Seit über anderthalb Jahren sind wir Zeugen täglicher Operationen der israelischen Armee im Gazastreifen. Im Namen des „Selbstverteidigungsrechts Israels“ behauptet Netanjahu, die mörderischen Hamas-Kommandos in ihren Tunneln und überall dort zu jagen, wo die Terrororganisation Zuflucht gefunden hat, sei es in Krankenhäusern, Schulen oder Flüchtlingslagern, um, wie er behauptet, die seit dem 7. Oktober noch lebenden Geiseln zu befreien.
Aber die israelische Regierung schert sich nicht im Geringsten um die Geiseln, die nur ein Vorwand für ihre schmutzigen imperialistischen Ziele sind: Netanjahu und seine Clique haben ihre Absicht verkündet, den gesamten Gazastreifen für immer zu besetzen – vollständig gesäubert von seiner arabischen Bevölkerung! Um dies zu erreichen, scheut die israelische Bourgeoisie keine Kosten. Die Armee zeigt in diesem Freiluftgefängnis grenzenlose Grausamkeit: Inmitten von Leichenbergen, von einer Zone zur anderen geworfen, an einem Tag nach Norden, am nächsten nach Süden, in Verzweiflung gestürzt und ohne alles, lebt die Bevölkerung in ständiger Angst vor den abscheulichen Verbrechen der Soldaten, vor Bomben, Hunger und Krankheiten. Gleichzeitig haben die Angriffe und die Vertreibungspolitik im Westjordanland zugenommen, wo Abertausende Palästinenser terrorisiert und zur Flucht gezwungen werden.
Für Netanjahu und die religiösen Fanatiker um ihn herum ist die Auslöschung der Palästinenser von der Erde nun ein erklärtes Ziel: Wenn die Armee nicht gerade gezielt auf verängstigte Menschenmengen schießt, behindert sie ständig die Versorgung mit Lebensmitteln und Grundbedarfsgütern und hungert Erwachsene, Alte und Kinder schamlos aus. Seit mehr als drei Monaten blockiert die Regierung sogar die Versorgung unter Vorwänden, die so absurd sind, dass sie selbst eine weitere Provokation darstellen, ein kaum verhülltes Eingeständnis ethnischer Säuberung. Und all dies mit aktiver Komplizenschaft Ägyptens und Jordaniens, die offiziell ihre Besorgnis über das Schicksal der Palästinenser zum Ausdruck bringen, während sie sie effektiv strangulieren, indem sie ihnen die Flucht aus dieser Hölle verwehren.
Überall auf der Welt sind wir Zeugen einer immensen Empörung und Protesten gegen die Verbrechen, die vor unseren Augen geschehen. In vielen Städten finden Demonstrationen statt, die ein Ende der Kämpfe fordern, mit Rufen wie „Free Palestine!“[1] Selbst die Staats- und Regierungschefs mehrerer europäischer Länder sehen sich nach monatelanger Unentschlossenheit nun gezwungen, die Übergriffe der israelischen Armee in Gaza zu verurteilen und sogar die Realität eines andauernden Völkermords anzuprangern, wie beispielsweise der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez, der sich kürzlich gegen „eine katastrophale Situation des Völkermords“[2] ausgesprochen hat.
Hinter diesen Erklärungen verbergen sich jedoch nichts als Heuchelei und Lügen. Die Politik der systematischen Zerstörung in Gaza ist keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil! Weit entfernt von einer „Welt in Frieden“ zeigt die gesamte Geschichte des dekadenten Kapitalismus, dass die Gesellschaft unaufhaltsam in die Barbarei abgleitet und dass kein Teil der Bourgeoisie in der Lage ist, dem ein Ende zu setzen.
Bereits im 19. Jahrhundert hatte Karl Marx gezeigt, dass der Kapitalismus durch Gewalt, Massaker, Zerstörung und Plünderung entstanden ist, dass das Kapital „aus allen Poren, blut- und schmutztriefend“ zur Welt kommt: "Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation.“[3] Das für die industrielle Revolution notwendige ursprüngliche Kapital fiel nicht wie durch ein Wunder vom Himmel; seine anfängliche Akkumulation konnte nur durch Plünderung, Banditentum und Sklaverei erfolgen. Tatsächlich ist die Geschichte der ersten kapitalistischen Mächte eine Abfolge von Schandtaten, die weit entfernt sind von den Idealen ihrer Aufklärungsphilosophie: Seit dem groß angelegten Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern (zwischen 80 und 100 Millionen Opfer!) war die Entwicklung des Kapitalismus überall blutig. Ob in Großbritannien (Völkermord an den australischen Aborigines, neben vielen anderen Beispielen), Frankreich (Ausrottung eines Drittels der algerischen Bevölkerung ab 1830), Deutschland (Völkermord an den Herero und Nama in Namibia zwischen 1904 und 1908), Russland (1 bis 2 Millionen Opfer während der ethnischen Säuberung gegen die Tscherkessen zwischen 1864 und 1867), den Vereinigten Staaten (zum Beispiel während der Eroberung des Westens) und sogar dem „kleinen Land“ Belgien (mit 10 Millionen Toten im Kongo!) – alle Bourgeoisien waren an den schlimmsten Gräueltaten beteiligt. Diese Gewalt richtete sich auch gegen die Bauernschaft der traditionellen Gesellschaft, wie die Grausamkeiten Großbritanniens gegenüber den irischen Bauern zeigen.
Kapitalismus ist gleichbedeutend mit struktureller und institutionalisierter Gewalt, aber nach dem Ersten Weltkrieg nahm dieser Prozess eine neue, qualitative Wendung. Auf ihrem Gründungskongress 1919 erkannte die Kommunistische Internationale eindeutig den Eintritt des Kapitalismus in seine Phase des Niedergangs: „Eine neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung. Die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats.“ Während die Eroberungen der Aufschwungphase den kapitalistischen Mächten die Entwicklung und Universalisierung neuer Produktionsverhältnisse ermöglicht hatten, bedeutete der Erste Weltkrieg, dass die Eroberung mangels ausreichender Räume und Märkte fortan nicht mehr in erster Linie auf „jungfräulichem Boden“ stattfinden würde, sondern in einer tödlichen Konfrontation mit anderen kapitalistischen Mächten.
Während also die Gewalt der Aufschwungsphase des Kapitalismus zumindest die Entwicklung der Produktivkräfte ermöglicht hatte, stellte die Gewalt seiner Dekadenz eine gewaltige Kette der Zerstörung dar, die sich immer weiter ausbreitete und vertiefte: „Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie, geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und Rechtsstaat mimt – als reißende Bestie, als Hexensabbat der Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit –, so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt. (…) Eines ist sicher: der Weltkrieg ist eine Weltwende. Es ist ein törichter Wahn, sich die Dinge so vorzustellen, daß wir den Krieg nur zu überdauern brauchen, wie der Hase unter dem Strauch das Ende des Gewitters abwartet, um nachher munter wieder in alten Trott zu verfallen. Der Weltkrieg hat die Bedingungen unseres Kampfes verändert und uns selbst am meisten.”[4]
Während des Ersten Weltkriegs kam es zu wissenschaftlich geplanten Massenmorden (wie Gasangriffen) und organisierten Gräueltaten in sehr großem Umfang, wie beispielsweise den Völkermorden an den pontischen Griechen und den Armeniern, bei denen Millionen Menschen getötet und vertrieben wurden. Deshalb stellte die Kommunistische Internationale in ihren Richtlinien von 1919 klar, dass angesichts des überholten Kapitalismus die Alternative für die Menschheit nun entweder Sozialismus oder Barbarei sei: „Der Menschheit, deren ganze Kultur jetzt in Trümmern liegt, droht die Gefahr vollständiger Vernichtung. Es gibt nur eine Kraft, die sie retten kann, und das ist das Proletariat. (...) Das Endresultat der kapitalistischen Produktionsweise ist das Chaos. Und dieses Chaos kann nur die größte, produktive Klasse überwinden: die Arbeiterklasse.“ Seitdem verbreitet der Kapitalismus weiterhin Tod und sät Barbarei: Vertreibungen, Völkermorde, ethnische Säuberungen und Hungerpolitik sind zu gewöhnlichen Kriegswaffen geworden, die von allen Kriegführenden in einem in der Geschichte der Menschheit beispiellosen Ausmaß eingesetzt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg, noch bevor die Schrecken des Zweiten begannen, setzte sich diese Kette der Gewalt fort. Gräueltaten wurden begangen, diesmal jedoch nicht gegen einen „fremden Feind“, sondern gegen ukrainische Bauern (Holodomor) während einer von Stalin organisierten Hungersnot (zwischen 2,6 und 5 Millionen Tote) oder gegen die russische Bevölkerung, die zu Millionen bei der Arbeit im Gulag ums Leben kam.
Die Kette der Gewalt erreichte schließlich während des Zweiten Weltkriegs mit 60 bis 80 Millionen Toten in nur sechs Jahren ein neues Ausmaß an Barbarei, wobei die unzähligen Opfer von Hunger, Krankheit und Unterdrückung nach Ende der Kämpfe nicht mitgerechnet sind. Dieser Konflikt folgte derselben Logik wie der von 1914-1918, jedoch in noch mörderischerem Ausmaß, was die sich verschärfende historische Krise des Systems widerspiegelte.
Die Massengräuel des Nazi-Regimes und seiner Verbündeten sind gut dokumentiert, aber zweifellos ist es die industrialisierte Ermordung von 3 Millionen Menschen,[5] darunter überwiegend Juden, in den Vernichtungslagern, die am deutlichsten den Höhepunkt der Barbarei dieses Konflikts zum Ausdruck bringt. Doch obwohl die Nazis entsetzliche Barbaren waren, darf nicht vergessen werden, dass sie die Barbarei eines dekadenten Systems zum Ausdruck brachten, das im tödlichen Wettbewerb zwischen allen Staaten und allen bürgerlichen Fraktionen zu seinen verabscheuungswürdigsten Extremen getrieben wurde.
Weit weniger bekannt sind jedoch die Verbrechen, die die Alliierten während des Krieges begangen haben, auch gegen die Juden. Es ist heute erwiesen, dass die Alliierten seit der Errichtung der Vernichtungslager im Jahr 1942 genau über deren Existenz, die Details der Vernichtungsmethoden und die Zahl der bereits getöteten und noch zu tötenden Opfer informiert waren.[6] Dennoch unternahmen weder die britische noch die US-amerikanische noch die sowjetische Regierung irgendetwas, um das Massaker zu stoppen oder auch nur zu verlangsamen. Nicht einmal eine Eisenbahnlinie wurde bombardiert! Stattdessen bombardierten sie wiederholt (mit schrecklichen Phosphorbomben) zahlreiche deutsche Städte mit ausschließlich ziviler Bevölkerung, insbesondere Arbeiterviertel, wie Leipzig, Hamburg (mindestens 45.000 zivile Opfer) und vor allem Dresden. Letzteres Bombardement forderte unzählige Opfer. Die Schätzungen variieren erheblich und reichen von 25.000 bis 200.000 Toten. Wir sind nicht in der Lage, die Zahl der Opfer zu bestimmen, aber die Bombardierung Dresdens weist bestimmte Merkmale der von den Alliierten entfesselten Barbarei auf, sowohl hinsichtlich der Mobilisierung außergewöhnlicher Ressourcen (1.300 Bomber in einer Nacht und zwei Tagen) als auch hinsichtlich des Einsatzes „verbotener” Phosphorbomben, die die Stadt in einen wahren Feuerofen verwandelten. All diese Maßnahmen machen nur Sinn, wenn man bedenkt, dass Dresden weder eine bedeutende Industriestadt war noch von echtem strategischem Interesse. Hingegen hatte es eine riesige Bevölkerung von Flüchtlingen, die vor der Ostfront geflohen waren, weil sie glaubten, Dresden würde nicht bombardiert werden. Das Ziel dieser exemplarischen Zerstörung war es, die Bevölkerung und insbesondere die Arbeiterklasse zu terrorisieren, um ihnen jeden Wunsch nach Mobilisierung auf ihrem eigenen Klassenterrain zu nehmen, wie es bereits 1943 in mehreren deutschen und italienischen Städten geschehen war. In einem Memorandum vom 28. März 1945 an den britischen Generalstab schrieb Winston Churchill über diese Bombenangriffe: „Es scheint mir, dass es an der Zeit ist, die Bombardierung deutscher Städte zu hinterfragen, die mit dem Ziel durchgeführt wurde, den Terror zu verstärken, während andere Vorwände angeführt wurden. Andernfalls würden wir ein völlig zerstörtes Land übernehmen. Wir könnten beispielsweise keine Baumaterialien aus Deutschland für unseren eigenen Bedarf [...] erhalten. Die Zerstörung Dresdens warf ernsthafte Zweifel an der Durchführung der alliierten Bombardierungen auf.“ Erstaunlicher Zynismus!
Aber diese Verbrechen waren letztlich nur der Auftakt zu der unermesslichen Tragödie der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki (etwa 200.000 Opfer), die aus militärischer Sicht völlig unnötig waren und den „sowjetischen“ Rivalen einschüchtern sollten. Und mit dem gleichen Zynismus, mit derselben Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern stellten die russischen Truppen vor den Toren Warschaus den Kampf ein, um es den Nazis zu überlassen, den aufkommenden Aufstand niederzuschlagen (160.000 bis 250.000 getötete Zivilisten). Für die stalinistische Bourgeoisie, die vom Gespenst der revolutionären Welle von 1917 heimgesucht wurde und sich mitten in einem Weltkrieg befand, ging es darum, jede Möglichkeit einer proletarischen Reaktion zu zerschlagen und freie Hand zu haben, um eine Regierung unter ihrer Kontrolle zu installieren. In Italien hielt Churchill ebenfalls die Kämpfe zurück, um den Faschisten die Unterdrückung der wachsenden Streiks zu ermöglichen, und ließ sie, wie er selbst sagte, „in ihrem eigenen Saft schmoren”.
Seit 1945 haben die Massaker nie aufgehört: Unser Planet hat keinen einzigen Tag ohne militärische Konflikte erlebt. Kaum war der 2. Weltkrieg zu Ende, führte die Konfrontation zwischen den beiden neuen rivalisierenden Blöcken zu den Schrecken des Kalten Krieges: dem Koreakrieg (3 bis 5 Millionen Tote), Vietnamkrieg (rund 2 Millionen Tote), der erste Krieg in Afghanistan (nach Schätzungen 2 Millionen Tote) und unzählige extrem blutige Stellvertreterkriege, wie der Iran-Irak-Krieg Ende der 1980er Jahre, der mindestens 1,2 Millionen Tote forderte.
Nach dem Kalten Krieg gingen die Massaker mit voller Wucht weiter, und die Welt nahm eine Wendung zum Schlimmeren und wurde noch chaotischer und anarchischer, da die Logik der Blöcke den verschiedenen Staaten oder Fraktionen keine Disziplin mehr auferlegte. In dieser letzten Phase der Dekadenz, der Phase des Zerfalls, entstand eine neue Dynamik des Verfalls. Die Konflikte wurden zunehmend destruktiver und waren geprägt von kurzsichtigen Machtkämpfen, die keine anderen rationalen strategischen Ziele hatten, als Chaos unter den Rivalen zu säen.
