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Internationale Revue Nr. 4

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Umgruppierung der Revolutionäre:

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2. Internationale Konferenz

Ende 1978  fand eine internationale Konferenz von Gruppen statt, die sich auf die Kommunistische Linke berufen. Die Durchführung dieser Konferenz war von der 1. Mailänder Konferenz beschlossen worden, die von der Partito Comunista Internazionalista (Battaglia Comunista) organisiert worden war und an der die Internationale Kommunistische Strömung (IKS) teilgenommen hatte. Auf der Tagesordnung dieser Konferenz standen: 1) die gegenwärtige Krise und die Perspektiven; 2) die Frage der nationalen Befreiungskämpfe; 3) die Parteifrage. Zwei Broschüren, in denen die Korrespondenz zwischen den Gruppen, die Vorbereitungstexte für die Konferenz und das Protokoll der Debatten enthalten sind, werden demnächst veröffentlicht. Der wichtigste Schritt dieser Konferenz war die Erweiterung des Kreises der teilnehmenden Gruppen: So haben neben der IKP (BC) und der IKS die Communist Workers' Organisation (CWO) aus  Großbritannien, der Nucleo Communista Internazionalista  (NCI) aus Italien, die Marxist Study Group (För Kommunismen) aus Schweden teilgenommen. Zwei weitere Gruppen hatten ihre Zustimmung für die Teilnahme gegeben, konnten aber aus verschiedenen Gründen nicht an der Konferenz teilnehmen: Organisation Communiste Revolutionaire Internationaliste d'Algerie (Travailleurs Immigres en lutte) und Il Leninista aus Italien. Die letztgenannte Gruppe hatte der Konferenz Beiträge geschickt, die in der Broschüre über die Konferenz erscheinen werden. Der Ferment Ouvrier Revolutionaire (FOR) aus Frankreich und Spanien hat die Konferenz zu Beginn verlassen und somit nicht an den  Debatten teilgenommen; andere eingeladene Gruppen haben sich geweigert, teilzunehmen.[1] [1]

Wir veröffentlichen hier einen Artikel, der sich dem vorausgehenden Artikel in der Internationalen Revue Nr. 16 (englisch, französisch, spanisch, 1. Trimester 1979) anschließt, welcher hauptsächlich den Gruppen gewidmet war, die ihre Teilnahme verweigert hatten. Der jetzige Artikel ist eine Antwort auf bestimmte Punkte, die in Artikeln der CWO (Revolutionary Perspectives Nr. 12) und der IKP-BC (Nr. 16, 1978) zur Konferenz angesprochen wurden, und stellt die IKS-Resolutionen vor, deren Verabschiedung von der Konferenz verweigert wurde, um die Hauptpunkte der Intervention der IKS auf der Konferenz in Erinnerung zurückzurufen.

In dem Artikel über die 2. Internationale Konferenz in der Internationalen Revue Nr. l6 (engl., franz., span. Ausgabe) haben wir erläutert, welchen Stellenwert wir der Diskussion zwischen den revolutionären Gruppen beimessen, und darüber hinaus die Argumente jener zurückgewiesen, die sich weigerten, an der Konferenz teilzunehmen. Wir haben insbesondere auf der Tatsache bestanden, dass diese Gruppen eine zutiefst sektiererische Haltung an den Tag legten. Für die IKS ist diese Haltung ein Hindernis auf dem Weg zu einer Klärung, die unerlässlich in der Arbeiterbewegung ist, da es ohne die Konfrontation von Positionen keine Möglichkeit zur Klärung gibt.

Wir kommen auf diese Frage zurück, um gewisse Positionen, die von Battaglia Comunista und der CWO über die Teilnahme an der Konferenz zum Ausdruck gebracht worden waren, zu berichtigen. In diesen Positionen wird die IKS vollmundig als „opportunistisch“ (1) bezeichnet, und es wird geleugnet, dass es ein Problem  des Sektierertums gibt. Somit ist es notwendig, den Sachverhalt richtigzustellen. Wir werden dann kurz unsere Ansichten über den Inhalt der Diskussionen darreichen, um die Bedeutung zu unterstreichen, die wir der politischen  Debatte beimessen, entgegen der Anschuldigung unserer Gegner, denen zufolge wir dies als zweitrangig abtun.

Schließlich werden wir erläutern, warum wir der Konferenz die Resolutionen über die Tagesordnungspunkte vorgeschlagen haben.

Woher kommt das Sektierertum?

Battaglia Comunista (BC) unterstellt uns „die opportunistische Absicht, wichtige  prinzipielle Divergenzen zu verschleiern, um alle möglichen Gruppen zusammenzubringen; Gruppen, die eigentlich ziemlich weit voneinander entfernt sind.“  BC unterstellt uns, dass wir uns hinter unserer Kritik am „Kapellengeist“ verstecken, um politische Divergenzen zu übertünchen. Wiederholen wir es: Wir verschleiern keine politischen Divergenzen. Wir beharren auf die Notwendigkeit, gegen die Verweigerung einer Diskussion zu kämpfen, eben weil diese Weigerung eine Weigerung ist, über Divergenzen zu diskutieren. Aus Furcht vor einer Konfrontation politischer Positionen versteckt man sich hinter dem grandiosen Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein. Wir behaupten nicht, die Wahrheit zu besitzen. Wir vertreten eine politische Plattform, die wir in unseren Interventionen und in Diskussionen mit den Gruppen und Elementen, die sich auf die kommunistische Revolution berufen, so oft wie möglich mit der Realität konfrontieren.

Es ist schon ein eigenartiger Purismus, wenn BC uns beschuldigt, Divergenzen aus opportunistischen Gründen zu verschleiern. Beginnend mit einer Analyse des „Eurokommunismus“, stellte BC drei Hypothesen für die Perspektiven der internationalen Lage vor; angesichts des Ernstes der Lage rief BC zu einer internationalen Konferenz auf und wartete mit drei „wirksamen Waffen vom Standpunkt der Theorie und politischen Praxis“ auf:

„a) den Zustand des Unvermögens und der Unterlegenheit zu verlassen, in den sie durch einen Provinzialismus, der von kulturellen Faktoren begünstigt wird, durch eine Selbstzufriedenheit, die das Prinzip der revolutionären Bescheidenheit leugnet, und vor allem durch die Abwertung des Militanz-Konzepts gerieten, das als eine Form des Opfers abgelehnt wird.

b) ein historisch gültiges programmatisches Fundament zu etablieren; für unsere Partei ist dies die theoretische und praktische Erfahrung, die durch die Oktoberrevolution verkörpert wird, und international eine kritische Annäherung an die Thesen des Zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationalen.

c) zu erkennen, dass es unmöglich ist, zu Klassenpositionen oder zur Schaffung einer Weltpartei der Revolution oder zu einer revolutionären Strategie zu gelangen, ohne zunächst das Problem zu lösen, ein permanentes internationales Verbindungs- und Informationszentrum in Gang zu setzen, das die Vorwegnahme und die Synthese dessen sein wird, was später die Internationale sein wird, so wie Zimmerwald und vor allem Kienthal Prototypen der III. Internationalen gewesen waren.“ (Texte und Protokolle der Internationalen Konferenz von Mailand, Mai 1977)

Die drei Punkte, die BC für den Rahmen der Konferenz vorstellte, waren also: 1. der Ausbruch aus der Isolation; 2. politische Kriterien; 3. organisatorische Implikationen. Die IKS antwortete positiv auf diesen Aufruf zu einer Konferenz, aber verlangte präzisere politische Kriterien und war der Ansicht, dass es noch zu früh sei für ein Internationales Verbindungs- und Informationszentrum:

„Natürlich denken wir, dass solch eine Konferenz nur stattfinden kann, wenn die teilnehmenden Gruppen ein Minimalkonsens gefunden haben, und dass sie sich den fundamentalsten Fragen in der proletarischen Bewegung heute zuwenden muss, um jegliche Missverständnisse zu vermeiden und einen soliden Rahmen für die Debatten zu schaffen…

Wir denken nicht, dass es auf dieser Ebene notwendig ist, auf euren zweiten Vorschlag, ein internationales Verbindungsbüro zu schaffen, zu antworten, da dieses erst das Resultat der internationalen Konferenz sein kann.“ (ebenda)

Damals sagte BC, dass es notwendig ist, über den „Provinzialismus“ hinauszugehen; wir waren und sind nach wie vor damit einverstanden.

Daher kehren wir zu diesem Punkt zurück und antworten auf den Opportunismus-Vorwurf von BC und auf die Kritik von CWO, die ganz ähnlich klingt. Sie begreifen nicht die Entschlossenheit der IKS, die Weigerung zu verurteilen, sich an politischen Konfrontationen zu beteiligen – ganz abgesehen von den politischen Divergenzen, die als „hehre“ Entschuldigung für dieses Verhalten benutzt werden. Dieses Unverständnis zeigt das Fortbestehen eines Reflexes der Isolierung und Selbstverteidigung. Dieser Reflex ist eine Erbschaft aus der Periode der Konterrevolution, als es überlebenswichtig war, fest zu den Klassenpositionen zu stehen, auch wenn dies bedeutete, allein auf weiter Flur zu sein. Doch dieser Reflex kann zu einem Hindernis werden, wenn der Klassenkampf im Aufstieg begriffen ist, wenn es möglich ist, sich in viel breiteren Debatten zu engagieren, ohne sich von der eigenen politischen Plattform, vom eigenen Programm loszusagen.

Dies ist der elementarste Punkt in der Haltung der IKS gegenüber Gruppen, die sich der Diskussion verweigern. Es geht nicht darum, die politischen Divergenzen beiseite zu kehren, um alle möglichen Gruppen auf jede noch so erdenkliche Weise zusammenzubringen. Es geht vielmehr darum, die gegenwärtige Periode des aufsteigenden Klassenkampfes und des wachsenden revolutionären Potentials zu analysieren und zu begreifen, dass dies eine günstige Lage für die Gegenüberstellung der politischen Divergenzen ist. Es geht darum, in die Richtung zu drängen, die der Klassenkampf einschlägt – zur Verallgemeinerung der Kämpfe und zu den Debatten, die aus diesen Kämpfen herauskommen. Die Haltung der IKS hinsichtlich der Frage der Teilnahme beruht auf einer präzisen politischen Position, die wir nicht verheimlichen: das Ende der Konterrevolution, die Perspektive generalisierter Klassenkonfrontationen. Dieser Wechsel in der Periode zwingt die Revolutionäre, die Diskussion anders aufzufassen: Es kommt nicht mehr darauf an, sich vor der Verseuchung, vor der Degeneration anderer Organisationen zu schützen oder der Demoralisierung des Proletariats zu widerstehen. Jetzt, wo das Proletariat eine Bresche in die bürgerliche Herrschaft geschlagen hat, müssen wir danach streben, kommunistische Positionen zu erarbeiten, die so klar und kohärent wie möglich sind.

