Trumps Vorgehen hat bei wichtigen Teilen der US-Bourgeoisie die Alarmglocken läuten lassen und Befürchtungen vervielfacht, Trumps unberechenbarer und selbstsüchtiger Präsidentschaftsstil könnte zu einer echten Gefahr für die USA werden, und sogar die Befürchtung hervorgerufen, Trump könnte unter dem Druck des Amtes und vor allem angesichts der aktuellen Amtsenthebungskampagne gegen ihn seine wenig ausgeprägte mentale Stabilität verlieren. Sicherlich wird sein Verhalten immer bizarrer; er zeigt sich nicht nur als Ignorant (indem er sagte, "die Kurden halfen uns nicht bei der Landungen der Alliierten am Ausgang des 2. Weltkrieges in der Normandie" ...), sondern auch als gewöhnlicher Gangster (in einem Brief an Erdogan rät er letzterem: „Seien Sie kein harter Kerl, seien sie kein Narr“; der türkische Führer warf den Brief prompt in den Papierkorb; Trumps Drohungen, die Wirtschaft der Türkei zu zerstören ...). Trump regiert per Tweet, trifft impulsive Entscheidungen, missachtet die Ratschläge seiner Mitarbeiter*innen – und muss dann in der nächsten Minute zurückrudern, um einen Waffenstillstand in Nordsyrien zusammenzuschustern, wie das Schreiben und die hastige Entsendung von Pence und Pompeo nach Ankara zeigen.
Doch konzentrieren wir uns nicht zu sehr auf die Persönlichkeit von Trump. In erster Linie ist Trump lediglich Ausdruck der fortschreitenden Zersetzung seiner Klasse – eines Prozesses, der überall „starke Männer“ hervorbringt, von Duterte bis Oban und von Modi bis Boris Johnson, die in ihrer Missachtung der Wahrheit und der traditionellen Regeln des politischen Spiels die niedrigsten Leidenschaften und die Schadenfreude ansprechen. Und selbst wenn Trump in seinen Beziehungen zu Erdogan zu früh losschoss: die Politik des Truppenrückzugs aus dem Nahen Osten war keine Erfindung von Trump, sondern geht auf die Obama-Regierung zurück, die das völlige Scheitern der US-Politik im Nahen Osten seit Anfang der 1990er Jahre erkannte und sich der Notwendigkeit bewusst war, den Schwerpunkt im Fernen Osten zu setzen („Pivot to Asia“), um der wachsenden Bedrohung durch den chinesischen Imperialismus zu begegnen.
Das letzte Mal, als die USA „grünes Licht“ im Nahen Osten gaben, war 1990, als der US-Botschafter April Glaspie mitteilte, die USA werde sich nicht einmischen, wenn Saddam Hussein nach Kuwait marschierte. Es war eine gut organisierte Falle, die mit der Idee begann, eine massive US-Operation in der Region durchzuführen und die westlichen Partner zu zwingen, sich einem großen Kreuzzug anzuschließen. Dies geschah zu einer Zeit, in der sich der Westblock – nach dem Zusammenbruch des russischen Blocks im Jahr 1989 – bereits zu lockern begann und die USA als einzige verbliebene Supermacht ihre Autorität durch eine spektakuläre Demonstration der Gewalt behaupten musste. Geleitet von einer fast messianischen „Neocon“-Ideologie ließ die US-Regierung auf den ersten Golfkrieg weitere militärische Abenteuer folgen: 2001 in Afghanistan und 2003 im Irak. Doch die schwindende Unterstützung dieser Operationen durch ihre ehemaligen Verbündeten und vor allem das völlige Chaos, das diese Operationen im Nahen Osten entfachten, indem sie die US-Streitkräfte an nicht zu gewinnende Konflikte gegen lokale Aufstände fesselten, demonstrierten den rapiden Verfall der Befähigung der USA als „Weltpolizei“. In diesem Sinne liegt eine Logik hinter Trumps impulsiven Aktivitäten, die von beachtlichen Teilen der US-amerikanischen Bourgeoisie unterstützt werden, die erkannt haben, dass die USA den Nahen Osten nicht regieren können, indem sie Bodentruppen einsetzen oder sogar nur ihre Luftmacht nutzen. Zur militärischen Verteidigung der Interessen, insbesondere gegen die aufstrebende Macht des Iran (und langfristig gegen die potenzielle Präsenz Chinas als ernstzunehmender Konkurrent in der Region), wird man sich mehr und mehr auf die zuverlässigsten Verbündeten der Region stützen, Israel und Saudi-Arabien.
Der von Pence und Pompeo ausgehandelte Waffenstillstand, von dem Trump behauptet, er werde „Millionen von Menschenleben retten“, ändert nichts an der Politik des Fallenlassens der Kurd*innen, da er lediglich darauf abzielt, den kurdischen Kräften die Möglichkeit zum Rückzug zu geben, während die türkische Armee ihre Kontrolle über Nordsyrien etabliert. Dabei ist festzustellen, dass diese Art von „Verrat“ nichts Neues ist. 1991, im Krieg gegen Saddam Hussein, ermutigten die USA unter Bush Senior die Kurd*innen im Nordirak, sich gegen das Regime Saddams zu erheben – und ließen dann Saddam an der Macht, bereit und in der Lage, den kurdischen Aufstand mit äußerster Brutalität zu zerschlagen. Der Iran hat ebenfalls versucht, die Kurd*innen des Irak gegen Saddam einzusetzen. Aber alle Mächte der Region und die Weltmächte, die hinter ihnen stehen, haben sich stets gegen die Bildung eines einheitlichen Staates Kurdistan ausgesprochen, die eine Auflösung der bestehenden nationalstaatlichen Konstellationen im Nahen Osten bedeuten würde.
Die kurdischen Streitkräfte zögerten unterdessen nie, sich an den Höchstbietenden zu verkaufen. Dies geschieht vor unseren Augen: Die kurdische Miliz wandte sich sofort an Russland und das Assad-Regime selbst, um vor der türkischen Invasion geschützt zu werden.
Seit mindestens dem Ersten Weltkrieg ist dies außerdem das Schicksal aller Kämpfe um „nationale Befreiung“: nur unter dem Einfluss und mit der Unterstützung der einen oder anderen imperialistischen Macht gedeihen zu können. Dieselbe grimmige Notwendigkeit besteht im gesamten Nahen Osten, insbesondere: Die palästinensische Nationalbewegung suchte in den 1930er und 40er Jahren die Unterstützung Deutschlands und Italiens; während des Kalten Krieges die Unterstützung Russlands; und in der Weltunordnung, die der Zusammenbruch des Blocksystems nach sich zog, die Unterstützung verschiedener regionaler Mächte. Die Abhängigkeit des Zionismus von der imperialistischen Unterstützung (hauptsächlich, aber nicht nur von den USA) bedarf unterdessen keiner Erklärung und stellt keine Ausnahme von der allgemeinen Regel dar. Nationale Befreiungsbewegungen können unter vielen ideologischen Bannern stehen – Stalinismus, Islamismus, sogar, wie im Fall der kurdischen Streitkräfte in Rojava, unter dem Banner einer Art Anarchismus –, aber sie halten die Ausgebeuteten und Unterdrückten nur in den endlosen Kriegen des Kapitalismus in dessen Epoche des imperialistischen Zerfalls gefangen.[2]
Der offensichtlichste Nutznießer des Rückzugs der USA aus dem Nahen Osten ist Russland. In den 1970er und 80er Jahren war die UdSSR gezwungen gewesen, auf die meisten ihrer Positionen im Nahen Osten zu verzichten, insbesondere auf ihren Einfluss in Ägypten und vor allem auf ihre Versuche der Kontrolle Afghanistans. Ihr letzter Vorposten und ein wichtiger Zugangspunkt zum Mittelmeer waren Syrien und das Assad-Regime, das durch den Krieg, der das Land ab 2011 heimsuchte, und durch die Fortschritte der „demokratischen“ Rebell*innen und vor allem des „Islamischen Staates“ vom Zusammenbruch bedroht war.
Die massive Intervention Russlands in Syrien rettete das Assad-Regime und stellte dessen Kontrolle über den größten Teil des Landes wieder her. Doch ist es zweifelhaft, ob dies möglich gewesen wäre, wenn nicht die USA im verzweifelten Versuch, nach Afghanistan und Irak einem weiteren ausweglosen Morast zu entgehen, das Land effektiv Russland überlassen hätten. Dies hat zu großen Spaltungen in der US-Bourgeoisie geführt, wobei einige ihrer etablierteren Fraktionen im Militärapparat immer noch zutiefst misstrauisch gegenüber allem sind, was „die Russen“ tun könnten, während Trump und diejenigen hinter ihm Putin als einen Mann zum Geschäftemachen betrachteten und vor allem als ein mögliches Bollwerk gegen den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg Chinas.
Ein Teil des Aufstiegs Russlands zu einer solchen Führungsposition in Syrien bestand darin, eine neue Beziehung zur Türkei aufzubauen, die sich allmählich von den USA entfernt hat, nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung der USA für die Kurd*innen bei deren Operation gegen den IS im Norden Syriens. Aber die Kurdenfrage bereitet der russisch-türkischen Annäherung bereits Schwierigkeiten: Da sich ein Teil der kurdischen Streitkräfte jetzt an Assad und Russland wendet, um Schutz zu erhalten, und da das syrische und russische Militär die Gebiete, die zuvor von den kurdischen Kämpfern kontrolliert wurden, besetzt, besteht die Gefahr einer Konfrontation zwischen der Türkei einerseits und Syrien und dessen russischen Unterstützer*innen andererseits. Im Moment scheint diese Gefahr durch das Abkommen vom 22. Oktober zwischen Erdogan und Putin in Sotschi abgewendet worden zu sein. Das Abkommen gibt auf Kosten der Kurd*innen der Türkei die Kontrolle über eine Pufferzone in Nordsyrien und bestätigt gleichzeitig die Rolle Russlands als wichtigster Macht-Broker der Region. Ob diese Regelung die seit langem bestehenden Gegensätze zwischen der Türkei und Assads Syrien überwinden wird, bleibt abzuwarten. Der Krieg eines jeden gegen alle, ein zentrales Merkmal imperialistischer Konflikte seit dem Untergang des Blocksystems, ist nirgendwo deutlicher sichtbar als in Syrien.
Im Moment kann sich zudem die Türkei Erdogans für ihren schnellen militärischen Fortschritt in Nordsyrien und die Räumung der kurdischen „Terroristennester“ beglückwünschen. Der Einmarsch ist für Erdogan auch auf nationaler Ebene ein Geschenk des Himmels: Nach einigen schweren Rückschlägen seiner AKP-Partei bei den Wahlen im vergangenen Jahr spaltete die durch das militärische Abenteuer ausgelöste Welle der nationalistischen Hysterie die aus türkischen „Demokrat*innen“ und kurdischer HDP bestehende Opposition.
Erdogan kann vorerst wieder den Traum vom neuen Osmanischen Reich verkaufen: die Türkei im früheren Glanz als Global Player wieder auferstanden, nachdem sie Anfang des 20. Jahrhunderts zum „kranken Mann am Bosporus“ wurde. Aber in eine ohnehin schon zutiefst chaotische Situation zu marschieren, könnte für die Türkei auf lange Sicht eine gefährliche Falle darstellen. Vor allem wird diese neue Eskalation des syrischen Konflikts die ohnehin schon gigantischen menschlichen Kosten erheblich erhöhen. Weit über 100.000 Zivilist*innen wurden bereits vertrieben, was den internen Flüchtlingsalptraum Syriens erheblich verschärft, während ein sekundäres Ziel der Invasion darin besteht, weitgehend zu Lasten der lokalen kurdischen Bevölkerung etwa 3 Millionen syrische Flüchtlinge abzuladen, die derzeit unter katastrophalen Bedingungen in türkischen Lagern in Nordsyrien leben.
Der bodenlose Zynismus der herrschenden Klasse zeigt sich nicht nur im Massenmord, den Flugzeuge, Artillerie und terroristische Bomben unter der Zivilbevölkerung Syriens, des Iraks, Afghanistans oder des Gazastreifens anrichten, sondern auch in der Art und Weise, wie sie die zum Flüchten aus den Todeszonen gezwungenen Menschen funktionalisiert. Die EU, dieses Paradebeispiel demokratischer Tugenden, verlässt sich seit langem auf Erdogan als Gefängniswärter, damit unter seinem „Schutz“ die syrischen Flüchtlinge nicht die Wellen in Richtung Europa verstärken. Erdogan sieht in der ethnischen Säuberung Nordsyriens nun eine Erlösung von dieser Bürde und droht, eine neue Flüchtlingsflut nach Europa zu lenken, sollte die EU seine Aktionen kritisieren.
Menschen sind für das Kapital nur dann von Nutzen, wenn sie ausgebeutet oder als Kanonenfutter verwendet werden können. Und die offene Barbarei des Krieges in Syrien ist nur ein Vorgeschmack darauf, was der Kapitalismus für die gesamte Menschheit bereithält, wenn er weitermachen darf. Doch sind die Hauptopfer dieses Systems – all jene, die es ausbeutet und unterdrückt –, keine passiven Objekte, und im vergangenen Jahr etwa konnten wir in den sozialen Revolten in Jordanien, Iran, Irak und zuletzt im Libanon einen Eindruck der Möglichkeit von Massenaktionen gegen Armut und Korruption der herrschenden Klasse gewinnen. In der Regel sind diese Bewegungen sehr verwirrt, von nationalistischen Illusionen infiziert und schreien nach einer klaren Führung durch die Arbeiter*innenklasse, die auf ihrem eigenen Klassenterrain agiert. Aber das ist nicht nur eine Aufgabe für die Arbeiter*innen im Nahen Osten, sondern auch für die Arbeiter*innen der Welt, und vor allem für die Arbeiter*innen der alten Zentren des Kapitals, wo die autonome politische Tradition des Proletariats geboren wurde und die tiefsten Wurzeln hat.
Amos, 23.10.19
[1]Natürlich ist es denkbar, dass Trump angesichts der Möglichkeit einer gewissen Präsenz von IS-Kräften in Syrien ganz entspannt ist, jetzt, da es Russland und die Türkei sind, die sich mit ihnen zu befassen haben. Ebenso schien Trump sehr glücklich darüber zu sein, dass die Europäer*innen mit dem Problem der Rückkehr ehemaliger IS-Kämpfer in ihre europäischen Herkunftsländer konfrontiert werden. Aber innerhalb der herrschenden Klasse der USA werden solche Ideen nicht unangefochten bleiben.
[2]Für eine weitere Analyse der Geschichte des kurdischen Nationalismus siehe
Die kommunistische Revolution kann nur erfolgreich sein, wenn sich das Proletariat mit einer politischen Partei als ihre Avantgarde rüstet. Diese muss in der Lage sein, ihre Verantwortung wahrzunehmen, so wie es die bolschewistische Partei im ersten revolutionären Versuch von 1917 tun konnte. Die Geschichte hat gezeigt, wie schwierig es ist, eine solche Partei aufzubauen. Es ist eine Aufgabe, die zahlreiche und vielfältige Anstrengungen erfordert. Sie erfordert vor allem eine große Klarheit in Bezug auf programmatische Fragen und auf die Grundsätze des organisatorischen Funktionierens, die notwendigerweise auf der Gesamtheit der bisherigen Erfahrungen der Arbeiterbewegung und ihrer politischen Organisationen beruht.
In jedem Schritt in der Geschichte dieser Bewegung haben sich bestimmte Strömungen als der beste Ausdruck dieser Klarheit herausgestellt, als diejenigen, die einen entscheidenden Beitrag zur Zukunft des Kampfes leisten konnten. Dies ist bei der marxistischen Strömung seit 1848 der Fall, einer Zeit, in der große Teile des Proletariats noch stark von den Konzepten des Kleinbürgertums beeinflusst wurden, die in Kapitel drei ('Sozialistische und Kommunistische Literatur') des Kommunistischen Manifests energisch bekämpft wurden. Dies galt umso mehr innerhalb der 1864 gegründeten Internationalen Arbeiter Assoziation:
„Aber diese Assoziation, die ausdrücklich zu dem Zwecke gegründet wurde, das gesamte kampfgewillte Proletariat Europas und Amerikas zu einer einzigen Körperschaft zusammenzuschweißen, konnte die im 'Manifest' niedergelegten Grundsätze nicht sofort proklamieren. Die Internationale mußte ein Programm haben, breit genug, um für die englischen Trade-Unions, für die französischen, belgischen, italienischen und spanischen Anhänger Proudhons und für die Lassalleaner in Deutschland annehmbar zu sein. Marx, der dieses Programm zur Zufriedenheit aller Parteien abfaßte, hatte volles Vertrauen zur intellektuellen Entwicklung der Arbeiterklasse, einer Entwicklung, wie sie aus der vereinigten Aktion und der gemeinschaftlichen Diskussion notwendig hervorgehn mußte. […] Und Marx hatte recht. Als im Jahre 1874 die Internationale zerfiel, ließ sie die Arbeiter schon in einem ganz anderen Zustand zurück, als sie sie bei ihrer Gründung im Jahre 1864 vorgefunden hatte. […] In der Tat: Die Grundsätze des 'Manifestes' hatten unter den Arbeitern aller Länder erhebliche Fortschritte gemacht." (Engels, Vorwort zur englischen Ausgabe des Manifests 1888, MEW 21 S. 352/353).
Innerhalb der 1889 gegründeten Zweiten Internationale wurde die marxistische Strömung schließlich – insbesondere durch den Einfluss der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands – hegemonial. Und Rosa Luxemburg engagierte sich im Namen des Marxismus im Kampf gegen den Opportunismus, der seit Ende des 19. Jahrhunderts in dieser Partei und der gesamten Internationalen an Bedeutung gewann. Auch die Internationalisten, die während des Ersten Weltkriegs den Kampf gegen den Verrat der Mehrheit der sozialistischen Parteien führten, taten dies im Namen des Marxismus, genauso wie mit Hilfe der treibenden Kraft der Bolschewiki 1919 die Dritte, die Kommunistische Internationale, gegründet wurde. Und als letztere nach dem Scheitern der Weltrevolution und der Isolation der Revolution in Russland wiederum einem Weg der opportunistischen Degeneration einschlug, war es wieder einmal die marxistische Strömung der kommunistischen Linken – vertreten insbesondere durch die italienische und deutsch-holländische Linke –, die den Kampf gegen diese Degeneration führte. Wie die Mehrheit der Parteien der Zweiten Internationale ging auch die der Dritten mit dem Triumph des Stalinismus zum Lager des kapitalistischen Feindes über. Dieser Verrat, diese Unterwerfung der kommunistischen Parteien unter die imperialistische Diplomatie der UdSSR, löste neben denen der kommunistischen Linken viele verschiedene Reaktionen aus. Einige der Enttäuschten wechselten in einer "kritischen" Rückkehr wieder in das Lager der Sozialdemokratie. Andere versuchten, im Lager des Proletariats und der kommunistischen Revolution zu bleiben, wie es nach 1926 mit der Linken Opposition von Trotzki, einem der großen Namen der Oktoberrevolution von 1917 und der Gründung der Kommunistischen Internationale, der Fall war.
Die kommunistische Weltpartei, die an der Spitze der proletarischen Revolution der Zukunft stehen wird, wird sich auf die Erfahrung und die Arbeit der linken Fraktionen stützen müssen, die sich von der degenerierenden Kommunistischen Internationale gelöst haben. Jede dieser verschiedenen Fraktionen zog ihre eigenen Lehren aus dieser historischen Erfahrung. Diese Lektionen sind nicht alle gleichwertig. So gibt es tiefgreifende Unterschiede zwischen der Analyse und Politik der linken kommunistischen Strömungen, die sich gleich zu Beginn der 1920er Jahre gebildet haben, und der „trotzkistischen“ Strömung, die viel später auftauchte und die, obwohl sie sich auf einem proletarischen Terrain befand, von Anfang an stark vom Opportunismus geprägt war. Es ist offensichtlich kein Zufall, dass die trotzkistische Strömung sich im Zweiten Weltkrieg dem bürgerlichen Lager anschloss, während die Strömungen der kommunistischen Linken dem Internationalismus treu blieben.
So kann die zukünftige Weltpartei, wenn sie einen echten Beitrag zur kommunistischen Revolution leisten will, sich nicht auf das Erbe der Linken Opposition stützen. Sie muss ihr Programm und ihre Aktionsmethoden auf die Erfahrungen der Kommunistischen Linken stützen. Es gibt Meinungsverschiedenheiten zwischen den bestehenden Gruppen, die aus dieser Tradition hervorgegangen sind, und es liegt in ihrer Verantwortung, sich weiterhin mit diesen politischen Meinungsverschiedenheiten auseinanderzusetzen, damit die neuen Generationen ihre Herkunft und Bedeutung besser verstehen können. Das ist der Sinn der Polemiken, die wir bereits mit der Internationalistischen Kommunistischen Tendenz und den bordigistischen Gruppen veröffentlicht haben. Abgesehen von diesen Divergenzen gibt es jedoch ein gemeinsames Erbe der Kommunistischen Linken, das sie von anderen linken Strömungen unterscheidet, die aus der Kommunistischen Internationale hervorgegangen sind. Aus diesem Grund ist jeder, der behauptet, zur Kommunistischen Linken zu gehören, dafür verantwortlich, die Geschichte dieses Teils der Arbeiterbewegung, ihre Ursprünge als Reaktion auf die Degeneration der Parteien der Kommunistischen Internationale und der verschiedenen Zweige, aus denen sie besteht (Italienische Linke, Deutsch-Holländische Linke usw.), zu kennen und bekannt zu machen. Es ist vor allem wichtig, die historischen Konturen der Kommunistischen Linken und die Unterschiede, die sie von anderen linken Strömungen der Vergangenheit, insbesondere der trotzkistischen Strömung, trennen, sehr genau herauszuarbeiten. Dies ist das Ziel des vorliegenden Artikels.
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Auf dem Blog Nuevo Curso wurde ein Artikel veröffentlicht, der versucht die Ursprünge der Kommunistischen Linken zu erklären[1]: „Wir bezeichnen mit die Kommunistische Linke die internationalistische Bewegung, die begann, gegen die Degeneration der Dritten Internationale zu kämpfen und versuchte, die Fehler zu korrigieren, die aus der Vergangenheit stammten und sich in ihrem Programm widerspiegelten, das 1928 angesichts des Triumphs des Thermidor[2] in Russland und der konterrevolutionären Rolle der Internationalen und der stalinistischen Parteien begann“.
Was bedeutet das genau? Dass die Kommunistische Linke ihren Kampf 1928 begann? Wenn es das ist, was Nuevo Curso denkt, dann ist es falsch, denn die Kommunistische Linke entstand als Reaktion auf die Degeneration der Kommunistischen Internationale bereits 1920-21 auf dem Zweiten und Dritten Kongress der Internationalen. In jener bewegten Zeit, in der die letzten Möglichkeiten der proletarischen Weltrevolution ausgeschöpft wurden, führten Gruppen, Kerne der Kommunistischen Linken in Italien, den Niederlanden, Deutschland, Russland selbst und später in Frankreich und anderen Ländern einen Kampf gegen den Opportunismus, der den revolutionären Körper der Dritten Internationale bis zu seinen Wurzeln zerstörte[3]. Zwei der Ausdrücke dieser Kommunistischen Linken äußerten sich sehr deutlich auf dem Dritten Kongress der KI (1921), der eine harte, aber brüderliche Kritik an den Positionen der Internationalen übte:
„Es waren diejenigen, die Lenin als "Linke" bezeichnete, die sich in der KAPD zusammenschlossen, die sich gegen die Rückkehr zum Parlamentarismus, zum Gewerkschaftswesen, wehrten und zeigten, dass diese Positionen in Widerspruch zu denen des Ersten Kongresses standen, der versucht hatte, die Auswirkungen der neuen, durch den Ersten Weltkrieg eröffneten, Periode auf den Kampf des Proletariats herauszuarbeiten.
Auf diesem Kongress reagierte auch die italienische Linke, die die Kommunistische Partei Italiens anführte, energisch – wenn auch in tiefer Uneinigkeit mit der KAPD – gegen die prinzipienlose Politik des Bündnisses mit den "Zentristen" und die Entstellung der KPs durch den massiven Eintritt von Abspaltungen aus der Sozialdemokratie“[4].
In der bolschewistischen Partei selbst „hatten die "Linkskommunisten" Bucharin und Ossinsky ab 1918 begonnen, die Partei vor der Gefahr zu warnen, eine Politik des Staatskapitalismus durchzuführen. Drei Jahre später, nachdem sie von der bolschewistischen Partei ausgeschlossen worden war, setzte Miasnikows 'Arbeitergruppe' den Kampf konspirativ und in enger Verbindung mit der KAPD und der Bulgarischen Kommunistischen Arbeiterpartei fort, bis sie 1924 unter den wiederholten Schlägen der staatlichen Unterdrückung verschwand. Diese Gruppe kritisierte die bolschewistische Partei dafür, dass sie die Interessen der Weltrevolution für die Verteidigung des russischen Staates geopfert hatte, und bekräftigte, dass nur die Weltrevolution der Revolution erlauben könnte, in Russland zu überleben“ (ebd.).
Auch wenn sie sich noch in der Entwicklung befanden, suchten die verschiedenen Strömungen der Kommunistischen Linken bereits seit 1919-21 nach einer tiefgreifenden programmatischen Alternative zur Degeneration der Internationalen. Sie machten Fehler, da sie angesichts der großen historischen Probleme oft im Dunkeln tappten. Wie auch immer, aus der Sicht Nuevo Cursos „kann jedoch gesagt werden, dass die historische Epoche der Kommunistischen Linken in dem Jahrzehnt zwischen 1943 und 1953 endete, als die Hauptströmungen, die eine internationalistische Praxis innerhalb der Vierten Internationale aufrechterhalten hatten, den Verrat des Internationalismus anprangerten und eine neue Plattform erarbeiteten, die mit der Verurteilung des stalinistischen Russland als kapitalistischer, imperialistischer Staat begann" (ihr Artikel).
Diese Passage sagt uns, dass die Vierte Internationale einerseits die Heimat von Gruppen mit „einer internationalistischen Praxis“ war, und andererseits, dass nach 1953 „die historische Zeit der Kommunistischen Linken im Jahrzehnt zwischen 1943 und 1953 endete“. Lasst uns diese Behauptungen überprüfen.
Die IV. Internationale wurde 1938 auf der Grundlage der Linken Opposition gegründet, deren erster Ausdruck in Russland mit dem Manifest der 46 im Oktober 1923 – dem auch Trotzki beitrat – formuliert wurde und auf internationaler Ebene durch das Auftreten von Gruppen, Individuen und Tendenzen, die zwischen 1925-26 versuchten, dem immer überwältigender werdenden Triumph des Stalinismus in den Kommunistischen Parteien entgegenzutreten.
Diese Ausdrücke zeigten zweifellos eine proletarische Reaktion. Jedoch war diese verwirrt, schwach und widersprüchlich. Sie äußerte eine oberflächliche Ablehnung des Aufstiegs des Stalinismus. Die Opposition in der UdSSR zeigte sich trotz ihrer heroischen Kämpfe „unfähig, die wahre Natur der Phänomene des Stalinismus und der Bürokratisierung zu verstehen, war eine Gefangene ihrer Illusionen über das Wesen des russischen Staates. Sie wurde auch zum Verfechter des Staatskapitalismus, den sie durch eine beschleunigte Industrialisierung fördern wollte. Als sie gegen die Theorie des Sozialismus in einem Land kämpfte, gelang es ihr nicht, mit den Unklarheiten der bolschewistischen Partei über die Verteidigung des 'sowjetischen Vaterlandes' zu brechen. Und ihre Mitglieder, Trotzki an der Spitze, präsentierten sich als die besten Unterstützer der revolutionären 'Verteidigung des sowjetischen Vaterlandes'. Sie begriff sich nicht als revolutionäre Fraktion, die versucht, die großen Lehren aus der Oktoberrevolution theoretisch und organisatorisch zu sichern, sondern nur als loyale Opposition zur Kommunistischen Partei Russlands". Dies führte zu allen möglichen "prinzipienlosen Bündnissen (so suchte Trotzki die Unterstützung von Sinowjew und Kamenjew, die seit 1923 nie aufgehört hatten, ihn zu verleumden)"[5] (Quelle: vgl. Fußnote 4).
Was die Internationale Linke Opposition betrifft, so berief sie sich auf „die ersten vier Kongresse der KI. Gleichzeitig setzte sie die Praxis der Manöver fort, die bereits die linke Opposition in Russland prägten. Diese Opposition war zu einem großen Teil eine prinzipienlose Umgruppierung, die sich auf eine 'linke' Kritik am Stalinismus beschränkte. Jede wahre politische Klärung war in ihren Reihen verboten, und es wurde Trotzki, der als das Symbol der Oktoberrevolution galt, überlassen, als Sprecher und ‚Theoretiker‘“ (ebd.) zu fungieren.
Auf diesem fragilen Fundament gründete 1938 die Linke Opposition eine „Vierte Internationale“, die für die Arbeiterklasse eine Totgeburt war. Bereits in den 1930er Jahren war die Opposition nicht in der Lage gewesen, „den Auswirkungen der Konterrevolution zu widerstehen, die sich auf der Grundlage der Niederlage des internationalen Proletariats auf internationaler Ebene entwickelte" (ebd.), denn während der verschiedenen lokalen Kriege, die den Holocaust des Zweiten Weltkriegs vorbereiteten, entwickelte die Opposition eine „taktische Perspektive“, „ein imperialistisches Lager gegen ein anderes zu unterstützen (ohne es offen zuzugeben)". Diese Taktik „wurde vom Trotzkismus in den 1930er Jahren unter mehreren Vorwänden in die Tat umgesetzt: Unterstützung des 'kolonialen Widerstands' in Äthiopien, China und Mexiko, Unterstützung für das republikanische Spanien usw. Die Unterstützung des Trotzkismus für die Kriegsvorbereitungen des russischen Imperialismus war während dieses Zeitraums (Polen, Finnland 1939) ebenso klar, wenn auch versteckt hinter der Losung der 'Verteidigung des sowjetischen Vaterlandes'“[6]. Dies, zusammen mit der Taktik des Entrismus in die sozialistischen Parteien (beschlossen 1934), stellte sicher, dass „das auf dem Gründungskongress der IV. Internationale verabschiedete politische Programm, das von Trotzki selbst verfasst wurde, nicht nur die Orientierungen, die diesem Kongress vorausgingen, aufgriff und verschärfte (Verteidigung der UdSSR, Arbeitereinheitsfront, falsche Analyse der Zeitepoche ...), sondern auch eine Wiederholung des Minimalprogramms von sozialdemokratischem Typus ('Übergangsforderungen') darstellte, eines Programms, das durch die Unmöglichkeit von Reformen seit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Phase der Dekadenz, des historischen Niedergangs überholt war“ (siehe Fußnote 4). Die IV. Internationale verteidigte „die Beteiligung an den Gewerkschaften, die kritische Unterstützung der so genannten 'Arbeiterparteien', der 'Einheitsfront' und der 'antifaschistischen Front', der 'Arbeiter- und Bauernregierungen' und als Gefangene der Erfahrungen in der UdSSR staatskapitalistische Maßnahmen wie: die Enteignung von Privatbanken, die Verstaatlichung des Kreditsystems, die Enteignung bestimmter Industriezweige (....) und die Verteidigung des degenerierten russischen Arbeiterstaats. Und auf der politischen Ebene sah sie die demokratische und bürgerliche Revolution in den unterdrückten Nationen vor, die durch den Kampf um die nationale Befreiung stattfindet“. Dieses unverkennbar opportunistische Programm bereitete den Weg für den Verrat der trotzkistischen Parteien durch die Verteidigung ihrer jeweiligen Nationalstaaten in den Jahren 1939-40[7]. Nur wenige Individuen und in keiner Weise "Strömungen mit einer internationalistischen Praxis", wie Nuevo Curso behauptet, versuchten, diesem reaktionären Kurs zu widerstehen! Unter ihnen Natalia Sedowa, Trotzkis Witwe, die 1951 mit der IV. Internationalen brach, und vor allem Munís, über den wir im Folgenden sprechen werden.[8]
Es ist daher notwendig zu verstehen, dass der Kampf um die Ausarbeitung eines programmatischen Rahmens, der der Entwicklung des proletarischen Bewusstseins dient und die Voraussetzungen für die Bildung der Weltpartei schafft, nicht die Aufgabe verstreuter Persönlichkeiten und Zirkel ist, sondern die Frucht eines organisierten, kollektiven Kampfes, der Teil der kritischen historischen Kontinuität kommunistischer Organisationen ist. Diese Kontinuität geht, wie wir in unseren Grundsatzpositionen bekräftigen, durch „die Errungenschaften, die nacheinander erbracht wurden vom Bund der Kommunisten (1847–52) um Marx und Engels, den drei Internationalen (Internationale Arbeiterassoziation 1864–72, Sozialistische Internationale 1889–1914, Kommunistische Internationale 1919–1928), den Linkskommunistischen Fraktionen, die in den 20er und 30er Jahren aus der Dritten Internationale während ihres Niedergangs hervorgegangen waren, insbesondere der Deutschen, Holländischen und Italienischen Linken“[9].
Wir haben bereits gesehen, dass diese Kontinuität weder von der Linken Opposition noch von der Vierten Internationale[10] weitergegeben werden konnte. Aber laut Nuevo Curso endete die „historische Epoche der kommunistischen Linken im Jahrzehnt zwischen 1943 und 1953“. Sie geben keine Erklärung dafür ab, aber in ihrem Artikel fügen sie einen weiteren Satz hinzu: „Die kommunistischen Linken, die bei der internationalen Umgruppierung abseits standen – die Italiener und ihre französischen Ableger – werden, wenn auch nicht alle von ihnen und nicht vollständig und nicht immer auf kohärenten Positionen, im gleichen Zeitraum zu einem ähnlichen Rahmen kommen“.
Diese Passage enthält zahlreiche „Rätsel“. Welche sind zunächst die Gruppen der Kommunistischen Linken, die bei der „internationalen Umgruppierung“ abseits standen? Welche internationale Umgruppierung ist hier gemeint? Natürlich lehnten Bilan und die anderen Strömungen der Kommunistischen Linken die Illusion ab, „den Weg zum Aufbau einer Vierte Internationale einzuschlagen“[11]. Ab 1929 taten sie jedoch alles Mögliche, um mit der Linken Opposition zu polemisieren, indem sie erkannten, dass es sich um eine proletarische Strömung handelte, an der jedoch der Opportunismus nagte. Trotzki lehnte jedoch hartnäckig jede Debatte ab[12]; nur einige Strömungen wie der Bund der Internationalistischen Kommunisten (LIC) Belgiens oder die Marxistische Gruppe (GM) Mexikos akzeptierten die Debatte, und dies brachte eine Entwicklung mit sich, die sie zum Bruch mit dem Trotzkismus führte[13].
Nuevo Curso schreibt, dass diejenigen Gruppen, die „bei der internationalen Umgruppierung abseits standen“ [...] „wenn auch nicht alle von ihnen und nicht vollständig und nicht immer auf kohärenten Positionen, im gleichen Zeitraum zu einem ähnlichen Rahmen kommen“. Was hat ihnen „gefehlt“? Wo waren sie „inkohärent“? Nuevo Curso liefert keine Erklärung. Wir werden es anhand einer Übersichtstabelle demonstrieren, die wir in einem Artikel mit dem Titel „Was sind die Unterschiede zwischen der Kommunistischen Linken und der Vierten Internationale“[14] zusammengestellt haben. Ergänzend muss man klar betonen, dass diese Gruppen Positionen hatten, die mit dem Programm des Proletariats übereinstimmten, und sie hatten in keiner Weise „Ähnlichkeiten“ mit dem opportunistischen Sumpf der Opposition und der Gruppen, die in der Vierten Internationale eine sogenannte „internationalistische Praxis“ entwickelten:
KOMMUNISTISCHE LINKE Basierend auf dem Ersten Kongress der KI und setzt sich kritisch mit den Beiträgen des Zweiten Kongresses auseinander. Lehnt die meisten Positionen des dritten und vierten Kongresses ab Schaut kritisch auf das Geschehen in Russland und kommt zu dem Schluss, dass die UdSSR nicht unterstützt werden sollte, da sie in die Hände des Weltkapitalismus gefallen ist. Weigert sich, in den Gewerkschaften (Deutsch-Holländische Kommunistische Linke) zu arbeiten und wird am Ende zu dem Schluss kommen, dass sie zu Staatsorganen geworden sind. Verurteilt die nationale Befreiung. Verurteilt den Parlamentarismus und die Teilnahme an Wahlen. Unternimmt die Arbeit einer Fraktion, um Lehren aus der Niederlage zu ziehen und die Grundlagen für eine künftige Rekonstruktion der Weltpartei des Proletariats zu legen. In den 1930er Jahren, insbesondere innerhalb von Bilan, ist man der Ansicht, dass die Welt auf dem Weg zum Zweiten Weltkrieg war; dass die Partei unter solchen Bedingungen nicht gebildet werden konnte, sondern dass Lehren gezogen und die Zukunft vorbereitet werden musste. Das ist der Grund, warum Bilan verkündete: "Die Losung der Stunde ist nicht zu verraten" Verurteilt den Zweiten Weltkrieg; verurteilt beide Konfliktparteien und verteidigt die proletarische Weltrevolution. |
LINKE OPPOSITION Basiert auf den Beschlüssen der ersten vier Kongresse der KI, ohne kritische Analyse. Betrachtet Russland als einen degenerierten Arbeiterstaat, der trotz allem unterstützt werden muss. Befürwortet die Gewerkschaften als Organe der Arbeiter und hält es für notwendig, in ihnen zu arbeiten. Unterstützt die nationale Befreiung. Unterstützt die Teilnahme an Wahlen und den "revolutionären Parlamentarismus". Unternimmt "Oppositionsarbeit", die sogar Entrismus in den sozialdemokratischen Parteien legimiert. Inmitten der Konterrevolution glaubt Trotzki, dass die Bedingungen für die Bildung der Partei erfüllt sind, 1938 wird die Vierte Internationale gegründet wird. Fordert die Arbeiter auf, sich unter den Teilnehmern des Zweiten Weltkriegs für eine Seite zu entscheiden und damit den Internationalismus aufzugeben. |
Wir fügen der obigen Tabelle einen Punkt hinzu, der uns sehr wichtig erscheint, um wirklich zum proletarischen Kampf beizutragen und auf dem Weg zur Weltpartei der Revolution voranzukommen: Während die Kommunistische Linke eine organisierte, kollektive und zentralisierte Arbeit leistete, die auf der Loyalität zu den Organisationsprinzipien des Proletariats und auf der historischen Kontinuität ihrer Klassenpositionen beruhte, war die Linke Opposition eine Ansammlung heterogener Persönlichkeiten, Zirkel und Gruppen, die nur durch das Charisma Trotzkis vereint waren, der mit der Aufgabe der „politischen Ausarbeitung“ betraut war.
Um das Ganze noch zu krönen, schmeißt Nuevo Curso die Kommunistische Linke und die Vertreter der Kommunisierung (eine dem Marxismus radikal fremde modernistische Bewegung) in denselben Topf: „Der so genannte 'Linkskommunismus' ist ein Konzept, das die Kommunistische Linke – insbesondere die italienische und deutsch-holländische –, die Gruppen und Tendenzen, die ihr Kontinuität verleihen, vom 'Rätismus' bis zum 'Bordigismus' und die Denker der "Kommunisierung" umfasst.“ Und weil ein Bild mehr als tausend Worte sagt, stellen sie ein Foto von Amadeo Bordiga[15] inmitten eines Absatzes über die Verurteilung der „Kommunisierer“, was implizieren soll, dass die Kommunistische Linke mit ihnen verbunden sei oder Positionen mit ihnen teile.
So müssen Revolutionäre heute laut Nuevo Curso nicht mehr nach den Grundlagen ihrer Aktivität in den Gruppen der Kommunistischen Linken (IKT, IKS usw.) suchen, sondern nach dem, was aus dem von der Vierten Internationale ausgearbeiteten Programm der Kapitulation vor dem Kapitalismus und konkret, wie wir unten sehen werden, der Arbeit des Revolutionärs Munís hervorgegangen sei. Auf verwirrende und verworrene Weise lässt Nuevo Curso durchblicken, jedoch ohne es klar zu sagen, dass Munís das wichtigste Bindeglied zu einer vermeintlichen „spanischen kommunistischen Linken“ sei, einer Strömung, die laut Nuevo Curso „1920 die spanische Kommunistische Partei gründete und 1930 die spanische Gruppe der Linken Opposition gegen den Stalinismus gründete, dann die Kommunistische Linke Spaniens, die an der Gründung der Internationalen Opposition beteiligt war und auch als Ausgangspunkt und Bezugspunkt für die kommunistischen Linken in Argentinien (1933-43) und Uruguay (1937-43) diente. Sie nahm eine revolutionäre Position zum Arbeiteraufstand vom 19. Juli 1936 ein und war die einzige marxistische Tendenz, die an dem revolutionären Aufstand von 1937 in Barcelona teilnahm. Sie verurteilte den Verrat am Internationalismus und die daraus resultierende Abkehr vom Klassenterrain auf dem Zweiten Kongress der Vierten Internationale (1948), der zu einer Spaltung durch die übrigen internationalistischen Elemente und zur Gründung der "Internationalen Arbeiterunion" führte.“
Bevor wir uns nun dem Beitrag von Munís zuwenden, müssen wir die vermeintliche "Kontinuität" zwischen 1920 und 1948 analysieren.
Wir können jetzt nicht mit einer Analyse der Ursprünge der Kommunistischen Partei in Spanien (PCE) beginnen. 1918 gab es einige kleine Kerne, die sich für die Positionen von Gorter und Pannekoek interessierten, die die Argumente des Amsterdamer Büros der Dritten Internationale aufgriffen, das die linken Gruppen innerhalb der Dritten Internationale zusammenfasste. Aus diesen Kernen wurde die erste Kommunistische Partei Spaniens geboren, aber sie wurden von der KI gezwungen, mit dem zentristischen Flügel der PSOE zu verschmelzen, der für den Beitritt zur Dritten Internationale war.
Wir werden so schnell wie möglich eine Untersuchung über die Ursprünge der PCE durchführen, aber es ist klar, dass diese Kerne über einige Ideen und eine unbestreitbare Kampffreudigkeit hinaus kein wirkliches Organ der Kommunistischen Linken waren und keine Kontinuität hatten. Später tauchten Gruppen der Linken Opposition, angeführt von Nin, auf und trugen den Namen „Kommunistische Linke Spaniens“. Diese Gruppe spaltete sich zwischen Befürwortern der Fusion mit dem Arbeiter- und Bauernblock (einer katalanischen nationalistischen stalinistischen Gruppe) und denen, die sich für den Eintritt in die PSOE einsetzten, verführt von der Radikalisierung von Largo Caballero (ehemaliger Staatsberater des Diktators Primo de Rivera), der sich als „spanischer Lenin“ ausgab. Munís gehörte zu den letzteren, während die Mehrheit, angeführt von Nin, 1935 mit dem Block zum POUM verschmolz. So hatten sie von der „Kommunistischen Linken“ nichts anderes als den Namen, den sie sich gaben, um „originell“ zu wirken, aber der Inhalt ihrer Positionen und ihres Handelns war nicht von der vorherrschenden opportunistischen Tendenz in der Linken Opposition zu unterscheiden.
Was die Existenz einer kommunistischen Linken in Uruguay und Argentinien betrifft, so haben wir die von Nuevo Curso veröffentlichten Artikel untersucht, in denen sie bewiesen werden soll. Was Uruguay betrifft, so war es der Bolschewistisch-Leninistische Bund als eine der wenigen Gruppen, die innerhalb des Trotzkismus eine internationalistische Position gegen den Zweiten Weltkrieg einnahmen. Das ist zu wertschätzen, und wir begrüßen dies als Ausdruck einer proletarischen Anstrengung, aber die Lektüre des Artikels von Nuevo Curso zeigt, dass diese Gruppe kaum eine organisierte Aktivität durchführen konnte und sich in einem politischen Umfeld betätigte, das von der peruanischen APRA dominiert wurde, einer bürgerlichen Partei von Kopf bis Fuß, die mit der bereits entarteten Kommunistischen Internationale flirtete: „Wir wissen, dass sich die Liga 1942 in Lima mit den Anti-Defensistas im Haus des Gründers der APRA, Víctor Raúl Haya de la Torre, traf, nur um die tiefgreifenden Unterschiede zu überprüfen, die sie trennten. (....) Nach dem Scheitern ihres Anti-Verteidigungs-Kontakts wurden sie der Hexenjagd ausgesetzt, die von der Regierung und der Kommunistischen Partei gegen die Trotzkisten organisiert wurde. Ohne internationale Referenzen – die IV. Internationale gab ihnen nur die Möglichkeit, ihre Kritik an der 'bedingungslosen Verteidigung der UdSSR' aufzugeben – wurde die Gruppe aufgelöst“[16].
Was Nuevo Curso die Argentinische Kommunistische Linke nennt, sind zwei Gruppen, die sich zur Internationalistischen Kommunistischen Liga zusammengeschlossen hatten und bis 1937 aktiv blieben, um schließlich durch den Einsatz von Trotzkis Anhängern in Argentinien zerstört zu werden. Es ist wahr, dass die Liga den „Sozialismus in einem Land“ abgelehnt und angesichts der „nationalen Befreiung“ eine sozialistische Revolution gefordert hat, aber obwohl wir ihren Kampf als Teil des unsrigen anerkennen, sind ihre Argumente sehr schwach. In Nuevo Curso finden wir Zitate von einem der wichtigsten Mitglieder der Gruppe, Gallo, die unsere Sicht bestätigen:
„Was bedeutet der Kampf um die nationale Befreiung? Repräsentiert das Proletariat als solches nicht die historischen Interessen der Nation in dem Sinne, dass es dazu neigt, durch sein Handeln alle sozialen Klassen zu befreien und durch sein Verschwinden zu überwinden? Aber um dies zu erreichen, darf sie gerade nicht mit nationalen Interessen verwechselt werden (die denen der Bourgeoisie entsprechen, denn dies ist die herrschende Klasse), die sich auf dem inneren und äußeren Gebiet stark widersprechen. Diese Losung ist also kategorisch falsch (....) und bestätigt unser Kriterium, dass nur die sozialistische Revolution die Bühne sein kann, die den kolonialen und halbkolonialen Ländern entspricht“. Als Gefangener der Dogmen der Opposition über die nationale Befreiung und unfähig, mit ihnen zu brechen, bekräftigt die Gruppe: „Die IV. Internationale lässt keine Parole der "nationalen Befreiung" zu, die dazu neigt, das Proletariat den herrschenden Klassen unterzuordnen, sondern sorgt im Gegenteil dafür, dass der erste Schritt der proletarischen nationalen Befreiung der Kampf gegen die herrschenden Klassen ist“[17]. Die Verwirrung ist schrecklich: Das Proletariat sollte eine proletarische „nationale Befreiung“ vornehmen, das heißt, das Proletariat sollte eine Aufgabe erfüllen, die in Wirklichkeit von der Bourgeoisie übernommen werden müsste.
Sehr spät (1948!) tauchten aus dem faulen Stamm der IV. Internationale zwei vielversprechende Tendenzen auf (die letzten in der trotzkistischen Bewegung[18]): Gemeint sind die Tendenzen, die sich um Munís und Castoriadis herum gruppierten. In dem Artikel „Castoriadis, Munís, und das Problem des Bruchs mit dem Trotzkismus“[19] machen wir eine sehr klare Unterscheidung zwischen Castoriadis, der als überzeugter Propagandist für den westlichen Kapitalismus endete, und Munís, der dem Proletariat immer treu blieb[20].
Diese Loyalität ist bewundernswert und ist Teil der vielen Bemühungen, sich auf ein kommunistisches Bewusstsein zuzubewegen. Das ist eine Sache; eine andere ist jedoch, dass die Arbeit von Munís eher ein Beispiel für individuelle Aktivität war als etwas, das mit einer authentischen, organisierten proletarischen Strömung verbunden ist, etwas, das die theoretische, programmatische und organisatorische Grundlage für die Fortsetzung der Arbeit einer kommunistischen Organisation heute liefern könnte.
Wir haben in einer Reihe von Artikeln gezeigt, dass Munís wegen seiner Herkunft aus dem Trotzkismus nicht in der Lage war, diese Aufgabe zu erfüllen.[21]
In einem 1958 verfassten Artikel macht Munís eine sehr klare Analyse, in der er die amerikanischen und englischen Führer der Vierten Internationale anprangert, die sich beschämend über den Internationalismus geäußert hatten, und kommt zu dem Schluss, dass „die Vierte Internationale keinen historischen Existenzgrund hat; sie ist überflüssig, ihr Fundament muss als Fehler angesehen werden, und ihre einzige Aufgabe ist es, mehr oder weniger kritisch dem Stalinismus hinterherzulaufen. Darauf ist sie in der Tat seit Jahren beschränkt als Stütze und Spucknapf des Stalinismus, je nach dessen Bedürfnissen“[22]. Munís glaubte jedoch, dass sie für das Proletariat von gewissem Nutzen sein kann, da es den Anschein habe, dass „sie eine mögliche Rolle in Ländern spielt, die vom Stalinismus dominiert werden, hauptsächlich in Russland. Dort war das Ansehen des Trotzkismus immer noch sehr groß. Die Moskauer Prozesse, die gigantische Propaganda, die fast fünfzehn Jahre lang im Namen des Kampfes gegen den Trotzkismus durchgeführt wurde, die unaufhörliche Verleumdung, der er unter Stalin ausgesetzt war und die seine Nachfolger aufrechterhalten, tragen alle dazu bei, den Trotzkismus zu einer latenten Tendenz von Millionen von Menschen zu machen. Wenn morgen - und das ist ein durchaus mögliches Ereignis - die Konterrevolution einem Frontalangriff des Proletariats weichen würde, könnte sich die Vierte Internationale in Russland schnell zu einer sehr mächtigen Organisation entwickeln“.
Munís wiederholt mit Bezug auf den Trotzkismus das gleiche Argument, das er gegen den Stalinismus und die Sozialdemokratie vorbringt: dass ALLES DEM PROLETARIAT DIENEN kann. Warum? Weil der Stalinismus ihn als „Staatsfeind Nummer eins“ bezeichnet hat, so wie rechte Parteien Sozialdemokraten und Stalinisten als gefährliche Revolutionäre präsentieren. Er fügt ein weiteres Argument hinzu, das in Bezug auf Sozialdemokraten und Stalinisten ebenso typisch für den Trotzkismus ist: „Es gibt viele Arbeiter, die Anhänger dieser Parteien sind“.
Dass die Parteien der Linken Rivalen der Rechten sind und dadurch verunglimpft werden, macht sie nicht „für das Proletariat förderlich“, und ebenso wenig rechtfertigt ihr Einfluss auf die Arbeiter ihre Unterstützung. Im Gegenteil, sie sind wegen ihrer Rolle im Dienste des Kapitalismus zu verurteilen. Zu sagen, dass der Trotzkismus den Internationalismus aufgegeben hat, und sofort hinzuzufügen, dass „er möglicherweise noch eine positive Rolle zugunsten des Proletariats spielen könnte“, ist ein sehr gefährlicher Widerspruch, der der notwendigen Arbeit zur Unterscheidung zwischen echten Revolutionären und kapitalistischen Wölfen, die das Fell eines „kommunistischen“ oder „sozialistischen“ Lamms tragen, im Wege steht. Im Kommunistischen Manifest wird im dritten Kapitel mit dem Titel „Sozialistische und Kommunistische Literatur“ klar die Grenze gezogen zwischen dem „reaktionären Sozialismus“ und dem „bürgerlichen Sozialismus“ einerseits, die es als Feinde betrachtet, und den Strömungen des „kritischen utopischen Sozialismus“ andererseits, die es als Teil des proletarischen Lagers anerkennt.
Der trotzkistische Einfluss findet sich auch in bei Munís, wenn er „Übergangsforderungen“ nach dem Vorbild des berühmten Übergangsprogramms vorschlägt, das Trotzki 1938 vorgelegt hat. Das haben wir in unserem Artikel „Wohin geht das FOR“ kritisiert:
„In seinem [Text] ‚Für ein zweites kommunistisches Manifest' hielt es das FOR für richtig, alle Arten von Übergangsforderungen auch ohne revolutionäre Bewegung des Proletariats zu stellen. Auf wirtschaftlichem Gebiet reichen diese Forderungen von der 30-Stunden-Woche, der Abschaffung der Akkordarbeit und der Zeit- und Bewegungsstudien in den Fabriken bis hin zur 'Forderung nach Arbeit für alle, Arbeitslose und Jugendliche'. Auf politischer Ebene fordert das FOR demokratische 'Rechte' und 'Freiheiten' von der Bourgeoisie: Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit; das Recht der Arbeiter, ständige Werkstatt-, Fabrik- oder Berufsdelegierte 'ohne Gerichts- oder Gewerkschaftsformalitäten' zu wählen. Das alles bleibt innerhalb der trotzkistischen Logik, nach der es ausreicht, die richtigen Forderungen zu stellen, um allmählich zur Revolution zu gelangen. Für die Trotzkisten besteht der ganze Trick darin, zu wissen, wie man zum Pädagogen für die Arbeiter, die nichts von ihren Forderungen verstehen, wird, um vor ihnen die appetitlichsten Karotten zu schwenken, um die Arbeiter zu ihrer 'Partei' zu treiben“.
Wir sehen hier eine gradualistische Vision, in der "die führende Partei" ihre Zaubertränke verwaltet, um die Massen zum "endgültigen Sieg" zu führen, was um den Preis geschieht, gefährliche reformistische Illusionen zwischen den Arbeitern zu säen und den kapitalistischen Staat zu beschönigen, indem sie die Wahrheit verschweigt, dass seine "demokratischen Freiheiten" ein Mittel zur Spaltung, Täuschung und Ablenkung von Arbeiterkämpfen sind. Kommunist*innen sind keine Kraft außerhalb des Proletariats, die mit den Fähigkeiten einer revolutionären Führung ausgestattet und somit in der Lage sind, die Arbeiter*innen in die richtige Richtung zu lenken. Bereits 1843 kritisierte Marx diese Idee von Erlösung bringenden Propheten:
„Es hindert uns also nichts, unsre Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen und mit ihnen zu identifizieren. Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Laß ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschrein. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nicht will.“[23]
Die Arbeit als Fraktion – ein Konzept, das die Linke Opposition nie entwickeln konnte – ermöglicht es Revolutionären zu verstehen, in welchem Moment des Kräfteverhältnisses zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat wir uns befinden, zu wissen, ob wir in einer Dynamik sind, die es uns ermöglicht, zur Bildung der Weltpartei voranzuschreiten, oder ob wir uns im Gegenteil in einer Situation befinden, in der die Bourgeoisie der Gesellschaft ihre Entwicklung aufzwingen und sie in Krieg und Barbarei führen kann.
Trotzki, der dieses Kompasses beraubt war, glaubte, dass alles auf die Fähigkeit reduziert werden könne, eine große Masse von Mitgliedern zu sammeln, die als „revolutionäre Führung“ zur Verfügung stehe. So glaubte Trotzki in einer Zeit, als sich die Weltgesellschaft im Soge der Massaker von Abessinien, des Spanischen Kriegs und des Russisch-Japanischen Kriegs usw. auf die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs zubewegte, in den französischen Streiks im Juli 1936 und in der ersten mutigen Reaktion der spanischen Arbeiter auf Francos Staatsstreich den Beginn der Revolution zu sehen.
Munís war nicht in der Lage, mit diesem Voluntarismus zu brechen, und wiederholte den gleichen Fehler. Wie wir im zweiten Teil unseres Artikels über Munís und Castoriadis geschrieben haben:
„Dieser Weigerung, die wirtschaftliche Dimension der Dekadenz des Kapitalismus zu analysieren, liegt ein ungelöster Voluntarismus zugrunde, dessen theoretische Grundlagen auf den Brief zurückzuführen sind, in dem er seinen Bruch mit der trotzkistischen Organisation in Frankreich, dem Parti Communiste Internationaliste, ankündigte. In diesem Brief hält er Trotzkis Vorstellung, die in den ersten Zeilen des Übergangsprogramms dargelegt wurde, dass die Krise der Menschheit die Krise der revolutionären Führung ist, beharrlich aufrecht“.
So schrieb Munís: „Die Krise der Menschheit - wir wiederholen dies tausendfach gemeinsam mit L.D. Trotzki - ist eine Krise der revolutionären Führung. Alle Erklärungen, die versuchen, die Verantwortung für das Scheitern der Revolution auf die objektiven Bedingungen, die ideologische Kluft oder die Illusionen der Massen, auf die Macht des Stalinismus oder die illusorische Anziehungskraft des "entarteten Arbeiterstaates" zu lenken, sind falsch und dienen nur dazu, die Verantwortlichen zu entschuldigen, die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Problem abzulenken und seine Lösung zu behindern. Eine authentische revolutionäre Führung muss unter den gegenwärtigen objektiven Bedingungen für die Machtergreifung alle Hindernisse überwinden, alle Schwierigkeiten überwinden, über alle ihre Gegner triumphieren“[24].
Eine „echte revolutionäre Führung“ würde also ausreichen, um alle Hindernisse, alle Gegner wegzufegen. Das Proletariat müsse sich nicht auf seine Einheit, Solidarität und sein Klassenbewusstsein verlassen, sondern sich der Güte einer „revolutionären Führung“ anvertrauen. Dieser Messianismus führte Munís zu einem wahnsinnigen Schluss: „Der letzte Krieg bot mehr revolutionäre Möglichkeiten als der von 1914-18. Monatelang erschienen alle europäischen Staaten, einschließlich Russland, geschlagen und diskreditiert, und hätten durch eine proletarische Offensive besiegt werden können. Millionen von bewaffneten Männern strebten verwirrt nach einer revolutionären Lösung, [....] das auf revolutionärer Basis organisierte Proletariat hätte einen Aufstand in mehreren Ländern auslösen und auf dem ganzen Kontinent verbreiten können. Die Bolschewiki im Jahre 1917 genossen bei weitem nicht die enormen Möglichkeiten“[25].
Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg hatte sich die Bourgeoisie gewissenhaft auf die Niederlage des Proletariats vor dem Zweiten Weltkrieg vorbereitet: Niedergemetzelt in Deutschland und Russland, unter dem Banner des "Antifaschismus" in die demokratischen Mächte aufgenommen, konnte das Proletariat nur einen schwachen Widerstand gegen das Massaker leisten. Es gab den großen proletarischen Aufstand in Norditalien 1943, den blutig niederzuschlagen die demokratischen Alliierten den Nazis überließen[26], einige Streiks und Desertionen in Deutschland (1943-44), die die Verbündeten mit den schrecklichen Bombenanschlägen von Hamburg, Dresden usw. im Keim ersticken ließen, Bombenanschläge ohne militärisches Ziel, die somit ausschließlich auf die Terrorisierung der Zivilbevölkerung abzielten. Ein weiteres Beispiel war die Warschauer Kommune (1944), die die russische Armee durch die Nazis unterdrücken ließ.
Nur wenn man sich den selbstmörderischsten Illusionen hingeben würde, könnte man meinen, dass am Ende des Zweiten Weltkriegs „das auf revolutionärer Basis organisierte Proletariat einen Aufstand in mehreren Ländern hätte auslösen können“. Mit solchen Fantasien kann wenig zur Bildung einer proletarischen Organisation beigetragen werden.
Ein grundlegender Pfeiler der revolutionären Organisation ist ihre Offenheit und Bereitschaft, mit den anderen proletarischen Strömungen zu diskutieren. Wir haben bereits gesehen, wie das Kommunistische Manifest die Beiträge von Babeuf, Blanqui und dem utopischen Sozialismus mit Respekt und im Geiste der Debatte betrachtet. Deshalb haben wir in der von unserem zweiten Internationalen Kongress angenommenen Resolution zu proletarischen politischen Gruppen darauf hingewiesen, dass „die Charakterisierung der verschiedenen Organisationen, die behaupten, den Sozialismus und die Arbeiterklasse zu verteidigen, für die IKS von größter Bedeutung ist. Dies ist keineswegs eine rein theoretische oder abstrakte Frage; im Gegenteil, sie ist direkt relevant für die Haltung der Strömung gegenüber diesen Organisationen und damit für ihr Eingreifen gegenüber diesen: ob sie sie als Organe und Produkte des Kapitals anprangert; oder ob sie mit ihnen polemisiert und diskutiert, um ihnen zu helfen, sich zu mehr Klarheit und programmatischer Strenge zu entwickeln; oder um beim Erscheinen von Tendenzen in ihnen, die nach solcher Klarheit suchen, zu helfen“[27].
Im Gegensatz zu dieser Position lehnte Trotzki, wie wir zuvor gesehen haben, die Debatte mit Bilan ab und öffnete stattdessen die Tür weit für einen so genannten „linken Flügel der Sozialdemokratie“.
Munís war ebenso vom Sektierertum betroffen. Unser Artikel in Hommage an Munís[28] würdigt mit Anerkennung, dass „er 1967 zusammen mit Genossen der venezolanischen Gruppe Internacionalismo an den Bemühungen zur Wiederherstellung der Kontakte zum revolutionären Milieu in Italien mitgewirkt hat. So nahm er Ende der 60er Jahre mit dem Wiederaufleben der Arbeiterklasse auf dem Schauplatz der Geschichte seinen Platz neben den damals bestehenden schwachen revolutionären Kräften ein, darunter denjenigen, die später Révolution Internationale in Frankreich gründeten. Aber Anfang der 70er Jahre blieb er leider außerhalb der Diskussionen und Umgruppierungsversuche, welche insbesondere zur Gründung der IKS im Jahr 1975 führten“. Diese Bemühungen hatten keine Kontinuität, und wie wir im oben genannten Artikel („Castoriadis, Munís und das Problem des Bruchs mit dem Trotzkismus, zweiter Teil“) sagen, „litt die Gruppe unter einer Tendenz zum Sektierertum, die ihre Überlebensfähigkeit weiter schwächte. Das Beispiel für diese in der Hommage erwähnte Haltung ist der ziemlich auffällige Abgang von Munís und seiner Gruppe während der zweiten Konferenz der kommunistischen Linken, indem er seine Uneinigkeit mit den anderen Gruppen über das Problem der Wirtschaftskrise anführt".
So wichtig sie auch sein mag, eine Meinungsverschiedenheit über die Analyse der Wirtschaftskrise darf nicht dazu führen, dass die Debatte unter den Revolutionären abgebrochen wird. Dies muss mit äußerster Hartnäckigkeit geschehen, mit der Haltung, „zu überzeugen oder überzeugt zu werden“, und nicht die Tür zuzuschlagen, bevor die Möglichkeiten der Diskussion ausgeschöpft sind. Unser Artikel weist zu Recht darauf hin, dass eine solche Haltung etwas Wesentliches betrifft: den Aufbau einer soliden Organisation, die in der Lage ist, Kontinuität zu wahren. Das FOR überlebte den Tod von Munís nicht und verschwand 1993 endgültig, wie im Artikel erwähnt. „Heute existiert das FOR nicht mehr. Es war immer stark vom persönlichen Charisma von Munís abhängig, der es nicht vermochte, eine solide Organisationstradition an die neue Generation von Militanten weiterzugeben, die sich um ihn versammelten und die als Grundlage für das weitere Funktionieren der Gruppe nach Munís' Tod hätte dienen können“.
So wie das negative Gewicht des trotzkistischen Erbes Munís daran gehindert hat, zum Aufbau der Organisation beizutragen, so ist die Aktivität der Revolutionäre nicht die einer Summe von Individuen, noch weniger die von charismatischen Führern: Sie basiert auf einer organisierten kollektiven Anstrengung. Wie wir in unserem Bericht über die Funktion der revolutionären Organisation von 1982 sagen: „Die Zeit der illustren Führer und großen Theoretiker ist vorbei. Die theoretische Weiterentwicklung ist zu einer wahrhaft kollektiven Aufgabe geworden. Nach dem Bilde von Millionen "anonymer" proletarischer Kämpfer entwickelt sich das Bewußtsein der Organisation durch die Integration und Überflügelung des individuellen Bewußtseins in einem einzigen, kollektiven Bewußtsein.“[29] Tiefer greifend bringt „die Arbeiterklasse (...) keine revolutionären Militanten hervor, sondern nur revolutionäre Organisationen: Es gibt keine direkte Beziehung zwischen Militanten und der Klasse. Die Militanten beteiligen sich am Kampf der Klasse, indem sie zu Mitgliedern der Organisation werden und sich an der Verwirklichung deren Aufgaben beteiligen. Sie haben kein besonderes Heil gegenüber der Arbeiterklasse oder der Geschichte zu suchen. Ihnen geht es um das Wohlergehen der ganzen Klasse und der Organisation, die diese hervorgebracht hat.“[30]
Wie wir in dem Artikel, den wir 1989 nach Munís‘ Tod veröffentlichten, feststellten: „Trotz der schwerwiegenden Fehler, die er gemacht haben mag, blieb Munís jedoch bis zum Ende ein Militanter, der dem Kampf der Arbeiterklasse zutiefst treu blieb. Er war einer jener sehr seltenen Kämpfer, die dem Druck der schrecklichsten Konterrevolution standhielten, die das Proletariat je erlebt hat, als viele den militanten Kampf verließen oder sogar verrieten; und mit dem historischen Wiederaufleben ihrer Kämpfe Ende der 60er Jahre war er wiederum an der Seite der Klasse.“
Lenin sagte hinsichtlich der Revolutionäre: „Nach ihrem Tode versucht man, sie in harmlose Götzen zu verwandeln, sie sozusagen heiligzusprechen, man gesteht ihrem NAMEN einen gewissen Ruhm zu zur "Tröstung" und Betörung der unterdrückten Klassen, wobei man ihre revolutionäre Lehre des INHALTS beraubt, ihr die revolutionäre Spitze abbricht, sie vulgarisiert". Warum füllt Nuevo Curso seinen Blog mit Fotos von Munís, veröffentlicht einige seiner Texte ohne jeden kritischen Kommentar? Warum erhebt er ihn zur Ikone einer „neuen Schule“?
Vielleicht handelt es sich um einen sentimentalen Kult um einen ehemaligen proletarischen Kämpfer. Wenn das der Fall ist, müssen wir sagen, dass es sich um ein Unterfangen handelt, das dazu bestimmt ist, mehr Verwirrung zu stiften, denn seine in Dogmen verwandelten Thesen werden vor allem die schlimmsten seiner Fehler neu auflegen. Erinnern wir uns an die genaue Analyse des Kommunistischen Manifests in Bezug auf die utopischen Sozialisten und diejenigen, die später versuchten, sich auf sie zu berufen. „Waren daher die Urheber dieser Systeme auch in vieler Beziehung revolutionär, so bilden ihre Schüler jedesmal reaktionäre Sekten. Sie halten die alten Anschauungen der Meister fest gegenüber der geschichtlichen Fortentwicklung des Proletariats.“
Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass die authentische kommunistische Linke mit einer Spam-Doktrin angegriffen wird, die über Nacht mit den Materialien dieses großen Revolutionärs erstellt wurde. Wenn dies der Fall ist, ist es die Pflicht der Revolutionäre, einen solchen Betrug mit der maximalen Energie zu bekämpfen.
C.Mir 17.8.2019
[1] es.communia.blog/la-izquierda-comunista-no-fue-comunista-de-izquierda.
[2] In unserer Artikelreihe über den Kommunismus ("1924 - 28: Der Triumph des stalinistischen Staatskapitalismus") kritisierten wir die Verwendung des für den Trotzkismus sehr typischen Begriffs "Thermidor", um den Aufstieg und die Entwicklung des Stalinismus zu beschreiben. Der Thermidor der Französischen Revolution (28. Juli 1794) war nicht gerade eine "Konterrevolution", sondern ein notwendiger Schritt in der Konsolidierung der bürgerlichen Macht, die über eine Reihe von Zugeständnissen hinaus nie wieder zur feudalen Ordnung zurückkehren würde. Andererseits bedeutete der Aufstieg des Stalinismus seit 1924 die endgültige Wiederherstellung der kapitalistischen Ordnung, und die UdSSR Stalins stellte nicht, wie Trotzki immer irrtümlich dachte, ein 'sozialistisches Terrain' dar, in dem „einige Eroberungen des Oktober“ bleiben würden. Dies ist ein grundlegender Unterschied, den Marx bereits im 18. Brumaire des Louis Bonaparte festgestellt hat: „Bürgerliche Revolutionen, wie die des achtzehnten Jahrhunderts, stürmen rascher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatischen Effekte überbieten sich, Menschen und Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefaßt, die Ekstase ist der Geist jedes Tages; aber sie sind kurzlebig, bald haben sie ihren Höhepunkt erreicht, und ein langer Katzenjammer erfaßt die Gesellschaft, ehe sie die Resultate ihrer Drang- und Sturmperiode nüchtern sich aneignen lernt.“ (MEW 8)
Der Thermidor war genau einer jener Momente der 'Assimilation' der politischen Eroberungen der Bourgeoisie, die den gemäßigteren Fraktionen dieser Klasse Raum gaben und eher bereit waren, einen Pakt mit den feudalen Kräften zu schließen, die mächtig blieben.
[3] Die Leser*innen finden viel Material über die Geschichte der Kommunistischen Linken auf unserer Website: https://de.internationalism.org/go_deeper [7]
[4] "Trotzkismus, Kind der Konterrevolution" in World Revolution 11; online auf Spanisch als: https://es.internationalism.org/cci/200605/914/el-trotskismo-hijo-de-la-contrarrevolucion [8]
[5] 1926 wurde die Vereinigte Opposition gegründet, in der sich die früheren Gruppen aus dem Manifest der 46 mit Sinowjew und Kamenjew zusammenschlossen – die beiden letzteren waren Experten für Manöver und Bürokratie.
[6] "Trotzkismus, Verteidiger des imperialistischen Krieges"; auf Spanisch online https://es.internationalism.org/cci/200605/917/el-trotskismo-defensor-de-la-guerra-imperialista [9]
[7] All dies ist ausführlich dokumentiert im Artikel "Trotzkismus, Verteidiger des imperialistischen Krieges".
[8] Zu den Einzelpersonen und kleinen Gruppen, die sich dem Verrat an den Organisationen der Vierten Internationale widersetzten, sollten wir auch die RKD Österreichs (siehe unten) und den griechischen Revolutionär Stinas hinzufügen, der dem Proletariat treu geblieben ist und den Nationalismus und die Barbarei des Krieges verurteilte. Siehe unser Artikel: "Die Lebenserinnerungen eines Revolutionärs (Agis Stinas): Nationalismus und Antifaschismus", /content/2234/die-lebenserinnerungen-eines-revolutionaers-agis-stinas-nationalismus-und [10]
[9] Siehe zum Beispiel auf Englisch: "Die kommunistische Linke und die Kontinuität des Marxismus", https://en.internationalism.org/the-communist-left; [11] International Review 9, "Notizen zu einer Geschichte der Kommunistischen Linken (Italienische Fraktion 1926-1939)" https://en.internationalism.org/content/2555/notes-towards-history-commu... [12]
und auf Deutsch unser Buch über die Italienische Kommunistische Linke:
de.internationalism.org/content/1919/die-italienische-kommunistische-linke [13]
[10] Wie die Gauche Communiste de France in ihrer Zeitschrift Internationalisme schrieb: „Der Trotzkismus ist weit davon entfernt, die Entwicklung des revolutionären Denkens und der Organismen (Fraktionen und Tendenzen), die ihn zum Ausdruck bringen, zu fördern; er ist gar ein organisiertes Milieu, um ihn zu untergraben. Dies ist eine allgemeine Regel, die für jede dem Proletariat fremde politische Organisation gilt, und die Erfahrung hat gezeigt, dass sie für Stalinismus und Trotzkismus gilt. Wir kennen den Trotzkismus seit 15 Jahren der ewigen Krise, durch Spaltungen und Vereinigungen, gefolgt von weiteren Spaltungen und Krisen, aber wir kennen keine Beispiele, die zu echten, lebensfähigen revolutionären Tendenzen geführt haben. Der Trotzkismus scheidet in sich selbst keine revolutionäre Gärung aus. Im Gegenteil, er vernichtet sie. Die Voraussetzung für die Existenz und Entwicklung eines revolutionären Ferments ist es, außerhalb des organisatorischen und ideologischen Rahmens des Trotzkismus zu sein“. /content/1977/internationalisme-1947-was-die-revolutionaere-von-den-trotzkisten-unterscheidet [14]
[11] Siehe zum Beispiel Bilan Nummer 1, 1933, Organ der italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken, den Artikel "Hin zu einer Zwei Dreiviertel Internationale?", der Trotzkis Perspektive kritisiert, sich auf die Bildung einer Vierten Internationale zuzubewegen.
[12] Siehe zum Beispiel Trotzki y la Izquierda italiana (Textos de la Izquierda comunista de los años 30 sobre el trotskismo), https://es.internationalism.org/cci/200605/919/anexo-trotsky-y-la-izquierda-italiana-textos-de-la-izquierda-comunista-de-los-anos-30 [15]
[13] Siehe zum Beispiel "The Mexican Communist Left", https://en.internationalism.org/series/1250 [16]
[14] https://es.internationalism.org/cci-online/200706/1935/cuales-son-las-diferencias-entre-la-izquierda-comunista-y-la-iv-internacional [17]
[15] Geboren 1889, gestorben 1970, war er einer der Gründer der Kommunistischen Partei Italiens und leistete einen wichtigen Beitrag zu den Positionen der Kommunistischen Linken, insbesondere bis 1926.
[16] es.communia.blog/hubo-izquierda-comunista-en-uruguay-y-chile.
[17] es.communia.blog/la-izquierda-comunista-argentina-y-el-internacionalismo.
[18] Eine dritte Tendenz sollte hinzugefügt werden: die österreichische RKD, die sich 1945 vom Trotzkismus löste. Internationalisme diskutierte ernsthaft mit ihnen, doch sie glitten schließlich in den Anarchismus ab.
[19] "Castoriadis, Munís und das Problem des Bruchs mit dem Trotzkismus" in der International Review 161 und 162; https://en.internationalism.org/content/14445/communism-agenda-history-castoriadis-munis-and-problem-breaking-trotskyism [18] und https://en.internationalism.org/international-review/201808/16490/castoriadis-munis-and-problem-breaking-trotskyism-second-part-cont [19]
[20] 1948-49 diskutierte Munís viel mit dem Genossen MC, einem Mitglied der GCF, und in dieser Periode vollzog er seinen endgültigen Bruch mit dem Trotzkismus.
[21] Siehe auf Englisch: "Abschied von Munís, einem revolutionären Kämpfer", https://en.internationalism.org/internationalreview/200908/3077/farewell-munis-revolutionary-militant [20];
"Polemik: Wohin geht das FOR", International Review 52, https://en.internationalism.org/content/2937/polemic-where-going [21];
"Die Konfusionen des Fomento Obrero Revolucionario (FOR): Russland 1917 und Spanien 1936 [22]", International Review 25.
siehe auf Spanisch auch die folgende Buchbesprechung: JALONES DE DERROTA PROMESAS DE VICTORIA, https://es.internationalism.org/cci/200602/753/1critica-del-libro-jalones-de-derrota-promesas-de-victoria [23].
[22] auf Spanisch: marxismo.school/ICE/1959%20La%20IV%C2%AA%20Internacional.html
[23] Brief an Arnold Ruge, MEW 1, S. 345 www.mlwerke.de/me/me01/me01_337.htm [24]
[24] https://www.marxists.org/francais/4int/postwar/1947/06/nt_19470600.htm [25] Als Beispiel für diesen blinden Voluntarismus und vor dem Hintergrund der Niederlage sollten wir die tragische Erfahrung von Munís selbst hinzufügen. 1951 eskalierte in Barcelona ein Boykott von Straßenbahnen. Es war eine sehr kämpferische Reaktion der Arbeiter in der schwarzen Nacht der Franco-Diktatur. Munís zog dorthin in der Hoffnung, die Revolution zu 'fördern', ohne das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu verstehen. Internationalisme und MC rieten ihm von diesem Abenteuer ab. Er bestand jedoch darauf und wurde verhaftet und verbrachte 7 Jahre in Francos Gefängnissen. Wir schätzen den Kampfwillen des Militanten und sind solidarisch mit ihm; der revolutionäre Kampf erfordert jedoch eine bewusste Analyse und keinen einfachen Voluntarismus - oder, noch schlimmer, Messianismus, der glaubt, dass durch seine „Präsenz“ unter den Massen das „Neue Jerusalem“ erreicht werde.
[25] Aus einem Artikel von Munís, auf Spanisch: „La IV Internacional“, marxismo.school/archivo/1959%20La%20IV%c2%aa%20Internacional.html
[26] Siehe "1943, Das italienische Proletariat lehnt die für den Krieg geforderten Opfer ab", International Review 75, https://en.internationalism.org/ir/075_1943.html [26];
auf Deutsch zu dieser Periode: /content/1150/die-arbeiterkaempfe-italien-1943 [27]
[27] Resolution zu proletarischen politischen Gruppen, International Review 11, https://en.internationalism.org/content/4091/resolution-proletarian-political-groups [28]
[28] siehe Fußnote 21; „Farewell to Munís, a revolutionary militant“, https://en.internationalism.org/internationalreview/200908/3077/farewell-Munís-revolutionary-militant [29]
[29] „Die Funktion der revolutionären Organisation“, Internationale Revue 9, /content/745/die-funktion-der-revolutionaeren-organisation [30]
[30] „Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre“, Internationale Revue 22, /content/1075/bericht-zur-struktur-und-funktionsweise-der-organisation-der-revolutionaere [31]
Vor 150 Jahren, Anfang der 1860er Jahre, steckte die internationale Arbeiterbewegung noch in den Kinderschuhen, und ihre verschiedenen Komponenten hatten noch nicht viel Erfahrung beim Aufbau und der Verteidigung politischer Organisationen gesammelt. Nach der Repressionswelle nach den Kämpfen von 1848 mussten viele Mitglieder des Bundes der Kommunisten ins Exil gehen oder wurden vor Gericht gestellt, wie beim Kommunistenprozess in Köln 1852.
In Deutschland gab es Anfang der 1860er Jahre keine unabhängige politische Organisation der Arbeiterklasse. In vielen Städten gab es Arbeiterbildungsvereine, aber noch keine proletarische politische Organisation mit einer klaren politischen Abgrenzung zur Bourgeoisie. Die Debatte, ob die Arbeiterklasse bestimmte Fraktionen der Bourgeoisie in ihrem Kampf für die nationale Einigung noch unterstützen könnte, oder ob der Klassenfeind mit der Bourgeoisie im Mittelpunkt des Kampfes stehen sollte, war in vollem Gange. In diesem Zusammenhang, wo es der Bourgeoisie noch nicht gelungen war, die Ketten der Aristokratie und der Junker abzuwerfen, wo das deutsche Kapital noch nicht in der Lage war, sich als nationales Kapital zu vereinen, wurde versucht, die erste politische Partei der Arbeiterklasse in Deutschland zu schmieden.
Gleichzeitig sollte die Arbeiterklasse in Deutschland vor eine der schwierigsten politischen Herausforderungen gestellt werden, nämlich die Auseinandersetzung mit den Aktivitäten politischer Abenteurer. Obwohl es nicht nur ein einziges und bestimmtes Profil politischer Abenteurer gibt, ist ein gemeinsames Merkmal unter ihnen, dass sie politische Organisationen nutzen, nicht um den Kampf der Arbeiterklasse zu stärken, sondern um diese politischen Organisationen in ihren Dienst zu stellen; sie nutzen die Organisationen der Arbeiterklasse, um ihre eigenen Ambitionen zu fördern. Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, Abenteurer zu entlarven, denn sie handeln nicht offen und zeigen ihre eigenen Ambitionen nicht in der Öffentlichkeit. Im Gegenteil, sie neigen dazu, eine große Fähigkeit darin zu haben, eine große Anzahl von Unterstützern hinter sich zu scharen, was die Aufgabe, solche "hochgeschätzten" Figuren zu entlarven, viel schwieriger macht.
Wie wir zeigen werden, wurde die wahre Natur des Abenteurers Lassalle zu seinen Lebzeiten nie vollständig entlarvt. Und während auf einem Parteitag im Frühjahr 1869 in Wuppertal erstmals das wahre Gesicht des Abenteurers Schweitzer enthüllt wurde, war der Versuch, ihn zu enttarnen, nicht ganz erfolgreich. Nur wenige Jahre später gelang es der Arbeiterklasse, durch die Bemühungen des Generalrates der Ersten Internationale die Aktivitäten eines weiteren Abenteurers, Michail Bakunin, auf dem Haager Kongress zu entlarven. Die Fälle Lassalle, Schweitzer und Bakunin zeigen, dass die Arbeiterklasse und ihre politischen Organisationen von Anfang an mit den Aktivitäten politischer Abenteurer konfrontiert wurden.
In diesem Artikel werden wir uns mit den Fällen Lassalle und Schweitzer befassen. In früheren Artikeln haben wir bereits ausführlich über den Kampf gegen Bakunins Abenteurergeist berichtet.[1]
Im Jahr 1862 wurde in Leipzig der Vorschlag der Vorbereitung eines allgemeinen Arbeiterkongresses durch Mitglieder des „Vorwärts“ gemacht. Im Januar 1863 nahmen die Leipziger Initiatoren Kontakt mit Lassalle auf.[2]
Dieser war in mehreren Vorträgen kritisch gegen die Bourgeoisie in deren Streit mit dem Junkertum aufgetreten, und gleichzeitig hatte er die Bedeutung der Arbeiterklasse für den geschichtlichen Fortschritt betont. Lassalle distanzierte sich jedoch von kommunistischen Auffassungen, wie sie ein gutes Dutzend Jahre zuvor im Kommunistischen Manifest umrissen worden waren.
Der Vorschlag, dass Lassalle das Programm des zu gründenden „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ verfassen sollte, der schließlich am 23. Mai 1863 in Leipzig gegründet wurde, richtete sich an einen Mann, der seit Jahren darauf gebrannt hatte, eine führende Rolle im politischen Leben in Deutschland zu spielen.
Die Tatsache, dass die Führung an eine Person übergeben wurde, die – abgesehen von einer kurzen Tätigkeit in den 1848er Kämpfen – noch nie in einer proletarischen Organisation mitgewirkt hatte und auch keine Kontinuität mit dem Bund der Kommunisten herstellen konnte; ja, der zuvor der Eintritt in den Bund der Kommunisten verwehrt worden war, und die jetzt sozusagen als „Retter“ de facto von „außen“ kommend wirken sollte und sofort den Anspruch auf eine Präsidentenrolle erhob, spiegelte den damaligen unreifen Zustand der Arbeiterbewegung wider.
Lassalle hatte im Alter von 20 Jahren die damals doppelt so alte Sophie Gräfin von Hatzfeldt [32] kennengelernt. Damit diese sich aus der Zwangsheirat mit ihrem Ehemann „befreien“ konnte, übernahm Lassalle als Rechtsanwalt deren Verteidigung. Ihm gelang es nicht nur, den Prozess der Gräfin zu gewinnen, sondern er verschaffte sich damit ein außerordentliches Vermögen, denn die Gräfin finanzierte fortan sein Einkommen und wurde zu dessen politischer Bündnispartnerin.[3] Gleichzeitig unterhielt die Gräfin als Mitglied des Adels privilegierte und intensive Beziehungen zu verschiedenen Teilen der herrschenden Klasse. In den Jahren 1856 und 1857 lebte er in ihrem Haus in Düsseldorf, und 1858 zog er mit ihr nach Berlin[4].
Angespornt durch den Erfolg im Hatzfeldt-Prozess und weiter angetrieben durch seine Ambitionen, Karriere zu machen, fing er Mitte der 1850er Jahre an, sich über die „provinzielle Enge“ in seinem damaligen Wohnort Düsseldorf zu beklagen. Im Mai 1855 bat er beim Polizeipräsidenten Berlins um die damals erforderliche Erlaubnis für die Umsiedlung von Düsseldorf nach Berlin.[5] Im gleichen Monat des Jahres 1855 verfasste er einen „Spitzelbericht über sich selbst“, der dem Berliner Polizeipräsidenten Hinkeldey in die Hände gespielt werden sollte (es ist nicht klar, ob er wirklich in dessen Hände gespielt wurde oder in dessen Hände gespielt werden sollte). Gustav Mayer berichtet über „die abgefeimte Schlauheit und raffinierte Verschlagenheit, die hier aufgeboten“ wurde, um den Polizeipräsidenten von seiner Wichtigkeit zu überzeugen und zu beeindrucken.[6] Lassalle pries sich als derart hochgeschätzt von den Düsseldorfern Arbeitern an, „welche Lassalle quasi als ihren Chef zu betrachten und in dem Verlassen der Rheinprovinz seitens desselben ein Unrecht gegen sie und sein Verhältnis zu ihnen zu erblicken scheinen, haben sie zwar nicht mit ihm gebrochen, aber wie aus dem Gespräch hervorgeht, in sehr energischem Ausdruck ihm einen Bruch mit ihm angedroht“. Mit Hinweis auf die Frage nach dem Verbleib der früheren Redakteure der Neuen Rheinischen Zeitung (u.a. Marx) nach der Repression nach 1848 pries er in seinem „Spitzelbericht“ sein Insiderwissen über Marx‘ Wohnort: „Ich fingierte anzunehmen, dass sie nach Amerika ausgewandert seien, Lassalle aber belehrte mich, dass sie in London lebten und war offenbar über die Lebensverhältnisse derselben genau unterrichtet.“ Um das Interesse des Polizeipräsidenten weiter zu steigern, brüstete er sich: „Es geht hieraus also mit vollständiger Gewissheit hervor, dass Lassalle mit diesen Leuten in London, jedenfalls mit Marx, in ununterbrochener Korrespondenz stehen muss.“ Wohl wissend, wie sehr die Polizei an Informationen über die tatsächlichen Postwege der Korrespondenz zwischen Marx und seinen Mitkämpfern interessiert war, schrieb er: „Ich habe sub. B. bereits erwähnt, dass Lassalle mit London, jedenfalls mit Marx in Korrespondenz stehen muss. Ich muss hinzufügen, dass er, wie mir aus einer Äußerung wahrscheinlich geworden ist, diese Briefe unter fremden unverdächtigen Adressen zu beziehen scheint.“
Den Köder für den Polizeipräsidenten um einen zusätzlichen Aspekt schmackhaft machend, schrieb Lassalle: „Sein Hauptgrund, der ihn zu jenem Umzug treibt, ist die ihm unerträglich gewordene Einförmigkeit des Düsseldorfer Lebens. Hinzu kommt ein gewisser, trotz seiner großen Arbeitsliebe und Arbeitsausdauer in seinem Naturell nicht minder stark ausgedrückter Hang nach Genuss und zumal weiblichen Zerstreuungen, ein Hang, den er in Düsseldorf nicht befriedigen kann, dem er in Berlin aber die reichste Nahrung geben zu können hofft“. Er wiederholte sein Motiv für seinen angestrebten Umzug nach Berlin. „(...) wenn nicht einerseits der Einfluss der Gräfin, anderseits hauptsächlich der schon geschilderte große Hang nach Genuss und sinnlicher Zerstreuung und die ihm unerträgliche Monotonie seines Düsseldorfer Lebens den Ausschlag gäbe...“. Er bezeichnete sich selbst als „in hohem Grade ehrgeizig und eiteln Charakters.“
Um die Polizei (sowie die hinter ihr stehenden politischen Kräfte) zu beeindrucken, prahlte Lassalle: „Da ich Lassalle für einen der geistig hervorragendsten und mit seltener Energie begabten Vertreter der Demokratie halte, so bin ich, von der unmaßgeblichen Meinung ausgehend, dass vor allem dieser so höchst gefährliche Mann nicht genug beobachtet werden kann (...)“. Lassalle fügte ein weiteres Lockelement an die Polizei hinzu: Der Verfasser des Briefes, d.h. der Spitzel, habe Aussicht darauf, als Lassalles Sekretär arbeiten zu können. „Ich besitze sein Wohlwollen bereits in nicht geringem Grade. Ich habe mir dasselbe erworben teils durch ein feines Benutzen seiner Eitelkeit (…) Kurze Zeit in der Stellung seines Sekretärs und ich würde mich nicht nur zum Vertrauten seiner geheimsten Gedanken, sondern ihm vollständig unentbehrlich gemacht haben.“ Bereit, der Polizei die Umstürzler, die Lassalle und seine Freunde seien, in die Arme zu treiben, endete Lassalle seinen Spitzelbericht damit: „ich würde, durch meine Stelle bei Lassalle und seine Freundschaft legitimiert, keine Schwierigkeit haben, auch allen anderen mehr oder weniger hervorragenden Gliedern der Demokratie intern bekannt zu werden und ihre Angelegenheiten von Grund aus zu erforschen; ich würde somit ihn und Konsorten, mit einem Worte den Behörden so in die Hände liefern, dass es nur von dem eigenen Ermessen derselben abhängen würde, zu jeder beliebigen Stunde diese unverbesserlichen Parteigänger des Umsturzes zu vernichten“ (alle Zitate aus dem Spitzelbericht).
Dieser Spitzelbericht über sich selbst, der erst in seinem Nachlass nach dessen Tod gefunden wurde, wirft ein Licht auf seine Tätigkeit als Abenteurer in den Reihen der deutschen Arbeiterbewegung.
Wir haben hier einen ersten Charakterzug von Abenteurern. Im Gegensatz zu aufrichtigen Kämpfern, die sich einer revolutionären Organisation anschließen, um die historische Rolle der Arbeiterklasse selbstlos zu erfüllen, treten Abenteurer revolutionären Organisationen bei, um ihre „eigene historische Mission“ zu erfüllen. Sie wollen sich die Bewegung dienstbar machen. Aus dem Gefühl, dass ihre Fähigkeiten größer sind als ihnen bislang Anerkennung zuteil wurde, streben sie nach Anerkennung sowohl der Arbeiterbewegung aber auch seitens der Herrschenden. Lassalles Spitzelbericht über sich selbst ist nichts anderes als eine "Werbeveranstaltung" für seine angeblich herausragenden Fähigkeiten. Proletarische Organisationen dienen ihnen daher nur als Sprungbrett für ihre Karriere, entweder innerhalb einer proletarischen Organisation oder in den Reihen der Herrschenden selbst. In der Überzeugung, dass ihre Fähigkeiten größer sind als bisher anerkannt, suchen sie die Anerkennung sowohl bei der Arbeiterbewegung als auch bei den Herrschenden.
Als der ADAV im Mai 1863 gegründet wurde, ließ sich Lassalle zum Präsidenten auf fünf Jahre krönen, mit nahezu diktatorischer Verfügungsgewalt über die örtlichen Sektionen. Er bestand gegenüber dem ADAV darauf, er wolle nur mitmachen, wenn er direkt dazu aufgefordert würde, die Führungsrolle zu übernehmen. D.h. anstatt sich einzureihen in einen kollektiven Kampf, erhob er sofort einen Führungsanspruch. Wir haben hier einen markanten Charakterzug, der oft bei Abenteurern anzutreffen ist. Sie streben nicht nur danach, eine Führungsrolle in einer Organisation einzunehmen, sondern erheben oft direkt Ansprüche auf besondere Befugnisse – und selbst wenn sie diese nicht von einer Instanz zugeteilt bekommen, betreiben sie selbst eine Politik auf eigene Faust. Als ob ein Kaiser gekrönt worden wäre, erklärte er: „Ich halte mich somit im Stande, den Anforderungen des Platzes zu entsprechen, den Sie mir anbieten und erkläre mich daher im Allgemeinen bereit, die Forderung zu erfüllen, die Sie an mich stellen, und die Führung der Arbeiterbewegung in die Hand zu nehmen.“[7] Die örtlichen Abteilungen des Vereins, die Gemeinden, hatten keinerlei Rechte, sie führten nur die Anordnungen des Präsidenten aus.
Hier handelte es sich um einen Rückschritt gegenüber dem Bund der Kommunisten, der zentralisiert war, eine Zentralbehörde und Kreisbehörden errichtet hatte, die ein viel kollektiveres Funktionieren garantierten, und wo die örtlichen Gemeinden Entscheidungsbefugnisse hatten. Insofern gelang es Lassalle mit der auf ihn zugeschnittenen „Führerrolle“ das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Bebel schrieb in seiner Autobiographie: „Lassalle genügte der Beifall der Masse nicht, er legte großes Gewicht darauf, Männer von Ansehen und Einfluss aus dem bürgerlichen Lager auf seiner Seite zu haben, und er gab sich große Mühe, solche zu gewinnen.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 85)[8]
Während auf der einen Seite der Machtapparat in Preußen und anderen Teilen Deutschland seine Agenten ausgeschickt hatte, um die aufstrebende Arbeiterbewegung zu beobachten und nach möglichen „kooperationsbereiten“ Kräften Ausschau zu halten, die man auf die Seite Bismarcks locken könnte, hatte gleichzeitig Lassalle – wie der Spitzelbericht eindeutig Aufschluss gibt – selbst seine Fühler ausgestreckt.
Zwei Wochen vor der Gründung des ADAV am 23. Mai 1863 begann Lassalle einen Briefwechsel mit Bismarck. Bismarck, der Deutschland „durch Blut und Eisen“ vereinigen wollte, lud Lassalle zu einer Unterredung ein. In einer Reihe von vier Gesprächen versuchte Lassalle nicht nur, Bismarck Ratschläge zu erteilen, sondern er machte ihm konkrete Vorschläge für ein gemeinsames Vorgehen.
Lassalle beteuerte Bismarck, der die rechte Hand des Königs war, dass sich der Arbeiterstand „instinktmäßig zur Diktatur geneigt fühlt“ (Gustav Mayer, Bismarck und Lassalle S. 60). Die Arbeiter würden die Monarchie als „natürlichen Träger der sozialen Diktatur“ anerkennen, wenn diese sich aus einem „Königtum der bevorrechteten Stände in ein soziales und revolutionäres Volkskönigtum“ verwandelt. Aus der Sicht Lassalles sei die preußische Monarchie fähig, ein soziales Königtum zu werden – so das Thema der ersten Unterredung mit Bismarck. Bei einer weiteren Unterredung wurden das allgemeine Wahlrecht und Kampagnen gegen Fraktionen der Bourgeoisie, denen Bismarck feindselig gegenüberstand, erörtert. Weil die Düsseldorfer Polizei zum Zeitpunkt des dritten Gesprächs am 23. Oktober 1863 gegen Lassalles Schriften vorgegangen war, bot Bismarck Lassalle an, dessen Werke unter seinen Schutz zu stellen. Zu diesem Zwecke wollte Bismarck ein Rundschreiben an die Staatsanwälte erlassen, das die Beschlagnahme der Werke von Lassalle verbot. Lassalle sprach sich gegenüber Bismarck gegen dieses Angebot aus. Er meinte, dass repressive Maßnahmen seine Glaubwürdigkeit verstärken, eine „Verschonung“ seiner Schriften jene dagegen schwächen würden. Bei diesem dritten Gespräch wurde auch die Möglichkeit und Notwendigkeit aus Lassalles Sicht eines Wahlblocks zwischen Konservativen und ADAV diskutiert. Am 12. Januar 1864 bot Lassalle in der nächsten Unterredung eine direkte politische Zusammenarbeit bei der Reform des Wahlgesetzes an, für das Lassalle einen Entwurf formulieren wollte. Lassalle selbst meinte gegenüber Bismarck, er fürchtete die Revolution, diesen „düsteren, finsteren Weg“. Und um diese zu vermeiden, schlug er Bismarck vor, damit dieser nicht mit einem revolutionären Ansturm konfrontiert werde, unverzüglich das allgemeine Wahlrecht einzuführen. Da aus Lassalles Sicht die deutsche Bourgeoisie zu keiner Revolution fähig sei, müsse die Arbeiterpartei dazu den Anstoß geben, und Bismarck solle dabei den König antreiben, diesen Umschwung zu vollziehen. Schließlich bot Lassalle Preußen Unterstützung im Krieg gegen Dänemark an (es ging u.a. um die Annexion Schleswig-Holsteins), falls Bismarck das Wahlgesetz änderte.
Als Wilhelm Liebknecht Lassalle vor Bismarck warnte, meinte dieser ihm gegenüber „Pah, ich esse mit Herrn von Bismarck Kirschen, aber er bekommt die Steine“ (Bebel, S. 75, Aus meinem Leben). Nachdem Bebel zur Zeit des Sozialistengesetzes im September 1878 Bismarck im Reichstag zu dessen Kontakt mit Lassalle zur Rede gestellt hatte, antwortete Bismarck diesem im Parlament: „Lassalle habe ihn aber außerordentlich angezogen, er sei einer der geistreichsten und liebenswürdigsten Menschen gewesen, mit denen er je verkehrt habe, er sei auch kein Republikaner gewesen: die Idee, der er zustrebte, sei das deutsche Kaisertum gewesen. Darin hätten sie Berührungspunkte gehabt. Lassalle sei in hohem Grade ehrgeizig gewesen“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 76).
Lassalle gestand später gegenüber Helene von Dönniges, wie Bebel aus einem Gespräch mit dieser herausfand, dass sich sowohl Bismarck als auch Lassalle für zu schlau hielten, so dass sie sich nicht gegenseitig hätten austricksen können.[9]
Lassalle schrieb hinsichtlich seiner Reise nach Italien von seinen Begegnungen mit Führern der italienischen nationalen Bewegung und erklärte nahezu größenwahnsinnig, dass er gerade „durch seine ‚Broschüre über den italienischen Krieg‘ Preußens Intervention verhindert und in fact ‚die Geschichte der letzten drei Jahre‘ geleitet“ habe (vgl. unten).
In diesem Sinne ist ein Abenteurer nicht dasselbe wie ein Polizist oder ein Spitzel, der seine Informationen verkauft. Abenteurer müssen nicht korrupt sein, um einem Regime zu dienen. Für sie ist der Wunsch nach Ruhm und Anerkennung, d.h. psychologische Faktoren, stärker als bloße materielle Kompensationen.
Nachdem Lassalle im Mai 1863 zum Präsidenten des ADAV gewählt worden war, stellte er bei seinen Auftritten die programmatische Ausrichtung des ADAV häufig völlig unterschiedlich dar, je nachdem, mit wem er es zu tun hatte. Diese Doppelzüngigkeit ist ein weiteres Wesensmerkmal von Abenteurern – nicht mit offenen Karten“ zu spielen und nicht offen in den Ring zu treten. Während sich seinerzeit z.B. Marx und Engels in Polemiken, in Debatten „die Finger wund schrieben“, scheute Lassalle selbst die Debatte und trat in „unterschiedlichen Gewändern“ je nach Publikum auf.
Lassalle hatte kein Vertrauen in die (noch zu entwickelnden) Kräfte der Arbeiterklasse, sondern er wollte noch mehr Persönlichkeiten, Gelehrte und Wissenschaftler aus dem Lager der herrschenden Klasse für den ADAV gewinnen, da sie seiner Meinung nach berufen waren, dem Arbeiterstand die Fesseln abzunehmen. So versuchte Lassalle Johann Karl Rodbertus zu gewinnen, einen Vertreter des sogenannten Staatssozialismus. Rodbertus plädierte dafür, dass dem Verein auch „Freunde der sozialen Frage“ beitreten konnten, d.h. die Konservativen und die Bourgeoisie. Lassalle schrieb an Rodbertus: „Je mehr gute Bourgeoismitglieder des Vereins, desto besser“ (F. Lassalle: Nachgelassene Briefe und Schriften, 6. Band, Berlin 1925, S. 358).
Und weil es ihm eigentlich nicht so sehr um die Befreiung der Arbeiterklasse ging, sondern um die Förderung der allgemein demokratischen Bewegung, plädierte er auch für die Aufnahme von Liberalen und Konservativen in den ADAV. Somit richtete er sich gegen eine selbständige politische Arbeiterpartei. Gleichzeitig sollte jeder, der Lust hatte, die Mitgliedschaft erwerben können und unmittelbar eintreten dürfen – infolgedessen wurde der Verein von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Leuten überflutet. Auch hier handelte es sich um einen riesigen Rückschritt gegenüber dem Bund der Kommunisten, dessen Mitgliedschaft sich auf die Verteidigung von Organisationsprinzipien, die in dessen Statuten verankert waren, stützte.
Lassalle plädierte dafür, dass „der Staat durch Kreditoperationen Ihnen [den Arbeitern] die Kapitalien liefere, damit Sie dann in freie, gleiche Konkurrenz mit den Kapitalien treten können“. Lassalle dachte gar nicht an die Vernichtung des preußischen Staates sondern hoffte auf das sozialistische Eingreifen des Staats Preußen! Er erweckte die Zuversicht, mit Hilfe des bestehenden Staates friedlich in den Sozialismus hineinwachsen zu können.[10]
Lassalle zufolge können die Arbeiter in der kapitalistischen Gesellschaft keinen höheren Lohn bekommen als den, der das Minimum überschreitet, das für die Aufrechterhaltung ihrer physischen Kräfte notwendig ist. Ausgehend davon stemmte er sich gegen die Entfaltung von Forderungskämpfen der Arbeiter, verwarf Streiks und lehnte Gewerkschaftsverbände ab. Kurzum der ADAV sollte eine Sekte sein.
Stattdessen solle der Arbeiterstand in den Unternehmerstand erhoben werden. Der Staat sollte Kredite verleihen, Konsumgenossenschaften aufbauen und finanzieren.
Obwohl Lassalle von sich behauptete, das Kommunistische Manifest in und auswendig zu kennen, war er doch nie ein Marxist. Und obwohl er Marx und später Engels schon seit 1848 kannte und mit ihnen immer wieder korrespondierte, Marx 1862 sogar in dessen Berliner Wohnung einige Tage verbrachte, gerieten Marx und Engels ziemlich schnell mit Lassalle aneinander.
Der Grund: tiefgreifende politische Divergenzen (z.B. in der Frage der Unterstützung Preußens, der Forderung nach der Einführung des Wahlrechts und vielem mehr) sowie sein Verhalten. Marx schrieb in einem Brief an Engels am 30. Juli 1862, nachdem Lassalle ihn und seine Familie in London besucht hatte: „Der Aufenthalt in Zürich (mit Rüstow, Herwegh etc.) und die spätere Reise in Italien, dann sein „Herr Julian Schmidt" etc. haben ihm den Kopf vollends verdreht. Er ist nun ausgemacht nicht nur der größte Gelehrte, tiefste Denker, genialste Forscher usw., sondern außerdem Don Juan und revolutionärer Kardinal Richelieu. (…) Als tiefes Geheimnis teilte er mir und meiner Frau mit, daß er Garibaldi den Rat gab, nicht Rom zum Ziel des Angriffs zu machen, sondern er solle nach Neapel, dort sich zum Diktator (ohne Verletzung Viktor Emanuels) aufwerfen, die Volksarmee aufrufen zum Feldzug gegen Östreich. (...) Als Hebel der Aktion: Lassalles politischer Einfluß oder seine Feder in Berlin. Und Rüstow an der Spitze eines Korps von deutschen Freischärlern eingeschlossen an Garibaldi. Bonaparte aber war paralysiert durch diesen Lassalleschen coup d'éclat. Er war jetzt auch bei Mazzini, und „auch dieser" billigte und „bewunderte" seinen Plan. Er stellte sich diesen Leuten vor als „Repräsentant der deutschen revolutionären Arbeiterklasse" und unterstellte bei ihnen (wörtlich!) die Kenntnis, daß er (Itzig) durch seine „Broschüre über den italienischen Krieg Preußens Intervention verhinderte", und in fact „die Geschichte der letzten 3 Jahre" geleitet hat. L[assalle] war sehr wütend über mich und Frau, daß wir uns über seine Pläne lustig machten, ihn als „aufgeklärten Bonapartisten" hänselten usw. Er schrie, tobte, sprang und hat sich endlich gründlich überzeugt, daß ich zu „abstrakt" bin, um Politik zu verstehn.“ (Marx an Engels, 30. Juli 1862, MEW 30, S. 258)[11]
Diese Aussagen von Marx über die Figur, die Selbstdarstellung, den Größenwahn und sein ganzes Verhalten zeigen, wie empört Marx über Lassalle war. Als Marx und Engels ihre Einschätzungen über sein Verhalten teilten, wussten sie nichts über seine Kontakte und das Bündnis mit Bismarck. Marx' Frau Jenny schrieb über Lassalle nach seinem Besuch in ihrem Haus 1862. Sie machte sich auch über Lassalles Art der Selbstdarstellung lustig. "Er war fast erdrückt von der Last des Ruhms, den er sich als Gelehrter, Denker, Dichter und Politiker errungen. Die frische Lorbeerkrone ruhte noch auf der olympischen Stirn und dem ambrosischen Lockenhaupt oder vielmehr dem starren steifen chevelure des nègres. Er hatte eben den italienischen Feldzug siegreich beendet – ein neuer politischer Coup wurde von den großen Männern der Aktion ausgebrütet. Starke Kämpfe gingen in seiner Seele vor. Er hatte noch manche Felder der Wissenschaft nicht betreten. Da gab es noch Ägyptologie, die brachlag. ‚Soll ich nun als Ägyptologe die Welt in Erstaunen setzen, oder soll ich meine Allseitigkeit als Tatenmann, als Politiker, als Kämpfer, als Soldat bekunden?‘“ (Jenny Marx, Kurze Umrisse eines bewegten Lebens, 1865).
Was Marx von Lassalles programmatischen Positionen und dessen Auftreten hielt, wird auch durch einen Brief deutlich, den er am 9. April 1863 an Engels schickte: „Dagegen schickt er mir vorgestern sein „Offnes Antwortschreiben" an das Zentralarbeiterkomitee für den Leipziger Arbeiter- (lies Knoten') Kongreß. Er gebärdet sich - sehr wichtig mit den uns abgeborgten Phrasen um sich werfend -ganz als künftiger Arbeiterdiktator.“ (MEW, Bd. 30, S. 340) Dass das berühmte „Arbeiterprogramm“ nur eine schlechte Vulgarisierung des Kommunistischen Manifestes war, hatte Marx am 28. Januar 1863 in einem Brief an Engels erkannt.
Und nachdem Marx und Engels über die Verhandlungen zwischen Lassalle und Bismarck erfuhren, schrieb Marx an Engels: „Da wir übrigens jetzt wissen, daß Itzig [Lassalle] (was uns keineswegs in dieser Weise bekannt war) die Arbeiterpartei an Bismarck verhandeln wollte, um sich als „Richelieu des Proletariats" bekannt zu machen, so werde ich jetzt auch keinen Anstand nehmen, in der Vorrede zu meinem Buch hinreichend klar anzudeuten, daß er bloßer Nachbeter und Plagiarius ist“ (Marx an Engels in Manchester [London] 30. Jan. 1865). In der Vorrede zur ersten Auflage von Das Kapital hielt es Marx für nötig, auf die Methode Lassalles hinzuweisen, dass dieser aus Marxens Schriften Teile für seine Texte „entlehnt“ hatte, ohne Quellenangaben zu machen (Das Kapital, MEW, Bd. 23, S. 11).[12]
Schon damals betrachteten sie die Reden und Schriften Lassalles als „öklig royalistisch“ (Marx an Engels, 24. November 1864, MEW 31, S. 30).
Marx schrieb an Kugelmann:
„Verehrter Freund, Ich erhielt Ihren mir sehr interessanten Brief gestern und werde jetzt auf die einzelnen Punkte antworten. Ich will Ihnen zunächst mein Verhältnis zu Lassalle kurz darlegen. Während seiner Agitation war unser Verhältnis suspendiert, 1. wegen der selbstlobhudelnden Renommisterei, womit er zugleich den schamlosesten Plagiarismus an meinen etc. Schriften verband; 2. weil ich seine politische Taktik verdammte; 3. weil ich ihm schon vor Eröffnung seiner Agitation hier in London ausführlich erklärt und „bewiesen" hatte, daß unmittelbar sozialistisches Eingreifen eines „StaatsPreußen" Unsinn sei.“ (Marx an Kugelmann, 23. Februar 1865, MEW 31, S. 451)[13]
„Sobald er sich in London (Ende 1862) überzeugt, daß er nicht mit mir sein Spiel treiben könne, beschloß er gegen mich und die alte Partei sich als „Arbeiterdiktator" aufzuwerfen.“ (Marx an Kugelmann, ebenda, MEW 31, S. 451)
Engels schrieb am 11. Juni 1863 an Marx (drei Tage vor der Gründung des ADAV): „Der Kerl arbeitet jetzt rein im Dienst von Bismarck...“ (MEW Bd. 30, S. 354).
Lassalle behinderte tatsächlich die Verbreitung der Positionen von Marx und Engels unter den Arbeitern in Deutschland und versuchte, sie von der Arbeiterklasse in Deutschland zu isolieren. Stattdessen präsentierte er sich als der eigentliche "Aufklärer" und versuchte, die Veröffentlichung und Verbreitung von Texten von Marx und Engels zu verzögern und zu behindern, unter anderem, um stattdessen seine eigenen Positionen zu verbreiten, die oft von Marx und Engels abweichend oder ihnen diametral entgegengesetzt waren. Oder Lassalle veröffentlichte Texte, die oft nur ein Plagiat der Artikel von Marx und Engels waren, ohne jedoch die Quellen zu nennen. Marx hat eigens zu diesem Zweck einen Artikel mit dem Titel "Plagiat" geschrieben.[14]
Er präsentierte sich als der „wahre Kenner“ der Verhältnisse in Deutschland, während Marx und Engels ja im Ausland lebten und angeblich nicht über die notwendigen Einsichten verfügten.
Lassalle nahm in Korrespondenz mit Marx den Agenten Bonapartes, Karl Vogt, in Schutz. Er riet Marx, nicht öffentlich gegen Vogt vorzugehen, nicht die Sache „aufzurühren“, denn dies werde vom deutschen „Publikum“ schlecht aufgenommen werden. Marx hatte 1860 nahezu das ganze Jahr damit verbracht, eine Antwort auf das Buch von Karl Vogt, „Mein Prozess gegen die Allgemeine Zeitung“, zu schreiben, in dem dieser die politische Tätigkeit Marx‘ und seiner Genossen beschmutzte. „Ich werde eine Broschüre schreiben, sobald ich seinen Dreck (den von Karl Vogt) habe. Aber zugleich in der Vorrede erklären, dass ich den Teufel nach dem Urteil Deines deutschen Publikums frag.“ (Marx an Lassalle, 30. Januar 1860, MEW 30, S. 438).
Als die Arbeit Marx‘ Herr Vogt veröffentlicht worden war, unternahm Lassalle nichts, um ihre Verbreitung in Deutschland zu fördern. Die bürgerliche Presse war bestrebt, Marx‘ Schrift totzuschweigen und der Präsident des ADAV seinerseits sabotierte Marx‘ Kampf um seine Verteidigung.
Ende 1863, Anfang 1864 hatte sich der Widerstand gegen Lassalles Positionen entwickelt, insbesondere gegen seine Positionen zugunsten der Monarchie in Preußen. Am 11. April 1864 rief er offen zur Unterstützung der Monarchie auf. Wilhelm Liebknecht, der im Juli 1862 nach seinem Exil in London nach Berlin gezogen war, war einer der ersten, der mit Lassalle stark zusammenstieß. Marx warnte Liebknecht vor öffentlichen Auftritten zusammen mit Lassalle und riet ihm, keine engen Beziehungen zu Lassalle einzugehen. Darauf antwortete Liebknecht: "Im Lassalleanischen Arbeiterverein (ADAV) gärt etwas. Wenn Lassalle die "diktatorische Haltung" und das Flirten mit der Reaktion nicht aufgibt, wird es einen Skandal geben." Im gleichen Brief sagte Liebknecht, "(....) Er spielt ein so kompliziertes Spiel, dass er bald keinen Ausweg mehr finden wird".
Zusammen mit anderen Kräften wie Julius Vahlteich, dem Sekretär des ADAV, versuchten sie, den ADAV aus den Fängen des diktatorischen Präsidenten zu befreien. Als Lassalle diesen Widerstand bemerkte und das Gefühl hatte, dass er bald der Organisation Rechenschaft ablegen müsste und damit der Gefahr der Demaskierung ausgesetzt war, suchte er nach einem Weg, die Arbeiterbewegung zu verlassen. Seine letzten Briefe machen diese Suche nach einem "Ausweg" deutlich. Aber Lassalles plötzlicher Tod setzte seinen Aktivitäten ein unerwartetes Ende.
Am 28. August 1864 wurde er bei einem Duell um eine Frau schwer verletzt und starb drei Tage später an seinen tödlichen Verletzungen.[15] Vor seinem Tod hatte Lassalle ein Testament als Präsident des ADAV geschrieben, in dem er Bernhard Becker zu seinem Nachfolger als Präsident auserkor. Letzterer setzte dann mit Hilfe von Gräfin Hatzfeldt alles in Bewegung, um dieses Präsidium zu übernehmen und begann bald, die infamsten Beleidigungen über die "Marx-Partei" zu verbreiten.
Um die sektiererische Existenz des ADAV zu erhalten, kämpfte Beckers Nachfolger gegen den Beitritt zur inzwischen am 28. September 1864, fast einen Monat nach Lassalles Tod, in London gegründeten Ersten Internationale.
Wir können hier nicht näher auf die Bedeutung der Gründung der Ersten Internationale eingehen. Obwohl die Gründung ein enormer Fortschritt für die gesamte Arbeiterbewegung war, trugen die Kräfte um Lassalle weder zur Beteiligung der Arbeiter in Deutschland an ihrer Entstehung bei noch richteten sie ihre Tätigkeit gemäß den Perspektiven der Ersten Internationale aus.
Lassalle hatte sich durch den damals "bahnbrechenden" Sieg des Prozesses als Anwalt ein finanzielles Einkommen durch die Gräfin gesichert – und gleichzeitig war er von der Gräfin abhängig geworden. Obwohl er also sein Einkommen als Anwalt nicht verdienen musste, hatte er einen ganz besonderen privilegierten Status. Solche wirklich finanziell parasitären Positionen ließen ihn in seinen Augen als "unabhängig" gegenüber den Vertretern der herrschenden Klasse erscheinen, mit denen er in Verbindung stand. Lassalle hatte nie persönlich erfahren, was Lohnabhängigkeit oder materieller Druck bedeutet.
"Er war für uns gegenwärtig ein sehr unsicherer Freund, zukünftig ein ziemlich sicherer Feind ..." (Engels an Marx, 4. September 1864, MEW 30, S. 429).
In ihrem "Nachruf" auf Lassalle schrieben Marx und Engels: "Der brave Lassalle entpuppt sich nach und nach doch als ein ganz kommuner Schuft. Wir sind nie davon ausgegangen, die Leute zu beurteilen nach dem, was sie sich vorstellten, sondern nach dem, was sie waren, und ich sehe nicht, warum wir für Itzig [Lassalle] selig eine Ausnahme machen sollen. Subjektiv mag seine Eitelkeit ihm die Sache plausibel vorgestellt haben, objektiv gesehen war es ein Verrat der gesamten Arbeiterbewegung an die Preußen. Dabei scheint der dumme Geck sich von Bismarck aber auch gar keine Gegenleistung, gar nichts Bestimmtes, geschweige Garantien ausbedungen zu haben, sich bloß darauf verlassen zu haben, er müsse den B[ismarck] bescheißen, grade wie es ihm nicht fehlen konnte, den Racowitza totzuschießen. Ganz Baron Itzig [Lassalle]. Übrigens wird die Zeit nicht lange ausbleiben, wo es nicht nur wünschenswert, sondern notwendig wird, diese ganze Sache zu veröffentlichen. Uns kann das nur nützen und wenn die Sache mit dem Verein [ADAV] und dem Blatt in Deutschland sich hält, so muss es sogar bald geschehn, die Legatarien des Kerls herauszuwerfen. Indes wird das Proletariat in Deutschland bald sehn, was es an Bismarck hat." (MEW 31, S. 45 [33])
Lassalle war ein Abenteurer gewesen, dessen wahre Rolle zu seinen Lebzeiten nur von sehr wenigen und dann nur stückweise erkannt wurde. Wie oben gezeigt, hatten selbst Marx, Engels, Bebel und Liebknecht, die ihn besser kennengelernt hatten, kein vollständiges Bild von ihm.
Gleichzeitig zeigt der Fall Lassalle, dass es in dieser Zeit gravierende Unterschiede zwischen den Revolutionären bei der Beurteilung solcher Menschen gab. Denn Jahrzehnte später sollten selbst so wichtige politische Köpfe wie Rosa Luxemburg oder Franz Mehring eklatante Fehleinschätzungen über Lassalles vertreten.
Zum Beispiel schrieb Rosa Luxemburg 1913, d.h. 50 Jahre nach der Gründung des ADAV, eine irreführende und trivialisierende Lobpreisung Lassalles. „Lassalle hat Fehler in seiner Kampftaktik begangen, gewiss. Doch ist es nur ein wohlfeiles Vergnügen für Kleinkrämer der Geschichtsforschung, Fehler in einem großen Lebenswerk zu konstatieren. Zur Beurteilung einer Persönlichkeit wie ihres Wirkens ist viel wichtiger die Erkenntnis der eigentlichen Ursache, der besonderen Quelle, aus der ihre Fehler wie ihre Vorzüge sich ergaben. Lassalle sündigte vielfach durch seine Neigung zum „Diplomatisieren", zum „Listen" mit der Idee, so in seinen Verhandlungen mit Bismarck über die Oktroyierung des allgemeinen Wahlrechts, so in seinen Plänen der Produktivassoziationen mit Staatskredit. Er begab sich in seinen politischen Kämpfen mit der bürgerlichen Gesellschaft wie in seinen gerichtlichen Kämpfen mit der preußischen Justiz mit Vorliebe auf den Boden des Gegners, ihm so äußerlich eine Konzession seines Standpunktes gewährend, ein kecker, kühner Akrobat, wie Johann Philipp Becker schrieb, wagte er oft einen Sprung bis auf den äußersten Rand des Abgrunds, der eine revolutionäre Taktik vom Paktieren mit der Reaktion scheidet.
Aber die Ursache, die ihn zu diesen gewagten Sprüngen verleitete, war nicht die innere Unsicherheit, der innere Zweifel an der Kraft und der Realisierbarkeit der revolutionären Sache, die er vertrat, sondern ganz umgekehrt ein Übermaß an selbstsicherem Glauben an die unbezwingbare Macht dieser Sache. Lassalle trat im Kampfe manchmal auf den Boden des Gegners über, nicht um dadurch etwas von seinen revolutionären Zielen preiszugeben, sondern in dem Wahn einer mächtigen Persönlichkeit, dem Gegner, umgekehrt, auf dessen eigenem Boden so viel für seine revolutionären Ziele abtrotzen zu können, dass dabei der Boden selbst dem Gegner unter den Füßen hätte zusammenbrechen müssen. Wenn Lassalle z.B. seine Idee der Produktivassoziationen mit Staatskredit auf eine idealistische, unhistorische Fiktion vom „Staate" aufpropfte, so lag die große Gefahr dieser Fiktion darin, dass er in Wirklichkeit damit doch nur den erbärmlichen preußischen Staat idealisierte. Aber was Lassalle auf Grund seiner Fiktion diesem Staate an Aufgaben und Pflichten der Arbeiterklasse gegenüber alles abfordern und aufoktroyieren wollte, das hätte nicht nur die elende Baracke von einem preußischen Staat, sondern den bürgerlichen Staat überhaupt ins Wanken gebracht.“[16]
Während Rosa Luxemburg zufolge Lassalle sich als „kecker, kühner Akrobat“ darstellte, der „oft einen Sprung bis auf den äußersten Rand des Abgrunds [wagte], der eine revolutionäre Taktik vom Paktieren mit der Reaktion scheidet“ (siehe oben), sah die Wirklichkeit anders aus. Richtige politische Aussagen, die ein politischer Abenteurer irgendwann machen kann, können nicht seinen Charakter und seinen Gesamtbeitrag ändern. Nicht minder irreführend war die Einschätzung von Franz Mehring, dem wohl berühmtesten Parteihistoriker, der lange Zeit an der Seite Rosa Luxemburgs stand. Aus seiner Sicht war Lassalle ein Revolutionär und als solcher Marx „durchaus ebenbürtig“ (Franz Mehring, Karl Marx – Geschichte seines Lebens, S. 318). Mehring zufolge war Lassalle jemand, „den die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie immer in dem gleichen Atem mit ihm [Marx] und Engels nennen wird.“ (Mehring, S. 320). Lassalles Agitationsschriften hätten „Hunderttausenden von deutschen Arbeitern ein neues Leben geschenkt haben“ (ebenda S. 314). Mehring zufolge habe Marx „niemals völlig seine Vorurteile“ gegen Lassalle überwunden. Mehring bedauerte, dass Marx „über den toten Lassalle noch bitterer und ungerechter urteilte, als nur je über den lebenden“ (ebenda S. 319 f.).
Aufgrund historischer Umstände wurde Lassalle zu seinen Lebzeiten nie vollständig entlarvt. Wie bereits erwähnt, brachen Marx und Engels mit ihm über programmatische Fragen und sein Verhalten um 1861/62, aber sie waren sich der Art seiner Verbindungen zu Bismarck nicht bewusst. Sein plötzlicher Tod verschärfte die Schwierigkeiten, den vollen Umfang seiner Persönlichkeit zu erfassen und zu enthüllen.
Nach Lassalles Tod 1864 wurde Jean Baptist von Schweitzer 1867 im Alter von 34 Jahren zum Präsidenten des ADAV gewählt. Um ein umfassenderes Bild von seinem Charakter zu erhalten, zitieren wir ausführlich die Beschreibung, die August Bebel lieferte:
„Unter den Persönlichkeiten, die nach dem Tode Lassalles nacheinander die Führung des von ihm gegründeten Vereins übernahmen, steht J.B. v. Schweitzer allen weit voran. In Schweitzer erhielt der Verein einen Führer, der in hohem Grade eine Reihe Eigenschaften besaß, die für seine Stellung von großem Werte waren. Er besaß die nötige theoretische Vorbildung, einen weiten politischen Blick und eine kühle Überlegung. Als Journalist und Agitator hatte er die Fähigkeit, die schwierigsten Fragen und Themen dem einfachsten Arbeiter klar zu machen; er verstand es wie wenige, die Massen zu fanatisieren, ja zu faszinieren. Er veröffentlichte im Laufe seiner journalistischen Tätigkeit in seinem Blatte, dem »Sozialdemokrat«, eine Reihe populärwissenschaftlicher Abhandlungen, die mit zu dem Besten gehören, was die sozialistische Literatur besitzt. (…) Er erfaßte rasch eine gegebene Situation und verstand sie auszunutzen. Endlich war er auch ein guter Redner von großer Berechnung, der Eindruck auf die Massen und die Gegner machte.
Aber neben diesen guten, zum Teil glänzenden Eigenschaften besaß Schweitzer eine Reihe Untugenden, die ihn als Führer einer Arbeiterpartei, die in den ersten Anfängen ihrer Entwicklung begriffen war, dieser gefährlich machten. Für ihn war die Bewegung, der er sich nach mancherlei Irrfahrten anschloß, nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Er trat in die Bewegung ein, sobald er sah, daß ihm innerhalb des Bürgertums keine Zukunft blühte, daß für ihn, den durch seine Lebensweise früh Deklassierten, nur die Hoffnung bestand, in der Arbeiterbewegung die Rolle zu spielen, zu der sein Ehrgeiz wie seine Fähigkeiten ihn sozusagen prädestinierten. Er wollte auch nicht bloß der Führer der Bewegung, sondern ihr Beherrscher sein, und trachtete sie für seine egoistischen Zwecke auszunutzen. Während einer Reihe von Jahren in einem von Jesuiten geleiteten Institut in Aschaffenburg erzogen, später sich dem Studium der Jurisprudenz widmend, gewann er in der jesuitischen Kasuistik und juristischen Rabulistik das geistige Rüstzeug, das ihn, der von Natur schon listig und verschlagen war, zu einem Politiker machte, der skrupellos seinen Zweck zu erreichen suchte, Befriedigung seines Ehrgeizes um jeden Preis und Befriedigung seiner großen, lebemännischen Bedürfnisse, was ohne auskömmliche materielle Mittel, die er nicht besaß, nicht möglich war.“ (August Bebel, Aus meinem Leben, 2. Teil, S. 223)
Nachdem Schweitzer noch vor Gründung des ADAV im November 1861 zum Vorsitzenden des Frankfurter Arbeiterbildungsvereins gewählt und als Vorsitzender des Schützenvereins und des Turnclubs nicht nur lokal bekannt geworden war, sondern auch erste Beziehungen zum örtlichen Adel aufgebaut hatte, wurde er im Sommer 1862 der Unterschlagung bzw. Diebstahls an Geldern des Schützenvereins und des pädophilen Kontaktes mit einem Jungen in einem Park beschuldigt. Anschließend wurde er zu 2 Wochen Gefängnis wegen Vergehen an dem Jungen und „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ verurteilt.
Obwohl der Junge nie ermittelt wurde und Schweitzer die ganze Angelegenheit leugnete, lastete fortan der Vorwurf des Kindesmissbrauchs auf ihm. Er hat die Veruntreuung des Geldes des Schützenvereins nie geleugnet.
Dennoch beschützte ihn Lassalle und nahm ihn in den ADAV auf und machte ihn zum Vorstandsmitglied.
Bebel schrieb später über das Verhalten von Schweitzer und seine Beförderung durch Lassalle: „Er begriff rasch, daß sich hier eine Gelegenheit zu einer Stellung für seine Zukunft bot, die seinem Ehrgeiz entsprach, die ihm in der bürgerlichen Welt nach dem oben geschilderten Vorgang [Kindesmissbrauch und Unterschlagung von Geld, Anmerkung der IKS] für alle Zeit abgeschnitten war. In diesen Kreisen galt er als ein Mensch, vor dem man die Tür schließen müsse.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 232)
In die Fußstapfen von F. Lassalle tretend, bemühte sich auch Schweitzer alsbald, mittels des Geheimen Oberregierungsrats Hermann Wagener Kontakte zu herrschenden Kreisen, insbesondere zu Bismarck und dessen Entourage aufzubauen. [17]
Wie Lassalle bot auch Schweitzer Bismarck politische Unterstützung an. Wie bewusst sich z.B. Hatzfeldt der Bestrebungen Schweitzers war, zeigt eine Aussage von Bebel in seiner Autobiographie: „Die Gräfin Hatzfeldt, der die Unterstützung der Bismarckschen Politik durch Schweitzer noch nicht weit genug ging, hatte eine Rechtfertigung dieser Politik schon gegen Ende 1864 in einem Briefe an die Frau Herweghs versucht, in dem sie schrieb: ‚Es liegt ein förmlicher Abîme [Abgrund] zwischen folgenden zwei Sachen: sich an einen Gegner zu verkaufen, für ihn arbeiten, verdeckt oder unverdeckt, oder wie ein großer Politiker den Augenblick zu erfassen, um von den Fehlern des Gegners zu profitieren, einen Feind durch den anderen aufreiben zu lassen, ihn auf eine abschüssige Bahn zu drängen und die dem Zwecke günstige Konjunktur, sie möge hervorgebracht werden von wem sie wolle, zu benutzen. Die bloßen ehrlichen Gesinnungen, diejenigen, die sich immer nur auf den idealen, in der Luft schwebenden Standpunkt der zukünftigen Dinge stellen und darauf nur das momentane Handeln bestimmen, mögen privatim als recht brave Menschen gelten, aber sie sind zu nichts zu brauchen, zu Handlungen, die auf die Ereignisse wirklich einwirken, ganz unfähig, kurz, sie können nur in der großen Masse dem Führer folgen, der besser weiß.‘“ (Bebel, ebenda S. 251)
Hier sieht man die Sichtweise, die man oft bei Abenteurern findet: Die Massen sind dumm und müssen gesteuert werden, sie brauchen einen klugen Kopf, der wirksam auf den Gegner einwirken kann. Der Abenteurer ist der "Auserwählte, der Berufene". Und ein Teil dieses Verhaltens ist es, mit gespaltener Zunge zu sprechen. Wie Bebel schrieb:
„Die Art, wie dabei wieder Schweitzer den Massen zu schmeicheln verstand, obgleich er innerlich sie verachtete, ist mir nie mehr in ähnlichem Maße begegnet.“[18]
Weil Schweitzer meinte, der König „Seine Majestät unser allverehrter König der Freund der Arbeiter ist“ und der Hauptfeind für den ADAV in der „liberalen Bourgeoispartei“ liege, bekannte er sich dazu, dass, „der sozialdemokratischen Partei Kampf in erster Linie gegen sie gerichtet sein muß. Wenn Sie dies aber festhalten, meine Herren, dann werden Sie sich selbst sagen: Warum hätte Lassalle sich nicht an Bismarck wenden sollen?“ (ebenda, S. 233, 247) Bebel führt weiter aus: „Schweitzer wußte, daß die von ihm gepredigte Auffassung eine grundreaktionäre war, ein Verrat an den Interessen des Arbeiters, aber er propagandierte sie, weil er glaubte, sich dadurch nach oben zu empfehlen.
Es verstand sich von selbst, daß Bismarck und die Feudalen eine solche Hilfe von der äußersten Linken mit Vergnügen sich gefallen ließen und den Vertreter einer solchen Auffassung eventuell auch unterstützten“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 233).
„Die Versuche, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein für die Bismarcksche großpreußische Politik nutzbar zu machen, waren also sehr frühzeitig vorhanden und dauernde. Es wird Sache meiner Auseinandersetzungen sein, zu beweisen, daß Schweitzer diesen Bestrebungen Bismarcks bewußt diente“ (ebenda S. 227).
Die Bemühungen, persönliche Ambitionen durch direkte oder indirekte Kontakte zu den Herrschern zu erfüllen, gingen daher oft mit programmatischen Schwächen und Täuschungen einher, wie man in der Frage des Wahlrechts sehen konnte (oder siehe z.B. Schweitzers Artikel "Das Ministerium für Bismarck und die Regierung der Mittel- und Kleinstaaten"). Engels schrieb später:
„Damals wurde der Versuch gemacht, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein – seinerzeit die einzige organisierte Vereinigung sozialdemokratischer Arbeiter in Deutschland – unter die Fittiche des Ministeriums Bismarck zu bringen, indem man den Arbeitern Aussicht machte, die Regierung werde das allgemeine Stimmrecht bewilligen. Das "allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht" war ja von Lassalle als das einzige und unfehlbare Mittel zur Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse gepredigt worden.“ www.mlwerke.de/me/me16/me16_326.htm [34]
Engels schrieb damals zwei wichtige programmatische Texte, "Die preußische Militärfrage und die Deutsche Arbeiterpartei" sowie eine Antwort auf J.B. Schweitzer "Über P.-J. Proudhon". Wie Engels kommentierte, hatte dieser Artikel Proudhon zum Thema, aber eigentlich sollte er auch als Antwort auf das Lassalleanertum selbst gesehen werden (siehe MEW 15, S. 25).
Zugleich reagierte Schweitzer auf die Kritik an seiner Haltung zu Preußen. Da Marx und Engels in England und nicht in Deutschland lebten, könnten sie überhaupt kein "Expertenwissen" haben. Nur wenn man eine "lokale/nationale" Sichtweise habe, könne man die Verhältnisse richtig beurteilen: "Was aber die praktischen Fragen momentaner Taktik betrifft, so bitte ich Sie zu bedenken, daß, um diese Dinge zu beurteilen, man im Mittelpunkt der Bewegung stehen muß.“
Im Sozialdemokrat vom 15. Dezember 1864 verteidigte ein Artikel Unser Programm diesen nationalen Standpunkt: "Wir wollen nicht ein ohnmächtiges und zerrissenes Vaterland, machtlos nach außen und voll Willkür im Innern – das ganze, gewaltige Deutschland wollen wir, den einen, freien Volksstaat" (Bebel, ebd., S. 234). Eine so starke nationale Sichtweise wurde zu einer Zeit vorgelegt, als die Erste Internationale die Bedeutung des Internationalismus für die gesamte Arbeiterklasse weltweit betonte.
Am 15. Dezember 1865 veröffentlichte Schweitzer im Sozialdemokrat einen Artikel mit einer Lobpreisung der "Verdienste" von Lassalle, als ob es vor ihm keine Arbeiterbewegung gegeben hätte. Marx schickte daraufhin den oben genannten Artikel über Proudhon, um "nahezu verklausuliert" zum kritischen Nachdenken über Lassalles Rolle anzuregen. Neben Lassalles Verherrlichung wollte der Sozialdemokrat unter Schweitzer die Unterstützung von Bismarck weiter ausbauen. Daraufhin kündigten Marx und Engels am 23. Februar 1865 ihre Mitarbeit am „Social-Demokrat“ auf, woraufhin Schweitzer die Positionen von Marx und Engels erneut verfälschte.[19]
Die Opposition innerhalb des ADAD fing an, gegen die „diktatorischen Organisationsbestimmungen im Vereinsstatut zu polemisieren, [denn] so mußte die Organisation als das ureigenste Werk Lassalles mit einer Art Glorienschein umgeben werden. Der Lassallekultus wurde von jetzt ab systematisch gefördert und jeder als eine Art Schänder des Heiligsten gebrandmarkt, der andere Ansichten zu hegen wagte.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 246) Bebel führte weiter aus: „Und Schweitzer unterstützte diese allmählich ans Idiotenhafte grenzenden Anschauungen, die schließlich eine Art religiöser Glaubenssätze wurden. (…) Kam es doch im Laufe der Jahre dahin, daß das Thema »Christus und Lassalle« das Thema für die Tagesordnung zahlreicher Volksversammlungen wurde.“ (ebenda, S. 246) [20]
Ähnlich wie Lassalle stützte sich auch Schweitzer nicht nur auf dubiose Finanzierungsquellen. Zum einen klärte er nie auf, woher die großen Geldmittel für die Produktion und die Verbreitung des Sozialdemokrat stammten, nachdem der Verdacht aufgekommen war, dass ihm Gelder aus Regierungsquellen zuflossen. [21]
Der bloße Verdacht, dass er von staatlichen Mitteln abhängig sei, dass er so nicht nur erpressbar, sondern sogar direkt korrumpiert werden könne, hätte von Schweitzer nicht unbeantwortet bleiben dürfen. Stattdessen ließ er diese Beschuldigung auf sich sitzen.
Zum anderen unternahm er nichts, als bekannt wurde, dass ein Polizeispitzel namens Preuß in der Organisation tätig war, der mit dem Polizei-Oberen in Verbindung stand, mit dem Schweitzer selbst Kontakte pflegte.
Man könnte einwenden: Sind Gefängnisstrafen bzw. repressives Vorgehen gegen Abenteurer ein Beweis für deren „Unschuld“?
Im November 1865 war Schweitzer ins Gefängnis gewandert und hätte dort ein Jahr absitzen sollen wegen Majestätsbeleidigungen und Schmähung obrigkeitlicher Anordnungen, mit Aberkennung der Ehrenrechte.
„Man hat geltend gemacht, daß die verschiedenen Gefängnisstrafen ein Beweis gegen die Anklage seien, Schweitzer wäre Bismarckscher Agent gewesen. Diese Auffassung ist durchaus falsch. Die Beziehungen, die eine Regierung zu ihren politischen Agenten zu haben pflegt, bindet sie nicht den Staatsanwälten und Richtern auf die Nase. Eine zeitweilige Verurteilung eines politischen Agenten wegen oppositioneller Handlungen ist auch sehr geeignet, Mißtrauen gegen den Betreffenden zu beseitigen und das Vertrauen in ihn zu stärken. Bekanntlich haben auch die Berliner Gerichte zu derselben Zeit, in der Lassalle mit Bismarck seine stundenlangen politischen Unterhaltungen als »angenehmer Gutsnachbar« hatte, sich nicht gescheut, ihn zu einer Reihe harter Gefängnisstrafen zu verurteilen, obgleich man damals in weiten Kreisen wußte, wie Bismarck und Lassalle zueinander standen.“ (Bebel, ebenda, S. 253)
Während die Berliner Polizei bei ihren polizeilichen Durchsuchungen morgens früh die polizeilich Verdächtigen mit Hausdurchsuchungen terrorisierte, hatte sich „Schweitzer (...) nie über solche oder ähnliche Maßnahmen zu beklagen. Er ging ins Gefängnis und verließ dasselbe, als wenn er ins Hotel ging und dasselbe verließ“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 297). Tatsächlich wurde Schweitzer wiederholt aus dem Gefängnis entlassen bzw. konnte aus diesem nahezu ein- und ausgehen und weiter seine Aktivitäten betreiben – im Gegensatz zu anderen Mitgliedern des ADAV, die dort schmachteten.
Tatsächlich denunzierte die enge Verbündete von Lassalle Gräfin Hatzfeldt Liebknecht sogar bei der Polizei, als er sich 1865 illegal in Berlin aufhielt, woraufhin er aus der Stadt ausgewiesen wurde. [22]
Im Frühjahr 1869 formierte sich Widerstand innerhalb des ADAV gegen Schweitzers diktatorische Vollmachten.
Zunächst gegen dessen verschwenderischen Lebensweisen: „Schweitzer gehörte zu den Naturen, die stets mindestens doppelt so viel Geld verbrauchen als sie einnehmen, deren Parole ist: Die Bedürfnisse haben sich nicht nach den Einnahmen, sondern die Einnahmen haben sich nach den Bedürfnissen zu richten, was bedingt, daß sie dann skrupellos das Geld nehmen, wo sie es finden. Hatte Schweitzer 1862 2600 Gulden aus der Schützenfestkasse entnommen, so unterschlug er später, als er Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins war und als solcher über die Kassengelder verfügte, von schlecht gelohnten Arbeitern gesammelte Groschen, um seine Gelüste zu befriedigen. Es handelte sich hier nicht um große Summen, aber das lag nicht an Schweitzer, sondern an dem mageren Inhalt der Kasse. Diese Mißwirtschaft ist ihm auf verschiedenen Generalversammlungen des Vereins vorgeworfen und nachgewiesen worden, und Bracke, der jahrelang Kassierer des Vereins war und auf Schweitzers Anweisung die Gelder auszahlen mußte, hat ihn öffentlich dieser Schandtat bezichtigt, ohne daß Schweitzer ein Wort der Verteidigung wagte. Wer aber dergleichen fähig ist, von dem soll man nicht behaupten, daß er unfähig gewesen sei, sich politisch zu verkaufen, was doch das einzige halbwegs lukrative Geschäft für ihn sein konnte. Den Nachweis, wieviel gezahlt wurde, kann niemand erbringen, denn dergleichen Geschäfte werden nicht auf offenem Markte abgeschlossen.“ (Bebel, ebenda, S. 270)
Als die Erfurter Ortsgruppe die Kassenführung von Schweitzer überprüfen lassen wollte, drohte Schweitzer mit der Auflösung des Vereins – und drei Wochen später erschien die Polizei tatsächlich als Strafexpedition und löste den Verein auf ... (Bebel, ebenda, S. 274). [23]
Und nach Absprachen „in einem kleinen Kreise Auserwählter, die mit ihm durch dick und dünn gingen“, wurde ein neuer Verein gegründet, dessen Statuten nahezu auf Schweitzer zugeschnitten waren. „Das neue Statut enthielt geradezu ungeheuerliche Bestimmungen. So sollte der Präsident sechs Wochen vor der ordentlichen Generalversammlung in Urabstimmung durch die Mitglieder des Vereins gewählt werden, also ehe noch die Generalversammlung gesprochen und dessen Geschäftsführung geprüft hatte.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 276)
„Im weiteren erklärte Schweitzer gegen Marx und Engels, daß sie sich vom »Sozialdemokrat« zurückgezogen, sobald sie eingesehen hätten, daß sie nicht die erste Rolle bei der Partei spielen konnten. Im Gegensatz zu ihnen sei Lassalle nicht der Mann der unfruchtbaren Abstraktion, sondern ein Politiker im strengen Sinne des Wortes, nicht ein schriftstellerischer Doktrinär, sondern ein Mann der praktischen Tat gewesen. Wobei wieder nicht vergessen werden darf, daß später Schweitzer den Mann der »unfruchtbaren Abstraktion«, den »schriftstellerischen Doktrinär« Karl Marx, umschmeichelte und für sich zu gewinnen suchte“ (Bebel, ebenda, S. 240).
Während der Generalversammlung des ADAV in Wuppertal Barmen-Elberfeld Ende März 1869, auf der Schweitzer zur Rechenschaft gezogen werden sollte, berichtete Bebel an Marx: „Liebknecht und ich sitzen eben hier in Elberfeld in einem kleinen Kreise von Gesinnungsgenossen, um den Feldzugsplan für die morgige Schlacht vorzubereiten. Wir haben hier eine solche Fülle von Schuftereien Schweitzers zu hören bekommen, daß uns die Haare zu Berge stehen. Ebenso stellt sich zur Evidenz heraus, daß Schweitzer das Programm der Internationale nur zu dem Zwecke vorschlägt, um einen Hauptcoup gegen uns zu führen und ein gut Teil oppositioneller Elemente niederzuschlagen respektive zu sich herüberzuziehen.“ (Bebel, ebenda, S. 281)
Bebel führte weiter aus, dass „Schweitzer mit allen Mitteln der Perfidie und Intrige gegen uns wühlt.“ (Bebel, ebenda, S. 282)
Bebel und Liebknecht wollten Schweitzer auf dieser Generalversammlung entblößen. [24] Bebel berichtete:
„Am nächsten Nachmittag traten wir in den überfüllten Saal, von wütenden Blicken der fanatisierten Anhänger Schweitzers empfangen. Liebknecht sprach zuerst, etwa anderthalb Stunden, ich folgte und sprach wesentlich kürzer. Unsere Anklagen enthielten zusammengedrängt, was ich bisher hier gegen Schweitzer vorgebracht habe. Mehrere Male erfolgten heftige Unterbrechungen, namentlich als ich Schweitzer als Regierungsagent bezeichnete. Ich solle das Wort zurücknehmen. Dessen weigerte ich mich. Ich glaubte, das Recht zu haben, meine Meinung frei aussprechen zu dürfen, sie, die Zuhörer, brauchten mir ja nicht zu glauben. (…)
Schweitzer, der während unserer Reden auf dem Podium hinter uns saß, erwiderte kein Wort. So verließen wir den Saal, wobei einige Delegierte vor und hinter uns gingen, um uns vor Tätlichkeiten der fanatisierten Anhänger Schweitzers zu schützen. Aber Schmeichelworte wie Schufte, Verräter, Lumpe, euch sollte man die Knochen im Leibe zerschlagen usw., bekamen wir bei dem Gange durch das lebende Spalier in Menge zu hören. Auch machte einer der Anwesenden den Versuch, mich beim Heruntersteigen vom Podium durch einen Stoß in die Kniekehle zu Fall zu bringen. Vor der Tür nahmen uns unsere Freunde in Empfang, um uns als Schutzgarde nach unserem Hotel zu geleiten“. (a.a.O., S. 283) „Schweitzer verlangte von den Delegierten ein Vertrauensvotum. Nach erregter Debatte wurde ihm dasselbe (...) mit einer viel geringeren Stimmenzahl erteilt.“
„Durch diese und noch eine Reihe anderer Bestimmungen wurden die Machtbefugnisse Schweitzers sehr bedeutend eingeschränkt. (...) Außerordentlich bezeichnend für sein damaliges Verhalten ist auch, daß er das ausführliche Protokoll, das über die Elberfelder Verhandlungen erschienen war, unterschlug und verschwinden ließ, wie er das gleichfalls mit dem Protokoll der Hamburger Generalversammlung aus dem vorhergehenden Sommer getan hatte. Es sollte nichts, was ihn kompromittierte, den Vereinsmitgliedern bekannt werden und in die Oeffentlichkeit dringen.“ (S. 285) Für kurze Zeit hatten die beiden Flügel, in die sich der ADAV gespalten hatte, ihre Wiedervereinigung unter Schweitzer erklärt. Aber der Oppositionsflügel um Bracke herum kam zu dem Schluss, dass „Herr v. Schweitzer den Verein lediglich zur Befriedigung seines Ehrgeizes benutzt und ihn zum Werkzeug einer arbeiterfeindlichen reaktionären Politik herabwürdigen will“ (Bebel, ebenda, S. 290).
Die Oppositionellen riefen daraufhin zur Abhaltung eines Kongresses aller sozialdemokratischen Arbeitnehmer in Deutschland (der in Eisenach abgehalten wurde). Sie traten aus dem ADAV aus und erklärten: "Es wird sich zeigen, ob Korruption, Gemeinheit, Bestechung oder Ehrlichkeit und Reinheit der Absichten sich durchsetzen werden. Es wird sich zeigen, ob die Korruption, die Gemeinheit, die Bestechlichkeit auf jener Seite, oder die Ehrlichkeit und die Reinheit der Absichten auf unserer den Sieg davonträgt. Unsere Losung sei: Nieder mit der Sektiererei! Nieder mit dem Personenkultus! Nieder mit den Jesuiten, die unser Prinzip in Worten anerkennen, in Handlungen es verraten! Hoch lebe die Sozialdemokratie, hoch die Internationale Arbeiterassoziation!
Daß wir in dieser Erklärung und später wiederholt die Ehrlichkeit unserer Absichten gegen die unehrlichen Schweitzers ins Feld führten, brachte nachher der neu gegründeten Partei von der Gegenseite den Spitznamen »Die Ehrlichen« ein.“ (Bebel, ebenda, S. 293)
Die Gegenoffensive Schweitzers ließ nicht lange auf sich warten.
„Der »Sozialdemokrat« beobachtete jetzt die Taktik, ständig zu verkünden, unser Anhang bestehe nicht aus Arbeitern, sondern aus Literaten, Schulmeistern und sonstigen Bourgeois.“ Vor allem sollte die Opposition durch Beschimpfungen, Spott und Verleumdung in Verruf gebracht werden. „Hinter unserem Kongreß, hieß es in der betreffenden Nummer, stehe die ganze liberale Bourgeoisie in allen ihren Schattierungen. Von straffer, einheitlicher Organisation könne natürlich bei uns unter einem Regiment von Literaten, Schulmeistern, Kaufleuten usw. keine Rede sein. Jeder dieser Leute müsse Gelegenheit haben, sich recht wichtig zu machen. Die gesamte Bourgeoispresse stehe uns zu Gebot, log er weiter. Er werde dafür sorgen, daß eine entsprechende Anzahl Delegierter auf den Eisenacher Kongreß komme, aber keine Literaten und Bourgeois, sondern wirkliche Arbeiter.“ (S. 295)
Schließlich beschuldigte Tölcke, der 1865 zum Präsidenten des ADAV gewählt worden war, Bebel im Sozialdemokrat vom 28. Juli 1869, 600 Taler pro Monat vom ehemaligen König von Hannover zu erhalten – eine echte Verleumdung!
Auf dem Gründungskongress der Eisenacher im August 1869 befürchteten die Mitglieder ein gewaltsames Eindringen der fanatisierten Anhänger Schweitzers, der seine „Truppen“ auch gewaltsam gegen die „Eisenacher“ einsetzen würde. Rund 100 Personen aus dem Kreis der "Schweitzerianer" erschienen dann auf dem Eisenacher Kongress, wurden aber wegen fehlender Mandate abgewiesen.
Mit der Gründung der Eisenacher Partei 1869, die sich durch den Widerstand gegen den ADAV gebildet hatte, wurde die erste Partei gegründet: die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschland (SDAP).
In einem Brief an Schweitzer schrieb Marx über den unverzichtbaren Schritt des Übergangs von einer Sekte zu einer echten Klassenbewegung. Lassalle hatte sich nicht nur geweigert, zu diesem Schritt beizutragen, sondern war auch ein Hindernis, das die Bewegung überwinden musste.
„Er gab ferner von vornherein - wie jeder Mann, der behauptet, eine Panazee für die Leiden der Masse in der Tasche zu haben - seiner Agitation einen religiösen Sektencharakter. In der Tat, jede Sekte ist religiös. Er verleugnete ferner, eben weil Sektenstifter, allen natürlichen Zusammenhang mit der frühern Bewegung in Deutschland wie im Ausland. Er fiel in den Fehler Proudhons, die reelle Basis seiner Agitation nicht aus den wirklichen Elementen der Klassenbewegung zu suchen, sondern letzterer nach einem gewissen doktrinären Rezept ihren Verlauf vorschreiben zu wollen.
Was ich hier post festum sage, habe ich großenteils dem Lassalle vorhergesagt, als er 1862 nach London kam und mich aufforderte, mich mit ihm an die Spitze der neuen Bewegung zu stellen. Sie selbst haben den Gegensatz zwischen Sektenbewegung und Klassenbewegung an eigner Person erfahren. Die Sekte sucht ihre raison d'etre und ihren point d'honneur nicht in dem, was sie mit der Klassenbewegung gemein hat, sondern in dem besondren Schibboleth, das sie von ihr unterscheidet. Als Sie daher zu Hamburg den Kongreß zur Trades Unions Stiftung vorschlugen, konnten Sie den Sektenwiderstand nur niederschlagen durch Drohung, die Präsidentenwürde niederzulegen. Sie waren außerdem gezwungen, Ihre Person zu verdoppeln, zu erklären, das eine Mal als Sektenhaupt und das andre Mal als Organ der Klassenbewegung zu handeln. Die Auflösung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins gab Ihnen den Anlaß, einen großen Fortschritt zu vollziehn und zu erklären, zu beweisen, s'il le fallait, daß nun ein neues Entwicklungsstadium eingetreten und die Sektenbewegung nun reif sei, in die Klassenbewegung aufzugehen und allem „Anertum" ein Ende zu machen. Was den wahren Inhalt der Sekte betraf, würde sie ihn, wie alle früheren Arbeitersekten, als bereichern-des Element in die allgemeine Bewegung tragen. Statt dessen haben Sie in der Tat die Forderung an die Klassenbewegung gestellt, sich einer besonderen Sektenbewegung unterzuordnen. Ihre Nichtfreunde haben daraus geschlossen, daß Sie unter allen Umständen Ihre „eigne Arbeiterbewegung" konservieren wollen.“[25]
Im Juli 1871 veröffentlichte der Braunschweiger Parteiausschuss einen Aufruf: „Dem Herrn v. Schweitzer aber, der in der gehässigsten und verwerflichsten Weise Arbeiter gegen Arbeiter, Sozialdemokraten gegen Sozialdemokraten zu hetzen sucht, sind wir um der Arbeitersache verpflichtet, mit aller Energie entgegenzutreten. Daher fordern wir die Parteigenossen in Barmen-Elberfeld, dem klassischen Boden für diesen Kampf, auf, die nötigen Schritte in dieser Richtung ohne Säumen zu tun; die Partei ist schuldig und verbunden, die allgemeine Bewegung von einem Menschen zu säubern, der, unter dem Deckmantel einer radikalen Gesinnung, bisher im Interesse der preußischen Staatsregierung alles getan hat, dieser Bewegung zu schaden. Die Partei wird den Genossen in Barmen-Elberfeld zur Seite stehen. Nun kräftig vorwärts.“ (Bebel, a.a.O., S. 330)
Im Frühjahr 1871 wurde Schweitzer aus dem ADAV ausgeschlossen.[26]
Wie im Falle von Lassalle wurde Schweitzer zu seinen Lebzeiten nie vollständig entlarvt (er starb 1875 an einer Lungenentzündung). Er wurde aus dem ADAV ausgeschlossen, aber ohne dass die Lehren ausreichend gezogen wurden.
Erst im Kampf gegen die Aktivitäten von Bakunin entwickelten die Erste Internationale und ihr Generalrat die Fähigkeit, die Aktivitäten eines Abenteurers effizient zu entblößen.
Die Rolle der beiden Abenteurer, beide Rechtsanwälte, die jahrelang ihr Unwesen im ADAV betreiben konnten und die in den Augen vieler als im Interesse der Arbeiterklasse handelnd galten, zeigt, wie schwierig es ist, einen Abenteurer zu identifizieren und zu entlarven.
Das Aufdecken und Entblößen ihres Verhaltens, ihres Werdegangs, ihrer Verbindungen, Reaktionen und wahren Motive ist eine der größten Herausforderungen für eine revolutionäre Organisation. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, ist die Tatsache, dass diese Personen durch Tricks das Vertrauen vieler Mitglieder der Organisation erschlichen haben und in der gesamten Arbeiterklasse einen hohen Ruf genießen können, ein großes Hindernis, das jedoch nicht die Fähigkeit beeinträchtigen darf, das eigentliche Wesen dieser Personen zu erkennen und zu verstehen. Die Entlarvung solcher Abenteurer stößt in der Regel auf das Entsetzen derjenigen, die sich ihnen am nächsten fühlen und die unfähig oder nicht bereit sind, die Realität aus langfristiger persönlicher Anhänglichkeit, "Loyalität" und/oder emotionaler Affinität zu erkennen. Da es sich um "hochgeschätzte" Persönlichkeiten handeln kann, von denen "niemand so etwas erwartet", ist es umso wichtiger, sich mit der schmerzhaften historischen Erfahrung der revolutionären Bewegung auseinanderzusetzen. Engels schrieb kurz vor seinem Lebensende 1891, "Ich werde nicht mehr erlauben, daß der falsche Ruhm Lassalles auf Kosten von Marx aufrechterhalten und neu gepredigt wird.“ (Engels an Bebel, 1. Mai 1891, MEW 38, S. 93) So resümierte er gegenüber den Zögerungen, Zweifeln, Abwieglern in der Partei, warum es wichtig war, Lassalle schonungslos zu entblößen.
„Du sagst, Bebel schreibe Dir, die Behandlung Lassalles durch Marx habe bei den alten Lassalleanern böses Blut gesetzt. Das mag sein. Die Leute kennen ja die wirkliche Geschichte nicht, und es scheint auch nichts geschehn zu sein, sie darüber aufzuklären. Wenn jene Leute nicht wissen, daß die ganze Größe Lassalles darauf beruhte, daß Marx ihm erlaubte, jahrelang sich mit M[arxen]s Forschungsresultaten als mit seinen eignen zu schmücken und sie obendrein aus mangelhafter ökonomischer Vorbildung zu verdrehn, so ist das nicht meine Schuld. Aber ich bin literarischer Testamentsvollstrecker von Marx und habe als solcher auch meine Pflichten. Lassalle gehört seit 26 Jahren der Geschichte an. Wenn man unter dem Ausnahmegesetz die historische Kritik über ihn hat ruhen lassen, so wird es endlich Zeit, daß sie zu ihrem Rechte kommt und über die Stellung Lassalles zu Marx Klarheit geschaffen wird. Die Legende, die die wahre Gestalt Lassalles verhüllt und verhimmelt, kann doch kein Glaubensartikel der Partei werden. Mag man die Verdienste L[assalle]s um die Bewegung noch so hoch anschlagen, seine historische Rolle darin bleibt eine zwieschlächtige. Den Sozialisten Lassalle begleitet der Demagog Lassalle auf Schritt und Tritt. Durch den Agitator und Organisator Lassalle scheint der Leiter des Hatzfeldtschen Prozesses 1751 überall durch: derselbe Zynismus in der Wahl der Mittel, dieselbe Vorliebe, sich mit anrüchigen und korrumpierten Leuten zu umgeben, die man als bloße Werkzeuge gebrauchen resp. wegwerfen kann. Bis 1862 in der Praxis spezifisch preußischer Vulgärdemokrat mit stark bonapartistischen Neigungen (ich habe eben seine Briefe an Marx durchgesehn), schlug er plötzlich um aus rein persönlichen Ursachen und begann seine Agitation; und ehe 2 Jahre vorbei, verlangte er, die Arbeiter sollten die Partei des Königtums gegen die Bourgeoisie ergreifen, und mogelte mit seinem Charakterverwandten Bismarck in einer Weise, die zum tatsächlichen Verrat an der Bewegung führen mußte, wäre er nicht zu seinem eigenen Glück rechtzeitig erschossen worden. In seinen Agitations-schriften ist das Richtige, das er von M[arx] entlehnt, so sehr mit Lassalleschen eignen und regelmäßig falschen Ausführungen verwebt, daß beides fast nicht zu trennen ist. Der Teil der Arbeiter, der sich durch M[arxen]s Urteil verletzt fühlt, kennt von L[assalle] eben nur die 2 Jahre Agitation und auch diese nur durch eine gefärbte Brille. Aber vor solchen Vorurteilen kann die historische Kritik nicht ewig stehnbleiben, den Hut in der Hand. Mir war es Pflicht, endlich einmal reinen Tisch zu schaffen zwischen Marx und Lassalle. Das ist geschehn. Damit kann ich mich vorderhand begnügen. Ich selbst habe zudem jetzt andres zu tun. Und das veröffentlichte rücksichtslose Urteil Marx‘ über L[assalle] wird schon allein seine Wirkung tun und andren Mut machen. Aber würde ich dazu gezwungen, so bliebe mir keine Wahl: ich müßte mit der Lassalle-Legende ein für allemal aufräumen.“ (Engels an Kautsky, 23. Februar 1891, MEW 38, S. 40).
Die Entlarvung der Aktivitäten von Bakunin durch den Generalrat der Ersten Internationale zeigte, dass dieser Kampf nur möglich war, weil das politische Bewusstsein und die Entschlossenheit, solche Abenteurer zu entlarven, vorhanden waren. Und das konnte nur durch die Erstellung eines spezifischen Berichts wie desjenigen des Generalrates an den Haager Kongress erreicht werden.[27]
Als Bebel und Liebknecht Schweitzer 1869 auf dem Wuppertaler Parteitag anprangerten, taten sie dies, ohne einen ordentlichen Bericht vorgelegt zu haben, ohne ein vollständiges Bild zu bieten, was sicherlich dazu beitrug, dass die Entlarvung unausgegoren blieb, und es hinderte Schweitzer nicht daran, wiedergewählt zu werden – trotz wachsenden Widerstandes.
Der Kampf gegen Abenteurer, der, wie die Erfahrung von Marx und Engels in ihrem Kampf gegen Lassalle und Schweitzer gezeigt hat, eine gewaltige Herausforderung darstellt, wurde durch den Generalrat der Ersten Internationalen beim Haager Kongress auf ein höheres, viel effizienteres Niveau gehoben. Indem er die Lehren aus den Schwächen und Schwierigkeiten des Kampfes gegen Lassalle und Schweitzer zog, schmiedete der Generalrat die Waffen, um sich Bakunin zu stellen. Es liegt heute an den revolutionären Organisationen, die Lehren aus diesem Kampf wieder anzunehmen.
Dino, Juli 2019
[1] Siehe Internationale Revue Nr. 17, 18, 19, 20
[2] Ferdinand Lassalle wurde 1825 in Breslau als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Seidenhändlers geboren. Schon in seiner Jugend zeichnete er sich durch seine starke Eigenständigkeit und seine Ambitionen aus. Als Student strebte er eine Berufung zum Universitätsprofessor an.
[3] Wegen seiner besonderen Beziehungen zur Gräfin Hatzfeld verweigerte der Bund der Kommunisten dessen Aufnahme in seine Reihen.
[4] Einer seiner Biographen, Schirokauer, erwähnte seinen üppigen Lebensstil als junger Mann und seinen hohen Konsum von teuren Weinen und Champagnern. In der Berliner Residenz, wo er und die Gräfin lebten, wurde berichtet, dass auch der Hasch- und Opiumkonsum eine gängige Praxis sei. Für weitere Details siehe: Arno Schirokauer: Lassalle. Die Macht der Illusion, die Illusion der Macht. Paul List Verlag, Leipzig 1928.
[5] Aufgrund des Vereinsgesetzes von 1854 waren politische Arbeitervereine und auch Verbindungen zwischen zugelassenen Vereinen verboten.
[6] Gustav Mayer, Spitzelbericht Lassalles über sich selbst. Wiederveröffentlicht in den Grünberg-Archiven, Bd. 10, S. 399 ff., siehe auch Gustav Mayer, J. B. Schweitzer und die Sozialdemokratie, Jena, 1909; Gustav Mayer, Bismarck und Lassalle, Ihr Briefwechsel und ihre Gespräche, Berlin, 1928.
[7] A.K. Worobjowa, Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und des Kampfes von Karl Marx und Friedrich Engels gegen Lassalle und das Lassalleanertum 1862-1864, Berlin 1961, S. 249
[8] Später stellte Bebel Bismarck öffentlich zu seinen Verbindungen mit Lassalle im Reichstag zur Rede: “Auf die ihm von mir vorgehaltenen Beziehungen zu Lassalle äußerte er: Nicht er, sondern Lassalle habe den Wunsch gehabt, mit ihm zu sprechen, und er habe ihm die Erfüllung dieses Wunsches nicht schwer gemacht. Er habe das auch nicht bereut. Verhandlungen hätten zwischen ihnen nicht stattgehabt, was hätte Lassalle als armer Teufel ihm auch bieten können?“ (Aus: Bebel, Aus meinem Leben, Kapitel 5: Mein Eintritt in die Arbeiterbewegung und das öffentliche Leben, S. 76)
[9] „Helene v. Rakowicza (Helene v. Dönniges), die ehemalige Geliebte Lassalles, wegen der er in das Duell, das ihm das Leben kostete, verwickelt wurde, erzählt in ihrem Buche: ‚Von anderen und mir‘, Berlin 1909, daß sie in einer Nachtunterhaltung Lassalle die Frage vorgelegt: Ist's nun wahr? Hast du mit Bismarck allerlei Geheimes zu tun? Worauf dieser geantwortet habe: ‚Was Bismarck anbelangt und was er von mir gewollt hat und ich von ihm? – Laß dir's genügen, daß es nicht zustandekam, nicht zustandekommen konnte. Wir waren beide zu schlau – wir sahen unsere beiderseitige Schlauheit und hätten nur damit enden können, uns (immer politisch gesprochen) ins Gesicht zu lachen. Dazu sind wir zu gut erzogen – also blieb es bei den Besuchen und geistreichen Gesprächen.‘“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 226).
[10] Siehe auch Engels, Die Preußische Militärfrage und die Deutsche Arbeiterpartei, Zur Auflösung des Lassalleanischen Arbeitervereins
[12] „Itzig schickt mir, was unvermeidlich, seine Verteidigungsrede (ist zu 4 Monaten verurteilt) vor Gericht zu. Macte puer virtute! Erstens hat dieser Renommist die Broschüre, die Du hast, Rede über „den Arbeiterstand", in der Schweiz wieder abdrucken lassen unter dem pompösen Titel: „Arbeiterprogramm". Du weißt, daß die Sache nichts ist als schlechte Vulgarisation des „Manifests" und andrer von uns so oft gepredigten Sachen, daß sie gewissermaßen schon Gemeinplätze geworden sind. (Der Bursche nennt z.B. „Stand" die Arbeiterklasse.) Well. In seiner Rede vor dem Berliner Gericht hat er die Schamlosigkeit zu sagen: „Ich behaupte ferner, daß diese Broschüre nicht nur ein wissenschaftliches Werk wie so manches andre ist, welches bereits bekannte Resultate zusammenfaßt, sondern daß sie sogar in der vielfachsten Hinsicht eine wissenschaftliche Tat, eine Entwicklung von neuen wissenschaftlichen Gedanken ist... In verschiedenen und schwierigen Gebieten der Wissenschaft habe ich umfangreiche Werke zu Tage gefördert, keine Mühen und keine Nachtwachen gescheut, um die Grenzen der Wissenschaft selbst zu erweitern, und ich kann vielleicht mit Horaz sagen: militavi non sine gloria [ich kämpfte nicht ruhmlos]. Aber ich selbst erkläre Ihnen: Niemals, nicht in meinen umfangreichsten Werken habe ich eine Zeile geschrieben, die strenger wissenschaftlich gedacht wäre als diese Produktion von ihrer ersten Seite bis zur letzten ... Werfen Sie also einen Blick auf den Inhalt dieser Broschüre. Dieser Inhalt ist nichts andres als eine auf 44 Seiten zusammengedrängte Philosophie der Geschichte ... Es ist eine Entwicklung des objektiven vernünftigen Gedankenprozesses, welcher der Europäischen Geschichte seit länger denn einem Jahrtausende zu Grunde liegt, eine Entfaltung der innern Seele etc." Ist diese Schamlosigkeit nicht baumhoch? Der Kerl denkt offenbar, er sei der Mann, um unser Inventarium anzutreten. Dabei das Grotesk-Lächerliche! Salut. Dein K.M.” (Marx an Engels, 28.1.1863 MEW 30, S. 322)
[14] MEW 16, S. 221,
[15] Lassalle verliebte sich bei einem Kuraufenthalt in eine junge Frau namens Helene von Dönniges [36]. Er wollte sie heiraten, aber ihre Eltern waren dagegen. Um ihren Vater, den bayerischen Diplomaten Wilhelm von Dönniges [37], mit Erfolg wegen Sequestrierung [38] seiner Tochter verklagen zu können, versuchte er am 16. oder 17. August 1864, den bayerischen König Ludwig II. [39] auf seine Seite zu bekommen. Daraufhin entschloss sich Lassalle zur Weiterreise in die Schweiz und zum Duell [40] mit Wilhelm von Dönniges: Als Mitglied der Breslauer Burschenschaft [41] forderte Lassalle Satisfaktion [42] von Helenes Vater, einem Mitglied des Corps Rhenania Bonn [43]. Der 50-jährige Vater beauftragte den von ihm gewünschten Verlobten, den rumänischen Bojaren [44] Janko von Racowitza (Iancu Racoviţă), ein Mitglied des Corps Neoborussia-Berlin [45], das Duell zu übernehmen.
Das Duell fand am Morgen des 28. August 1864 in der Genfer Vorstadt Carouge [46] statt. Der Sekundant [47] von Lassalle war Wilhelm Rüstow [48]. Um 7:30 Uhr standen sich die Gegner mit Pistolen gegenüber. Racowitza feuerte als Erster und traf Lassalle in den Unterleib. Drei Tage später, am 31. August 1864, starb Ferdinand Lassalle im Alter von 39 Jahren in Carouge (https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Lassalle [49]). Man mag es als ein typisches Macho-Verhalten von Männern mit aristokratischem oder wie im Falle Lassalles mit bürgerlichem Hintergrund banalisieren, wenn diese sich duellieren. Mag sein Buhlen in seiner frühen Jugend, denn mit 12 Jahren hatte er zum ersten Mal einen anderen Buhler schriftlich zum Duell um ein 14-jähriges Mädchen herausgefordert, noch als pubertärer Eifer abgetan werden, aber als 39-jähriger Erwachsener, der gegenüber den Arbeitern vorgab, revolutionäre Ziele zu verfolgen, „Konkurrenten“ durch Duelle aus der Welt zu schaffen und dabei noch sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, war eine grobe Pervertierung der Ziele der Arbeiterklasse.
[16] Rosa Luxemburg: Lassalle und die Revolution [Festschrift, März 1904, Berlin, S. 7/8. Gesammelte Werke Bd. 1/2, 1970, S. 417-421]
[17] Der Polizeiagent Preuß, der über den Geheimen Oberregierungsrat Hermann Wagener ‚geführt‘ wurde, war es auch, der Liebknechts Anwesenheit in Berlin, Herbst 1866, wegen Bannbruchs der Polizei denunzierte, worauf dieser zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Siehe A.K. Worobjowa, Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und des Kampfes von Karl Marx und Friedrich Engels gegen Lassalle und das Lassalleanertum 1862-1864, Berlin 1961
[19] Siehe MEW Bd. 16, S. 79. Und Marx an Engels in Manchester 3. Febr. 1865: „Ich hatte vor about 10 Tagen dem Schweitzer geschrieben, er müsse Front gegen Bismarck machen, auch der Schein der Koketterie der Arbeiterpartei mit B[ismarck] müsse wegfallen etc. Zum Dank hat er „allbereits" mehr denn je geliebeleit mit dem Pißmarck.“ Sowie den Brief vom 18. Februar 1865 von Marx an Engels.
[20] „Die zwei ersten Probenummern enthielten schon mancherlei Bedenkliches. Ich remonstrierte. Und unter anderm sprach ich meine Entrüstung darüber aus, daß aus einem Privatbriefe, den ich auf die Nachricht von Lassalles Tod der Gräfin Hatzfeldt schrieb, ein paar Trostworte herausgerissen, ohne meine Namensunterschrift veröffentlicht und schamlos dazu mißbraucht worden seien, eine servile Lobhudelei Lassalles „ein- und auszuläuten".“
MEW 16, S. 87 [51].
[21] In späteren Berichten von Parteimitgliedern wurde deutlich, in welchem Umfang er Gelder veruntreut hatte (Bebel, Aus meinem Leben, S. 320, 337).
[22] A.K. Worobjowa, a.a.O.
[23] „Es ist ganz zweifellos, daß Schweitzer vorher von dieser Auflösung wußte, ja daß sie zwischen ihm und dem Berliner Polizeipräsidium verabredet war und die Leipziger Polizei auf Wunsch von Berlin den Verein auflöste.“ (Bebel, Aus meinem Leben, S. 275)
[24] Eigentlich erforderte die Praxis und Tradition der Arbeiterbewegung, wenn ein Mitglied oder Mitglieder der Organisation gegenüber einem anderen Mitglied einen Verdacht auf organisationsfeindliches Verhalten oder gar an dessen Glaubwürdigkeit haben, dass dazu ein besonders ernanntes Organ der Organisation handeln muss, um mit entsprechender Diskretion und mit entsprechender Methode Aufklärung zu betreiben. Solch eine Instanz existierte im ADAV nicht, und die Lage wurde noch dadurch erschwert, dass die unter Verdacht stehende Person der Präsident der Organisation war.
[26] Bebel berichtete, dass Schweitzers Anhänger zur Zeit des französisch-preußischen Krieges im Verdacht standen, Liebknechts Wohnung angegriffen zu haben ... (Bebel, Aus meinem Leben, S. 332).
[27] Siehe unsere Artikel in der Internationalen Revue Nr. 17-20
Links
[1] https://en.internationalism.org/icconline/201712/14574/kurdish-nationalism-another-pawn-imperialist-conflicts
[2] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/nordsyrien
[3] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/ypg
[4] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/trump
[5] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/erdogan
[6] https://de.internationalism.org/series/194
[7] https://de.internationalism.org/go_deeper
[8] https://es.internationalism.org/cci/200605/914/el-trotskismo-hijo-de-la-contrarrevolucion
[9] https://es.internationalism.org/cci/200605/917/el-trotskismo-defensor-de-la-guerra-imperialista
[10] https://de.internationalism.org/content/2234/die-lebenserinnerungen-eines-revolutionaers-agis-stinas-nationalismus-und
[11] https://en.internationalism.org/the-communist-left;
[12] https://en.internationalism.org/content/2555/notes-towards-history-communist-left-italian-fractions-1926-1939
[13] https://de.internationalism.org/content/1919/die-italienische-kommunistische-linke
[14] https://de.internationalism.org/content/1977/internationalisme-1947-was-die-revolutionaere-von-den-trotzkisten-unterscheidet
[15] https://es.internationalism.org/cci/200605/919/anexo-trotsky-y-la-izquierda-italiana-textos-de-la-izquierda-comunista-de-los-anos-30
[16] https://en.internationalism.org/series/1250
[17] https://es.internationalism.org/cci-online/200706/1935/cuales-son-las-diferencias-entre-la-izquierda-comunista-y-la-iv-internacional
[18] https://en.internationalism.org/content/14445/communism-agenda-history-castoriadis-munis-and-problem-breaking-trotskyism
[19] https://en.internationalism.org/international-review/201808/16490/castoriadis-munis-and-problem-breaking-trotskyism-second-part-cont
[20] https://en.internationalism.org/internationalreview/200908/3077/farewell-munis-revolutionary-militant
[21] https://en.internationalism.org/content/2937/polemic-where-going
[22] https://en.internationalism.org/content/3100/confusions-fomento-obrero-revolucionario-russia-1917-and-spain-1936
[23] https://es.internationalism.org/cci/200602/753/1critica-del-libro-jalones-de-derrota-promesas-de-victoria
[24] http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_337.htm
[25] https://www.marxists.org/francais/4int/postwar/1947/06/nt_19470600.htm
[26] https://en.internationalism.org/ir/075_1943.html
[27] https://de.internationalism.org/content/1150/die-arbeiterkaempfe-italien-1943
[28] https://en.internationalism.org/content/4091/resolution-proletarian-political-groups
[29] https://en.internationalism.org/internationalreview/200908/3077/farewell-Munís-revolutionary-militant
[30] https://de.internationalism.org/content/745/die-funktion-der-revolutionaeren-organisation
[31] https://de.internationalism.org/content/1075/bericht-zur-struktur-und-funktionsweise-der-organisation-der-revolutionaere
[32] https://de.wikipedia.org/wiki/Sophie_von_Hatzfeldt
[33] https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band31.pdf
[34] http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_326.htm
[35] https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band30.pdf
[36] https://de.wikipedia.org/wiki/Helene_von_Dönniges
[37] https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_von_Dönniges
[38] https://de.wikipedia.org/wiki/Sequester_(Recht)
[39] https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_II._(Bayern)
[40] https://de.wikipedia.org/wiki/Duell
[41] https://de.wikipedia.org/wiki/Alte_Breslauer_Burschenschaft_der_Raczeks
[42] https://de.wikipedia.org/wiki/Satisfaktion
[43] https://de.wikipedia.org/wiki/Corps_Rhenania_Bonn
[44] https://de.wikipedia.org/wiki/Bojaren
[45] https://de.wikipedia.org/wiki/Corps_Neoborussia-Berlin_zu_Bochum
[46] https://de.wikipedia.org/wiki/Carouge
[47] https://de.wikipedia.org/wiki/Sekundant
[48] https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Rüstow
[49] https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Lassalle
[50] https://www.gutzitiert.de/aus_meinem_leben-august_bebel-kapitel_23.html
[51] https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band16.pdf
[52] https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band32.pdf