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Weltrevolution Nr. 72

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1984-85: Lehren aus dem britischen Bergarbeiterstreik

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Zehn Jahre sind seit dem Ende des britischen Bergarbeiterstreiks vergangen. Zehn Jahre, in denen die meisten Bergarbeiter arbeitslos gewor­den sind, die Bergarbeitersiedlungen noch weiter den Auswirkungen des gesellschaftlichen Zerfalls, der wachsenden Kriminalität, der Drogensucht und dem Zerbröckeln der Klassensolidarität ausgesetzt wurden, und in denen das kapitalistische Motto ‘Jeder für sich’ verbreitet wurde. 10 Jahre nach dem britischen Bergarbeiterstreik will die herrschende Klasse uns die Botschaft eintrichtern: ‘der Kampf lohnt sich nicht’. Um aber die Bedeutung des Bergarbeiterstreiks wirklich zu begreifen, müssen wir die Lüge verwerfen, derzufolge es sich damals um einen Kampf zwischen Gewerkschaften und den Tories gehandelt habe, zwischen Thatcher und A. Scargill (dem Bergarbeitergewerkschaftsführer). Statt dessen müssen wir den Kampf als eine Auseinandersetzung zwischen der Arbeiterklasse und der gesamten Bourgeoisie auffassen, wobei die Arbeiter auch und vor allem mit dem linken Flügel des Kapitals und den Gewerkschaften zusam­menprallten.

Die Dynamik des Bergarbeiterstreiks

Der Bergarbeiterstreik, der im Frühjahr 1984 ausbrach, fing nicht unter der Kontrolle der Ge­werkschaften an. ‘Anfangs dehnte sich der Streik als ein wilder Streik aus, als Bergarbeiter in Schottland und Wales fliegende Streikposten bildeten, um die Bergarbeiter anderer Bergwerke aufzurufen, sich ihrem Kampf gegen die Zechen­stillegungen anzuschließen.’ (aus unserer Zeitung in Großbritannien, ‘World Revolution’ Nr. 128) Die Bergarbeitergewerkschaft NUM lief den Arbeitern einige Tage hinterher; erst nachdem sie den Streik für offiziell erklärt hatte, konnte sie ihn unter ihre Kontrolle bringen.

Der Bergarbeiterstreik trug viele typische Züge der internationalen Kampfwelle, die 1983 in Bel­gien begonnen hatte. In dieser Kampfwelle zeich­neten sich die Kämpfe durch eine Reihe von Ei­genschaften aus, die eine Reifung des Klassenbe­wußtseins der Arbeiterklasse widerspiegelten:

‘- eine Tendenz zum Auftauchen von spontanen Bewegungen, die eine gewisse Überwindung der Gewerkschaften zeigten;

- eine Tendenz hin zu breitgefächerten Massen­bewegungen,

- eine wachsende Gleichzeitigkeit von Kämpfen auf internationaler Ebene,

- einen langsamen Rhythmus der Entfaltung der Kämpfe’ (‘International Review’, engl. Ausgabe, Nr. 38)

Binnen einer Woche dehnte sich der Streik auf die meisten Zechen und auf Nottingham aus. Und als Bergarbeiterstreikposten zu den Kraftwerken und den Werften zogen, um die Solidarität dieser Arbeiter einzufordern, schien eine noch größere Ausdehnung wahrscheinlich. Die Gewerkschaften konnten dies jedoch verhindern, indem sie die ganze Aufmerksamkeit auf die noch arbeitenden Bergarbeiter lenkten. Im Juli 1984 stand die Frage der Ausdehnung des Kampfes jedoch wieder auf der Tagesordnung, als die Hafenarbeiter ebenfalls in den Streik traten: ‘Dies änderte die Lage voll­kommen; es gab nunmehr ein wirkliches Potential dafür, daß die beiden Kämpfe sich miteinander verbinden würden. Davor hatte die herrschende Klasse am meisten Angst, denn wenn die Bergar­beiter und die Docker sich vereinigt hätten, hätte das ein Beispiel für die ganze Klasse gesetzt’ (‘World Revolution’ Nr. 128).

Die Frage der Ausdehnung trat zwar weniger deutlich, aber dennoch ebenfalls im November auf, als die Automobilarbeiter streikten. Jedoch war zum damaligen Zeitpunkt schon die aufwärtsstre­bende Bewegung der Bergarbeiter insbesondere hin zur Ausdehnung der Streiks, größtenteils von den Gewerkschaften gebrochen.