Daher müssen wir zunächst in der Lage sein, zwischen Missverständnissen und wirklichen politischen Divergenzen zu unterscheiden. Missverständnisse darüber, was jede Gruppe meint, sind unvermeidbar; sie sind der Tribut, den die Revolutionäre den 50 Jahren der Konterrevolution zollen müssen. In dieser Zeit wurden die revolutionären Organisationen aus ihren Angeln gehoben; genauso wie das Proletariat in seiner Gesamtheit zogen sie sich zurück. Darin liegt der wirkliche Triumph der Bourgeoisie. Die Revolutionäre wurden zu einer winzigen Minderheit und waren voneinander isoliert. Dies rief Gewohnheiten hervor, die während des Wiederaufschwungs der Kämpfe zur Last wurden. Genauso wie das Proletariat, dieser aus seinem Schlaf erwachte Riese, müssen die Revolutionäre erst noch den Staub von fünfzig Jahren der Isolation und Zersplitterung abschütteln. Entweder bestehen die alten Gewohnheiten nach dem Wechsel der Epoche fort, oder die Unerfahrenheit und die mangelnde Kenntnis der Geschichte der Arbeiterbewegung, an denen die im Wiederaufschwung des Klassenkampfes neu entstandenen Gruppen leiden, führen diese Gruppen nach dem ersten vorübergehenden Abebben des Kampfes zu einem raschen Verfall, zum Aktionismus oder zur Fragmentierung in Minifraktionen. Dann wird aus Arroganz und Ignoranz ein Glaubensbekenntnis gemacht, und die Geschichte wird nach den eigenen Vorstellungen umgeschrieben. Die Isolation, die Zersplitterung, die Unerfahrenheit der Revolutionäre sind wirkliche Probleme, die keine Organisation außer Acht lassen kann. Nicht zu erkennen, dass es ein Problem des Sektierertums gibt, heißt die Zersplitterung zu theoretisieren, dieses Problem zu leugnen.

 BC und die CWO sehen kein Problem des Sektierertums und des „Kapellengeistes“. Es sei ein Problem, das von der IKS aus Opportunismus gegenüber BC erfunden worden sei.  Es war jedoch gar nicht lange her, dass BC sich dieses Problems durchaus bewusst zu sein schien. Heute behauptet BC, dass das Verhalten von Gruppen wie Programma Communista, Pour une Intervention Communiste (PIC) und des FOR schlicht und einfach eine Frage von politischen Divergenzen sei. Doch es gibt auch politische Divergenzen zwischen den Gruppen, die an der Konferenz teilnahmen, Divergenzen, die in mancher Hinsicht noch tiefer gehen als bei den Gruppen, die sich weigerten, teilzunehmen. Es gibt keine direkte und unmittelbare Verknüpfung, die uns erlaubt, jedes Verhalten allein durch politische Divergenzen zu erklären. Es wäre zu einfach und hieße, eine der gewaltsamsten Auswirkungen der Konterrevolution zu vergessen: die Atomisierung des Proletariats, die Fragmentierung der Revolutionäre, die gezwungen waren, ihre politischen Positionen im Vakuum, ohne ständigen Ideenwettstreit zu entwickeln.

In der Zeit des Rückflusses des Klassenkampfes während der 30er und 50er Jahre konnte die wirkliche politische Klärung nur stattfinden, wenn man bereit war, isoliert zu sein, gegen den Strom zu schwimmen. In einer Periode des Wiedererstarkens des Klassenkampfes indes kann die Klärung nur durch die aktive Teilnahme an all den Debatten stattfinden, die durch und im Kampf entstehen. Heute muss die Haltung der Revolutionäre gegenüber der politischen Klärung die gleiche sein wie in früheren Zeiten des Wiederaufschwungs.

Als die Eisenacher den Lassalleanern Zugeständnisse machten, kritisierte Marx heftig die Konzessionen der Marxisten an die Lassalleaner, die er als unnötig beurteilte. Dennoch bestand er unter Berücksichtigung der damaligen Periode auf einen Punkt: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“ (Marx an W. Bracke, Vorwort zur „Kritik des Gothaer Programms“) War Marx ein Opportunist? Nein, das Sektierertum existiert, ist ein Problem als solches und nicht direkt mit den politischen Positionen verbunden. Lenin bekämpfte das Sektierertum, als er zur Gründung der SDAPR (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands) drängte, wobei er gleichzeitig fest entschlossen politische Positionen kritisierte und keine Konzessionen machte.

Diese Haltung, auf Diskussionen zu drängen, trifft nicht weniger auf die Zeiten der Isolation zu, als die Bedingungen den Kontakt erschwerten. Die konsequentesten Revolutionäre haben immer auf Diskussionen gedrängt (z.B. Bilan).

Durch eine kuriose Umkehrung, deren Geheimnis nur ihnen bekannt ist, geben uns die Genossen von  BC nun Lektionen in politischer Unnachgiebigkeit; doch ist es nur einige Jahre her, dass sie zu Treffen ohne klare politische Kriterien aufriefen, wie zu jenem mit Lotta Comunista und Programma Comunista oder in den frühen 60er Jahren mit R. Dunayeskayas News and Letters und die FOR von Munis oder die Kontakte, und dass sie Kontakte zur französischen trotzkistischen Gruppe Lutte Ouvriere geknüpft hatten. Sollen wir glauben, dass, wenn BC Treffen Kontakte solcherlei Art initiiert, es eine korrekte Position ist, doch wenn die IKS die Notwendigkeit der Konfrontation zwischen wirklich revolutionären Gruppen auf der Grundlage klarer politischer Kriterien vertritt, dies schlichter Opportunismus ist?

Es gibt eine ähnliche kuriose Umkehrung in der Haltung der CWO, die die IKS noch vor kurzem als dem Lager der Konterrevolution zugehörig betrachtete, nun aber ihre Auffassung geändert hat. Sollen wir glauben, dass dies geschehen ist, weil die politischen Positionen der CWO sich so tiefgreifend verändert haben, so dass sie sich nun herablässt, sich aktiv an internationalen Konferenzen zu beteiligen (die erste Konferenz in Mailand, die Oslo-Konferenz, die zweite Konferenz in Paris)? Oder ist es nicht vielmehr so, dass es eine Verhaltensänderung gegeben hat, die Erkenntnis, dass es überhaupt nicht sinnvoll ist, zu verkünden, man habe die Wahrheit für sich gepachtet, dass es notwendig ist, politische Divergenzen zu diskutieren und nicht nach Vorwänden zu suchen, die Debatte zu vermeiden: mit anderen Worten, die vorbehaltlose Anerkennung, dass es solch ein Problem wie das Verhalten revolutionärer Gruppen gibt?

Um diesen letzten Punkt zu Ende zu führen, möchten wir einfach auf die Inkohärenz hinweisen, Gruppen einzuladen, zur Internationalen Konferenz zu kommen, um Beiträge zu den Tagesordnungspunkten zu bitten und dann zu sagen, dass ihre Weigerung, teilzunehmen, ganz „normal“ sei, weil solche Gruppen aufgrund der Positionen, die sie entwickelt haben, „nichts zu suchen haben auf Konferenzen wie diese“. Warum sind sie dann überhaupt eingeladen worden? Aus irgendeiner „demokratischen“ Sorge? Wenn solche Gruppe zu Recht nicht kommen, dann sollten wir so konsequent sein und einräumen, dass wir falsch darin lagen, sie einzuladen. Wir denken nicht so. Welche politischen Verirrungen solche Gruppen auch immer vertreten mögen, sind sie dennoch Teil des proletarischen Lagers; nach unserer Auffassung ist die direkte, öffentliche Konfrontation der beste Weg, die Verirrungen wegzufegen, die noch immer in der Arbeiterbewegung existieren.

Revolutionäre Organisationen, die ihren Namen wert sind, müssen gegen die falschen, sklerotischen oder konfusen Positionen kämpfen. Wir erkennen keiner politischen Gruppe das „Recht auf Fehler“ zu, und wir „respektieren“ auch nicht politische Positionen, die nur dazu dienen, noch mehr Müll in eine Bewegung zu werfen, die ohnehin schon große Schwierigkeiten hat, sich von den Folgen der Konterrevolution zu befreien. Wir „respektieren“ keine Weigerung aufgrund von politischen Differenzen, zu diskutieren, weil man damit stillschweigend den Positionen, die jede Gruppe vertritt, eine politische Gültigkeit und Kohärenz einräumen würde: Jede Gruppe vertritt ihre Positionen, und alles ist in Butter in der besten aller möglichen revolutionären Welten! Wir dagegen rufen alle Gruppen des revolutionären Lagers dazu auf, sich an einer offenen, öffentlichen und internationalen Konfrontation der Ideen zu beteiligen und in Interventionen und Klassenaktionen ihre Positionen zu vertreten.

Die Arbeit der Konferenz

In diesem Sinne hat die IKS auf der Notwendigkeit bestanden, sich klar zu den Fragen der Tagesordnung zu äußern, denn es handelt sich nicht um akademische Probleme, sondern um Fragen, die immer größere Auswirkungen auf den Klassenkampf haben. Um zur Annahme klarer Positionen anzuregen und um die Übereinstimmungen und Uneinigkeiten zu präzisieren, hat die IKS zusätzlich zu den Vorbereitungstexten noch kurze, zusammenfassende Resolutionen über die augenblickliche Krise und die Perspektiven, über die nationale Frage und über die Organisation der Revolutionäre vorgeschlagen. Das Prinzip, Resolutionen vorzuschlagen, wurde von der Konferenz jedoch verworfen. Wir wollen hier die Kernpunkte unserer Interventionen auf der Konferenz zusammenfassen:

Im ersten Punkt -  Die Krise und aktuelle Perspektive – beharrte die IKS auf die Notwendigkeit, klare Perspektiven vorzustellen, die auf einer grundsätzlichen Untersuchung der Lage, wie sie sich vor unseren Augen abspielt, beruht. Läuft die allgemeine Tendenz auf generalisierte Klassenkonfrontationen oder auf einen generalisierten interimperialistischen Konflikt hinaus? Als revolutionäre Organisationen, die in der Klasse intervenieren und vorgeben, politische Orientierungen - eine politische Richtung - zu vertreten, müssen wir in der Lage sein, uns zum allgemeinen Sinn des Klassenkampfes heute zu äußern. Revolutionäre in der Vergangenheit mögen sich in ihrer Einschätzung der Periode getäuscht haben, sie haben sich aber stets dazu geäußert.

Zu dieser Frage hat BC die folgende Position vertreten:

„1976 haben wir drei mögliche Hypothesen formuliert:

1)             dass es dem Kapitalismus gelingt, seine ökonomische Krise zeitweise zu überwinden;

2)             dass die letztendliche Zuspitzung der Krise eine subjektive Situation der allgemeinen Angst schafft,  die zu einer gewaltsamen Lösung und zu einem dritten Weltkrieg führt;

3)  dass das schwächste Glied in der Kette zerbricht und eine revolutionäre Periode für das Proletariat einläutet, in historischer Kontinuität mit dem bolschewistischen Oktober.

Zwei Jahre später können wir bestätigen, dass die gegenwärtige Lage die Konturen unserer zweiten Hypothese angenommen hat.“ (Texte und Protokolle der Internationalen Konferenz von Paris, Nov. 1978)

Die CWO dagegen bezieht nicht deutlich Stellung: Die zwei Möglichkeiten, Krieg oder Revolution, bleiben offen. Die Antwort „vielleicht ja, vielleicht nein“ wurde jedoch durch die Betonung der Passivität und des Rückflusses des Klassenkampfes heute entsprechend gewichtet.

