPD und KAPD bei der März-Aktion gewesen, der Arbeiterklasse in Russland zu Hilfe zu eilen. Im Gegensatz zu den späteren Rätekommunisten verteidigte die KAPD damals noch die Revolution in Russland.
Gegenüber der Bilanz der März-Aktion waren die Haltung und Intervention der KAPD jedoch widersprüchlich. Einerseits rief sie gemeinsam mit der VKPD zum Generalstreik auf, schickte F. Jung und F. Rasch als Vertreter der Zentrale nach Mitteldeutschland zur Unterstützung der Koordinierung der Kampfhandlungen. Andererseits hielten die örtlichen Führer der KAPD, Utzelman und Prenzlow, aufgrund ihrer Kenntnis der Lage im mitteldeutschen Industriegebiet einen Aufstandsversuch für unsinnig und wollten nicht über den Generalstreik hinausgehen. Deshalb waren sie gegenüber den Leuna-Arbeitern dafür eingetreten, im Werksbereich zu verbleiben und sich auf einen Defensivkampf einzustellen. Die KAPD-Leitung reagierte ohne Abstimmung mit der Partei vor Ort.
Im Anschluss an die Bewegung lieferte die KAPD Ansätze zu einer kritischen Einschätzung ihrer eigenen Intervention. Sie reagierte sehr widersprüchlich. In einer Antwort auf die Broschüre Levis griff sie jedoch die grundsätzliche Problematik auf, die hinter der Vorgehensweise der VKPD-Zentrale stand. So schrieb Herman Gorter: „Die VKPD hatte durch die parlamentarische Aktion – die unter dem bankerotten Kapitalismus keine andere Bedeutung mehr hat, als die Irreführung der Massen – das Proletariat vom revolutionären Handeln abgelenkt. Sie hatte Hunderttausende von nichtkommunistischen Mitgliedern gesammelt, war also zu einer ‘Massenpartei’ geworden. Die VKPD hatte durch die Zellentaktik die Gewerkschaften unterstützt (...) als die deutsche Revolution immer machtloser zurückwich, als ihre besten Elemente dadurch unzufrieden, stets mehr auf die Aktion drängten – da beschloss sie auf einmal eine große Aktion zur Eroberung der politischen Gewalt. D.h. vor der Herausforderung Hörsings und der Sipo hat sie zu einer künstlichen Aktion von oben, ohne spontanen Drang großer Massen, d.h. zur Putschtaktik, den Beschluss gefasst.
Das Exekutiv-Komitee und seine Repräsentanten in Deutschland hatten schon lange darauf gedrängt, die VKPD solle losschlagen. Sie sollte sich als eine richtige revolutionäre Partei erweisen. Als ob in dem Losschlagen allein schon das Wesen einer revolutionären Taktik besteht! Wenn eine Partei, die statt die revolutionäre Kraft des Proletariats aufzubauen, Parlament und Gewerkschaften unterstützt und dadurch das Proletariat schwächt und seine revolutionäre Kraft unterminiert, dann (nach diesen Vorbereitungen!!) auf einmal losschlägt und eine große, angreifende Aktion beschließt, für dies selbe, von ihr selbst geschwächte Proletariat, so ist das im Grunde ein Putsch. Das heißt eine von oben beschlossene, nicht aus den Massen selbst hervorkommende, von vornherein zum Scheitern verdammte Tat. Und diese Putschtaktik ist nicht revolutionär, sondern genau so opportunistisch, wie der Parlamentarismus und die Zellentaktik selbst. Ja, diese Putschtaktik ist die notwendige Gegenseite des Parlamentarismus und der Zellentaktik, der Sammlung nichtkommunistischer Elemente, der Führer – statt Massen- oder besser Klassenpolitik. Diese schwache, innerlich faule Taktik muss notwendig zu Putschen führen.“ („Lehren der März-Aktion“, Nachschrift zum „Offenen Brief an den Genossen Lenin“ von Herman Gorter, in Der Proletarier, 5/1921)
Damit legte dieser KAPD-Text richtigerweise den Finger auf den Widerspruch zwischen der Taktik der Einheitsfront, die die Illusionen der Arbeiter über Gewerkschaften und Sozialdemokratie verstärkt hatte, und dem plötzlichen gleichzeitigen Aufruf zum Sturmangriff gegen den Staat. Gleichzeitig finden sich in diesem Text jedoch Widersprüche, denn während die KAPD einerseits von einer Verteidigungshandlung der Arbeiter sprach, schätzte sie die März-Aktion gleichzeitig als „ersten bewussten Angriff der revolutionären Arbeiter Deutschlands gegen die bürgerliche Staatsmacht“ ein (S. 21). Dabei hatte die KAPD selbst festgestellt, dass „selbst die großen Arbeitermassen neutral, wenn nicht feindlich gegenüber der kämpferischen Avantgarde eingestellt blieb“ (S. 24). Auch auf dem außerordentlichen Parteitag der KAPD im September 1921 wurden die Lehren aus der März-Aktion nicht weiter aufgegriffen.
Auf diesem Hintergrund heftiger Debatten innerhalb der VKPD und widersprüchlicher Reaktionen der KAPD begann Ende Juni der 3. Weltkongress der Komintern.
Die Haltung der Komintern zur März-Aktion
Innerhalb der Komintern war der Prozess der Bildung verschiedener Flügel in Gang gekommen. Das EKKI selber hatte gegenüber den Ereignissen in Deutschland weder eine einheitliche Meinung, noch sprach es mit einer Stimme. Bei der Einschätzung der Lage in Deutschland war das EKKI lange Zeit gespalten.
Radek hatte zahlreiche Kritiken an den Positionen und dem Verhalten des Vorsitzenden der KPD, Levi, entwickelt, die von anderen Mitgliedern der Zentrale aufgegriffen wurden.
Innerhalb der KPD wurden diese Kritiken jedoch nicht offen und auf einem Parteitag oder in anderen Parteiinstanzen in entsprechender Form formuliert.
Anstatt offen über die Einschätzung der Lage zu debattieren, war von Radek eine Funktionsweise gefördert worden, die der Partei zutiefst schädlich sein sollte. Kritiken wurden häufig nicht brüderlich in aller Deutlichkeit vorgetragen, sondern in verdeckter Form. Im Mittelpunkt stand oft nicht die jeweilige Fehleinschätzung durch ein Zentralorgan, sondern die Suche nach Schuldigen. Der Trend setzte sich durch, Positionen jeweils mit Personen zu verbinden. Anstatt die Einheit als Organisation um eine Position und Vorgehensweise herzustellen, anstatt für und als ein kollektiv funktionierender Körper zu kämpfen, untergrub man das Organisationsgewebe auf eine völlig unverantwortliche Weise.
Darüber hinaus waren die Kommunisten in Deutschland selber ebenfalls zutiefst gespalten. Zum einen gehörten zum damaligen Zeitpunkt der Komintern die VKPD und die KAPD an, die allerdings aufs heftigste wegen der Orientierung der Organisation aufeinander prallten.
Gegenüber der Komintern waren vor der März-Aktion von Teilen der VKPD sowohl Informationen über die Einschätzung der Lage verschwiegen wie auch die unterschiedlichen Positionen und Einschätzungen der Komintern nicht umfassend mitgeteilt worden.
In der Komintern selber gab es keine wirklich gemeinsame Reaktion und kein einheitliches Vorgehen gegenüber der Entwicklung. Der Kronstädter Aufstand hatte die ganze Aufmerksamkeit der Führung der Bolschewistischen Partei auf sich gezogen und sie daran gehindert, die Lage in Deutschland näher zu verfolgen. Zudem war es oft nicht klar, wie Entscheidungen innerhalb des Exekutivkomitees zustande gekommen waren und wie Mandate erteilt wurden. Gerade gegenüber Deutschland scheinen die Mandate von Radek und anderen Delegierten des EKKI nicht immer klar genug festgelegt worden zu sein (4).
So hatten in dieser Situation der zunehmenden Spaltung innerhalb der VKPD Mitglieder des EKKI, unter Radeks Federführung, inoffiziellen Kontakt mit Flügeln in beiden Parteien – VKPD und KAPD – aufgenommen, um unter Umgehung der Zentralorgane der beiden Organisationen Vorbereitungen für putschistische Maßnahmen zu treffen. Anstatt also auf eine Klärung und Mobilisierung der Organisationen zu drängen, begünstigte man eine Spaltung der Parteien und förderte Schritte, die Entscheidungen außerhalb der verantwortlichen Organe zu treffen. Diese Haltung, die im Namen des EKKI eingenommen wurde, leistete somit dem organisationsschädlichen Verhalten innerhalb VKPD und KAPD Vorschub.
Paul Levi kritisierte: „Der Fall war schon häufiger, dass Abgesandte des EKKI über ihre Vollmacht hinausgingen, d.h. dass sich nachträglich ergab, die Abgesandten hätten zu dem oder jenem keine Vollmachten gehabt.“ („Unser Weg, Wider den Putschismus“, S. 63, 3. April 1921).
Von den Statuten festgelegte Entscheidungsstrukturen in der Komintern wie auch innerhalb der VKPD und KAPD wurden umgangen. Tatsache war, dass in der März-Aktion dann von beiden Organisationen zum Generalstreik aufgerufen wurde, ohne dass die ganze Organisation an der Einschätzung der Lage und den Entscheidungen beteiligt war. In Wirklichkeit hatten Genossen des EKKI mit den Elementen und den Flügeln innerhalb der beiden Organisationen Kontakt aufgenommen, die nach Aktionen drängten. Die Partei als solche wurde „umgangen“!
So konnte es nie zu einer einheitlichen Vorgehensweise der einzelnen Parteien und noch weniger zu einem gemeinsamen Vorgehen der beiden Parteien kommen.
Aktivismus und Putschismus hatten in diesen Organisationen teilweise die Oberhand gewonnen – mit einem sehr zerstörerischen Verhalten für die Partei und die Klasse insgesamt. Jeder Flügel fing an, seine eigene Politik zu betreiben und seine eigenen informellen, parallelen Kanäle aufzubauen. Die Sorge um die Einheit der Partei, eine statutengemäße Funktionsweise war einem Großteil der Partei abhanden gekommen.
Obwohl die Komintern durch die Identifikation der Bolschewistischen Partei mit den Interessen des russischen Staates und durch die opportunistische Kehrtwendung hin zur Einheitsfront geschwächt war, sollte der 3. Weltkongress dennoch ein Moment der kollektiven, proletarischen Kritik an der März-Aktion werden.
Für den Kongress hatte das EKKI aus richtiger politischer Sorge auf Anregung Lenins auch die Entsendung von Vertretern der Opposition innerhalb der VKPD durchgesetzt. Während die Delegation der VKPD-Zentrale weiter jegliche Kritik an der Haltung der VKPD zur März-Aktion unterbinden wollte, beschloss das Politbüro der KPR(B) auf Vorschlag Lenins: „Als Grundlage der Resolution ist der Gedanke zu nehmen, dass man vielmals detaillierter die konkreten Fehler der VKPD in der März-Aktion aufzeigen und vielmals energischer vor der Wiederholung dieser Fehler warnen muss.“
Welche Haltung einnehmen?
In der Eingangsdiskussion über „Die wirtschaftliche Krise und die neuen Aufgaben der Kommunistischen Internationale“ hatte Trotzki hervorgehoben: „Erst jetzt sehen und fühlen wir, dass wir nicht so unmittelbar nahe dem Endziel, der Eroberung der Macht, der Weltrevolution stehen. Wir haben damals im Jahre 1919 uns gesagt: es ist die Frage von Monaten, und jetzt sagen wir, es ist die Frage vielleicht von Jahren (...) Der Kampf wird vielleicht langwierig sein, wird nicht so fieberhaft, wie es wünschenswert wäre, voranschreiten, der Kampf wird höchst schwierig und opferreich sein (...)“ („Protokoll des 3. Kongresses“,
S. 90).
Lenin: „Deshalb musste der Kongress gründlich mit den linken Illusionen aufräumen, dass die Weltrevolution ununterbrochen in ihrem stürmischen Anfangstempo weiterrase, dass wir von einer zweiten revolutionären Welle getragen würden, und dass es einzig und allein vom Willen der Partei und ihrer Aktion abhänge, den Sieg an unsere Fahne zu fesseln (...)“ (Zetkin, „Erinnerungen an Lenin“)
Für den Kongress hatte die VKPD-Zentrale unter der Federführung A. Thalheimers und Bela Kuns einen Thesenentwurf zur Taktik geschickt, der forderte, dass die Komintern jetzt zu einer neuen Periode der Aktionen übergehen müsse. In einem Brief vom 10. Juni an Sinowjew hatte Lenin den Thesenentwurf als „politisch grundfalsch, als linksradikale Spielerei“ eingeschätzt und gefordert, ihn gänzlich abzulehnen. „Die Mehrheit der Arbeiterklasse haben die kommunistischen Parteien noch nirgends erobert. Nicht für die organisatorische Führung, aber auch nicht für die Prinzipien des Kommunismus (...) Deshalb muss die Taktik darauf gerichtet werden, unentwegt und systematisch um die Mehrheit der Arbeiterklasse, in erster Linie innerhalb der alten Gewerkschaften zu ringen.“ (10. Juni, 1921, Lenin, Briefe, Bd. 7, S. 269). Gegenüber dem Delegierten Heckert meinte Lenin: „Die Provokation lag doch glatt auf der Hand. Statt von der Verteidigung aus die Arbeitermassen gegen die Angriffe der Bourgeoisie zu mobilisieren und so den Massen zu zeigen, dass das Recht auf eurer Seite ist, habt ihr die sinnlose ‘Offensivtheorie’ erfunden, die allen Polizeikerls und den reaktionären Regierungen die Möglichkeit gibt, euch als die Angreifer darzustellen, vor denen man das Volk schützen muss.“ (Erinnerungen, F. Heckert, „Meine Begegnungen mit Lenin“)
Während Radek selbst vorher die März-Aktion unterstützt hatte, sprach er in seinem Referat im Namen des EKKI vom widersprüchlichen Charakter der März-Aktion, lobte den Heldenmut der kämpfenden Arbeiter und kritisierte andererseits die falsche Politik der Zentrale der VKPD. Trotzki charakterisierte die März-Aktion als ganz unglücklichen Versuch, der, „wenn er wiederholt werden sollte, diese gute Partei wirklich zugrunde richten könnte“. Er unterstrich, „wir sind verpflichtet, der deutschen Arbeiterschaft klipp und klar zu sagen, dass wir diese Offensivphilosophie als die größte Gefahr und in der praktischen Anwendung als das größte Verbrechen auffassen“. („Protokoll des 3. Kongresses“, S. 644-646).
Die Delegation der VKPD und die gesondert eingeladenen Delegierten der VKPD-Opposition prallten auf dem Kongress aufeinander.
Der Kongress war sich der Gefahren für die Einheit der Partei bewusst. Deshalb drängte man auf eine Einigung zwischen VKPD-Führung und Opposition. Eine Übereinkunft mit folgendem Inhalt wurde erzielt: „Der Kongress erachtet jede weitere Zerbröckelung der Kräfte innerhalb der VKPD, jede Sonderbündelei – von Spaltung gar nicht zu sprechen – als die größte Gefahr für die ganze Bewegung“. Gleichzeitig wurde vor einer revanchistischen Haltung gewarnt: „Der Kongress erwartet von der Zentrale und der Mehrheit der VKPD die tolerante Behandlung der früheren Opposition, falls diese die vom 3. Kongress gefassten Beschlüsse loyal durchführt“ („Resolution zur März-Aktion und über die Lage in der VKPD“, 21. Sitzung des 3. Weltkongresses, 9.7.1921).
In den Debatten auf dem 3. Kongress äußerte sich die KAPD-Delegation kaum selbstkritisch zur März-Aktion. Sie schien sich mehr auf die Prinzipienfrage der Arbeit in den Gewerkschaften und den Parlamentarismus zu konzentrieren.
Während der 3. Kongress so selbstkritisch vor den putschistischen Gefahren, die in der März-Aktion sichtbar geworden war, gewarnt hatte und diesem „blinden Aktionismus“ eine Abfuhr erteilt hatte, schlug der Kongress selber tragischerweise den unheilvollen Kurs der „Einheitsfront von Unten“ ein. Zwar hatte er die putschistische Gefahr abgewandt, aber die opportunistische Kehrtwende, die durch die Verabschiedung der 21 Thesen eingeleitet worden war, wurde bestätigt und beschleunigt. Die wirklichen Fehler, die in der Grundsatzkritik der KAPD von Gorter aufgeworfen worden waren, nämlich die Rückkehr zur gewerkschaftlichen und parlamentarischen Ausrichtung, wurden nicht korrigiert.
Ermuntert durch die Ergebnisse des 3. Kongresses schlug die VKPD dann ab Herbst 1921 den Kurs der Einheitsfront ein.
Gleichzeitig hatte der 3. Kongress der KAPD ein Ultimatum gestellt: entweder Beitritt zur VKPD oder Ausschluss aus der Komintern.
Im September 1921 trat die KAPD dann aus der Komintern aus – Teile von ihr stürzten sich anschließend in das Abenteuer der Bildung einer Kommunistischen Arbeiterinternationale. Nur wenige Monate vergingen bis zur Spaltung der KAPD.
Für die KPD (die im August 1921 wieder ihren Namen von VKPD zu KPD geändert hatte) war die Tür zu einer opportunistischen Entwicklung weiter aufgestoßen.
Die Bourgeoisie ihrerseits hatte ihr Ziel erreicht: Erneut hatte sie mit der März-Aktion ihre Offensive fortsetzen können. Sie hatte die Arbeiterklasse weiter geschwächt.
Aber noch verheerender als die Konsequenzen dieser putschistischen Haltung für die Arbeiterklasse insgesamt waren die Folgen für die Kommunisten selber: erneut wurden sie Opfer der Repression. Die Jagd auf Kommunisten wurde wieder verschärft. Bei der KPD kam es zu einer großen Austrittswelle aus der Partei. Viele Mitglieder zeigten sich zutiefst enttäuscht über die gescheiterte Erhebung. Anfang des Jahres zählte die VKPD ca. 35000–400000 Mitglieder. Ende August 1921 gehörten ihr nur noch ca. 160000 an, im November sogar nur noch 135000–150000 zahlende Mitglieder.
Zum wiederholten Male hatte die Arbeiterklasse in Deutschland gekämpft, ohne eine starke, schlagkräftige Partei an ihrer Seite zu haben. Dv.
(1) Bei den Wahlen zum Preußischen Landtag im Februar 1921 entfielen auf die VKPD 1.1 Mio., die USPD 1.1 Mio. und die SPD 4.2 Mio. Stimmen. In Berlin übertrafen VKPD und USPD die SPD-Stimmenanteile.
(2) Clara Zetkin, die mit der inhaltlichen Kritik Paul Levis übereinstimmte, hatte in mehreren Briefen aufgefordert, sich nicht organisationsschädlich zu verhalten. So schrieb sie am 11. April an Levi.: „(...) dem Vorwort sollten Sie die persönliche Note nehmen. Ebenso scheint mir politisch wirksam, dass Sie über die Zentrale und ihre Mitglieder kein ‘persönliches Urteil’ fällen, sie reif für die Kaltwasserheilanstalt erklärten und ihre Entfernung fordern etc. (...) Es ist klüger, dass Sie sich bloß an die Politik der Zentrale halten, die Leute außer Spiel lassen, die ihre Träger sind (...) Nur die persönlichen Wallungen sollten gestrichen werden.“ Levi ließ sich nicht belehren. Stolz und Rechthaberei, sowie sein monolithisches Organisationsverständnis sollten fatale Folgen haben.
(3) „Paul Levi hat der Parteileitung von seiner Absicht, eine solche Broschüre zu veröffentlichen, weder Kenntnis gegeben noch ihr Mitteilung von den in der Broschüre aufgestellten Behauptungen gemacht (...)
Paul Levi hat seine Broschüre in Druck gegeben am 3. April, zu einer Zeit, wo der Kampf noch in vielen Teilen des Reiches im Gange war und in der Tausende von Kämpfern vor den Sondergerichten stehen, die Paul Levi durch die Veröffentlichung seiner Broschüre zu den Bluturteilen gerade anreizt (...)
Die Zentrale anerkennt in vollem Umfange das Recht der Parteikritik vor und nach Aktionen, die von der Partei geführt werden. Kritik auf dem Boden des Kampfes und dem der vollen Kampfsolidarität ist eine Lebensnotwendigkeit für die Partei und revolutionäre Pflicht. Paul Levis Haltung (...) läuft nicht auf die Stärkung, sondern auf die Zerrüttung und Zerstörung der Partei hinaus“. (Zentrale der VKPD, 16.4.1921).
(4) Der Delegation des EKKI gehörten Bela Kun,
Pogany und Guralski an. Karl Radek wirkte insbesondere seit der Gründung der KPD als „Verbindungsmann“ zwischen der KPD und der Komintern. Ohne immer über ein klares Mandat zu verfügen, praktizierte vor allem er die Politik der „informellen“ und parallelen Kanäle.
Deutsche Revolution, Teil X
Der Rückfluss der revolutionären Welle und die Entartung der Kommunistischen Internationale
Mit der erfolgreichen Machtübernahme im Oktober 1917 hatte die russische Arbeiterklasse ein Zeichen gesetzt, das weltweite Ausstrahlungskraft haben sollte. Sofort griffen die Arbeiter der benachbarten Länder das Beispiel der russischen Arbeiterklasse auf. Schon im November 1917 traten die finnischen Arbeiter in den Kampf. Die tschechischen Provinzen, Polen Österreich, Rumänien und Bulgarien wurden im Laufe des Jahres 1918 von einer Streikwelle nach der anderen erschüttert. Als dann im November die deutschen Arbeiter auf die Bühne traten, hatte die revolutionäre Welle ein Land erfasst, das für den weiteren Verlauf der Kämpfe, für Sieg oder Niederlage der Weltrevolution von ausschlaggebender Bedeutung war.
Durch die unverzügliche Beendigung des Krieges im November 1918, durch die Sabotage von Sozialdemokratie und Gewerkschaften in engster Abstimmung mit dem Militär und schließlich durch die Provokation eines verfrühten Aufstandes gelang es der deutschen Bourgeoisie und ihren „demokratischen“ Kräften, eine erfolgreiche Machtübernahme durch die deutsche Arbeiterklasse und somit die weitere Ausdehnung der russischen Revolution zu verhindern.
Die Vereinigung der internationalen Bourgeoisie gegen die revolutionäre Welle
Die Gründung einer Räterepublik in Ungarn im März, die Streikwelle in Frankreich im Frühjahr, die Erhebungen in der slowakischen Republik im Juni und die schweren Kämpfe in den USA und in Argentinien – alle diese Erhebungen in Europa und auf anderen Kontinenten im Jahre 1919 fanden erst statt, nachdem die Revolution in Deutschland bereits einen herben Rückschlag erlitten hatte. Da es dem Dreh- und Angelpunkt bei der weltweiten Ausdehnung der Revolution, der Arbeiterklasse in Deutschland, nicht gelang, die Kapitalistenklasse in einem schnellen Sturmlauf wegzufegen, verlor diese Welle ab 1919 langsam ihre Dynamik. Zwar leisteten die Arbeiter in einer Reihe von Konfrontationen – so in Deutschland selbst (Kapp-Putsch im März 1920), so in Italien im Herbst 1920 – noch heldenhaften Widerstand gegen die Offensive der Bourgeoisie, doch konnten diese Kämpfe die Bewegung nicht mehr vorwärts tragen.
Zuvorderst hatten es diese Kämpfe nicht vermocht, die Offensive des Kapitals gegen die isolierte russische Bastion der Weltrevolution zu durchbrechen. Im Frühjahr 1918 hatte dieselbe russische Bourgeoisie, die noch im Oktober 1917 so schnell und nahezu gewaltlos davongejagt worden war, mit der Unterstützung von 14 Armeen der „demokratischen“ Staaten begonnen, einen Bürgerkrieg gegen die russische Revolution zu entfachen. In einem mehr als dreijährigen Krieg, bei gleichzeitiger Wirtschaftsblockade mit dem Ziel des Aushungerns, wurde die russische Arbeiterklasse von den „weißen“ Armeen der kapitalistischen Staaten ausgeblutet. Zwar blieb die militärische Offensive der „Roten Armee“ im Laufe dieses Krieges siegreich, doch wurden die russischen Arbeiter zu einem Krieg gezwungen, in dessen Verlauf sie isoliert sengenden und mordenden imperialistischen Armeen gegenüberstanden. Am Ende der jahrelangen Blockade und des Bürgerkrieges, Ende 1920, war die russische Arbeiterklasse ausgeblutet (eine Million Tote in ihren Reihen), erschöpft und vor allem politisch enorm geschwächt.
Ende 1920, als die deutschen Arbeiter bereits ihre erste Niederlage eingesteckt hatten, als die italienischen Arbeiter in die Falle der Fabrikbesetzungen gelaufen waren, als die Rote Armee auf ihrem Vormarsch in Polen zurückgeschlagen worden war, wurde den Kommunisten klar, dass die Hoffnung auf eine schnelle Ausdehnung der Revolution sich nicht erfüllen sollte. Auch die Kapitalistenklasse spürte, dass die unmittelbare Todesgefahr, die die Erhebung der deutschen Arbeiterklasse für sie bedeutete, einstweilen gebannt war.
Die Ausdehnung der revolutionären Welle war vor allem vereitelt worden, weil die Kapitalistenklasse rasch die Lehren aus der Machtergreifung durch die russischen Arbeiter gezogen hatte.
Die historische Erklärung sowohl der explosiven Entwicklung der Revolution als auch ihrer schnellen Niederlage liegt in der Tatsache begründet, dass diese revolutionäre Welle, entgegen der Erwartung von Marx, nicht aus einer allgemeinen Wirtschaftskrise, sondern aus einem imperialistischen Krieg hervorgegangen war. Anders als 1939 war die Arbeiterklasse vor dem I. Weltkrieg nicht entscheidend geschlagen worden. So war sie, trotz des gegenseitigen Abschlachtens an der Front, in der Lage, eine revolutionäre Antwort auf die vom Imperialismus verursachte Barbarei zu liefern. Doch dem Krieg und der Fortsetzung der Massaker konnte nur ein Ende gemacht werden, indem die Arbeiterklasse schnell und entschlossen die Macht ergriff. Daher hatte sich die Revolution, sobald sie einmal ausgelöst war, mit großer Schnelligkeit entwickelt und ausgeweitet. Infolgedessen erwartete das revolutionäre Lager zumindest in Europa einen schnellen Erfolg der Revolution.