Der Streik räumte ebenfalls mit dem Mythos einer friedlichen britischen Demokratie auf. Statt dessen kam das wirkliche Gesicht der kapitalistischen Diktatur zum Vorschein. Straßen wurden im Süden Londons gesperrt, als Bergarbeiter aus der Grafschaft Kent nach Norden ziehen wollten, um die Bergarbeiter direkt vor Ort zu unterstützen. Unzählige Bergarbeiter wurden vor Gericht ge­zerrt, eingesperrt, ganze Gebiete wurden belagert.

Die wirklichen Errungenschaften des Streiks waren die Versuche der Ausdehnung und Vereini­gung und nicht die Dauer des Streiks. Indem die Arbeiter in die Falle eines langen und isolierten Streiks gelockt wurden, schaffte es die herr­schende Klasse, die Arbeiter zu besiegen.

Die Strategie der Bourgeoisie

Die herrschende Klasse hatte sich gut auf diesen Streik vorbereitet. Ein spezielles Regierungsko­mitee war eigens zur Überwachung eingesetzt, die Polizeieinsätze waren landesweit koordiniert, Absprachen wurden zwischen der Gewerkschaft der Docker und der der Kraftwerke getrof­fen, um gleichzeitige Aktionen zu vermeiden. Diese beiden Gewerkschaften sollten gleichzeitig die konservative Rolle übernehmen, während A. Scargill zum ‘radikalen Führer’ der Bergarbeiter­gewerkschaft erkoren wurde. Vor dem Streik wurden riesige Kohlehalden aufgehäuft, die für die Unternehmer als Reserve dienen sollten.

Die Bergarbeitergewerkschaft versuchte von Anfang an, die Bergarbeiter vom Rest der Klasse abzutrennen, indem Parolen ausgegeben wurden wie ‘Kohle statt Arbeitslosigkeit’ (‘Coal not Dole’) und ‘Verteidigt die Bergarbeiter’. Scargill redete lang und breit von Solidarität unter den Bergarbeitern, aber die vorgeschlagene Solida­rität war die von Geldsammlungen und Spenden an die Gewerkschaft. Passive Sympathie, um die Bergarbeiter dennoch im Kampf alleine dastehen zu lassen. Die Energien der Bergarbeiter sollten in sinnlosen Auseinandersetzungen mit der Polizei verpuffen, als die Arbeiter versuchten, die wenigen nicht streikenden Bergwerke mit Streikposten dichtzu­machen. Als die Hafenarbeiter im Juli in den Streik traten, betonte die Gewerkschaft der Hafenarbei­ter sofort, deren Streik habe nichts mit dem der Bergarbeiter zu tun. Beim Automobilarbeiterstreik im Herbst 85 genau das gleiche. Die ganze Blick­richtung des Streiks war immer mehr nur auf die Bergarbeiter gewandt, anstatt auf die ganze Arbei­terklasse.


Die Lehren ziehen

Der Bergarbeiterstreik brachte eine Niederlage und einen Rückschlag für die ganze Arbeiterklasse. Aber der Klassenkampf wurde damit nicht zu Boden geworfen. In Großbritannien kam es wei­terhin zu Arbeiterkämpfen, bei denen Teile der Klasse zeigten, daß sie angefangen hatten, die Lehren aus dem Bergarbeiterstreik zu ziehen. Im Februar 1988 gab es nicht nur gleichzeitig Kämpfe im Gesundheitswesen, im Bergbau, bei den Auto­mobil- und Fährbeschäftigten, sondern es gab auch wirkliche Versuche, die verschiedenen Bereiche zusammenzubringen. So zogen Krankenpfleger und Bergarbeiter zusammen als Streikposten zu den Ford-Beschäftigten. Im Juli 1989 gab es Kämpfe im öffentlichen Dienst, vor allem bei den Trans­portarbeitern. Die Frage des Zusammenschlusses, um die Isolierung zu vermeiden, war eine zentrale Sorge der Beschäftigten.