Der IKS zufolge haben nach zehn Jahren der offenen Krise des kapitalistischen Systems die inneren Widersprüche wieder einmal den Punkt erreicht, wo imperialistische Konfrontationen immer allgemeiner werden. Hauptpunkte dieser Entwicklung sind:

-      kaum wiederaufgebaut, treten Europa und Japan erneut in direkte Konkurrenz zu den USA;

-      die Krise hat zu einer Verstärkung der imperialistischen Blöcke geführt;

- der westliche Block hat dem Nahen Osten eine „Pax Americana“ aufgezwungen und hat seine Strategie in Südostasien umgeschichtet, um China endgültig in seinen Machtbereich einzugliedern, usw.

Vom Standpunkt der interimperialistischen Widersprüche, der ökonomischen, politischen und militärischen Strategie aus betrachtet, lautet die Frage nicht: „Wann wird sich der imperialistische Krieg generalisieren?“, sondern eher: „Warum hat sich der Krieg noch nicht generalisiert?“

Für die CWO ist die „magische“ Kurve des tendenziellen Falls der Profitrate noch nicht genügend gesunken. Dem Kapitalismus stünden noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten offen – wie Austeritätsmaßnahmen (?) -, bevor die Bedingungen eines allgemeinen Krieges erfüllt seien: „Das Proletariat hat noch die Zeit und die Möglichkeit, den Kapitalismus zu zerstören, bevor dieser die Zivilisation zerstört.“ (ebenda)

Was bedeuten die wachsenden militärischen Interventionen der kapitalistischen Großmächte auf den Kriegsschauplätzen Zaire, Angola, Vietnam/Kambodscha, China/Vietnam? Was bedeuten die Kampagnen für die „Menschenrechte“ und andere ideologische Propagandaschlachten? Wozu dient dieses beschleunigte und maßlose Wachstum der Rüstungsindustrie?

Die CWO sagt ganz richtig, dass es sich um Kriegsvorbereitungen handelt. Jedoch ist es nicht der Klassenkampf, der die Generalisierung des Krieges verhindern würde – das sei ein „absurdes Szenario der IKS“. Für die CWO sind die Klassenkämpfe „partikulare Kämpfe mit nur geringen Möglichkeiten der Generalisierung in Form von Klassen-weiten Schlachten.“ (Revolutionary Perspectives, Nr. 12) Die „logische“ Schlussfolgerung der CWO: „… die Krise ist noch nicht tief genug, um den Krieg zu einen notwendigen Schritt für die Bourgeoisie zu machen.“ (ebenda) Dies ist schlicht eine Tautologie und besagt lediglich: Der Krieg ist noch nicht da, weil die Bedingungen noch nicht erfüllt sind. Wir stimmen dem zu, aber wir kommen zurück auf die Ausgangsfrage: Welche Bedingungen? Ereignisse wie das Attentat auf den Erzherzog in Sarajewo sind als Vorwand benutzt worden, um einen Weltkrieg auszulösen. Heute haben weitaus bedeutendere Ereignisse wie die Kriege im Nahen Osten 1967 und 1973, in Vietnam, Zypern, China/Vietnam usw. nicht zu solch einem Konflikt geführt. Warum? Warum hat die UdSSR nicht direkt im Vietnamkrieg eingegriffen? Warum haben die USA nicht direkt in Angola oder Äthiopien interveniert? Die „Dialektiker“ werden zweifellos antworten, dass die objektiven Bedingungen nicht vorhanden waren. Wir sind damit einverstanden, aber für die IKS ist die Hauptbedingung, an der es heute mangelt, die Mobilisierung der Bevölkerung und vor allem des Proletariats hinter die Interessen des nationalen Kapitals.

Was die anderen Bedingungen für einen generalisierten Krieg angehen, - die Existenz von imperialistischen Blöcken, die offene Krise des kapitalistischen Systems -, so sind sie bereits vorhanden. Ihr Gradmesser der fallenden Profitrate erlaubt es der CWO und BC nicht, dies zu bestreiten; alles, was sie sagen können, ist, dass die Blöcke nicht stark „genug“ sind oder dass die Krise nicht tief „genug“ ist. Vielleicht ist das Szenario der IKS „absurd“, wie die CWO sagt, aber sie muss es auch beweisen. Auf der anderen Seite sind die politischen Auswirkungen der Idee von BC, eine „subjektive Situation der allgemeinen Angst“, oder der Auffassung der CWO von einem „Proletariat, das konfus, desorientiert und, was das Kämpfen angeht, pessimistisch ist“ (RP, Nr. 12), nur schwer zu glauben.  

Sollen die Revolutionäre einem kampfbereiten Proletariat, das seit zehn Jahren kämpft, einem Proletariat, das nirgendwo auf der Welt den bürgerlichen Idealen der Verteidigung des „demokratischen“ oder „sozialistischen“ Vaterlandes oder den Austeritätsappellen hinterherläuft, erzählen, dass die Würfel gefallen sind? Die Bedingungen sind nicht mehr dieselben heute. All dies bedeutet wenig für die CWO, die den Wiederaufschwung des Klassenkampfes heute nicht sieht – alles was sie sieht, ist der Rückfluss. Dasselbe gilt für BC, für die der jüngste anti-gewerkschaftliche Kampf in den italienischen Krankenhäusern wenig bedeutet und für die 1969 praktisch nicht geschehen war, bis auf eine vage Bewegung ohne tiefere Bedeutung für die Arbeiterklasse, einfach weil BC nicht dabei war. Auch die IKS war nicht da, doch wir denken, dass die Geschichte bereits vor uns existiert hat! Die Analyse der gegenwärtigen Lage und ihrer politischen Schlussfolgerungen, die Entwicklung einer klaren Orientierung ist kein akademischer Streit, auch wenn die CWO und BC die Debatte in eine Schlacht der Theorie der fallenden Profitrate „versus“ die Theorie der Sättigung der Märkte umwandeln wollen.  Aus unserer Sicht liefert die Theorie der Sättigung des Weltmarktes einen kohärenten Rahmen, der uns in die Lage versetzt, die gesamte Periode vom I. Weltkrieg bis zur heutigen Krise zu verstehen: ein Rahmen, der die Theorie des tendenziellen Falls der Profitrate mit beinhaltet und nicht ausschließt. Die wichtigste Sache an der Debatte über die Krise heute sind die Auswirkungen auf unsere Intervention. Die ökonomische Analyse der CWO und BC weisen enorme Schwächen auf theoretischer Ebene auf, aber ihre grundlegende Schwachstelle ist ihre Unterschätzung des Niveaus des heutigen Klassenkampfes, ihre Unfähigkeit zu analysieren, was vor unseren Augen vor sich geht, die keimhaften Anzeichen einer Klassenkonfrontation zu sehen, die unvermeidlich stattfinden werden, ehe die Widersprüche des Kapitals in einem neuen weltweiten Holocaust explodieren.

2. Die zweite Frage, mit der sich die Konferenz beschäftigte, war die nationale Frage. Obgleich alle anwesenden Gruppen, abgesehen vom Nucleo Comunista Internazionalista (NCI), der Auffassung waren, dass das Proletariat nicht mehr nationale Befreiungskämpfe unterstützen kann, trennen immer noch viele Nuancn und Divergenzen die Gruppen auf dieser Konferenz.

Der NCI hält sich Wort für Wort an die von der Kommunistischen Internationale vertretene Position, die die Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen als eine Schwächung des Imperialismus und somit als eine Hilfe für den Kampf des Proletariats auffasst, das sich an die Spitze solcher Bewegung stellen soll. Die Tatsache, dass dies seit 50 Jahren nie so eingetroffen ist, dass in den vergangenen zehn Jahren jedes Mal, wenn die Arbeiterklasse in den Kampf trat, sie auf die politischen Kräfte der „nationalen Befreiung“ stieß – nichts davon stört den NCI, der keinen „Beweis“ dafür erkennen kann, dass sich seine Theorie als falsch erweist. Der NCI tischt uns eine aufgewärmte Version der Idee auf, die Gesellschaftsbewegungen in den unterentwickelten Regionen und die proletarische Bewegung in den fortgeschrittenen Ländern „zusammenzuschweißen“. Er begreift nicht, dass das einzige Zusammenschweißen nur in den Reihen des Weltproletariats, ob in den schwachen oder starken Gebieten des Kapitalismus, stattfinden kann. Der NCI hat sich noch nicht von der verzerrten Sichtweise des Bordigismus losgemacht; er sieht noch immer eine Kontinuität zwischen der Unterwerfung der Massen in den nationalen Befreiungskämpfen und der Mobilisierung des Proletariats. Doch im Gegenteil zeigen alle Erfahrungen dieses Jahrhunderts, dass das Proletariat nur einen kompromisslosen Bruch mit dem nationalen Terrain vollziehen muss, wo immer es sich befindet und welche zahlenmäßige Stärke es innerhalb des Nationalstaates hat, der ihn ausbeutet.

Die Verurteilung aller nationalen Kämpfe durch die IKS hat nichts zu tun mit Gleichgültigkeit, Abstraktion oder Verachtung gegenüber den Volksaufständen, in die auch das Proletariat oftmals verwickelt ist. Es ist eine Anprangerung all jener, die solche Kämpfe zu imperialistischen oder nationalistischen Zwecken ausnutzen, d.h. all jener, die behaupten, dass es möglich ist, auf nationaler Ebene einen Schritt nach vorn zu machen. Einzig und allein die Arbeiterkämpfe können diesen Aufständen eine Richtung geben; ohne diese Arbeiterkämpfe können sie nur im Elend, in Massakern und im Krieg enden. Und man möge uns nicht erzählen, dass dieser Bruch unmöglich ist ohne die Partei! Selbst ohne Partei haben die Arbeiter durch ihre Streiks bereits gezeigt, dass sie den nationalistischen Feuereifer abkühlen können. Dies war der Fall in Angola, Israel, Ägypten, Algerien und Marokko. Der Bruch mit der „nationalen Befreiung“ ist keine Abstraktion, die von der IKS ausgedacht wurde, sondern die Realität von heute.

Noch subtiler ist die Zweideutigkeit, die noch immer in einer Gruppe wie BC in dieser Frage herrscht. Obwohl  sie die nationalen Befreiungskämpfe als Bestandteil imperialistischer Kriege bezeichnet, entwirft sie für das Weltproletariat – und somit auch für das Proletariat in diesen Ländern - die Perspektive, durch den Aufbau der künftigen Kommunistischen Internationalen „‘die nationalen Befreiungskämpfe‘ in die proletarische Revolution umzuwandeln“. Wenn die Position des NCI eine gewisse Kohärenz in dieser Frage aufweist, setzt sich BC zwischen den Stühlen. Wir dürfen wählen. Entweder „haben die nationalen Befreiungskämpfe vollständig ihre historische Funktion ausgeschöpft“ (von  BC hervorgehoben), dann muss man daraus die Konsequenz ziehen: Sie sind für das Proletariat, das seine eigene historische Mission hat, unbrauchbar geworden. Die Rolle der Klassenpartei liegt nicht darin, diese Kämpfe umzuwandeln, sondern zum Kampf gegen alle Agenturen aufzurufen, die versuchen, es in imperialistische Kriege zu zwingen. Oder es ist möglich, „sie in proletarische Revolutionen umzuwandeln“. Doch dann muss man ihnen als Teil der historischen Aufgaben des Proletariats eine historische Funktion zuerkennen. Dann muss man sagen, dass die nationalen Befreiungskämpfe nicht nur einfach imperialistische Kriege sind.