Nun ist die Bourgeoisie zwar unfähig, die Wirtschaftskrise ihres Systems zu beenden, doch ist sie allemal in der Lage, einen imperialistischen Krieg zu beenden, sofern die Revolution droht. Und genau dies tat sie, als die revolutionäre Welle im November 1918 das Herz des Weltproletariats, die deutsche Arbeiterklasse, erreicht hatte. Auf diese Weise vermochten die Ausbeuter die Dynamik der revolutionären Ausdehnung zu bremsen.
Die Bilanz der revolutionären Welle von 1917 bis 1923 zeigt sehr deutlich, dass der Weltkrieg schon lange vor der Entwicklung der Atomwaffen mit ihrem zerstörerischen Potenzial relativ ungünstige Rahmenbedingungen für den Erfolg der proletarischen Revolution schuf. Wie Rosa Luxemburg in der Junius-Broschüre aufzeigte, bedeutete das Abschlachten von Millionen von Arbeitern, auch und gerade der Erfahrensten und Bewusstesten unter ihnen, in einem modernen Krieg eine unmittelbare Bedrohung der Grundlagen für den Sieg des Sozialismus. Darüber hinaus schafft der Krieg unterschiedliche Kampfbedingungen für die Arbeiter – je nachdem, ob sie in einem Siegerland, einem neutralen oder einem besiegten Land leben. Es war kein Zufall, dass die revolutionäre Welle am stärksten in den besiegten Ländern, in Russland, Deutschland, Österreich-Ungarn, aber auch in Italien (das nur formell dem Lager der Sieger angehörte), zum Ausdruck kam und weit weniger stark war in Ländern wie Frankreich, England und den USA. Den Siegermächten gelang es nicht nur, ihre Wirtschaft durch Beutegut aus den besiegten Ländern zu stabilisieren, sondern sie vermochten auch viele Arbeiter mit dem Bazillus der ‚Siegeseuphorie‘ zu infizieren. In gewisser Weise gelang es ihnen sogar, das Feuer des Chauvinismus neu zu entfachen. So richtete das nationalistische Gift, das während des Krieges von der herrschenden Klasse gegen die weltweite Solidarität mit der Oktoberrevolution und gegen den wachsenden Einfluss der internationalistischen Revolutionäre verbreitet wurde, noch nach Beginn der Revolution große Schäden an. Die revolutionäre Bewegung in Deutschland liefert hierfür klare Beweise: der Einfluss des extremistischen Nationalismus, für den die „Nationalbolschewisten“ unter dem Etikett des „Linkskommunismus“ während des Krieges in Hamburg eintraten und antisemitische Flugblätter gegen die Spartakisten verteilten, weil diese eine internationalistische Position verteidigten; die patriotischen Gefühlsaufwallungen, die nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages aufgekommen waren; der nach der Ruhrgebietsbesetzung von 1923 gegen Frankreich gerichtete Chauvinismus usw. Wie wir in weiteren Folgen dieser Artikelserie zeigen werden, schickte sich die Kommunistische Internationale in ihrer opportunistischen Niedergangsphase an, diese Welle des Nationalismus noch zu übertreffen, statt ihr entgegenzutreten.
Aber die Intelligenz und Hinterlist der deutschen Bourgeoisie wurde nicht nur darin deutlich, dass sie sofort den Krieg beendete, nachdem die Arbeiter zum Sturm gegen den bürgerlichen Staat antraten. Im Gegensatz zur russischen Arbeiterklasse, die es mit einer unerfahrenen und schwachen Bourgeoisie zu tun hatte, stand die deutsche Arbeiterklasse einer vereinten Front des Kapitals, mit der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften als Speerspitze, gegenüber.
Unter Ausnutzung der noch vorhandenen demokratischen Illusionen unter den Arbeitern und der durch das Kriegsende eingetretenen Spaltung zwischen „Siegermächten“ und „Besiegten“ vermochte die Kapitalistenklasse mit einer Reihe von politischen Schachzügen und Provokationen die Arbeiterklasse in die Sackgasse zu führen und zu besiegen.
Die Ausdehnung der Revolution war gestoppt worden. Die Bourgeoisie konnte, nachdem sie die erste Welle von Erschütterungen überlebt hatte, zur Offensive übergehen. Sie setzte alles daran, das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu wenden. Untersuchen wir, wie die Revolutionäre auf den Rückzug des Klassenkampfes reagierten und welche Konsequenzen dies für die Arbeiterklasse in Russland hatte.
Die Entwicklung der Komintern vom II. zum III. Kongress
Nachdem die deutsche Arbeiterklasse im November 1918 in Bewegung geraten war, ergriffen die Bolschewiki bereits einen Monat später die Initiative, um eine internationale Konferenz einzuberufen. Damals gingen die meisten Revolutionäre davon aus, dass die Machtergreifung in Deutschland ähnlich schnell und erfolgreich durchgeführt werden könne wie in Russland. So wurde im Einladungsschreiben der Tagungsort Deutschland (legal) bzw. Holland (illegal) für den 1. Februar 1919 ins Auge gefasst. Niemand dachte zur damaligen Zeit daran, die Konferenz in Moskau abzuhalten. Erst die Niederschlagung der Berliner Arbeiter im Januar, die Ermordung der revolutionären Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und die damit verbundene Repression der sozialdemokratisch angeführten Freikorps gegen die Revolutionäre machten ein Treffen in Berlin unmöglich. Erst daraufhin wurde Moskau als Tagungsort ins Spiel gebracht. Als im März 1919 die Komintern gegründet wurde, schrieb Trotzki in der Iswestija: „Wenn sich heute das Zentrum der Internationale in Moskau befindet, so wird es morgen – wir sind davon zutiefst überzeugt – sich gegen Westen, in Richtung Berlin, Paris, London verlagern.“ (29. April 1919)
Gemäß aller revolutionären Organisationen sollte die Politik der Kommunistischen Internationale von den Interessen der Weltrevolution bestimmt werden. Die ersten Debatten auf dem Kongress waren durch die Situation in Deutschland geprägt. Im Vordergrund stand die Rolle der Sozialdemokratie bei der Niederschlagung der Arbeiterkämpfe im Januar und die Notwendigkeit, diese Partei als eine kapitalistische Partei zu bekämpfen.
Trotzki schrieb im oben zitierten Artikel ferner: „Das revolutionäre ‚Erstgeburtsrecht‘ des russischen Proletariats ist nur vorübergehend (...) Die Diktatur des russischen Proletariats wird erst endgültig abgeschafft und sich in einen tatsächlichen allgemeinen sozialistischen Aufbau verwandeln können, wenn die europäische Arbeiterklasse uns vom wirtschaftlichen und vor allem militärischen Joch der europäischen Bourgeoisie befreien wird (...)“ (Trotzki, Iswestija, 29. April / 1. Mai 1919) Und: „Wenn sich die Völker Europas nicht erheben und den Imperialismus zerschmettern, werden wir zerschmettert werden – das steht außer Zweifel. Entweder die russische Revolution entfesselt den Wirbelsturm des Kampfes im Westen – oder die Kapitalisten aller Länder ersticken unseren Kampf.“ (II. Weltkongress)
Nachdem binnen kürzester Zeit etliche Parteien der Komintern beigetreten waren, stellte man auf dem II. Weltkongress fest: „(...) unter gewissen Umständen kann für die Komintern die Gefahr entstehen, dass sie durch wankelmütige Gruppen verwässert wird, die eine Politik der Halbheiten treiben und sich von der Ideologie der 2. Internationale noch nicht frei gemacht haben (...) Deshalb erachtet es der II. Weltkongress der Komintern für notwendig, ganz genaue Bedingungen für die Aufnahme von neuen Parteien festzusetzen.“
Auch wenn die Komintern in der Hitze des Feuers gegründet wurde, machte sie in den zentralen Themen wie der Ausdehnung der Revolution, der Machtübernahme, der schärfsten Abgrenzung von der Sozialdemokratie oder der Entlarvung der bürgerlichen Demokratie klare Aussagen. Dagegen ließ sie Fragen wie die Gewerkschafts- oder Parlamentarismusfrage offen.
Die Mehrheit in der Komintern trat für die Teilnahme an den Parlamentswahlen ein. Gleichwohl gab es keine ausdrückliche Verpflichtung dazu, da eine starke Minderheit (insbesondere die Gruppe um Bordiga, die damals unter dem Namen ‚Abstentionistische Fraktion‘ bekannt wurde) sich vehement gegen diese Orientierung ausgesprochen hatte.
Dagegen verpflichtete die Komintern ihre Mitglieder zur Arbeit innerhalb der Gewerkschaften. Die KAPD-Delegierten, die in völlig verantwortungsloser Manier bereits vor der Eröffnung des Kongresses wieder abgereist waren, versäumten es, es den italienischen Genossen gleich zu tun und ihren Standpunkt zu diesen Fragen auf dem Kongress vorzubringen.
Dreh- und Angelpunkt der Debatte, die schon vor dem Kongress mit der Veröffentlichung von Lenins Werk Der Linksradikalismus – Kinderkrankheit des Kommunismus eingeleitet worden war, war die Frage der Kampfmethoden in der neuen Ära der kapitalistischen Dekadenz. In dieser politischen Auseinandersetzung entstand der Linkskommunismus.
Hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Kämpfe verbreitete der II. Kongress noch Optimismus. Alle erwarteten im Sommer 1920 ein weiteres Anwachsen der revolutionären Kämpfe. Doch nach der Niederlage im Herbst 1920 sollte sich das Blatt wenden.
Der rückläufige Klassenkampf verlieh dem Opportunismus Auftrieb
In den „Thesen zur Weltlage und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale“ auf dem III. Weltkongress analysierte die Komintern die Lage folgendermaßen: „Während des Jahres zwischen dem II. und III. Kongress der Komintern endete eine Reihe von Aufständen und Kämpfen der Arbeiterklasse z.T. mit Niederlagen (die Offensive der Roten Armee gegen Warschau im August 1920, die Bewegung des italienischen Proletariats im September 1920, der Aufstand der deutschen Arbeiter im März 1921). Die erste Periode der revolutionären Bewegung nach dem Kriege (...) erscheint als im Wesentlichen abgeschlossen. Die Führer der Bourgeoisie (...) sind in allen Ländern zur Offensive gegen die Arbeitermassen übergegangen. Infolgedessen stellt die Kommunistische Internationale sich und der ganzen Arbeiterklasse folgende Fragen: In welchem Ausmaß entspricht das neue politische Verhältnis der Bourgeoisie zum Proletariat dem tatsächlichen Kräfteverhältnis? Ist die Bourgeoisie wirklich nahe daran, das soziale Gleichgewicht wiederherzustellen, das durch den Krieg zerstört worden ist? Ist es begründet anzunehmen, dass anstelle politischer Erschütterungen und Klassenkämpfe eine neue, lang andauernde Epoche der Wiederherstellung und des Wachstums des Kapitalismus eintreten werde? Folgt daraus nicht die Notwendigkeit der Revision des Programms oder der Taktik der Kommunistischen Internationale?“ (S. 9)
Und in den Thesen über die Taktik wurde folgende Vorgehensweise vorgeschlagen: „Die Weltrevolution (...) wird eine längere Periode von revolutionären Kämpfen in Anspruch nehmen (...) Die Weltrevolution ist kein gradlinig fortschreitender Prozess.“
Die Komintern versuchte auf verschiedene Weise, sich auf diese neue Situation einzustellen.
Der Schlachtruf „Zu den Massen!“ –ein Schritt zur opportunistischen Verwirrung
In einem früheren Artikel sind wir bereits auf die sogenannte Offensivtheorie eingegangen.
Ein Teil der Komintern und große Kreise der Revolutionäre in Deutschland drängte auf eine „Offensive“, auf einen „Befreiungsschlag“ zugunsten Russlands. Diese Kräfte ummantelten ihre abenteuerlichen Handlungen mit einer „Offensivtheorie“, derzufolge die Partei, wenn sie nur entschlossen und mutig genug sei, sich ungeachtet des Kräfteverhältnisses und der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit in einen Ansturm auf das Kapital stürzen könne.
Doch die Geschichte hat gezeigt, dass man die proletarische Revolution nicht künstlich entfachen und die mangelnde Initiative und fehlende Kampfbereitschaft der Klasse nicht durch die Partei ersetzen kann. Auch wenn die Komintern auf ihrem III. Weltkongress im Juli 1921 das Abenteurertum der KPD schließlich verwarf, so benutzte sie dennoch selbst opportunistische Mittel, um größeren Einfluss unter den rückständigen Arbeitern zu erlangen. „‘Zu den Massen‘ – das ist die erste Kampflosung, die der III. Kongress den Kommunisten aller Länder zuruft.“ Wenn die Massen weiter auf der Stelle träten, müsse man sich eben selbst zu den Massen hin bewegen.
Um einen größeren „Masseneinfluss“ zu erlangen, hatte die Komintern im Herbst 1920 auf die Gründung von Massenparteien in etlichen Ländern gedrängt. In Deutschland wurde im Dezember 1920 der linke Flügel der zentristischen USPD mit der KPD zur VKPD zusammengeschlossen (die somit etwa 400000 Mitglieder umfasste); im Herbst 1920 wurde die tschechische KP mit 350000 Mitgliedern und die französische KP mit ca. 120000 Mitgliedern in die Komintern aufgenommen.
„Die Komintern hat vom ersten Tage ihrer Bildung an klar und unzweideutig sich zum Zwecke gesetzt nicht die Bildung kleiner, kommunistischer Sekten, (...) sondern die Teilnahme an dem Kampfe der Arbeitermassen, die Leitung dieses Kampfes in kommunistischem Sinne und die Bildung im Kampfe erprobter, großer revolutionärer, kommunistischer Massenparteien. Die Komintern hat schon im ersten Jahre ihrer Existenz die sektiererischen Tendenzen abgelehnt, indem sie die ihr angeschlossenen Parteien – mochten sie noch so klein sein – aufforderte, sich an den Gewerkschaften zu beteiligen, um deren reaktionäre Bürokratie von innen heraus zu überwinden und die Gewerkschaften zu revolutionären Massenorganisationen des Proletariats, zu Organen seines Kampfes zu machen. (...) Auf ihrem II. Weltkongress hat die Komintern die sektiererischen Tendenzen in ihren Resolutionen über die Gewerkschaftsfrage und über die Ausnützung des Parlamentarismus offen abgelehnt (...) Der deutsche Kommunismus wurde dank der Taktik der Komintern (revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften, Offener Brief usw.) (...) zu einer großen, revolutionären Massenpartei (...) In der Tschechoslowakei ist es den Kommunisten gelungen, die Mehrheit der politisch organisierten Arbeiter auf ihre Seite zu bringen (...) Die sektiererischen kommunistischen Gruppen (wie die KAPD usw.) konnten dagegen auf ihrem Wege nicht die geringsten Erfolge erreichen.“ („Thesen zur Taktik“, S. 37)
Die Auseinandersetzung über die Mittel des Kampfes und über die Möglichkeit der Existenz einer Massenpartei im neuen Zeitalter der kapitalistischen Dekadenz hatte schon auf dem Gründungsparteitag der KPD im Dezember 1918/Januar 1919 begonnen. Schon damals ging es um die Frage, ob die Kommunisten auch weiterhin in den Gewerkschaften arbeiten und das Parlament als Tribüne verwenden können.
Auch wenn Rosa Luxemburg in der Debatte des Gründungsparteitages über die Gewerkschafts- und Parlamentarismusfrage noch für eine Mitarbeit in diesen Institutionen gestimmt hatte, so bewies sie dennoch einen außerordentlichen Weitblick, als sie erkannte, dass neue Kampfbedingungen entstanden waren, unter denen die Revolutionäre nur mit großer Ausdauer und ohne jegliche naive Hoffnung auf eine „schnelle“ Lösung ihrer Arbeit nachgehen können. Den Kongress vor Ungeduld und überstürztem Handeln warnend, betonte sie mit Nachdruck: „Wenn ich es so schildere, nimmt sich der Prozess vielleicht etwas langwieriger aus, als man geneigt wäre, ihn sich im ersten Moment vorzustellen.“ Noch in ihrem letzten Artikel für die Rote Fahne vor ihrer Ermordung warnte sie: „Aus alledem ergibt sich, dass auf einen endgültigen, dauernden Sieg in diesem Augenblick noch nicht gerechnet werden konnte.“ (Die Ordnung herrscht in Berlin)
Die Analyse der aktuellen Lage und die Einschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Kommunisten. Wenn sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden und einen Sturm erwarten, wo doch alles bereits wieder abflaut, besteht die Gefahr, voller Ungeduld abenteuerlichen Aktionen anheim zu fallen und danach zu trachten, die reale Klassenbewegung durch künstlich stimulierte Versuche zu ersetzen.
Auf dem Heidelberger Parteitag der KPD im Oktober 1919 hatte die Führung um Levi angesichts des ersten Abebbens der Kämpfe in Deutschland gegen das Mehrheitsvotum vorgeschlagen, die KPD solle, um ihren Einfluss auf die Arbeitermassen zu vergrößern, ihre Arbeit darauf ausrichten, in die Gewerkschaften und Parlamente einzudringen. Keine zwei Jahre später sollte auf dem III. Weltkongress der Komintern erneut diese Debatte stattfinden.
Die italienische Linke um Bordiga hatte schon auf dem II. Weltkongress heftig die Teilnahme am Parlamentarismus attackiert (s. Thesen zum Abstentionismus) und vor dieser Ausrichtung gewarnt, da sie ein fruchtbarer Nährboden für den Opportunismus sei. Und die KAPD, die es auf dem II. Weltkongress noch versäumt hatte, ihre Stimme zu erheben, sollte dafür auf dem III. Weltkongress unter schwierigsten Bedingungen intervenieren und Kritik an dieser opportunistischen Entwicklung üben.
Während die KAPD-Delegation hervorhob, „das Proletariat braucht dann eine durchgebildete Kernpartei“ (Jan Appel auf dem III. Weltkongress, S. 497), suchte die Komintern Zuflucht im Aufbau von Massenparteien. Die Position der KAPD wurde mehrheitlich abgelehnt.
Die opportunistische Ausrichtung nach dem Motto: „Zu den Massen“ erleichterte wiederum die Durchsetzung der „Einheitsfronttaktik“, die einige Monate später auf dem III. Kongress offiziell angenommen wurde.
Entscheidend hierbei ist, dass die Komintern diesen Kurs erst einschlagen konnte, als sich die Welle der revolutionären Kämpfe in Europa nicht mehr ausdehnte, sondern zurückzog. So wie die russische Revolution 1917 nur der Auftakt einer internationalen Welle von Kämpfen gewesen war, so war der Rückgang in den revolutionären Kämpfen und der politische Rückzug der Komintern Ergebnis und Ausdruck eines international veränderten Kräfteverhältnisses. Es waren die historisch ungünstigen Bedingungen einer Revolution, die aus einem Weltkrieg hervorging, sowie die Intelligenz der Bourgeoisie, die den Krieg rechtzeitig beendete und die „demokratische Karte“ ausspielte, welche die Bedingungen für den wachsenden Opportunismus innerhalb der Komintern förderten, als die Ausdehnung der revolutionären Welle gestoppt wurde.
Die Debatte über die Entwicklung in Russland
Um die Reaktionen der Revolutionäre gegenüber der Isolierung der russischen Arbeiterklasse und dem veränderten Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat zu verstehen, müssen wir einen Blick auf die Entwicklung in Russland selbst werfen.
Als im Oktober 1917 die Arbeiter unter der Führung der bolschewistischen Partei die Macht ergriffen, gab es keine Illusionen über die Möglichkeit eines Aufbaus des Sozialismus in einem Land. Alle Blicke richteten sich auf die Hilfe aus dem Ausland. Angesichts der spontanen Maßnahmen vieler Arbeiter, die Produktion mittels Enteignungen sofort in die eigenen Hände zu nehmen, warnten die Bolschewiki vor falschen Erwartungen. Sie verstanden am klarsten, wie lebenswichtig die politischen Maßnahmen waren, d.h. die Konzentration auf die Ausweitung der Revolution. Gerade den Bolschewiki war klar, dass mit der Machtergreifung in einem Land der Kapitalismus natürlich noch längst nicht aus der Welt geschafft war. Solange die herrschende Klasse noch nicht weltweit bzw. in den wichtigsten Regionen dieser Erde gestürzt worden war, standen die politischen Maßnahmen an erster und entscheidender Stelle. Dort, wo das Proletariat die Macht ergriffen hatte, musste es sich darauf beschränken, den durch den Kapitalismus geschaffenen Mangel in seinem Interesse zu verwalten.
Schlimmer noch: nachdem die kapitalistischen Mächte ab Frühjahr 1918 ihre Wirtschaftsblockade und, zusammen mit der russischen Bourgeoisie, den Bürgerkrieg begonnen hatten, sahen sich die russischen Arbeiter und Bauern einer katastrophalen wirtschaftlichen Lage gegenüber. Wie sollte man die Versorgung der Bevölkerung trotz der Sabotage durch die Kapitalistenklasse sicherstellen? Auf welche Weise mussten die militärischen Anstrengungen koordiniert werden, um die Armeen der bürgerlichen Konterrevolution abzuwehren? Nur ein Staat konnte diese Aufgaben erfüllen. Es war der damals aus dem Aufstand neu entstandene, aber auf vielen Ebenen aus der alten Beamtenschicht zusammengesetzte Staat, der sich der Aufgabe stellte. Und auch zur Bewältigung von Aufgaben wie dem Bürgerkrieg oder dem Kampf gegen die innere Sabotage reichten die Arbeitermilizen der ersten Stunde nicht mehr aus. Es war notwendig, eine „Rote Armee“ und spezielle Repressionsorgane aufzubauen.
Während die Arbeiterklasse in den Aufstandswochen im Oktober und danach noch die Zügel fest in ihren Händen gehalten hatte und die Hauptentscheidungen in den Sowjets gefällt wurden, setzte bald darauf ein Prozess ein, in dessen Verlauf die Arbeiter zunehmend ihre Macht und ihre Druckmittel an den neu entstandenen Staatsapparat verloren. Statt von den Arbeiterräten kontrolliert und als Instrument zu ihren Gunsten eingesetzt zu werden, schickte sich dieses neue Organ, das von den Bolschewiki irrtümlicherweise als „Arbeiterstaat“ bezeichnet wurde, an, die Macht der Arbeiterräte zu untergraben und ihnen seine Direktiven aufzuzwingen. Diese Entwicklung, deren eigentliche, materielle Wurzel in den noch vorhandenen kapitalistischen Verhältnissen lag, war auch möglich, weil der nach der Machtergreifung entstandene Staat keine Anstalten machte, abzusterben und Macht abzugeben, sondern sich im Gegenteil immer mehr aufblähte.
Diese Tendenz konnte sich in dem Maße verstärken, wie die revolutionäre Welle sich nicht mehr ausdehnte, gar zurückwich und die russische Arbeiterklasse isoliert blieb.
Doch je weniger die Arbeiterklasse international imstande war, das Kapital unter Druck zu setzen, desto unentschlossener konnte sie seinen Plänen entgegentreten. Vor allem konnte sie es nicht an seinen militärischen Feldzügen gegen die russische Revolution hindern. So besaß die Bourgeoisie weiteren Spielraum, um die russische Revolution in den Würgegriff zu nehmen, und der infolge dieses Kräfteverhältnisses entstandene Staat in Russland erhielt weiteren Auftrieb. Dadurch, dass es der Bourgeoisie gelang, die Ausdehnung der Revolution zu stoppen, wurde dieser Staat in die Lage versetzt, immer mehr zum alles beherrschenden Faktor in Russland zu werden und sich zu verselbständigen.
Aufgrund der vom internationalen Kapital erzwungenen, wachsenden Unterversorgung, der schlechten Ernteergebnisse, der Sabotage durch die Bauern, der großen Zerstörungen durch den Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Hungersnöten und Epidemien war der von den Bolschewiki angeführte Staat gezwungen, immer mehr Zwangsmaßnahmen aller Art zu ergreifen, wie z.B. die Beschlagnahmung der Ernten oder die Rationierung nahezu aller Güter. Er war auch dazu gezwungen, an die alten Handelsbeziehungen zu den kapitalistischen Staaten wieder anzuknüpfen, wobei es sich hier nicht um eine Frage der Moral, sondern um eine Überlebensfrage handelte. Der Mangel und der Handel – beides konnte nur von einem Staat verwaltet und gesteuert werden. Doch wer sollte diesen Staat kontrollieren?
Partei oder Räte – Wer übt die Kontrolle über den Staat aus?
Zum damaligen Zeitpunkt war es in der revolutionären Bewegung gängige Auffassung, dass die Partei im Namen der Arbeiterklasse die Macht übernimmt und somit an die Schalthebel dieses neuen, postrevolutionären Staates rückt. So hatten ab Oktober 1917 die führenden Mitglieder der bolschewistischen Partei die zentralen Positionen dieses Staates übernommen und angefangen, sich mit selbigem zu identifizieren.
Diese von der gesamten revolutionären Bewegung vertretene Auffassung wäre im Falle erfolgreicher Aufstände in anderen Ländern und vor allem in Deutschland sicherlich in Frage gestellt und über Bord geworfen worden. In einem solchen Fall hätten die Arbeiterklasse und ihre Revolutionäre die Differenzen und Interessenskonflikt zwischen Staat und Revolution ans Tageslicht geholt und somit die Fehler der Bolschewiki korrigieren können. Doch die Isolierung der Revolution führte dazu, dass die bolschewistische Partei immer öfter Stellung zugunsten des Staates bezog, statt die Interessen des internationalen Proletariats zu verteidigen. Zug um Zug entriss der Staat den Arbeitern die Initiative und verselbständigte sich. Und die bolschewistische Partei war gleichermaßen Getriebene wie treibende Kraft beim Wiedererstarken des Staates.