Das Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften wuchs zunehmend. Ähnliche Beispiele kann man aus anderen Ländern in Westeuropa nennen. Im Winter 1986 streikten in Frankreich Eisenbahner, die es satt hatten, sich durch die Sabotagetaktik der Gewerkschaften die Initiative entreis­sen zu lassen. Sie legten selbständig los, bildeten ein Streikkomitee. Die Gewerkschaften schafften es dann aber doch, eine Ausdehnung, einen Zusam­menschluß zwischen den verschiedenen Bereichen der Klasse zu verhindern, u.a. dadurch, daß sie jeweils das Streikkomitee unterwanderten und aushebelten. Im Dez. 1987 wehrten sich die Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen gegen die beabsichtigte Schließung des Werkes. Die Arbeiter griffen von Anfang an die Lehre aus dem britischen Bergarbeiterstreik auf und hoben hervor: ‘Wir wollen kämpfen, aber wir wollen nicht isoliert untergehen wie die britischen Bergar­beiter.’ Also erließ man einen Aufruf zur Beteili­gung aller Beschäftigten in Duisburg an ihrem Abwehrkampf. Zu Anfang der Bewegung im Dez. 87 gab es gemeinsame Vollversammlungen von Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen und Be­schäftigten aus Duisburg. Auch gab es erste Kon­taktaufnahmen zu Belegschaften aus anderen Städten. Bei diesem Streik jedoch -wie vorher schon in England und in Frankreich- waren die Gewerkschaften listig genug, den Arbeitern wieder die Initiative zu entreißen. Vor allem die Basisge­werkschaften und die linken Gruppierungen der Trotzkisten konnten den Arbeitern Fesseln anle­gen mit ‘Aktionstagen’ wie ‘Rheinhausen tote Stadt’, wo man alle Brücken und Verkehrsverbin­dungen lahmlegte, als ob so die Kampfkraft der Arbeiter wachse. Auf das Wirken dieser linken Kräfte - die von niemandem gewählt worden waren, sich aber immer geschickt an die Spitze der Bewegung zum Zweck ihrer Sabotage stellten -, ist es zurückzuführen, daß die Klassenbewegung Ende der 80er Jahre auf der Stelle trat.


Rückzug und Wiedererstarken des Klassen­kampfes

Der Zusammenbruch des Ostblocks und die Lügen vom angeblichen ‘Tod des Kommunismus’ be­wirkten einen tiefgreifenden Rückfluß sowohl der Kampfbereitschaft wie auch des Bewußtseins der Arbeiterklasse. Dadurch konnte nicht nur die Perspektive des Kommunismus als ‘vollkommen unrealistisch’ dargestellt werden, auch die Kon­trollkräfte im Dienste des Kapitals, die Gewerk­schaften, sind seitdem wieder im Aufwind und haben die wenigen Arbeiterkämpfe gut im Griff.

Zwar hat es seitdem Anzeichen einer wiedererstarkten Kampfbereitschaft gegeben, aber die Arbeiter­klasse hat sich noch nicht aus den Klauen der Gewerkschaften befreien können. Die objektive Lage, die massiven Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen wird die Arbeiterklasse immer wieder dazu zwingen, sich zu wehren und die Um­klammerung der Gewerkschaften infragezustellen. Um so wichtiger wird es deshalb bei der notwen­digen Wiederaufnahme der Kämpfe sein, daß sich die Arbeiter heute die Lehren aus dem Bergarbei­terstreik vor Augen halten: die Isolierung bedeutet den Tod einer jeden Bewegung. (Auf der Grundlage eines Artikels aus unserer Zeitung in Großbritannien ‘World Revolution’Nr. 186)


Die Konferenz von Zimmerwald

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Vorwort anlässlich des 100. Jahrestags der Zimmerwalder Konferenz

100 Jahre Zimmerwalder Konferenz: Was die Epigonen verschiedener Couleur daraus machen

Anlässlich des 100. Jahrestages der Zimmerwalder-Konferenz fand am 4. und 5. September in Zimmerwald eine Gedenkveranstaltung statt, die von einer beachtlichen Zahl von linken politischen Organisationen, Gewerkschaften, Stiftungen, Arbeitsgruppen und Bibliotheken organisiert und gesponsert wurde. Gleichzeitig hat der „Aufbau“, eine linksautonome Gruppierung mit maoistischem Einschlag aus der Schweiz, und eine stalinistische Gruppierung aus der Türkei, die MLKP, zu einer Gegenveranstaltung aufgerufen.

Für die Hauptveranstaltung wurde eine bunte Schar von Historikern, bekannten Politikern, wie Gregor Gysi von der Partei Die Linke oder der Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Christian Levrat, und weniger bekannten Politikern aus anderen Ländern eingeladen. Die offiziellen Organisatoren beriefen sich dabei auf Robert Grimm, auf seine „Friedenspolitik“ und zentristische Haltung. Lenin und der linke Flügel der damaligen Sozialdemokratie kritisierten schon damals resolut diese pazifistische, zentristische Haltung.