Es geht nicht darum, die nationalen Befreiungskämpfe in proletarische Revolutionen umzuwandeln, sondern darum, das Proletariat gegen alle nationalen Bewegungen zu mobilisieren.  BC wird wahrscheinlich einmal mehr erwidern, dass die IKS wenig „dialektisch“ denkt. Vielleicht täuscht sich die IKS tatsächlich, aber die Diskussion kommt kein Stück voran, wenn man an eine Allzweck-„Dialektik“ appelliert, was an das Verhalten des Arztes erinnert, der jede Krankheit als eine „Allergie“ diagnostiziert. Die Partei ist aus der Sicht von BC die Antwort auf alle unerwarteten Widersprüche. Doch damit die Partei handeln kann, muss sie erst einmal existieren. Und woraus wird sie hervorgehen? Aus den nationalen Befreiungskämpfen? Mit Sicherheit nicht. Sie wird ihre Reihen mit den Elementen verstärken, die endgültig mit allen möglichen Spielarten nationalistischer Politik gebrochen haben. Und wo werden diese Elemente herkommen? Aus den Klassenbewegungen in allen Ländern, einschließlich jener, die heute dem Blut und Eisen der „nationalen Befreiungskämpfe“ des Weltimperialismus unterworfen sind.

Eine grundlegende Vorbedingung für die Fähigkeit des Weltproletariats, seinen Kampf zu führen, ist ein klares, praktisches und theoretisches Verständnis der Tatsache, dass es nur auf seinem eigenen Terrain, auf dem Terrain des Internationalismus kämpfen kann, dass es für das Weltproletariat unmöglich ist, eine Bewegung zu benutzen, die aus den verschiedenen lokalen und internationalen imperialistischen Antagonismen hervorgegangen ist und die die Massen als simples Kanonenfutter benutzt.

Revolutionäre, die heute noch in dieser Frage schwanken, verstärken nur die herrschende Konfusion über den Nationalismus, die heute innerhalb der Arbeiterklasse grassiert. Sie verleihen der bürgerlichen Idee Gewicht, dass der Nationalismus irgendwie doch revolutionär sei. Nur mit Haarspalterei kann man den Arbeitern, die gerade in ihrer Alltagserfahrung begreifen, dass der Kampf in allen Ländern der gleiche ist, erklären, dass ihr Kampf derselbe und doch nicht derselbe ist oder dass durch eine clevere Strategie das Proletariat in die Reihen der Nationalisten eintreten kann, um die Nationalisten gegen den Nationalismus zu wenden. Ebenso gut könnte man darauf setzen, dass die Polizei gegen die Polizei kämpft.

Was die CWO angeht, die sehr besorgt darum ist, sich selbst von jeglicher Unterstützung für nationale Bewegungen zu distanzieren und die diese Frage zu einem Kriterium für den Ausschluss aus der Diskussion machen wollte, so machte sie überhaupt keine Einwände gegen die Positionen der Kommunistischen Internationalen, wie sie vom NCI vertreten werden. Die CWO hat vor allem auf der Idee bestanden, dass nicht alle Länder imperialistisch oder eher nicht „wirklich“ imperialistisch seien und dass der Imperialismus nur eine Politik der kapitalistischen Hauptmächte sei.

Wir können hier nicht näher auf die Einzelheiten dieser Frage eingehen, jedoch wollen wir kurz die Art und Weise ansprechen, wie die CWO diese Frage simplifiziert. In ihrem Artikel in RP, Nr.12, stellt die CWO die Frage: „Wie kann man behaupten, dass zum Beispiel Israel eine unabhängige, imperialistische Macht ist?“ Keiner ist so taub wie jener, der nicht hören will. Die Tatsache, dass heute kein Land dem Imperialismus entweichen kann, dass heute alle Länder der Welt imperialistisch sind, bedeutet ja gerade, dass die nationale Unabhängigkeit unmöglich geworden ist. Die mächtigsten Länder verfügen nicht über einen größeren Spielraum, weil sie imperialistisch sind und die kleinen Staaten nicht, sondern schlicht und einfach weil sie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger und/oder die mächtigsten auf den internationalen Schlachtfeldern sind. Die Tatsache, dass alle Länder heute imperialistisch sind, bedeutet eben, dass keine nationale Bourgeoisie ihre Interessen verteidigen kann, ohne auf die objektiven Grenzen eines Weltmarktes zu stoßen, der die Erde bis in die letzten Winkel erobert hat. Somit antworten wir auf die Frage der CWO: Israel ist ein imperialistischer Staat, aber es ist kein unabhängiger Staat.

Die wichtigste Sache hier jedoch sind die politischen Auswirkungen der Auffassung der CWO. Wenn nur die mächtigsten Länder die Mittel haben, eine imperialistische Politik zu betreiben und die zweitrangigen Länder nicht, muss man schon so konsequent sein und bestätigen, dass die nationalen Regierungen der schwächeren Länder nur einfache „Agenten“ der größeren imperialistischen Mächte sind oder, um die linksextremistische Terminologie zu benutzen, die „Lakaien“ der USA, der Supermächte, der UdSSR. Dies ist richtig, aber nicht ausreichend. Die Verurteilung der nationalen Kämpfe ist keine Frage der Moral, der Anprangerung der nationalistischen Fraktionen, die sich an „den Imperialismus“ verkaufen. Sie beruht auf der gesellschaftlichen Wirklichkeit: Es ist nicht möglich, die Nation außerhalb der imperialistischen Notwendigkeiten zu verteidigen.

3. Beim dritten Punkt, während der Diskussion über die Frage der Partei, bestand die IKS insbesondere auf einen Aspekt: Übernimmt die Partei die Macht? Die Gruppe För Kommunismen antwortete nein, und der FOR (obwohl er während der Konferenz abwesend war) trug einen Text vor, der deutlich feststellt, was die IKS als eine der wichtigsten Lehren aus der Russischen Revolution betrachtet. Die Rolle der Partei besteht nicht darin, die Macht zu übernehmen. Die Macht wird von den Arbeiterräten ergriffen, die die Einheitsorgane der Diktatur des Proletariats sind, innerhalb derer Parteien die kommunistische Avantgarde der Klasse bilden und die bewusstesten und klarsten Elemente in der Bewegung zum Kommunismus um sich sammeln – das Dahinwelken des Staates, das Verschwinden der Klassen, die totale Befreiung der Menschheit.

Der NCI vertrat die Position, dass die Partei die Macht übernimmt, und identifizierte sich mit Lenins Kritik gegen die Linksradikalen in Die Kinderkrankheit des Kommunismus. Er versteht nicht, dass die Kritik an den Fehlern der KI in dieser Frage nichts mit der bürgerlichen Demokratie zu tun hat. Sie beruht auf der Erfahrung des Proletariats in Russland, der Bolschewiki, Lenins, der ungeachtet einiger theoretischer Fehler, die er beging, eine auffällige Klarheit besaß, als er von den höchsten Augenblicken des proletarischen Kampfes sprach.

So sprach Lenin von der „Notwendigkeit, unmittelbar die ganze Macht in die Hände der revolutionären Demokratie zu übergeben, die von dem revolutionären Proletariat angeführt wird" (hervorgehoben von Lenin).

Wenn es eine Frage gab, die nach der Niederlage der Weltrevolution von 1917-23 wirklich debattiert werden musste, dann war es die Frage nach den Machtformen, die aus der Revolution hervorgehen. Der Fehler der Komintern in dieser Frage erwies sich ab dem Moment als ein beschleunigender Faktor der Konterrevolution, als die Isolation die Macht in Russland dazu verleitete, das Zurückweichen der Revolution, zu dem sie durch die internationale Lage gezwungen wurde, als eine Errungenschaft für das Proletariat darzustellen. In dieser Situation wurde die Macht immer autonomer gegenüber den allgemeinen Klassenorganisationen; dies gipfelte in der Tragödie von Kronstadt, die eine bewaffnete Konfrontation zwischen Arbeitern und Staat, mit der bolschewistischen Partei an der Spitze, erlebte. Die Idee, dass die Partei die Macht übernimmt, reflektiert die Unreife der Revolutionäre zu Beginn des Jahrhunderts, die noch von einer Zeit geprägt waren, in der bürgerliche Schemata noch der Referenzpunkt zum Verständnis des revolutionären Prozesses waren.

Die CWO anerkennt, dass die Arbeiterräte die Fundamente der proletarischen Macht sind, aber sie belebt die alten Ideen des bürgerlichen Parlamentarismus wieder und überträgt sie auf die Räte. Aus der Sicht der CWO bedeutet die Machtübernahme, dass die Mehrheit der Räte für revolutionäre Positionen gewonnen worden sind, und da diese Positionen von der Partei getragen werden, ist es schließlich die Partei, die „praktisch“ die Macht ergreift, sobald sie die Mehrheit in den Räten besitzt. So schließt sich der Kreis. Gemäß der CWO äfft das Proletariat, wenn es die Macht übernimmt, den bürgerlichen Parlamentarismus mit seinen Mehrheiten und Minderheiten nach; der proletarische Kampf wird zu einem „Parteienkampf“, in dem jede von ihnen versucht, die Mehrheit für ihre Positionen zu gewinnen, um die Macht zu übernehmen.

Weder die Pariser Kommune noch die Revolution von 1917 folgte diesem numerischen, parlamentarischen Schema. Sie resultierten aus einer tiefgreifenden Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen Gesellschaftsklassen, die nichts mit der bloßen parlamentarischen Sanktionierung eines bereits existierenden Klassenrechts zu tun haben, das auf klar umrissene Produktionsverhältnisse beruht. So funktioniert die Bourgeoisie. Für das Proletariat ist die Machtübernahme der bewusste, organisierte Akt einer Klasse, die noch nicht die Vorherrschaft erlangt hat.

In seinem Vorbereitungstext für die Konferenz behauptet BC richtig, dass „es ohne die Partei keine Revolution und Diktatur des Proletariats geben kann, ebenso wie es keine Diktatur des Proletariats und keinen Arbeiterstaat ohne die Arbeiterräte gibt“ (obgleich wir die Formulierung „Arbeiterstaat“ als Bezeichnung des Staates, der aus der Revolution hervorgehen wird, als falsch betrachten). Darüber hinaus behauptet BC, sich von dem “Superparteientum“ der Bordigisten abzugrenzen, für die die Partei ein und alles ist und die Organisation der Arbeiterklasse in Arbeiterräten einfach eine Form sind, die nur durch die Partei einen revolutionären Inhalt erhalten. Aber in der Frage der Machtübernahme behauptet BC letztendlich doch, dass die Partei die Macht übernimmt! Die der BC so teure Dialektik im Verhältnis zwischen Partei und Klasse vereinfacht sich beträchtlich, und all ihre schönen Reden über die Arbeiterräte und die Diktatur des Proletariats, all ihre bissigen Kritiken an den Bordigisten und ihrem „Superparteientum“ lösen sich in Luft auf. Damit wir uns darüber im klaren sind: Es gibt in der Revolution zwei Hauptorgane, Räte und Parteien. Wenn die Partei die Macht übernimmt, welche Rolle fällt dann den Räten zu? Worin liegt der Unterschied zwischen dieser Auffassung und der Idee, dass die Macht des Proletariats die Einwilligung der Basis (den Räten) gegenüber einer Spitze (der Partei) bedeutet, die faktisch die Macht ausübt? Die Frage der Macht wird wieder einmal als die Macht eines Teils im Namen des Ganzen aufgefasst. Für das Proletariat ist das nicht möglich. Seine einzige Stärke liegt gerade in der kollektiven Fähigkeit, die politische Macht auszuüben. Entweder ergreift das Proletariat die Macht auf kollektive Weise, oder es kann keine Macht ergreifen, und niemand kann es an seiner Stelle tun. Als die bolschewistische Partei die Macht ergriff, geschah dies mit der Parole „Alle Macht den Räten“ und nicht „Alle Macht der Partei“. Es ist verständlich, dass die Unterscheidung zwischen den beiden Organen Lenin und den Bolschewiki ziemlich unklar war. Die Bolschewiki waren die ersten, die von ihrer großen Gefolgschaft innerhalb der Arbeiterklasse überrascht wurden; es war die Initiative der Massen, die die bolschewistische Partei in der Frage des Aufstands und der Machtergreifung vorwärtsdrängte, während Lenin selbst zögerte, Vorsitzender des Rates der Volkskommissare zu werden.