Nach dem Ende des Bürgerkrieges kam es im Winter 1920/21 zu einer weiteren Verschärfung der Hungersnot, was dazu führte, dass infolge des Exodus der vor dem Hunger fliehenden Menschen die Bevölkerung Moskaus um die Hälfte, die Petrograds um zwei Drittel dezimiert wurde. Vielerorts brachen Bauernrevolten und Arbeiterproteste aus.
Vor allem in der Gegend von Petrograd brach eine Streikwelle aus. Die Arbeiter und Matrosen von Kronstadt erwiesen sich dabei schnell als die Speerspitze des Widerstandes gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen und gegen den Staat. Neben ökonomischen stellten sie auch politische Forderungen auf. Abgesehen von der Ablehnung der Parteidiktatur wurde vor allem die Notwendigkeit der Erneuerung der Sowjets in den Vordergrund gestellt.
Der von den Bolschewiki angeführte Staat entschloss sich, den Widerstand der Arbeiter mit Gewalt zu brechen. Er bezeichnete letztere als vom Ausland manipulierte konterrevolutionäre Kräfte.
Damit stellte sich die bolschewistische Partei zum ersten Mal an die Spitze einer gewaltsamen Niederschlagung eines Teils der Arbeiterklasse. Dies geschah ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die bolschewistische Partei selbst den 50. Jahrestag der Pariser Kommune feierte, und zwei Jahre nach dem Gründungskongress der Komintern, als Lenin noch die Parole „Alle Macht den Räten“ auf das Banner der Kommunisten geschrieben hatte. Nicht nur, dass die bolschewistische Partei tatkräftig die Zerschlagung des Kronstädter Aufstandes übernahm, die gesamte revolutionäre Bewegung befand sich damals über den Charakter dieses Aufstandes in Irrtum. Sowohl die russische Arbeiteropposition als auch die Mitgliedsparteien der Komintern verurteilten ihn unmissverständlich.
Als Reaktion auf die wachsende Unzufriedenheit und mit dem Ziel, die weiterhin hortenden Bauern zur Produktion und Ablieferung ihrer Ernten zu bewegen, wurde im März 1921 die Einführung der „Neuen Ökonomischen Politik“ beschlossen, die keine „Rückkehr“ zum Kapitalismus bedeutete (schließlich war dieser nie abgeschafft worden), sondern nur eine Anpassung an die Mangelerscheinungen und Marktverhältnisse. Noch im gleichen Monat wurde ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und Russland abgeschlossen.
Hinsichtlich der Frage des Staates und der Identifizierung der Partei mit ihm gab es innerhalb der bolschewistischen Partei Divergenzen. Wie wir in der Internationalen Revue Nr. 8 und 9 geschrieben haben, schlugen linkskommunistische Stimmen in Russland schon früh Alarm und warnten vor dem Aufbau eines staatskapitalistischen Regimes. So sprach sich die Zeitung Kommunist im Jahre 1918 gegen die Versuche der Disziplinierung der Arbeiterklasse aus. Obwohl sich nach dem Beginn des Bürgerkrieges die Reihen der Partei unter dem Druck der konterrevolutionären Aggression schlossen und der größte Teil der Kritik zurückgehalten wurde, wuchs die Opposition gegen das wachsende Gewicht bürokratischer Strukturen in der Partei. Die 1919 gegründete Gruppe Demokratische Zentralisten um Ossinski sprach sich gegen den Verlust der Initiative der Arbeiter aus und rief zur Wiederherstellung der innerparteilichen Demokratie auf, insbesondere während der 9. Parteikonferenz im Herbst 1920, als sie die wachsende Bürokratisierung der Partei an den Pranger stellte.
Obgleich Lenin selbst die höchste staatliche Verantwortung mit repräsentierte, erkannte er in gewisser Weise am deutlichsten die Gefahr für die Revolution, die von diesem Staat ausging. Oft war er es, der die Arbeiter am entschiedensten zur Verteidigung gegen diesen Staat aufrief und ermunterte.
In der Debatte über die Gewerkschaftsfrage hob Lenin hervor, dass die Gewerkschaften auch weiterhin als Verteidigungsorgane der Klasse zu handeln hätten, auch gegen einen Arbeiterstaat, der an „bürokratischen Deformationen“ leide, womit Lenin prinzipiell die Möglichkeit eines Konfliktes zwischen Staat und Arbeiterklasse anerkannte. Dagegen plädierte Trotzki für die totale Integration der Gewerkschaften in den „Arbeiterstaat“. Er wollte die Militarisierung der Produktion auch nach der Beendigung des Bürgerkrieges fortsetzen. Die auf dem 10. Kongress im März 1921 erstmals in Erscheinung tretende Arbeiteropposition befürwortete hingegen staatsabhängige Industriegewerkschaften, welche die Leitung der Produktion übernehmen sollten.
Die Entscheidungen innerhalb der Partei verlagerten sich immer mehr vom Parteitag auf das Zentralkomitee und das neu geschaffene Politbüro. Die Militarisierung der Gesellschaft, die vom Bürgerkrieg ausgelöst worden war, erfasste über den Staat auch die Partei. Statt die Initiative der örtlichen Parteikomitees zu fördern, wurden sämtliche Aktivitäten der Partei einer strengen Kontrolle mittels sog. politischer Abteilungen unterzogen und auf dem 10. Parteitag ein allgemeines Fraktionsverbot erlassen.
Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir den Widerstand der Linkskommunisten gegen die opportunistische Tendenz untersuchen und aufzeigen, wie die Kommunistische Internationale mehr und mehr zu einem Instrument des russischen Staates wurde.
Dv
Deutsche Revolution, Teil XI
Die Linkskommunisten und der Konflikt zwischen russischem Staat und Weltrevolution
In unserem Artikel „Der Rückfluss der revolutionären Welle und die Entartung der Kommunistischen Internationale“ haben wir gezeigt, wie die Verhinderung der internationalen Ausweitung der Revolution durch die Bourgeoisie und der Rückfluss des Klassenkampfes eine opportunistische Reaktion der Komintern hervorgerufen haben. Diese opportunistische Tendenz innerhalb der Komintern stieß auf den Widerstand jener Kräfte, die sich später Linkskommunisten nannten. Nachdem auf dem II. Kongress der Komintern 1920 die Parole „Zu den Massen!“ gegen den Widerstand der Gruppen des späteren Linkskommunismus in den Vordergrund gerückt worden war, sollte der III. Kongress, der im Sommer 1921 veranstaltet wurde, zum entscheidenden Moment im Kampf eben jener Linkskommunisten gegen den Beginn der Unterordnung der Weltrevolution unter die Interessen des russischen Staates werden.
Der Beitrag der KAPD
Auf dem III. Weltkongress griff die KAPD zum ersten Mal direkt in die Debatten ein und entwickelte erste Ansätze einer umfassenden Kritik an dem Vorgehen der Komintern. In ihren Beiträgen ,Zur wirtschaftlichen Krise und die neuen Aufgaben der Komintern‘, über Fragen der Taktik, über die Rolle der Gewerkschaften und insbesondere über die Entwicklung in Russland betonte die KAPD gegen die Mehrheitsposition innerhalb der Komintern unaufhörlich die führende Rolle der Revolutionäre und die Unmöglichkeit der Bildung einer kommunistischen Massenpartei. Während die italienischen Delegierten, die noch 1920 so tapfer ihre abweichende Auffassung in der Parlamentarismusfrage gegenüber der Mehrheit in der Komintern vertreten hatten, sich kaum zur Entwicklung in Russland und zum Verhältnis zwischen der Sowjetregierung und der Komintern äußerten, war es vor allem das Verdienst der KAPD, diese Fragen auf dem Kongress aufgeworfen zu haben.
Bevor wir uns näher mit den Auffassungen und der Haltung der KAPD befassen, möchten wir noch einschränkend bemerken, dass die KAPD weit davon entfernt war, eine homogene und geschlossene Haltung gegenüber der neuen Periode und den sich überstürzenden Ereignissen einzunehmen. Zwar besaß sie den Mut, einen Anfang zu machen bei der Aufarbeitung der Lehren aus der neuen Periode (Parlamentarismus- und Gewerkschaftsfrage); zwar verstand sie die Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung einer Massenpartei, doch offenbarte die KAPD trotz ihrer programmatischen Kühnheit einen Mangel an Vorsicht, Sorgfalt und politischer Stringenz bei der Einschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen und in der Frage der politischen Organisation. Ohne alle Mittel bei der Verteidigung der bestehenden Organisation ausgeschöpft zu haben, neigte sie dazu, voreilige Schlüsse zu ziehen.
Es war nicht überraschend, dass die KAPD eine Reihe von Verirrungen mit dem Rest der revolutionären Bewegung damals teilte. Ähnlich wie die Bolschewiki meinte auch sie, dass die Partei die Macht ergreifen müsse und dass der nach der Machtergreifung installierte Staat ein „Arbeiterstaat“ sein müsse.
Auf dem III.Kongress thematisierte die KAPD-Delegation das Verhältnis zwischen Staat und Partei folgendermaßen: „Wir verkennen keinen Augenblick, in welche Schwierigkeiten die russische Sowjetmacht durch die Verzögerung der Weltrevolution geraten ist. Aber wir sehen zugleich die Gefahr, dass aus diesen Schwierigkeiten ein Widerspruch zwischen den Interessen des revolutionären Weltproletariats und den Augenblicksinteressen Sowjetrusslands – scheinbar oder tatsächlich – sich ergibt (...) Aber die politische und organisatorische Loslösung der III. Internationalen aus dem System der russischen Staatspolitik ist das Ziel, auf das hingearbeitet werden muss, wenn wir den Bedingungen der westeuropäischen Revolution gerecht werden wollen.“ (Hempel/J.Appel, „Protokolle des III. Weltkongresses der Komintern“, S.224)
Während des III. Kongresses neigte die KAPD dazu, die Folgen der von der Bourgeoisie vereitelten Ausdehnung der Revolution zu unterschätzen. Statt alle Lehren aus dieser verhinderten Ausweitung zu ziehen, statt sich der Argumentation Rosa Luxemburgs anzuschließen, die schon 1917 begriffen hatte, dass „in Russland (...) das Problem nur gestellt werden (konnte). Es konnte nicht in Russland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden“, statt dem Aufruf des Spartakusbundes vom November 1918 zu folgen, in dem letzterer warnte: „Gelingt es Euren herrschenden Klassen, die proletarische Revolution in Deutschland wie in Russland abzuwürgen, dann werden sie sich mit doppelter Wucht gegen Euch wenden (...) Deutschland ist schwanger mit der sozialen Revolution, aber den Sozialismus kann nur das Weltproletariat verwirklichen“, neigte die KAPD dazu, die Ursache der allgemeinen Schwierigkeiten in Russland selbst zu suchen.
„Die in ihrem Glanz entstandene Idee einer kommunistischen Internationale ist und bleibt lebendig, aber sie ist nicht mehr verknüpft mit der Existenz Sowjetrusslands. Der Stern Sowjetrusslands ist heute für die Augen der revolutionären Arbeiter blasser geworden, in dem Maße, in dem sich Sowjetrussland immer deutlicher zu einem antiproletarischen, kleinkapitalistischen Bauernstaat entwickelt. Es macht wenig Freude, etwas derartiges auszusprechen, aber wir wissen, dass die klare Erkenntnis auch der härtesten Tatsache, dass das rücksichtslose Aussprechen solcher Erkenntnisse allein die Atmosphäre geben kann, die die Revolution zu ihrem Leben braucht. (...) Man muss verstehen, dass die russischen Kommunisten auch den ganzen Umständen ihres Landes entsprechend, nach der Zusammensetzung der Bevölkerung und der außenpolitischen Lage, nichts anderes tun konnten, als eine Diktatur der Partei aufzurichten, die der einzige festgefügte, disziplinierte, funktionsfähige Organismus im ganzen Lande war, man muss verstehen, dass die Ergreifung der Macht durch die Bolschewiki trotz aller Schwierigkeiten unbedingt richtig war, und dass die Arbeiter von Mittel- und Westeuropa die weitaus meiste Schuld daran tragen, wenn Sowjetrussland heute, da es sich nicht auf die revolutionären Kräfte anderer Länder stützen kann, gezwungen ist, sich auf kapitalistische Mächte zu stützen.
Es ist eine Tatsache, dass Sowjetrussland sich heute auf die kapitalistischen Kräfte Europas und Amerikas stützen muss (...) Da Sowjetrussland heute gezwungen ist, sich in seiner inneren und äußeren Wirtschaftspolitik auf kapitalistische Kräfte zu stützen – wie lange wird angesichts dieser Tatsache Sowjetrussland bleiben? Wie lange und mit welchen Mitteln wird die RKP es noch durchsetzen können, dieselbe RKP zu bleiben, die sie war? Wird sie das durchsetzen können, indem sie Regierungspartei bleibt? Und wenn sie, um eine kommunistische Partei bleiben zu können, nicht mehr Regierungspartei bleiben könnte, wie soll man sich dann die weitere Entwicklung vorstellen?“ („Die Sowjetregierung und die III. Internationale“, in der Kommunistischen Arbeiterzeitung, Herbst 1921)
Die KAPD hat zwar die Gefahren erahnt, vor denen die Arbeiterklasse stand, aber eine falsche Erklärung geliefert. Statt zu betonen, dass der Lebensnerv der Revolution – die Macht und Initiative der Sowjets – in Russland abgetötet wurde, weil die Revolution weltweit scheiterte, statt zu zeigen, dass der Staat sich auf Kosten der Arbeiterklasse verstärkte, die Arbeiterräte entwaffnete und ihre Initiative erstickte, wählte die KAPD eine deterministische und – in der Praxis – fatalistische Argumentationsweise. Der Hinweis, dass „dass die russischen Kommunisten auch den ganzen Umständen ihres Landes entsprechend, nach der Zusammensetzung der Bevölkerung und der außenpolitischen Lage, nichts anderes tun konnten, als eine Diktatur der Partei aufzurichten“, zeigt, dass sie im Grunde nicht begriffen hatte, wie im Oktober 1917 die russische Arbeiterklasse und ihre Sowjets die Macht überhaupt ergreifen konnten. Die Idee von der Entstehung eines „kleinkapitalistischen Bauernstaates“ stellt ebenfalls die Wirklichkeit auf den Kopf. Diese im zitierten Text erst im Keim vorhandenen Ideen sollten später von den Rätekommunisten zu einer ganzen Theorie ausformuliert werden.
Die IKS hat ausführlich die falschen und unmarxistischen Auffassungen der Rätekommunisten über die Entwicklung in Russland bloßgelegt (s. unsere Artikel in der Internationalen Revue Nr. 12 und 13 sowie unser auf Englisch erschienenes Buch The Dutch Left).
Insbesondere haben wir angegriffen:
– die Theorie der doppelten Revolution, derzufolge es in den Industrieregionen Russlands eine proletarische, auf dem Lande aber eine bäuerlich-demokratische Revolution gegeben habe; eine Theorie, die in Teilen der KAPD mit dem Beginn des Rückflusses der revolutionären Welle und dem erstarkenden Staatskapitalismus 1921 aufkam;
– den Fatalismus, der sich hinter der Auffassung verbarg, dass die russische Revolution notwendigerweise dem Übergewicht des Bauerntums erliegen musste und die Bolschewiki von vornherein zu ihrer Entartung verdammt gewesen seien;
– die Trennung in unterschiedliche Teile der Welt (Meridian-Theorie), wonach es in Russland andere Mittel und Wege der Revolution gebe als in Westeuropa;
– die falsche Kritik an den Handelsbeziehungen Russlands zum kapitalistischen Westen, weil sie den falschen Eindruck erweckt, dass man in Russland tatsächlich das Geld hätte abschaffen können und der „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ doch möglich sei.
Doch je länger man sich mit den Positionen der KAPD befasst, um so deutlicher wird die Konsequenz, mit der diese Organisation (wie auch die anderen linkskommunistischen Gruppen) ihr Hauptziel, die Klärung der politischen Fragen voranzutreiben, verfolgte.
Der wachsende Konflikt zwischen dem russischen Staat und den Interessen der Weltrevolution
Während die Komintern sich vorbehaltlos hinter die „Außenpolitik“ des russischen Staates stellte, übte die KAPD-Delegation auf dem III. Weltkongress schonungslose Kritik und legte den Finger in die Wunde.
„Wir alle erinnern uns an die ungeheure propagandistische Wirkung der diplomatischen Noten Sowjetrusslands aus jener Zeit, wo die Arbeiter- und Bauernregierung in ihren Drohungen noch keine Rücksicht zu nehmen brauchte auf das Bedürfnis, Handelsverträge abzuschließen oder gar auf die Klauseln schon abgeschlossener Verträge. Die revolutionäre Bewegung Asiens, die für uns alle eine große Hoffnung und für die Weltrevolution eine objektive Notwendigkeit ist, kann von Sowjetrussland weder offiziell noch inoffiziell unterstützt werden. Die englischen Agenten in Afghanistan, Persien und der Türkei arbeiten gut, und jeder revolutionäre Schritt Russlands stellt die Ausführung der Handelsverträge in Frage. Wer muss bei dieser Sachlage die auswärtige Politik Sowjetrusslands entscheidend dirigieren? Die russischen Handelsvertreter in England, Deutschland, Amerika, Schweden usw.? Ob sie Kommunisten sind oder nicht, sie müssen in jedem Fall eine Verständigungspolitik treiben.
Innenpolitisch zeigen sich ähnliche, vielleicht noch gefährlichere Rückwirkungen. Die politische Macht liegt heute faktisch in den Händen der Kommunistischen Partei (nicht etwa der Sowjets). (...)während die spärlichen revolutionären Massen in der Partei sich in ihrer Initiative gehemmt fühlen und die manövrierende Taktik mit wachsendem Misstrauen beobachten, gewinnen mehr und mehr, insbesondere im großen Funktionärsapparat, diejenigen an Einfluss, die zur Kommunistischen Partei gehören, nicht, weil sie eine kommunistische ist, sondern weil sie eine Regierungspartei ist (...) Es liegt auf der Hand, dass die legalisierten Möglichkeiten des Freihandels und der kapitalistischen Wirtschaft überhaupt unter Staatsaufsicht, d.h. unter Aufsicht einer solchen, in die Defensive gedrängten und innerlich sich zersetzenden Partei in wachsendem Maße der durchaus noch nicht abgestorbenen Korruption neue Lebenskraft geben müssen(...)“
Während die meisten Delegierten des Kongresses immer bedingungsloser die bolschewistische Partei unterstützten, die im Begriff war, in den Staatsapparat integriert zu werden, besaß die KAPD-Delegation den Mut, auf den wachsenden Widerspruch zwischen den Interessen der Arbeiterklasse einerseits und den Partei- und Staatsinteressen andererseits hinzuweisen.
„Da (die RKP) die Initiative der revolutionären Arbeiter ausgeschaltet hat und immer weiter ausschaltet, da sie dem Kapital weiteren Spielraum als bisher geben muss, verwandelt sie trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ihren eigenen Charakter, solange sie Regierungspartei bleibt, und kann dabei doch nicht verhindern, dass die ökonomische Basis, auf der sie – als Regierungspartei! – steht, erschüttert und damit die Grundlage ihrer politischen Macht geschmälert wird.
Was nun aus Russland und was aus der revolutionären Entwicklung in der ganzen Welt werden müsste, wenn die russische Partei eines Tages nicht mehr Regierungspartei wäre, lässt sich kaum übersehen. Und dennoch treiben die Dinge einem Zustande zu, in dem eines Tages – wenn nicht revolutionäre Erhebungen in Europa ein Gegengewicht schaffen – notwendig werden wird, diese Frage im Ernst zu stellen, wo also im Ernst nachgeprüft werden muss, ob im Interesse der proletarischen Revolution das Aufgeben der russischen Staatsgewalt nicht vielleicht richtiger erscheint, als das Festhalten an ihr (...)
Dieselbe Russische Kommunistische Partei, die in ihrem Innern und in ihrer Rolle als Regierungspartei jetzt in einer solchen kritischen Situation steht, ist auch die absolut führende Partei der III. Internationale (...) An diesem Punkte ergibt sich nun der tragische Knoten, in dessen Verschlingung die III. Internationale sich gefangen hat, und zwar so, dass ihr die revolutionäre Lebensluft abgeschnitten ist. Die russischen Genossen, unter bestimmender Führung von Lenin, unterlassen es nicht nur, in der Politik der III. Internationale ein Gegengewicht gegen die rückläufige Kurve ihrer Staatspolitik zu schaffen, sondern sie tun alles, um die Politik dieser Internationale mit dieser rückläufigen Kurve in Einklang zu bringen. (...) Die III. Internationale ist heute ein Werkzeug der reformistischen Verständigungspolitik der Sowjetregierung.
Gewiss sind Lenin, Bucharin usw. in ihrem innersten Wesenskern echte Revolutionäre, aber sie sind eben jetzt wie das ganze Zentralkomitee der Partei Träger der Staatsgewalt, und damit unvermeidlich dem Gesetz einer notwendig zum Konservativen hingleitenden Entwicklung unterworfen.“ (KAZ, „Moskauer Politik“, Herbst 1921)
Auf dem anschließenden Außerordentlichen Kongress der KAPD im September 1921 äußerte sich Goldstein folgendermaßen dazu: „Wird es in der KP in Russland möglich sein, auf die Dauer diese beiden Gegensätze in irgendeiner Form auszugleichen? Die KPR zeigt auch heute schon einen Doppelcharakter, Sie zeigt ihn einmal dadurch, dass sie, weil sie noch die Regierungspartei in Russland ist, die die Interessen Russlands als Staat verkörpern muss, dass sie aber gleichzeitig auch die Interessen des internationalen Klassenkampfes vertreten soll und will.“ (September-Kongress, 1921, Protokoll, S. 59)
Die deutschen Linkskommunisten wiesen zu Recht auf die Rolle des russischen Staates bei der opportunistischen Entartung der Kommunistischen Internationale hin, und sie hoben richtigerweise auch hervor, dass man die Interessen der Weltrevolution gegen die Interessen des russischen Staates verteidigen muss.
Dennoch lag, wie wir bereits gesagt hatten, der Hauptgrund der opportunistischen Wendung der Komintern tatsächlich nicht in der Rolle des russischen Staates, sondern in dem Scheitern der revolutionären Ausdehnung auf Westeuropa und dem darauffolgenden Rückzug des internationalen Klassenkampfes. Obgleich die KAPD hauptsächlich die russische KP für diesen Opportunismus verantwortlich machte, war die Politik der prinzipienlosen „Bündnisse“, die von den sozialdemokratischen Illusionen ausging, damals in sämtlichen Arbeiterparteien verbreitet. Lange vor den russischen Kommunisten hatte die Führung der KPD bereits diese opportunistische Wende vollzogen, als sie nach der Niederlage des Berliner Januaraufstandes 1919 den linken Flügel, die künftige KAPD, aus der Partei ausgeschlossen hatte.
Tatsächlich waren die KAPD-eigenen Schwächen zunächst und vor allem das Ergebnis der Desorientierung, die aus der Niederlage und dem Rückfluss der revolutionären Welle besonders in Deutschland entstanden war. Der Autorität ihrer revolutionären Führer beraubt, die 1919 im Auftrag der Sozialdemokratie ermordet worden waren, waren die deutschen Linkskommunisten, die sich noch entschlossen an die Spitze der anschwellenden revolutionären Welle gestellt hatten, im Gegensatz zur italienischen Linken unfähig, mit der Niederlage der Revolution fertigzuwerden. Es kamen noch weitere Faktoren hinzu, die diese Schwächen der KAPD noch vertieften.
Die Schwächen der KAPD in der Organisationsfrage
Die Gründe für die Schwächen der KAPD im Verständnis der Organisationsfrage liegen tiefer.
Erinnern wir uns: Aufgrund eines falschen Organisationsverständnisses innerhalb der KPD gelang es der von Levi angeführten Zentrale, die Mehrheit wegen ihrer Auffassungen über den Parlamentarismus und die Gewerkschaften aus der Partei auszuschließen. Letztere gründete im Anschluss an die gewaltigen Kämpfe nach dem Kapp-Putsch im April 1920 die KAPD. Diese frühe Spaltung der Kommunisten in Deutschland bewirkte eine fatale Schwächung der Arbeiterklasse. Das Drama bestand darin, dass diese linkskommunistische Strömung, nachdem sie selbst aus der KPD ausgeschlossen wurde, ebenfalls diese spalterische Auffassung vertrat.
Diese Schwäche wurde wenige Monate später erneut deutlich, als sich die KAPD-Delegation (mit O. Rühle und P. Merges) kampflos aus dem II. Weltkongress zurückzog. Ein Jahr später, 1921, lehnte die KAPD das Ultimatum des III. Weltkongresses, entweder dem Zusammenschluss zur VKPD zuzustimmen oder aus der Komintern ausgeschlossen zu werden, ab. Ihr daraus resultierender Ausschluss aus der Komintern rief eine gewisse Feindseligkeit in den Reihen der KAPD gegenüber der Komintern hervor.
Dadurch wurde eine durchaus mögliche Zusammenarbeit zwischen den in der Komintern jüngst entstandenen linkskommunistischen Strömungen unmöglich gemacht. Die deutsche und holländische Linke unternahm nichts, um dem enormen Druck der KPR entgegenzutreten und gemeinsam mit der Italienischen Linken um Bordiga einen gemeinsame Front gegen die opportunistische Politik der Komintern zu bilden. Ferner neigte die KAPD zu vorschnellen und überstürzten Urteilen über die Komintern, wie die folgenden Stellungnahmen der KAPD zum III. Kongress belegen.