Auch hier haben die großen Demokratien Blut an ihren Händen, wie die Kriege in Jugoslawien (mindestens 130.000 Tote) zeigen, die durch Waffenlieferungen aus den USA, Frankreich und Deutschland angeheizt wurden. Die Haltung der UN-Truppen während dieses Konflikts, als sie Milosevics Todesschwadronen im Juli 1995 die Massaker an der Bevölkerung von Srebrenica (rund 8.000 Tote) ermöglichten, ist ebenfalls charakteristisch für den permanenten Zynismus der Bourgeoisie. Ein weiteres Beispiel ist die Haltung der französischen Truppen unter UN-Mandat während des Ruanda-Krieges in den 1990er Jahren, die sich mitschuldig machten am Völkermord an den Hutus (1 Million Tote). Die Großmächte waren auch direkt an Massakern in großem Stil beteiligt und haben überall, wo sie intervenierten, Chaos gesät, insbesondere in Afghanistan (offiziell 165.000 Tote, aber zweifellos mehr), im Irak (1,2 Millionen Tote) und heute im Nahen Osten und in der Ukraine, wo der Konflikt bereits mehr als eine Million Menschenleben gefordert hat. Die Liste ist endlos.
Die Kette der Gewalt, die das 20. Jahrhundert geprägt hat, führt nun durch die Gefahr eines umfassenden Krieges, nuklearer Risiken und der Zerstörung der Umwelt zum möglichen Untergang der Zivilisation oder sogar der Menschheit selbst. Die Schreckensszenen in Gaza sind besonders schockierend, aber auch die ukrainische Bevölkerung und bestimmte Regionen Russlands leben seit mehr als drei Jahren unter Bomben und einer Politik des Terrors, mit der offenen Unterstützung derer, die sich jetzt über das Schicksal der Palästinenser empören. Gleichzeitig werden die Millionen Menschen, die in Sudan, Kongo, Jemen und so vielen anderen Teilen der Welt unter Krieg leiden, von den Medien kaum wahrgenommen. Allein im Sudan haben 12 Millionen Menschen vergeblich versucht, vor dem Krieg zu fliehen, und Millionen weitere sind unter den gleichgültigen Blicken aller „Demokratien” vom Hungertod bedroht. In der Sahara toben Kriege, und der Nahe Osten versinkt tiefer denn je im Chaos. Asien steht unter starkem Druck, und Teile davon stehen am Rande eines Krieges. In Süd- und Mittelamerika gleichen Regionen, die von Zusammenstößen rivalisierender Banden verwüstet werden, Kriegsgebieten, wofür die katastrophale Lage in Haiti ein Beispiel ist. Selbst in den Vereinigten Staaten sind die Keime eines möglichen Bürgerkriegs sichtbar. Der Kapitalismus bietet heute ein apokalyptisches Bild, und es ist auffällig, dass die für das Ende des Zweiten Weltkriegs typischen Trümmerfelder innerhalb weniger Wochen in der Ukraine und im Gazastreifen entstanden sind.
Die Kriege im Nahen Osten sind Teil dieses tödlichen Prozesses. Als Symbol für die Sackgasse, in die der Kapitalismus geraten ist, startete Israel im Mai eine neue Offensive im Gazastreifen, gerade als Trump arabische Länder bereiste und eine Reihe von Handelsabkommen und Investitionsprojekten feierte, von denen natürlich viele Waffenverkäufe betrafen (142 Milliarden Dollar allein mit Saudi-Arabien!).
Die europäische Bourgeoisie steht in Sachen Zynismus in nichts nach. Während sie sich etwas verspätet über die ethnische Säuberung gegen die Palästinenser empörte und Israel (ohne allzu großen Nachdruck) mit Sanktionen drohte, traf sie sich zur gleichen Zeit in Albanien zum Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft, um Unterstützung für die Ukraine zu sammeln. Ihr Hauptanliegen ist es nicht, den Flüchtlingen zu helfen, noch den Opfern der völkermörderischen Politik Israels, noch den Millionen von Flüchtlingen, die geflohen sind und verzweifelt versuchen, nach Europa zu gelangen. Ihr einziges Anliegen war es, mehr Waffen und Soldaten für den Krieg gegen Russland zu mobilisieren und gleichzeitig die brutalen Maßnahmen gegen „illegale Einwanderer” zu verschärfen.
Während die Propaganda der israelischen Regierung versucht, jede Empörung über die Verbrechen in Gaza als Antisemitismus darzustellen,[7] indem sie den Holocaust auf schändliche Weise instrumentalisiert, hat sich der hebräische Staat, der sich als Beschützer der Juden, der Nachkommen des Nazi-Völkermords, präsentiert,[8] selbst zum Vernichter gemacht. Das ist nicht verwunderlich: Der Nationalstaat ist keine transzendente Kategorie, die über der Geschichte steht, sondern die vollendete Form der kapitalistischen Ausbeutung und Konkurrenz. In einer Welt, die von der unerbittlichen Logik des Imperialismus und der Rivalitäten aller gegen alle beherrscht wird, ist jeder Staat, ob schwach oder mächtig, demokratisch oder nicht, ein Glied in der Kette der Gewalt, die der Kapitalismus der Menschheit zufügt. Für die Schaffung eines neuen Staates zu kämpfen, gestern Israel, heute Palästina, bedeutet, für die Institutionalisierung der Bewaffnung neuer Kriegführender zu kämpfen und einen neuen Friedhof zu schaffen. Deshalb entscheiden sich alle linksextremen Gruppen, die zur Unterstützung der „palästinensischen Sache” aufrufen, de facto für eine bewaffnete Seite und tragen damit zur Fortsetzung der Massaker und nicht zur Befreiung der Menschheit bei.
EG 13.07.2025
[1] Choosing one side against another always means choosing imperialist war! [1], publiziert auf ICConline, May 2024 (auf Englisch)
[2] Sánchez hat sich, wie alle seine Amtskollegen, nicht aus reiner Herzensgüte so geäußert: Spanien zieht alle Register seiner Verführungskunst, um sich gegenüber den arabischen Ländern als zentraler Akteur im Mittelmeerraum zu etablieren. Als die spanischen Interessen mit denen Israels übereinstimmten, hat die PSOE nie Anstalten getroffen, gegen die Machenschaften der israelischen Streitkräfte zu protestieren.
[3] Karl Marx, Das Kapital (1867), 24. Kapitel
[4] Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie (1915)
[5] Dies ist die offizielle Zahl der in den Lagern Getöteten, die aber gewaltig steigt, wenn andere Vernichtungsmethoden wie Massenerschießungen berücksichtigt werden.
[6] Dies ist eine seit langem von Historikern dokumentierte Tatsache, die durch die Veröffentlichung der UN-Archive im Jahr 2017 [2] gewissermaßen offiziell bestätigt wurde.
[7] Was nichts an der Realität eines zunehmenden Antisemitismus in der Gesellschaft ändert, auch in den Reihen der Linken des Kapitals.
[8] Zu den Lügen des Zionismus in der Zeit des Niedergangs des Kapitalismus siehe: Antisemitismus, Zionismus, Antizionismus: Alle sind Feinde des Proletariats [3], verfügbar auf der Website der IKS.
Für die Arbeiterklasse, eine Klasse, deren Bewusstsein eine äußerst wichtige Waffe ist[1], ist es von immenser Bedeutung, aus ihren eigenen Erfahrungen zu lernen. Jedes Mal, wenn sie auf ihrem eigenen Terrain reagiert, in großem Umfang, vereint und solidarisch und vor allem mit revolutionärem Elan, ergeben sich daraus wichtige Lehren für die Zukunft, Lehren, die die Arbeiterklasse verstehen und in zukünftigen Kämpfen nutzen muss.
Dies war der Fall bei der Pariser Kommune von 1871, nach der Marx und Engels erkannten, dass die Arbeiterklasse bei der Machtübernahme den bürgerlichen Staat nicht nutzen konnte, um die Gesellschaft zum Kommunismus zu transformieren. Sie musste diesen Staat zerstören und eine neue Form der Gesellschaftsorganisation aufbauen, mit gewählten Vertretern, die sofort abberufen werden konnten.
Dies war auch der Fall bei der Revolution in Russland im Jahr 1905, deren 120. Jahrestag in diesem Jahr begangen wird. In diesem Fall wurde mit dem Aufkommen des Massenstreiks und der Schaffung seiner Machtorgane, der Arbeiterräte (auf Russisch Sowjets), die Lenin als „endlich entdeckte Form der Diktatur des Proletariats” bezeichnete, eine noch wertvollere Lehre gezogen.
Dieser Erfahrung wollen wir diesen Artikel widmen, um zu sehen, wie sie uns helfen kann, die aktuelle Dynamik des Klassenkampfs zu verstehen, die die IKS als historischen „Bruch” mit der der vergangenen Jahrzehnte beschrieben hat.
Bevor wir uns mit der Dynamik der Russischen Revolution von 1905 befassen, müssen wir kurz auf den internationalen und historischen Kontext eingehen, in dem diese Revolution an Dynamik gewann. Die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts waren geprägt von einer wirtschaftlichen Entwicklung, die in ganz Europa deutlich zu spüren war. Vor diesem Hintergrund wurde das zaristische Russland, ein Land, dessen Wirtschaft noch immer von erheblicher Rückständigkeit geprägt war, zum idealen Standort für den Export großer Kapitalmengen zum Aufbau mittelständischer und großer Industriebetriebe. Innerhalb weniger Jahrzehnte vollzog sich ein tiefgreifender wirtschaftlicher Wandel. In Russland führte das Wachstum des Kapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts zu einer hohen Konzentration des russischen Proletariats in wenigen großen Industrieregionen. Dies förderte in hohem Maße die Suche nach Solidarität und die Ausbreitung ihres Kampfes. Es waren diese strukturellen Merkmale der Wirtschaft, die die revolutionäre Vitalität eines jungen Proletariats erklärten, das in einem zutiefst rückständigen Land lebte, in dem die bäuerliche Wirtschaft vorherrschte.
Im Januar 1905 wurden zwei Arbeiter in den Putilow-Werken in Sankt Petersburg entlassen. Es kam zu einer Welle von Solidaritätsstreiks, und es wurde eine Petition für politische Freiheiten, das Recht auf Bildung, den 8-Stunden-Tag, Widerstand gegen Steuern usw. verfasst, die dem Zaren in einer Massendemonstration übergeben werden sollte. „Tausende von Arbeitern – wohlgemerkt keine Sozialdemokraten, sondern religionsfromme, kaiserfromme Leute – unter der Führung des Priesters Gapon gehen von allen Stadtteilen aus zum Zentrum der Hauptstadt, zum Platze vor dem Winterpalast, um dem Zaren eine Petition zu überreichen. Die Arbeiter gehen mit Heiligenbildern, und ihr damaliger Führer Gapon versicherte dem Zaren schriftlich, er bürge ihm für die Unverletzlichkeit seiner Person und bitte ihn, vor dem Volke zu erscheinen.”[2]
Die Situation spitzte sich zu, als die Arbeiter bei ihrer Ankunft am Winterpalast mit ihrer Bitte an den Zaren von Truppen angegriffen wurden. „Das Militär wird aufgeboten. Ulanen und Kosaken greifen die Menge mit der blanken Waffe an, es wird geschossen gegen die waffenlosen Arbeiter, die auf den Knien die Kosaken anflehten, sie zum Kaiser zulassen. Nach polizeilichen Mitteilungen gab es mehr als tausend Tote, mehr als zweitausend Verwundete. Die Erbitterung der Arbeiter war unbeschreiblich.”[3]
Es war diese tiefe Empörung der Arbeiter von Petersburg gegenüber dem Mann, den sie „Väterchen“ nannten und der auf ihre Bitte mit tödlichen Waffen reagiert hatte, die zu den revolutionären Kämpfen im Januar führte. In dieser Zeit kam es zu einer sehr raschen Stimmungsänderung im Proletariat: „Eine gewaltige Streikwelle fegte über das ganze Land hinweg und erschütterte die gesamte Nation […] An der Bewegung beteiligten sich etwa eine Million Männer und Frauen. Fast zwei Monate lang, ohne jeden Plan, in vielen Fällen ohne Forderungen zu stellen, mal unterbrochen, mal wieder aufgenommen, nur dem Instinkt der Solidarität folgend, beherrschte der Streik das Land.”[4]
Dieser Streik ohne konkrete Forderungen und in breiter Solidarität war sowohl Ausdruck als auch aktiver Faktor für die Reifung des Klassenbewusstseins innerhalb des russischen Proletariats jener Zeit und der Notwendigkeit, sich als Klasse seinem Klassenfeind zu stellen. Auf den Generalstreik im Januar folgte eine Phase anhaltender Kämpfe für wirtschaftliche Forderungen, die im ganzen Land aufkamen und wieder abebbten. Diese Phase war weniger spektakulär, aber ebenso wichtig. In Warschau kam es zu blutigen Zusammenstößen, in Lodz wurden Barrikaden errichtet, und die Matrosen des Schlachtschiffs Potemkin im Schwarzen Meer meuterten. Diese gesamte Phase ebnete den Weg für die zweite große Phase der Revolution.