Später, mit dem Zurückweichen der Revolution, wurde der tragische Beweis geliefert, dass es der Partei unmöglich war, die Macht der Klasse zu ersetzen, die unter den Schlägen der Auszehrung und internationalen Isolation zerfiel. Wenn die Arbeiterklasse mobilisiert ist, kann sie ermöglichen, dass sich in ihrer Partei die größte Klarheit verbreitet, sie erlaubt ihr, die größte revolutionäre Standfestigkeit zu demonstrieren. Doch die größte revolutionäre Standfestigkeit in der besten aller Parteien kann nicht die proletarische Macht einer demobilisierten Klasse aufrechterhalten. Warum? Im wesentlichen weil sich das Wesen der Macht des Proletariats von seinem Wesen als ausgebeutete Klasse ableitet, deren einzige Stärke die kollektive Stärke ist. Die Frage der Machtübernahme ist komplex; sie kann nicht durch den Größenwahnsinn politischer Gruppen gelöst werden, die sich dem Problem entziehen, indem sie die Macht für sich beanspruchen. Die Macht der Partei kann nie eine Garantie sein. Die einzige Garantie befindet sich in der Arbeiterklasse selbst. Die Rolle der revolutionären Partei besteht darin, diese einzige Garantie gegen jede Demobilisierung zu verteidigen - eine Demobilisierung, die nur verschärft werden kann durch jene, die dem Proletariat sagen: „Gebt uns die Macht, wir werden die Revolution durchführen.“

Einige Schlussbemerkungen

Der wichtigste Fortschritt der Internationalen Konferenz war die Erweiterung der Debatte auf neue Gruppen, die an der ersten Konferenz in Mailand nicht teilgenommen hatten. Die direkte Konfrontation von Positionen verschiedener Gruppen, die Klärung von Divergenzen, die Präzisierung von Formulierungen, die solch eine Konfrontation erfordert, sind lebenswichtig für die Organisationen, die im Klassenkampf intervenieren.

Daher hat die IKS während und nach der Konferenz auf das Problem des Sektierertums beharrt. In demselben Punkt gibt es zwei Dinge, die unserer Auffassung nach in den Schlussfolgerungen bedauert werden sollten. Zwar waren die Gruppen einverstanden, diese Arbeit fortzusetzen, doch die Konferenz machte keine Ankündigung  als solche und war unfähig, eine gemeinsame offizielle Erklärung über die geleistete Arbeit zu formulieren. In diesem Sinne ist die Konferenz als Organ stumm geblieben und war nicht in der Lage, kollektiv einen Überblick über die Übereinkünfte und Nicht-Übereinkünfte zwischen den Gruppen in den Fragen der Tagesordnung zu geben.

Resolutionen, die aus solch einer Konferenz hervorgehen, sind aus Prinzip verworfen worden. Wenn die IKS die in dieser Internationalen Revue veröffentlichten Resolutionen vorschlägt, dann geschieht dies nicht, weil sie selbstherrlich handelt oder eine politische Übereinkunft mit irgendjemanden zu erzwingen versucht oder ihre eigenen politischen Positionen modifiziert. Wir müssen aber wissen, ob wir Schwätzer oder revolutionäre Militanten sind. Wir nehmen nicht an internationalen Konferenzen teil, um uns mit einer gemeinsamen Veröffentlichung am Ende einer Konferenz zufriedenzugeben, in der jeder seine Position zum Ausdruck bringt, um anschließend zur Arbeit zurückzukehren, als ob nichts geschehen sei. Die Vorbereitungstexte und die Debatten sind Momente, die ermöglichen sollen, Punkte der Übereinstimmung und Uneinigkeit zu klären. Dies muss in die Fähigkeit übersetzt werden, öffentlich und schwarz auf weiß nicht nur eine einfache Gegenüberstellung der Positionen und Erklärungen der jeweiligen Gruppen zu erstellen, sondern möglichst eine gemeinsame Stellungnahme zu formulieren.

Dies war nicht möglich, und es war eine Schwäche der Konferenz. Paradoxerweise wurde dieses Ansinnen, als Konferenz stumm zu bleiben, indem man gemeinsame Erklärungen verweigert, von der Sorge begleitet, für künftige Konferenzen weitere Einladungskriterien hinzuzufügen – Kriterien der „Auswahl“ für BC und des „Ausschlusses“ für die CWO. Wir haben hier einen Vorschlag, der zu einer Art Minimalplattform  anstelle eines Diskussionsrahmens tendiert, und gleichzeitig eine Weigerung, gemeinsame Ankündigungen über irgendetwas zu machen. Gratulation an jene, die dies verstehen können. Selbst die getroffenen Beschlüsse, wie die Vorbereitung der nächsten Konferenz, schweben in der Luft. Es sei dem Leser der Broschüre überlassen, die praktischen Auswirkungen der geleisteten Arbeit zu interpretieren.

M.G.

[1] [2] Für Details vgl. International Review Nr. 16 (engl./franz./spanz. Ausgabe)

Resolution zum Prozess der Umgruppierung

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I. Seit Beginn der Arbeiterbewegung gehörte die Einheit der Revolutionäre zu deren wesentlichsten Bemühungen. Dieses Bedürfnis nach der Einheit der höchst entwickelten Elemente der Klasse ist Ausdruck der tiefen, historischen und unmittelbaren Interessenseinheit der Klasse und stellt einen entscheidenden Faktor im Prozess ihrer weltweiten Vereinigung und der Verwirklichung ihres eigenen Seins dar. Ob wir über den Versuch, 1850 einen „Weltbund der Kommunistischen Revolutionäre" zu bilden, der den Bund der Kommunisten, die Blanquisten und die linken Chartisten um sich sammeln wollte, über die Gründung der Internationalen Arbeiter-Assoziation 1864, der Zweiten Internationale 1889 oder der Kommunistischen Internationale 1919 sprechen - jeder wichtige Schritt in der Entwicklung der Arbeiterbewegung beruhte auf diesem Streben nach einer weltweiten Umgruppierung der Revolutionäre.

II. Obwohl diese Tendenz zur Einheit der Revolutionäre einer wesentlichen Notwendigkeit des Klassenkampfes entsprach, wurde diese Tendenz wie auch die Neigung der gesamten Klasse zur Vereinigung ständig durch eine ganze Reihe von Faktoren aufgehalten wie:

  • die Auswirkungen des Rahmens, in dem sich der Kapitalismus mit all seinen regionalen, nationalen, kulturellen und vor allem ökonomischen Variationen entwickelt hatte. Obgleich das System selbst dazu tendiert, diesen Rahmen aufzuheben, kann es niemals über ihn hinausgehen, was schwer auf den Kampf und das Bewusstsein der Klasse lastet;
  • die politische Unreife der Revolutionäre selbst, ihr Unverständnis, ihre ungenügenden Analysen, ihre Schwierigkeiten, aus dem Sektierertum und „Krämergeist" auszubrechen und all die anderen Einflüsse der kleinbürgerlichen und bürgerlichen Ideologie in ihren eigenen Reihen.

III. Die Fähigkeit dieser Tendenz zur Vereinigung der Revolutionäre, diese Hindernisse zu überwinden, entspricht im allgemeinen ziemlich getreu dem Kräfteverhältnis zwischen den beiden Hauptklassen der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat. Den Rückflussperioden des Klassenkampfes entspricht in der Regel eine Bewegung der Zersplitterung und der Isolierung der revolutionären Strömungen und Elemente voneinander. Dagegen werden die proletarischen Aufstiegsperioden von der Konkretisierung der grundsätzlichen Tendenz zur Vereinheitlichung der Revolutionäre begleitet. Dieses Phänomen zeigt sich besonders deutlich bei der Bildung der Parteien des Proletariats, die im Kontext einer qualitativen Entwicklung des Klassenkampfes stattfindet und im allgemeinen ein Ergebnis der Umgruppierung verschiedener politischer Tendenzen der Klasse ist. Dies war besonders der Fall:

  • bei der Gründung der deutschen Sozialdemokratie 1875 in Gotha („Lassalleaner" und „Marxisten"),
  • bei der Bildung der Kommunistischen Partei in Russland 1917 (Bolschewisten und andere Strömungen wie Trotzkis Gruppe und Bogdanows Gruppe),
  • bei der Gründung der Kommunistischen Partei in Deutschland 1919 (Spartakisten, „Linksradikale“, usw.),
  • bei der Gründung der Kommunistischen Partei in Italien 1921 (die Strömung Bordigas und die Strömung Gramscis).

Unabhängig von den Schwächen mancher dieser Strömungen und obwohl im allgemeinen die Vereinigung um die politisch stärkste Strömung herum geschah, ist es Tatsache, dass Parteigründungen nie das Resultat einer einseitigen Proklamierung gewesen waren, sondern das Produkt eines dynamischen Umgruppierungsprozesses der höchst entwickelten Elemente der Klasse.

IV. Die Existenz eines solchen Umgruppierungsprozesses in den Momenten der historischen Entwicklung im Klassenkampf erklärt sich durch:

  • die einheitliche Dynamik, die die Klasse ergreift und sich auf die Revolutionäre auswirkt, indem sie sie zwingt, ihre willkürlichen und sektiererischen Spaltungen zu überwinden,
  • die gewachsene Verantwortlichkeit der Revolutionäre als aktiver und einflussreicher Faktor in den unmittelbaren Kämpfen, deren Durchführung zu einer Konzentration der Kräfte und Mittel zwingt,
  • den Klassenkampf, der dazu neigt, Probleme zu klären, die den Divergenzen und Spaltungen unter den Revolutionären zugrundelagen.

V. Die heutige Situation im revolutionären Milieu wird charakterisiert durch seine extreme Zersplitterung, die Existenz wichtiger Divergenzen über grundsätzliche Fragen, die Isolierung seiner verschiedenen Komponenten voneinander, das Gewicht des Sektierertums, den Krämergeist, die Verknöcherung mancher Strömungen und die Unerfahrenheit anderer. All dies sind Ausdrücke der fürchterlichen Auswirkungen eines halben Jahrhunderts der Konterrevolution.

VI. Eine statische Herangehensweise an diese Situation kann zu der besonders von Fomento Obrero Revolucionario (FOR) vertretenen Idee verleiten, dass es weder heute noch in der Zukunft eine Möglichkeit für eine Annäherung der verschiedenen Positionen und Analysen gibt, die gegenwärtig existieren, für eine Annäherung also, die allein eine gemeinsame Kohärenz und Klarheit ermöglichen kann, die für jegliche Plattform für die Konstituierung einer vereinten Organisation unerlässlich ist.