Flucht oder Kampf: die Reaktion gegenüber der Entartung der Komintern
„Sowjetrussland als Staat scheidet in Zukunft als Faktor der Weltrevolution aus; es wird zu einem Stützpunkt der internationalen Konterrevolution (...) Das russische Proletariat hat damit bereits seinen Staat aus den Händen ver
loren. Das bedeutet nichts Anderes, als dass die Sowjetregierung nunmehr zum Sachwalter der Interessen der internationalen Bourgeoisie werden muss (...)
Die Sowjetregierung muss zu einer Regierung über und gegen die Arbeiterklasse werden, nachdem sie offen auf die Seite des Bürgertums getreten ist. Die Sowjetregierung ist die Kommunistische Partei Russlands. Also ist die Kommunistische Partei Russlands ein Gegner der Arbeiterklasse geworden, weil sie als Sowjetregierung die Interessen des Bürgertums auf Kosten des Proletariats vertritt. Dieser Zustand wird nicht lange dauern, die Kommunistische Partei Russlands wird sich spalten müssen (...)
Die Sowjetregierung wird binnen ganz kurzer Zeit ihr wahres Gesicht eines national-bürgerlichen Staates nicht mehr verbergen können. Sowjetrussland ist kein proletarisch-revolutionärer Staat mehr, oder richtiger gesagt, Sowjetrussland kann noch nicht ein proletarisch-revolutionärer Staat sein.
Denn allein ein Sieg des deutschen Proletariats in Gestalt der Eroberung der politischen Macht hätte Sowjetrussland vor seinem jetzigen Schicksal behüten, hätte das russische Proletariat vor dem Elend und der Unterdrückung durch ihre eigene Sowjetregierung retten können. Nur die deutsche bzw. westeuropäische Revolution hätte den Klassenkampf zwischen den russischen Arbeitern und den russischen Bauern zugunsten der russischen Arbeiter entscheiden können (...)
Der III. Weltkongress hat die Interessen der proletarischen Weltrevolution untergeordnet den Interessen der bürgerlichen Revolution eines einzigen Landes. Er, das oberste Organ der proletarischen Internationale, hat diese proletarische Internationale in den Dienst eines bürgerlichen Staates gestellt. Er hat damit der 3. Internationale jede Selbständigkeit genommen und sie in die direkte Abhängigkeit des Bürgertums gebracht.
Die 3. Internationale ist für die proletarische Weltrevolution verloren. Sie befindet sich ebenso wie die 2. Internationale in den Händen des Bürgertums.
Daher wird die 3. Internationale in Zukunft sich im Rahmen ihrer Stärke und Kraft immer dort bewähren, wo es sich um den Schutz des bürgerlichen Staates Russland handelt; sie wird aber immer und überall dort versagen, wo es sich um die Förderung der proletarischen Weltrevolution handelt. Ihre Handlungen werden eine lange Reihe fortgesetzten Verrates der proletarischen Weltrevolution sein (...)
Die 3. Internationale ist für die proletarische Weltrevolution verloren.
Die 3. Internationale hat sich aus dem Vorkämpfer der proletarischen Weltrevolution zu ihrem bittersten Feind verwandelt.
(...) An der unheilvollen Verknüpfung der Leitung eines Staates, dessen anfangs proletarischer Charakter sich im Laufe der letzten Jahre einen ausgesprochen bürgerlichen Charakter hat verwandeln müssen, und der Führung der proletarischen Internationale in ein- und derselben Hand ist die Lösung der ursprünglichen Aufgabe der 3. Internationale gescheitert. Vor die Alternative zwischen bürgerlicher Staatspolitik und proletarischer Weltrevolution gestellt, haben sich die russischen Kommunisten für die Interessen der ersteren entschieden und die ganze 3. Internationale in deren Dienst gestellt.“ (Die Sowjetregierung und die 3. Internationale im Schlepptau der internationalen Bourgeoisie, August 1921)
Während die KAPD zu Recht den wachsenden Opportunismus innerhalb der Komintern anprangerte, während sie völlig zutreffend die wachsende Gefahr erkannte, dass die Komintern von den Interessen des russischen Staates stranguliert und zu dessen Instrument wurde, beging sie andererseits jedoch den schwerwiegenden Fehler, die tatsächlich existierenden Gefahren als einen bereits abgeschlossenen Prozess zu betrachten.
Auch wenn 1921 das Kräfteverhältnis schon bedrohlich gekippt und die internationale Welle von Kämpfen rückläufig war, so legte die KAPD doch eine gefährliche Voreiligkeit an den Tag und unterschätzte die Notwendigkeit eines zähen, ausdauernden Kampfes um die Organisation. Daher war zum damaligen Zeitpunkt die Kernaussage der KAPD, dass die Komintern „heute ein Werkzeug der reformistischen Verständigungspolitik“ sei, die „offen auf die Seite des Bürgertums getreten“ und in die „Abhängigkeit des Bürgertums“ geraten sei, eine falsche Einschätzung. So verbreitete sich innerhalb der KAPD das Gefühl, die Schlacht um die Komintern sei verloren. Man hatte zwar eine Ahnung von dem, was später tatsächlich eintreten sollte, aber die Fehleinschätzung der damaligen Gesamtlage führte dazu, den Kampf gegen den Opportunismus innerhalb der Komintern vorschnell aufzugeben.
Das Ultimatum des III. Weltkongresses mag die Wut und Empörung in der KAPD erklären, doch kann es nicht die Tatsache rechtfertigen, dass sich die Genossen voreilig aus dem Ring zurückzogen und bei ihrer Aufgabe der Verteidigung der Internationale versagten.
Wieder einmal wurde auf tragische Weise deutlich, wie verheerend falsche und unzureichende Organisationsauffassungen wirken und welche Auswirkungen sie auf richtige politische Positionen haben können.
Diese große Schwäche der KAPD wird noch durch ein anderes Beispiel veranschaulicht, nämlich durch die Haltung der KAPD-Delegation auf dem III. Kongress der Komintern.
Während die KAPD-Delegation sich vom II. Kongress kampflos zurückzog, erhob die Delegation zum III. Kongress ihre Stimme als Minderheit und rief kurz danach zu einem außerordentlichen Kongress der Partei auf.
Diese Delegation warf dem III. Weltkongress vor, durch die verfälschende Wiedergabe ihrer Positionen und durch Redezeitbeschränkungen, durch Umstellungen der Tagesordnung, durch selektive Ausgrenzungen bei Diskussionen die Debatte zu beschränken. So behauptete die KAPD-Delegation, sie sei von der Sitzung des während des Kongresses tagenden EKKIs ausgeschlossen worden, obwohl man über die Frage der KAPD debattierte (Kongressbericht S. 18). Doch als die Diskussion über den Status der KAPD geführt werden sollte, verzichtete die KAPD-Delegation darauf, das Wort zu ergreifen, weil man ‘nicht unfreiwillige Helfer einer Komödie werden wollte’. Unter Protest zog die Delegation aus dem Saal.
Statt es als ihre Aufgabe anzusehen, einen langen, zähen Kampf gegen die drohende Entartung dieser Organisation zu führen, zog die KAPD übereilte Schlussfolgerungen und verurteilte die Komintern in Bausch und Bogen. Sie erklärte die Komintern wie auch die KPR als „für die Arbeiterklasse verloren“.
Darüber hinaus wurde, obgleich es sporadische Kontakte gab, von den Delegierten der Italienischen Linken und der KAPD keine gemeinsame Politik verfolgt, obwohl auch die Italienische Linke den Kampf gegen den zunehmenden Opportunismus, der in der Haltung der Komintern zur Parlamentarismusfrage deutlich wurde, aufgenommen hatte.
Der Ausschluss der KAPD aus der Komintern sollte letztendlich auch die Position der Italienischen Linken auf dem IV. Kongress schwächen, als die italienische KP unter Führung von Bordiga von der Komintern zum Zusammenschluss mit der PSI gezwungen werden sollte. So fanden sich sowohl die „deutsche“ als auch die „italienische“ Linke isoliert voneinander im Kampf gegen den Opportunismus wieder, unfähig, gemeinsam gegen diese Entartung zu kämpfen. Doch der Flügel um Bordiga hatte wenigstens seine Verantwortung für die langwierige, zähe Verteidigung und Wiederherrichtung der politischen Organisation erkannt. Kurz, bevor Bordiga 1923 ein Manifest des Bruchs mit der Komintern verfassen wollte, nahm er schließlich doch Abstand davon, weil er von der Notwendigkeit überzeugt war, seinen Kampf innerhalb der Komintern und innerhalb der italienischen Partei fortsetzen zu müssen.
Auf dem für September 1921 einberufenen Sonderkongress der KAPD wurde kaum auf die Entwicklung des weltweiten Kräfteverhältnisses eingegangen und somit versäumt, Schlussfolgerungen hinsichtlich der nächsten Aufgaben der Partei zu ziehen.
Für die große Mehrheit in der Partei stand die Revolution weiterhin unmittelbar auf der Tagesordnung. Der reine Wille schien wichtiger als die Analyse des Kräfteverhältnisses. Ferner stürzte sich ein Teil der Organisation im Frühjahr 1922 in das Abenteuer der Gründung der „Kommunistischen Arbeiterinternationale“ (KAI).
Die Unfähigkeit, das Zurückweichen des Klassenkampfes zu erkennen, sollte sich schließlich negativ auf die Fähigkeit der KAPD auswirken, unter den Bedingungen des zurückgehenden Klassenkampfes und der anbrechenden Konterrevolution zu überleben.
Die falschen Antworten der russischen Kommunisten
Trotz all ihrer Fehler und Konfusionen ist es das Verdienst der KAPD, das wachsende Konfliktpotenzial zwischen dem russischen Staat und der Arbeiterklasse sowie zwischen dem russischen Staat und der Komintern zur Sprache gebracht zu haben, ohne jedoch gleichzeitig die richtigen Antworten darauf zu liefern. Was die russischen Kommunisten angeht, so hatten sie die größten Schwierigkeiten, überhaupt das Wesen dieses Konfliktes zu durchschauen.
Aufgrund der wachsenden Integration der Partei in den Staatsapparat konnte sie nur eine sehr eingeschränkte Sicht der Dinge entwickeln. Die Haltung Lenins, der 1917 die Lehren des Marxismus hinsichtlich Staat und Revolution in seiner bekannten Schrift am klarsten herausgearbeitet hat, aber gleichzeitig seit 1917 an der Spitze des Staatsapparates gestanden hatte, bringt die wachsenden Widersprüche und Schwierigkeiten in dieser Frage deutlich zum Ausdruck.
Heute unternimmt die bürgerliche Propaganda alles, um Lenin als Vater des totalitären russischen Staatskapitalismus darzustellen. Tatsächlich aber erkannte Lenin mit seiner brillanten revolutionären Intuition unter allen russischen Kommunisten seiner Zeit noch am klarsten, dass der Übergangsstaat, der nach der Oktoberrevolution entstanden war, nicht wirklich die Interessen und die Politik des Proletariats vertrat. Lenin zog im übrigen daraus den Schluss, dass die Arbeiterklasse darum kämpfen muss, dem Staat ihre Politik aufzuzwingen, und das Recht haben müsse, sich gegen ihn zu verteidigen.
Auf dem XI. Parteitag im März 1922 stellte er besorgt fest: „Wir haben nun ein Jahr hinter uns, der Staat ist in unseren Händen – aber hat er nach unserem Willen funktioniert? Nein (...) Das Steuer entgleitet den Händen: Scheint, als sitzt ein Mensch da, der den Wagen lenkt, aber der Wagen fährt nicht dorthin, wohin er ihn lenkt, sondern dorthin, wohin ihn ein anderer lenkt.“ (März/April 1922, XI. Parteitag, Ges. Werke, Bd. 33, S. 266)
Er äußerte diese Sorge besonders angesichts der Haltung Trotzkis in der Gewerkschaftsdebatte 1921. Während vordergründig die Rolle der Gewerkschaften in der Diktatur des Proletariats behandelt wurde, bestand der Kern der Frage darin, ob die Arbeiterklasse das Recht hat, ihre Interessen auch gegen den Übergangsstaat zu verteidigen. Trotzki zufolge, demzufolge der Übergangsstaat per Definition ein Arbeiterstaat ist, war die Auffassung, das Proletariat müsse sich gegen ihn verteidigen können, eine Absurdität. Trotzki gebührt zumindest das Verdienst, seine Logik bis zur letzten Konsequenz durchgeführt zu haben, als er offen die Militarisierung der Arbeit vertrat. Im Gegensatz zu ihm bestand Lenin, auch wenn er noch nicht in der Lage war zu erkennen, dass dieser Staat kein Arbeiterstaat war (diese Position wurde erst in den 30er Jahren von der Zeitschrift Bilan entwickelt und vertreten), auf der Notwendigkeit, dass die Arbeiter sich selbst gegen den Staat wehren können.
Diese völlig berechtigte Sorge Lenins ermöglichte es den russischen Kommunisten jedoch nicht, zu einer wirklichen Klärung dieser Frage zu gelangen. Lenin selber wie andere Kommunisten der damaligen Zeit meinten weiterhin, dass in Russland das ungeheure Gewicht des Kleinbürgertums die Haupttriebkraft der Konterrevolution sei und nicht der bürokratisierte Staat.
„Der Feind ist im gegebenen Augenblick und für den gegebenen Zeitabschnitt nicht derselbe, der er gestern war. Der Feind – das sind nicht die Heerhaufen der Weißgardisten (...) Der Feind, das ist der graue Alltag der Wirtschaft in einem kleinbäuerlichen Land mit zerstörter Großindustrie. Der Feind – das ist das kleinbürgerliche Element. (...) das Proletariat ist geschwächt, zersplittert, entkräftet. Die ‚Kräfte der Arbeiterklasse‘ sind nicht grenzenlos (...)Der Zustrom frischer Kräfte aus der Arbeiterklasse ist jetzt schwach, manchmal sehr schwach (...) (Wir müssen) mit der Unvermeidlichkeit eines verlangsamten Zuwachses neuer Kräfte der Arbeiterklasse rechnen.“ (20.8.1921, Ges. Werke, Bd. 33, S. 3, 6)
Der Rückzug des Klassenkampfes und die Entfaltung des Staatskapitalismus
Nach den Niederlagen der internationalen Arbeiterklasse 1920 verschlechterten sich die Bedingungen für die russische Arbeiterklasse zusehends. Einer immer größeren Isolation ausgesetzt, stand sie nun auch einem Staat gegenüber, an dessen Spitze die bolschewistische Partei, wie Kronstadt zeigte, mit harter Hand gegen streikende Arbeiter vorging. Die Niederschlagung der Arbeiter in Kronstadt hatte vor allem jenen Kräften in der Partei Auftrieb gegeben, die an einer Stärkung des Staats - falls notwendig, auch auf Kosten der Arbeiterklasse – und an einer Bindung der Komintern an den russischen Staat interessiert waren.
Der russische „Übergangsstaat“ war mehr und mehr zu einem ganz „normalen“ Staat wie die anderen geworden.
Schon im Frühjahr 1921 hatte die deutsche Bourgeoisie ihre Fühler nach Moskau ausgestreckt, um in Geheimverhandlungen die Möglichkeit einer Zusammenarbeit beider Staaten bei der Wiederaufrüstung zu sondieren. Es war beispielsweise geplant, Flugzeuge für Russland von den Albatross-Werken, U-Boote von Blöhm & Voss und Gewehre sowie Munition von Krupp herstellen zu lassen.
Als Ende 1921 Russland das Projekt einer allgemeinen Konferenz zur Regelung der Beziehungen zwischen Russland und der kapitalistischen Welt vorschlug, waren bereits seit langem Geheimverhandlungen zwischen Deutschland und Russland im Gange. Auf der Konferenz von Genua pries Tschitscherin, der Leiter der russischen Delegation, die Möglichkeiten an, die das Potenzial der noch nicht ausgeschöpften Rohstoffquellen Russlands biete, wenn sie in Zusammenarbeit mit westlichen Kapitalisten realisiert würden. Als diese Konferenz abgebrochen wurde, hatten Deutschland und Russland im nahegelegenen Rapallo bereits ein Geheimabkommen abgeschlossen. Wie E.H. Carr schrieb: „Es war die erste große diplomatische Angelegenheit, wo Sowjetrussland und die Weimarer Republik auf gleichem Fuß stehend miteinander verhandelt hatten.“ (Die bolschewistische Revolution, Band 3) Aber Rapallo war mehr als das.
Das im Winter 1917/18 unter dem Druck der deutschen Offensive zustande gekommene Abkommen von Brest-Litowsk wurde von russischer Seite nur aus dem Grunde unterschrieben, um die isolierte Bastion des russischen Proletariats durch einen Waffenstillstand vor dem deutschen Imperialismus zu schützen. Nicht nur, dass dieses Abkommen Russland also aufgezwungen worden war, es bedurfte auch einer heftigen und offenen Debatte in der bolschewistischen Partei, bevor es abgeschlossen wurde.
Das Geheimabkommen von Rapallo dagegen stellte dieses Prinzip auf den Kopf. Nicht genug damit, dass die russischen staatlichen Vertreter in diesem Abkommen geheimen Waffenlieferungen zustimmten – diese Tatsache wurde darüber hinaus auf dem IV. Weltkongress der Komintern mit keinem einzigen Wort erwähnt!
Die Aufforderung der Komintern an die KPs der Türkei und Persiens, „die Bewegung zugunsten der nationalen Freiheit in der Türkei (und Persien) zu unterstützen“, führte in Wirklichkeit nur dazu, dass die dortige Arbeiterklasse um so leichter von der türkischen bzw. persischen Bourgeoisie niedergeschlagen werden konnte. Das Interesse des russischen Staates an festen Beziehungen zu diesen Staaten hatte obsiegt.
Schritt für Schritt wurde die Komintern den Bedürfnissen der russischen Außenpolitik unterworfen. Während zum Zeitpunkt der Gründung der Komintern 1919 die Betonung noch auf der Zerstörung der kapitalistischen Staaten gelegen hatte, bestand ab 1921 das Bestreben des russischen Staates (und seiner Vertreter in der Komintern) in einer Stabilisierung der zwischenstaatlichen Verhältnisse. Die ausbleibende Weltrevolution hatte dem russischen Staat genug Auftrieb verliehen, um für sich seinen Platz zu beanspruchen.
Auf der Anfang 1922 in Berlin tagenden gemeinsamen Konferenz der „Arbeiterparteien“, zu der die Komintern die Parteien der II. Internationale und der 2½-Internationale eingeladen hatte, bemühte sich die Komintern-Delegation vor allem um die diplomatische Anerkennung Sowjetrusslands, um den Aufbau von Handelsbeziehungen zum Westen und um Hilfe für den wirtschaftlichen Aufbau Sowjetrusslands (1). Hatte man 1919 noch die Henkersrolle der II. Internationale bloßgestellt, hatte der II. Weltkongress der Komintern noch 21 Bedingungen aufgestellt, die die Abgrenzung zur und die Bekämpfung der II. Internationale bezweckten, so saß nun, 1922, die Komintern im Namen des russischen Staates mit den Parteien eben jener II. Internationale an einem Tisch! Es war offensichtlich geworden, dass der russische Staat nicht an der Ausdehnung der Weltrevolution, sondern an seiner eigenen Stärkung interessiert war. Je stärker die Komintern in sein Schlepptau geriet, desto deutlicher wurde ihre Abkehr vom Internationalismus.
Das Auswuchern des russischen Staatsapparates
Die politische Orientierung des russischen Staates auf Anerkennung durch die anderen Staaten ging einher mit der Stärkung des russischen Staatsapparates im Innern.
Die immer stärkere Integration der Partei in den Staat, die wachsende Bündelung der Macht in den Händen eines immer kleineren und begrenzteren Kreises von „Regierenden“ und die zunehmende Diktatur des Staates über die Arbeiterklasse waren das Resultat eines zielstrebigen Vorgehens jener Kräfte, die an der Verstärkung des Staatsapparates auf Kosten der Arbeiterklasse interessiert waren.
Auf dem XI. Parteitag im April 1922 wurde Stalin zum Generalsekretär der Partei ernannt. Damit bekleidete Stalin drei Ämter gleichzeitig: Er stand außerdem an der Spitze des Volkskommissariats der Arbeiter- und Bauerninspektion, und er war Mitglied des Politbüros. Mit seiner Ernennung zum Generalsekretär riss Stalin bald das Tagesgeschäft der Partei an sich und schaffte es, das Politbüro vom Generalsekretär abhängig zu machen.
Zuvor schon, auf dem X. Parteitag im März 1921, war Stalin zum Leiter der Säuberungsaktionen geworden.(2) Im März 1922 hatte sich eine Gruppe von Mitgliedern der Arbeiteropposition an das EKKI gewandt, um die „Unterdrückung der Selbständigkeit, der Arbeiterinitiative, den Kampf mit allen Mitteln gegen Andersdenkende zu verurteilen (...) Die vereinten Kräfte der Partei- und Gewerkschaftsbürokratie ignorieren unter Ausnützung ihrer Macht und Stellung (...) das Prinzip der Arbeiterdemokratie“ (Rosmer, S. 110) Unter dem Druck der KPR-Führung lehnte das EKKI die Beschwerde der Gruppe Arbeiteropposition ab.
Anstatt den örtlichen Parteizellen die Initiative zur Ernennung von Delegierten zu überlassen, wurden mit zunehmender Integration der Partei in den Staat die Personalfragen in die Hände der Parteileitung und damit des Staates gelegt. Nicht mehr Wahlen und Abstimmungen auf lokaler Parteiebene gaben den Ausschlag, sondern die Ernennung durch den verstaatlichten Parteiapparat, an dessen Spitze der Generalsekretär und das von Stalin geleitete Organisationsbüro stand. Schon 1923 waren sämtliche Delegierte des XII. Parteitages von der Parteileitung berufen worden.
Wenn wir an dieser Stelle die Rolle der Partei und ihrer führenden Persönlichkeiten hervorheben, dann nicht, weil wir das Problem des Staates auf eine Person – Stalin – fixieren wollten und es somit unterschätzen würden. Nein, es war dieser Staat, der, nachdem er im Oktober 1917 entstanden, die bolschewistische Partei in sich aufgesogen und seine Tentakeln nach der Komintern ausgestreckt hat, zum Zentrum der Konterrevolution geworden war. Die Konterrevolution war jedoch kein quasi passives, anonymes Treiben unbekannter, gesichtsloser oder unsichtbarer Kräfte, sondern nahm in Gestalt des Staats- und Parteiapparates ganz konkrete Formen an. Stalin war einer der bedeutendsten Repräsentanten dieser Kräfte, die auf den diversen Parteiebenen die Drähte zogen und all das angriffen, was an revolutionärem Potenzial in der Partei noch übrig geblieben war.
Dieser Entartungsprozess verursachte in der bolschewistischen Partei selbst Widerstände und Erschütterungen, über die wir in der Internationalen Revue Nr. 12 und 13 ausführlicher berichtet haben.
Trotz all der o.g. Konfusionen schickte sich Lenin an, sich zum entschlossensten Gegner dieses Staatsapparates zu entwickeln. Nachdem er zum ersten Mal einen Schlaganfall im Mai 1922 erlitten hatte, verfasste Lenin kurz nach seinem zweiten Schlaganfall am 9. März 1923 einen später als sein Testament bekannt gewordenen Text, in dem er die Ablösung Stalins als Generalsekretär verlangte. So brach Lenin, ans Bett gefesselt, schon mit dem Tode ringend, im März 1923 mit Stalin, mit dem er jahrelang Seite an Seite gestanden hatte, und erklärte ihm den Krieg. Doch wurde diese Kriegserklärung in der Parteipresse, die schon damals stark vom Generalsekretär, also Stalin, kontrolliert wurde, nie bekanntgegeben.
Es war auch kein Zufall, dass Kamenew, Sinowjew und Stalin, die die neue Führung – die Troika – bildeten, die typisch bürgerliche Überzeugung von der Notwendigkeit eines „Thronfolgers“ Lenins teilten. Vor dem Hintergrund eines innerparteilichen Machtkampfes veröffentlichte im Sommer 1923 eine Gruppe von Gegnern der „Troika“ die Plattform der 46, die heftige Kritik an der Erdrosselung des proletarischen Lebens in der Partei übte, und welche sich am 1. Mai 1922 zum ersten Mal seit dem Oktober 1917 geweigert hatte, einen Aufruf zur Weltrevolution mit zu verfassen.
Im Sommer 1923 brach eine Reihe von Streiks in Russland aus, insbesondere in
Moskau.
Während der russische Staat sich nach Innen immer mehr verstärkte und nach Außen alles unternahm, um von den großen kapitalistischen Staaten anerkannt zu werden, sollte sich der Entartungsprozess innerhalb der Komintern nach der opportunistischen Kehrtwende auf dem III. Weltkongress unter dem Druck des russischen Staates beschleunigen.
Der IV. Kongress der Komintern: Die Unterwerfung unter den russischen Staat
Mit der Einführung der Einheitsfronttaktik auf dem IV. Weltkongress im November 1922 warf die Komintern ihre eigenen Prinzipien über Bord, die sie auf ihrem I. und II. Kongress verfasst hatte, als sie noch auf schärfste Abgrenzung gegen die Sozialdemokratie und auf ihre kompromisslose Bekämpfung bestanden hatte.
Zur Rechtfertigung führte sie jetzt an, die Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat zeige, dass „die breitesten Massen des Proletariats den Glauben daran verloren (haben), dass sie in absehbarer Zeit die Macht erobern können. Die Arbeiterbewegung wird in die Verteidigung gedrängt (...) die Eroberung der Macht steht als aktuelle Aufgabe nicht auf der Tagesordnung“ (Radek). Daher müsse man sich mit den Arbeitern, die noch unter dem Einfluss der Sozialdemokratie stehen, zusammenschließen: „Die Losung des III. Kongresses ‚Zu den Massen!‘ hat jetzt mehr denn je Gültigkeit (...) Die Taktik der Einheitsfront ist das Angebot des gemeinsamen Kampfes der Kommunisten mit allen Arbeitern, die anderen Parteien oder Gruppen angehören (...), die Kommunisten müssen sich unter Umständen bereit erklären, zusammen mit nichtkommunistischen Arbeiterparteien und Arbeiterorganisationen eine Arbeiterregierung zu bilden.“ (Thesen zur Taktik der Komintern, IV. Kongress)
Die KPD rief als erste zu dieser Taktik auf, wie wir im nächsten Artikel dieser Reihe zeigen werden.