Der entscheidende Faktor zur Mobilisierung der Arbeiterklasse für den Ersten Weltkrieg war der Verrat durch die großen historischen Organisationen der Arbeiterklasse, Sozialdemokratie und Gewerkschaften, an der internationalistischen Tradition – sie riefen zum Krieg auf. Diese tragische Entwicklung spielte sich natürlich nicht ohne eine zähe Auseinandersetzung innerhalb der proletarischen Bewegung ab. Neben den offenen Kriegsbefürwortern aus den Reihen der alten Arbeiterorganisationen (dem „rechten“ Flügel der damaligen Arbeiterbewegung) und der klar internationalistischen Opposition (dem „linken“ Flügel) gab es aber vor allem einen schwankenden, unentschlossenen Teil (den so genannten Zentrum, die Zentristen), der seine Wurzeln in der proletarischen Bewegung hatte.

Ohne auf den eigentlichen Inhalt beider Veranstaltungen einzugehen, möchten wir hier lediglich einige Worte über den politischen Charakter sowohl der Organisatoren der „Gedenkveranstaltung“ als auch jener der Gegenveranstaltung verlieren. So verheerend die historischen zentristischen Strömungen in der Arbeiterklasse zur Zeit des Ersten Weltkrieges und danach auch waren, sie waren, wie wir bereits oben feststellten, noch immer im proletarischen Milieu verwurzelt. Dies kann man über die Veranstalter der heutigen Gedenkveranstaltungen beileibe nicht mehr sagen; ihre Wurzeln kann man ebenso wenig im proletarischen Milieu wie in einer degenerierenden, aber immerhin noch lebendigen Arbeiterorganisation verorten, so dass der historische Begriff des Zentrismus alles andere als zutreffend für sie ist.

Wann eine Arbeiterorganisation ins Lager der Bourgeoisie übergewechselt ist, kann man unter anderem am Verlust zweier wichtiger Eigenschaften einer solchen Organisation erkennen: die definitive, unumkehrbare Aufgabe des Internationalismus1 und das Entweichen jeglichen proletarischen Lebens aus der Organisation: „… eine Partei ist definitiv für die Arbeiterklasse verloren, wenn keine Tendenz, kein lebendiger (proletarischer) Körper mehr aus ihr entstehen kann. Das war 1921 bei den sozialistischen Parteien der Fall; dies war Anfang der 30er Jahre bei den Kommunistischen Parteien der Fall. Es ist also richtig, bis zu jenen Jahren von zentristischen Organisationen zu sprechen.“2

Anders gesagt: erst wenn es nicht mehr möglich ist, proletarische Positionen innerhalb einer (degenerierenden) proletarischen Partei zu vertreten, ist sie definitiv zum Klassenfeind übergegangen.

Ein Wort zu den Organisatoren der angesprochenen Gegenveranstaltung, zum „Aufbau“ und zur MLKP: Entgegen ihres Selbstverständnisses als „revolutionäre Alternative“ muss man festhalten, dass solche Gruppierungen weder zentristisch oder gar revolutionär sind oder je waren. Teil ihres genetischen Codes ist ihr politischer und praktischer Rückgriff auf das stalinistisch-maoistisches Erbe der Konterrevolution, das Ausdruck der fürchterlichen Degeneration der Kommunistischen Internationale war. Es ist nur logisch, wenn diese vom Stalinismus inspirierten Gruppierungen neuerdings in ihrer Presse Stimmung machen für die Unterstützung der YPG in Kurdistan. Eine Kostprobe gefällig? „Rojava hat gezeigt, dass wenn man eine Revolution aufbauen und verteidigen will, in diesem Fall im mittleren Osten, es eine bewaffnete Organisation braucht, eine Führung und eine Partei, die erfolgreich diese [Revolution] organisiert. Das beste Beispiel ist mit der Organisation YPG/YPJ gegeben.“3