„Diese zweite große Aktion des Proletariats weist bereits einen wesentlich anderen Charakter auf als die erste im Januar. Das Element des politischen Bewusstseins spielt bereits eine viel größere Rolle. Auch hier war der unmittelbare Anlass für den Ausbruch des Massenstreiks zwar eine untergeordnete und scheinbar zufällige Angelegenheit: der Konflikt der Eisenbahner mit der Geschäftsleitung über die Pensionskasse. Aber der allgemeine Aufstand des Industrieproletariats, der darauffolgte, wurde nach klaren politischen Vorstellungen durchgeführt. Der Prolog des Januarstreiks war ein Zug zum Zaren, um politische Freiheit zu fordern: Das Losungswort des Oktoberstreiks war: Weg mit der konstitutionellen Komödie des Zarismus! Und dank des unmittelbaren Erfolgs des Generalstreiks, dank des Manifests des Zaren vom 30. Oktober, fließt die Bewegung nicht wie im Januar in sich selbst zurück, sondern stürzt sich nach außen in die eifrige Aktivität der neu gewonnenen politischen Freiheit. Demonstrationen, Versammlungen, eine junge Presse, öffentliche Diskussionen.”[5]
Eine qualitative Veränderung trat im Oktober mit der Gründung des Petersburger Sowjets ein, der zu einem Meilenstein in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung werden sollte. Nach der Ausweitung des Streiks der Typografen auf die Eisenbahnen und Telegrafen beschlossen die Arbeiter in einer Generalversammlung die Gründung des Sowjets, der zum Nervenzentrum der Revolution werden sollte: „Der Sowjet entstand als Antwort auf eine objektive Notwendigkeit – eine Notwendigkeit, die sich aus dem Lauf der Ereignisse ergab. Es war eine Organisation, die autoritär war und dennoch keine Traditionen hatte; die sofort eine verstreute Masse von Hunderttausenden von Menschen einbeziehen konnte.“[6]
„Die Gärung nach der kurzen konstitutionellen Periode und das grausame Erwachen führen schließlich im Dezember zum Ausbruch des dritten allgemeinen Massenstreiks im ganzen Reich. Diesmal unterscheiden sich sein Verlauf und sein Ausgang völlig von denen der beiden früheren Fälle. Politische Aktionen gehen nicht wie im Januar in wirtschaftliche Aktionen über, aber sie führen auch nicht mehr wie im Oktober zu einem schnellen Sieg. Die Versuche der zaristischen Clique, echte politische Freiheit zu gewähren, werden nicht mehr unternommen, und damit stößt die revolutionäre Aktion zum ersten Mal und auf ihrer gesamten Länge auf die starke Mauer der physischen Gewalt des Absolutismus.“[7]
Die kapitalistische Bourgeoisie, erschreckt durch die Bewegung des Proletariats, stellte sich hinter den Zaren. Die Regierung wandte die gerade erst gewährten liberalen Gesetze nicht an. Die Führer des Petrograder Sowjets wurden verhaftet, aber der Kampf ging in Moskau weiter: „Der Höhepunkt der Revolution von 1905 kam mit dem Dezemberaufstand in Moskau. Neun Tage lang kämpfte eine kleine Gruppe von Rebellen, organisierte und bewaffnete Arbeiter – es waren nicht mehr als achttausend –, gegen die Regierung des Zaren, die es nicht wagte, der Moskauer Garnison zu vertrauen. Tatsächlich musste sie diese unter Verschluss halten und konnte den Aufstand nur durch die Herbeirufung des Semenovsky-Regiments aus St. Petersburg niederschlagen.“[8]
Was war also die Dynamik, die 1905 am Werk war? Die des Massenstreiks, dieses „Ozeans von Phänomenen“ (Luxemburg), bestehend aus Streiks, Demonstrationen, Solidarität, Diskussionen, wirtschaftlichen und politischen Forderungen, kurz gesagt, allen Ausdrucksformen, die den Kampf der Arbeiterklasse charakterisieren und sich gleichzeitig als Ergebnis einer Reifung des Bewusstseins des Proletariats manifestierten, einer Reifung, die während der Ereignisse selbst stattfand, aber auch und vor allem das Ergebnis einer unterirdischen Reifung, einer Anhäufung von Erfahrungen und einer tiefen Reflexion, die zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr relevant wurde. Tatsächlich kamen die Ereignisse von 1905 nicht aus dem Nichts, sondern waren das Ergebnis einer Anhäufung von Erfahrungen und Reflexionen, die Russland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erschüttert hatten. Wie Rosa Luxemburg feststellte: „Der Massenstreik im Januar wurde zweifellos unter dem unmittelbaren Einfluss des gigantischen Generalstreiks durchgeführt, der im Dezember 1904 im Kaukasus, in Baku, ausgebrochen war und lange Zeit ganz Russland in Atem hielt. Die Ereignisse vom Dezember in Baku waren ihrerseits nur die letzte und mächtigste Auswirkung jener gewaltigen Massenstreiks, die wie ein periodisches Erdbeben ganz Südrussland erschütterten und deren Prolog der Massenstreik in Batum im Kaukasus im März 1902 war. Diese erste Massenstreikbewegung in der fortlaufenden Reihe der gegenwärtigen revolutionären Ausbrüche liegt schließlich fünf oder sechs Jahre vor dem großen Generalstreik der Textilarbeiter in St. Petersburg in den Jahren 1896 und 1897. “
Dieses Konzept der unterirdischen Reifung des Bewusstseins wird von einem Großteil der Gruppen im proletarischen politischen Milieu, aber auch von einer Reihe unserer Kontakte oder Sympathisanten nur schwer akzeptiert. Es hat jedoch seine Wurzeln in den Schriften von Marx[9], während Luxemburg auf den „alten Maulwurf“ Bezug nahm, ebenso wie Lenin.[10]
Trotzki verwendet zwar nicht ganz dasselbe Vokabular wie die IKS, um das Phänomen der „unterirdischen Reifung“ des Bewusstseins innerhalb des Proletariats zu beschreiben, aber er macht dies in seiner Geschichte der Russischen Revolution sehr deutlich, und die folgende Passage veranschaulicht dies perfekt: „Die unmittelbaren Ursachen der Ereignisse einer Revolution sind Veränderungen in der Geisteshaltung der miteinander in Konflikt stehenden Klassen. […] Veränderungen im kollektiven Bewusstsein haben natürlich einen halbverborgenen Charakter. Erst wenn sie eine gewisse Intensität erreicht haben, brechen die neuen Stimmungen und Ideen in Form von Massenaktivitäten an die Oberfläche.“
Vor allem aber bestätigt sich das Wesen der Prozesse der unterirdischen Reifung in allen wichtigen Momenten des Kampfes der Arbeiterklasse. Wir haben es 1905 gesehen, wir haben es 1917 in Russland wiedergesehen, wo der Oktoberrevolution Streiks gegen den Krieg vorausgingen, und wir haben es auch in anderen historischen Momenten gesehen. Es zeigte sich 1980 in Polen mit der Streikbewegung, die das „Wiederaufleben“ des Massenstreiks auf der historischen Bühne mit sich brachte. Die polnischen Arbeiter hatten bereits 1970 und 1976 an wichtigen Kampfphasen teilgenommen, Kämpfe, die unter dem stalinistischen Regime brutal und blutig niedergeschlagen worden waren. Mit diesen Erfahrungen, die zu einer echten unterirdischen Reifung des Bewusstseins beitrugen, konnten sich die Arbeiter 1980 in einen mächtigen und unmittelbaren Kampf stürzen, dessen organisatorische Verbindungen und Koordinierungsgruppen im ganzen Land die Grundlage für den Massenstreik bildeten. Angesichts dieser Situation waren die Behörden gelähmt und gezwungen, zu verhandeln und Zugeständnisse zu machen, bevor sie nach dem Abklingen des Kampfes mit Repressionen reagierten.[11]
In der Tradition all dieser Erfahrungen der Arbeiterbewegung haben wir die Streiks in Großbritannien im Jahr 2022 als Ergebnis einer neuen Reifung des Klassenbewusstseins interpretiert, nicht als zufälliges Strohfeuer, sondern als Produkt einer tiefen Reflexion, die wir mit der Rückkehr des Kampfes der Arbeiterklasse nach Jahrzehnten der Apathie und Lethargie fortgesetzt sehen. Wir haben diese Bewegungen als „Bruch” bezeichnet, um zu betonen, dass es sich um ein Phänomen von historischer und internationaler Bedeutung handelt. Die großen Kämpfe, die auf diese erste Manifestation und Wiederbelebung der Kampfbereitschaft der Arbeiter folgten, in Frankreich, den USA, anderen Teilen der Welt und zuletzt in Belgien, bestätigen, dass die Streiks in Großbritannien kein lokales und vorübergehendes Phänomen waren, sondern das Ergebnis dieser unterirdischen Reifung, die endlich an die Oberfläche kam. Die verschiedenen Merkmale der Bewegungen, die in den letzten drei Jahren stattgefunden haben, bestätigen unsere Analyse:
- Der weit verbreitete Slogan „Genug ist genug” drückte das seit langem gehegte Gefühl aus, dass alle Versprechen, die nach der „Finanzkrise” von 2008 gemacht worden waren, sich als Lügen herausgestellt hatten und dass es höchste Zeit war, dass die Arbeiter ihre eigenen Forderungen stellten;
- Die Slogans „Wir sitzen alle im selben Boot” und „Die Arbeiterklasse ist zurück“ drückten eine Tendenz in der Arbeiterklasse aus (noch im Embryonalstadium, aber real), das Gefühl wiederzuentdecken, eine Klasse mit einer eigenen kollektiven Existenz und eigenen Interessen zu sein, trotz jahrzehntelanger Atomisierung durch den allgemeinen Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft und unterstützt durch die absichtliche Zerstörung vieler traditioneller Industriestandorte, die eine erfahrene Arbeiterklasse beschäftigten (Bergbau, Stahlindustrie usw.);
- In der französischen Bewegung gegen die Anhebung des Rentenalters auf 64 Jahre drückte der kraftvolle Slogan „Ihr sagt 64, wir geben euch 68“ die Wiederbelebung eines kollektiven Gedächtnisses aus, nämlich die Erinnerung an die Bedeutung der Massenstreiks von 1968;
- Die internationale Entwicklung von Minderheiten, die zu internationalistischen und kommunistischen Positionen neigen, wobei die Mehrheit dieser Elemente und ihre Bemühungen um Vereinigung weniger das Ergebnis des unmittelbaren Klassenkampfs sind als vielmehr dem Aufwerfen von Fragen zum Krieg, ist ein Beweis dafür, dass die aktuellen Klassenbewegungen mehr als nur unmittelbare Sorgen über sinkende Lebensstandards zum Ausdruck bringen. Sie bringen, oft noch auf verwirrende Weise, ihre Besorgnis über die Zukunft zum Ausdruck, die uns dieses Produktionssystem, der Kapitalismus, bietet;
- Ein weiterer Beweis für diesen Reifungsprozess sind die Bemühungen der Bourgeoisie, ihre Macht durchzusetzen und durch die Gewerkschaften und die linken Organisationen Verwirrung innerhalb der Arbeiterklasse zu stiften. Indem sie radikale Botschaften an die Arbeiterklasse vermittelt, versucht sie, deren Denken zu untergraben und ihre eigene Kontrolle zu stärken.
Wir stehen erst am Anfang dieser Erneuerung der Kampfbereitschaft, der Wiederaufnahme der Kämpfe der Klasse auf ihrem eigenen Terrain, einer Anhäufung neuer Erfahrungen, die die Klasse dazu bringen könnten, ihre Kämpfe so zu radikalisieren, dass sie einen politischeren Charakter erhalten, der das System als solches in Frage stellt und nicht nur das Ausmaß seiner Angriffe und deren unmittelbare Auswirkungen.
Dies wird ein langer, schwieriger Prozess voller Hindernisse sein, denn wir befinden uns nicht mehr in derselben Situation wie 1905 in Russland, als die Klasse innerhalb eines Jahres von einer einfachen Petition an den Zaren zu einer offen aufständischen Phase übergehen konnte. Die gegenwärtige Situation ist die des Zerfalls des Kapitalismus, der letzten historischen Phase des Kapitalismus, die sich nicht nur in der Verwesung des politischen Lebens der Bourgeoisie zeigt, sondern auch auf die Arbeiterklasse durch Phänomene lastet, deren Auswirkungen von der herrschenden Klasse ideologisch ausgenutzt werden, um das Bewusstsein des Proletariats schwerwiegend und heimtückisch zu untergraben:
- „Bewusstsein, Klarheit, kohärentes und einheitliches Denken, die Vorliebe für Theorie haben es schwer, sich inmitten der Flucht in Illusionen, Drogen, Sekten, Mystik, der Ablehnung oder Zerstörung des Denkens, die für unsere Epoche charakteristisch sind, durchzusetzen. Das kollektive Handeln und die Solidarität stoßen mit der Atomisierung, dem "Jeder für sich", dem "Frechheit zahlt sich aus" zusammen.
- Das Bedürfnis nach Organisierung steht dem gesellschaftlichen Zerfall entgegen, der Zerstörung von Beziehungen, die erst ein gesellschaftliches Leben ermöglichen.
- Die Zuversicht in die Zukunft und in die eigenen Kräfte wird ständig untergraben durch die allgemeine Hoffnungslosigkeit, die in der Gesellschaft durch den Nihilismus, durch die Ideologie des "No future" immer mehr überhandnimmt.
- Das Bewußtsein, die Klarheit, die Kohärenz und Einheit im Denken, der Sinn für Theorie müssen sich mühsam ein Weg bahnen inmitten der Flucht in Trugbilder, der Drogen, Sekten, des Mystizismus, der Verweigerung des Nachdenkens und der Zerstörung des Denkens, die unsere Epoche charakterisieren."[12]
Wir dürfen also nicht ungeduldig sein und jeden Moment eine Bestätigung dieses Prozesses erwarten. Revolutionäre müssen innerhalb der Klasse klar intervenieren, indem sie eine langfristige Perspektive auf den Kampf einnehmen und vor allem Minderheiten dabei unterstützen, zu verstehen, worum es in dieser Situation geht und welche alternativen und unvermeidlichen Konsequenzen es gibt: entweder die Bedrohung des Überlebens der Menschheit durch die Bourgeoisie oder die Möglichkeit für die Arbeiterklasse, ihre Perspektive durchzusetzen, nämlich die einer Gesellschaft ohne Klassen, ohne Ausbeutung, ohne Krieg, ohne Zerstörung des Planeten, kurz gesagt, einer wahrhaft kommunistischen Gesellschaft.
Helis, 22. Juni 2025
[1] Die Arbeiterklasse ist die erste Klasse in der Geschichte, die in der Lage ist, ein revolutionäres Bewusstsein ihrer eigenen Existenz zu entwickeln, im Gegensatz zur damalig revolutionären Bourgeoisie, deren Bewusstsein durch ihre Position als neue Ausbeuterklasse begrenzt war.
[2] Lenin, Vortrag über die Revolution von 1905, Januar 1917
[3] Ebenda
[4] Trotzki in seinem Buch 1905
[5] Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei, Gewerkschaften
[6] Trotzki, 1905
[7] Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei, Gewerkschaften
[8] Lenin, Vortrag über die Revolution von 1905, Januar 1917
[9] Für Marx ist die Revolution ein alter Maulwurf, „… der es so gut versteht, unterirdisch zu arbeiten und plötzlich aufzutauchen“.
[10] Siehe seine Polemik gegen den Ökonomismus in Was tun?
[11] Die Geschichte erinnert uns an das Spektakel dieser Verhandlungen zwischen den Streikenden und den Ministern, bei denen die Gespräche zwischen den Arbeiterdelegierten und den Ministern über Lautsprecher live an die vor dem Regierungsgebäude versammelten Arbeiter übertragen wurden. Zum besseren Verständnis dieser Bewegung siehe „Massenstreiks in Polen 1980: Das Proletariat öffnet eine neue Bresche“, Internationale Revue Nr. 23 und „Anmerkungen zum Massenstreik“, Internationale Revue NR. 27 (engl., franz., span.)
[12] Der Zerfall: Die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus [4], Internationale Revue Nr. 13
Genosse Trotzki erläutert in einer Reihe von Dokumenten die neue Ausrichtung, die die Internationale Opposition nach dem Sieg des Faschismus in Deutschland einschlagen sollte. Diese Neuorientierung würde sich aus dem Fehlen einer heilsamen Reaktion innerhalb der kommunistischen Parteien nach der deutschen Niederlage ergeben.
Wir bedauern gezwungen zu sein, gegen Genosse Trotzki zu argumentieren und zu kämpfen. Er bleibt in der Tat einer der Architekten der größten Revolution der Geschichte, Lenins wertvoller Kampfgenosse im Jahr 1917. Trotz des schändlichen Kampfes der zentristischen[1] Fraktion gegen ihn dachte Trotzki nie daran, die Prinzipien des Kampfes aufzugeben, die die Grundlage der großen historischen Schlachten des Proletariats von 1917 waren. Der Historiker der Russischen Revolution, der die Kontinuität des Kampfes des russischen Proletariats und des Weltproletariats wiederherstellen will, wird als Bezugspunkt Trotzkis Kämpfe seit 1923 gegen den Opportunismus haben, der die historische Verbindung zwischen dem proletarischen Staat und der Komintern entstellt. Auch jetzt noch verkündet dieser alte revolutionäre Kämpfer die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Internationale, neuer kommunistischer Parteien, in dem Glauben, auf diese Weise mit einer heroischen Peitsche den Galopp des Opportunismus innerhalb der proletarischen Bewegung zu stoppen und das russische und weltweite Proletariat vor den blutigen Angriffen der kapitalistischen Reaktion zu retten.