Solch eine Herangehensweise ignoriert zwei wesentliche Elemente:

  • die Fähigkeit zur Diskussion, zur Konfrontation der Positionen und Analysen, Fragen zu klären, auch wenn dies zunächst nur ein besseres Verständnis entsprechender Positionen und die Eliminierung falscher Divergenzen erlaubt;
  • die Bedeutung der praktischen Erfahrungen der Klasse als ein Faktor der Überwindung der Missverständnisse und Divergenzen.

VII. Heute haben das Versinken des Kapitalismus in die akute Krise und das weltweite Wiedererwachen des Proletariats die Umgruppierung der Revolutionäre ganz akut auf die Tagesordnung gesetzt. All die Probleme, denen sich die Revolutionäre gemeinsam mit der Klasse in der Praxis stellen werden,

  • bilden ein günstiges Terrain für einen solchen Umgruppierungsprozess,
  • werden eine Klärung der wesentlichen Fragen vorantreiben, die die Avantgarde des Proletariats heute spalten: Perspektiven der Krise des Kapitalismus, Natur der Gewerkschaften und die Haltung der Revolutionäre ihnen gegenüber, die Natur der nationalen Kämpfe, die Funktion der proletarischen Partei usw.

Doch auch wenn die Forderung nach Einheit und in erster Linie die Eröffnung von Debatten zwischen Revolutionären absolut notwendig sind, werden sie nicht mechanisch in die Realität übersetzt. Sie müssen mit einem wirklichen Verständnis dieser Notwendigkeit und einem militanten Durchsetzungswillen einhergehen. Jene Gruppen, die sich heute dieser Notwendigkeit nicht bewusst geworden sind und sich weigern, an dem Diskussions- und Umgruppierungsprozess teilzunehmen, sind verurteilt, der Bewegung Steine in den Weg zu legen und als Ausdrücke des Proletariats zu verschwinden, es sei denn, sie revidieren ihre Positionen.

VIII. All diese Erwägungen animieren die IKS zur Teilnahme an den Debatten, die sich im Rahmen der Mailänder Konferenz im Mai 1977 und der Pariser Konferenz im November 1978 entwickelt hatten. Weil die IKS die aktuelle Periode als eine Zeit des historischen Wiedererwachens der Arbeiterklasse analysiert, misst sie diesen Bemühungen eine solche Bedeutung bei, verurteilt vehement dieses sektiererische Verhalten der Gruppen, die solche Anstrengungen vernachlässigen oder ablehnen, und betrachtet dieses sektiererische Verhalten an sich als eine politische Position, deren Auswirkungen die kommunistische Bewegung behindern. Die IKS schätzt daher diese Diskussionen als ein sehr wichtiges Element im Umgruppierungsprozess der revolutionären Kräfte, der zu ihrer Vereinigung in der Weltpartei des Proletariats, jener essentiellen Waffe im revolutionären Kampf der Klasse, führen wird.

 

Spanien 1936: Der Mythos der anarchistischen Kollektive

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Die spanischen Kollektive von 1936 wurden von den Anarchisten als das perfekte Modell der Revolution dargestellt. Ihrer Auffassung gemäß ermöglichten die Kollektive die Arbeiterselbstverwaltung der Wirtschaft, bedeuteten die Abschaffung der Bürokratie, steigerten die Arbeitseffizienz und waren – „Wunder über Wunder“ - „das Werk der Arbeiter selbst… allzeit von den Libertären angeführt und orientiert“ (in den Worten von Gaston Leval, einem kompromisslosen Vertreter des Anarchismus und der CNT).

Aber die Anarchisten sind nicht die einzigen, die uns das „Paradies“ der Kollektive anpreisen. Heribert Barrera - 1936 ein katalonischer Republikaner, heute Parlamentsabgeordneter im Cortes - lobt sie als „ein Beispiel der Mischwirtschaft, die sowohl die Freiheit als auch die menschliche Initiative respektiert“ (!!!),während uns die Trotzkisten der POUM erzählen, dass „das Werk der Kollektive der spanischen Revolution im Vergleich zu der russischen Revolution einen viel tieferen Charakter verliehen hatte“. G. Munis und die Genossen des FOR (Fomente Obrero Revolucionario) machen sich Illusionen über den „revolutionären“ und „tiefgründigen“ Charakter der Kollektive.

Was uns angeht, so sehen wir uns einmal mehr gezwungen, den Spielverderber zu spielen; die Kollektive 1936 waren kein Mittel der proletarischen Revolution, sondern ein Instrument der bürgerlichen Konterrevolution; sie waren nicht die „Organisation der neuen Gesellschaft“, sondern der letzte Ausweg der alten Gesellschaft, die sich mit aller Brutalität verteidigte.

Wir versuchen hier nicht, unsere Klasse zu demoralisieren. Im Gegenteil, die beste Art, sie zu entmutigen, ist, sie für falsche Revolutionsmodelle kämpfen zu lassen. Die Grundbedingung für den Sieg ihrer revolutionären Bestrebungen besteht in der vollständigen Befreiung von allen falschen Modellen, von allen falschen Paradiesen.

Was waren die Kollektive?

1936 erlebte Spanien, das von der Wirtschaftskrise, die den Weltkapitalismus seit 1929 erschüttert hatte, völlig überwältigt wurde, besonders schwere Erschütterungen.

Jedes nationale Kapital litt unter drei Arten gesellschaftlichen Aufruhrs:

  • jenen, der aus dem grundlegenden Widerspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat hervorgeht;
  • jenen, der aus den intensiven Konflikten zwischen den verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie selbst herrührt;
  • jenen, der die Konfrontation zwischen den imperialistischen Blöcken verursacht, die jedes Land in ein Schlachtfeld seiner Kämpfe um politischen Einfluss und Märkte verwandeln.

In Spanien 1936 wirkten diese drei Erschütterungen mit einer bestialischen Intensität zusammen, was den spanischen Kapitalismus in eine extreme Lage versetzte.

Erstens führte das spanische Proletariat - das im Gegensatz zu seinen europäischen Klassenbrüdern noch nicht geschlagen war – einen kraftvollen Kampf gegen die Ausbeutung, der von einer außergewöhnlichen Eskalation in Gestalt von Generalstreiks, Revolten und Aufständen gekennzeichnet war, die die herrschende Klasse in Alarmstimmung versetzte.

Zweitens verschärften sich die internen Konflikte der herrschenden Klasse nahezu täglich. Eine rückständige Wirtschaft, die von einem enormen Ungleichgewicht zerrissen und daher von der Weltwirtschaftskrise mit viel größerer Intensität verspeist wurde, war der beste Nährboden für den Ausbruch von Konflikten zwischen der Bourgeoisie der Rechten (Großgrundbesitzer, Finanziers, das Militär, die Kirche – alle unter Franco vereint) und der linken Bourgeoisie (Industrielle, städtischer Mittelstand, Gewerkschaften usw., die von der Republik und der Volksfront angeführt wurden).

Schließlich wurde der spanische Kapitalismus aufgrund seiner Instabilität zu einer leichten Beute für den imperialistischen Heißhunger, der, von der Krise angetrieben, immer neue Märkte und neue strategische Positionen auf dem Weg zur Vorherrschaft benötigte. Deutschland und Italien hatten in Franco ihren Faustpfand und versteckten sich hinter der Maske der „Tradition“ und des „Kreuzzuges gegen den atheistischen Kommunismus". Russland und die Westmächte - damals noch verbrüdert - fanden in der Republik und der Volksfront ihre Bastion, die sich hinter dem Schleier des „Antifaschismus“ und des „revolutionären Kampfes“ verbarg.

Unter diesen Begleitumständen brach am berühmten 18. Juli 1936  Francos Revolte aus, die für die Arbeiterklasse den Höhepunkt der Überausbeutung und der Repression darstellte, welche seit 1936 von der Republik initiiert worden war. Die Reaktion der Arbeiterklasse erfolgte unmittelbar und gewaltig: Generalstreik, Aufstand, Bewaffnung der Massen, Enteignung und Besetzung von Betrieben.

Vom ersten Augenblick an versuchten alle Kräfte der linken Bourgeoisie, von den republikanischen Parteien bis zur CNT, die Arbeiter in die Falle des „antifaschistischen“ Kampfes zu locken und in dieser Falle die Betriebsenteignungen in einen Selbstzweck umzuwandeln, damit die Arbeiter die Arbeit wieder aufnehmen, im illusorischen Glauben, dass die Unternehmen ihnen gehörten, dass sie „kollektiviert“ seien.

Aber die Tage des Juliaufstands zeigten der Gesellschaft, dass sich der Kampf der Arbeiter nicht nur gegen Franco, sondern auch gleichzeitig gegen den republikanischen Staat richtete. Die Arbeiter streikten, enteigneten die Unternehmen und bewaffneten sich als autonome Klasse, um gegen die Gesamtheit des kapitalistischen Staates, d.h. sowohl gegen den frankistischen als auch gegen den republikanischen Staat, eine Offensive zu beginnen. Um den aufständischen Streik erfolgreich durchzuführen, konnten sich die Arbeiter nicht mit den Enteignungen und der Bildung von Milizen zufriedengeben, sondern mussten gleichzeitig neben der frankistischen Armee auch alle republikanischen Kräfte (Azana, Companys, KP, CNT usw.) und anschließend den kapitalistischen Staat vollständig zerstören, um auf dessen Trümmern die Macht der Arbeiterräte aufzubauen.

Indessen lag der Schlüssel für das Scheiterns des Proletariats und seiner Rekrutierung für die Barbarei des Bürgerkriegs in der Tatsache, dass es den republikanischen Kräften - allen voran die CNT und die POUM - gelang, die Arbeiter vom entscheidenden Schritt abzuhalten - die Zerstörung des kapitalistischen Staates - und  sie in die „Kollektivierung der Wirtschaft“ und den „antifaschistischen Kampf“ einzusperren.

Den katalonischen Nationalisten, der Volksfront und vor allem der CNT gelang es, die Arbeiter in die schlichte Enteignung der Unternehmen einzuschließen, indem sie diese Aktionen als „revolutionäre Kollektive“ etikettierten. Da sie innerhalb des kapitalistischen Staates verblieben und diesen unberührt ließen, wurden diese Aktionen nicht nur unbrauchbar für die Arbeiter, sondern auch zu einem Mittel für ihre Überausbeutung und Kontrolle durch das Kapital.