Die von der MLKP so gerühmten YPG/YPJ schrecken offensichtlich nicht davor zurück, sowohl mit den früher von den „Antiimperialisten“ zum imperialistischen Hauptfeind erklärten USA zusammen zu kämpfen als auch ganz allgemein dazu aufrufen, mit allen „demokratischen Kräften“ eine Einheitsfront zu bilden. In einem ihrer Kommuniqués verkünden diese famosen Revoluzzer: „Die Rolle, die die französische Regierung gegen den Terrorismus einer Daesh (ISIS) spielt, ist die eines entscheidenden Unterstützers der Anstrengungen vor Ort. Wir unterstützen völlig das Volk und die französische Regierung in ihrem Kampf gegen den Terror.“ (Generalkommando der Volksverteidigungskräfte, YPG; 14. November, 2015)

Wie in den 30er Jahren dient das Gefasel von der Einheitsfront gegen den Terrorismus, das Propagieren einer klassenübergreifenden Ideologie, den herrschenden Klassen als Gelegenheit, die Ausgebeuteten für ihre niederen Interessen gegeneinander aufzuhetzen. Hier gilt es darauf zu beharren, dass es allein die Kommunistische Linke ist, die die politische Kontinuität der Zimmerwalder-Konferenz von 1915 aufrechterhalten hat, die das Erbe des linken internationalistischen Flügels angetreten hat, der sich damals in der Auseinandersetzung mit Zentristen und rechten Sozialdemokraten herausgeschält hatte. In einer schwer durchschaubaren Weltlage gegen alle Fraktionen der Bourgeoisie zu kämpfen, gegen den Strom zu schwimmen, falls erforderlich, ist eine der Hauptaufgaben der Kommunistischen Linken. Die Zuspitzung der kriegerischen Konflikte wie in Syrien und der Ukraine und die zunehmenden Spannungen zwischen den Großmächten erfordern eine klare proletarische Haltung gegen den Krieg, gerade angesichts der zunehmenden Kriegshysterie der Herrschenden und ihrer Medien nach den Anschlägen in Paris.

Die Kommunistische Linke und die internationalistischen Kräfte aus dem anarchistischen Lager müssen die historischen Prinzipien der Arbeiterklasse aufrechterhalten und gegen alle Angriffe von linken- oder linksextremen Fraktionen der Bourgeoisie verteidigen – wie es 1915 die Zimmerwalder-Linke tat. Darum ist wichtig, sich mit Zimmerwald und den Kampf gegen die Degeneration alter Arbeiterparteien auseinanderzusetzen: „Zum ersten Mal hatte eine politische Organisation der ArbeiterInnen nicht nur die Interessen der Arbeiterklasse verraten, sie wurde darüber hinaus zu einer der wirksamsten Waffen in den Händen der kapitalistischen Klasse, um den Krieg zu entfesseln und die Arbeiterrevolte gegen den Krieg zu zerschmettern. Die Lehren aus der Degeneration der Sozialdemokratie bleiben somit kreuzwichtig für die heutigen Revolutionäre.“4

1 Plattform der IKS, Punkt 13: Dies war der Fall bei der II. Internationale, als die großen ihrer Parteien, befallen vom Geschwür des Opportunismus und Zentrismus, mit dem Ausbruch des I. Weltkriegs (der den Tod der II. Internationale manifestierte) mehrheitlich dazu verleitet wurden, die Politik der „nationalen Verteidigung“ zu praktizieren. Dies geschah unter der Führung der sozialchauvinistischen Rechten, die sich zu diesem Zeitpunkt ins Lager der Bourgeoisie gesellte

2(Int. Revue Nr. 152, Engl.; The centrist currents in the political organisations of the proletariat, S. 21, 3. Spalte, zweitletzter Abschnitt): https://en.internationalism.org/international-review/201508/13354/zimmer... [1]

3https://www.aufbau.org/index.php/53-schlagzeilen2/2091-mlkp-rojava-gruss... [2]

4https://de.internationalism.org/internationalerevue/1914-wie-der-deutsch... [3]

Vorwort und Artikel zum 80. Jahrestag der Zimmerwalder Konferenz

Vor 80 Jahren fand im September 1915 in Zimmerwald die erste internationale sozialistische Konferenz gerade ein Jahr nach dem Beginn des 1.Weltkrieges statt. Dieses Ereignis wieder aufzugreifen, heißt nicht nur, eine Seite der Geschichte wieder aufzuschlagen, sondern die immer noch gültige Hauptlehre dieser Konferenz hervorzuheben: Der Kampf des Proletariats gegen den Krieg ist untrennbar mit seinem Kampf gegen die Ausbeutung verbunden. Der Kampf gegen den Krieg erfordert die Überwindung des Kapitalismus. Bei diesem Kampf tragen die Revolutionäre eine entscheidende Verantwortung für die Orientierung dieses Kampfes hin auf eine revolutionäre Perspektive. Auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Zunahme der kriegerischen Konflikte, der Verschärfung der Kriegspropaganda der Großmächte, die eine immer größere Barbarei hervorrufen, ist es wichtig, daß der Geist und die Lehren von Zimmerwald von der Arbeiterklasse heute wieder aufgegriffen werden.