Innerhalb der Komintern stieß diese neue opportunistische Steigerung, die die Arbeiter geradezu in die Hände der Sozialdemokratie trieb, auf den erbitterten Widerstand der Italienischen Linken. Schon im März, kurz nach der Verabschiedung der Thesen zur Einheitsfront, schrieb Bordiga in Il Comunista:
„Was die Arbeiterregierung angeht, fragen wir: warum sich mit den Sozialdemokraten verbünden? Um nur das zu machen, was diese verstehen, machen können und wollen; oder um von ihnen zu verlangen, was sie nicht verstehen, nicht machen können und wollen? Erwartet man von uns, dass wir den Sozialdemokraten sagen, wir seien zur Zusammenarbeit mit ihnen bereit, selbst im Parlament und selbst in dieser Regierung, die als ‚Arbeiterregierung‘ getauft wurde? In diesem Fall, d.h. wenn man von uns verlangt, im Namen der Kommunistischen Partei ein Projekt einer Arbeiterregierung zu entwerfen, an dem sich Kommunisten und Sozialisten beteiligen, und um diese Regierung den Massen als ‚anti-bürgerliche Regierung‘ zu verkaufen, in diesem Fall übernehmen wir die volle Verantwortung für unsere Antwort, dass solch eine Haltung im Gegensatz zu allen Grundsatzprinzipien des Kommunismus steht. Diese politische Formel zu akzeptieren, hieße in der Tat, einfach unsere Fahne einzuziehen, auf der geschrieben steht: Es gibt keine Arbeiterregierung, die sich nicht auf den revolutionären Sieg des Proletariats stützt.“ (Il Comunista, 26.3.1922)
Auf dem IV. Kongress sagte die KP Italiens, dass sie „nicht akzeptieren wird, sich an gemeinsamen Organismen in verschiedenen politischen Organisationen zu beteiligen (...) Sie wird ebenso vermeiden, sich an gemeinsamen Erklärungen mit politischen Parteien zu betätigen, wenn diese Erklärungen im Widerspruch stehen zu ihrem Programm und der Arbeiterklasse als das Ergebnis von Verhandlungen dargestellt werden, mit der eine gemeinsame Handlungslinie angestrebt werden soll (...) Von Arbeiterregierung zu sprechen (...) heißt in der Praxis, das politische Programm des Kommunismus zu verleugnen, d.h. die Notwendigkeit, die Massen auf den Kampf für die Diktatur des Proletariats vorzubereiten.“ (Bericht der Italienischen Kommunistischen Partei an den IV. Kongress der Kommunistischen Internationale, November 1922)
Doch nachdem die KAPD durch das Ultimatum auf dem III. Kongress 1921 aus der Komintern ausgeschlossen und damit die kritischste Stimme gegen die Degeneration der Komintern mundtot gemacht worden war, hing es allein an der Italienischen Linken, den Standpunkt des Linkskommunismus in der Komintern zu vertreten.
Gleichzeitig muss jenes Ereignis vom Oktober 1922 mit berücksichtigt werden, in dessen Verlauf Mussolini in Italien die Macht ergriff, was eine Verschlechterung der Bedingungen für die Kommunisten in Italien zur Folge hatte. Vor dieses Problem gestellt, hatte die Italienische Linke Schwierigkeiten, ihre Kräfte gegen die Degeneration der Komintern und der Bolschewiki zu mobilisieren.
Zu dieser Zeit schuf der IV. Weltkongress weitere Grundlagen dafür, dass die Komintern sich den Interessen des russischen Staates unterwarf.
Den russischen Staat und die Interessen der Komintern in einen Topf schmeißend, interpretierte der Vorsitzende der Komintern, Sinowjew, die Stabilisierung des Kapitalismus und das Ausbleiben von Angriffen gegen Russland folgendermaßen: „Wir können jetzt ohne Übertreibung behaupten, dass die Zeit der größten Schwierigkeiten für die Kommunistische Internationale überwunden ist und sie sich mittlerweile so gestärkt hat, dass sie keine Angriffe mehr von der weltweiten Reaktion zu befürchten hat.“ (Carr, S. 439)
Da die Perspektive der Machtergreifung nicht mehr unmittelbar auf der Tagesordnung stand, schlug der IV. Kongress vor, die internationale Arbeiterklasse solle sich neben der Einheitsfronttaktik auch die Unterstützung und Verteidigung Russlands zu eigen machen. Aus einer Resolution zur Frage der Russischen Revolution wird ersichtlich, wie stark die Sichtweise der Komintern von der Lage des russischen Staates geprägt war und wie stark sie den Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse gegenüber der Aufbauarbeit in Russland hinten anstellte:
„Der IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale spricht dem schaffenden Volk Sowjet-Russlands tiefsten Dank und höchste Bewunderung dafür aus, dass es (...) die Errungenschaften der Revolution bis heute siegreich gegen alle Feinde im Innern und von Außen verteidigte.
Der IV. Weltkongress stellt mit größter Genugtuung fest, dass der erste Arbeiterstaat der Welt (...) seine Lebens- und Entwicklungskraft vollauf bewiesen hat. Der Sowjetstaat ist aus den Schrecken des Bürgerkriegs gefestigt hervorgegangen.
Der IV. Weltkongress stellt mit Befriedigung fest, dass Sowjet-Russlands Politik die wichtigste Vorbedingung für den Aufbau und die Entwicklung zur kommunistischen Gesellschaft gesichert und befestigt hat: nämlich die Sowjetmacht, die Sowjetordnung, d.h. die Diktatur des Proletariats. Denn diese Diktatur allein (...) verbürgt die vollständige Überwindung des Kapitalismus und freie Bahn für die Verwirklichung des Kommunismus.
Hände weg von Sowjet-Russland! Rechtliche Anerkennung Sowjet-Russlands! Jede Stärkung Sowjet-Russlands bedeutet eine Schwächung der Weltbourgeoisie.“
In welchem Maße ein halbes Jahr nach Rapallo der russische Staat die Komintern an der Leine führte, wurde auch aus der Tatsache ersichtlich, dass vor dem Hintergrund wachsender imperialistischer Spannungen die Möglichkeit in der Komintern diskutiert wurde, Russland einen militärischen Block mit einem der kapitalistischen Staaten schmieden zu lassen. Die Komintern behauptete, dass mit einem solchen Bündnis das bürgerliche Regime aus dem Sattel gehoben werde. Doch die Komintern sollte damit immer mehr in den Dienst des russischen Staates treten. „Ich behaupte, wir sind schon stark genug, um ein Bündnis mit einer ausländischen Bourgeoisie einzugehen, um – mit Hilfe dieses bürgerlichen Staates – eine andere Bourgeoisie zu stürzen (...) Nehmen wir an, ein militärisches Bündnis ist mit einem bürgerlichen Staat geschlossen worden, besteht die Pflicht der Genossen in allen Ländern darin, zum Sieg der beiden Bündnisse beizutragen.“ (Zitat von Bucharin bei Carr, a.a.O.,
S. 442)
Einige Monate später propagierten Komintern und KPD die Perspektive eines Bündnisses zwischen der „unterdrückten deutschen Nation“ und Russland. Hinsichtlich den gegensätzlichen Interessen Deutschlands auf der einen und der alliierten Siegerländer auf der anderen Seite nach dem I. Weltkrieg bezogen sowohl die Komintern als auch der russische Staat Stellung zugunsten Deutschlands, das sie als Opfer der französischen imperialistischen Interessen ansahen.
Bereits auf dem „Ersten Kongress der Werktätigen des Ferner Ostens“ im Januar 1922 setzte die Komintern die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit „nichtkommunistischen Revolutionären“ als eine zentrale Doktrin durch. Der IV. Weltkongress beschloss, „mit allen Kräften die nationalrevolutionäre Bewegung zu unterstützen, die sich gegen den Imperialismus richtet“ (Thesen über die Taktik), und kritisierte gleichzeitig scharf „die Weigerung der Kommunisten der Kolonien, am Kampf gegen die imperialistische Vergewaltigung teilzunehmen, unter Vorgabe angeblicher ‚Verteidigung‘ selbständiger Klasseninteressen, [dies] ist Opportunismus schlimmster Sorte, der die proletarische Revolution im Osten nur diskreditieren kann.“ (Leitsätze zur Orientfrage).
Damit trug die Komintern zu einer enormen Schwächung und Desorientierung der Arbeiter bei.
Nachdem die revolutionäre Welle von Kämpfen 1919 ihren Höhepunkt überschritten hatte und sich nach dem Scheitern der revolutionären Ausdehnung im Rückfluss befand, nachdem sich der russische Staat gefestigt und die Komintern seinen Interessen unterworfen hatte, fühlte sich die Weltbourgeoisie stark genug, um jenen Teil der internationalen Arbeiterklasse entscheidend niederzuringen, der noch am kämpferischsten geblieben war: die Arbeiterklasse in Deutschland.
Diesen Ereignissen von 1923 werden wir uns im nächsten Artikel widmen. Dv.
(1) Die 2½-Internationale wurde von den Kommunisten so bezeichnet, weil es sich hier um einen gescheiterten Umgruppierungsversuch zentristischer Elemente handelte, die sich wegen des Krieges von der Sozialdemokratie getrennt hatten, sich aber weigerten, der Komintern beizutreten.
(2) Nachdem die Mitgliederzahl der Bolschewistischen Partei 1920 auf 600.000 Mitglieder angewachsen war, wurden 1920–21 im Zuge der “Säuberungsaktionen” ca. 150.000 Mitglieder aus der Partei entfernt. Es lag auf der Hand, dass nicht nur Karrieristen, sondern auch viele Arbeiter ausgestoßen wurden. Die Säuberungskommission unter Stalin war eines der mächtigsten Organe in Russland.
Deutsche Revolution, Teil XII
Deutschland 1923:
Die Bourgeoisie will der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beifügen (1)
Wir haben in den vorherigen Artikeln gesehen, wie nach dem Erreichen des Höhepunktes der revolutionären Welle 1919 das Proletariat in Russland isoliert blieb. Während die Komintern gegenüber dem Rückfluß der Welle durch eine opportunistische Kehrwende zu reagieren versuchte, dadurch ihre Degenerierung einleitete, verselbständigte sich der russische Staat zunehmend gegenüber der Klassenbewegung und versuchte die Komintern verstärkt in seinen Dienst zu stellen.
Gleichzeitig spürte die Bourgeoisie, nachdem sie schon den Bürgerkrieg gegen Russland beendet hatte, dass nicht mehr gleiche Gefahr von der Arbeiterklasse in Russland ausging und dass international die Welle von Kämpfen rückläufig war. Sie war sich bewusst geworden, dass die Komintern nicht mehr mit aller Kraft die Sozialdemokratie bekämpfte, und statt dessen sich gar mit ihr durch Einheitsfronten zu verbünden suchte. Ihr Klasseninstinkt liess sie erkennen, dass der russische Staat nicht mehr die Kraft im Dienste der Revolution war, die nach Ausdehnung strebte, sondern zu einer Kraft geworden war, die nach einem eigenständigem Platz als Staat suchte, wie es die Konferenz von Rapallo hatte deutlich werden lassen. Die Bourgeoisie spürte, dass sie gegen die Arbeiterklasse eine internationale Offensive einleiten konnte, deren Schwerpunkt in Deutschland liegen sollte.
Neben Russland 1917 war die Arbeiterklasse in Deutschland und Italien am weitesten gegangen. Selbst nach den Niederlagen im Frühjahr 1920 nach der Abwehr des Kapp-Putsches und den Märzkämpfen 1921 stand die Arbeiterklasse in Deutschland zwar immer noch kämpferisch da, aber international war sie relativ isoliert. Während die Arbeiter in Österreich, Ungarn und Italien bereits besiegt und somit massiv angegriffen wurden, und das Proletariat Deutschlands, Polens und Bulgariens zu verzweifelten Reaktionen getrieben wurde, blieb die Lage in Frankreich und Großbritannien vergleichsweise stabil.
Um der Arbeiterklasse in Deutschland eine entscheidende Niederlage beizufügen und somit die ganze internationale Arbeiterklasse zu schwächen, konnte die Bourgeoisie mit der internationalen Unterstützung der gesamten Kapitalistenklasse rechnen, die sich gleichzeitig beträchtlich durch die Integration der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften in den Staatsapparat hatte verstärken können.
1923 versuchte die Bourgeoisie die Arbeiterklasse in eine nationalistische Falle mit der Hoffnung zu locken, sie so von ihrem Kampf gegen den Kapitalismus abzulenken.
Die verheerende Politik der KPD: Schutz der Demokratie und Einheitsfront
Wir haben in früheren Artikeln gesehen, wie die KPD sich selbst durch den Ausschluss der „Linksradikalen“, die später die KAPD gründeten, schwächte und dadurch die Tür zum Opportunismus innerhalb der KPD weiter aufgestoßen hatte.
Während die KAPD vor den Gefahren des Opportunismus und der Degenerierung der Komintern sowie vor dem Staatskapitalismus in Russland warnte, reagierte die KPD dagegen opportunistisch. Sie war es, die 1921 in einem „Offenen Brief an die Arbeiterparteien“ als erste Partei zu einer Einheitsfront aufrief.
„Der Kampf um die Einheitsfront führt zur Eroberung der alten proletarischen Klassenorganisationen (Gewerkschaften, Genossenschaften usw.). Er verwandelt die durch die Taktik der Reformisten zu Werkzeugen der Bourgeoisie gewordenen Organe der Arbeiterschaft wieder in Organe des proletarischen Klassenkampfes.“
Dagegen bekannten die Gewerkschaften selber mit Stolz: „Aber die Tatsache, dass die Gewerkschaften der einzige, feste Damm sind, der Deutschland bisher vor der bolschewistischen Flut geschützt hat, bleibt bestehen!“ (Korrespondenzblatt der Gewerkschaften, Juni 1921)
Der KPD-Gründungsparteitag hatte sich nicht getäuscht, als er – mit der Stimme Rosa Luxemburgs erklärte: „Die offiziellen Gewerkschaften haben sich im Verlaufe des Krieges und in der Revolution bis zum heutigen Tage als eine Organisation des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Klassenherrschaft gezeigt.“ Jetzt trat man für die Rückverwandlung der zum Klassenfeind übergelaufenen Organe in Arbeiterorgane ein.
Gleichzeitig plädierte die KPD-Führung unter Brandler für eine Einheitsfront von Oben mit der SPD-Führung. Dieser Ausrichtung stellte sich innerhalb der KPD der Flügel um Fischer und Maslow mit der Losung „Arbeiterregierung“ entgegen. Sie meinten, die Losung „Arbeiterregierung“ ebenso wie „die Unterstützung der sozialdemokratischen Minderheitsregierung (bedeutet) ... nicht ein Weitertreiben der Zersetzung der SPD“, sie fördert nicht nur „die Illusionen der Massen, als ob das sozialdemokratische Kabinett eine Machtposition der Arbeiterklasse wäre“, sondern „es heisse die KPD zu liquidieren, wolle man der SPD als Partei zugestehen, dass sie revolutionär kämpfen könne“.
Aber vor allem die gerade entstandenen Strömungen der Kommunistischen Linken in Deutschland und in Italien wandten sich gegen diese Politik der Einheitsfront.
“Was die Arbeiterregierung angeht, fragen wir: warum will man sich mit den Sozialdemokraten verbünden? Um nur das zu machen, was sie zu machen verstehen, was sie können und wollen, oder um sie zu aufzufordern, das zu machen, was sie nicht vermögen, nicht können und nicht wollen? Erwartet man von uns, dass wir den Sozialdemokraten sagen, wir seien bereit, mit ihnen zusammenzuarbeiten, gar im Parlament und gar in dieser Regierung, die man als „Arbeiterregierung“ bezeichnet? In diesem Fall, d.h. wenn man von uns verlangt, dass wir im Namen der Kommunistischen Partei ein Projekt der Arbeiterregierung erarbeiten, an dem sich die Kommunisten und Sozialdemokraten beteiligen sollten, und diese Regierung den Massen als eine „anti-bürgerliche Regierung“ präsentiert, entgegnen wir: wir übernehmen die volle Verantwortung für unser Handeln, denn solch eine Haltung steht im völligen Gegensatz zu den Grundprinzipien des Kommunismus.“ (Il Comunista, 26. 3. 1922)
Auf dem 4. Kongress „akzeptierte die KP Italiens somit nicht, sich an gemeinsamen Organen mit verschiedenen politischen Organisationen zu beteiligen...Sie vermied es auch, gemeinsame Erklärungen mit politischen Parteien zu verabschieden, wenn diese Erklärungen im Widerspruch zu ihrem Programm standen und der Arbeiterklasse als das Ergebnis von Verhandlungen dargestellt wurden, die darauf abzielten, eine gemeinsame Linie zu finden (...) Von Arbeiterregierung zu sprechen.... heisst in der Praxis das politische Programm des Kommunismus zu verwerfen, d.h. die Notwendigkeit, die Massen auf den Kampf für die Diktatur des Proletariats vorzubereiten.“ (Bericht der KPI auf dem 4. Kongress der Kommunistischen Internationale, Nov. 1922).
Ungeachtet dieser Kritiken der Linkskommunisten bot schon im November 1922 die KPD der SPD entgegen dem Votum der Komintern in Sachsen eine Koalition an.
Die gleiche KPD, die auf ihrer Gründungskonferenz Anfang 1919 noch hervorhob, „Der Spartakusbund lehnt es ab, mit den Handlangern der Bourgeoisie, mit den Scheidemann-Ebert die Regierungsgewalt zu teilen, weil er in einer solchen Zusammenwirkung einen Verrat an den Grundsätzen des Sozialismus, eine Stärkung der Gegenrevolution und eine Lähmung der Revolution erblickt,“ trat nun genau für das Gegenteil ein.
Zudem ließ die KPD sich durch die für sie bei den Parlamentswahlen abgegebenen Stimmen, blenden, als sie glaubte, diese Stimmen brächten ein wirkliches Kräfteverhältnis oder gar einen entsprechenden Einfluss der Partei zum Ausdruck.
Während sich im Mittelstand und der Kleinbourgeoisie die ersten faschistischen Gruppierungen rekrutierten, fingen viele rechtsradikale Wehrgruppen, meist mit Kenntnis des Staates, an, Militärübungen abzuhalten. Der Großteil dieser Gruppen war direkt aus den Freikorps hervorgegangen, die die SPD-geführte Regierung in den revolutionären Kämpfen 1918–1919 gegen die Arbeiter aufgestellt hatte. Schon am 31. August 1921 hatte die Rote Fahne erklärt, dass: „die Arbeiterschaft das Recht und die Pflicht hat, den Schutz der Republik vor der Reaktion zu übernehmen...“. Ein Jahr später unterzeichnete die KPD im November 1922 ein Abkommen mit den Gewerkschaften und der SPD („Berliner Abkommen“), das die „Demokratisierung“ der Republik (Republikschutzgesetz, Entfernung der Reaktionäre aus Verwaltung, Justiz und Armee) anstrebte. Damit verstärkte die KPD die Illusionen der Arbeiter über die bürgerliche Demokratie und stand im direkten Gegensatz zu den Positionen der Italienischen Linke um Bordiga, die auf dem 4. Weltkongress im November 1922 in der Analyse zum Fachismus betonte, dass die bürgerliche Demokratie nur die Maske der Diktatur der Bourgeoisie sei.
In einem früheren Artikel haben wir schon hervorgehoben, dass die Komintern insbesondere in der Person Radeks nicht statutengemäß ihre Kritik an der Politik der KPD vortrug und der Führung oft durch parallele Funktionsweise in den Rücken fiel. Zudem drangen immer mehr kleinbürgerliche Umgangsformen in die Partei ein. Eine Stimmung des Misstrauens und der Verdächtigungen hatte sich breit gemacht, anstatt durch brüderliche Kritik, dort wo Kritik notwendig war, eine Stärkung der Organisation herbeizuführen(1).
Die herrschende Klasse spürte, dass die KPD angefangen hatte, in der Arbeiterklasse eher Verwirrung zu stiften, als durch Klarheit und Entschlossenheit eine echte Führungsrolle zu übernehmen. Die herrschende Klasse roch, sie würde opportunistische Haltung der KPD gegen die Arbeiterklasse einsetzen können.
Mit dem Abebben der revolutionären Welle – Zuspitzung der imperialistischen Konflikte
Die Wandlung des Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat nach dem Abebben der revolutionären Welle nach 1920 wurde auch sichtbar anhand der imperialistischen Beziehungen zwischen den Staaten. Denn nachdem die unmittelbare Bedrohung durch die Arbeiterklasse zurückging, die Arbeiterklasse in Russland nicht mehr die revolutionäre Flamme war, begannen die imperialistische Spannungen wieder an Schärfe zuzunehmen.
Deutschland selber strebte mit allen Tricks danach, seine durch den Ausgang des Weltkriegs und den Abschluß des Versailler Vertrages eingetretene Schwächeposition rückgängig zu machen. Gegenüber den „Siegerländern“ im Westen bestand seine Taktik darin, zu versuchen, Großbritannien und Frankreich gegeneinander auszuspielen, da man mit ihnen keine offene militärische Konfrontation suchen konnte. Gleichzeitig versuchte Deutschland gegenüber seinem Nachbarn im Osten die traditionell engen Beziehungen wieder zu erneuern. Wir haben in einem früheren Artikel beschrieben, wie zielstrebig die deutsche Bourgeoisie in Anbetracht der imperialistischen Spannungen im Westen mit dem neuen russischen Staat geheime Waffenlieferungen und militärische Zusammenarbeit beschlossen hatte.
So erkannte einer der großen Militärchefs in Deutschland: „Seit dem Friedensabschluss sind die Beziehungen zu Russland die erste und bislang nahezu einzige Verstärkung, die wir durchsetzen konnten. Dass sich die Grundlagen dieser Beziehung in der Wirtschaft befinden, liegt in der Natur der Sache; aber die Stärke liegt darin begründet, dass diese wirtschaftliche Annäherung die Möglichkeit einer politischen und damit auch militärischen Verbindung eröffnet.“(Seeckt), Carr, S. 434)
Gleichzeitig hatte der russische Staat durch die Stimme von Bucharin mit Hilfe der Komintern verlauten lassen: „Ich behaupte, dass wir schon mächtig genug sind, ein Bündnis mit einer ausländischen Bourgeoisie einzugehen, damit wir mittels dieses bürgerlichen Staaten eine andere Bourgeoisie besiegen (...) Falls ein Militärbündnis mit einem bürgerlichen Staat geschlossen wurde, besteht die Aufgabe der Genossen in jedem Land darin, zum Sieg der beiden Verbündeten beizutragen.“ (Bucharin, zitiert von Carr, ebenda)
“Wir sagen diesen Herren der deutschen Bourgeoisie (...) wenn Sie wirklich gegen die Besatzung, wirklich gegen die Beleidigungen durch die Entente ankämpfen wollen, haben Sie keine andere Wahl als eine Annäherung mit dem ersten proletarischen Land zu suchen, das unbedingt diese Länder unterstützen muss, die jetzt in einer erbärmlichen Abhängigkeit gegenüber dem internationalen Imperialismus stecken.“ (Sinowjew, 12. Parteikongress, April 1923)
In nationalistischen Tönen sprach das deutsche Kapital von der „Schmach und der Unterjochung“ durch das Auslandskapital, insbesondere durch Frankreich. So gaben deutsche Militärführern sowie prominente Vertreter der deutschen Bourgeoisie wiederholt öffentliche Erklärungen von sich, denen zufolge die einzige Rettung für die deutsche Nation gegen die Knechtschaft von Versailles in einem Militärbündnis mit der Sowjetunion und einem „revolutionären Volkskrieg“ gegen den französischen Imperialismus lag.
Innerhalb des russischen Staates, wo sich mittlerweile eine neue Schicht von staatskapitalistischen Verwaltern herausgebildet hatte, stieß diese Politik auf ein großes Echo.
Gleichzeitig ließen sich die proletarischen Internationalisten innerhalb der Komintern und der russischen Partei, die noch am Ziel der Ausdehnung der Weltrevolution festhielten, durch diese Lockrufe des deutschen Kapitals blenden. Während es für das deutsche Kapital nie in Frage gekommen wäre, ein wirkliches Bündnis mit Russland gegen den Westen einzugehen, erschien den damaligen russischen Staatsführern und der Komintern-Spitze dieses Angebot „echt“, sie liessen sich täuschen und liefen in die Falle. So trugen sie aktiv dazu bei, dass die Arbeiterklasse in die gleiche Falle getrieben wurde.
Mit Rückendeckung der gesamten Kapitalistenklasse heckte die deutsche Bourgeoisie einen Plan gegen die Arbeiterklasse aus. Einerseits wollte das deutsche Kapital dem Druck des Versailler Vertrages ausweichen, indem man insbesondere gegenüber Frankreich die Reparationsleistungen verschleppte und einzustellen drohte, andererseits sollte die Arbeiterklasse in Deutschland in eine nationalistische Falle gelockt werden. Dazu war jedoch die „Mithilfe“ des russischen Staates und der Komintern erforderlich.
So fasste die deutsche Bourgeoisie den bewussten Entschluss, das französische Kapital durch Zahlungsverweigerung der Reparationsschulden zu provozieren. Demgegenüber reagierte Frankreich am 11. Januar 1923 mit der Besetzung des Ruhrgebietes.
Gleichzeitig ergänzte das deutsche Kapital seine Taktik durch den Entschluss, an der durch die Krise hervorgerufenen Inflationsspirale bewusst zu drehen. Das deutsche Kapital setzte die Inflation als eine Waffe ein, um die Reparationskosten abzuschwächen und um die Last der Kriegsanleihen zu leichtern. Gleichzeitig sollte somit die Modernisierung seiner Produktionsanlagen finanziert werden.