Wir sind absolut sicher, dass Genosse Trotzki einen kolossalen Fehler begeht, wenn er eine gemeinsame Arbeit mit der sozialistischen Linken befürwortet, um eine neue kommunistische Partei aufzubauen.
Seit Jahren haben wir viele Anstrengungen unternommen, um unsere Ansichten innerhalb der Internationalen Linksopposition zu diskutieren. Es lag zu keinem Zeitpunkt an uns, sondern an den verschiedenen Kreisen um den Genossen Trotzki und am Genossen Trotzki selbst, dass eine Diskussion nicht auf der Grundlage eines Minimums an internationaler Organisation stattfand. Anstelle einer politischen Diskussion gab es Erstickungsmanöver, und bald darauf wurde unser Ausschluss durch eine Abstimmung sanktioniert, noch bevor sich die Internationale Konferenz zu den von uns vertretenen Positionen äußern konnte. Allerdings war der Zentrismus noch nicht so weit fortgeschritten. Nun, unsere Fraktion hat die KPI[2] gegründet und war die erste, die in den Reihen der Komintern einen Kampf für politische Positionen geführt hat, die nur Scharlatane als im Gegensatz zu Lenins Werk oder im Widerspruch zu den Prinzipien des Marxismus stehend betrachten konnten.
Der grundlegende Irrtum, den Genosse Trotzki heute begeht, tilgt in keiner Weise die Verdienste, die er sich um die Sache des Proletariats erworben hat, aber diese Verdienste implizieren keinesfalls das Festhalten an dem, was wir für einen kapitalen Fehler halten. Im Gegenteil, eine Loyalität gegenüber Trotzkis Werk kann sich einzig darin ausdrücken, seine gegenwärtigen Irrtümer zu bekämpfen, denn es ist absolut falsch, dass die persönliche Kontinuität die Garantie für den späteren revolutionären Kampf des Proletariats ist. Diese Kontinuität wird im Gegenteil auf der Grundlage politischer Positionen hergestellt. Es geht also darum, zu sehen, ob die neuen Positionen des Genossen Trotzki den Erfordernissen des Kampfes des Proletariats entsprechen oder nicht.
Obwohl unsere heutige Polemik von der Arbeit inspiriert ist, die es Lenin und den Bolschewiki ermöglichte, mit Hilfe von Fraktionen die Partei zu gründen, die die Russische Revolution anführte, werden wir nicht die Polemik wiederholen, die Lenin und Trotzki in der Frage der Fraktionen miteinander austrugen. Wir werden an der Anwendung der marxistischen Grundsätze und der Lehren aus der Erfahrung, die wir in die gegenwärtige Situation eingebracht haben, festhalten.
***
Die folgende Erklärung soll die politische Position der Linken Fraktion der KPI in Bezug auf die Vorschläge des Genossen Trotzki zur Gründung einer zweiten Partei und einer Vierten Internationale in Zusammenarbeit mit den aus der Sozialdemokratie kommenden linken Formationen verdeutlichen. Die Dokumente der Fraktion, mit denen diese Erklärung verknüpft werden sollte, sind:
1. Erklärung der Exekutivkommission (EK) der Fraktion auf der Pariser Konferenz vom April 1930, auf der die Internationale Linksopposition gegründet wurde.
2. Unsere Vorschläge von 1931 und 1932 für die Organisation einer internationalen Konferenz zur Ernennung eines verantwortlichen Sekretariats, das die verschiedenen Sektionen der Opposition eingeladen hätte, an der Ausarbeitung einer internationalen Plattform mitzuarbeiten.
3. Projekt zur Gründung eines Internationalen Informationsbüros (15. Mai 1933), das durch die Erkenntnis inspiriert wurde, dass die Kommunistische Internationale im Zuge der Ereignisse, die den Sieg des Faschismus in Deutschland begleiteten, tot war.
Die formale Logik konnte einen offensichtlichen Widerspruch in den beiden Formulierungen von Marx erkennen: zwischen der einen, in der er behauptet, „die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein“, und in der anderen, in der er aufzeigt: "Diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst" (Kommunistisches Manifest).
Das wäre so, wenn man aus der unbestreitbaren Wahrheit, dass die Arbeiter selbst ihre Befreiung erreichen werden, ableiten könnte, dass sie automatisch das Bewusstsein und die Fähigkeit erlangen, die zur Erreichung ihres Ziels notwendig sind. Und in diesem Fall erscheint es unverständlich, dass das Proletariat gezwungen sein soll, sich als Klassenpartei zu konstituieren, um "die Konkurrenz, die unter den Arbeiter selbst“ herrscht, zu sprengen.
Im Gegenteil, die beiden Gedanken von Marx ergänzen sich: Nur die Mobilisierung der Klasse als Ganzes kann den kapitalistischen Staat zu Fall bringen. Das Proletariat kann dies jedoch nur durch seine Organisation in einer politischen Partei erreichen. Die Notwendigkeit der Partei ist Ausdruck der Verwirklichung der politischen Bedingungen, die es der proletarischen Klasse allein ermöglichen, ihre spezifischen Ziele zu erreichen. In jedem Fall ist festzustellen, dass die Idee der Partei bereits im Denken von Marx als unabdingbare Voraussetzung für die Erfüllung der historischen Aufgabe des Proletariats erscheint.
Schon der Genosse Bordiga schrieb in seinem Artikel Partei und Klasse (Contre le Courant, Nr. 18-19 November 1928, übernommen von Rassegna Comunista, 1921): "In den vom II. Kongress der Kommunistischen Internationale angenommenen, wahrhaft marxistischen Leitsätzen über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution wird zuallererst das Verhältnis zwischen Partei und Klasse definiert, und es wird festgestellt, dass die Klassenpartei nur einen Teil der Klasse in ihre Reihen aufnehmen kann – nie die ganze Klasse und wohl auch nie ihre Mehrheit. Diese auf der Hand liegende Tatsache wäre noch deutlicher geworden, wenn präzisiert worden wäre, dass man nicht einmal von Klasse sprechen kann, solange nicht eine Minderheit derselben dahin drängt, sich als politische Partei zu organisieren. Und er fügte hinzu: „Es sind Lehre und Kampfmethode, durch die eine Partei lebt. Sie ist eine Schule der politischen Denkweise und damit eine Kampforganisation. Ersteres betrifft das Bewusstsein, letzteres den Willen, oder genauer, die Zielsetzung. Ohne diese beiden Merkmale lässt sich eine Klasse gar nicht als solche bezeichnen.“
Die Gründung der Partei ist unmöglich, wenn man sich auf die Vermittlung von politischen Lösungen an die Massen beschränkt, die an die sehr begrenzten Schichten der revolutionären Arbeiteravantgarde vermittelt werden, und die das Proletariat akzeptieren müsste. Dagegen wird die Partei nur durch die Unterstützung der Massen für diese revolutionären Schichten, d.h. durch eine ständige „Delegation“ der Massen an sie, gegründet und kann die Arbeiter zum Sieg führen. Diese Delegation erfolgt nicht durch die bloße Verbreitung von Ideen, die von Einzelpersonen oder Minderheiten in die Welt gesetzt werden, sondern ergibt sich aus der Realität des Klassenkampfes. Dieser Kampf führt jedoch nicht automatisch zum Verschwinden des Kapitalismus. Es ist die Aufgabe der Partei, die verschiedenen historischen Epochen zu verstehen, um die Massen in die Lage zu versetzen, in die jeweiligen Situationen einzugreifen. Die Partei wiederum kann die Situationen nur unter der Bedingung begreifen, dass sie mit dem Prozess des Klassenkampfes im Einklang steht.
Die Phasen des Aufstiegs der Partei im Laufe ihrer historischen Mission sollten uns nicht mit Selbstzufriedenheit erfüllen: Die Russische Revolution lehrt uns, dass die Partei auch nach der Machtergreifung ständig auf der Hut und in Alarmbereitschaft bleiben muss, um den Kampf fortzusetzen, neue Situationen zu untersuchen, neue Perspektiven zu erkunden: ihre historische Mission wird erst in einer sehr fernen Zukunft enden, wenn die Entwicklung der Produktionstechnik die Bedingungen für die Abschaffung der Klassen erfüllt haben wird. Die Handlungsfähigkeit der Partei geht dem Verständnis von Situationen nicht voraus, sondern folgt ihm. Dieses Verständnis hängt nicht von einzelnen Personen ab, die behaupten, Proletarier zu sein, sondern von der Partei selbst. Die Partei kann, da sie ein Element der Situationen und ihrer Verflechtung ist, vom Klassenfeind ruhiggestellt und erobert werden, und von da an wird es der marxistischen Strömung obliegen, den Lauf der historischen Entwicklung zu erfassen.
Marx sagte im Vorwort Zur Kritik der politischen Ökonomie: "Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind.“
Was für die Menschheit gilt, gilt auch für die Klassenpartei des Proletariats. Diese Partei wird die Probleme aufwerfen, die die historischen Bedingungen ihr erlauben. Diese Partei wird ihre Aufgabe nur unter der Voraussetzung erfüllen, dass sie die entstehenden Probleme voraussieht. In der zweiten These von Marx über Feuerbach heißt es: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.“
Die Umgestaltung der Welt ist weder das Ergebnis des Willens der Militanten, noch ist sie das Attribut der Proletarier, je nach ihrer Position im ökonomischen Mechanismus. Daher sind weder der heroische Wille der Kämpfer noch die Tatsache, dass sich die Lohnabhängigen in Organisationen zusammenschließen, aus denen die Menschen anderer Klassen verbannt sind (Gewerkschaften), die unabdingbaren Voraussetzungen für die Verwirklichung der Aufgabe, die der Partei zufällt. Diese Bedingungen ergeben sich aus der Fähigkeit der Partei, in Situationen zu handeln, und diese Fähigkeit hängt wiederum vom Platz ab, den sie in den konkreten Situationen der Klassenbeziehungen einnimmt. Für die Bestimmung dieses Ortes kann nur ein intellektueller Faktor der Wahrnehmung der Situationen und der Rolle des Proletariats wirksam sein.
Zu Beginn der Arbeiterbewegung schufen bürgerliche Intellektuelle, Marx und Engels, die im Bund der Kommunisten kämpften, die politischen Voraussetzungen für den Kampf der Arbeitermassen für bessere Arbeitsbedingungen. Die obersten Aufgaben des Proletariats wurden damals als das Ergebnis der bürgerlichen Revolution selbst angesehen. Die erste Partei der Arbeiterklasse, der Bund der Kommunisten, stützte sich auf diese historischen Elemente. Kurze Zeit später wurden die neuen Parteien, die Erste Internationale, auf der Grundlage der neuen Probleme, die sich aus den Ereignissen ergaben, gegründet. Die Partei der proletarischen Klasse war in der Lage, Probleme zu lösen, die der Bund der Kommunisten kaum vorhersehen konnte: Die Arbeiterklasse kann, um ihre Emanzipation zu erreichen, nicht länger eine Art "Mitläufer" (Marx) des Kapitalismus während der bürgerlichen Revolution sein. Die Neue Rheinische Zeitung von 1848/49, an der Marx in Zusammenarbeit mit der radikalen Bourgeoisie mitwirkte, wurde durch den ersten Versuch einer unabhängigen Arbeiterorganisation innerhalb der Ersten Internationale ersetzt.
Eine neue historische Situation entstand. Der Kapitalismus kam in den verschiedenen Ländern an die Macht und die 1889 gegründete Zweite Internationale kämpfte für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter und für die Gründung ihrer Klassenorganisationen. Schließlich entstand die Dritte Internationale nach dem Verrat der Zweiten dank der Russischen Revolution. Ihre historische Aufgabe war es, die Revolution in der ganzen Welt zu verwirklichen.
In jeder historischen Periode der Bildung des Proletariats zu einer Klasse wird das Wachstum der Ziele der Partei deutlich. Der Bund der Kommunisten kämpfte zusammen mit einem Teil der Bourgeoisie. Die Erste Internationale schuf die ersten Klassenorganisationen des Proletariats. Die Zweite Internationale gründete die politischen Parteien und die Massengewerkschaften der Arbeiter. Die Dritte Internationale errang den Sieg des Proletariats in Russland.
In jeder Periode sahen wir, dass die Möglichkeit der Bildung der Partei auf der Grundlage der früheren Erfahrungen und der neuen Probleme, die sich für das Proletariat ergeben haben, bestimmt wurde. Die Erste Internationale hätte niemals in Zusammenarbeit mit der radikalen Bourgeoisie gegründet werden können. Die Zweite Internationale konnte nicht ohne den Gedanken an die Notwendigkeit der Umgruppierung der proletarischen Kräfte in Klassenorganisationen gegründet werden. Die Dritte Internationale hätte nicht in Zusammenarbeit mit den Kräften gegründet werden können, die innerhalb des Proletariats wirkten, um dieses nicht zum Aufstand und zur Machtergreifung, sondern zur schrittweisen Reform des kapitalistischen Staates zu orientieren. In jeder Periode kann sich das Proletariat als Klasse organisieren, die Partei kann sich auf die folgenden zwei Elemente stützen:
1. Das Bewusstsein der fortgeschrittensten Position, die das Proletariat einnehmen muss, das Erkennen der neuen Wege, die zu beschreiten sind.
2. Die zunehmende Abgrenzung der Kräfte, die für die proletarische Revolution wirken können.
Die Bourgeoisie, die 1848 als „Kollaborateurin“ des Proletariats betrachtet werden konnte, wird zum Feind des Proletariats. Die Sozialdemokratie, die vor 1914 in derselben Partei wie die marxistische Linke bleiben konnte, wird nach 1914 zum Feind des Proletariats. Es muss betont werden, dass die marxistische Linke innerhalb der sozialistischen Parteien sehr schwach war und es nicht einmal geschafft hatte, sich international zu organisieren. Die Bolschewiki stießen auf den internationalen Kongressen nicht auf Beachtung und Aufmerksamkeit, sondern auf Gleichgültigkeit und Spott. In der gegenwärtigen Situation müssen wir zunächst betonen, dass die schreckliche Krise der Arbeiterbewegung darauf zurückzuführen ist, dass Probleme entstanden sind, die Lenin selbst nicht voraussehen konnte. Der Zentrismus hat mit der Theorie des Sozialismus in einem Land eine konterrevolutionäre Lösung für diese Probleme geliefert.
Das Proletariat hat 1927 eine furchtbare Niederlage erlitten, weil es nicht in der Lage war, den konterrevolutionären Erfolg des Zentrismus innerhalb der KPs zu verhindern. Hätte es seinen Kampf innerhalb der Parteien gewonnen, hätte es die Kontinuität der Partei für die Verwirklichung ihrer Mission gesichert, denn es hätte die neuen Probleme, die sich aus der Ausübung der proletarischen Macht in der UdSSR ergaben, in revolutionärer Weise gelöst.
Wenn man heute sagt, dass wir auf der Grundlage der ersten vier Kongresse der Internationale neue Parteien gründen wollen, dann heißt das, dass wir die Geschichte um zehn Jahre zurückdrängen, dass wir uns dem Begreifen der Ereignisse nach diesen Kongressen verweigern und dass wir letztlich die neuen Parteien historisch so einordnen, wo sie nicht hingehören. Die Stellung, welche die neuen Parteien morgen einnehmen müssen, ist bereits durch die Erfahrung der Ausübung der proletarischen Macht und durch die gesamte Erfahrung der kommunistischen Weltbewegung abgegrenzt. Die ersten vier Kongresse sind in dieser Arbeit ein Untersuchungsgegenstand, der einer besonders intensiven Kritik unterzogen werden muss. Wenn wir sie als Evangelium akzeptieren würden, kämen wir zu dem Schluss, dass der Tod Lenins oder das Abdriften Trotzkis die Ursachen für den Sieg des Kapitalismus in den verschiedenen Ländern und den Erfolg des Zentrismus in der UdSSR und in der Internationale sind.