Der Kriegsbeginn und die Auswirkungen auf die Arbeiterklasse und die Arbeiterorganisationen

Zimmerwald war die erste Reaktion der Arbeiterklasse gegenüber dem Abschlachten im 1.Weltkrieg. Das Echo, das von Zimmerwald ausging, ließ unter Millionen von Arbeitern Hoffnung aufkommen, die von den Schrecken des Krieges geplagt waren. Die Auslösung des 1.Weltkrieges am 4.August 1914 war eine bis dahin nie dagewesene Katastrophe für die Arbeiterbewegung. Neben einer unaufhörlichen nationalistischen ideologischen Bombardierung der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie war das entscheidende Element, das die Arbeiterklasse mit in den Krieg getrieben hatte, der Verrat des größten Teils der sozialdemokratischen Arbeiterparteien. Die parlamentarischen Fraktionen stimmten meist für die Kriegskredite im Namen der nationalen Einheit und trieben damit die Arbeitermassen dazu, sich gegenseitig im Interesse der imperialistischen Mächte abzuschlachten. Die Gewerkschaften stimmten einem Burgfrieden von Anfang an zu. Was vorher der ganze Stolz der Arbeiterklasse gewesen war, die 2.Internationale, ging in den Flammen des Weltkrieges auf, nachdem die bedeutendsten Parteien der 2.Internationalen, ein Großteil der Sozialdemokratie in Deutschland, wie auch die französische sozialistische Partei Verrat begangen hatten. Obgleich sie schon vom Reformismus und Opportunismus befallen war, hatte die 2.Internationale unter dem Einfluß der revolutionären Minderheiten, insbesondere der deutschen Linken und der Bolschewiki, sich früh gegen die Kriegsvorbereitungen und die Kriegsgefahr ausgesprochen. So hatte die 2.Internationale 1907 auf dem Stuttgarter Kongreß wie auch auf dem Baseler Kongreß 1912 und bis hin in die letzen Julitage 1914 ihre Stimme gegen die Kriegspropaganda erhoben und die militaristischen Ambitionen der herrschenden Klasse entblößt. Mit dem Verrat am 4.August 1914 jedoch wurden Jahrzehnte der Aufbauarbeit und der Bemühungen der Revolutionäre mit einem Schlag vernichtet. Aber die revolutionäre Minderheit, die dem Prinzip des proletarischen Internationalismus treu geblieben war und dieses Prinzip weiterhin unnachgiebig verteidigte, und die zuvor schon jahrelang gegen den Opportunismus in der 2.Internationalen und ihrer Parteien angekämpft hatte, leistete Widerstand. An führender Stelle in diesem Kampf standen:

  • In Deutschland die 'Gruppe Internationale', die von 1914 an um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gebildet wurde, die Zeitung 'Lichtstrahlen', sowie die Bremer Linke.
  • die Bolschewiki in Rußland und im Exil
  • In Holland die tribunistische Partei um Gorter und Pannekoek.
  • In Frankreich ein Teil der revolutionären Syndikalisten um Rosmer und Monatte.
  • In Polen die SDKPiL

Eine andere Strömung, die schwankte und zögerte und als zentristisch zu bezeichnen ist, nahm ebenfalls einen Aufschwung. Sie schwankte zwischen einer Haltung, wo heute zur Revolution und morgen zu einer pazifistischen Position aufgerufen wurde. Ihr gehörten z.B. die Menschewiki, die Gruppe Martow, die italienische sozialistische Partei)an. Einige unter ihnen suchten sich mit den sozialchauvinistischen Verrätern zu verbünden. Die revolutionäre Bewegung fing also den Kampf gegen den imperialistischen Krieg mittels einer schrittweisen Auseinandersetzung mit diesen Strömungen an und bereitete so die Bedingungen für die unvermeidbare Spaltung innerhalb der sozialistischen Parteien und die Bildung einer neuen Internationalen vor.