Die Bourgeoisie war sich dessen bewußt, dass die Inflation der Stachel im Fleisch der Arbeiterklasse sein würde, der sie in den Kampf treiben würde. Und der herrschenden Klasse kam es darauf an, diesen zu erwartenden Abwehrkampf der Arbeiterklasse auf ein nationalistisches Terrain zu locken. Der ausgelegte Köder war die in Kauf genommene Ruhrgebietsbesetzung durch französisches Militär. Dreh- und Angelpunkt sollte deshalb die Fähigkeit der Arbeiterklasse und der Revolutionäre sein, die Falle der Verteidigung des nationalen Kapitals zu entblößen. Sonst könnte die deutsche Bourgeoisie der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beifügen. So war die deutsche Bourgeoisie bereit, jetzt erneut die Arbeiterklasse herauszufordern, weil sie gespürt hatte, dass das internationale Kräfteverhältnis gekippt war und Teile des russischen Staates zu dieser Politik verführt werden könnten und gar die Komintern in diese Falle gelockt werden konnte.
Die Provokation der Ruhrgebietsbesetzung: Welche Aufgabe der Arbeiterklasse?
Frankreich hoffte, durch die Einverleibung des Ruhrgebiets zum größten Stahl- und Kohleproduzenten in Europa aufzusteigen, denn das Ruhrgebiet lieferte für Deutschland 72% der Kohleproduktion, 50% der Eisen-Stahl-produktion, 25% der gesamten deutschen Industrieproduktion. Es lag auf der Hand: sobald diese Produktion für Deutschland ausfiel, musste der starke Produktionsrückgang zu Güterknappheit und schwerwiegenden wirtschaftlichen Zerrüttungen führen. Die deutsche Bourgeoisie war also zu einem großen Opfer bereit, weil für sie viel auf dem Spiel stand. Das Kapital setzte alles daran, die Arbeiter zu Streiks und Arbeitsniederlegungen auf nationalistischem Terrain anzustacheln. Unternehmer und die Regierung in Berlin beschlossen die Aussperrung, und wer unter den Besatzungstruppen arbeitete, wurde mit Entlassung bedroht. SPD-Reichspräsident Ebert kündigte am 4. März schwere Strafen an für die Arbeiter, die in den Gruben oder bei der Eisenbahn für Frankreich arbeiteten. Am 24. Januar 1923 appellierten Unternehmer und der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund gemeinsam, „sofort Geldmittel“ im Kampf gegen Frankreich zur Verfügung zu stellen. Die Folge war: immer mehr Firmen im Ruhrgebiet schmissen ihre Beschäftigten auf die Straße. Und das auf einem Hintergrund galoppierender Inflation: Während der Dollar noch im April 1922 1.000 Mark kostete, betrug sein Preis im November 1922 schon 6.000, nach der Ruhrgebietsbesetzung im Februar 1923 20.000 Mark. Im Laufe des Jahres stieg er dann im Juni auf 100.000 Mark, Ende Juli auf 1 Mio. Mark, Ende August auf 10 Mio. Mark, Mitte September auf 100 Mio. Mark, im November auf 4.200.000.000.000 Mark.
Diese Entwicklung traf die Kohlebarone im Ruhrgebiet nicht so hart, da sie in der Zwischenzeit eine Bezahlung in Gold bzw. in Sachwerten eingeführt hatten. Für die Arbeiterklasse dagegen bedeutete dies, am Hungertuch zu nagen. Häufig marschierten Arbeitslose und noch Beschäftigte zu den Rathäusern, um ihre Forderungen vorzulegen. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen mit den französischen Truppen.
Die Komintern treibt die Arbeiter in die Falle des Nationalismus
Dem Lockruf des deutschen Kapitals eines gemeinsamen Kampfes zwischen der „unterdrückten Nation Deutschland“ und Russland folgend, wurde von der Komintern selber die Idee verbreitet, in Deutschland sei eine starke Regierung erforderlich, die der französischen Besatzer-Regierung entschlossen und – ohne den Klassenkampf im Rücken – entgegentreten könnte. Damit opferte die Komintern den proletarischen Internationalismus zugunsten der Interessen des russischen Staates(2).
Diese Politik wurde im Namen des „Nationalbolschewismus“ vollzogen. Während die Komintern im Herbst 1920 energisch und entschlossen gegen „national-bolschewistische Tendenzen“ aufgestanden war und bei den Verhandlungen mit den KAPD-Delegierten von ihnen den Ausschluss der Nationalbolschewisten Laufenberg und Wolffheim gefordert hatte, plädierte sie nun selbst für diese Linie.
Diese Kehrwende der Komintern läßt sich nicht nur durch Konfusionen und Opportunismus innerhalb des EKKI erklären. Die „unsichtbare Hand“ der Kräfte, die nicht an der Revolution, sondern an der Stärkung des Staates interessiert waren, spielte dabei eine Rolle. Der Köder des Nationalbolschewismus konnte erst ausgelegt werden, als die Komintern schon dabei war zu entarten, in die Fangarme des russischen Staates geraten war und von diesem aufgesaugt wurde. Radek begann zu argumentieren: „Die Sowjetunion ist in Gefahr, alle Aufgaben müssen der Verteidigung der Sowjetunion untergeordnet werden, auf Grund dieser Analyse würde eine revolutionäre Bewegung in Deutschland gefährlich sein und den Interessen der Sowjetunion zuwiderlaufen... Die deutsche kommunistische Bewegung ist nicht fähig, den deutschen Kapitalismus zu stürzen, sie hat als Stütze der russischen Außenpolitik zu dienen. Ein unter Führung der bolschewistischen Partei organisiertes Europa, das die militärische Leistungsfähigkeit der deutschen Armee gegen den Westen einsetzt, das ist die Perspektive, der einzige Ausweg.“
Die Rote Fahne schrieb im Januar 1923: „Die deutsche Nation wird in den Abgrund gestoßen, wenn das Proletariat sie nicht rettet. Die Nation wird von den deutschen Kapitalisten verkauft und vernichtet, wenn sich die Arbeiterklasse nicht dazwischen wirft. Entweder verhungert und zerfällt die deutsche Nation unter der Diktatur der französischen Bajonette oder sie wird durch die Diktatur des Proletariats gerettet“.
„Heute bedeutet jedoch der Nationalbolschewismus, dass alles von dem Gefühl durchdrungen ist, dass die Rettung nur bei den Kommunisten vorhanden ist. Wir sind heute der einzige Ausweg. Die starke Betonung der Nation in Deutschland ist ein revolutionärer Akt, wie die Betonung der Nation in den Kolonien“ (Rote Fahne, 21.06.1923). „Die Nation zerfällt. Das Erbe des deutschen Proletariats (...) ist bedroht. Nur die Arbeiterschaft kann die Nation retten.“ (1.4.1923, Rote Fahne)
Rakosi, Komintern-Delegierter, lobte diese Linie der KPD: „eine kommunistische Partei muss an die nationale Frage ihres Landes herantreten. Die deutsche Partei hat diese Frage mit glücklicher Hand angeschnitten. Sie ist dabei, den deutschen Faschisten die nationalistische Waffe aus den Händen zu schlagen.“ (Schüddelkopf, S. 177)
In einem Manifest an Sowjetrussland meinte die KPD: „Der Parteitag dankt Sowjetrussland für die mit Strömen von Blut und unermesslichen Opfern unverwischbar in die Geschichte geschriebene große Lehre, dass die Sache der Nation heute die Sache der Arbeiterklasse ist.“
Thalheimer sprach am 18. April sogar davon, „der proletarischen Revolution sei es vorbehalten, nicht allein Deutschland zu befreien, sondern das Werk Bismarcks mit dem Anschluß Österreichs zu vollenden. Diese Aufgabe muss das Proletariat an der Seite des Kleinbürgertums erfüllen.“ (Die Internationale, V 8,18.4.23, S. 242–247)
Welche Perversion der Grundsatzpositionen der Kommunisten zur Frage der Nation! Welche Abkehr von der internationalistischen Position der Revolutionäre im 1. Weltkrieg, an deren Spitze Lenin und Rosa Luxemburg gestanden hatten, und die für die Abschaffung aller Nationen eingetreten waren!
Im Rheinland und in Bayern war nach dem Krieg die separatistische Bewegung im Aufschwung begriffen. Die Gunst der Stunde witternd und mit französischer Unterstützung wollten diese Kräfte eine Loslösung des Rheinlands vom Reich durchsetzen. Mit Stolz berichtete die KPD-Presse, wie man der Cuno-Regierung unter die Arme griff, um gegen die Separatisten zu kämpfen. „Aus dem Ruhrgebiet wurden kleine bewaffnete Stoßtrupps nach Düsseldorf gezogen, die den Auftrag erhielten, die Ausrufung der ‘Rheinischen Republik’ unmöglich zu machen. Als mittags gegen 14.00 Uhr die Separatisten auf den Rheinwiesen versammelt waren und die Kundgebung beginnen sollte, griffen einige Stoßtrupps mit Handgranaten die Separatisten an. Einige wenige Handgranaten genügten, und die ganze Separatistenbande versuchte in völliger Auflösung und Panik, die Rheinwiesen zu räumen... Von einer Kundgebung oder Ausrufung der ‘Rheinischen Republik’ konnte keine Rede mehr sein.“ (W. Ulbricht, S. 132, Bd. I)
“Wir verraten kein Geheimnis, wenn wir aussprechen, dass die kommunistischen Stoßtrupps, die in der Pfalz, in der Eifel und am Düsseldorfer Totensonntag mit Revolvern und Handgranaten die Separatisten auseinandergetrieben haben, unter der Führung von nationalgesinnten preussischen Offizieren standen.“ (Vorwärts, 4.9.1930/Flugblatt der Gruppe)
Diese nationalistische Orientierung war aber nicht allein das Werk der KPD, sondern die Ausgeburt der Politik des russischen Staates und bestimmter Teile der Komintern.
Nach Absprache mit dem EKKI sollte der Zentrale zufolge der Kampf in erster Linie gegen Frankreich und erst in zweiter Linie gegen die deutsche Bourgeoisie geführt werden. Deshalb behauptete die Zentrale, „Die Niederlage des französischen Imperialismus im Weltkrieg war kein kommunistisches Ziel, seine Niederlage im Ruhrgebiet ist ein kommunistisches Ziel“.
Die KPD und die Hoffnung auf ein „nationales Bündnis“
Folglich wandte sich die KPD-Zentrale gegen die Auslösung von Streiks.
Schon auf dem Leipziger Parteitag Ende Januar, kurze Zeit nach dem Beginn der Ruhrgebietsbesetzung, hatte die Zentrale mit Unterstützung der Komintern eine Diskussion über ihre Orientierung blockiert, aus Angst, es würde zu einer Verwerfung ihrer Orientierung kommen, da der Großteil der Partei sich dieser Orientierung widersetzte.
Als die Ruhrgebiets-Verbände der KPD am 23. März einen Bezirksparteitag abhielten, um über Kampfmaßnahmen zu entscheiden, wandte sich die Zentrale gegen die Ausrichtung der Ortsgruppen der KPD im Ruhrgebiet. Die Zentrale der KPD behauptete, „eine starke Regierung allein kann Deuitschland retten, eine Regierung, die getragen ist von der lebendigen Kräften der Nation.“ (Rote Fahne, 1. April 23)
Im Ruhrgebiet traten die meisten Delegierten der KPD-Konferenz ein für:
– die Niederlegung der Arbeit in allen militärisch besetzten Gebieten,
– die Übernahme der Betriebe unter Ausnutzung des „deutsch-französischen Konfliktes“ und, wenn möglich, die lokale Machtergreifung.
Innerhalb der KPD prallten somit zwei inhaltliche unterschiedliche Orientierungen aufeinander: eine proletarisch-internationalistische Ausrichtung, die für Konfrontation mit der Cuno-Regierung und eine Radikalisierung der Bewegung im Ruhrgebiet eintrat.(3)
Demgegenüber die Position der KPD-Zentrale, die energisch mit Unterstützung der Komintern gegen Streiks auftrat und die Arbeiterklasse auf ein nationalistisches Terrain drängte.
Das Kapital konnte sich gar der Sabotagepolitik der Arbeiterkämpfe so sicher sein, dass der Staatssekretär von Malzahn nach einem Gespräch mit Radek am 26. Mai an Ebert und die wichtigsten Minister in einer streng geheimen Denkschrift berichtete: „Er (Radek) könne mir versichern, das russische Sympathien schon aus eigenen Interesse im Ruhrkampf auf Seiten der deutschen Regierung ständen(...) Er habe in den letzten acht Tagen mit allen Kräften auf die kommunistischen Parteiführer eingewirkt, um ihnen die Dummheit ihres jetzigen Vorgehens gegen die deutsche Regierung vorzuhalten. Wir würden ja sehen, dass in einigen Tagen die Kommunistenputsche in der Ruhr abnehmen würden.“ (Archive des Auswärtigen Amtes, Bonn, Deutschland 637.442ff; in Dupeux, S. 181).
Nach dem Bündnisangebot der Einheitsfront mit der konterrevolutionären SPD und den Parteien der 2. Internationale nun die Stillhaltepolitik gegenüber der kapitalistischen deutschen Regierung.
Wie weit die KPD-Führung sich darüber im klaren war, dass sie der Regierung „nicht in den Rücken fallen durfte“, beweist eine Stellungnahme der Rote Fahne: „Die Regierung weiss, dass die KPD aus Rücksicht auf die Gefahr seitens des französischen Kapitalismus über vieles geschwiegen hat, was diese Regierung (...) unmöglich machen würde für jede internationale Verhandlung. Solange die sozialdemokratischen Arbeiter nicht zusammen mit uns für die Arbeiterregierung kämpfen, hat die Kommunistische Partei kein Interesse daran, dass an die Stelle dieser kopflosen Regierung eine andere bürgerliche tritt (...) Entweder lässt die Regierung die Mordhetze gegen die KP verstummen, oder wir werden das Schweigen brechen.“ (27.5.1923, Rote Fahne, Dupeux, S. 181)
Nationalistische Lockrufe an die patriotische Kleinbourgeoisie
Da die Inflation die Kleinbourgeoisie und den Mittelstand ebenfalls praktisch enteignete, sah die KPD die Möglichkeit, diesen Schichten ein Bündnis vorzuschlagen. Anstatt auf den eigenständigen Kampf der Arbeiterklasse zu pochen, die dann in dem Maße, wie ihr Kampf an Stärke und Ausstrahlung zunimmt, andere nicht-ausbeutende Schichten mit in ihren Bann ziehen kann, wurde ein Lockruf an diese Schichten ausgesandt, sie könnten ein Bündnis mit der Arbeiterklasse eingehen. „Wir müssen vor die leidenden, verwirrten, aufgebrachten Massen des proletarischen Kleinbürgertums treten und ihnen sagen, dass sie sich selbst und die Zukunft Deutschlands nur dann verteidigen können, wenn sie sich mit dem Proletariat zum Kampf gegen, die wahre Bourgeoisie verbunden haben.“ (Carr, The Interregnum, S. 176)
“Aufgabe der KPD ist es, den breiten kleinbürgerlichen und intellektuellen nationalistischen Massen die Augen darüber zu öffnen, dass nur die Arbeiterklasse, nachdem sie gesiegt hat, imstande sein wird, den deutschen Boden, die Schätze der deutschen Kultur und die Zukunft der deutschen Nation zu verteidigen.“ (Rote Fahne vom 13. Mai 1923)
Auch diese Politik – Sammlung auf nationaler Grundlage – ist nicht das Produkt der KPD alleine, sondern sie wurde von der Komintern selber mitgetragen. Die Rede, die K. Radek am 20. Juni 1923 vor dem EKKI hielt, legt Zeugnis davon ab. In dieser Rede lobte er das Mitglied rechtsradikaler separatistischer Kreise, Schlageter, der am 26. Mai bei der Sabotage von Eisenbahnbrücken bei Düsseldorf von den französischen Militärs gefasst und erschossen worden war. Es war der gleiche Radek, der in den Reihen der Komintern 1919 und 1920 mit darauf gedrängt hatte, die Hamburger Nationalbolschewisten aus den Reihen der KPD und KAPD zu schmeissen. „Aber wir glauben, dass die große Mehrheit der national empfindenden Massen nicht in das Lager des Kapitals, sondern in das Lager der Arbeit gehört. Wir wollen und wir werden zu diesen Massen den Weg suchen und den Weg finden. Wir werden alles tun, dass Männer, wie Schlageter, die bereit waren, für eine allgemeine Sache in den Tod zu gehen, nicht Wanderer ins Nichts, sondern Wanderer in eine bessere Zukunft der gesamten Menschheit werden.“ (Radek, 20.06.23)
“Es ist klar, die deutsche Arbeiterklasse wird nie zur Macht kommen, wenn sie nicht imstande ist, den breiten Massen des deutschen Volkes das Vertrauen zu geben, dass sie für die Abschaffung des Joches des fremden Kapitals mit allen Kräften kämpfen wird.“ (Dupeux, S. 190)
Diese Idee, dass das „Proletariat als Vorhut, das nationalistische Kleinbürgertum als Nachhut“, kurzum das Volk für die Revolution eintreten könnte, dass man die Nationalisten auf die Seite der Arbeiter ziehen müsse, wurde später vom 5. Kongress der Komintern 1924 vorbehaltlos vertreten.
Während die KPD-Opposition sich gegen diese Orientierung der „Stillhaltepolitik“ wandte, die die von der KPD-Zentrale bis September 1923 praktizierte wurde, schützte es sie nicht davor, die Arbeiterklasse selbst in Sackgassen zu lenken und nationalistischen Verlockungen zu verfallen. So betrieb Ruth Fischer eifrig anti-semitische Propaganda. „Wer gegen das Juden-Kapital aufruft, (...) ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiss (...) Tretet die Juden-Kapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie (...). Der französische Imperialismus ist jetzt die größte Gefahr der Welt, Frankreich ist das Land der Reaktion (...). Nur im Bunde mit Russland... kann das deutsche Volk den französischen Kapitalismus aus dem Ruhrgebiet herausjagen(...).“(Flechtheim S. 178)
Die Arbeiterklasse wehrt sich auf ihrem Klassenterrain
Während es der Bourgeoisie also darum ging, die Arbeiterklasse in Deutschland auf ein nationalistisches Terrain zu locken, sie damit von der Verteidigung ihrer eigenständigen Klasseninteressen abzubringen, und während das EKKI und die KPD-Führung die Arbeiter dabei auf das nationalistische Terrain drängten, ließ der Großteil der Arbeiterklasse im Ruhrgebiet selber und in den anderen Städten sich nicht auf das nationalistische Terrain ziehen. Es gab fast keinen Betrieb, wo die Arbeiter nicht in den Streik traten.
Immer wieder kam es zunehmend landesweit zu kleineren Wellen von Streiks und Protesten. So am 9. März in Oberschlesien, wo 40.000 Bergarbeiter streikten, am 17. März in Dortmund, wo ebenfalls Bergarbeiter streikten. Zunehmend demonstrierten Arbeitslose mit noch beschäftigten Arbeitern sowie Notstandsarbeitern zusammen. So am 2 April in Mühlheim/Ruhr.
Während sich Teile der KPD-Führung durch die nationalistischen Umwerbungsversuche verführen und täuschen ließen, war für die deutsche Bourgeoisie, sobald die Streiks im Ruhrgebiet ausgebrochen waren, klar, dass sie die Hilfe der anderen kapitalistischen Staaten gegenüber der Arbeiterklasse einfordern musste. Im Mühlheim/Ruhr hatten am 12. April Arbeiter mehrere Betriebe besetzt. Nahezu die ganze Stadt wurde bestreikt, das Rathaus besetzt. Da aufgrund der Ruhrgebietsbesetzung durch Frankreich die Reichswehr im Ruhrgebiet zur Niederschlagung der Streiks nicht intervenieren durfte, wurde Polizei gerufen, deren Kräfte aber nicht ausreichten, um die Arbeiter blutig niederzuschlagen. Deshalb appellierte der Bürgermeister von Düsseldorf in einem Brief an den Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen um Unterstützung: „Ich muss sie daran erinnern, dass während des Kommune-Aufstandes das deutsche Oberkommando den französischen Truppen in jeder Beziehung entgegenkam, um den Aufstand gemeinsam zu unterdrücken. Ich bitte Sie, uns die gleiche Unterstützung zu erweisen, wenn Sie nicht wollen, dass künftig eine gefährliche Situation entsteht.“ (Dr. Lutherbeck, Brief an General de Goutte)
Wiederholt wurde so die Reichswehr zu Niederschlagungsaktionen in verschiedene Städte geschickt – unter anderem nach Gelsenkirchen und Bochum. Während die deutsche Regierung angeblich ihre Feindschaft gegenüber Frankreich zur Schau trug, zögerte sie nie, ihr Militär gegen die Arbeiter zu schicken, die dem Nationalismus widerstanden hatten.
Die rasante Beschleunigung der Wirtschaftskrise, allen voran die Inflation, ließ jetzt die Kampfbereitschaft der Arbeiter weiter ansteigen. Löhne und Gehälter der Arbeiter verloren stündlich an Wert. Im Vergleich zu der Vorkriegszeit war die Kaufkraft auf ein Viertel gesunken. Immer mehr Arbeiter wurden arbeitslos. Im Sommer zählte man ca. 60% Arbeitslose. Selbst Beamte erhielten vom Staat nur Spottlöhne. Unternehmen wollten ihre eigene „Notwährung“ drucken, Gemeindeverwaltungen führten „Notwährungen“ zur Bezahlung ihrer Beamten ein. Weil für die Bauern der Verkauf von Lebensmitteln nicht mehr gewinnbringend war, hielten sie ihre Produkte zurück und horteten sie. Die Nahrungsmittelversorgung kam teilweise zum Erliegen. Arbeiter und Arbeitslose demonstrierten immer mehr gemeinsam. Überall kam es zu Hungerrevolten und Plünderungen. Oft konnte die Polizei bei den Hungerrevolten nur teilnahmslos zusehen.
Ende Mai traten im Ruhrgebiet ca. 400.000 Arbeiter in Streik, im Juni wiederum ca. 100.000 Berg- und Hüttenarbeiter in Schlesien sowie 150.000 Metaller in Berlin. Im Juli brach eine weitere Streikwelle vom Zaun, die auch von gewalttätigen Zusammenstößen gekennzeichnet war.
Bei diesen Kämpfen wieder das gleiche Merkmal, das jede Radikalisierung aller Arbeiterkämpfe in der Dekadenz auszeichnet: eine große Austrittswelle aus den Gewerkschaften. In den Betrieben kamen die Arbeiter zu Vollversammlungen zusammen, immer häufiger auch Versammlungen auf den Straßen. Man verbrachte mehr Zeit auf der Straße, in Diskussionen und Demonstrationen als auf der Arbeit. Die Gewerkschaften stemmten sich mit aller Kraft gegen diese Entwicklung. Die Arbeiter strebten spontan danach, sich in Vollversammlungen und Fabrikkomitees, Fabrikausschüssen an der Basis, vor Ort zusammenzuschließen. Die Bewegung gewann weiter an Auftrieb. Ihre Stoßrichtung war nicht, sich um nationalistische Forderungen zu scharen, sondern sie suchte nach einer Klassenorientierung.
Wo standen die revolutionären Kräfte an ihrer Seite? Die KAPD, die mittlerweile durch das Fiasko der Spaltung in die Essener und Berliner Richtung und durch die Gründung der Kommunistischen Arbeiter-Internationale (KAI) zahlenmäßig stark geschrumpft und organisatorisch erheblich geschwächt war, konnte als solche in dieser Situation keine Präsenz zeigen, obwohl sie laut ihre Verwerfung der nationalbolschewistichen Falle äusserte.
Die KPD, die immer mehr Zulauf erhielt, hatte sich ebenso einen Strick um den Hals gelegt. Sie konnte keine klare Orientierung bieten. Im Gegenteil: Was schlug sie vor?(4)
In dieser Situation, in der die KPD sich weigerte, auf den Sturz der Regierung hinzu arbeiten, stifteten die Komintern und die KPD mit ihrer Politik große Verwirrung und trugen zur Schwächung der Arbeiterklasse bei.
Einerseits wetteiferte die KPD mit den Faschisten auf nationalistischem Terrain. Am 10. August z.B. (am gleichen Tag, als in Berlin eine Streikwelle ausbrach) hielt in Stuttgart der KPD-Führer (Thalheimer) im Namen der KPD noch gemeinsame Versammlungen mit Nationalsozialisten ab. Andererseits rief sie gleichzeitig zum Kampf gegen die faschistische Gefahr auf. Während die Berliner Regierung jegliche Demonstrationen verboten hatte, die KPD-Zentrale sich dem Verbot beugen wollte, pochte die Parteilinke auf der unbedingten Durchführung einer Demonstration am 29. Juni, die zu einer großen Einheitsfrontdemonstration gegen die Faschisten werden sollte.
Aus Unfähigkeit der KPD, eine klare Entscheidung zu treffen, warteten am Tag der Demo 250.000 Teilnehmer auf den Straßen und vor den Parteibüros, ohne Anweisungen der Partei.
Die KPD gegen die Intensivierung der August-Kämpfe
Im August setzte eine erneute Streikwelle ein. Nahezu jeden Tag demonstrierten Arbeiter - beschäftigte und arbeitslose. In den Betrieben brodelte es, an vielen Orten entstanden Fabrikkomitees. Der Einfluß der KPD erreichte seinen Höhepunkt.
Am 10. August traten die Drucker der Notenbankpresse in Streik. In einer Wirtschaft, in der der Staat stündlich immer mehr Geld drucken musste, sollte der Streik der Geldscheinedrucker eine besonders lähmende Wirkung auf die Wirtschaft haben. Die Papiergeldreserve war innerhalb weniger Stunden verbraucht. Die Löhne konnten nicht mehr ausgezahlt werden. Der Drucker-Streik, der in Berlin einsetzte, griff wie ein Lauffeuer auf andere Teile der Klasse um sich. Von Berlin aus pflanzte er sich fort über die Wasserkante, Rheinland, Württemberg, Oberschlesien, Thüringen bis nach Ostpreussen. Immer mehr Teile der Arbeiterklasse schlossen sich der Bewegung an. Am 11. und 12. August kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen. In mehreren Städten wurden über 35 Arbeiter erschossen. Wie zuvor schon alle Bewegungen der Arbeiterklasse seit 1914 zeichneten sich auch diese Kämpfe dadurch aus, dass sie sich ausserhalb und gegen den Willen der Gewerkschaften entwickelten.