Es besteht keine direkte Abhängigkeit zwischen der Entwicklung der wirtschaftlichen Situation und der Entwicklung der Klassenbeziehungen. In der gegenwärtigen Situation besteht kein Zweifel, dass der katastrophalen Krise der kapitalistischen Wirtschaft nicht die Bereitschaft des Proletariats zum revolutionären Kampf gegenübersteht, sondern die blutigen Erfolge der kapitalistischen Offensive bestimmen die Lage. Es stimmt, dass das Gesetz der geschichtlichen Entwicklung letztendlich durch die Entwicklung der Produktionstechnik bedingt ist, aber die Klassen, die zum Verschwinden bestimmt sind, lösen sich nicht auf und bringen die Gefahr mit sich, die Menschheit in die Barbarei zurückzuwerfen.
Der Klassenkampf steckt also in einer sehr komplexen Situation, in der die verzweifelten Aktionen des Kapitalismus zur Erhaltung seiner Macht und die Aktionen des Proletariats zur Erreichung seiner Emanzipation miteinander verwoben sind. Der wirtschaftliche Kampf des Proletariats wird geprägt durch die wirtschaftliche Situation. Die Arbeiter werden für Lohnerhöhungen oder die Verteidigung ihrer Löhne kämpfen, je nachdem, ob die politische Situation die Verwirklichung einer proletarischen Kampffront zur Verbesserung oder Verteidigung ihres Lebensstandards erlaubt. Unter diesen Bedingungen kann die Gewerkschaft in den verschiedenen Konstellationen unmittelbar eine Klassenrolle übernehmen, und ihre Funktion wird in der Mobilisierung der Gesamtheit der Beschäftigten der Unternehmen für den Kampf gegen die Bosse bestehen. Der spezifische Aktionsbereich der Partei ist ein anderer: Er erstreckt sich auf den Bereich des Klassenkampfes, der nicht in seiner momentanen, sondern in seiner finalen Ausprägung betrachtet wird. Und der Kampf wird zwischen dem Kapitalismus, der versucht, seinen Feind dazu zu bringen, die Formen seiner Existenz im gegenwärtigen System zu akzeptieren oder sich damit abzufinden, und der Partei des Proletariats stattfinden, die versuchen wird, aus den zufälligen Gegebenheiten der Situation die Elemente zu ziehen, die ihre Entwicklung hin zum endgültigen Ziel der Klasse ermöglichen werden.
Die marxistische Terminologie für Parteiaktionen ist diejenige, die sich in der Abgrenzung von objektiven und subjektiven Bedingungen ausdrückt. Dies ist das Kriterium, das der Analyse der Partei zugrunde liegt, um ihr Handeln zu bestimmen. Zu den objektiven Bedingungen gehören diejenigen, die die wirtschaftlichen Bedingungen, die Stärke des Herrschaftsapparats der Bourgeoisie und die Stellung der Mittelschichten widerspiegeln. Subjektive Bedingungen sind die Stärke und der Einfluss der Klassenpartei des Proletariats. Diese Terminologie eignet sich hervorragend für Situationen, in denen die Klassenpartei ihre Fähigkeit zur Führung des Proletariats noch nicht verloren hat. Bis zu diesem Zeitpunkt entwickeln sich die Klassenreaktionen, die durch die Antagonismen hervorgerufen werden, auf denen das kapitalistische Regime beruht, innerhalb der Partei, die unter diesem Impuls den Kampf des Proletariats führt.
Wenn die Partei ihre Fähigkeit verloren hat, das Proletariat zur Revolution zu führen – und dies geschieht durch den Triumph des Opportunismus –, entwickeln sich die durch die sozialen Antagonismen hervorgerufenen Klassenreaktionen nicht mehr in die Richtung, die es der Partei ermöglicht, ihre Aufgabe zu erfüllen. Die Reaktionen müssen sich andere Wege bahnen, die neue Grundlagen suchen, auf denen sich von nun an die Organe des Denkens und des Lebens der Arbeiterklasse bilden: die Fraktion. Das Begreifen der Ereignisse geht nicht mehr mit einer direkten Aktion einher, wie es früher innerhalb der Partei der Fall war, und die Fraktion kann diese Einheit nur wiederherstellen, indem sie die Partei vom Opportunismus befreit.
Der Triumph des Zentrismus innerhalb der kommunistischen Parteien beendete eine bestimmte Periode der Klassenbeziehungen: die Periode, in der der Kapitalismus einen Arbeiterstaat und eine für die Weltrevolution kämpfende Kommunistische Internationale hatte. Dieser Triumph leitete eine neue Phase der Beziehungen ein, in der der Kapitalismus den Arbeiterstaat und die verschiedenen kommunistischen Parteien, die für den Sozialismus in einem Land kämpfen, vor sich hat. Seit 1928 und dem totalen Triumph des Zentrismus ist das allgemeine Kriterium für die Analyse von Situationen dasjenige, das unter den objektiven Bedingungen neben der Stärke des Kapitalismus, seiner sozialdemokratischen Vertreter und der Position der Mittelschichten auch die Stärke des Zentrismus einordnet.
Der subjektive Zustand wechselt von der Partei zur Fraktion. Letztere ist der einzige Organismus, in dem das Proletariat seine Klassenorganisation verwirklicht, denn sie ist der Organismus, der aus einer vergangenen historischen Phase hervorgeht und eine neue vorbereitet.
1927, mit dem Ausschluss der Linken aus den Kommunistischen Parteien, wurde der Bankrott der Komintern, deren historische Aufgabe es war, die proletarische Weltbewegung um den Arbeiterstaat zu kanalisieren, bestätigt. Die Kämpfe des Proletariats, auch wenn sie nur beschränkt sind, können nur dann zu einem wirklichen Erfolg führen, wenn es der Fraktion gelingt, die für die neue Phase relevanten programmatischen Bedingungen umzusetzen.
Es könnte der Eindruck entstehen, dass die Aufgaben der Fraktion ausschließlich didaktischer Natur seien. Aber eine solche Kritik kann von den Marxisten mit denselben Argumenten zurückgewiesen werden, die gegen alle Scharlatane verwendet werden, die den Kampf des Proletariats für die Revolution und die Umgestaltung der Welt mit dem Wahlkampf gleichsetzen.
Es ist vollkommen richtig, dass die spezifische Rolle der Fraktionen vor allem EINE Rolle der Erziehung der Kader durch erlebte Ereignisse und durch die rigorose Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Ereignisse ist. Es ist jedoch richtig, dass diese Arbeit, insbesondere die ideologische Arbeit, in Anbetracht der Massenbewegungen geleistet wird und stets die praktische Lösung für deren Erfolg liefert. Ohne die Arbeit der Fraktionen wäre die Russische Revolution unmöglich gewesen. Ohne die Fraktionen wäre Lenin selbst ein Bücherwurm geblieben und hätte sich nicht zu einem Führer der Revolution entwickelt.
Die Fraktionen sind daher der einzige historische Ort, an dem das Proletariat seine Arbeit für seine Klassenorganisation fortsetzt. Von 1928 bis heute hat Genosse Trotzki diese Arbeit des Aufbaus der Fraktionen völlig vernachlässigt und damit nicht zur Verwirklichung der effektiven Bedingungen für Massenbewegungen beigetragen. Während dieser ganzen Zeit war es unserer Linksfraktion nicht möglich, ihre politischen Ansichten, die auf den Aufbau von Linksfraktionen abzielten, in der Opposition durchzusetzen. Die Bilanz endet mit einem Scheitern unsererseits, mit einem Erfolg, der gegen uns durch die Anwendung von Methoden und Manövern erzielt wurde, die der kommunistischen Bewegung unwürdig sind, während die Organisation der Opposition einen Rückschlag nach dem anderen und eine Spaltung nach der anderen erlitten hat.
Vom grundsätzlichen Standpunkt aus betrachtet stellt sich das Problem in zwei diametral entgegengesetzten Formen dar: Unsere Fraktion hat ihre Umwandlung zur Partei im Blick, betrachtet jeden Moment ihrer Tätigkeit als einen Moment des Wiederaufbaus der Klassenpartei des Proletariats und ist der Ansicht, dass die Fraktion allein, innerhalb oder außerhalb der offiziellen Parteiorganisation, den Organismus darstellt, der das Proletariat zum Sieg führen kann. Genosse Trotzki hingegen ist der Meinung, dass die Gründung einer neuen Partei nicht direkt von der Fraktion oder ihrer Arbeit abhängt, sondern von der Arbeit der "Opposition" in Verbindung mit anderen politischen Formationen und sogar mit Strömungen, die zu Parteien der gegnerischen Klasse gehören.
Auf diesem Gebiet ist die historische Erfahrung schlüssig: Einerseits krönt die Revolution Lenins hartnäckige Arbeit für die Umwandlung der bolschewistischen Fraktion in eine Partei. Andererseits gefährdet die Niederlage von 1923 in Deutschland die Arbeit der Spartakisten, die durch die Fusion von Halle in den Unabhängigen untergegangen sind. Schließlich hat die Bildung von Sektionen der Internationale in verschiedenen Ländern, die auf der Überschneidung heterogener politischer Formationen beruht, zu der gegenwärtigen Situation geführt, in der sich die verschiedenen oppositionellen Gruppen in Personenfragen gegenüberstehen, ohne dass es ihnen gelingt, die prinzipiellen Unterschiede, die sie voneinander trennen, herauszuarbeiten.
Die Umwandlung der Fraktion in eine Partei ist durch zwei eng miteinander verbundene Elemente bedingt:
1. Die Ausarbeitung neuer politischer Positionen durch die Fraktion, die es ermöglichen, den Kampf des Proletariats für die Revolution in seiner neuen, fortgeschritteneren Phase zu etablieren. Um in den gegenwärtigen und zukünftigen Situationen handeln zu können, ist es notwendig, politische Positionen zu haben, die dem degenerierten Arbeiterstaat den Arbeiterstaat entgegensetzen, der für den revolutionären Sieg in der ganzen Welt kämpft. Darüber hinaus sind taktische Lösungen erforderlich, um den proletarischen Aufstand in den kapitalistischen Ländern zu verwirklichen, da sich die Nachahmung der Politik der Bolschewiki 1923 in Deutschland mit der selbst von Lenin und Trotzki geführten Komintern als unzureichend erwiesen hat.
2. Durch die Untergrabung des Systems der Klassenbeziehungen, wie es sich während des Sieges des Opportunismus innerhalb der Partei der Arbeiterklasse konstituiert hat. Diese Unterminierung würde in der Entstehung revolutionärer Bewegungen liegen, die es der Fraktion ermöglichen würden, die Führung der Kämpfe in Richtung Aufstand zu übernehmen.
Diese beiden Elemente sind dialektisch miteinander verbunden, und wir werden die neuen Situationen – die im Entstehen begriffen sind – in dem Maße sehen und verstehen, in dem der Übergang des Opportunismus, der die kommunistische Partei anführt, zum Feind sich bestätigt. Oder umgekehrt, in dem Maße, wie die Arbeit der linken Fraktion für den revolutionären Sieg voranschreitet. Den Besserwissern, die in der Internationalen Opposition in Mode sind und die bei jeder Gelegenheit mit politischen Positionen aufwarten, die die Quintessenz des universellen marxistischen Wissens darstellen würden, müssen wir die Realität entgegensetzen. Diese Realität zeigt, dass die zahlenmäßige Schwäche und die derzeitige theoretische Unfähigkeit der linken Fraktionen die Unfähigkeit des Weltproletariats darstellen, sich dem Angriff des Kapitalismus unter den Bedingungen der ausweglosen Wirtschaftskrise zu widersetzen, die jedoch die Grundlage für große revolutionäre Kämpfe bilden sollte.
Der Verrat der kommunistischen Parteien ist keine psychologische, sondern eine historische Tatsache. Es sind nicht die politischen Gesten der opportunistischen Führer, die die Partei in das Lager des Feindes übergehen lassen, genauso wenig wie der Freundschaftsvertrag der UdSSR mit dem italienischen Imperialismus oder ihre neuen Beziehungen zum französischen Imperialismus das Wesen des russischen Staates verändern, der weiterhin auf der Vergesellschaftung der Produktionsmittel beruht. Genosse Trotzki, der den Schlüssel zu den Ereignissen für den Sieg der Revolution in der vom Zentrismus geführten Kommunistischen Partei Deutschlands sah, ist sicherlich verwundert über die politische Position, die die kommunistischen Parteien beim Sieg des Faschismus einnahmen. Für uns war diese Schlussfolgerung unausweichlich, da wir den Schlüssel zur Situation in die Hände der linken Fraktion gelegt haben. Da diese nicht existierte und nichts getan wurde, um sie zu errichten, konnte auch keine Kraft zur Verteidigung des deutschen Proletariats eingesetzt werden.
Der Sieg des Opportunismus innerhalb der Partei bedeutet nicht, dass sie zum Feind übergeht oder sich als gesellschaftliche Kraft in den Diensten des Feindes manifestiert. Der Opportunismus revidiert den Marxismus und schlägt neue Methoden des proletarischen Kampfes vor. In den sozialistischen Parteien befürwortete der Opportunismus vor 1914 die schrittweise Eroberung des Staates als Ersatz für den revolutionären Kampf zu seiner Zerstörung. Um das Proletariat für sich zu gewinnen, versprach der Opportunismus eine wachsende Bedeutung der Gewerkschaft und der Partei, die in parlamentarischen und ministeriellen Angelegenheiten eine Rolle spielen sollten. Die verschiedenen Phasen, die der Opportunismus in den Parteien der Zweiten Internationale durchlief, waren offensichtlich Phasen des Rückschritts des Proletariats und des Fortschreitens des Einflusses des Kapitalismus in ihm. Solange es keine Linksfraktion gab, musste das Proletariat zusehen, wie der Opportunismus seine Funktion erfüllte: seinen Verrat, bevor es zum Aufbau neuer Parteien übergehen konnte. Außerdem hat die Fraktion selbst erst nach 1914 die neuen historischen Positionen für den Kampf des Proletariats ausgearbeitet, und zwar vor allem durch die Stimme Lenins, dessen frühere Arbeiten die unverzichtbare Voraussetzung für die Schlussfolgerungen waren, die nach dem Verrat der sozialistischen Parteien gezogen wurden.
Der Zentrismus innerhalb der kommunistischen Parteien schlägt dem Proletariat den Kampf für den Sozialismus in einem Land vor. Die Interessen des Proletariats in jedem Land ergeben sich nicht mehr aus dem Kampf für den Sturz des Kapitalismus, sondern aus dem Fortschritt der Industrialisierung und den Fünfjahresplänen in der UdSSR. Letztlich wird der Zentrismus den Arbeitern sagen: Nicht der revolutionäre Sieg des Proletariats, sondern die wirtschaftliche und militärische Stärkung des Arbeiterstaates und seine friedliche Koexistenz mit dem Weltkapitalismus werden euch zum Sozialismus führen. So stellt der Arbeiterstaat die wesentliche Voraussetzung dafür dar, dass der Zentrismus seine Politik innerhalb des Proletariats entfalten kann, so wie vor dem Krieg die Gewerkschaften den Reformisten die Möglichkeit gaben, ihre konterrevolutionäre Rolle zu erfüllen.