Die Konferenz von Zimmerwald

Auf der Tagesordnung stand also, die internationale Umgruppierung der Revolutionäre voranzutreiben. Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurden erste internationalistische Kontakte hergestellt zwischen den verschiedenen internationalistischen Stimmen, die den Sozialpatrioten nicht gefolgt waren. Vor allem in Deutschland wurde der Kampf gegen den Krieg am stärksten vorangetrieben. Liebknecht stimmte als einziger am 2.Dezember 1914 offen gegen die Kriegskredite. Andere Abgeordnete sollten ihm im Jahre 1915 mit der Ablehnung der Kriegskredite im Reichstag folgen. Die Aktivität der Arbeiterklasse gegen den Krieg wurde so durch die Reaktion der Arbeiterparteien ermuntert und erhielt eine Orientierung für die Auseinandersetzung in den Fabriken und bei den Demonstrationen. Die Grauen des Krieges mit den unzähligen Toten, nicht zuletzt in den Grabenkriegen, die Verstümmelung an der Front, die Zunahme der Armut hinter der Front, all das ermöglichte immer mehr Arbeitern die Augen über die Wirklichkeit des Krieges zu öffnen und sie aus dem nationalistischen Getaumel herauszuführen. Ab März 1915 gab es in Deutschland die ersten Demonstrationen gegen den Krieg, die von Frauen getragen wurden, welche zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gesteckt worden waren. Im Oktober 1915 kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten. Im November 1915 demonstrierten ungefähr 15.000 gegen den Krieg in Berlin. Der Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Krieg nahm aber auch in anderen Ländern, so in Österreich, in Großbritannien und in Frankreich zu. Dieses Wiedererstarken des Klassenkampfes, wie auch die Aktivität der Revolutionäre selbst sollte die Voraussetzung dafür liefern, daß unter den schwierigsten Bedingungen Propaganda gegen den Krieg betrieben werden konnte. Vom 5. bis 8. September 1915 konnte so schließlich die Konferenz von Zimmerwald in der Nähe von Bern abgehalten werden, an der sich 37 Delegierte aus 12 europäischen Ländern beteiligten. Diese Konferenz sollte das Symbol des Wiedererwachens des internationalen Proletariats werden, das bis dahin unter dem Kriegstrauma gelitten hatte. Diese Konferenz sollte zu einer entscheidenden Etappe auf dem Weg hin zur russischen Revolution und der Gründung der 3.Internationalen werden. Das von der Konferenz verabschiedete Manifest ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den verschiedenen Tendenzen. Die Zentristen traten zwar für die Beendigung des Krieges ein, aber sie vertraten noch eine pazifistische Auffassung, ohne die Notwendigkeit der Revolution hervorheben. So prallten sie auf's heftigste mit dem linken Flügel zusammen, der von der 'Gruppe Internationale', den Bremer Linken und den Bolschewiki vertreten wurde, die klar die Verbindung zwischen Krieg und Revolution zur zentralen Frage machten. Lenin kritisierte diese pazifistische Ausrichtung und hob die Tatsache hervor, daß der Krieg mit den Methoden der Pazifisten nicht bekämpft werden kann. Diese Kritik bezog sich auch auf das Manifest, bei dem Lenin kritisierte, daß die Forderung nach Frieden nichts Revolutionäres bedeute, sondern daß diese erst dann revolutionär werde, wenn er mit dem Aufruf zur Revolution, dem Kampf gegen die kapitalistische Klasse verbunden wird. Mit anderen Worten die einzige Parole in der imperialistischen Epoche muß sein: Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg. Trotz dieser Schwächen betrachtete die Linke, ohne ihre Kritik aufzugeben, das Manifest als einen Schritt vorwärts hin zum wirklichen Kampf gegen den Opportunismus, hin zum Bruch und zur Spaltung. Aber das Manifest von Zimmerwald sollte eine gewaltige Ausstrahlung in der Arbeiterklasse und unter den Soldaten haben. Mit der Intensivierung der Kämpfe in den verschiedenen Ländern und dem bedingungslosen Kampf des linken Flügels, um eine Klärung innerhalb der Reihen der Zentristen herbeizuführen, sollte die 2.Internationale Konferenz, die im März 1916 in Kienthal stattfand, eine Position einnehmen, die radikaler war und einen klaren Bruch mit den pazifistischen Formulierungen mit sich brachte. Die Intensivierung des Klassenkampfes in Deutschland wie auch in Italien im Jahre 1917, vor allem aber der Ausbruch der Revolution in Rußland, der der erste Schritt hin zur Weltrevolution war, brachte aber auch das Ende der Zimmerwalder Bewegung, die alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hatte. Von nun an war die einzige Perspektive die Schaffung einer neuen Internationalen, die - sich stützend auf die langsame Reifung des revolutionären Bewußtseins sowie auf die Bildung von konsequenten kommunistischen Parteien und in Erwartung des Ausbruchs der Revolution in Deutschland - im März 1919 eineinhalb später gegründet wurde. So hatte ungeachtet ihrer Schwächen die Bewegung von Zimmerwald eine entscheidende Bedeutung in der Geschichte der revolutionären Bewegung: Sie war das Symbol des proletarischen Internationalismus, sie stellte das Banner des Proletariats im Kampf gegen den Krieg und für die Revolution dar. Zimmerwald war insofern so etwas wie eine Brücke zwischen der 2. und der 3. Internationalen.