„Da die Staatsgewalt intakt blieb, konnte die Generalitat Kataloniens die von den Arbeitern vorgenommenen Enteignungen in aller Ruhe legalisieren und in den Chor all der 'Arbeiterströmungen' mit einstimmen, die die Arbeiter mit den Mystifikationen der Enteignung, der Arbeiterkontrolle, der Landaufteilung, der Säuberungen getäuscht hatten. Diese 'Arbeiterströmungen' bewahrten aber gleichzeitig ein kriminelles Schweigen über die nicht so offen auftretende, in der Realität aber furchtbar wirksame Existenz des kapitalistischen Staates. Aus diesem Grund blieben die von den Arbeitern vorgenommenen Enteignungen im Rahmen des kapitalistischen Staates integriert.“ (Bilan)

Somit sehen wir, dass die CNT, die nie zu den spontanen Streiks des 19. Juli und auch nicht zur Bewaffnung der Arbeiter aufgerufen hatte, nun unter dem Vorwand, dass die Unternehmen bereits „kollektiviert“ seien, umgehend zur Beendigung des Streiks und zur Wiederaufnahme der Arbeit aufrief, mit anderen Worten, sich dem Angriff der Arbeiter gegen den kapitalistischen Staat entgegenstellte. In seinem Buch „Libertäre Kollektive in Spanien“ äußert sich Gaston Leval auf folgende Weise: „Zu Beginn des faschistischen Angriffs wurde die Bevölkerung durch den Kampf und den Alarmzustand fünf oder sechs Tage lang mobilisiert; danach gab die CNT die Order aus, die Arbeit wiederaufzunehmen. Den Streik zu verlängern wäre gegen die Interessen der Arbeiter selbst gewesen, die die Verantwortung für die Situation übernahmen“.

Die schönen „libertären“ Kollektive, die gemäß der POUM eine „tiefere Revolution als die russische“ waren, rechtfertigten die Rückkehr zur Arbeit, das Ende des revolutionären Aufstands, die Unterwerfung der Arbeiter unter die Kriegsproduktion. Unter den damaligen Umständen des Aufruhrs und des extremen Zusammenbruchs des kapitalistischen Gefüges waren die Kollektive mit ihrer radikalen Fassade das letzte Mittel, um die Arbeiter zur Arbeit zu bewegen und die Herrschaft der Ausbeutung zu retten, wie Osorio Gallardo, ein rechter monarchistischer Politiker, offen zugab: „Wir sollten unparteiisch urteilen. Die Kollektive waren eine Notwendigkeit. Der Kapitalismus hatte seine ganze moralische Autorität verloren, seine Herren konnten keine Befehle mehr erteilen, und die Arbeiter wollten auch nicht mehr gehorchen. In solch einer beängstigenden Situation konnte die Industrie entweder stillgelegt werden, oder die Generalitat übernahm sie, indem sie einen sowjetischen Kommunismus errichtete“.

Im Dienst der Kriegswirtschaft

Es ist lachhaft, wenn uns erzählt wird, dass die Kollektive ein Modell des „Kommunismus“, der „Arbeitermacht“ gewesen seien, eine „viel tiefere Revolution als die in Russland“. Die Unzahl von Informationen, von Tatsachen und Zeugnissen, die das Gegenteil beweisen, ist überwältigend. Betrachten wir diese einmal näher:

1. Eine ganze Reihe von Kollektivierungen wurde mit dem Einverständnis der Unternehmer selbst durchgeführt. Hinsichtlich der Kollektivierung der Schokoladenindustrie von Torrente (Valencia) schreibt Gaston Leval in dem oben zitierten Buch: „Motiviert von dem Wunsch nach Modernisierung der Produktion (?) sowie nach Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen (sic!), lud die CNT zu einer Versammlung am 1. September 1936 ein. Die Unternehmer wurden genauso wie die Arbeiter zur Teilnahme im Kollektiv eingeladen. Und alle stimmten darin überein, sich für die Organisierung der Produktion und des Lebens auf ganz neuer Grundlage zusammenzuschließen".

Diese „ganz neue Grundlage des Lebens“ hielt die Pfeiler des kapitalistischen Regimes aufrecht, wie z.B. im Kollektiv der Straßenbahnen Barcelonas: Das Kollektiv „akzeptierte nicht nur, den Gläubigern der Gesellschaft die aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen, sondern verhandelte sogar mit den Aktionären, die auf einer Aktionärsversammlung einbestellt wurden“ (ebenda).

War dies die tiefgreifende Revolution: die alten Schulden und die Interessen der Aktionäre zu respektieren? Eine seltsame Art, die Produktion und das Leben auf ganz neue Grundlagen zu organisieren!

2. Die Kollektive spielten den Gewerkschaften und den bürgerlichen politischen Parteien beim Wiederaufbau der kapitalistischen Wirtschaft in die Hände:

  • Sie dienten der Konzentration der Unternehmen: „Wir haben die winzig kleinen Werkstätten mit einer unbedeutenden Anzahl von Arbeitern übernommen, die nicht die Spur einer gewerkschaftlichen Aktivität zeigten und deren Passivität der Wirtschaft Schaden zufügte.“ (Nachrichtenblatt der Holzarbeitergewerkschaft, CNT, Barcelona 1937)
  • Sie rationalisierten die Wirtschaft: „Zuerst haben wir die finanzielle Stabilität der Industrie hergestellt, indem ein Allgemeiner Wirtschaftsrat gebildet wurde, zu dem jede Branche zwei Delegierte entsandte. Die überschüssigen Ressourcen sollen als Hilfe der defizitären Industriebereiche dienen, damit diese Rohstoffe und andere Produktionsbestandteile erhalten.“ (CNT, Barcelona 1936)
  • Sie zentralisierten den Mehrwert und die Kredite, um diese gemäß der Bedürfnissen der Kriegswirtschaft aufzuteilen: „In allen kollektivierten Betrieben sind 50 Prozent der Gewinne für die Aufrechterhaltung der eigenen Ressourcen bestimmt, die verbleibenden 50 Prozent werden dem entsprechenden regionalen oder lokalen Wirtschaftsrat zur Verfügung gestellt.“ (Bericht der CNT über die Kollektive im Dezember 1936)

Wie daraus ersichtlich wird, ging kein Pfennig der Gewinne an die Arbeiter, aber das macht ja nichts! Gaston Leval rechtfertigt dies mit dem größten Zynismus: „Man kann sich mit gutem Grund fragen, warum die Gewinne nicht unter den Arbeitern aufgeteilt werden, die den Gewinn erarbeitet haben. Darauf antworten wir: weil diese Gewinne für Zwecke der gesellschaftlichen Solidarität reserviert sind“. „Gesellschaftliche Solidarität“ mit der Ausbeutung, mit der Kriegswirtschaft, mit der schrecklichsten Armut!

3. Die Kollektive rührten das ausländische Kapital nicht an, „um die befreundeten Länder nicht zu verärgern“, wie die POUM sagt. Wir übersetzen dies: um sich den imperialistischen Mächten zu unterwerfen, die die republikanische Bande unterstützten. Welch eine fabelhafte und tiefgreifende Revolution!

4. Die Organe, die die Kollektive zur Welt brachten und führten (Gewerkschaften, politische Parteien, Komitees) waren völlig in den kapitalistischen Staat integriert: „Die Fabrikkomitees und die Kontrollkomitees der enteigneten Betriebe verwandelten sich in Organe zur Aktivierung der Produktion, und aus diesem Grund wurde ihr Klassencharakter unkenntlich gemacht. Bei diesen Komitees handelte es sich nicht um Organe, die im Verlauf des aufständischen Streiks für die Zerstörung des Staates geschaffen worden waren, sondern um Organe, die auf die Kriegsproduktion orientiert waren, eine grundlegende Bedingung dafür, um das Überleben und die Verstärkung des besagten Staates zu erlauben.“ (Bilan)

Und was die Parteien und die Gewerkschaften betrifft, so kann man sagen, dass nicht nur die Kräfte der Volksfront, sondern auch die eher „basisbezogenen“ und „radikalen“ Organisationen in den Staat integriert waren: Die CNT beteiligte sich am Wirtschaftsrat Kataloniens mit vier Delegierten, an der Regierung der Generalitat Kataloniens mit drei Ministern und an der Zentralregierung Madrids mit drei weiteren Ministern. Aber sie beteiligte sich nicht nur in vollem Ausmaß an der Spitze des Staates, sondern auch an der Basis dieses Staates, von Dorf zu Dorf, von Betrieb zu Betrieb, von Stadtviertel zu Stadtviertel. Das republikanische Spanien hatte Hunderte von „libertären“ Bürgermeistern, Stadträten, Verwaltungschefs, Polizeichefs, Offizieren usw. gekannt.

Aber diese Kräfte sind nicht nur aufgrund ihrer direkten Teilnahme innerhalb des Staates integraler Bestandteil desselben. Es ist die Gesamtheit der von ihnen vertretenen Politik, die sie zu Fleisch und Blut der kapitalistischen Ordnung machte. Jene Philosophie, die die Aktionen der Kollektive ständig hemmte, war die antifaschistische Einheit, die die Opfer der Arbeiter an der militärischen Front und die Überausbeutung an der Heimatfront rechtfertigte. Gaston Leval erklärt uns unmissverständlich diese Politik, die u.a. von der CNT verfolgt wurde: „Wir mussten jene so beschränkten und trotzdem beachtlichen Freiheiten verteidigen, die von der Republik repräsentiert wurden“. Gaston Leval „vergisst“ die „beachtliche Freiheit“ der Arbeiter, die von der republikanischen Repression gegen Arbeiterstreiks verkörpert wurde (erinnert sei an Casas Viejas, Alto Liobregat, Asturien etc.) „Es handelte sich nicht darum, den libertären Kommunismus einzuführen, auch nicht um eine Offensive gegen den Kapitalismus, den Staat oder die politischen Parteien; es war der Versuch, den Triumpf des Faschismus zu verhindern." (Gaston Leval)

Warum zum Teufel kritisieren dann die CNT, die Anarchisten und Co. die spanische KP, wenn ihr Programm genau das gleiche war: nämlich die Verteidigung des Kapitalismus hinter dem Humbug des Antifaschismus?

5. Der „revolutionäre, antikapitalistische und libertäre“ Charakter der Kollektive wurde vom kapitalistischen Staat praktischerweise gutgeheißen, der sie mit dem Kollektivierungsdekret (24. Okt. 1936) anerkannte und sie mittels der Konstituierung des Wirtschaftsrates koordinierte. Und wer unterzeichnete beide Dekrete? Herr Tarradellas, heute brandneuer Präsident der Generalitat Kataloniens!

Wir sind zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass die Kollektive nicht einmal ein Minimalangriff gegen die bürgerliche Ordnung waren, sondern eine Form, welche sich die Bourgeoisie zu eigen machte, um die Wirtschaft zu reorganisieren und um die Ausbeutung aufrechtzuerhalten in einem Augenblick äußerster gesellschaftlicher Spannungen und einer enormen Radikalisierung der Arbeiter, die es ihr nicht erlaubte, zum Gebrauch traditioneller Methoden zu greifen. „Angesichts des Aufruhrs in der Klasse kann der Kapitalismus  nicht einmal daran denken, Zuflucht zu den klassischen Methoden der Legalität zu nehmen. Was ihn bedroht, ist die UNABHÄNGIGKEIT des proletarischen Kampfes, die die Bedingung für die nächste revolutionäre Epoche ist, die zur Abschaffung der bürgerlichen Herrschaft führt. Daher muss der Kapitalismus das Netz seiner Kontrolle über die Ausgebeuteten enger knüpfen. Die Maschen dieses Netzes, die vormals die Staatsverwaltung, die Polizei, die Gefängnisse waren, verwandelten sich in der extremen Lage von Barcelona in Milizkomitees, vergesellschaftete Industrien, Arbeitergewerkschaften, Wachmannschaften, etc." (Bilan)

Die Implantierung der Kriegswirtschaft

Nachdem wir das Wesen der Kollektive als kapitalistisches Instrument ausgemacht haben, beginnen wir ihre Rolle zu erkennen. Sie sollten eine drakonische Kriegswirtschaft innerhalb des Proletariats installieren, die die enormen Kosten erleichtern und Ressourcen in Anspruch nehmen sollte, welche der imperialistische Krieg in Spanien von 1936-39 erforderlich machte.