Gegenwärtig müssen wir die Kraft haben, darauf zu warten, dass die unlösbaren Widersprüche, in denen sich der Zentrismus bewegt, auf die konstruktive Arbeit der linken Fraktionen treffen. Wir können die gesellschaftliche Organisation, die in Russland existiert, nicht ignorieren, denn der Zentrismus ist nicht der Kapitalismus, und zur Gründung neuer Parteien überzugehen, hieße, ein abstraktes Schema der Realität an die Stelle der Realität zu setzen, in der wir leben und in der das Proletariat lebt.
Die Umwandlung von Fraktionen in Parteien könnte sich aus dem Sieg des revolutionären Proletariats in einem kapitalistischen Land ergeben. Auf diese Weise würde das wesentliche Problem des Kampfes des Weltproletariats, das um einen Arbeiterstaat polarisiert ist, auf der Grundlage der prinzipiellen Überlegungen, die sich aus den Erfahrungen in Russland ergeben würden, neu gestellt werden.
Innerhalb der Parteien der Zweiten Internationale endeten diejenigen, die die Position der Sozialistischen Partei jener Zeit nicht berücksichtigen wollten und die sich einer breiteren Reaktion auf die Erfolge des Opportunismus entgegenstellen wollten, damit, dass sie dem parlamentarischen Kampf den Kampf gegen alle politischen Parteien und den Prinzipien des Marxismus die politischen Positionen des Syndikalismus entgegenstellten. Andererseits sind die Bolschewiki stets Anhänger einer Politik der Fraktion geblieben, und die Gruppe der holländischen Tribunisten, die aus der sozialistischen Partei ausgeschlossen wurde, hat zwar wertvolles politisches Material geliefert, ist aber eine Gruppe geblieben, die nicht in der Lage war, den Lauf der Dinge zu beeinflussen.
Gegenwärtig findet Genosse Trotzki, der die Klassenlage der kommunistischen Parteien nicht berücksichtigt, in ihnen nicht die proletarischen Elemente, die die Gründung einer neuen Partei ermöglichen würden, und er sucht diese Elemente und diese Grundlage in den sozialistischen Parteien, d.h. in den Organisationen, die nach 1914 im Interesse des Feindes handeln. Es ist die Pflicht der in der Linksfraktion zusammengeschlossenen Proletarier, sich von den schrecklichen Situationen, die wir durchleben, nicht einschüchtern zu lassen. Sie werden an den Positionen festhalten, die ein historisches Ereignis wie die Russische Revolution unwiderlegbar bestätigt hat; sie werden den Kampf für den Aufbau linker Fraktionen fortsetzen, die sich in eine Partei verwandeln werden, wenn die historischen Bedingungen günstig sind.
Der Mechanismus der Klassenbeziehungen unterliegt ebenso wie der wirtschaftliche Mechanismus Gesetzen, deren Entwicklung nicht vom individuellen Willen der Menschen abhängt. Um im Mechanismus der Klassenbeziehungen zu handeln, muss man seine Gesetze kennen und vor allem die historische Bedingung für das Handeln erkennen. Diese Bedingung liegt, wir wiederholen es, in dem Organismus, in dem sich die Organisation des Proletariats in einer Klasse konkretisiert: der Fraktion.
Nach dem Sieg des Opportunismus innerhalb der Parteien kam es zu einem tiefgreifenden Wandel. Ein wichtiger Teil des Proletariats, seine Mehrheit, wurde für die wichtigsten politischen Konzepte gewonnen, die nicht mehr das Programm des Kommunismus, sondern das Programm des Opportunismus darstellten. Damit wurden die kommunistische Politik und Taktik durch die opportunistische Politik und Taktik ersetzt. Auch die sozialen Gegensätze zwangen die Partei nicht mehr dazu, Positionen zu vertreten, die den Endzielen des Proletariats entsprechen. Die vom Opportunismus zerfressene Partei griff in Situationen ein, in denen sie nicht die Verstärkung von Klassenbewegungen, sondern deren Zersplitterung zum Vorteil des Feindes bewirkte.
Der wirtschaftliche Mechanismus entwickelte sich zwangsläufig in Richtung der Entstehung von Gegensätzen, die sich aus den antagonistischen Grundlagen des kapitalistischen Regimes ergeben. In gleicher Weise entwickelte sich der Mechanismus der Klassenbeziehungen in Richtung der Entstehung von Gegensätzen, die sich aus dem Antagonismus zwischen der von der entarteten Partei eingenommenen Position und der realen Position, die die Klasse einnehmen sollte, ergaben. Diese Position wurde dann von der linken Fraktion eingenommen.
Marx schrieb in seinem Beitrag Zur Kritik der politischen Ökonomie, dass eine Gesellschaft niemals verschwindet, bevor nicht alle Produktivkräfte, die sie enthalten kann, entwickelt sind, und dass neue und höhere Produktionsverhältnisse niemals an ihre Stelle treten, bevor nicht die materiellen Bedingungen für die Existenz dieser Verhältnisse im Schoß der alten Gesellschaften selbst geschaffen worden sind.
Das heißt, dass das Proletariat seinen Kampf für die neue Organisation der Gesellschaft erst dann aufnehmen kann, wenn sich die Bedingungen dafür in der alten Gesellschaft herausgebildet haben. Diese Bedingungen sind im Moment der Errichtung der kapitalistischen Gesellschaft im Entstehen begriffen. In ähnlicher Weise werden die linken Fraktionen nur dann in der Lage sein, sich in eine Partei zu verwandeln, wenn die Antagonismen zwischen der Position der degenerierten Partei und der Position des Proletariats das gesamte System der Klassenbeziehungen bedrohen, das durch den Sieg des Zentrismus innerhalb der Parteien bestimmt wird. All dies konkretisiert sich in einer historischen Position, die die Partei einnimmt, einer Position, die auf einem Programm beruht, das nicht mehr den Interessen der Arbeiterklasse entspricht, aber noch nicht die Interessen des Feindes vertritt. In diesem Fall nimmt die vom Zentrismus geführte kommunistische Partei, die vom Arbeiterstaat ausgeht und auf der Grundlage des Sozialismus in einem Land, der revolutionären Gewerkschaftsopposition und des Nationalbolschewismus handelt, diese Zwischenstellung ein.
Marx ging über Blanqui hinaus, weil er den aus dem Klassenkampf resultierenden Aufstand der Theorie des Staatsstreichs gegenüberstellte. Gleichzeitig widersetzen sich die Marxisten der Fraktion dem Abenteuer, zweite Parteien zu bilden, bevor der Mechanismus der Klassenbeziehungen die Bedingungen für die Bildung neuer Organisationen ausgereift hat. Diese Bedingungen bestehen von dem Moment an, in dem der Zentrismus die Partei für eine konterrevolutionäre Politik gewinnt. Diese Bedingungen wachsen, werden eingegrenzt und präzisieren sich in dem Maße, in dem die linken Fraktionen in ihrer ideologischen Konsistenz und in ihrer zahlenmäßigen Bedeutung wachsen und es so schaffen, zu einem direkten Faktor in der Entwicklung der Situationen zu werden.
Wir können bestätigen, dass die historischen Bedingungen, die es den linken Fraktionen erlauben, die alten Parteien des Proletariats aufrechtzuerhalten, im revolutionären Sieg eines Proletariats liegen, das von einer linken Fraktion angeführt wird, der es gelingt, den Zentrismus im Feuer des Aufstandes hinwegzufegen. Dieser Gedanke scheint uns der einzige marxistische zu sein, im Gegensatz zu den politischen Überlegungen, die in der Formel der "Wiederaufrichtung" der Partei oder in der anderen, zumindest bizarren Position der "Reform" zum Ausdruck kamen. Diese Perspektive des revolutionären Sieges, trotz des Hindernisses, das die zentristische Partei darstellt, ist zwar immer unwahrscheinlicher, kann aber auch nach dem Tod der Komintern nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Die Klassenbeziehungen, die zum Zeitpunkt des Sieges des Zentrismus durch die Bindung des Proletariats an ein politisches Programm, das seinen Interessen zuwiderläuft, konstituiert wurden, werden dann ihre endgültige Entwicklung erreichen.
Wir haben bereits angedeutet, dass der Zentrismus die aus den sozialen Gegensätzen resultierenden Klassenreaktionen zerstreut und so die Arbeit zur Aufrechterhaltung des kapitalistischen Regimes fortsetzen kann. Wenn dieses Regime nicht mit der Arbeiterklasse zusammentrifft, die den Aufstand der Produktivkräfte auf die Gründung einer neuen gesellschaftlichen Organisation lenkt, stürzt es sich in den Krieg. Der Zentrismus wird ein notwendiger Faktor sein, um das Proletariat in den Krieg zu führen, und so wird seine Funktion voll verwirklicht werden. Dies ist die zweite Art von historischer Bedingung, die für den Aufbau einer neuen Partei sich erfüllen könnte.
Die Bilanz, die die linken Fraktionen erstellen müssen, ist also eine historische Bilanz. Die Widersprüche der kapitalistischen Welt werden in ihrer imperialistischen Phase zwangsläufig in eine Revolution oder einen Krieg münden. Nach dem Sieg des Zentrismus innerhalb der Partei wird nur die linke Fraktion in der Lage sein, die Partei für das Proletariat zu erhalten und sie zurückzubringen, um das Proletariat zur Revolution zu führen. Sollte es den Fraktionen nicht gelingen, das Proletariat – trotz Zentrismus – zum Sieg zu führen, könnte kein individueller Wille das andere Ergebnis der Situationen vermeiden: den Krieg; und nur in dessen Verlauf oder nach ihm wird die Fraktion, die sich in eine Partei verwandelt, in der Lage sein, das Proletariat zum Sieg zu führen.
Die proletarische Internationale stellt für eine bestimmte historische Periode die Vollendung des ideologischen Wirkens des Proletariats dar, das die Ziele und Methoden seines Kampfes gegen den Kapitalismus festlegt. All diese ideologische Arbeit ist eng mit dem Kampf verbunden, den die Fraktionen zuvor zusammen mit den Klassenkämpfen geführt hatten und der zur Gründung neuer Parteien in einem oder mehreren Ländern geführt hatte.
Der Begriff der Internationale steht über dem der Partei, nicht nur in organisatorischer und politischer, sondern auch in chronologischer Hinsicht. Die Partei ist in der Tat ein Organismus, der direkt mit dem Prozess des Klassenkampfes verbunden ist und der sich den Kampf gegen den kapitalistischen Staat zum Ziel setzt. Die Internationale hingegen basiert ausschließlich auf politischen Konzepten und hat keinen kapitalistischen Weltstaat vor sich, sondern Staaten, die auf internationaler Ebene die Antagonismen reproduzieren, die sich den Kapitalisten oder Gruppen von Kapitalisten im wirtschaftlichen Bereich entgegenstellen.
Der Tod der Kommunistischen Internationale ergibt sich aus dem Erlöschen ihrer Funktion: Die Komintern starb mit dem Sieg des Faschismus in Deutschland; dieses Ereignis erschöpfte historisch ihre Funktion und manifestierte das erste definitive Ergebnis der zentristischen Politik. Der in Deutschland siegreiche Faschismus bedeutete, dass die Ereignisse den entgegengesetzten Weg zur Weltrevolution einschlugen, den Weg, der zum Krieg führen kann.
Die Partei hört nicht auf zu existieren, auch nicht nach dem Tod der Internationale. Die Partei stirbt nicht, sie verrät. Die Partei, die direkt mit dem Prozess des Klassenkampfes verbunden ist, sieht sich gezwungen ihre Tätigkeit fortzusetzen, auch wenn die Internationale tot ist. Auch im Kriegsfall, wenn die Internationale völlig von der politischen Bühne verschwindet, existiert die Partei und ruft das Proletariat dazu auf, zu den Waffen zu greifen, nicht um den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zu verwandeln, sondern um seinen Kampf im Verlauf des Krieges selbst fortzusetzen, indem es seine Interessen mit denen des Klassenfeindes vermischt.
Die historische Erfahrung ist eindeutig und zeigt, dass der Parteiaufbau der Gründung der Internationale vorausgeht. Natürlich müssen sich die linken Fraktionen bei ihrer Arbeit in jedem Land auf internationale Konzepte stützen, aber nur der Aufbau einer oder mehrerer Parteien kann die Voraussetzung für die Schaffung der neuen Internationale darstellen. Die Begriffe zu vertauschen bedeutet, den Marxismus, der die Leitlinien für den proletarischen Kampf aus dem Mechanismus des Klassenkampfes selbst ableitet, durch die Arbeit politischer Schriftsteller zu ersetzen, die die Aufgabe des Aufbaus von Klassenorganisationen ihrem Willen oder Talent anvertrauen. Die neue Internationale wird die Krönung der hartnäckigen Arbeit der linken Fraktionen sein und wird sich entweder mit einer triumphierenden proletarischen Revolution oder mit dem neuen imperialistischen Krieg „überschneiden“.
Im Grunde genommen lassen sich alle Widersprüche des Genossen Trotzki durch seinen Irrtum in der allgemeinen Perspektive erklären, die er immer noch vertritt. Die Arbeit der Internationalen Linksopposition, die direkt vom Genossen Trotzki inspiriert wurde, basierte auf der UdSSR als dem Schwerpunkt des Weltproletariats. Aus dem proletarischen Charakter des russischen Staates wurde die fatale Perspektive eines weltweiten Blocks des Kapitalismus für den Krieg gegen die Sowjetunion abgeleitet. Die Pflicht der Oppositionellen in allen Ländern war die Verteidigung der UdSSR gegen diesen unvermeidlichen imperialistischen Angriff, und ihr Platz in diesem Krieg war in der vordersten Reihe der Verteidigung des Sowjetstaates.
Die gesamte Politik der "Wiedererrichtung" der kommunistischen Parteien basierte auf der Vision des Kampfes des russischen Proletariats gegen den Zentrismus, der unfähig war, die Verteidigung des Arbeiterstaates zu übernehmen. Dies hätte die günstigen Bedingungen für die "Wiedererrichtung" der kommunistischen Parteien bewirken sollen. Man kann sagen, dass alle Spaltungen, die in der Internationalen Linken Opposition stattgefunden haben, durch Meinungsverschiedenheiten über die russische Frage verursacht wurden. Als Genosse Trotzki diese ganze Reihe von Spaltungen betrieb, glaubte er offensichtlich, dass er so und nur so die politischen Bedingungen erreichen würde, die für seine allgemeine Perspektive günstig seien.