Die Lehren für heute

Eine der größten Lehren aus Zimmerwald, die gerade in der heutigen Zeit der Zuspitzung der Spannungen und der Verschärfung der imperialistischen Konflikte weiterhin gültig ist, ist die Erkenntnis der Tatsache, daß der Krieg für die Arbeiterklasse eine herausragende Bedeutung hat. Genauso wie der Kampf gegen die Ausbeutung ist der Kampf gegen den Krieg und die Kriegsbestrebungen der Bourgeoisie überhaupt ein integraler Bestandteil des Klassenkampfes. Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, daß der Krieg die Arbeiterklasse immer zum Hauptopfer macht. Der Krieg ist nicht einfach ein Wahnsinn im Kapitalismus. Sondern er ist ein Teil des normalen Funktionierens des Kapitalismus und in der Niedergangsphase ist er gar zu seiner Überlebensform geworden. Die reformistische Illusion eines Kapitalismus ohne Krieg kann für die Arbeiterklasse tödlich sein. Von den unüberwindbaren Widersprüchen in die Enge getrieben, von einer Wirtschaftskrise gepackt, die auf Grund der weltweiten Sättigung der Märkte keine Lösung finden kann, sind die verschiedenen nationalen Fraktionen der Bourgeoisie dazu gezwungen, sich gegenseitig auf das heftigste zu bekämpfen, um ihren Anteil am Kuchen zu haben, um dabei den anderen ihre Teile zu entreißen. Dabei ist der Krieg zu einer zentralen Tätigkeit der Gesellschaft geworden. Im Krieg stehen heute immer mehr die Auseinandersetzungen um strategische Positionen im Vordergrund. Deshalb ist der Glaube, man könne für die Verbesserung der Lebensbedingungen und für den Frieden als solchen eintreten, ohne die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft selbst anzukratzen, ein gefährlicher Trugschluß. Ohne die Perspektive eines massiven politischen revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse gibt es keinen wirklichen Kampf gegen den kapitalistischen Krieg. Der Pazifismus ist eine reaktionäre Ideologie, die dazu benutzt wird, die Unzufriedenheit und die Revolte des Proletariats gegen den Krieg in bestimmte Bahnen zu lenken, damit dessen Widerstand gegen den Krieg verpufft. Wenn die Arbeiterklasse in die Falle der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie läuft und meint, sie müßte mit ihren Ausbeutern eine gemeinsame Front aufbauen, in ein nationales Bündnis eintreten, wird sie nur in eine noch größere Barbarei hineingezogen werden. SB

Aktuelles und Laufendes: 

  • Internationalismus [4]

Historische Ereignisse: 

  • Erster Weltkrieg [5]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Zimmerwalder Bewegung [6]

Rubric: 

Verteidigung des internationalistischen und organisatorischen Erbes

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Links
[1] https://en.internationalism.org/international-review/201508/13354/zimmerwald-and-centrist-currents-political-organisations-proletari [2] https://www.aufbau.org/index.php/53-schlagzeilen2/2091-mlkp-rojava-grussbotschaft-zu-zimmerwald [3] https://de.internationalism.org/internationalerevue/1914-wie-der-deutsche-sozialismus-dazu-kam-die-arbeiterinnen-zu-verr#_ftnref52 [4] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/internationalismus [5] https://de.internationalism.org/en/tag/historische-ereignisse/erster-weltkrieg [6] https://de.internationalism.org/en/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/zimmerwalder-bewegung