Kurz, die Kriegswirtschaft bedeutete dreierlei:

  • Militarisierung der Arbeit
  • Rationierung
  • Lenkung der gesamten Produktion auf ein ausschließliches, totalitäres und monolithisches Ziel: den Krieg.

Das Feigenblatt der Kollektive ermöglichte der Bourgeoisie, den Arbeitern eine militärische Arbeitsdisziplin, die Verlängerung des Arbeitstages und unbezahlte Überstunden aufzuzwingen.

Ein bürgerlicher Journalist schilderte entzückt die in der Ford-Fabrik herrschende „Atmosphäre“: „Es gab weder Kommentare noch Kontroversen. Zuerst kam der Krieg und für ihn galt es zu arbeiten und endlos zu arbeiten (...) Optimistisch und zufrieden, wie sie waren, machte es ihnen nichts aus, dass ihr Komitee - aus Arbeitergenossen wie sie zusammengesetzt - strenge Anweisungen erteilte und mehr Arbeitsstunden anordnete. Was wichtig war, war der Sieg über den Faschismus.“

Die Statuten der Kollektive bestimmten eindeutig die Installation einer Militarisierung der Arbeit: „Artikel 24: Alle werden zur Arbeit ohne Zeitbegrenzung verpflichtet, um das Notwendige zum Nutzen des Kollektivs zu tun; Artikel 25: Jedes Kollektivmitglied ist verpflichtet, zusätzlich zu der ihm zugeteilten Arbeit Hilfe zu leisten, wo seine Hilfe gebraucht wird, d.h. bei allen dringenden oder unvorhergesehenen Arbeiten.“ (Jativa-Kollektiv, Valencia)

In den Kollektiv-„Versammlungen“ wurden mehr und mehr Kasernenmethoden „demokratisch“ erzwungen: „Es wurde beschlossen, eine Werkstatt zu organisieren, wo die Frauen arbeiten können, statt ihre Zeit auf der Straße tratschend zu verlieren (...) Schließlich wurde beschlossen, dass es in jeder Werkstatt eine Delegierte gibt, die es übernimmt, die weiblichen Lehrlinge zu kontrollieren, welche bei zweimaliger grundloser Abwesenheit ohne Einspruch entlassen werden können.“ (Tamarite-Kollektiv, Huesca)

Was die Rationierungen angeht, so erklärt eine katalanische Zeitschrift aus der damaligen Zeit, ohne rot zu werden, die „demokratische“ Methode, mit der sie den Arbeitern aufgezwungen wurden: „Im ganzen Land sind die Bürger verpflichtet, bei allem zu sparen, von den wertvollen Metallen bis hin zu Kartoffelschalen. Die öffentliche Gewalt verlangt dieses strenge Regime. Aber hier in Katalonien ist es das Volk, das sich vollkommen spontan, freiwillig und bewusst eine strenge Rationierung auferlegt.“

Das erste Gesetz des „ultra-revolutionären“ Rates von Aragon (mit Durruti und anderen Satrapen) lautet: „Für den Bedarf der Kollektive werden Rationierungskarten ausgegeben.“ Diese mit „revolutionären Mitteln“ durchgesetzten und „von den Bürgern bewusst akzeptierten“ Rationierungen bedeuteten eine unbeschreibliche Armut für die Arbeiter und die gesamte Bevölkerung. Gaston Leval gesteht ohne Scham ein: „In den meisten Kollektiven gab es fast immer Fleischmangel und vielfach selbst Kartoffelmangel." (ob.zit.)

Letztlich hatten die Kasernendisziplin, die von der Bourgeoisie hinter der Maske der Kollektive erzwungenen Rationierungen ein einziges Ziel: alle wirtschaftlichen und menschlichen Quellen dem blutgierigen Gott des imperialistischen Krieges zu opfern:

  • dem Kollektiv von Mas de las Matas (Barcelona) entnehmen wir laut der Vorschläge der CNT: „Die Anlagen der Weinkeller wurden für die Herstellung von 96%igen Alkohol angepasst, der von den Frontärzten dringend benötigt wurde. Der Erwerb von Kleidung, Maschinen usw., die für den Gebrauch der Kollektivmitglieder bestimmt waren, wurde eingeschränkt, denn diese Güter sollten nicht dem Luxus dienen, sondern der Front“;
  • die Kollektive Alicantes: „Die Regierung, die die von den Kollektiven in den Provinzen erzielten Fortschritte erkannt hatte, übertrug den gewerkschaftlich organisierten Betrieben von Alcoy die Verantwortung für die Waffenproduktion und der Elda-Industrie, ebenfalls in libertärer Hand, die Verantwortung für die sozialisierte Textilindustrie und die Schuhfertigung, zwecks Versorgung der Truppen mit Waffen, Bekleidung und Schuhwerk.“ (Gaston Level)

Die Kollektive: Instrumente der Überausbeutung

Am sichtbarsten wird das arbeiterfeindliche Wesen der unheilvollen anarchistischen „Kollektive“  in der Tatsache, dass es der republikanischen Bourgeoisie mit ihrer Hilfe gelang, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter auf ein unerträgliches Maß zu reduzieren:

  • Löhne - sie fielen von Juni 1936 bis Dezember 1938 um nominal 30 Prozent; der Verfall des Lebensstandards war gar noch schlimmer: mehr als 200 Prozent!
  • Preise - sie stiegen von 168,8 im Jahr 1936 (Index 1913: 100) bis auf 564 im November 1937 und auf 687,8 im Februar 1938 an.
  • Arbeitslosigkeit - trotz der großen Verschwendung von Menschen an der Front, die die Arbeitslosigkeit insgesamt senkte, stieg die Rate zwischen Januar 1936 und November 1937 um 39 Prozent.
  • Arbeitszeit - sie stieg auf 48 Stunden (1931 betrug sie ca. 44 Stunden; im Juli 1936 hatte die Generalitat, um die Arbeiter zu besänftigen, die 40-StundenWoche dekretiert, doch einige Monate später verschwand diese Maßnahme unter dem Vorwand der Kriegsanstrengungen und der „Kollektivierung“ wieder von der Bildfläche. Die vielen Überstunden verlängerten den Arbeitstag um weitere 30 Prozent.

Gerade die sog. „Arbeiterorganisationen“ (KP, UGT, POUM und vor allem die CNT) warben mit größtem Nachdruck für Überausbeutung und Verschlechterung der Lage der Arbeiter.

Peiro, ein Bonze der CNT, schrieb im August 1936: „Für die Bedürfnisse der Nation reicht die 40-Stunden-Woche nicht aus; tatsächlich ist nichts weniger angebracht.“

Die gewerkschaftlichen Anweisungen der CNT waren am „günstigsten“ für die Arbeiter: „Arbeiten, produzieren und verkaufen. Keine Lohnforderungen oder irgendwelche anderen Forderungen. Alles muss dem Krieg untergeordnet werden. In Produktionszweigen, die in direkter oder indirekter Verbindung mit dem antifaschistischen Krieg stehen, dürfen keine Forderungen hinsichtlich der Arbeitsgrundlagen gestellt werden, weder bezüglich der Löhne noch bezüglich der Arbeitszeit. Die Arbeiter können keine Extralöhne für die zugunsten des antifaschistischen Krieges geleisteten Überstunden verlangen und müssen die Produktion im Vergleich zum Zeitraum vor dem 19. Juli erhöhen.“

Die KP heulte: „Nein zu den Streiks im demokratischen Spanien! Kein fauler Arbeiter in der Nachhut!“

Natürlich dienten die Kollektive, das Instrument der „Arbeitermacht“ und der „Vergesellschaftung“ in den Händen des Staates, als Ausrede dafür, dass die Arbeiter die brutale Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen schluckten.

So geschehen im Kollektiv von Graus (Huesca): „Den Frauen wird kein Lohn für ihre Arbeit bezahlt, falls ihre Bedürfnisse durch das Einkommen der Familie gedeckt werden“. Im Kollektiv von Hospitalet (Barcelona): „Die Notwendigkeit außergewöhnlicher Anstrengungen berücksichtigend, werden wir auf die 5%ige Lohnerhöhung und auf die von der Regierung beschlossene Arbeitszeitverkürzung verzichten“. Päpstlicher als der Papst!

Schlußfolgerungen

Die traurige historische Erfahrung in Erinnerung zu rufen, die das spanische Proletariat durchmachte, den großen Schwindel der Kollektive zu brandmarken, mit denen es der Bourgeoisie gelungen war, das Proletariat zu täuschen, ist keine Frage für Intellektuelle und für die Gelehrten. Es ist eine lebenswichtige Notwendigkeit, um nicht wieder in die gleiche Falle zu tappen. Um uns zu besiegen und dazu zu bringen, Überausbeutung, Arbeitslosigkeit und andere Opfer zu schlucken, benutzt die Bourgeoisie Lügen: Sie kleidet sich als „Arbeiter“ und geriert sich als „Volksfreund“ (1936 machte sich die Bourgeoisie Schwielen an die Hände und zog sich als „Arbeiter“ an); die Fabriken wurden als „sozialisiert“ und „selbstverwaltet“ ausgegeben. Sie ruft zu jeder Art von Solidarität zwischen den Klassen hinter den Fahnen des Antifaschismus, der „Verteidigung der Demokratie“, dem „Kampf gegen den Terrorismus“ etc. auf. Sie vermittelt den Arbeitern den falschen Eindruck, „frei“ zu sein, die Wirtschaft zu „kontrollieren“ usw. Aber hinter so viel Demokratie, „Beteiligung“ und „Selbstverwaltung“ versteckt sich unangetastet, mächtiger und stärker denn je der bürgerliche Staatsapparat, um den herum sich die kapitalistischen Produktionsverhältnisse aufrechterhalten und immer verheerender mit all ihrer Bestialität wüten.

Heute, wo die fatalen Gesetze des altersschwachen Kapitalismus in den Krieg führen, ist das „Lächeln“, das „Vertrauen in die Bürger“, die „umfassendste Demokratie“ und die „Selbstverwaltung“ ein großes Theater, mit dessen Hilfe der Kapitalismus immer mehr Opfer, immer mehr Arbeitslosigkeit, immer größere Armut und immer mehr Blut auf den Schlachtfeldern einfordert. Aus Erfahrung wird man klug. Die „Kollektive“ von 1936 waren eines der arglistigsten Modelle, ein weiteres jener Paradiese, eine weitere jener schönen Illusionen, mit denen der Kapitalismus die Arbeiter in die Niederlage und in das Massaker stieß. Die Lehre aus diesen Ereignissen muss dem heutigen Proletariat dazu dienen, die Fallen zu umgehen, die das Kapital ihm stellt, um so vorwärtszuschreiten auf dem Weg zu seiner endgültigen Befreiung.

E.F. (aus: Accion Proletaria Nr. 20)

Historische Ereignisse: 

  • Spanien 1936 [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • "Selbstverwaltung" [2]

Source URL:https://de.internationalism.org/en/node/1348

Links
[1] https://de.internationalism.org/en/tag/historische-ereignisse/spanien-1936 [2] https://de.internationalism.org/en/tag/2/34/selbstverwaltung