Die Gewerkschaften erkannten den Ernst der Lage. Einige von ihnen wollten vortäuschen, den Streik zu unterstützen, um ihn besser von Innen her sabotieren zu können. Andere stellten sich ihm offen entgegen. Die KPD selber bezog nach der Ausdehnung der Berliner Streiks Stellung: „Für eine Verschärfung der ökonomischen Streiks, nicht aber für das Aufstellen von politischen Forderungen“.
Und sobald die Gewerkschaftsführung verkündet hatte, dass sie den Streik nicht unterstützte, rief die KPD-Zentrale zum Abbruch des Streiks auf. Man wolle nicht ausserhalb der Gewerkschaften streiken.
Während Brandler darauf bestand, den Streik abzubrechen, da der ADGB offiziell nicht mitmachte, wollten örtliche Parteiorganisationen dagegen die zahlreichen lokalen Streiks ausdehnen und zu einer einzigen Bewegung gegen die Cuno-Regierung zusammenfassen. So wurde die „übrige Arbeiterschaft (aufgerufen), ihre Bewegung mit der mächtigen Bewegung des Berliner Proletariats zu vereinen und den Generalstreik über ganz Deutschland auszudehnen“.
Die Partei selber hatte sich in eine Sackgasse manövriert. Denn die Parteileitung wandte sich gegen die Fortsetzung und Ausdehnung der Streiks, da somit die Verwerfung des nationalistischen Sumpfes, in den das Kapital die Arbeiter zerren wollte, notwendig würde. Gleichzeitig wäre damit auch die Einheitsfront mit SPD und Gewerkschaften gefährdet. Selbst am 18.August schrieb sogar noch die Rote Fahne: „Sogar mit Leuten, die Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet haben, werden wir zusammengehen, wenn sie in unsere Reihen treten wollen“ (Rote Fahne, 18.08.1923, Rote Fahne!).
Die Ausrichtung zur Einheitsfront, die Verpflichtung, in den Gewerkschaften zu arbeiten, unter dem Vorwand, dort die Arbeiter zu „erobern“, bedeutete in Wirklichkeit, sich der gewerkschaftlichen Ausrichtung und Struktur zu unterwerfen, dazu beizutragen, dass die Arbeiter ihren Kampf nicht in die eigenen Hände nehmen können. All das brachte die KPD in einen schrecklichen Konflikt: entweder die Dynamik des Arbeiterkampfes anerkennen, die nationalistische Orientierung und die gewerkschaftliche Sabotage zu verwerfen, oder sich gegen die Streiks wenden, in den gewerkschaftlichen Apparat aufgesogen, letztendlich zu einer Schutzmauer des Staates zu werden und als Hindernis der Interessen der Arbeiter zu wirken. Zum ersten Mal war damit die KPD wegen ihrer gewerkschaftlichen Ausrichtung in eine offene Konfrontation mit der kämpfenden Arbeiterklasse geraten, denn die Dynamik des Kampfes selber zwingt die Arbeiter dazu, den gewerkschaftlichen Rahmen zu sprengen. Die Konfrontation mit den Gewerkschaften ist unausweichlich. Statt dessen diskutierte die KPD-Zentrale, wie sie die Unterstützung der Gewerkschaftsführer für den Streik gewinnen könnte!
Unter dem Druck dieser Streikwelle trat am 12. August die Cuno-Regierung zurück. Am 13. August gab die Zentrale der KPD einen Aufruf zur Beendigung des Streiks heraus. Dieser Aufruf der Zentrale stieß auf den Widerstand der Betriebsräte in Berlin, die sich mittlerweile radikalisiert hatten, wie auch der örtlichen Parteileitungen selber, die für eine Fortführung der Bewegung eintraten. Die örtlichen Parteileitungen warteten auf Anordnungen der Zentrale. Sie wollten isolierte Zusammenstöße mit der Reichswehr vermeiden, bis die Waffen, die das Zentralkomitee zur Verfügung haben sollte, verteilt sein würden.
Während die KPD Opfer ihrer eigenen nationalbolschewistischen Politik und der Einheitsfronttaktik geworden war, die Arbeiterklasse damit wie benebelt dastand und nicht wusste was zu tun war, war die Bourgeoisie bereit, die Initiative zu ergreifen.
Wie zuvor schon in solchen Situationen aufsteigender Kampfkraft der Arbeiterklasse sollte die SPD die besondere Rolle übernehmen, der Bewegung die Spitze zu brechen. An die Stelle des der Zentrumspartei nahestehenden Cuno trat eine „große“ Koalition, an deren Spitze der Zentrumspolitiker Gustav Stresemann stand, der aber von 4 SPD-Ministern unterstützt wurde (mit Hilferding als Finanzminister). Dieser Eintritt der SPD in die Regierung war nicht Ausdruck einer lähmenden Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit des Kapitals, wie die KPD fälschlicherweise vermutete, sondern ein bewusster Schachzug der Bourgeoisie zur Eindämmung der Bewegung. Die SPD war keineswegs dabei auseinanderzubrechen, wie die KPD-Führung später behauptete, noch war die Bourgeoisie gespalten oder unfähig, eine neue Regierungsclique aufzustellen.
Am 14. August kündigte Stresemann die Einführung einer neuen Währung und wertbeständiger Löhne an. Die Bourgeoisie hatte die Zügel in der Hand behalten und beschloss bewusst die Beendigung der Inflationsspirale – genauso wie sie sich ein Jahr zuvor dazu entschlossen hatte, diese bewusst auszulösen.
Gleichzeitig rief die Regierung zum Abbuch des „passiven Widerstandes“ gegen Frankreich im Ruhrgebiet auf und erklärte nach dem Kokettieren mit Russland nun den „Kampf gegen den Bolschewismus“ zu einem der obersten Ziele der deutschen Politik.
Durch das Versprechen der Beendigung der Inflation konnte die Bourgeoisie eine Wende im Kräfteverhältnis herbeiführen – denn auch wenn nach dem Abbruch der Bewegung in Berlin am 20. August im Rheinland und Ruhrgebiet erneut eine Streikwelle aufloderte, flachte die Bewegung insgesamt schnell ab.
Auch wenn die Arbeiterklasse sich nicht auf das nationalistische Terrain hatte ziehen lassen, konnte die Arbeiterklasse ihre Bewegung nicht weiter vorantreiben – einer der Gründe: die KPD selber war Gefangener ihrer nationalbolschewistischen Politik. So war die Bourgeoisie ihrem Ziel, der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beizufügen, einen Schritt nähergekommen.
Die Arbeiterklasse ging desorientiert aus diesen Kämpfen hervor, mit dem Gefühl, gegenüber der Krise hilflos zu sein.
Die linken Fraktionen in der Komintern, die sich mit der Aufkündigung des erhofften Bündnisses zwischen dem „unterdrückten Deutschland“ und Russland noch isolierter fühlten, sollten nun nach dem Fiasko des Nationalbolschewismus versuchen, das Blatt durch einen Aufstandsversuch aus Verzweiflung zu wenden. Dies werden wir im nächsten Artikel behandeln. Dv
(1) Der Parteivorsitzende des Jahres 1922, Ernst Meyer, beschimpfte in seiner Privatkorrespondenz die Zentrale und einzelne Parteiführer. So schickte Meyer Charakterisierungen anderer Parteiführer an seine Frau. Er bat seine Frau, sie solle ihm über die Stimmung in Partei unterrichten, während er in Moskau weilte. So gab es Privatkorrespondenz von Zentrale-Mitgliedern mit der Komintern, innerhalb der die verschiedenen Flügel jeweils besondere Beziehungen zu ihren ‘Flügeln’ innerhalb der KPD hatten. Das Netz ‘informeller Kanäle’ war weit verzweigt. Darüber hinaus war die Atmosphäre in der Partei oft vergiftet. Auf dem 5. Kongress der Komintern berichtete Ruth Fischer, die selber entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen hatte: „Auf dem Leipziger Parteitag (im Jan. 1923) kam es vor, dass Arbeiter verschiedener Bezirke an einem Tische saßen. Dann fragten sie zum Schluss: Woher kommst du? Und dann sagte der brave Arbeiter: Ich komme aus Berlin. Dann standen die anderen vom Tisch auf und ließen ihn sitzen. So war die Lage in unserer Partei. “ (R. Fischer auf dem 5. Kongreß der Komintern, S. 201)
(2) Innerhalb der tschechischen KP erhob sich dagegen Widerstand. So griff Neurath Thalheimers Position als einen Ausdruck der Zersetzung durch patriotische Gefühle an. Ein anderer Tschechischer Kommunist, Sommer, verlangte in der Roten Fahne ebenso die Verwerfung dieser Orientierung. ”Es kann keine Verständigung mit dem inneren Feind geben” (Carr, Interregnum, S. 168)
(3) .Gleichzeitig wollte man selbständige Wirtschaftseinheiten aufzubauen, was zum Teil auf starke, syndikalistische Strömungen zurückzuführen ist. Die Vorstellung der KPD-Opposition war, eine im Rhein-Ruhr-Gebiet errichtete Arbeiterrepublik sollte eine Armee nach Mitteldeutschland schicken, um dort zur Machtergreifung beizutragen. Diese von R. Fischer eingebrachte Resolution wurde mehrheitlich mit 68 zu 55 Stimmen abgelehnt.
(4) Viele Arbeiter, die ohne Erfahrung, ohne größere theoretische und politische Bildung waren, fühlten sich zur Partei hingezogen. Es kam zu einer Öffnung der Partei für Masseneintritte. Jeder war willkommen. Im April 1922 hatte die KPD schon verkündet: „in der gegenwärtigen politischen Situation [hat die KPD] die Pflicht, jeden Werktätigen, der zu ihr will, in ihre Reihen aufzunehmen.“ Im Sommer 1923 gingen die Provinzbezirke an vielen Orten in die Hände junger, radikaler Elemente über. Damit strömten noch mehr ungeduldige und unerfahrene Elemente in die Partei. Innerhalb von 6 Monaten verzeichnete sie einen Mitgliederzuwachs von 225.000 auf 295.000, von Sept. 1922 bis Sept. 1923 stieg die Zahl der Ortsgruppen von 2481 auf 3321. Damals verfügte die KPD über einen eigenen Pressedienst und 34 Tageszeitungen sowie zahlreiche Zeitschriften. Gleichzeitig hatten sich viele infiltrierende Kräfte eingeschlichen und versuchten die Partei zu unterwandern.
Deutsche Revolution, Teil XII
Deutschland 1923:
Eine Niederlage, die das Ende der weltweiten revolutionären Welle bedeutete (2)
Wir haben in einem früheren Artikel aufgezeigt, wie die internationale Isolierung der Revolution in Russland – infolge der gescheiterten Ausdehnung der Revolution nach Westeuropa – zur Entartung der Komintern und zum Aufstieg des russischen Staatskapitalismus führte, was wiederum die Niederlage der Arbeiterklasse in Deutschland beschleunigte.
Nach dem Abschluss des Geheimabkommens von Rapallo war der Kapitalistenklasse nicht verborgen geblieben, dass der russische Staat dabei war, die Komintern zu seinem Instrument zu machen. Gegen diese Entwicklung stemmte sich in Russland eine starke Opposition, die sich im Jahre 1923 durch eine Reihe von Streiks in der Gegend von Moskau sowie durch eine immer lauter werdende Opposition innerhalb der bolschewistischen Partei äußerte. Im Herbst 1923 hatte sich Trotzki nach langem Zögern endlich zu einem entschlosseneren Kampf gegen die wachsende staatskapitalistische Orientierung durchgerungen. Auch wenn die Komintern infolge der Politik der Einheitsfront und der Befürwortung des Nationalbolschewismus immer opportunistischer wurde und um so mehr degenerierte, je stärker sie durch den russischen Staat stranguliert wurde, gab es noch einen internationalistisch gesinnten Kern in ihr, der weiterhin an der weltrevolutionären Orientierung festhielt. Nachdem das deutsche Kapital sein „Bündnisversprechen“, das es als „unterdrückte Nation“ Russland gegenüber gelobt hatte, fallengelassen hatte1, fühlte sich dieser internationalistische Kern in der Komintern desorientiert, weil nunmehr die Aussichten auf eine revolutionäre „Entlastung“ und Erneuerung immer geringer zu werden schienen. Aus Sorge vor dem emporkommenden Staatskapitalismus in Russland selbst und in der Hoffnung auf einen revolutionären Wiederaufschwung suchten sie verzweifelt nach einem letzten Strohhalm, nach der letzten Möglichkeit eines revolutionären Wiederaufbäumens.
„Da habt ihr, Genossen, endlich den Sturm, auf den wir so viele Jahre voller Ungeduld gewartet haben und welcher das Antlitz der Welt verändern wird. Die stattfindenden Ereignisse werden eine kolossale Bedeutung erlangen. Die deutsche Revolution bedeutet den Zusammenbruch der kapitalistischen Welt“. (Trotzki)
Überzeugt von dem weiterhin vorhandenen revolutionären Potenzial und davon, dass die Gelegenheit zum Aufstand noch nicht verstrichen war, setzte er sich dafür ein, dass seitens der Komintern alles in Bewegung gesetzt wird, um eine revolutionäre Entwicklung zu unterstützen.
Gleichzeitig hatte sich in Bulgarien und in Polen die Lage weiter zugespitzt. Bereits am 23. September hatten die Kommunisten in Bulgarien mit Unterstützung der Komintern einen Aufstandsversuch unternommen, der allerdings scheitern sollte. Im Oktober und November brach in Polen eine breite Streikwelle aus, an der sich ca. zwei Drittel der Industriearbeiter des Landes beteiligten, wobei die KP Polens von der Kampfbereitschaft der Arbeiter überrascht wurde. Ebenso wie diese Streiks wurden auch aufstandsartige Kämpfe Anfang November 1923 niedergeschlagen.
Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Auseinandersetzungen innerhalb der russischen Partei sprach sich Stalin gegen die Unterstützung der Bewegung in Deutschland aus, da sie eine direkte Bedrohung für den russischen Staatsapparat hätte werden können, innerhalb dessen er einige der wichtigsten Positionen innehatte. „Meiner Meinung nach müssen die deutschen Genossen gebremst und nicht angespornt werden.“ (Brief Stalins vom 5.8.23 an Sinowjew)
Die Komintern verirrt sich im Abenteuer des Aufstands
Sich mit letzter Hoffnung an die Wiederbelebung einer revolutionären Situation klammernd, beschloss das Exekutiv Komittee der Kommunistische Internationale (EKKI) eigenständig und zunächst ohne Absprache und Beratung der Lage mit der KPD, die Entwicklung zu forcieren und sich auf einen Aufstand in Deutschland vorzubereiten.
Nachdem am 11. September in Moskau die Nachricht von der Beendigung der Politik des „passiven Widerstands“ Deutschlands gegen Frankreich und der Aufnahme deutsch-französischer Verhandlungen eintraf, drängte das EKKI auf ein Losschlagen Ende September in Bulgarien und kurze Zeit später in Deutschland. Die Vertreter der KPD wurden im September nach Moskau gerufen, um mit dem EKKI den Aufstand vorzubereiten. Diese Beratungen, an denen auch Vertreter der kommunistischen Parteien aus den Nachbarländern anwesend waren, dauerten nahezu einen Monat, von Anfang September bis Anfang Oktober.
Damit vollzog die Komintern eine erneute, verheerende Wende. Nach der katastrophalen Politik der Einheitsfront mit den konterrevolutionären sozialdemokratischen Kräften, deren zerstörerische Auswirkungen wir noch sehen werden, nach dem Flirt mit dem Nationalbolschewismus nun eine Verzweiflungstat –- das Abenteuer eines Aufstandsversuches, ohne dass die Bedingungen für seine erfolgreiche Durchführung vorhanden waren.
Ungünstige Bedingungen
Auch wenn die Arbeiterklasse in Deutschland weiterhin der zahlenmäßig stärkste und konzentrierteste Teil des internationalen Proletariats war, der neben dem russischen am heftigsten gekämpft hatte, war die Kampfeswelle international weiter rückläufig und die Arbeiterklasse in Deutschland selbst stand 1923 relativ isoliert da.
Gegenüber der Lage in Deutschland schätzte das EKKI das Kräfteverhältnis, das sich nach dem Schachzug der SPD-geführten Regierung im August in Deutschland klar zugunsten der Bourgeoisie entwickelte, falsch ein. Um die Strategie des Feindes zu durchschauen, muss sich eine international organisierte und zentralisierte Organisation auf eine richtige Analyse der Verhältnisse durch ihre örtlichen Sektionen stützen können. Doch gerade die KPD hatte sich am stärksten durch ihre national-bolschewistische Politik blenden lassen und nicht die wirkliche Entwicklung des Kräfteverhältnisses erkannt, die in Deutschland die Schwächen der Bewegung offengelegt hatte.
- Bis August war die Bewegung hauptsächlich auf ökonomische Forderungen beschränkt geblieben. Noch hatte die Arbeiterklasse keine eigenständigen politischen Forderungen formuliert. Auch wenn die Bewegung sich immer stärker aus den Fabriken heraus auf die Straße verlagerte, auch wenn die Arbeiter immer häufiger in Vollversammlungen zusammenkamen und Arbeiterräte gebildet wurden, kann man nicht von einer Situation der Doppelmacht sprechen. Mehrere Mitglieder des EKKI meinten, die Bildung von Arbeiterräten würde von der aus ihrer Sicht prioritären Aufgabe der militärischen Vorbereitung des Aufstandes ablenken; die Räte liefen gar Gefahr, zur Zielscheibe der Repression der Regierung zu werden. Denn die neue Regierung hatte die Fabrikräte per Gesetz verboten. Eine Mehrheit im EKKI schlug vor, dass die Sowjets erst nach der Machtergreifung errichtet werden sollten.
- Anstatt die Lehren aus der katastrophalen Politik der erhofften „nationalen Allianz“ zu ziehen, wobei die „Einheitsfrontpolitik“ nur eine Vorstufe zu diesem Verhängnis gewesen war, stützte man den angestrebten Aufstand auf eine „Arbeiterregierung“‘ aus SPD und KPD.
- Schließlich fehlte in Deutschland eine unabdingbare Voraussetzung für einen erfolgreichen Aufstand: die revolutionäre Partei. Die KPD, angenagt durch ihre opportunistische Entwicklung und in ihrem Kern gespalten, erfüllte nicht die Bedingungen, um eine wirklich entscheidende politische Rolle in der Klasse zu übernehmen.
Die Aufstandsvorbereitungen
Im Laufe der Beratungen im EKKI wurden folgende Punkte debattiert:
Trotzki drängte darauf, im Voraus ein Aufstandsdatum festzulegen. Er plädierte für den 7. November, den Tag des Oktoberaufstands in Russland sechs Jahre zuvor. Damit wollte er jeglicher zaudernden Haltung einen Riegel vorschieben. Der KPD-Vorsitzende Brandler lehnte es ab, sich auf einen bestimmten Termin festzulegen. So wurde Ende September beschlossen, dass der Aufstand in den nächsten vier bis sechs Wochen stattfinden sollte, d.h. Anfang November.
Da die deutsche Parteileitung sich für zu unerfahren hielt, schlug Brandler vor, dass Trotzki, der eine herausragende Rolle bei der Organisierung des Aufstands im Oktober 1917 in Russland gespielt hatte, selbst nach Deutschland kommen sollte, um zu helfen, den Aufstand zu organisieren.
Diesem Vorschlag widersetzten sich die anderen Mitglieder des EKKI; Sinowjew „beanspruchte“ diese Führungsrolle für sich, da er der Vorsitzende des EKKI war. Der Streit um diese Entscheidung war nur vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Führungskampfes in Russland zu verstehen. Schließlich entschied man, ein Kollektivgremium zu schicken, das aus Radek, Guralski, Skoblewski und Tomski zusammengesetzt war.
Das EKKI beschloss, dass die Hilfe auf drei Ebenen erfolgen sollte:
- militärisch: Sie sollte der Schwerpunkt sein. Bürgerkriegserfahrene Offiziere der russischen Roten Armee wurden heimlich nach Deutschland geschickt, um beim Aufbau der Roten Hundertschaften und einer künftigen Roten Armee zu helfen. Auch wirkten sie beim Ausbau eines Nachrichtendienstes in Deutschland mit und hatten die Aufgabe, Kontakt zu oppositionellen Offizieren der Reichswehr zu knüpfen. Zudem sollten besonders erfahrene Mitglieder der russischen Partei an der Grenze bereitstehen, um schnellstmöglich vor Ort eintreffen zu können.
- materiell (Lebensmittel): Rund eine Million Tonnen Getreide sollten an der russischen Westgrenze bereitgestellt werden, damit man einer siegreichen Revolution in Deutschland sofort zu Hilfe eilen konnte.
- propagandistisch: Öffentliche Versammlungen mit dem Titel ‘Der deutsche Oktober steht vor der Tür, wie können wir der deutschen Revolution helfen?’ wurden in Russland abgehalten, wo man über die Perspektiven der Revolution in Deutschland berichtete. Vor allem aber wurden sie genutzt, um zu Spendensammlungen aufzurufen. So wurden Frauen aufgefordert, Eheringe und andere Wertsachen für „die deutsche Sache“ zu opfern.
Während die Diskussionen in Moskau noch fortdauerten, hatten Emissäre der Komintern in Deutschland selbst bereits die Vorbereitungen für den Aufstand vorangetrieben. Anfang Oktober hatten sich viele führende Parteimitglieder schon auf eine illegale Situation eingestellt. Während in Moskau zwischen der Führung der KPD und dem EKKI die Aufstandspläne erörtert wurden, scheint eine größere Debatte über die unmittelbaren Perspektiven und die Aufstandsfrage innerhalb der KPD selbst nicht stattgefunden zu haben.
In Deutschland hatte die KPD seit Jahresbeginn, vor allem seit dem Leipziger Kongress, systematisch mit der Aufstellung von Hundertschaften begonnen. Anfangs noch sollten diese bewaffneten Truppen mehr als Schutzformation für Demonstrationen und Arbeiterversammlungen dienen, in denen kampfbereite Arbeiter unabhängig von ihrer politischen Überzeugung mitwirken konnten. Nun erprobten sich diese Hundertschaften in militärischen Übungen, machten Probealarme und spezielle Ausbildungen an Waffen und anderen militärischen Geräten.
Im Vergleich zum März 1921 wurde jetzt mit viel größerem organisatorischen Aufwand vorgegangen und erhebliche Mittel in die militärischen Vorbereitungen gesteckt. So hatte die KPD in der Zwischenzeit ihren Nachrichtendienst aufgebaut. Es gab den M-Apparat (Militärapparat), Z-Gruppen zur Zersetzung der Reichswehr und Polizei, T-Gruppen (Terror). Geheime Waffenlager wurden angelegt, militärische Karten aller Art besorgt.
Die russischen Militärberater gingen davon aus, über eine halbe Million Gewehre zur Verfügung zu haben. Man rechnete mit der Möglichkeit, 50–60.000 Mann schnellstens bewaffnen zu können, während die Reichswehr und die sie unterstützenden rechtsradikalen Wehrverbände mit der Polizei zahlenmäßig ca. 50 mal stärker als die von der KPD geführten Formationen waren.
In dieser Situation wurde von der Komintern ein Plan ausgearbeitet, der sich auf einen militärischen Schlag ausrichtete.
Indem die KPD in einigen Regionen in eine „Arbeiterregierung“ mit der SPD eintrete, würde dies die Lage explosiv werden lassen. Man rechnete damit, dass die Faschisten, von Bayern und Süddeutschland aus kommend, nach Sachsen und Mitteldeutschland vorstoßen würden. Gleichzeitig rechnete man mit einem Vorstoß der Reichswehr von Preußen aus. Diesem Vormarsch könne man durch den Aufmarsch von riesigen bewaffneten Arbeitereinheiten entgegentreten und die Reichswehr und die faschistischen Verbände militärisch schlagen, indem man den Gegner bei Kassel in eine Falle locke. Aus den Roten Hundertschaften sollte eine Rote Armee entstehen, von der der sächsische Teil nach Berlin, der thüringische nach München marschieren sollte. Die neue, für ganz Deutschland aufgestellte Regierung würde dann Kommunisten, linke Sozialdemokraten, Gewerkschafter und nationalbolschewistische Offiziere umfassen.
Ein Schlüsselelement der Taktik sollte deshalb zunächst der Regierungseintritt der KPD in Sachsen sein.
Aufstand durch ein Regierungsbündnis mit der SPD?
Im August war die SPD der Regierung beigetreten, um mit einer Reihe von Versprechungen die Aufwärtsbewegung zu stoppen.
Obgleich die Regierung am 26. September offiziell das Ende des passiven Widerstands angekündigt und versprochen hatte, Löhne auszuzahlen, brach am 27. September ein Streik im Ruhrgebiet aus. Am 28. September rief die KPD zum Generalstreik im ganzen Reich, zur Bewaffnung der Arbeiter und zur „Erkämpfung einer Arbeiter- und Bauern-Regierung“ auf. Am 29. September erklärte die Regierung den Ausnahmezustand, woraufhin die KPD am
1. Oktober den Streik im Ruhrgebiet abbrach.
Wie schon zuvor bestand ihr Ziel nicht darin, die Arbeiterklasse durch die Erhöhung des Drucks aus den Betrieben weiter zu stärken, sondern sich ganz auf den entscheidenden, irgendwann eintretenden Moment zu konzentrieren. Anstatt, wie die Komintern später feststellen musste, durch den Druck aus den Betrieben die jetzt frisch an die Regierung gekommene SPD zu entblößen, wurde die Initiative in den Betrieben gebremst. So wurde die Bereitschaft in der Arbeiterklasse, sich gegen die Angriffe zur Wehr zu setzen, nicht nur durch das Versprechen von Zugeständnissen seitens der Regierung gebremst, sondern auch von der KPD selbst.
Die Komintern sollte später dazu auf dem 5. Kongress feststellen:
“Nach dem Cuno-Streik wurde der Fehler gemacht, elementare Bewegungen bis zum Entscheidungskampf verschieben zu wollen.
Einer der schwersten Fehler war es, dass die instinktive Rebellion der Massen nicht durch Einstellung auf politische Ziele systematisch in bewusst revolutionären Kampfwillen verwandelt wurde.
Die Partei versäumte es, energische, lebendige Agitation für die Aufgaben der politischen Arbeiterräte durchzuführen. Übergangsforderungen und Teilkämpfe aufs engste mit dem Endziel der Diktatur des Proletariats zu verbinden. Die Vernachlässigung der Betriebsrätebewegung machte es auch unmöglich, die Betriebsräte zeitweilig die Rolle der Arbeiterräte übernehmen zu lassen, so dass es in den entscheidenden Tagen an einem autoritativen Zentrum fehlte, um das sich die schwankenden Arbeitermassen hätten sammeln können, die dem Einfluss der SPD entzogen worden waren.
Da auch andere Einheitsfrontorgane (Aktionsausschüsse, Kontrollausschüsse, Kampfkomitees) nicht planmäßig ausgenützt wurden, um den Kampf politisch vorzubereiten, so wurde der Kampf fast nur als Parteisache und nicht als einheitlicher Kampf des Proletariats aufgefasst.“
Durch das Bremsen der Abwehrkämpfe der Arbeiter mit dem Argument, bis zum „Entscheidungstag’ zu warten, machte die KPD den Arbeitern ein Kräftemessen mit dem Kapital und sich selbst die Mobilisierung der durch die SPD-Propaganda verunsicherten Arbeiter unmöglich. So kritisierte die Komintern später: „Die Überhitzung in den technischen Vorbereitungen während der entscheidenden Wochen, die Einstellung auf die Aktionen als Parteikampf und nur auf den ‘entscheidenden Schlag’ ohne vorherige anwachsende Teilkämpfe und Massenbewegungen verhinderten die Prüfung des wirklichen Kräfteverhältnisses und machten eine zweckmäßige Terminsetzung unmöglich (....) Tatsächlich ließ sich nur feststellen, dass die Partei auf dem Wege war, die Mehrheit für sich zu erobern, ohne schon die Führung über sie zu besitzen.“ (Die Lehren der deutschen Ereignisse und die Taktik der Einheitsfront)
Zu diesem Zeitpunkt, nämlich am 1. Oktober, revoltierten in Küstrin Mitglieder einer „Schwarzen Reichswehr-Garnison“ (d.h. ein mit den Faschisten sympathisierender Verband). Ihre Erhebung wurde von preußischen Polizeitruppen niedergeschlagen. Der demokratische Staat brauchte die Faschisten noch nicht!
Am 9.Oktober traf Brandler aus Moskau mit der neuen Orientierung des Aufstands mittels Regierungseintritt ein. Am 10. Oktober wurde die Bildung einer Regierung mit der SPD in Sachsen und Thüringen beschlossen. Drei Kommunisten traten in die sächsische Regierung ein (Brandler, Heckert, Böttcher), zwei in die thüringische Regierung (Korsch und Tenner).
Während man im Januar 1923 noch auf dem Parteitag gesagt hatte: „Die Beteiligung der KPD an einer Landesarbeiterregierung, ohne Bedingungen an die SPD zu stellen, ohne genügend starke Massenbewegung und ohne ausreichende außerparlamentarische Stützpunkte, kann die Idee der Arbeiterregierung kompromittieren und die Reihen der eigenen Partei zersetzen“ (S. 255, Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung), war die KPD-Zentrale jetzt bereit, entsprechend den Anweisungen der Komintern praktisch bedingungslos der SPD-Regierung beizutreten. Die KPD hoffte, so einen Ausschlag gebenden Hebel für den Aufstand in der Hand zu haben, denn geplant war, dass die KPD sofort alles unternehmen würde, um für die Bewaffnung der Arbeiter zu sorgen.
Während die KPD mit einer wütenden Reaktion der Faschisten und der Reichswehr gerechnet hatte, war es der SPD-Reichspräsident Ebert, der am 14. Oktober die sächsische und die thüringische Regierung für abgesetzt erklärte. Am gleichen Tag ordnete Ebert den Einmarsch der Reichswehr in Sachsen und Thüringen an.
Der „demokratische“ SPD-Reichspräsident schickte also die Reichswehr gegen die „demokratisch gewählte“ SPD-Regierung in Sachsen und Thüringen. Wiederum war es die SPD, die im Auftrag des Kapitals eine gewaltsame Niederwerfung der Arbeiter mit einem geschickten politischen Manöver vorbereitete und in die Hand nahm.
Gleichzeitig machten sich faschistische Gruppierungen aus Bayern auf den Weg nach Thüringen. Die KPD beschloss, die Arbeiter zu den Waffen zu rufen. In der Nacht vom 19. zum 20. Oktober verteilte die KPD ein Flugblatt in einer Auflage von 150.000 Exemplaren, in dem die Parteimitglieder angewiesen wurden, sich aller verfügbaren Waffen zu bemächtigen. Gleichzeitig sollte der Generalstreik beschlossen werden, der den Aufstand einleiten sollte.
Chronik einer angekündigten Niederlage
Um diesen Beschluss jedoch nicht als Partei zu fassen, sondern ihn von einer Delegiertenversammlung verabschieden zu lassen, wollte der Parteivorsitzende Brandler am 21. Oktober auf der Arbeiterkonferenz in Chemnitz einen Streikbeschluss erwirken. Zu den ca. 450 Delegierten gehörten u.a. 60 offizielle Delegierte der KPD, sieben offizielle Delegierte der SPD und 102 Vertreter der Gewerkschaften.
Mit dem Argument, die Stimmung zu testen, schlug Brandler auf dieser Versammlung den Generalstreik vor. Daraufhin reagierten vor allem die Gewerkschaftsvertreter und die SPD-Delegierten mit lautem Protest und der Drohung, die Versammlung zu verlassen, falls der Generalstreik beschlossen würde. Von Aufstand war ohnehin keine Rede. Allen voran der anwesende SPD-Minister wandte sich energisch gegen den Generalstreik. Doch anstatt ein Ort der Bündelung des Widerstandes gegen die Angriffe des Kapitals zu sein, gab die Versammlung gegenüber der SPD und den Gewerkschaftsvertretern kleinlaut bei. Selbst die KPD-Delegierten hüllten sich in Schweigen! So beschloss dieses Treffen, auf dem nach den Vorstellungen der KPD der Funken durch den Generalstreiksbeschluss gezündet werden sollte, seine Entscheidung zu vertagen.
Dabei hatte für Brandler und die KPD-Führung von Anfang an außer Frage gestanden, dass die Anwesenden unter dem Eindruck der auf Sachsen vorrückenden Truppen der Reichswehr und dem von Berlin aus geplanten Sturz der sächsischen Arbeiterregierung in eine revolutionäre Hochstimmung geraten und somit selbstverständlich bereit sein würden, sich zu wehren. Nach der Fehleinschätzung der Lage im August hatte die KPD das Kräfteverhältnis und die Stimmung auch diesmalzu diesem Zeitpunkt erneut falsch eingeschätzt.
In der Versammlung von Chemnitz, die von der KPD-Führung als „Dreh- und Angelpunkt“ für den Aufstand auserwählt worden war, beeinflusste die SPD noch den Großteil der Delegierten. In den Fabrikkomitees und Vollversammlungen hatte die KPD noch nicht die Mehrheit für sich gewinnen können. Im Gegensatz zu den Bolschewiki im Jahre 1917 hatte die KPD weder die Lage richtig einzuschätzen noch den Lauf der Ereignisse entscheidend zu beeinflussen vermocht. Für die Bolschewiki wurde die Frage des Aufstands erst akut, als sie in den Räten die Mehrheit für sich erobert hatten und die Partei die Ausschlag gebende, führende Rolle spielen konnte.
Die Versammlung in Chemnitz ging auseinander, ohne einen Beschluss für den Streik, geschweige denn für den Aufstand gefasst zu haben. Nach diesem niederschmetternden Abstimmungsergebnis beschloss die Zentrale einstimmig, der Rückzug anzutreten. Nicht nur Brandler, sondern auch die „linken“ Mitglieder der Zentrale und alle ausländischen Genossen, die damals in Deutschland anwesend waren, haben ohne Ausnahme diesem Beschluss zugestimmt.
Als die Ortsgruppen der Partei, die überall „Gewehr bei Fuß“ standen, von dieser Entscheidung unterrichtet wurden, war die Enttäuschung riesig!
Obwohl es zum genauen Ablauf der Ereignisse in Hamburg unterschiedliche Versionen gibt, scheint die Nachricht von der Annullierung des Aufstands nicht rechtzeitig übermittelt worden zu sein. Überzeugt davon, dass der Aufstand nach Plan läuft, legten die örtlichen Parteimitglieder los, ohne die Bestätigung der Zentrale bekommen zu haben. So schlugen in der Nacht vom 22. zum 23. Oktober in Hamburg die Hundertschaften und die Kommunisten los und kämpften gegen die Polizei nach einem vorher festgelegten Schlachtplan. Die Kämpfe dauerten einige Tage, wobei sich der Großteil der Arbeiter zurückhielt, ja, viele Mitglieder der SPD sich bei den Polizeibehörden meldeten, um gegen die Aufständischen zu kämpfen.
Als am 24. Oktober nachmittags die Nachricht der KPD von der Aufforderung zum Abbruch der Kämpfe eintraf, war ein geordneter Rückzug nicht mehr möglich. Die Niederlage war unvermeidbar.
Am 23. Oktober marschierten Reichswehrtruppen in Sachsen ein. Erneut begann die Repression gegen die KPD. Wenig später, am 13. November, wurde Thüringen von der Reichswehr besetzt. In den anderen Landesteilen kam es zu keinen größeren Reaktionen der Arbeiter. Selbst in Berlin, wo der „linke Flügel“ der KPD dominierte, ließen sich nur wenige hundert Mitglieder für Solidaritätsdemonstrationen mobilisieren. Enttäuscht von der Partei, wandten sich große Teile der Arbeiterklasse von ihr ab.
Die Lehren der Niederlage
Der Versuch der Komintern, durch die abenteuerliche Organisierung eines Aufstands in Deutschland die revolutionäre Welle von Kämpfen wieder anzukurbeln und eine Wende in Russland herbeizuführen, war fehlgeschlagen.
1923 stand die Arbeiterklasse in Deutschland in vielerlei Hinsicht isolierter da als zu Beginn der revolutionären Welle 1918/19. Gleichzeitig hatte die Bourgeoisie eine geschlossene Front gegen die Arbeiterklasse gebildet. Die Bedingungen für einen erfolgreichen Aufstand in Deutschland waren nicht vorhanden. Die in der Klasse vorhandene Kampfbereitschaft war im August 1923 von der Bourgeoisie gedämpft worden. Der Druck aus den Betrieben, das Bestreben, zu Vollversammlungen zusammenzukommen, ließ nach.
„Die Gradmesser unseres revolutionären Einflusses waren für uns die Sowjets (...) Die Sowjets gaben den politischen Mantel für unsere verschwörerische, konspirative Tätigkeit ab, sie waren dann auch Organe der Regierung nach der faktischen Machtergreifung.“ (L. Trotzki, Kann man eine Konterrevolution oder eine Revolution auf einen bestimmten Zeitpunkt ansetzen?, 1924) Zu einer Bildung von Arbeiterräten, zentrale Voraussetzung für die Machtergreifung, war es in Deutschland 1923 nicht gekommen.
Nicht nur waren die politischen Bedingungen in der Klasse insgesamt noch nicht herangereift, auch und vor allem die KPD selbst hatte sich als unfähig erwiesen, ihre politische Führungsrolle wirklich zu erfüllen. Ihre politische Ausrichtung – die Politik des Nationalbolschewismus bis zum August, ihre Politik der Einheitsfront und der Schutz der Demokratie – trugen zu einer gewaltigen Verwirrung und Entwaffnung der Arbeiterklasse bei. Eine erfolgreiche Erhebung der Arbeiterklasse ist aber nur denkbar, wenn die Arbeiterklasse politisch ausreichend klar ihre Ziele erkennt und eine Partei an ihrer Seite hat, die Stoßrichtung und den Moment zum Handeln klar genug aufzeigen kann.
Ohne eine starke, solide Partei ist der Aufstand nicht denkbar, da nur sie einen Überblick über die Lage hat, die Strategie des Gegners erkennen und die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus ziehen kann. Wegen ihrer Fähigkeit zur Analyse der Strategie des Klassenfeindes, ihrer Fähigkeit, die Temperatur in der Klasse, insbesondere in ihren Hauptbataillonen, zu messen und wegen ihrer Fähigkeit, ihr Gewicht im entscheidenden Moment in die Waagschale zu werfen, ist sie unerlässlich.
Die Komintern hatte das Hauptaugenmerk auf die militärische Vorbereitung gelegt. So schilderte Retzlaw – der Verantwortliche für den militärischen Geheimapparat der KPD -, dass mit den russischen Militärberatern meist rein strategische Schachzüge diskutiert wurden, wobei die große Masse der Arbeiter nicht einmal erwähnt wurde.
Auch wenn der Aufstand militärstrategisch minutiös geplant werden muss, beschränkt er sich selbst keinesfalls auf eine einfache Militäroperation. Die militärischen Aufstandsvorbereitungen können erst angegangen werden, wenn der politische Reifungs- und Mobilisierungsprozess der Klasse weit genug vorangeschritten ist. Dieser Prozess lässt sich nicht überspringen.
Das heißt nicht, dass die Arbeiterklasse unterdessen ihren Druck vernachlässigen sollte, wie es die KPD 1923 befürwortete. Hatten die Bolschewiki im Oktober 1917 die „Kunst des Aufstands“ erfolgreich zur Anwendung bringen können, so war der Aufstandsplan vom Oktober 1923 eine reine Farce, die in einer Tragödie endete. Die Internationalisten in der Komintern, die mit dieser abenteuerlichen Verzweiflungstat nach einem letzten Strohhalm greifen wollten, hatten die Lage falsch eingeschätzt.
Trotzki, der im September offensichtlich schlecht über die Lage im Bilde war, war am meisten davon überzeugt, die Bewegung ginge weiter aufwärts, und er gehörte zu denen, die am heftigsten auf den Aufstand gedrängt hatten.
Die Kritik, die er nach den Ereignissen entwickelte, ist zum großen Teil falsch. Er warf der KPD vor, dass, während sie sich 1921 abenteuerlich und ungeduldig verhalten habe, sie 1923 in das andere Extrem des Abwartens, der Vernachlässigung der eigenen Rolle verfallen sei.
„Die Reife der revolutionären Situation in Deutschland wurde von der Partei zu spät erkannt, (...) so dass die wichtigsten Kampfmaßnahmen verspätet in Angriff genommen wurden.
Die Kommunistische Partei kann nicht gegenüber der wachsenden revolutionären Bewegung des Proletariats eine abwartende Haltung einnehmen. Das ist eigentlich die Stellungnahme des Menschewismus: Die Revolution hemmen, solange sie sich entwickelt, ihre Erfolge ausnutzen, wenn sie halbwegs siegreich ist, und alles anwenden, um sie aufzuhalten.“ (L. Trotzki, Kann man eine Konterrevoultion oder eine Revolution auf einen bestimmten Zeitpunkt ansetzen?, 1924)
Er betonte zwar zu Recht den subjektiven Faktor und die Tatsache, dass der Aufstand die energische, entschlossene, gezielte und weitsichtige Intervention der Revolutionäre braucht, um gegenüber allen Zögerungen und Schwankungen der Klasse einzugreifen. Darüber hinaus hatte Trotzki die zerstörerische Rolle der Stalinisten erkannt: „...die Stalinsche Führung (...) hemmte und bremste die Arbeiter, wo die Bedingungen einen kühnen revolutionären Angriff diktierten; proklamierte revolutionäre Situationen als bevorstehend, wenn sie bereits verpasst waren; schloss Bündnisse mit Phrasenhelden und Schwätzern aus dem Lager des Kleinbürgertums; hinkte unter dem Schein der Einheitsfrontpolitik ohnmächtig hinter der Sozialdemokratie her.“ (Die Tragödie des deutschen Proletariats, Mai 1933)
Aber er selbst hatte sich mehr vom eigenen Willen leiten lassen als von der richtigen Analyse des Kräfteverhältnisses.
Die Oktoberniederlage 1923 bedeutete nicht nur eine physische Schwächung der Arbeiter in Deutschland, sondern sie sollte auch zu einer tiefgreifenden politischen Desorientierung und Demoralisierung der Arbeiterklasse führen.
Die Welle revolutionärer Kämpfe, deren Höhepunkt 1918/1919 überschritten war, war 1923 beendet. Der Bourgeoisie war es gelungen, der Arbeiterklasse in Deutschland eine entscheidende Niederlage beizufügen.
Die Niederschlagung der Kämpfe in Deutschland, Bulgarien und Polen ließen die Arbeiterklasse in Russland noch isolierter zurück. Zwar gab es noch einige „Nachhutgefechte“, von denen die Kämpfe 1927 in China besonders herausragen, dennoch brach eine lange Ära der Konterrevolution an, die erst mit der Wiederbelebung der Kämpfe 1968 durchbrochen werden sollte.
Die Komintern sollte sich als unfähig erweisen, die wirklichen Lehren aus den Ereignissen in Deutschland zu ziehen.
Die Unfähigkeit der Komintern und der KPD, die wahren Lehren zu ziehen
Auf dem 5. Weltkongress der Komintern 1924 richteten die Komintern und die KPD ihre Hauptkritik darauf, dass die KPD die Taktik der Einheitsfront und der Arbeiterregierung „falsch“ ausgelegt habe. Zu einer grundsätzlichen Verwerfung dieser Taktik kam es nicht.
Die KPD trug sogar dazu bei, die SPD von ihrer Verantwortung bei der Niederlage weißzuwaschen, als sie behauptete: „Man kann ohne Übertreibung sagen: die heutige deutsche Sozialdemokratie ist tatsächlich nur noch ein lockeres Gefüge schlecht untereinander verbundener Organisationen mit grundverschiedener politischer Einstellung.“
Sie blieb ihrer opportunistischen und verheerenden Politik gegenüber der verräterischen Sozialdemokratie treu: „Der ständige kommunistische Druck auf die Zeigner-Regierung und den sich mit ihr herausbildenden linken Flügel der SPD werde die Zersetzung der SPD bringen. Es kam darauf an, unter unserer Führung den Massendruck auf die sozialdemokratische Regierung zu steigern, zu verschärfen und die sich herausbildende sozialdemokratische linke Führergruppe im Zuge einer großen Bewegung vor die Entscheidung zu stellen, entweder mit den Kommunisten gemeinsam den Kampf gegen die Bourgeoisie einzuleiten, oder sich zu demaskieren und damit die letzte Illusion der sozialdemokratischen Arbeitermassen zu vernichten.“ (9. Parteitag, April 1924)
Seit dem 1. Weltkrieg ist die SPD vollends in den Staat integriert. Diese Partei, der schon soviel Blut aus dem 1. Weltkrieg und der Niederschlagung der Kämpfe an den Fingern klebte, befand sich keineswegs in einem Zersetzungsprozess. Im Gegenteil, als ein Teil des Staatsapparates konnte sie weiterhin einen großen Einfluss auf die Arbeiter ausüben. Dies musste auch Sinowjew im Namen der Komintern feststellen: „Aber den ‘linken’ Sozialdemokraten, (...) die in Wahrheit der schmutzigen, gegenrevolutionären Politik der rechten Sozialdemokraten nur zur Verhüllung dienen - ihnen glaubt ein erheblicher Teil der Arbeiter immer noch.“
Die Geschichte hat seitdem immer wieder bewiesen, dass es nicht möglich ist, eine Partei, die verraten und ihr Klassenwesen geändert hat, zurückzuerobern. Der Versuch, mit Hilfe der SPD die Arbeiterklasse zu führen, war damals schon ein Zeichen der opportunistischen Entartung der Komintern gewesen. Denn während Lenin in seinen Aprilthesen 1917 die Unterstützung der Kerenski-Regierung abgelehnt und die schärfstmögliche Abgrenzung von der Provisorischen Regierung verlangt hatte, bestand die KPD im Oktober 1923 auf überhaupt keiner Abgrenzung und trat bedingungslos in die Regierung mit der SPD ein. Anstatt die Arbeiter zu mobilisieren, hat der Regierungseintritt der KPD sie vielmehr eingeschläfert. Die politische Entwaffnung der Arbeiterklasse und die Repression durch die Reichswehr wurden erleichtert. Eine Aufstandsbewegung kann nur vorankommen, wenn es der Arbeiterklasse gelingt, ihre Illusionen über die bürgerliche Demokratie zu überwinden. Und die Revolution kann nur siegen, wenn die Kräfte, die bürgerliche Demokratie verteidigen, zerschlagen werden.
1923 hat die KPD nicht nur nicht die bürgerliche Demokratie bekämpft, sondern sie hat die Arbeiter gar zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie aufgerufen.
Insbesondere hinsichtlich der SPD stand die KPD im eklatanten Gegensatz zu den Positionen der Komintern, die auf ihrem Gründungskongress diese Partei als den Henker der Revolution in Deutschland 1919 gebrandmarkt hatte.
Später beharrte die KPD nicht nur auf ihren Fehlern, sondern sie erwies sich auch als Vorreiter des Opportunismus. Unter allen Parteien der Komintern wurde sie zu deren treuesten Vasall. Nicht nur war sie zum Vorreiter bei der Einführung der Einheitsfront und Arbeiterregierung geworden, sondern sie setzte auch als erste die Politik der Fabrikzellen und der Bolschewisierung um, die von Sinowjew und Stalin befürwortet wurde.
Durch die Niederlage der Arbeiterklasse in Deutschland erhielt der Stalinismus gewaltigen Auftrieb.
International, aber auch in Russland konnte die Bourgeoisie ihre Offensive fortsetzen und die furchtbarste Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse einleiten, unter der sie je gelitten hat. Der russische Staat wurde nach 1923 von den anderen kapitalistischen Staaten und dem Völkerbund völkerrechtlich anerkannt.
1917 hatte die erfolgreiche Machtergreifung der Arbeiterklasse in Russland den Auftakt gebildet für die Auslösung einer weltweiten revolutionären Welle. Das Kapital hatte jedoch den Erfolg der Revolution in den Schlüsselländern, allen voran in Deutschland, verhindern können.
Die Lehren hinsichtlich der erfolgreichen Machtergreifung im Oktober 1917 in Russland wie des Scheiterns der Revolution in Deutschland – und insbesondere die Lehren darüber, wie es der Bourgeoisie gelang, den Sieg der Revolution zu vereiteln, über die Folgen, die daraus für die internationale Dynamik der Kämpfe entstanden und über die daraus resultierende Entartung der Revolution in Russland – all diese Elemente sind ein Bestandteil ein und derselben historischen Erfahrung der Arbeiterklasse.
Damit eine nächste revolutionäre Welle sich entfalten kann und die nächste Revolution erfolgreich ist, muss die Arbeiterklasse sich diese unschätzbare Erfahrung unbedingt aneignen. Dv.
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i Siehe die beiden vorherigen Artikel in Internationale Revue Nr. 17 und 18.
ii Die SPD war die größte Arbeiterpartei vor 1914; im August 1914 verriet die Führung der SPD – mit der Reichstagsfraktion und den Gewerkschaftsführern an der Spitze – alle internationalistischen Prinzipien der Partei. Die Führung schloß sich voll dem Lager des nationalen Kapitals als Rekrutierungskraft für das imperialistische Abschlachten an.
iii Zu welchem unverantwortlichen Verhalten man sich hinreißen lassen kann, wenn man keine klare Analyse hat, zeigte 1980 die CWO. Sie forderte zur Zeit der Massenkämpfe in Polen: ‘Revolution Now’!
iv Die „Unabhängige Sozialistische Partei Deutschlands“ war eine zentristische Abspaltung von der SPD, welche deren offensichtlichsten bürgerlichen Auffassungen zwar verwarf, jedoch unfähig war, eine klare internationalistische, kommunistische Haltung einzunehmen. 1917 war der Spartakusbund der USPD mit der Absicht beigetreten, so seinen Einfluss in der Arbeiterklasse, welche durch die Politik der SPD zunehmend angewidert war, zu verstärken.
v „Internationale Kommunisten Deutschlands“. Vor dem 23. November 1918, als sie in Bremen beschlossen, das Wort Sozialisten durch Kommunisten zu ersetzen, auch bekannt als „Internationale Sozialisten Deutschlands“. Diese Gruppe war kleiner als der Spartakusbund und besaß auch weniger Einfluss, teilte jedoch deren revolutionäre internationalistische Positionen. Die IKD waren Mitglied der Zimmerwalder Linken und stand der Internationalen Kommunistischen Linken sehr nahe, vor allem der Holländischen Linken (Pannekoek und Gorter gehörten vor dem Krieg zu ihren Theoretikern) und der Russischen Linken (Radek war einer ihrer Genossen). Ihre Ablehnung der Gewerkschaften und des Parlamentarismus stand am Gründungsparteitag der KPD gegenüber der Position von Rosa Luxemburg in der Mehrheit.
vi Die Revolutionären Obleute waren ursprünglich zum grössten Teil in Betrieben gewählte Gewerkschaftsdelegierte, welche mit den sozialchauvinistischen Gewerkschaftsführungen gebrochen hatten. Sie waren ein direktes Produkt des Widerstandes der Arbeiterklasse gegen den Krieg und gegen den Verrat der Gewerkschaften und sog. “sozialistischen“ Parteien. Leider führte ihr Kampf gegen die Gewerkschaftsführungen zu einem generellen Misstraunen gegenüber zentralisiertem Handeln, und sie entwickelten lokalistische und auf Betriebe reduzierte Standpunkte. Sie waren in politischen Fragen oft sehr schwankend und neigten zu Auffassungen der USPD.