Nach dem Sieg des Faschismus in Deutschland befürwortete er die Gründung einer neuen Partei mit dem Ziel, die Komintern zu regenerieren, um die Verteidigung des russischen Staates gegen den Imperialismus zu übernehmen. Schon jetzt befürwortet Genosse Trotzki die Gründung neuer Parteien und einer neuen Internationale zur aktiven Verteidigung der UdSSR. Aber die gesamte Sichtweise des Genossen Trotzki wird durch die Ereignisse völlig widerlegt, wie die Erfahrung zeigt. In der Tat wurde nach der Niederlage des Weltproletariats in Deutschland im vergangenen Februar die Phase der besten Beziehungen zwischen den kapitalistischen Staaten und dem Sowjetstaat eingeleitet. Man kann sagen, dass dies nur eine vorübergehende Phase ist und dass wir morgen den weltweiten Block gegen den russischen Staat sehen werden. Dass es sich dabei nicht um eine vorübergehende Phase handelt, beweist die Tatsache, dass der russische Staat seine wirtschaftlichen, strategischen und politischen Positionen genau in dem Moment festigt, in dem das Weltproletariat durch die Offensive des Feindes zurückgedrängt wird. Aber abgesehen von der Analyse der gegenwärtigen Situation muss die Perspektive des Genossen Trotzki mit der Wirklichkeit konfrontiert werden.
Der russische Staat war der Schwerpunkt des Weltproletariats, solange er sich auf das Programm des internationalen Sozialismus stützte. Damit meinen wir nicht ein idealistisches Festhalten an diesem Programm, sondern die Konzentration der Klassenkämpfe des Weltproletariats auf den Kampf des russischen Staates für die Weltrevolution und für den Aufbau des Sozialismus in Russland. Der Sieg des Programms des Sozialismus in einem Land bedeutet die Verdrängung des russischen Staates, der zu einem Hindernis sowohl für den Kampf des russischen Proletariats als auch für den revolutionären Kampf des Proletariats in anderen Ländern wird, von diesem Platz. Die Ereignisse in Deutschland haben diese Verdrängung des russischen Staates auf eindrückliche Weise bestätigt: die politischen Begriffe des Nationalbolschewismus, des Sozialfaschismus, die ganze Theorie der revolutionären Gewerkschaftsopposition, die die Partei außerhalb des Mechanismus des Klassenkampfes stellt, all diese Begriffe wurden von der zentristischen Bürokratie, die 1927 den russischen Staat übernahm, beim deutschen Proletariat eingeführt.
Die revolutionäre Rolle des russischen Staates ergibt sich nicht aus dem proletarischen Charakter dieses Staates, sondern aus der Politik, die er im nationalen und internationalen Bereich verfolgt. So hat die Politik des Zentrismus den russischen Staat von einer revolutionären zu einer reaktionären Rolle gebracht. Dass die neue Position, die die UdSSR unter der Führung des Zentrismus einnimmt, ihren Klassencharakter nicht aufhebt, ist jenen Marxisten vollkommen klar, die durch die Erfahrungen der Parteien der Zweiten Internationale geschult worden sind und die verstanden haben, dass die Gewerkschaftsbürokratie den Klassencharakter der Gewerkschaftsorganisationen nicht aufhebt.
Aber es gibt einen sehr wichtigen Unterschied zwischen dem Staat und der Gewerkschaft. Letzterer ist ein Organismus des Kampfes, der auf dem freiwilligen Beitritt des Proletariats beruht, während der Staat ein Organismus ist, der den Produktionsmechanismus kontrolliert und über die Zwangsmittel der Gewalt gegen die Proletarier verfügt, die den Kampf für den Kommunismus fortsetzen. In der Praxis drückt sich dieser Unterschied unserer Meinung nach in zwei unterschiedlichen Haltungen aus, die Marxisten einnehmen müssen. Angesichts eines faschistischen Angriffs müssen wir eine Einheitsfront mit der Sozialdemokratie bilden, um die gewerkschaftliche Organisation gegen die Angriffe des Feindes zu verteidigen. Beispiele dafür gab es während des Aufstiegs des Faschismus in Italien, als die Partei von der linken Strömung geführt wurde, von der unsere Fraktion behauptet, die Fortsetzung zu sein.
Aber der Staat, unter der Führung des Opportunismus, nimmt seinen Platz unter den Kräften der Reaktion ein und zwingt die Proletarier mit Gewalt, seine Politik zu unterstützen. Denn der Staat ist, anders als die Gewerkschaft, direkt mit dem Produktionsapparat verbunden. Folgt daraus, dass man die Notwendigkeit der zweiten Partei, einer zweiten Revolution verkünden muss und dass man gegen den Zentrismus, der die Führung des proletarischen Staates an sich gerissen hat, zu den Waffen greifen muss? Ja, für diejenigen, die den politischen Kampf als das Ergebnis eines Kampfes zwischen Anhängern gegensätzlicher Auffassungen betrachten. Nein, für Marxisten, die ihr Handeln auf den Prinzipien des Klassenkampfes aufbauen.
Der Zentrismus usurpiert die Führung des proletarischen Staates und dies beweist die Schwäche des russischen und des Weltproletariats, die revolutionäre Funktion des Staates zu sichern. Das russische Proletariat kann seine Stärke wiedererlangen, indem es seine linke Fraktion aufbaut, die allein die Kontinuität des Lebens der Klasse übernimmt. Wenn formal und nach den "Lehren" des Idealismus die Oppositionellen sich der Gewalt des Opportunismus widersetzen müssen, der Kommunisten deportiert und ermordet, so wird das Proletariat vom marxistischen Standpunkt aus darum kämpfen, den Organismus zu schmieden, der die richtige Gelegenheit abzuwarten weiß, um den Kampf zu führen, der den russischen Staat für die Arbeiterklasse zurückerobern kann.
Die Tatsache, dass der vom Zentrismus geführte Staat als reaktionäre Kraft eingestuft wird, wird durch die Rolle der kommunistischen Parteien in verschiedenen Ländern, insbesondere in Deutschland, belegt. Dies wird durch die Erfolge der Industrialisierung in der UdSSR nicht geleugnet. Dies sind keine Momente im Kampf des russischen Proletariats für den Aufbau des Sozialismus. In der Tat wird der Mehrwert jetzt dazu benutzt, den revolutionären Kampf in den verschiedenen Ländern zu behindern, und er wird morgen bei der Mobilisierung des Proletariats eingesetzt werden, um es dazu zu bringen, in einer der imperialistischen Konstellationen am Krieg teilzunehmen.
Letztlich hätten die Marxisten ihre Position gegenüber dem russischen Staat aus der Betrachtung eines in seiner historischen Funktion durch den Zentrismus entstellten Staates ableiten müssen. Anstelle des Dilemmas ‚Kapitalismus gegen den zentristisch geführten russischen Staat‘ hätte das wahre Dilemma ‚Imperialismus gegen den linken Flügel der KPR‘ lauten müssen.
Es ist zutiefst bedauerlich, dass Genosse Trotzki seine Position, die er 1927 vertrat, als er von der Clemenceau-Erfahrung sprach, aufgegeben hat, um jene andere politische Position einzunehmen, die er während des chinesischen Angriffs auf die Ostchinesische Eisenbahn verteidigte. Erst kürzlich – nach der deutschen Niederlage – behauptete Genosse Trotzki, dass die Linke an der Spitze des russischen Staates nur eine ähnliche Politik wie Stalin betreiben könne.
Der Sieg des Zentrismus und die Entwicklung seiner Funktion machen die Hypothese des universellen Kampfes des Kapitalismus gegen die UdSSR immer unwahrscheinlicher. Aber selbst wenn dies zuträfe, wäre der Platz des russischen und des Weltproletariats auf der Seite der Linken und nicht auf der Seite des Zentrismus, der im Krieg zur unvermeidlichen Schlussfolgerung seiner Politik käme und den proletarischen Charakter des Staates direkt ins Spiel brächte.
Genosse Trotzki spricht sich auch für die Gründung einer zweiten Partei in Russland aus. Aber die Bedingungen für eine zweite Partei bestehen in der Veränderung des proletarischen Charakters des russischen Staates: Parteien, die sich auf ein Programm stützen, das auf die Zerstörung des Staates gerichtet ist. Außerdem ist die Diktatur des Proletariats mit zwei Parteien nicht denkbar.
Die Oppositionen haben nicht einmal die sehr schwierigen Probleme des Aufbaus einer linken Fraktion der KPR, ihrer Beziehungen zu den Gewerkschaftsorganisationen und den Sowjets in Angriff genommen, und dies angesichts der realen Gefahr, dass der Klassenfeind diesen Kampf gegen den Zentrismus ausnutzen wird, um Russland für seine Herrschaft zurückzuerobern. Unsere Fraktion selbst hat diese Probleme nur gestreift, und es ist ihr noch nicht gelungen, eine positive Lösung zu finden. Doch dies ist eine der historischen Aufgaben der linken Fraktionen der kommunistischen Parteien.
Genosse Trotzki hat die Lösung dieser Probleme erheblich erschwert, indem er innerhalb der Internationalen Opposition ein Verbot gegen all jene aussprach, die es wagten, die von ihm gegenüber der UdSSR vertretene Position in Frage zu stellen. Auf der anderen Seite gelingt es den Militanten, die sich die Mühe machen zu behaupten, dass der russische Staat kein proletarischer Staat mehr ist und sich in was auch immer verwandelt hat, nicht, irgendeinen Fortschritt im Kampf der Arbeiterklasse zu erzielen. Im Gegenteil, da sie alle Hindernisse überspringen, die der marxistischen Analyse der ersten Erfahrung eines proletarischen Staates und eines vom Opportunismus besiegten Staates zugrunde liegen, verschaffen sie sich so einen billigen inneren Frieden und verbieten sich den Kampf für den Aufbau der Fraktion.
Es ist die Aufgabe der linken Fraktionen, das Proletariat auf die Rolle aufmerksam zu machen, die die UdSSR bereits in der Arbeiterbewegung gespielt hat, und bereits die Entwicklung aufzuzeigen, die der proletarische Staat unter der Führung des Zentrismus nehmen wird. Von nun an muss die Distanzierung von der Politik, die der Zentrismus dem Arbeiterstaat auferlegt hat, offenkundig sein. Die Arbeiterklasse muss vor der Position gewarnt werden, die der Zentrismus dem russischen Staat nicht in seinem Interesse, sondern gegen seine Interessen aufzwingen will. Morgen, und das muss heute gesagt werden, wird der Zentrismus die Interessen des Proletariats verraten.
Eine solche energische Haltung ist geeignet, die Aufmerksamkeit der Proletarier zu wecken, die Parteimitglieder aus den Klauen des Zentrismus zu reißen und den Arbeiterstaat wirklich zu verteidigen. Nur so können Energien für den Kampf mobilisiert werden, der den Oktober 1917 für das Proletariat bewahren wird.
In der Vergangenheit haben wir den Grundgedanken der "Fraktion" gegen die so genannte "Oppositions"-Position verteidigt. Mit Fraktion meinten wir den Organismus, der den Rahmen bildet, der die Kontinuität des revolutionären Kampfes gewährleistet, und der dazu berufen ist, der Träger des proletarischen Sieges zu werden. Gegen uns triumphierte der Begriff der "Opposition" innerhalb der Internationalen Linken Opposition. Letztere forderte, dass die Notwendigkeit einer Kaderausbildung nicht verkündet werden sollte: Der Schlüssel zu den Ereignissen liege in den Händen des Zentrismus und nicht in den Händen der Fraktion.
Diese Divergenz nimmt nun einen neuen Aspekt an, aber es ist immer noch derselbe Gegensatz, auch wenn es auf den ersten Blick scheint, dass das Problem heute darin besteht: für oder gegen die neuen Parteien. Genosse Trotzki vernachlässigt zum zweiten Mal die Arbeit der Kaderschulung völlig, weil er glaubt, dass er sofort zum Aufbau neuer Parteien und der neuen Internationale übergehen kann.
Es wird heute dafür plädiert, dass wir mit der sozialistischen Linken zusammenarbeiten, um die neue Internationale zu bilden. Zu diesem Zweck wird die Teilnahme Lenins an den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal hervorgehoben, die als unverzichtbare Vorläufer der Dritten Internationale dargestellt werden. Zunächst ist es notwendig, die Wahrheit über diese Konferenzen, die während des Krieges stattfanden, wiederherzustellen: Ihr Ziel war keineswegs die Bildung einer neuen Internationale, sondern die Wiederaufnahme der Verbindungen nach dem Verrat von 1914. Es ist auch nicht richtig, dass diese Konferenzen aus politischer Sicht Vorläufer der Dritten Internationale waren.
Andererseits ist es wahr, dass die Bolschewiki zwischen 1914 und 1919 langsam die Grundlagen der neuen Internationale vorbereiteten, aber nie in Zusammenarbeit mit den Formationen des Zentrums oder der linken Mitte, die an Zimmerwald und Kienthal teilgenommen hatten. Die galoppierende Eile der gleichen Genossen, die in den letzten Jahren hart gegen diejenigen gekämpft haben, die sich weigerten, auf die "Wiedererrichtung" der kommunistischen Parteien zu schwören, diese Eile, die neuen Parteien aufzubauen, hat nichts mit Lenins Werk zu tun. Auch nach dem Krieg nahm Lenin den Aufbau der neuen Internationale nicht sofort in Angriff, sondern setzte ihn erst nach dem Sieg der russischen Revolution fort.
Das Problem der sozialistischen Linken wird jetzt von Genosse Trotzki und der Internationalen Opposition in einem ganz neuen Licht dargestellt! Die Divergenz zwischen Lenin und uns in dieser Frage lag in der Vergangenheit auf dem Gebiet der Taktik, die gegenwärtige Divergenz zwischen dem Genossen Trotzki und unserer Fraktion liegt auf dem Gebiet der Prinzipien. Als in den Anfangsjahren der Komintern das Problem der Entwicklung der Partei durch den Beitritt einer Fraktion der sozialistischen Linken aufgeworfen wurde, dachten wir an die Aufnahme dieser Fraktion in die Partei, die bereits über eine Reihe etablierter programmatischer Positionen verfügte und die die in sie aufgenommene Formation assimilieren sollte. Doch heute ist das anders: Die sozialistische Linke wird als fähig angesehen, am Aufbau neuer Parteien mitzuwirken. Der Prozess der Bildung von Sektionen der Dritten Internationale – gegen den wir alle Vorbehalte aufrechterhalten, die der Genosse Bordiga seinerzeit geäußert hat – hat nichts mit der neuen Position des Genossen Trotzki zu tun. Die kommunistischen Parteien basierten in der Tat auf der ideologischen und programmatischen Abgrenzung, die sich aus der Russischen Revolution ergab: Alle Formationen der sozialistischen Linken hatten keine andere Wahl, als sich der Dritten Internationale anzuschließen oder auf die andere Seite der Barrikade zu wechseln. Die Formel des Genossen Trotzki "die sozialistische Linke entwickelt sich zum Kommunismus" wird durch die Erfahrungen der Nachkriegszeit kategorisch widerlegt: "die sozialistische Linke entwickelt sich zur Sozialdemokratie".
Wir sind der Meinung, dass der Krieg und die Russische Revolution einen endgültigen Bruch in der Geschichte darstellen. Vor 1914 waren die sozialistischen Parteien innerhalb der Arbeiterklasse zu finden, danach befanden sie sich auf der anderen Seite: innerhalb des Kapitalismus. Diese Umwandlung der Klassenposition der Sozialdemokratie bringt also einen grundlegenden Gegensatz zwischen den sozialistischen Linken, die die kommunistischen Parteien vorbereitet haben, und den sozialistischen Nachkriegslinken mit sich, die für die Sozialdemokratie notwendig sind, um die Massen zu täuschen und ihr zu ermöglichen, weiterhin ihre Funktion im Interesse des Feindes zu erfüllen. Die sozialistische Linke hinkt heute hinter dem, was die Russische Revolution gezeigt hat, hinterher und kann niemals mit den linken Fraktionen der kommunistischen Parteien koexistieren, um das Programm zu bestimmen, das die Lehren aus der großen Erfahrung einer proletarischen Regierung und der schrecklichen Erfahrung, die mit dem Sieg des Zentrismus einherging, für künftige Revolutionen umsetzen soll.
Außerdem haben diese Linken die Nachkriegsereignisse nur von der anderen Seite der Barrikade aus erlebt und vertreten daher Organismen, die viel rückschrittlicher sind als der Zentrismus selbst.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte die Sozialdemokratie in den Massen nur durch die direkte Intervention von Vandervelde und Co. wirken, an deren Händen noch immer das Blut der Proletarier klebte. Zu diesem Zeitpunkt konnte von einer sofortigen Wiederzusammenführung der Trümmer der Zweiten Internationale keine Rede mehr sein, und die Internationale Zweieinhalb war geboren.
Jetzt, nach den Ereignissen in Deutschland, wo die Sozialdemokratie ihre Rolle glänzend erfüllt hat (indem sie dem Faschismus die Macht in der neuen Form der gesellschaftlichen Organisation überließ, die dem Kapitalismus durch die wirtschaftlichen Bedingungen aufgezwungen wurde), braucht die internationale Sozialdemokratie die Hilfe ihres linken Flügels, um ihre Positionen in der Arbeiterklasse zu halten. Wenn es keine Initiative der sozialistischen Linken für eine neue internationale Organisation gegeben hat, wenn es nicht in allen Ländern zur Bildung unabhängiger sozialistischer Parteien gekommen ist, dann liegt das daran, dass die Politik des Zentrismus den kommunistischen Parteien ihre Fähigkeit genommen hat, das Proletariat zur Revolution zu führen. Die Sozialdemokratie kann nun für sich in Anspruch nehmen, in Deutschland eine Politik der Mitte betrieben zu haben, um die Rolle zu rechtfertigen, die sie bei den Ereignissen spielte, die zum Sieg des Faschismus führten.
Aber wenn heute die Bedingungen für die Bildung unabhängiger sozialistischer Parteien nicht gegeben sind, so spricht nichts dagegen, dass morgen, wenn die Lage komplizierter wird, solche Parteien gebildet werden. Daher ist es für uns von Interesse, eine allgemeine, für die Zukunft gültige Regel aufzustellen: Die Arbeit der Linksfraktionen für die Bildung neuer Parteien und der neuen Internationale kann nicht aus einer Zusammenführung von grundsätzlich gegensätzlichen historischen Gruppierungen resultieren: Die Parteien können nur aus der Arbeit der Linksfraktionen entstehen, und nur aus ihnen.
Die Funktion einer politischen Formation ergibt sich weder aus ihren Erklärungen noch aus der Intervention von Einzelpersonen, selbst wenn diese die Kraft und das Genie des Genossen Trotzki besitzen. Die sozialistische Linke ist ein integraler Bestandteil der sozialistischen Parteien, d.h. der gesellschaftlichen Kräfte, die seit 1914 im Dienste des Feindes stehen. Ihre möglichen Initiativen zur Gründung neuer Parteien oder einer neuen Internationale entsprechen nur der Notwendigkeit, die historische Funktion der sozialistischen Parteien fortzuführen. Ihr politisches Material hinkt hinter der Russischen Revolution her und ist gegen sie gerichtet; ihre Internationale ist nicht die Vierte Internationale, sondern die Internationale 2¾.
Zwischen der Internationalen Opposition der Linken und den sozialistischen Linken, die an der Bildung der neuen Parteien mitwirken würden, wäre es nicht die erste, die die zweite im Interesse der Revolution beugen würde. Das Gegenteil wäre der Fall, denn der Kampf um die Revolution ist nicht der Kampf individueller Fähigkeiten oder Fertigkeiten, sondern der Kampf der gesellschaftlichen Kräfte. Und in der heutigen Zeit, in der wir den Fortschritt der Offensive des Kapitalismus auf der ganzen Welt sehen, würden die stummen Kräfte der Kommunistischen Opposition zu Gefangenen der sozialistischen Linken werden, die sie schließlich lähmen, kompromittieren und zersetzen würden.
Das Problem des Aufbaus der neuen Parteien und der neuen Internationale wird in einer völlig falschen Weise angegangen. Anstelle einer gründlichen Analyse der Situation zur Überprüfung, ob die Voraussetzungen für die Gründung neuer Organisationen gegeben sind, wird die Notwendigkeit der Gründung einer neuen Internationalen von vornherein festgestellt. Aus der Formel: Eine Revolution ist ohne kommunistische Partei unmöglich, wird die vereinfachende Schlussfolgerung gezogen, dass die neue Partei bereits aufgebaut sein muss. Es wäre so, als ob wir aus der Prämisse: Ohne Aufstand können wir uns nicht verteidigen – nicht einmal die elementaren Forderungen der Arbeiter –, ableiteten, den Aufstand sofort zu starten. Vielmehr werden die linken Fraktionen nur dann zur Bildung neuer Parteien übergehen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Wir haben bereits auf die spezifischen Bedingungen für die Gründung der neuen Parteien und der neuen Internationale hingewiesen; wir haben auch erklärt, dass diese Bedingungen gegenwärtig nicht gegeben sind. Den Beweis für die historische Unreife der gegenwärtigen Bewegung zum Aufbau neuer Organisationen liefert der Genosse Trotzki, der gezwungen ist, sich an die sozialistische Linke zu wenden, um diese Arbeit zu übernehmen. Die Unreife der Situation lässt uns vorhersehen, dass die Internationale 2¾, die am entstehen ist, höchstwahrscheinlich auf eine bloße Änderung des Namens der Internationalen Linken Opposition reduziert werden wird. Sie wird bald ihren Irrtum erkennen und – so hoffen wir sehr – den schwierigen Weg der linken Fraktionen gehen. Aber wir müssen unser politisches Handeln auf die Positionen stützen, die derzeit von den führenden Organen der Opposition verkündet werden.
In dieser Hinsicht und solange die Zusammenarbeit mit der sozialistischen Linken nur eine Perspektive für die Zukunft bleibt, besteht die Aufgabe der Proletarier, die in der Opposition kämpfen, darin, sich in Fraktionen innerhalb dieser Organisationen zusammenzuschließen. Aber wenn wir praktisch zur gemeinsamen Arbeit mit den sozialistischen Linken für die Gründung neuer Parteien übergehen sollten, wäre es die Pflicht der Proletarier, diese Organisationen zu verlassen, denn der wirkliche Kampf für die Fraktionen der Linken, für die neuen Parteien, für die Vierte Internationale, würde außerhalb und gegen diese historischen Ausläufer stattfinden.
Die Internationale Linke Opposition hätte nach den Ereignissen in Deutschland eine Überprüfung der von ihr vertretenen politischen Positionen vornehmen müssen. Dies hätte in Zusammenarbeit mit allen Fraktionen geschehen müssen, die zuvor ausgeschlossen worden waren, weil sie andere politische Positionen vertraten. Ob es sich um die Politik des Wiederaufbaus der Partei oder um die Politik der Einheitsfront im Kampf zwischen Sozialdemokratie und Faschismus handelte, in beiden Fällen haben sich die von der Linken Opposition vertretenen Positionen im Laufe der Ereignisse in Deutschland als falsch erwiesen. Anstatt diese politische Überprüfung mit den ausgeschlossenen kommunistischen Gruppen durchzuführen, wendet sich die Opposition ihrer Ausweitung zu, während alle politischen Probleme im Dunkeln bleiben und alle politischen Differenzen erstickt werden. Die Wende selbst zeigt die Unfähigkeit der Opposition, den politischen Kampf innerhalb eines Zusammenschlusses kommunistischer Kräfte, die seit Jahren gegen den Zentrismus kämpfen, aufrechtzuerhalten.
Und doch kann nur dieser politische Kampf die neuen Parteien und die neue Internationale vorbereiten.
Schon jetzt hören wir eine bekannte Kritik an denjenigen, die wie wir für harte Arbeit beim Aufbau linker Fraktionen eintreten. Das Echo der Kritik der Reformisten, als wir die Kommunistische Partei aufbauten, oder der Zentristen, als wir um linke Fraktionen kämpften, ist in den Reihen der Opposition wieder zu hören. Wir seien "diejenigen, die nichts tun und nichts tun wollen", im Gegensatz zu all denen, die sich zwanglos auf das Abenteuer einlassen, eine neue Internationale aufzubauen.
Aus marxistischer Sicht wird die Arbeit der Massen nicht als Mobilisierung der Gefühle der Arbeiter für politische Formationen verstanden, die von den Journalisten aller Parteien als die dominierenden Elemente der Situation dargestellt werden. Vielmehr ist die einzige wirkliche Mobilisierung darin zu sehen, die Massen aufzufordern, sich auf Klassenpositionen und innerhalb ihrer spezifischen Organisationen zu konzentrieren. So werden wir den Kampf der Massen für ihre eigenen Forderungen und in ihren gewerkschaftlichen Organisationen dem empörenden Tamtam der Kongresse von Amsterdam und Paris, die die Arbeiter zur Bildung von Komitees außerhalb des Klassenkampfes aufrufen, sowie dem Antifaschismus und dem so genannten Klassenantifaschismus brutal entgegensetzen. Diese Formulierungen beherrschen die Illusion, "viel zu tun", während sie "nichts tun", weil sie den journalistischen und bürokratischen Skandal durch die tatsächliche Arbeit der Massen ersetzen, die nur auf der Grundlage von Klassenforderungen und Organisationen geleistet wird.
In ähnlicher Weise haben die Anhänger des Aktivismus bei der Gründung der neuen Parteien, anstatt den Organismus für die politische Aktion, die Fraktion, aufzubauen, viel Aufhebens von der Notwendigkeit gemacht, keinen Augenblick zu vergeuden, um sich in die Arbeit zu stürzen, in die einzige Arbeit, die zähle, nämlich die, die Partei aufzurichten. Und wenn die Partei nicht mehr aufzurichten ist, dann ändert man, ohne zu zögern, einfach die äußere Form der bisherigen Position und macht sich daran, neue Parteien aufzubauen. Es ist offensichtlich, dass Demagogie und flüchtiger Erfolg auf der Seite des Sports und nicht auf der Seite der revolutionären Arbeit stehen.
Diese Arbeit verdichtet sich in der vorher zu entscheidenden Notwendigkeit der schmerzlichen intellektuellen Anstrengungen der Proletarier, die vergangenen Ereignisse zu verstehen, um den Organismus zu schaffen, der für politische Positionen kämpft, die die kommunistische Lösung für diese Ereignisse bieten. Ohne diese geistige Arbeit ist keine Massenarbeit möglich, kann keine Mobilisierung für die proletarische Revolution erreicht werden. Die Internationale Opposition hat in der so genannten "Periode des Aufschwungs" den Rahmen der linken Fraktionen gesprengt, indem sie kommunistische Gruppen in allen Ländern ausschloss, sich auf Argumente stützte, die die Proletarier verführen und täuschen, sie aber nicht aufklären, und die irreführende Perspektive aufstellte, dass nur durch diese Ausschlüsse die Bedingungen für die Erholung der Parteien erreicht werden. Hätte die Linke Opposition die Fraktionen nicht zerschlagen, um die Parteien „wiederaufzurichten“, wäre sie nach den deutschen Ereignissen nicht gezwungen, an die sozialistische Linke zu appellieren, sondern hätte dank ihrer ideologischen und organisatorischen Stärkung die Möglichkeit, die Bewegungen, die innerhalb der kommunistischen Parteien entstehen, zu kanalisieren. Auch heute, nach der Wende, kämpft die Linke Opposition gegen jene Kommunisten, die standhaft den Lehren der Ereignisse unserer Meister treu bleiben, und bezeichnet diese Kommunisten als "Parasiten der neuen Partei von morgen". Auch wenn die Linke Opposition von Massenarbeit redet, stellt sie sich damit außerhalb der kommunistischen Massenarbeit. Sie wirft uns nur Sand in die Augen mit dem Lieblingsargument des Opportunismus, der schon immer mehr realistisch als revolutionär, besser informiert und aktiver als die standhaften Kommunisten war.
Es ist sicher, dass es dem Genossen Trotzki gelingen wird, seine Persönlichkeit vor den politischen Komplikationen zu bewahren, die durch die Zusammenarbeit mit der sozialistischen Linken bei der Gründung neuer Parteien entstehen werden. Aber es geht nicht um die Persönlichkeit des Genossen Trotzki, es geht um die Interessen der kommunistischen Bewegung, die nicht von Trotzkis Persönlichkeit abhängen, sondern vom Klassenkampf und den politischen Kräften am Werk. Und in dieser Hinsicht sind die einzig gültigen Handlungsregeln diejenigen, die mit den Lehren des Marxismus verbunden sind und denen das Proletariat entsprechen muss, um aus der schrecklichen Situation herauszukommen, in der es sich derzeit befindet.
Die Linksfraktion der KPI hat immer wieder Lösungen vorgeschlagen, die es uns ermöglicht hätten, in der Arbeit voranzukommen und uns den vor uns liegenden Aufgaben zu stellen. Auf der Pariser Konferenz, wie auch danach, wurden unsere Vorschläge unter dem Vorwand, selber viel mehr zu tun, abgelehnt. Selbst heute, wenn wir eine sorgfältige Auseinandersetzung unter den Kommunisten über die politischen Positionen vorschlagen, die während der Nachkriegsereignisse verteidigt wurden, reagiert man in der Form der Gründung einer neuen Internationale. Wir bekräftigen jetzt schon, dass die Vierte Internationale nicht mit allgemeinem Misstrauen, mit dem Ausschluss von Militanten aus der Linken Opposition, mit dem kleinlichen Kampf des Skandals gegen die linken Kräfte der Opposition gegründet werden wird. Die Internationale, die unter solchen Bedingungen aufgebaut wird, wird ihren Platz nach der Internationale Zweieinhalb haben.
Die Vierte Internationale, die neuen Parteien, werden in einer völlig anderen politischen Atmosphäre vorbereitet. Dort, wo die Vergangenheit, die wir gerade durchlebt haben, verstanden wird, ohne auf Manöver zurückzugreifen, die einen flüchtigen Erfolg ermöglichen. Große historische Ereignisse werden die Gründung dieser neuen Organisationen begleiten, aber damit diese Ereignisse in der Weltrevolution gipfeln können, müssen die wesentlichen Voraussetzungen für den Kampf, die linken Fraktionen, schon jetzt vorbereitet werden. Diese haben nichts mit voreiligen Experimenten zu tun und können ihre Verantwortung nicht mit Abenteuern verbinden, die nicht die neuen Organisationen, sondern deren Karikatur verwirklichen und die den Kampf des Proletariats für die Revolution, für den Sturz des Kapitalismus in der ganzen Welt zurückwerfen und nicht vorantreiben werden.
Die Exekutivkommission der Linksfraktion der Italienischen Kommunistischen Partei
23. August 1933
Links
[1] https://en.internationalism.org/content/17521/choosing-one-side-against-another-always-means-choosing-imperialist-war
[2] https://www.theguardian.com/law/2017/apr/18/opening-un-holocaust-files-archive-war-crimes-commission
[3] https://en.internationalism.org/content/17615/anti-semitism-zionism-anti-zionism-all-are-enemies-proletariat-part-1
[4] https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus