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Internationale Revue 15

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Wer kann die Welt verändern? Das Proletariat ist die revolutionäre Klasse (Teil 2)

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Im ersten Teil dieses Artikels haben wir die Gründe aufgezeigt, weshalb das Proletariat die revolutionäre Klasse in der kapitali­stischen Gesellschaft ist. Wir haben gesehen, dass es die einzige Kraft ist, die fähig ist, eine neue Gesell­schaft zu kreieren, die sich der Ausbeutung entledigt hat und die in der Lage ist, die Bedürfnisse der Menschheit vollauf zu befriedigen und die "unlösbaren" Widersprüche aufzulösen, die die heutige Welt zu­grunderichten. Diese Fähigkeit des Proleta­riats, die der Marxismus schon im letzten Jahrhundert her­vorgehoben hatte, rührt nicht einfach aus dem Ausmaß des Elends und der Unterdrückung her, denen es tagtäg­lich ausgesetzt ist. Sie beruht noch weniger auf irgendeiner "göttlichen Einge­bung", die das Proletariat zum "Messias der heutigen Zeit" macht, so wie das ei­nige bürgerliche Ideologen dem Marxismus unter­stellen. Diese Fähigkeit beruht vielmehr auf den sehr konkreten und materiellen Bedingungen: die spezifische Stellung, die diese Klasse in den kapitalistischen Produktionsver­hältnissen einnimmt, ihren Status als kollektiver Produzent des Großteils der gesellschaftlichen Reichtümer und als ausgebeutete Klasse in­nerhalb derselben Produktionsver­hältnisse. Diese Stellung im Kapitalismus erlaubt es ihr nicht, im Gegensatz zu anderen ausgebeuteten Klassen und Schichten, die in der Gesellschaft überlebt haben (z.B. die Klein­bauern), auf eine Rückkehr in die Vergan­genheit zu hoffen. Sie ist im Gegenteil gezwungen, sich der Zu­kunft zuzuwenden, der Abschaffung der Lohnarbeit und dem Aufbau einer kommunisti­schen Gesellschaft.


Alle diese Elemente sind nichts Neues: sie sind alle Bestandteil des klassischen Erbgutes des Marxismus. Eines der hinterhäl­tigsten Mittel jedoch, mit denen die bürgerliche Ideologie die Arbeiterklasse von ihrem kom­munistischen Projekt abzubrin­gen versucht, ist, ihr einzure­den, dass sie dabei sei, ihrem Verschwinden entgegenzugehen, oder gar schon jetzt nicht mehr existiere. Die revolu­tionäre Perspektive habe Sinn gemacht, als die Industriearbeiter eine überwältigende Mehrheit der Lohnempfän­ger ausmachten. Doch mit der aktuellen Schrumpfung dieser Kategorie ver­schwinde auch eine solche Perspek­tive. Man muss übrigens festhalten, dass dieses Gerede nicht nur auf die weniger bewus­sten Arbei­ter einen Einfluss ausübt, sondern auch auf gewisse Gruppen, die sich auf den Kommu­nismus berufen. Dies ist ein zusätzlicher Grund, solch ein Geschwätz entschieden zu bekämpfen.

 

Das angebliche Verschwinden der Arbeiterklasse

Die bürgerlichen "Theorien" vom "Verschwinden des Proletariats" haben eine lange Vorgeschichte.  Jahrzehntelang stützten sie sich dabei auf die Tatsache, dass sich der Lebensstan­dard der Arbeiter in einem gewissen Maße verbes­sert habe. Die Möglichkeit für Letztere, Konsumgüter zu erwerben, die zuvor der Bourgeoisie oder dem Kleinbürgertum vorbehalten waren, veranschauliche deutlich das Verschwinden der proletarischen Bedingungen. Schon damals hatten solche "Theorien" weder Hand noch Fuß: Wenn das Automobil, der Fernseher oder Kühlschrank dank der Steige­rung der Pro­duktivität der menschlichen Ar­beit verhältnismäßig preiswert sind, bedeutet - abgesehen davon, dass diese Güter unverzichtbar sind für die Entwicklung der Lebenswelt der Arbeiter(1) - die Tatsa­che, sie zu besitzen, noch lange nicht, dass man sich vom Arbeiterdasein be­freien kann oder weniger ausgebeu­tet wird. In Wirklich­keit ist der Grad der Ausbeutung der Ar­beiterklasse nie bestimmt ge­wesen durch die Menge oder die Art der Konsumgüter, über die sie in einem gegebenen Mo­ment verfügen konnte. Marx und der Marxis­mus ha­ben auf diese Frage schon vor langer Zeit eine Antwort gegeben: Die Kauf­kraft der Lohnempfänger entspricht dem Wert ihrer Arbeitskraft, das heißt, der Menge der Güter, die für ihre Wiederherstellung notwen­dig ist. Wenn ein Kapitalist dem Arbeiter einen Lohn zahlt, ist es in seinem Interesse, dem Letzteren seine weitere Teilnahme am Produktionsprozess unter den bestmöglichen Bedingungen für die Profitabilität des Kapitals zu gestatten. Dies setzt voraus, dass der Arbeiter nicht nur über Lebensmittel (Nahrung, Kleidung, Wohnung) verfügt, sondern sich auch erholen und die notwendige Qualifikation erlangen kann, um die sich ständig wandelnden Produktionsmittel in Gang zu setzen.

Aus diesem Grund hat die Einführung von bezahltem Urlaub und seine Verlängerung, die man in den hochentwickelten Län­dern im Verlaufe des 20. Jahrhunderts fest­stellen konnte, nichts mit irgendeiner "Philantropie" der Bourgeoisie zu tun. Sie ist notwendig geworden durch die kolos­sale Steigerung der Arbeitsproduktivi­tät und somit der Intensität der Arbeit wie auch des urbanen Lebens in seiner Gesamtheit, die diese Periode kennzeichnete.  Auch das (relative) Verschwinden der Kinderarbeit und die Verlängerung der Schulzeit (wobei Letzteres auch ein Mittel zur Verschleierung der Arbeitslosigkeit geworden ist), die uns als weitere Manifestation der Fürsorglichkeit der herrschenden Klasse präsentiert werden, sind im Kern der Notwendigkeit für das Kapital geschuldet, über Ar­beitskräfte zu verfügen, die den Anforderungen einer Produktion entsprechen, deren Technologien sich pausenlos weiterentwickeln. Was übrigens die Lohn-"Erhöhungen" angeht, de­rer sich die Bourgeoisie vor al­lem seit dem Zweiten Weltkrieg rühmt, so muss man die Tatsache berücksichtigen, dass die Arbeiter heute länger für den Unterhalt ihrer Kinder aufkommen als in der Vergangen­heit. Als die Kinder noch mit zwölf oder noch weniger Jahren arbeiten gingen, lieferten sie ungefähr zehn Jahre lang ein Zubrot an ihre Familien an ab, ehe sie selbst einen Haushalt gründeten. Mit einer bis zum 18. Lebensjahr ausgedehnten Schulzeit verschwindet dieser Zuschuss fast gänzlich. Mit anderen Worten, die Lohn-"Erhöhungen" sind auch und zum größten Teil eines der Mittel, mit welchen der Kapi­talismus den Nachwuchs der Arbeitskräfte auf die Bedingungen der neuen Technologien vorbereitet.

Auch wenn der Kapitalismus der hochentwic­kelten Länder eine Zeitlang  Illusionen über die Reduzierung der Ausbeu­tung von Lohnabhängigen schüren konnte, war dies nichts anderes als äußerer Schein. Tatsächlich ist die Ausbeu­tungsquote, d.h. das Verhältnis zwischen dem vom Arbeiter produ­zierten Mehrwert und dem Lohn, den er er­hält(2), ständig gewachsen. Daher sprach schon Marx von ei­ner "relativen" Ver­armung der Arbeiterklasse als permanente Tendenz im Kapitalismus. In den "Wirtschaftswunderjahren", die von der Bourgeoisie so getauft wurden (den Jahren der relativen Prosperität des Kapitalismus, die mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg korrespondierten) ver­stärkte sich die Ausbeutung der Ar­beiter kontinuierlich, auch wenn sich dies nicht in einem Sinken ihres Lebensniveaus ausdrückte. Abgesehen davon geht es heute nicht schlicht um die Frage der relativen Verarmung. Die "Verbesserungen" in den Einkommen der Arbeiter sind im Laufe der Zeit auf­gefressen worden,  und die absolute Verar­mung, de­ren endgültiges Verschwinden die Vorsänger der bürgerlichen Ökonomie angekündigt hatten, ist mit aller Macht in die "reichen" Ländern zurückgekehrt. Jetzt, wo die Politik aller nationalen Sektoren der Bourgeoisie angesichts der Krise darin besteht, zu harten Schlägen gegen den Le­bensstandard der Proletarier auszuholen, durch die Arbeitslosigkeit, die dra­stische Kürzung von Sozialleistungen und auch durch die Sen­kung der Nominallöhne, ist das Geschwätz über die "Konsumgesellschaft" und die "Verbürgerlichung" der Arbeiterklasse verstummt. Aus diesem Grunde hat das Gerede über das "Aussterben des Pro­letariats"  seine Argu­mente gewechselt und stützt sich mehr und mehr auf die Veränderungen, die unterschiedliche Fraktionen der Klasse betreffen, insbesondere der Rückgang der industriellen Arbeitskraft und der sinkende An­teil der "Handarbeiter" an der Gesamtarbeitskraft.

Solche Reden beruhen auf einer groben Ver­fälschung des Marxismus. Der Marxis­mus hat das Proletariat nie einfach mit dem industriellen oder "manuellen" Proletariat (dem "Blaumann") gleichge­setzt.  Es stimmt, dass zu Marx' Lebzeiten die größten Bataillone der Arbeiterklasse sogenannte "Handarbeiter" waren. Doch hat es hat im Prole­tariat schon immer Sektoren gegeben, die mit hochentwickelten Technologien arbeiteten, welche wichtige wissen­schaftliche Kenntnisse erforderten. Beispielsweise machten gewisse traditionelle Handwerke eine lange Lehrzeit der "Gesellen" erforderlich. Desgleichen Berufe wie Korrektoren in Drucke­reien, die über unverzichtbare Kenntnisse verfügen mussten und so "intellektuellen Ar­beitern" ähnelten. Dies hat nicht ver­hindert, dass diese Sektoren sich häufig in der Avantgarde der Arbeiterkämpfe wiederfanden. Im Grunde entspricht der Gegensatz zwischen den "Blaumann"- und den "Stehkragen"-Arbeitern einer Aufteilung, wie sie die Soziologen und ihre bürgerlichen Auftrag­geber gerne se­hen und die dazu be­stimmt ist, die Arbeiter zu spalten. Daher sind solche Ge­gensätze übrigens nichts Neues, denn die herr­schende Klasse hat schon lange begriffen, dass es in ihrem Interesse ist, viele Ange­stellte glauben zu machen, sie gehörten nicht der Arbeiterklasse an. In Wirk­lichkeit hängt die Zugehörigkeit zur Arbeiter­klasse nicht von soziologischen und noch we­niger von ideologischen Kriterien ab, d.h. von der Vorstellung, die sich dieser oder jener Ar­beiter oder gar ganze Kategorien der Arbeiter­klasse über ihr Leben machen. Es sind grundsätzlich ökonomische Kriterien, die eine solche Zugehörigkeit bestimmen.

 

Die Kriterien: Wer gehört der Arbeiterklasse an?

Grundsätzlich ist das Proletariat die spezifische ausgebeutete Klasse der kapitalistischen Produktionsverhält­nisse. Daraus leiten sich, wie wir schon im ersten Teil dieses Artikels gesehen haben, folgende Kriterien ab: "Die Tatsache, jeglicher Produktionsmittel beraubt und gezwungen zu sein, seine Arbeitskraft an jene zu verkaufen, die sie besitzen und die diesen Tausch nutzen, um sich einen Mehrwert anzueignen, bestimmt die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse." Es ist angesichts all der Verfälschun­gen, die über diese Frage verbreitet worden sind, notwendig, diese Kriterien zu präzisieren.

An erster Stelle ist zu bemerken, dass die Tat­sache, lohnabhängig zu sein, allein nicht ausreicht, um der Arbeiterklasse anzugehö­ren. Andernfalls wären die Bullen, die Pfaffen, die Generaldirek­toren großer Unternehmen (besonders der öffentlichen Betriebe) oder sogar die Minister Ausgebeutete und somit potentielle Kampfge­fährten derer, die sie unterdrücken, verdummen und sich für einen zehn- oder hundertfach niedrigeren Lohn  abrackern lassen.(3) Es ist also uner­lässlich, darauf hinzuweisen, dass es ein Merkmal der Arbeiterklasse ist, Mehr­wert zu produzieren. Dies bedeutet insbe­sondere zweierlei:

  • Das Gehalt eines Arbeiters übersteigt niemals ein bestimmtes Level; ein Einkommen darüber hinaus kann nur aus Mehrwert stammen, der anderen Arbeitern abgepresst wurde.(4)
  • Ein Proletarier ist ein reeller Produ­zent von Mehrwert und kein bezahlter Funktionär des Kapitals, der die Funktion hat, für die Durchsetzung der kapitalistischen Ordnung unter den Produzenten zu sorgen.

So mag es unter den Beschäftigten eines Betriebes Techniker (und gar Ingenieure) ge­ben,  deren Gehaltshöhe nicht weit entfernt ist vom Lohn eines Facharbeiters und die derselben Klasse angehören wie Letztere, wohingegen jene, deren Einkünfte viel mehr denen der Bosse gleichen, es nicht tun (selbst wenn sie keine Rolle bei der Einhegung der Arbeitskräfte spielen). Ebensowenig können in diesem Betrieb dieser oder jener "kleine Vorgesetzte" oder "Betriebssheriff", des­sen Lohn niedriger sein mag als der eines Technikers oder sogar eines Fachar­beiters, des­sen Rolle jedoch die eines "Kapos" im industri­ellen Straflager ist, als Teil des Pro­letariats ange­sehen werden.

Umgekehrt bedeutet die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse nicht zwangsläufig eine di­rekte und unmittelbare Beteiligung an der Mehr­wertproduktion. Der Lehrer, der den zukünftigen Produzenten ausbildet, die Kranken­schwester oder gar der nicht-selbständige Mediziner (der heute manchmal weniger verdient als ein Fachar­beiter), die die Arbeitskraft der Arbeiter "reparieren", gehören (auch wenn sie gleichzeitig Bullen, Pfaffen oder Gewerkschaftsfunktio­näre, ja so­gar Minister pflegen) zweifellos genauso der Arbeiterklasse an wie der Koch in einer Betriebskantine. Selbst­verständlich heißt das nicht, dass dies auch für Universitätsbonzen oder für die selbständigen Ärzte gilt. Es ist aber notwendig zu prä­zisieren, dass die Tatsache, dass die Mitglie­der der Lehrerschaft, eingeschlossen die GrundschullehrerInnen (deren wirtschaftliche Lage im allgemeinen nun wirklich nicht gerade glänzend ist), bewusst oder unbe­wusst, freiwillig oder unfreiwillig die bürgerlichen ideologischen Werte vermitteln, sie nicht von der ausgebeuteten und revolu­tionären Klasse ausschließt, ebenso wenig wie die Me­tallarbeiter, die Waffen produ­zieren.(5) Im Übrigen kann man feststellen, dass im Laufe der Geschichte der Arbeiter­bewegung die Lehrer (insbesondere die Grundschullehrer) eine beträchtliche Anzahl von Revolutionären gestellt haben. So wie auch die Arbeiter der Kriegswerften in Kronstadt Teil der Vorhut der Arbeiter­klasse in der Russischen Revolution 1917 waren.

Es ist gleichzeitig zu unterstreichen, dass die große Mehrheit der Angestellten ebenfalls der Arbeiterklasse angehört. Wenn wir den Fall ei­ner Verwaltung nehmen wie die Post, so würde niemand auf den Gedanken kom­men zu behaupten, dass die Mechaniker, die die Fahrzeuge der Post warten, und die Ange­stellten, die sie fahren, wie auch jene, die die Postsäcke umschlagen, nicht zum Proleta­riat gehörten. Davon ausgehend ist es nicht schwierig zu verstehen, dass ihre Kolle­gen, die die Briefe austragen oder an den Schaltern arbeiten, um Pakete zu frankieren oder Zahlungsanweisungen entgegenzuneh­men, sich in der gleichen Situa­tion befinden. Daher gehören die Bank- und Versi­cherungsangestellten, die kleinen Angestellten der Sozialversiche­rungskassen oder der Steuer­verwaltung, de­ren Status vollkommen gleich­wertig mit Ersteren ist, gleichermaßen zur Arbeiterklasse. Und man kann nicht einmal ins Feld führen, dass Letzte­re bessere Arbeitsbedingungen hätten als In­dustriearbeiter, als ein Schlosser oder ein Frä­ser beispielsweise. Den ganzen Tag hinter ei­nem Schalter oder vor einem Bild­schirm ei­nes Computers zu arbeiten ist nicht weniger mühsam, als eine Werkzeug­maschine zu bedienen, auch wenn man sich dort die Hände nicht schmutzig macht. Zu­dem wird einer der objektiven Faktoren, die hinter der Fähigkeit des Proletariats stecken, als Klasse zu kämpfen und den Kapitalismus zu stürzen, der assoziierte Charakter seiner Arbeit, durch die moder­nen Produktionsbedingungen überhaupt nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, er wird immer ausgeprägter.

Ebenso erfordert das sich ständig hebende technologische Niveau der Produktion eine stei­gende Anzahl von, wie sie die Sozio­logen nennen, "Managern" (Techniker oder sogar Ingenieure), deren sozialer Status und Einkom­men überwiegend sich dem der Facharbeiter annähert. Es handelt sich hierbei keinesfalls um das Phä­nomen einer verschwindenden Arbeiterklasse zugun­sten der "Mittelschichten", sondern umgekehrt um ein Phänomen der Proletarisierung Letzterer.(6) Deshalb hat das Gerede über das "Verschwinden des Proletariats", das aus der steigenden Anzahl von Angestellten oder "Führungskräften" im Vergleich zur Anzahl der "Hand"-Arbeiter in der Industrie re­sultieren soll, keinen anderen Sinn, als zu versu­chen, die einen wie die anderen zu täuschen und zu demoralisieren. Ob die Urheber die­ser Reden daran glauben oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle: Sie können der Bourgeoisie einen durchaus nützlichen Dienst auch als Hohlköpfe erweisen, die nicht einmal fä­hig sind, sich zu fragen, wer wohl den Kugelschreiber herge­stellt hat, mit dem sie ihren Blödsinn niederschreiben.

 

Die angebliche "Krise" der Arbeiterklasse

Um die Arbeiter zu demorali­sieren, setzt die Bourgeoisie nicht alles auf ein Pferd. Daher hat sie für jene, die nicht auf die Kampagnen über das "Verschwinden der Arbeiter­klasse" hereinfallen, die Idee in der Hinterhand, dass die Ar­beiterklasse "in der Krise" sei. Und eines der Argu­mente, das für den Beweis dieser Krise ent­scheidend sein soll, ist der Rückgang in den Mitgliederzahlen der Gewerkschaften im Verlaufe der letzten zwei Jahrzehnte. Im Rah­men dieses Artikels können wir nicht auf unsere Analyse zurückkommen, die den bürgerlichen Charakter des Gewerk­schaftswesens beweist. In der Tat liefert die tägliche Erfahrung der Arbeiterklasse, die systema­tische Sabotage ihrer Kämpfe durch die Or­ganisationen, die vorge­ben, sie zu "verteidigen", diesen Be­weis.(7) Und gerade diese Erfahrung der Arbeiter ist in erster Linie für ihre Ablehnung der Gewerkschaften verantwortlich. In diesem Sinn ist diese Ablehnung nicht ein "Beweis" irgendeiner Krise der Arbeiter­klasse, son­dern im Gegenteil und vor allem eine Manifestation einer in der Klasse ablaufenden Be­wusstwerdung. Eine Veranschauli­chung dieser Tatsache, nur eine von tausen­den, ist die Haltung der Ar­beiter in zwei großen Bewegun­gen, die in Frankreich im Ab­stand von 30 Jah­ren stattgefunden haben. Am Ende der Streiks im Mai/Juni 1936, in­mitten der tief­sten Konterrevolution, die auf die Welle der Weltrevolution nach dem Ersten Weltkrieg folgte, profitierten die Gewerk­schaften von einer beispiellosen Eintrittswelle. Dagegen war das Ende des General­streiks im Mai 1968, der das historische Wie­deraufleben des Klassenkampfes und den Ab­schluss jener konterrevolutio­nären Periode anzeigte,von zahlreichen Austritten aus den Gewerk­schaften, von Unmengen zerrissener  Mitgliederkar­ten gekennzeichnet.

Wenn jemand den Mitgliederschwund der Gewerkschaften als Beweis für die Schwierig­keiten der Arbeiterklasse darstellt, dann ist dies ein sicheres Anzeichen für seine Zugehö­rigkeit zum bürgerlichen Lager. Es ist genau dasselbe wie mit dem angeblich "sozialistischen" Charakter der stalinistischen Re­gimes. Die Geschichte hat, besonders mit dem Zweiten Weltkrieg, gezeigt, wie verheerend diese Lüge, die von allen Teilen der Bourgeoisie, von den Rechten, den Linken und den Linksextremisten (Stalinisten, Trotzkisten), verbreitet wurde, auf das Bewusst­sein der Arbei­ter ge­wirkt hat. In den letzten Jahren konnten wir erleben, wie der Zu­sammenbruch des Stalinismus als "Beweis" für den endgültigen Bankrott jeglicher kommunisti­schen Perspek­tive instrumentalisiert wurde. Die Lüge vom "proletarischen Cha­rakter der Gewerkschaf­ten" ist im Kern vergleichbar: Zuerst dient sie dazu, die Ar­beiter hinter den kapitalisti­schen Staat zu scha­ren;  dann ver­sucht man, aus ihnen ein Instru­ment zur Demoralisierung und Desorientierung der Arbeiter zu machen. Jedoch haben diese beiden Lügen unterschiedliche Auswirkungen: Da es nicht aus Arbeiterkämpfen resultierte, konnte das Scheitern der stalinistischen Regimes wirksam gegen das Proletariat benutzt werden; umgekehrt re­sultiert der Misskredit der Gewerkschaften aus eben den Arbeiterkämpfen, was den Ein­fluss als demo­ralisierenden Faktor stark ein­schränkt. Ge­nau deshalb hat die Bourgeoisie übrigens eine "Basis"-Gewerkschaftsbewegung ermutigt, die die Nachfolge der traditionellen Gewerkschaften antreten soll. Genau deshalb fördert sie Ideo­logen mit "radikaleren" Allüren, die die gleiche Art von Bot­schaft übermitteln sol­len.

So kam es, gefördert von der Presse (8), zu einem Aufblühen von Analysen, wie die von Alain Bihr, Doktor der Sozio­logie und unter anderem Autor eines Buches mit dem Titel "Du grand soir l'alternative: la crise du mouvement ouvrier européen" (etwa: Vom Tag der Wende zur Alternative: Die Krise der europäischen Arbeiterbewegung). An sich sind die Thesen dieses Herrn nicht sehr inter­essant. Der Umstand aber, dass sie seit einiger Zeit Einfluss in Milieus gewinnen, die sich auf die Kommunistische Linke beru­fen, von denen wiederum einige nicht davor zurückschrecken, seine "Analysen"(9) ("kritisch", versteht sich) zu übernehmen, veranlasst uns, die Gefahr, die diese darstel­len, zu entblößen.

Alain Bihr präsentiert sich als ein "wahrer" Vertreter der Arbeiterinteressen. Daher gibt er nicht vor, dass die Arbeiter­klasse da­bei sei, in der Versenkung zu verschwinden. Im Gegen­teil, er be­ginnt mit der Aussage: "...die Grenzen des Proletariats erstrecken sich heute weit über die traditionelle 'Arbeiterschaft' hin­aus." Dies tut er aber nur, um seine zen­trale Bot­schaft besser rüberzubringen: "Nun hat man aber im Verlaufe der letzten fünfzehn Jahre der Krise in Frankreich wie in den mei­sten westli­chen Ländern eine zuneh­mende Zersplitterung des Proletariats be­obachtet, die, weil sie des­sen Einheit in Frage stellt, darauf hinausläuft, es als ge­sellschaftliche Kraft zu lähmen."(10)

So ist das Hauptvorhaben unseres Autors, aufzuzeigen, dass das Proletariat "in der Krise ist", und dass verantwortlich für diese Situa­tion die Krise des Kapitalismus selbst sei, ein Grund, dem man natürlich die so­ziologischen Änderungen hinzufügen müsse, die die Zu­sammensetzung der Ar­beiterklasse erfahren habe: "Tatsächlich tendieren die laufenden Umwälzungen des Lohnverhältnisses mit ihren globalen Wir­kungen der Fragmentierung und der 'Entmassung' (demassification)  des Proletari­ats (....) dazu, die beiden proletarischen Erscheinungen aufzulösen, die ihm seine großen Ba­taillone während der fordistischen Ära geliefert haben: einerseits den ge­lernten Ar­beiter, den die gegenwär­tigen Transformatio­nen tiefgreifend umge­stalten, die alten Kategorien des mit dem Fordismus verknüpften Fachar­beiters, die tendenziell verschwinden, während neue Katego­rien von 'Gelernten'  in Verbin­dung mit den neuen au­tomatisierten Arbeits­prozessen erscheinen; andererseits der nicht-qualifi­zierte bzw. ange­lernte Arbeiter, die Speerspitze der proleta­rischen Offensive der 60er und 70er Jahre, der immer mehr durch den prekären Arbei­ter in diesen automati­sierten Arbeitsprozes­sen eliminiert und ersetzt wird".(11) Abgesehen von der schulmeisterlichen Sprache (die den Kleinbürgern, die sich für "Marxisten" halten, Vergnügen bereitet) tischt uns Bihr die glei­chen Klischees auf, die uns schon Generatio­nen von Soziologen zugemutet haben: Die Automati­sierung der Produktion sei verant­wortlich für die Schwächung des Proletariats (da er "Marxist" sein will, spricht er nicht vom "Verschwinden"), usw. Und er schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er vor­gibt, dass der Rückgang der Mitgliederzahlen der Gewerkschaften auch ein Zei­chen der "Krise der Arbeiter­klasse" sei: "Alle Untersuchungen, die über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und die Pre­kärität erstellt wurden, zeigen, dass diese dazu neigen, die alten Spal­tungen und Ungleichheiten im Proletariat (...) zu reaktivieren und zu verstärken. Diese Zersplitterung in derart heterogene Strukturen hat fatale Auswirkungen auf die Or­ganisations- und Kampfbe­dingungen ge­habt. Das lässt sich zuerst ein­mal an den verschiedenen vergeblichen Ver­suchen besonders der Gewerkschaftsbewegung erkennen, die Präkarisier­ten und die Arbeitslosen zu organi­sieren..."(12) So setzt uns Bihr, getarnt hinter seinen radikaleren Phrasen, mit seinem angeblichen "Marxismus" den gleichen falschen Ramsch vor, mit dem uns alle Sektoren der Bourgeoisie bedienen: Die Gewerk­schaften seien heute noch "Organisationen der Ar­beiterbewegung".(13)

Dies ist die Art von "Spezialisten", von denen Leute wie GS und Pu­blikationen wie INTERNATIONALIST PERSPECTICE (IP), die seinen Schriften mit großer Symphathie begegnen, ihre Inspirationen beziehen. Sicher, Bihr, der trotz al­lem schlau ist, gibt, um seine Ware einzuschmuggeln, vor, das Proletariat könne trotz allem seine aktuellen Schwierig­keiten überwinden, indem es sich "neu zusammensetzt".  Aber die Art, wie er dies vorträgt, zielt eher darauf ab, vom Ge­genteil zu überzeugen. "Die Verände­rungen im Lohnabhängigkeitsverhältnis stellen die Ar­beiterbewegung also vor eine doppelte Her­ausforderung: Es zwingt sie gleichzeitig, sich einer neuen gesellschaftli­chen Basis anzupas­sen (an eine neue 'technische' und 'politische' Zusam­mensetzung der Klasse) und eine Synthese zu vollziehen zwischen hetero­genen Kategorien wie den 'neuen Fachkräf­ten' und den 'Präkarisierten', eine Synthese, die viel schwieriger zu realisieren ist als die zwischen Facharbeitern und an­gelernten Arbeitern in der fordisti­schen Periode".(14) "Die fakti­sche Schwächung des Proletariats und des Gefühls der Klassenzugehörigkeit kann so den Weg zur Neuzusammensetzung einer ideellen kollektiven Identität auf anderen Grundlagen ebnen."(15)

Nach Unmengen von Argumenten - mehrheitlich dazu bestimmt, um den Leser zu überzeugen, dass es schlecht um die Arbeiterklasse bestellt sei -, nachdem "aufgezeigt" wurde, dass die Ursachen dieser Krise in der Automatisierung sowie im Zusammenbre­chen der kapitalistischen Ökonomie sowie im Anstieg der Arbeitslosig­keit zu suchen seien - alles Phäno­mene, die sich nur ver­schlimmern können - schließt er ohne den geringsten Beweis mit der lapi­daren Behauptung: "Es wird besser ... viel­leicht! Aber es stellt eine sehr schwere Her­ausforderung dar". Wenn man das Geschwätz von Bihr heruntergeschluckt hat und immer noch glaubt, dass es für die Arbeiterklasse und ihren Kampf eine Zukunft gibt, kann man nur ein naiver und unverbesserlicher Optimist sein. Nicht schlecht, Dr. Bihr: Eure große Schlauheit hat die Einfaltspinsel an der Nase herumgeführt, die IP pu­blizieren und sich als die wahren Vertreter der kommunistischen Prinzipien aufspielen, welche die IKS über Bord ge­worfen haben soll.

Es stimmt, dass die Arbeiterklasse im Verlauf der letzten Jahre bei der Entwicklung ihrer Kämpfe und ihres Bewusstseins auf einige Schwierigkeiten gestoßen ist. Unsererseits haben wir - entgegen den Vorwürfen, die uns die Skeptiker vom Dienst anlasten (ob sie FECCI heißen - was angesichts ihrer Rolle, Verwirrung zu stiften, normal ist - oder "Battaglia Co­munista" - die dies weniger tut, weil sie eine Organisation des politischen Milieus des Proletariats ist) - nie gezögert, auf diese Schwierig­keiten hinzuweisen. Doch gleichzeitig haben wir, und dies ist das Mindeste was man von Revolutio­nären er­warten kann, auf der Basis einer Analyse des Ursprungs der Schwierigkeiten, auf die das Proletariat stößt, die Voraussetzungen dargelegt, die ihre Überwindung ermöglichen. Und wenn man einigermaßen ernsthaft die Entwicklung der Arbeiter­kämpfe im letzten Jahrzehnt untersucht, springt ins Auge, das die jet­zige Schwäche sich nicht mit der effektiven Verminderung der "traditionellen" Arbeiter, der "Blaukragen"-Arbeiter, erklären lässt. So gehören in den meisten Ländern die Arbeiter der Post oder der Telekom­munikation zu den kämpferischsten. Das Gleiche gilt für die Arbeiter und Arbeiterinnen des Gesundheits­wesens. In Ita­lien waren es 1987 die Arbeiter und Arbeiterinnen in den Schulen, die die wichtigsten Kämpfe aus­fochten. Und wir könnten weitere Beispiele aufführen, die die Tatsache veranschaulichen, dass sich weder das Proletariat selbst noch sein Kampfgeist allein auf die "Blaukragen", auf die "traditionellen" Arbeiter der Industrie be­schränkt. Daher sind unsere Analysen nicht auf die soziologischen Betrachtun­gen ausgerichtet, die gut sind für Akademiker oder Kleinbürger und weniger über die "Malaise" der Arbei­terklasse, aber dafür umso mehr über ihr eigenes Schlamassel aussagen.

 

Die reellen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse und die Voraussetzungen zu ihrer Überwindung

Wir können im Rahmen dieses Artikels nicht auf sämtliche Analysen zurückkommen, die wir im Verlauf der letzten Jahre über die in­ternationale Situation erstellt ha­ben. Der Leser kann sie in praktisch allen Ausgaben unserer Revue während dieser Periode und insbeson­dere in den Thesen und Resolutionen unserer Organisation nach 1989 wiederfinden.(15) Die Schwierigkei­ten, die das Proletariat heute durchmacht, der Rückgang seiner Kampfbe­reitschaft und der Rückfluss seines Bewussts­eins (Schwierigkeiten, auf die sich einige stützen, um eine "Krise" der Arbeiterklasse zu diagnostizieren) sind der IKS nicht entgan­gen. Insbesondere haben wir hervorgeho­ben, dass die Arbeiterklasse die ganzen 80er Jahren hindurch mit dem wachsenden Gewicht des allgemeinen Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft konfrontiert war, der, indem er Verzweiflung, Atomisierung, das "Jeder für sich" begünstigte, der allgemeinen Perspektive des proletarischen Kampfes und der Klassensoli­darität harte Schläge versetzte, was insbesondere die ge­werkschaftlichen Manöver erleichterte, die  darauf abzielten, die Arbei­terkämpfe  in den Korporatismus einzusperren. Dennoch, und das ist ein Ausdruck der Vitalität des Klassenkampfes, ist es dem ständigen Gewicht des Zerfalls bis 1989 nicht gelungen, der Welle von Arbeiterkämpfen beizukommen, die 1983 in Bel­gien mit den Streiks im öffentlichen Dienst begannen. Ganz im Gegenteil erlebten wir in dieser Phase eine zuneh­mende Ten­denz, über den von den Gewerkschaften gesteckten Rahmen hinauszugehen, was Letztere dazu zwang, die Hauptrolle immer mehr den radikaleren "Basisgewerkschaften" zu überlassen, um ihre Sabotagearbeit weiterführen zu können.(16)

Diese Welle von proletarischen Kämpfen wurde jedoch durch die weltumspannenden Umwälzungen zum Versiegen gebracht, die in der zweiten Hälfte des Jahres 1989 folgten. Während einige (im allgemeinen dieselben, die Mitte der 80er Jahre keine Kämpfe gese­hen haben wollen) glaubten, dass der Zusammenbruch des Ostblockes 1989 (bis heute der wichtig­ste Ausdruck für den Zer­fall des Ka­pitalismus) die Bewusstwerdung der Arbeiter­klasse begünstigen werde, haben wir nicht gezögert, das Gegenteil zu verkünden.(17) In der Folgezeit, vor allem 1990-91 während der Krise und des Krieges am Golf, danach beim Putsch in Moskau, der auf den Zusammen­bruch der UdSSR folgte, haben wir aufge­zeigt, dass sich diese Ereignisse auf den Klassen­kampf, auf die Fähig­keit des Proletariats auswirken, sich den wachsenden Angriffen des in der Krise befindlichen Kapitalismus zu stellen.

Aus diesen Gründen sind uns die Schwierigkei­ten, die die Arbeiterklasse im Verlauf der letzten Zeit durchmacht, weder entgangen, noch ha­ben sie unsere Organisation überrascht. Trotzdem haben wir in der Analyse der Gründe (die nichts zu tun haben mit dem my­thischen Bedürfnis nach einer "Neuzusammenset­zung der Arbeiterklasse") gleichzeitig die Gründe hervorgehoben, warum die Arbeiterklasse die Mittel hat, diese Schwierigkeiten zu überwinden.

In diesem Zusammenhange ist es wichtig, auf ein Argument des Herrn Bihr zurückzukommen, mit dem er der Idee mehr Glaubwürdigkeit verleihen möchte, die Arbeiterklasse stecke in einer Krise: Die Krise und die Arbeitslosigkeit hät­ten "das Proletariat frag­mentiert", indem sie "die alten Spaltungen und Ungleichheiten verstärkt" habe. Um sein Vorha­ben darzustellen und "den Bogen zu überspannen", liefert uns Bihr einen ganzen Katalog die­ser "Fragmente": "die Arbeiter in stabilen und sicheren Beschäftigungsverhältnissen", "die von der Arbeit, ja  vom Ar­beitsmarkt Ausge­schlossenen", "die fließende Masse der pre­kären Arbeiter". Bei letzteren findet er Gefallen daran, zwischen Unterkategorien zu unterscheiden: "die Arbeiter der Subunternehmen",  "die Teilzeitbe­schäftigten", "die Zeitarbeiter", "die Umschüler, Auszubildenden und Schwarzarbei­ter".(18) Was der Herr Dok­tor Bihr uns als Argument vorträgt, ist nichts anderes als ein Schnappschuss, der gut zu seiner re­formistischen Sichtweise passt.(19) Es stimmt, dass die Angriffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse zunächst selektiv ausgeführt wurden, um das Ausmaß der Antwort der Arbeiter­klasse einzuschränken. Es stimmt weiter, dass die Arbeitslosigkeit, insbesondere die der Jungen, ein Faktor der Erpressung gegen einige Sektoren der Arbeiterklasse und, teilweise, der Passivität gewesen ist, der durch die zerstöre­rische Wirkung der Atmosphäre des gesellschaftlichen Zerfalls und des "Jeder für sich" verstärkt wird. Doch die Krise selbst und ihre unver­meidliche Verschär­fung sorgt dafür, dass die Bedingun­gen der verschie­denen Sektoren der Arbeiterklasse sich immer mehr aneinander angleichen. Insbe­sondere die "Spitzen"-Sektoren (Informatik, Telekommunikation etc.), die scheinbar der Krise entronnen waren, werden heute mit voller Wucht getroffen und schleudern ihre Arbeiter in dieselbe Lage wie die Arbeiter der Eisen- und Stahlindustrie und der Automobilbranche. Es sind heute die größten Unternehmen (wie IBM), die massenhaft ent­lassen. Gleichzeitig und entgegen der Tendenz des letzten Jahrzehnts nimmt die Arbeitslosig­keit der älteren Arbeiter, die schon eine kol­lektive Erfahrung der Arbeitens und des Kämpfens haben, schneller zu als die der Jungen, was den Faktor der Atomisierung einschränkt, den die Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit darstellte.

So stellt, selbst wenn der Zerfall ein Handicap für die Entwicklung der Kämpfe und des Bewussts­eins in der Klasse bildet, das immer offen­sichtlichere und brutalere Scheitern der kapitalistischen Wirt­schaft und als Folge die Angriffe auf die Lebensbedin­gungen der Arbeiterklasse das bestimmende Element der aktuellen Situa­tion für die Wiederaufnahme der Kämpfe und für die Be­wusstwerdung dar. Offensichtlich kann man dies nicht verstehen, wenn man denkt - wie es die re­formistische Ideologie tut, die sich weigert, jegliche revolutionäre Perspektive in Betracht zu ziehen -, dass die kapitalistische Krise eine "Krise der Arbeiterklasse" auslöst. Aber noch einmal haben die Ereignisse selbst die Aufgabe übernommen, die Gültigkeit des Marxismus und die Nichtigkeit der Ausge­burten der Soziologen zu unterstreichen. Die gewaltigen Kämpfe des italienischen Pro­letariats im Herbst 1992 angesichts der gewaltsamen ökonomischen Angriffen ohnegleichen haben einmal mehr bewiesen, dass das Proletariat nicht tot ist, dass es nicht verschwunden ist und dass es nicht den Kampf aufgegeben hat, selbst wenn es, wie man erwarten konnte, die Schläge, die es in den letzten Jahren erlitten hat, noch nicht verarbeitet hat. Und diese Kämpfe werden kein Stroh­feuer bleiben. Sie kündigen nur (wie die Arbeiterkämpfe im Mai 1968 in Frankreich, die gerade einmal ein Vierteljahrhundert her sind) eine allgemeine Erneuerung der Kampfbereitschaft der Arbeiter an, eine Wiederaufnahme des Vorwärtsmarsches des Proletariats in Richtung einer Bewusstwerdung der Bedingungen und der Ziele seines historischen Kampfes für die Abschaf­fung des Kapitalismus. Zum Missfallen all de­rer, die ehrlich oder heuchlerisch über die "Krise der Arbeiter­klasse" und ihre "notwendige Neuzusam­mensetzung" lamentieren.

FM

(1) [20] Das Auto ist unverzichtbar, um zur Arbeit zu gelangen oder Einkäufe zu machen, denn die öffentlichen Verkehrsmittel sind unzureichend und die zurückzulegenden Distanzen immer größer. Auf einen Kühlschrank kann man nicht verzich­ten, da Nahrungsmittel zu günstigen Preisen oft nur in großen Mengen zu kaufen sind und man dies nicht täg­lich machen kann. Was den Fernse­her betrifft, der als das Symbol für den Eintritt in die "Konsumgesellschaft" dargestellt wird, findet man ihn, abgesehen von seiner Bedeutung als Instrument der Propaganda und Verdummung in den Händen der Bourgeoisie (als "Opium für das Volk" hat er vortrefflich die Reli­gion abgelöst), heute in vielen Behausungen in den Slums der Dritten Welt, was genug aussagt über den Wert­verlust eines solchen Artikels.

(2) [21] Marx bezeichnete als Mehrwertrate oder Aus­beutungsrate das Verhältnis zwischen M und V, bei dem M den Mehrwert in Arbeitswert (die Anzahl Stunden pro Arbeitstag, die sich der Ka­pitalist an­eignet) und V das variable Kapital darstellt, das heißt, den Lohn (die Anzahl Stunden, in denen ein Ar­beiter den Gegenwert seines Lohnes produziert). Dies ist ein Indiz, das erlaubt, den Grad der Ausbeutung in objektiven ökonomi­schen Begriffen und nicht subjektiv festzulegen.

(3) [22] Freilich richtet sich diese Behaup­tung gegen die Lügen der angeblichen "Arbeitervertreter" wie der Sozial­demokraten und Stali­nisten, die als Minister eine große Er­fahrung in der Repression und Mystifikation gegen­ die Arbeitern ha­ben. Wenn ein Arbeiter "seinen Stand verlässt", einen Posten bei den Gewerkschaften, im Stadtrat annimmt oder gar Bürgermeister, Abgeordneter oder Minister wird, dann hat er mit seiner ursprünglichen Klasse nichts mehr gemeinsam.

(4) [23] Es ist selbstverständlich sehr schwierig (wenn nicht sogar unmöglich), dieses Niveau zu bestimmen, da es in anderen Zeiten und Ländern variieren kann. Wichtige jedoch ist zu wissen, dass in jedem Land (oder einer Gemeinschaft von Ländern mit ähnlicher ökonomischer Entwicklung und Arbeitsproduktivität) eine solche Grenze exi­stiert, die zwischen dem Einkommen eines qualifizierten Arbeiters und einer Führungskraft liegt.

(5) [24] Hinsichtlich einer gründlicheren Analyse über pro­duktive und unproduktive Arbeit sei auf unsere Broschüre "Die Dekadenz des Kapitalismus" (S. 30ff) verwie­sen.

(6) [25] Es ist hingegen festzuhalten, dass gleichzeitig ein bestimmter Anteil des Führungspersonals mit steigenden Einkommen entlohnt wird, was zu sei­ner Integration in die herrschende Klasse führt.

(7) [26] Für die vertiefte Analyse des bürgerlichen Charakters der Gewerkschaften siehe unsere Broschüre "Die Gewerkschaften gegen die Arbeiter­klasse".

(8) [27] Zum Beispiel LE MONDE DIPLOMATIQUE, eine humanisti­sche französische Monatszeitung, die auf die Förderung eines Kapitalismus "mit menschlichem Ant­litz" spezialisiert ist, publiziert oft Artikel von Alain Bihr. So findet man in der Ausgabe vom März 1991 einen Text dieses Autors mit dem Titel "Regression des droits sociaux, affaiblissement des syndicats, le proletariat dans tous ses eclats" (etwa: Rückschritt in den Sozialrechten, Schwächung der Gewerkschaften - das Proletariat in voller Zersplitterung).

(9) [28] So kann man in der Nr. 22 von PERSPECTIVE INTERNATIONALISTE, dem Organ der "Externen (sic!) Fraktion der IKS", einen Beitrag von GS lesen (der, ohne dass sein Autor Mitglied der EFIKS wäre, im Wesentlichen ihre Zustimmung findet) mit dem Titel "La necessaire recomposition du proletariat" (etwa: Die notwendige Neuzusammenset­zung des Proletariats), einen Artikel, der aus­führlich aus dem bedeutendsten Buch von Bihr zitiert, um seine Behauptungen zu stützen.

(10) [29] LE MONDE DIPLOMATIQUE, März 1991.

(11) [30] "Du grand soir ..."

(12) [31] LE MONDE DIPLOMATIQUE, März 1991.

(13) [32] "Du grand soir ..."

(14) [33] LE MONDE DIPLOMATIQUE, März 1991

(15) [34] Siehe: INTERNATIONALE REVUE (engl., franz., span. Ausgabe) Nr. 60, 63, 67, 70 und in diese Ausgabe.

(16) [35] Offensichtlich konvertieren, wenn man, wie Dr. Bihr, die Gewerkschaften für Organe der Arbeiter­klasse und nicht der Bourgeoisie hält, die Fortschritte, die der Arbeiterkampf gemacht hat, zu Rückschritte. Es ist allerdings seltsam, dass Leute wie die Mitglieder der FECCI, die den bürgerlichen Charakter der Gewerkschaften aner­kennen, ihm in dieser Ein­schätzung folgen.

(17) [36] Siehe: "Zunahme der Schwierigkeiten für die Arbeiterklasse", in: INTERNATIONALE REVUE Nr. 11.

(18) [37] LE MONDE DIPLOMATIQUE, März 1991

(19) [38] Eine der bevorzugten Phrasen Alain Bihrs lautet: "Der Reformismus ist eine zu ernste Sache, um ihn den Reformisten zu überlassen". Wenn er sich zufällig für einen Revolutionär hält, legen wir Wert darauf, ihn hiermit über seinen Irrtum aufzuklären.


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Die russische Revolution- ein kollektives Werk der Arbeiterklasse

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Im ersten Teil dieses Artikels (siehe Inter­nationale Revue Nr. 14) haben wir gese­hen, dass die Russische Revo­lution im Ge­gensatz zu der Propa­ganda der Herr­schenden kein Staatsstreich war, son­dern die gi­gantischste und bewussteste Be­wegung der ausgebeuteten Massen in der Ge­schichte - die einen an Erfahrung, In­itiative und Kreativität reichen Schatz hin­terlassen hat. Ungeachtet der späteren Niederlage war es der klarste Beweis, dass die Arbeiterklasse die einzig revolutionäre Klasse in der Ge­sellschaft ist, und  als ein­zige dazu in der Lage,  die Menschheit vor der Katastrophe zu retten, in die der zer­fallende Kapitalis­mus uns treibt.

Die Ereignisse des Oktober 1917 hin­terliessen uns eine grundlegende Lehre: als herrschende Klasse wird die Bour­geoisie gegenüber dem revolutionären Kampf der arbeitenden Massen nicht die Hände in den Schoss legen. Sie wird im Gegenteil versu­chen, diesen mit allen möglichen Mitteln zu sabotie­ren. Neben Zuckerbrot und Peitsche benutzt sie eine sehr gefährliche Waffe: die Sabotage von Innen heraus, die von den Vertretern der Herrschenden in den Reihen der Arbeiter - die mit ei­nem radikalen Ge­wand bekleidet sind - betrieben wird. Da­mals waren es die ‚sozialistischen Par­teien’, heute sind es die linken und ‚extrem-linken’ Parteien und die Gewerk­schaften.

Diese Sabotage stellte die Hauptbe­drohung für die im Februar begonnene Revolution dar. Die Sabotage der So­wjets mittels der sozialverräterischen Parteien, wodurch der bürgerliche Staat sein Werkzeug in den So­wjets zum Einsatz bringen konnte. In die­sem 2. Artikel werden wir uns näher mit dieser Frage befassen und untersu­chen, wie die Arbeiterklasse damit mittels der Erneuerung der Sowjets und mit Hilfe der Bolschewisti­schen Partei und dem Aufstand fertig wurde.

DIE SOWJETS ERGRIFFEN DIE MACHT

Die Ereignisse des Oktober 1917 hinter­liessen uns eine grundlegende Lehre: die Bourgeoisie wird angesichts von revolu­tionären Kämpfen der Ar­beiterklasse nicht tatenlos zusehen. Im Gegenteil wird sie ver­suchen, den Kampf wo immer möglich zu sabotie­ren. Deshalb benutzt sie neben Zuc­kerbrot und Peitsche eine sehr gefähr­liche Waffe: Sabotage im Innern, ausge­führt durch bürgerliche Kräfte, die das Ge­wand der Arbeiterklasse an­legen und eine ra­dikale Sprache spre­chen, damals die ‚sozialistischen Par­teien’, heute tun dies die Parteien der ‚Linken’ und ‚Extremen Lin­ken’ so­wie die Gewerk­schaften.

Die Sabotage der Sowjets durch die sozial­verräterischen Parteien, die es dem Appa­rat des bürgerlichen Staates erlaubte, wei­ter Wi­derstand zu leisten, stellte die Hauptge­fahr der Revolution dar, die im Februar be­gonnen hatte. Wir wollen nun aufzeigen, wie das Proletariat dem Pro­blem begegnete durch die Erneuerung der Sowjets, durch die Bolschewi­stische Par­tei und durch den Aufstand.

DIE BOURGEOISIE SABOTIERTE DIE SOWJETS

Die Bourgeoisie stellte die Februarrevo­lution als eine Bewegung dar, die zur ‚Demokratie’ hinstrebte und durch die Ma­chenschaften der Bolschewisten ver­gewaltigt wurde. Diese Ver­schleierung be­ruhte auf der Gegenüberstellung der Er­eignisse des Februars und des Oktobers, wobei die Februarereignisse als ein echter ‚demokratischer’ Schritt, die des Okt­obers als ein ‚Staatsstreich gegen den Volkswil­len’ dar­gestellt wurden.

Diese Lüge zeigt die Wut der Bour­geoisie darüber, dass die Ereignisse zwischen Fe­bruar und Oktober sich nicht so abspiel­ten, wie sie sich das gewünscht hatte. Die Bour­geoisie dachte, dass die Massen nach dem Rücktritt des Zaren im Februar ruhig nach Hause zu­rückkehren und die Po­litik wieder der Bourgeoisie überlassen wür­den, ab und zu durch ‚demokratische Wahlen’ abgesi­chert. Das Proletariat aber schluckte den Köder nicht. Dagegen ent­faltete es eine ge­waltige Aktivität, wurde sich zu­nehmend seiner historischen Auf­gaben bewusst und ent­wickelte die not­wendigen Kampfmittel: die Sowjets. So entstand eine Situation der Dop­pelmacht: ‚entweder erobert die Bour­geoisie tatsächlich den alten Staatsap­parat und erneuert ihn für ihre eigenen Ziele, wo­bei die Sowjets verschwinden müssen oder die Sowjets werden zur Grundlage eines neuen Staates, wobei sie nicht nur den alten Ap­parat, son­dern auch die Herr­schaft jener Klas­sen, denen er gedient hat, liquidieren“ (Trotzki, Doppelherr­schaft S. 186).

Die herrschende Klasse setzte die  Men­schewiki und die Sozialrevolutio­näre  ein,  ehemalige Arbei­terparteien, und die mit dem Krieg ins bürgerliche Lager überge­wechselt wa­ren, die aber nun­mehr das Ziel verfoch­ten, die Sowjets zu zerstören und die Au­torität des bür­gerlichen Staates wiederher­zustellen. Zu Beginn der Februarre­volution ge­wannen diese Parteien ein grosses Ver­trauen in den Reihen der Ar­beiter, das sie einsetzten, um die Exekuti­vorgane der Sowjets zu kontrollie­ren und die Aktionen der Bour­geoisie zu verber­gen.

„Dort, wo sich kein Bourgeoisminister zei­gen konnte, um die Regierung zu rechtferti­gen vor den revolutionären Ar­beitern oder in den So­wjets, dort er­schien ein ‚sozialistischer’ Mini­ster, Skobelew, Zere­teli, Terschnow u.a. (richtiger, dorthin wurde er von der Bour­geoisie ge­schickt) und verrichtete gewissenhaft die Sache der Bour­geoisie, gab sich alle Mühe, die Regie­rung zu rechtfertigen, die Ka­pitalisten rein­zuwaschen, narrte das Volk mit der Wie­derholung von Verspre­chungen, Ver­sprechungen und Verspre­chungen, mit Ratschlägen, abzuwarten, abzu­warten und nochmals abzuwarten“ (Lenin, Die Lehren der Revolution, Aus­gew. Werke, Bd. 2, S. 236). Im Februar entwickelte sich eine für die Ar­beiterklasse sehr gefährliche Si­tuation. Sie kämpfte (mit den Bol­schewiki als Vor­hut), um den Krieg zu beenden, das Agrarpro­blem zu lösen und für die Ab­schaffung der kapitalisti­schen Ausbeu­tung. Um dies zu er­reichen, brachte sie die So­wjets hervor und das Ver­trauen seitens der Klasse in die So­wjets war rie­sengross. Aber die aus dem Proletariat her­vorgegangenen Sowjets wur­den von den men­schewistischen und sozialrevolu­tionären Dem­agogen ver­einnahmt, die zu diesem Zweck alle mögli­chen Sabotage­taktiken benutzten: Ununterbrochen versprachen sie Frie­den, während sie die Provisori­sche Regie­rung den Krieg fortführen liessen.

Am 27. März versuchte die Provisori­sche Re­gierung, die Dardanellenoffen­sive zu entfes­seln, deren Ziel die Er­oberung Konstantino­pels war. Am 18. April ratifi­zierte Miljukow, der Au­ssenminister, die be­rühmte Note über den Beitritt Russlands zur Entente (Frankreich und Grossbritan­nien). Im Mai unternahm Ke­renski eine Kampa­gne an der Front, um die Moral der Soldaten zu heben und um sie kampf­willig zu machen; eine Kampagne, die den tiefen Zynismus Kerenskis ver­deutlichte: ‚Ihr werdet mit den Spitzen Eurer Bajo­nette Frieden brin­gen’. Im Juni und Au­gust ver­suchten die Sozi­aldemokraten enger Zu­sammenarbeit mit den zaristi­schen Ge­nerälen die Arbeiter und Solda­ten in eine neue militä­rische Schlacht zu zie­hen.

Auf dieselbe Weise gingen sie mit den Men­schenrechten hausieren. Tatsäch­lich versuch­ten sie die brutale Militär­disziplin in der Ar­mee wieder herzu­stellen und die To­desstrafe wieder ein­zuführen. Auch ver­suchten sie, die Soldatenkomitees zu über­zeugen, die Offiziere nicht zu provo­zieren. Als beispielsweise der Petrograder Sowjet seinen berühmten “Befehl Nr. 1ä ver­öffentlichte, der die körperliche Be­strafung der Soldaten verbot und deren Würde und Rechte verteidigte, verbreitete das Exekutivko­mitee als Gegengift einen Ap­pell an die Soldaten, der unter dem Scheine der Verurteilung der Selbstjustiz gegen Offi­ziere Unterord­nung ge­genüber dem alten Komman­dobestand for­derte“ (Trotzki, Die Re­gierenden und der Krieg, S. 237). 

Endlos redeten sie über die ‚Lösung des Agrarproblems’, während sie die Macht der Grossgrundbesitzer unange­tastet lie­ssen und die Bauern­revolten niederschlu­gen.

Systematisch blockierten sie jede ge­ringste Anweisung im Agrarwesen - zum Beispiel diejenige, die die Land­übertragung been­det hätte. Stattdessen gaben sie das spon­tan von den Bauern besetzte Land an die Grossgrund­besitzer zurück. Strafexpedi­tionen wurden zur blutigen Niederschla­gung der Bauernrevolten gesandt, und die Vorar­beiter konnten wieder die Peit­sche gegen die Landarbeiter benutzen.

Sie blockierten die Einführung des 8-Stun­den-Tages und erlaubten den Besit­zern, die Fabri­ken zu schliessen. Den Bossen wurden erlaubt, die Produk­tion zu sabotieren mit dem Ziel, einerseits die Arbei­ter verhun­gern zu lassen und an­dererseits, sie zu zerstreuen und zu demo­ralisieren: „Die Kapitalisten nutzten die Struktur der mo­dernen kapitalistischen Produk­tion und deren enge Verbindung mit den nationalen und in­ternationalen Banken und anderen Organisa­tionen des vereinigten Kapitals (Syndikate, Trusts, verschiedene Fabrikantengesellschaf­ten usw.) und be­gannen, ein umfassendes, wohl­überlegtes System der ‚Sabotage’ aufzu­ziehen. Als Mittel wandten sie anfangs Ein­stellung der Arbeiter der Fabrikverwaltung, Des­organisation der Betriebe, Verstecken und Entfernen von Material, Brandstiftungen an... Die Kapitalisten legten sich bei der Wahl ihrer Methoden keinen Zwang auf“ (A.M. Pankra­tova, Fabrikräte in Russ­land, Moskau 1923/Frankfurt 1976, S. 179).

Sie entfesselten eine wilde Repression ge­gen den Kampf der Arbeiter.

„In Charkow akzeptierte eine Versamm­lung von 30.000 organisier­ten Bergar­beitern den Grundsatz der IWW (Industriearbeiter der Welt): 'Die arbei­tenden und die besitzenden Klassen haben nichts miteinander ge­mein'. Kosaken jagten die Bergarbei­ter auseinan­der; ei­nige wurden von den Bergwerksbesit­zern ausgesperrt, der Rest rief den General­streik aus. Der Minister für Handel und In­dustrie, Konowalow, gab seinem Ver­treter Orlow un­beschränkte Vollmacht, der Schwierigkeiten mit allen ihm gutdün­kenden Mitteln Herr zu werden. Die Berg­arbeiter hassten Orlow. Aber das Zentralexekutivko­mitee der Sowjets bestä­tigte nicht nur seine Ernennung, sondern lehnte auch die Forde­rung ab, die Kosa­ken aus dem Donezbecken zu­rückzurufen“ (J. Reed, S. 83).

Sie täuschten die Massen mit leeren Wor­ten über die revolutionäre Demo­kratie, wäh­rend sie die Mass­nahmen der Sowjets sabo­tierten.

Sie versuchten, die Sowjets aus dem In­nern heraus zu liquidieren, indem sie seine Resolu­tionen nicht verwirklich­ten oder Vollver­sammlungen aufscho­ben und alles den Ma­chenschaften der kleinen Komitees überliessen. Sie ver­suchten, die ausgebeute­ten Massen zu spalten: Bereits seit April hatten Men­schewiki und -Sozial­revolutionäre an die Provinz gegen Pe­trograd zu appel­lieren begonnen, an die Sol­daten ge­gen die Arbeiter, an die Ka­vallerie ge­gen die Maschinengewehrschüt­zen. Sie ga­ben den Kompanien privile­giertere Vertretun­gen in den Sowjets als den Fabriken; begün­stigten die kleinen, verein­zelten Betriebe ge­genüber den Me­tallgiganten. Verkörperungen des gestri­gen Tages suchten sie Schutz bei Rück­ständigkeiten jeglicher Art. Den Boden un­ter den Füssen verlierend, hetzten sie die Ar­rieregarde gegen die Avantgarde“ (Trotzki, „Julitage - Kulminationspunkt und Zertrüm­merung“, S. 451).  

Sie versuchten die Sowjets dazu zu brin­gen, die Macht an demokratische Or­gane zu übergeben: die Zemstvos - vom Zar einge­richtete lokale Organe; an die Moskauer demo­kratische Augustkonfe­renz, ein wahres Schlan­gennest, das repräsentative Kräfte wie den Adel, das Militär, die schwar­zen Hundert­schaften, die Kadetten usw. zu­sammenfasste.

Im September versuchten sie, die So­wjets kaltzustellen durch die Einberu­fung der Vor­demokratischen Konfe­renz, in der die Bour­geoisie und der Adel auf den aus­drücklichen Wunsch der Sozialverräter 683 Abgeordnete hatten im Vergleich zu 230 Sowjetabgeordne­ten. Kerenski ver­sprach dem amerikanischen Botschaf­ter: Wir wer­den die Sowjets eines natürlichen Todes sterben lassen. Der politi­sche Schwerpunkt wird sich zu­nehmend von den Sowjets zu den neuen demokratischen Or­ganen mit autono­mer Repräsentation ver­schieben.

Die Sowjets, die das Proletariat aufrie­fen, die Macht zu übernehmen, wur­den demokratisch mit Waffengewalt niederge­schlagen: Dazu kam die Spren­gung des So­wjets in Ka­luga. Die Bol­schewiki hatten dort die Mehrheit erlangt und einige politi­sche Gefan­gene frei­gesetzt. Die Stadtduma rief mit Zustim­mung des Regierungskom­missars Trup­pen aus Minsk herbei, die das Gebäude des Sowjets mit Artil­lerie beschos­sen. Die Bol­schewiki kapitulier­ten. Wäh­rend sie das Ge­bäude verliessen, wurden sie plötz­lich von Kosaken mit dem Ruf überfal­len: 'So werden wir es mit allen bol­schewistischen Sowjets ma­chen, die von Pe­trograd und Moskau nicht ausgenom­men“(J. Reed, S. 84). Die Arbeiter sahen, wie ihre Klassenor­gane untergraben wurden und eine Politik verfolg­t wurde, die gegen ihre Interessen gerichtet war. Wie oben aufgezeigt, riefen die politi­schen Krisen im April, Juni und haupt­sächlich im Juli entschiedene Taten hervor: Die Erneue­rung der Sowjets, um sie auf die Machtergrei­fung hin zu orien­tieren. Die Sowjets waren - wie Lenin sagte - Or­gane, die sich „auf die unmittelbare In­itiative der Volksmassen von unten“ (Lenin, Über die Doppelherrschaft) stütz­ten. Dies befähigte die Massen zu ei­ner schnellen Änderung in dem Augen­blick, wo sie er­kannten, dass sie nicht ihre Inter­essen vertraten. Von Mitte Au­gust an beschleu­nigte sich das Leben der So­wjets zu einem schwin­delerregenden Tempo. Tag und Nacht wurden ununterbrochen Ver­sammlungen abgehalten. Arbeiter und Solda­ten führten bewusste Diskussio­nen, verab­schiedeten Resolutionen, stimmten mehrmals täglich ab. In die­sem Klima ei­ner intensiven eigenstän­digen Aktivität der Massen in ver­schiedenen Sowjets (Helsingfors, im Ural, Kronstadt, Reval, im Baltikum usw.), wählten diese von den Bol­schewiki, den internationali­stischen Men­schewiki, linken Sozialrevolutio­nären, An­archisten gebildete revolutio­näre Mehr­heiten.

Am 31. August nahm der Petrograder So­wjet einen bolschewistischen Antrag an. Die Führer des Sowjets - die Men­schewiki und Sozialre­volutionäre - lehnten den An­trag ab. Am 9. Septem­ber wählten die So­wjets eine bolsche­wistische Mehr­heit. Moskau folgte unmittelbar und so setzte sich das im gan­zen Land fort. Die Massen wählten diejeni­gen Sowjets, die sie brauchten, um die Macht zu überneh­men und aus­zuführen.

DIE ROLLE DER BOLSCHEWISTI­SCHEN PARTEI

Im Kampf der Massen um die Kon­trolle ih­rer Organe gegen die Sabotage der Bour­geoisie spielten die Bolsche­wiki eine ent­scheidende Rolle. Das Zentrum der Aktivi­tät der Bol­schewiki war die Ent­wicklung der Sowjets:

„Die Konferenz wiederholt, dass es not­wendig ist, eine vielfältige Aktivität in den Sowjets der Arbeiter- und Soldatendepu­tierten zu entwic­keln, die Anzahl der So­wjets zu erhöhen, ihre Macht zu festigen und die proletari­schen in­ternationalistischen Gruppen unserer Par­tei in den Sowjets zusammenzuschwei­ssen“ ( 7. Ge­samtrussische Konferenz der SDAPR , April 1917). 

Diese Aktivität war zentral für die Ent­wicklung des proletarischen Klassenbe­wusstseins, eine geduldige Arbeit in der Klä­rung des proletarischen Klassenbe­wusstseins und des Zusam­menhaltes zwi­schen den Arbei­tern der Städte und auf dem Lande“. (ebenda).

Dies hiess, Vertrauen zu haben einer­seits in die kritische und analytische Fähigkeit der Mas­sen: „Während aber die Agitation der Men­schewiki und der Sozialrevolutio­näre zerfah­renen, wi­dersprechenden, am häufig­sten aus­weichenden Charakter trug, zeich­nete sich die Agitation der Bolsche­wiki durch Überlegung und Konzentriert­heit aus. Die Versöhnler suchten durch Ge­schwätz sich der Schwierig­keiten zu entledigen, die Bolschewiki gingen die­sen entgegen. Dau­ernde Analyse der Situa­tion, Nachprüfung der Parolen an den Tatsa­chen, ernsthaftes Verhalten dem Gegner, so­gar dem wenig ernsten, gegen­über, ver­liehen der bolschewisti­schen Agitation be­sondere Stärke und Überzeu­gungskraft“ (Trotzki, Die Bol­schewiki und die Sowjets, S. 656).

Andererseits in die Fähigkeit zur Ein­heit und Selbstorganisation: „Glaubt nicht an Worte. Lasst euch nicht von Versprechun­gen ködern. Überschätzt eure Kräfte nicht. Or­ganisiert euch in jedem Be­trieb, in je­dem Regiment, in jeder Kompanie, in je­dem Häuser­block. Ar­beitet täglich und stündlich an der Organisa­tion, arbeitet daran selber, diese Arbeit darf man nie­mandem an­deren anvertrauen“ (Lenin, Einleitung zu den Re­solutionen der 7. Gesamt­russischen Konfe­renz der SDAPR, Bd. 2, S. 156).

Die Bolschewiki versuchten nicht, die Mas­sen, wie ein General seine Trup­pen anfüh­rend, einem vorgefassten Aktions­plan zu un­terwerfen. Sie ver­standen, dass die Revolu­tion die Arbeit der Massen in di­rekten Ak­tionen war, und dass sie durch diese direk­ten Aktio­nen ihre historische Aufgabe er­füllten:

„Die Hauptstärke Lenins war, dass er die in­nere Logik der Bewegung begriff und da­nach seine Politik richtete. Er zwang den Massen nicht seinen Plan auf. Er half den Massen, ih­ren eigenen Plan zu erken­nen und zu verwirk­lichen“ (Trotzki, Die Umbe­waffnung der Par­tei, S. 277).

Die Partei entwickelt keine Rolle als Vor­hut der Klasse, indem sie sagt: „Hier ist die Wahrheit, auf die Knie jetzt“. Im Ge­genteil wurde die Partei von all den Un­gewissheiten und Hin­dernissen erfasst, die der Klasse im Wege standen; und wie der Rest der Klasse - wenn auch auf andere Weise - war sie dem zerstörerischen Ein­fluss der bürgerli­chen Ideologie ausge­setzt. Sie war aber fä­hig, ihre Rolle als ein Mo­tor in der Ent­wicklung des Klas­senbewusstseins zu spie­len, weil sie durch eine Reihe politischer Debatten die Fehler und Unvollkommen­heiten ihrer alten Po­sitionen überwinden konnte und einen Kampf auf Le­ben und Tod mit den ge­fährlichen  opportuni­stischen Verirrungen führte, um diese auszu­löschen.

Vom Beginn des Monats März an hatte ein beträchtlicher Teil der Bolschewiki die Forde­rung nach der Wiederverei­nigung mit den so­zialistischen Parteien (Menschewiki und Sozi­alrevolutionären) gestellt. Sie brachten ein an­scheinend un­fehlbares Ar­gument auf, das in den ersten Augenblicken der generellen Be­geisterung und wegen des Mangels an Erfah­rung der Massen auf diese eine Wirkung hatte: Warum sollten sich die sozialistischen Parteien zu einer Zeit, wo sie Seite an Seite marschie­ren, nicht vereini­gen? Warum die Arbeiter mit 2 oder 3 ver­schiedenen Parteien verwirren, die alle be­haupten, das Proletariat und den So­zialismus zu repräsentieren?

Tatsächlich bedeutete dieses Argument eine ernsthafte Bedrohung für die Revo­lution: Die Partei, die von 1902 an gegen den Opportu­nismus und Re­formismus an­kämpfte, die von 1914 an am konsistente­sten und entschieden­sten die internationale Revolution gegen den 1. Weltkrieg ver­teidigte, lief Ge­fahr, sich im trüben Was­ser der Sozi­alverräter aufzulösen. Wie konnte das Proletariat mit seinen eigenen Kräften die Verwirrungen und Illusionen, an denen es litt, überwinden? Wie konnte es die Ma­növer und Fallen des Feindes bekämpfen? Wie konnte es den Kampf in der richtigen Richtung weiterführen ange­sichts der Schwan­kungen oder der Nie­derlage? Lenin und die Partei be­kämpften siegreich die falsche Ein­heit, die nur eine Einheit mit der Bour­geoisie bedeutet hätte.

Anfangs war die bolschewistische Partei eine kleine Minderheit. Viele Arbeiter hat­ten Illu­sionen über die Provisorische Regie­rung und betrach­teten diese als eine Er­scheinung, die aus den Sowjets hervor­gegangen war, ob­wohl sie in Wirklichkeit ihr schlimmster Feind war. Im März und April nahmen die führen­den bolschewisti­schen Organe in Russ­land eine versöhnle­rische Haltung gegen­über der Provi­sorischen Regierung ein, womit sie die Ar­beiter in eine offene Unterstützung für den imperialisti­schen Krieg führten. Eine von der Ba­sis der Partei ausgehende Be­wegung (das Vyborgkomitee) erhob sich gegen diese op­portunistische Abwei­chung. Diese Bewe­gung fand ihren klar­sten Ausdruck in Lenin und seinen Aprilthesen. Für Lenin war die Schlüs­selposition: „Keinerlei Unter­stützung der Pro­visorischen Regie­rung, Aufdec­kung der gan­zen Verlogen­heit aller ih­rer Ver­sprechungen, insbesondere hin­sichtlich des Verzichts auf Annexionen. Entlarvung der Provisorischen Regie­rung statt der unzulässigen, Illusionen erwecken­den 'Forderung', diese Re­gierung, die Regie­rung der Kapitali­sten, solle aufhören, imperiali­stisch zu sein“ (Lenin, Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärti­gen Re­volution, Bd 2, S. 40).

Gleichzeitig verwarf Lenin die Akti­vitäten der Menschewiki und der Sozialrevolutio­näre ge­gen die Sowjets: „Der 'Fehler' der genannten Führer liegt in ihrer klein­bürgerlichen Hal­tung, liegt darin, dass sie das Bewusst­sein der Arbeiter trüben, an­statt es zu klären, dass sie kleinbürgerliche Illu­sionen einflössen, statt sie zu zerstören, dass sie den Einfluss der Bour­geoisie auf die Mas­sen stärken, anstatt die Massen von diesem Einfluss zu be­freien“ (Lenin, Über die Doppel­herrschaft, Bd. 2, S. 46).

Gegenüber denjenigen, die diese Entblössung als wenig praktisch be­trachteten, er­widerte Lenin: „In Wirk­lichkeit ist es im höchsten Grade prak­tische revolutionäre Arbeit, denn man kann eine Revolution nicht vorwärtstrei­ben, die zum Stillstand ge­kommen, die in Redens­arten versandet ist, die 'auf der Stelle tritt' nicht etwa äu­sserer Hindernisse we­gen..sondern weil die Mas­sen in blinder Ver­trauensseligkeit be­fangen sind....

Nur durch den Kampf gegen diese blinde Vertrauensseligkeit (der aus­schliesslich mit geistigen Waffen, durch kameradschaftli­che Überzeugung, durch Hinweis auf die Erfah­rungen des Lebens geführt werden kann und darf) können wir uns von der grassierenden revolutionären Phrase be­freien und wirklich sowohl das Bewusst­sein des Proletariats als auch das Be­wusstsein der Massen sowie ihre kühne, ent­schlossene Initiative überall im Lande, die selbständige Verwirklichung, Ent­faltung und Festigung der Freiheiten, der De­mokratie, des Prinzips des Gemeinbe­sitzes des Volkes am ge­samten Boden vor­antreiben“ (Lenin, Die Aufgaben des Pro­letariats in unse­rer Revolution, Bd. 2, S. 57).

Die Verteidigung der geschichtlichen Erfah­rung der Arbeiterklasse, ihrer Klassenposi­tionen, bedeutet, dass man in vielen Situa­tionen in den Reihen der Ar­beiter in der Minderheit ist. Das kommt daher, weil „die Masse schwankt: zwi­schen dem Vertrauen zu ihren alten Her­ren, den Kapitali­sten, und der Er­bitterung über sie; zwischen dem Vertrauen zu der neuen Klasse, die allen Werktätigen den Weg in eine lichte Zukunft er­öffnet, zu der ein­zigen konsequent revolutio­nären Klasse, dem Proletariat, und der man­gelhaften Er­kenntnis seiner welthistori­schen Rolle“ (Lenin, Die Lehren der Krise, Bd. 2, S. 87).

Um diese Schwankungen zu überwin­den, „kommt es nicht auf die Zahl an, sondern auf den richtigen Ausdruck der Ideen und der Po­litik des wirklich revolutionären Proletariats“ (Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unse­rer Revolution, Bd. 2, S. 75)

Wie alle anderen proletarischen Par­teien wa­ren auch die Bolschewiki ein unzer­trennlicher Teil der Klassenbe­wegung. Bol­schewistische Militante waren am ak­tivsten in den Kämpfen, in den Sowjets, den Fabri­ken und Versamm­lungen. Die Julitage zeigten klar die nicht zu lösende Bindung und das Engagement der Bol­schewiki ge­genüber der Klasse.

Wie wir weiter oben gesehen haben, wurde die Situation gegen Ende Juni untragbar we­gen des Hungers, des Krieges und des Chaos. Die Situation wurde noch ver­schlimmert durch die ver­deckte Politik der Bourgeoisie und durch die Tatsache, dass das Zentralexekutiv­komitee, das noch im­mer in der Hand der So­zialverräter war, nichts anderes unter­nahm als die Sowjets zu sabotieren. Die Arbeiter und Soldaten, hauptsächlich die­jenigen in der Hauptstadt, begannen den Sozi­alverrätern zu miss­trauen. Ungeduld, Verzweiflung und Wut wurden in den Ar­beiterreihen stärker und stärker; es trieb sie zur unmittelbaren Mach­tergreifung. Jedoch waren die Bedin­gungen dazu zu dem Zeitpunkt noch nicht reif:

- die Arbeiter und Bauern in den Provin­zen waren noch nicht auf dem­selben poli­tischen Niveau wie ihre Brüder in der Hauptstadt;

- die Bauern hatten noch immer Ver­trauen in die Provisorische Regierung;

- unter den Arbeitern der Hauptstadt war die vorherrschende Meinung, nicht wirk­lich die Macht zu überneh­men, sondern eine Kraftan­strengung zu unternehmen, um die „sozialistischen Führer zu zwin­gen, die Macht zu übernehmen. Anders ausge­drückt: die 5. Kolonne der Bour­geoisie bit­ten, die Macht im Namen der Arbeiter zu überneh­men.

Unter diesen Bedingungen wäre der Be­ginn der entscheidenden Konfronta­tion mit der Bourgeoisie und ihren Hilfsshe­riffs ein Aben­teuer gewesen, das das Schicksal der Revolu­tion hätte ernsthaft gefährden kön­nen. Es wäre eine Aktion gewesen, die zu einer end­gültigen Nie­derlage geführt hätte.

Die Bolschewiki warnten vor solch ei­ner Ak­tion; aber als sie sahen, dass die Mas­sen ihre Warnungen nicht berücksichtig­ten und fortfuh­ren, stan­den sie nicht ab­seits und sagten: „Das ist euer Begräb­nis. Die Partei betei­ligte sich an den Ak­tionen und ver­suchte, die Katastro­phe ab­zuwenden und gleichzeitig den Arbei­tern die Mög­lichkeit zu geben, ein Maximum an Lehren daraus zu ziehen, um sie für den wirkli­chen Au­genblick des Auf­stands vorzube­reiten. Sie kämpfte mit all ihrer Kraft, um sicherzu­stellen, dass der Petro­grader So­wjet durch ernst­hafte Diskussio­nen und durch die Ein­setzung von ad­äquaten Füh­rern sich selbst so erneuerte, dass er in Überein­stimmung mit der politi­schen Orientie­rung der Massen kam.

Die Bewegung war jedoch erfolglos und er­litt eine Niederlage. Die Bour­geoisie und ihre menschewistischen und sozialre­volutionären Hampelmän­ner begannen eine brutale Repres­sion gegen die Arbeiter und hauptsächlich ge­gen die Bolschewiki. Das Proletariat hatte einen hohen Preis zu zah­len: Verhaftungen, Erschiessungen und Exil. Das Opfer jedoch half der Klasse, die Aus­wirkungen der Nie­derlage zu be­grenzen und die Frage des Auf­standes in bewussterer und or­ganisierter Weise, unter besseren Be­dingungen neu zu stellen.

Die Bindung der Partei zur Klasse er­laubte ihr, als die schlimmsten Augen­blick der Reak­tion der Bourgeoisie im August vor­über wa­ren, die Synthese von Partei und Klasse zu verwirkli­chen, die für den Tri­umph der Revo­lution Voraus­setzung war: äIn jenen Tagen der Fe­bruarumwälzung hatte sich die gesamte vorangegangene langjährige Arbeit der Bol­schewiki ge­zeigt, und die von der Partei erzo­genen fortge­schrittenen Arbei­ter hatten ihren Platz im Kampfe gefun­den; doch eine unmit­telbare Leitung sei­tens der Partei gab es noch nicht. In den Aprilereig­nissen enthüllten die Partei­parolen ihre dynamische Kraft, die Be­wegung jedoch entwickelte sich spontan. Im Juni offenbarte sich der rie­sige Einfluss der Partei, doch die Massen traten noch im Rah­men einer offiziell vom Gegner be­stimmten Demonstration auf. Und erst im Juli erscheint die bolsche­wistische Partei, nachdem sie den Druck der Massen erfah­ren hat, gegen alle übri­gen Parteien auf der Strasse und bestimmt nicht nur ihre Parolen, sondern auch durch ihre organi­satorische Leitung den grundlegen­den Charakter der Bewegung. Die Bedeu­tung einer geschlos­senen Avant­garde zeigt sich zum erstenmal in ihrer gan­zen Stärke während der Juli­tage, wo die Partei- um einen hohen Preis - das Proletariat vor Zerschmette­rung be­wahrt und die Zukunft der Revolution und ihre ei­gene Zukunft si­chert“ (Trotzki, Konnten  die Bolschewiki im Juli die Macht ergrei­fen?, S. 475).

DIE SOWJETS FÜHRTEN DEN AUF­STAND DURCH

Der Zustand der Doppelherrschaft, der die ganze Zeit von Februar bis zum Ok­tober be­stimmte, war eine instabile und gefährli­che Zeit. Da sie aufgrund der Un­fähigkeit der bei­den Klassen, sich jeweils durch­zusetzen, sich fortzu­setzen drohte, scha­dete sie hauptsäch­lich dem Proleta­riat: Während die Un­fähigkeit und das Chaos dieser Peri­ode den wachsenden Po­pularitätsverlust der herrschenden Klasse ver­deutlichte, er­schöpfte und vernebelte sie gleichzeitig die Arbeitermassen. Sie wurden in fruchtlose Kämpfe reingezo­gen, und all das führte zu einer Entfrem­dung, zu einem Verlust der Sympathien der Mit­telklassen gegenüber dem Proleta­riat. Diese Situation erforderte eine Klä­rung, eine Loslösung, sie machte den Aufstand zu einer zwingenden Lösung: „Entweder muss die Revolution sehr rasch  und ent­schlossen vorwärts­stürmen, mit ei­serner Hand alle Hin­dernisse niederwerfen und ihre Ziele immer weiter stecken, oder sie wird sehr bald hinter ihren schwächli­chen Ausgangspunkt zurückgeworfen und von der Konterrevolution erdrückt“ (Rosa Luxemburg, Zur russischen Re­volution, Bd. 4, S. 339).

Der Aufstand ist eine Kunst. Er muss in ei­nem bestimmten Augenblick in der Ent­faltung und Reifung der revo­lutionären Si­tuation ausge­führt wer­den; er darf we­der zu früh erfolgen, was zu einem Fehl­schlag füh­ren würde, noch zu spät, was heissen würde, eine Gelegenheit verpasst zu haben, was wiederum bedeuten würde, dass die re­volutionäre Bewegung zu ei­nem Opfer der Konterrevolution wer­den würde.

Anfang September versuchte die Bour­geoisie mit Hilfe von Kornilow einen Putsch - das Si­gnal für die letzte Offen­sive der Bourgeoisie, um die Sowjets zu besei­tigen und ihre Macht wieder voll­ständig herzu­stellen. Das Proleta­riat durchkreuzte in inten­siver und brei­ter Zusammenarbeit mit den Soldaten den Plan der Bourgeoisie und beschleunigte gleichzeitig die Zerset­zung der Armee: in zahlreichen Regi­mentern sprachen sich die Soldaten für die Abset­zung der Offiziere aus und für die Orga­nisierung von Solda­tenräten - kurzum, sie stellten sich auf die Seite der Revolu­tion.

Wie wir weiter oben gesehen haben, än­derte die Erneuerung der Sowjets ab Mitte August klar das Gleichgewicht der Kräfte zugunsten des Proletariats. Die Niederlage des Korni­lowputsches beschleunigte die­sen Prozess.

Ab Mitte September strömte eine Flut von Re­solutionen, die die Machtüber­nahme verlang­ten, in die lokalen und regionalen Sowjets (Kronstadt usw.). Der Sowjet­kongress der Nordregionen vom 11. bis 13. Oktober sprach sich offen für den Auf­stand aus. Der Mins­ker Regionalkon­gress der So­wjets ent­schied, den Aufstand zu unterstüt­zen und schickte Solda­ten, die der Revolu­tion loyal waren: „Am 12. gab die Ver­sammlung einer der re­volutionärsten Fabri­ken der Haupt­stadt (Stari-Parvyei­nen) auf die Hetze der bür­gerlichen Presse die Ant­wort: 'Wir erklä­ren kategorisch, dass wir auf die Strasse gehen werden, so­bald wir es für nötig er­achten sollten. Uns schreckt nicht der nahe bevorstehende Kampf, und wir glau­ben fest, dass wir aus ihm als Sieger her­vorgehen wer­den“ (Trotzki, Das militäri­sche Revolutions­komitee, S.769).

Am 17. Oktober beschloss der Petro­grader Soldatenrat: „Die Pe­trograder Gar­nison kennt nicht länger die Provisorische Regie­rung an. Un­sere Regie­rung ist der Petro­grader Sowjet. Wir werden nur die Befehle des Petrograder Sowjets, die er mittels des Militärisch-revolutionären Ko­mitees aus­gibt, ausführen“ (J. Reed).

Der Vyborger Distriktsowjet rief zu einer Demonstration zur Unterstützung der Resolu­tion auf, an der sich Matro­sen be­teiligten. Eine Moskauer liberale Zeitung - die von Trotzki zitiert wird - beschrieb die Atmo­sphäre in der Stadt folgenderma­ssen: „In den Arbeitervier­teln, in den Fa­briken Petrograds, Vevskis, Obujows und Puti­lows, hat die bolschewistische Agita­tion für den Aufstand ihren Höhepunkt er­reicht. Die Haltung der Arbeiter ist die, dass sie bereit sind, zu jedem Zeitpunkt los­zuschlagen“ .

Die Zunahme von Bauernrevolten im Septem­ber zeigte eine anderes Element der Heranrei­fung der notwendigen Bedin­gungen für den Aufstand: „Ein vollendeter Verrat an der Bauern­schaft. Die Nieder­werfung des Bauernauf­standes zu­lassen, obwohl wir beide haupt­städtischen So­wjets in Händen haben, heisst jedes Vertrauen der Bauern verlieren und verdienter­massen verlieren, heisst sich in den Au­gen der Bauern mit den Liber­dan und den anderen Schuften auf eine Stufe stellen“ (Lenin, Die Krise ist heran­gereift, Bd. 2, S. 439).

Aber die internationale Lage war der Schlüs­selfaktor für die Revolution. Lenin unterstrich dies in einem Brief an die Bol­schewistischen Genossen, die am Kongress der Sowjets des Nord­gebietes (vom 8.10.1917) teilnahmen:

„Unsere Revolution macht eine im höchsten Grade kritische Zeit durch. Diese Krise fällt zusammen mit der grossen Krise des Heran­reifens der soziali­stischen Welt­revolution und ih­rer Be­kämpfung durch den Weltimperialis­mus. Den verantwortli­chen Führern unserer Partei fällt eine giganti­sche Aufgabe zu, und wenn sie diese nicht erfüllen, so droht der völ­lige Zusammen­bruch der internationalisti­schen proletari­schen Be­wegung. In diesem Au­genblick be­deutet eine Verzögerung wahr­haftig den Tod“ (Brief an die Genossen Bol­schewiki, die am Kongress der Sowjets des Nordge­biets teilnehmen, Bd. 2, S. 496). In einem anderen Brief hob Lenin her­vor: „Die Bol­schewiki haben nicht das Recht, auf den Sowjetkongress  zu warten, sie müssen die Macht sofort ergreifen. Da­durch retten sie sowohl die Weltrevolution (denn andernfalls droht ein Pakt der Im­perialisten aller Län­der, die nach den Erschiessungen in Deutschland einander ent­gegenkommen werden, um sich gegen uns zu vereinigen) wie auch die russi­sche Re­volution (sonst kann die Welle echter An­archie stärker werden als wir) und das Le­ben von Hunderttau­senden im Felde“ (Brief an das ZK, das Moskauer Komitee, das Petro­grader Komitee.., Bd. 2, S. 491). Dieses Verständnis der internationalen Ver­antwortung des russischen Proleta­riats war nicht auf Lenin und die Bol­schewiki be­schränkt. Im Gegenteil: viele Teile der Arbei­terklasse begriffen sie.

- am 1. Mai 1917 „beteiligten sich in ganz Russland Kriegsgefangene an der Seite der Soldaten an den Märschen mit den glei­chen Fahnen, manchmal sangen sie die gleichen Lieder in ande­rer Stimmlage... der kadetti­sche Mini­ster Schingarew (verteidigte) den Be­fehl Gutschkows gegen die 'übermässige Nach­sicht' mit den Ge­fangenen... Der Mini­ster fand nicht die ge­ringste Zustimmung. Die Ver­sammlung sprach sich entschieden für die Erleichte­rung des Schicksals der Gefangenen aus“ (Trotzki, Die Regie­renden und der Krieg, S. 242).

„Ein Soldat sprach, von der rumäni­schen Front, abgemagert, voll beben­der Leiden­schaft: 'Genossen, wir hun­gern an der Front, wir frieren, wir sterben und wissen nicht wo­für. Ich bitte die amerikanischen Genossen, es in Amerika zu sagen, dass wir Russen unsere Revolution bis zum Tode vertei­digen werden. Wir werden al­les daran­setzen, unsere Feste zu halten, bis die Massen der ganzen Welt sich erhe­ben wer­den, um uns zu Hilfe zu eilen. Sagt den amerikanischen Arbeitern, dass sie aufste­hen mögen zum Kampfe für die soziale Revolu­tion“ (J. Reed, S. 68).

Die Kerenski Regierung beabsichtigte, die re­volutionärsten Regimenter von Petro­grad, Moskau, Vladimir, Reval usw. an die Front oder in entfernte Regionen zu schicken, um den Kampf unter ihre Kon­trolle zu bringen. Gleichzeitig begann die liberale und men­schewistische Presse eine Verleumdungskam­pagne gegen die Sol­daten. Sie wurden ange­klagt, selbstgefäl­lig zu sein und “ihr Leben nicht für das Vater­land geben zu wol­len“. Die Arbeiter der Hauptstadt ant­worteten unmittel­bar: zahlrei­che Fa­brikversammlungen unter­stützten die Soldaten, riefen „Alle Macht den So­wjets“ und verabschiedeten Reso­lutionen für die Bewaffnung der Ar­beiter.

In dieser Atmosphäre entschied der Petro­grader Sowjet am 9. Oktober, ein militäri­sches Revolutionskomitee zu bilden mit dem an­fänglichen Ziel, die Regierung zu kontrollie­ren. Bald wurde es jedoch in das Zentrum der Organisierung des Aufstan­des umge­wandelt. Es umfasste Abgesandte des Petrograder So­wjets, des Matrosen­sowjets, des finnischen Sowjets, der Ei­senbahnergewerkschaft, des Kon­gresses der Fabrikräte und der Roten Garde. „Die Roten Garden entstanden zum er­sten Mal in der Revolution von 1905 und er­schienen er­neut in den Märztagen 1917 auf dem Schau­platz, als eine Kraft ge­braucht wurde, um Ruhe und Ordnung in den Städten zu wah­ren. Sie waren bewaff­net, und je­der Ver­such der Provisorischen Regie­rung, sie zu entwaffnen, blieb mehr oder weniger er­folglos. In jeder grossen Krise der Revolution erschie­nen die Roten Garden auf der Strasse, unge­schult und undiszipliniert, aber von revolutio­närem Elan erfüllt“ (J. Reed, S. 27).

Bei der Gründung berief das militäri­sche Re­volutionskomitee (MRK) eine Konfe­renz der Regimentskomitees ein, wo am 18. Oktober offen die Frage des Auf­stands diskutiert wurde. Die Mehrheit der Komi­tees, ausge­nommen zwei, die dage­gen wa­ren und zwei, die sich für neutral erklärten (es gab 5 weiter Regimenter, die nicht mit der Konferenz über­einstimmten), sprach sich zugunsten des Auf­stands aus. Gleich­zeitig verabschie­dete die Konfe­renz eine Resolution zugun­sten der Be­waffnung der Arbeiter. Die Resolution wurde bereits ausgeführt: In Massen strömten Ar­beiter zu den Arsena­len und verlangten nach al­len Waffen. Als die Regierung die Aushän­digung der Waf­fen verbot, beschlossen die Arbei­ter und Angestellten der Peter-Paul-Fe­stung (einer reaktionären Bastion), sich selbst dem MRK zu Verfügung zu stellen und orga­nisierten gemeinsam mit anderen Arsena­len die Verteilung der Waffen an die Sol­daten.

Am 21. Oktober nahm die Konferenz der Re­gimentskomitees folgende Re­solution an:ä1. Die Garnison von Pe­trograd und Umgebung verspricht dem Militärischen Revolutionskomitee volle Unterstützung bei all seinen Schritten. 2. Die Garnison wen­det sich an die Kosaken: Wir laden euch zu unseren morgigen Versammlungen ein. Seid willkommen, Brüder-Kosaken!. 3. Der Allrussische Sowjetkongress muss die Macht in seine Hände nehmen. Die Garnison ver­spricht feierlich, alle ihre Kräfte dem Kon­gress zur Verfügung zu stellen. Verlasst euch auf uns bevoll­mächtigte Vertreter der Soldaten, Ar­beiter und Bauern. Wir alle sind auf unseren Posten, bereit zu siegen oder zu sterben“ (Trotzki, Bd 3, S. 785, Das militärische Revolutionskomitee).

Hier haben wir die charakteristischen Merkmale eines Arbeiterauf­stands: die kreative Initiative der Mas­sen, gerade­aus vor­wärts, direkt und eine bewun­derswerte Orga­nisationsfähigkeit, Dis­kussionen und Debatten, die Resolu­tionen hervorbrin­gen, die den Stand des Bewusstseins, das die Massen er­reichten, zusamm­enfassten; Ver­lass auf Überzeugun­gen, wie in dem Aufruf an die Kosaken, die Regierung zu verlas­sen oder das leidenschaft­lich ge­führte und dramati­sche Treffen der Sol­daten der Pe­ter-Paul-Festung, das am 23. Ok­tober statt­fand und wo entschieden wurde, den Be­fehlen von niemand an­ders zu folgen als denen des MRK. Diese Wesens­merkmale sind haupt­sächlich Aus­drücke einer Bewe­gung zur Emanzipa­tion der Menschheit; der direkten, leidenschaftlichen, kreativen In­itiative und Führung der aus­gebeuteten Massen.

Der Sowjettag am 22. Oktober, der vom Petrograder Sowjet ausgerufen wurde, be­schloss endgültig den Auf­stand: In allen Di­strikten und Fabriken fanden jeden Tag Ver­sammlungen  und Treffen statt, die überwälti­gend mit den Slogans „Nieder mit Kerenski“ und „Alle Macht den Sowjets“ übereinstimm­ten. Das war ein giganti­scher Akt, in dem sich Arbei­ter, Be­schäftigte, Soldaten, viele Kosa­ken, Frauen und Kin­der offen für den Auf­stand vereinigten.

Es ist nicht möglich, im Rahmen die­ses Arti­kels all die Einzelheiten wieder­zugeben (dazu empfehlen wir die Bü­cher von Trotzki und J. Reed). Was wir zeigen wollten, ist das mas­sive, of­fene und kol­lektive Wesen des Auf­stands.

„Der Aufstand wurde deshalb für einen be­stimmten Tag festgelegt, den 25. Oktober. Aber darauf hatte man sich nicht in ir­gendeiner geheimen Sitzung geeinigt, son­dern offen und öffentlich, und die Revolu­tion wurde genau am 25. Oktober sieg­reich durchgeführt (6. November), wie vorher beschlossen. In der Weltgeschichte hat es viele Revol­ten und Revolutionen ge­geben, aber hatte es jemals einen anderen Aufstand von einer unterdrückten Klasse gege­ben, der so offen und öffentlich für ein bestimmtes Datum festgelegt worden war und genau an dem vorgesehenen Datum dann auch siegreich durchge­führt wurde? Aus diesem und anderen Gründen ist die Oktoberrevolution  (‚Novemberrevolution’) einzigartig und ohne Vergleich in der Geschichte“ (Trotzki, Die Novemberrevolution 1919). Die Bolschewisten hatten seit Septem­ber klar die Frage des Aufstands in den Ar­beiter- und Soldatenversammlungen ge­stellt; sie nahmen die kämpferisch­sten und entschiedensten Posi­tionen im MRK und in den Roten Garden ein; sie rüttelten da, wo Zweifel waren oder wo Positionen für die Provisorische Regierung eingenom­men wurden. Dies wurde durch die Über­zeugung der Sol­daten erreicht: Trotzkis Ansprache war zentral, um die Soldaten der Peter-Paul-Festung zu gewinnen. Auch ent­blössten sie unermüdlich die Ma­növer, Vor­würfe und Fallen der Men­schewiki. Schliess­lich kämpften sie für die Einberu­fung des 2. Sowjetkongres­ses ge­gen die Sabotage der So­zialverräter.

Trotzdem waren es nicht die Bolsche­wiki al­lein, sondern das ganze Proleta­riat Pe­trograds, das den Aufstand ent­schied und ihn ausführte. Die Men­schewiki und Sozi­alrevolutionäre hat­ten ständig das Zu­sammenkommen des 2. Kongresses der Sowjets hinauszuzögern ver­sucht. Durch den Druck der Massen, das Be­harren der Bolschewki, das Verschicken von Tausen­den von Telegrammen seitens der örtli­chen So­wjets an entsprechende Stellen mit der Aufforderung der Abhaltung dieses Kongres­ses, das zu seiner Einberufung für den 25. Oktober führte. „Nach der Revo­lution vom 25. Oktober sprachen die Men­schewiki und vor allem Mar­tow viel von der Machtergreifung hin­ter dem Rücken der 'Sowjets' und der 'Arbeiter'. Man kann sich eine schamlosere Verdrehung der Tat­sachen kaum vorstellen. Als die Sowjets - in einer Sitzung - mehrheitlich beschlos­sen, den 2. Kongress für den 25. Ok­tober einzu­berufen, sagten die Men­schewiki 'ihr habt die Revolution be­schlossen'. Als wir im Petrograder Sowjets mit einer überwälti­genden Mehrheit beschlossen, die Zer­streuung der Regimenter weg von der Haupt­stadt nicht zuzulassen, sagten die Men­schewiki, 'das ist der Anfang der Re­volution“. Als wir im Petrograder Sowjet das militärische Revolutionskomitee schu­fen, meinten die Men­schewiki, 'dies ist das Organ des be­waffneten Aufstands'. Aber als der Aufstand, der zuvor von diesem Organ geplant, ausgearbeitet und 'erfunden' war, auch an jenem festgelegten Tag stattfand, riefen die gleichen Men­schewiki: 'eine Verschwörung hat eine Re­volution hinter dem Rücken der Ar­beiter  angezettelt“ (Trotzki, ebenda).

So schuf das Proletariat selbst die Kraft, das Mittel - die allgemeine Be­waffnung der Ar­beiter, die Bildung des MRK, der Auf­stand - damit der So­wjetkongress wirklich die Macht über­nehmen könnte. Hätte der Kongress der Sowjets entschie­den, die „Macht zu überneh­men“, ohne vorher diese Mass­nahmen durch­zuführen, wäre dies nur eine leere, inhaltslose Geste geblieben, die leicht durch die Feinde der Revo­lution hätte zerschlagen werden kön­nen. Es ist nicht möglich, den Auf­stand als eine isolierte, formale Hand­lung zu betrach­ten. Er muss als Teil ei­ner umfas­senden Dy­namik der ganzen Klasse gese­hen werden, konkret in ei­nem Prozess auf internationaler Ebene, auf der sich die Bedin­gungen für die Re­volution entwic­kelten. Aber auch in Russland, wo unzähl­bare örtliche So­wjets die Machter­greifung for­derten: die Sowjets von Petrograd, Mos­kau, Tula, im Ural, in Sibirien, in Ju­kow - führten sie den siegreichen Aufstand gemein­sam durch.

Der Sowjetkongress traf die endgültige Ent­scheidung, womit die Stärke der In­itiative des Proletariats in Petrograd voll bestätigt wurde: „Gestützt auf den Willen der gewalti­gen Mehr­heit der Arbeiter, Soldaten und Bau­ern, ge­stützt auf den in Petro­grad vollzo­genen sieg­reichen Aufstand der Ar­beiter und der Garni­son, nimmt der Kon­gress die Macht in seine Hände...Der Kon­gress beschliesst: Die ganze Macht geht al­lerorts an die Sowjets der Arbeiter-, Sol­daten- und Bauern­deputierten über, die eine wirkliche re­volutionäre Ordnung zu ge­währleisten haben“. (An die Arbeiter, Soldaten und Bau­ern!, Band 2, S. 525).

Adalen, aus Internationale Revue Nr. 72 (1993)

Wir haben die Fehler der Bolschewisti­schen Partei nie geleugnet, auch nicht ih­ren Niedergangsprozess, und wie sie zum Rückgrad der verhassten stalinistischen Diktatur wurde. Siehe dazu unsere Artikel in der Internationalen Revue sowie unser Sonderheft: „Die Kommunistische Linke in Russland“.

Theorie und Praxis: 

  • Die Russische Revolution [40]

Polemik mit Programma Comunista zum imperialistischen Krieg

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Die Verwerfung der Auffassung der De­kadenz führt zur Schwächung der Arbeiter­klasse gegenüber dem Krieg

In den Nummern 90, 91 und 92 der Zeit­schrift 'Programme Communiste', die von der 'Internationalen Kommunistischen Par­tei' (IKP) veröffentlicht wird, welche auch die Zeitungen 'Il Comunista' auf italienisch und 'Le Prolétaire' auf französisch heraus­gibt (1), gibt es eine lange Untersuchung über 'der im­perialistische Krieg im bürger­lichen Zyklus in der marxistischen Ana­lyse'. In dieser Untersu­chung werden die Auffas­sungen der IKP über diese für die Arbeiter­bewegung so wichtige Frage ent­faltet. Die grundlegenden politischen Posi­tionen der IKP zu dieser Frage sind eine klare Vertei­digung der proletarischen Prinzi­pien ge­genüber all den Lügen, die von den ver­schiedenen Vertretern der herrschenden Klasse verbreitet werden. Jedoch bleiben be­stimmte theoretische Entwicklungen, auf die sich diese Prinzi­pien stützen und die Voraus­sagen, die aus ihnen abgeleitet sind, hinter den Erforder­nissen der Grundsatzpo­sitionen zurück, womit sie diese eher schwächen als stär­ken. In diesem Artikel wollen wir die feh­lerhaften theoretischen Auffassungen kritisie­ren, damit die klarsten und fundier­testen Grundlagen für die Ver­teidigung des proleta­rischen Internationa­lismus ge­schaffen werden.

Im Gegensatz zu anderen Organisationen, die sich auch auf die kommunistische Linke beru­fen (insbesondere die verschie­denen IKP's, die zur bordigistischen Strö­mung ge­hören) hat die IKS immer eine klare Unter­scheidung zwi­schen den Grup­pierungen gemacht, die sich innerhalb des proletari­schen Lagers befinden und denje­nigen, die dem bürgerlichen Lager ange­hören, wie z.B. die verschiedenen trotz­kistischen Or­ganisationen. Es ist nicht möglich irgend­eine politische Debatte mit den Trotzki­sten zu führen. Die Verant­wortung der Revo­lutionäre besteht darin, diese Strömungen als ein Instrument der herrschenden Klasse zu entblößen, welches dazu dient, mittels 'radikaler' Worte das Proletariat von seinem Klassenterrain ab­zubringen, um es an die In­teressen des Kapitals zu binden. Dagegen ist die politi­sche Debatte zwischen den Organisa­tionen des proletarischen Lagers nicht nur eine Möglichkeit, sondern auch eine Ver­pflichtung. Dabei geht es nicht um einen einfachen Ideen­austausch, wie er in Uni­versitätsseminaren stattfindet, sondern um die Verteidigung klarer  politischer Po­sitionen. In dieser Hinsicht kann er auch die Gestalt einer lebhaften Polemik anneh­men, weil die Fragen von herausragen­der Be­deutung für die Bewegung der Klasse sind, weil jeder Kommunist weiß, daß ein kleiner theoretischer Fehler dramatische Kon­sequenzen für das Proletariat haben kann. Aber selbst in den Polemiken ist notwendig, das Richtige an den Positionen einer Organi­sation anzuerkennen.

EINE FESTE VERTEIDIGUNG DER KLASSENPOSITIONEN?

Die IKP beruft sich auf die Tradition der ita­lienischen kommunistischen Linken, d.h. eine der internationalen Strömungen, die während der Entartung der 3.Internationale in den 20er Jahren Klas­senpositionen weiter aufrechter­halten ha­ben. In dem Artikel von 'Programme Communiste' kann man fest­stellen, daß bei ei­ner ganzen Reihe von we­sentlichen Fra­gen diese Organisation die Positionen der italieni­schen Linken nicht aus den Augen verloren hat. Insbesondere gibt es in dem Artikel klare Darstellungen der Kommuni­sten gegenüber dem imperiali­stischen Krieg. Die Haltung der IKP kann nicht verglichen werden mit der Haltung der Pa­zifisten oder Anarchisten ge­genüber dem Krieg: "Der Marxismus verwirft die Leh­ren und abstrakten Aussagen, die die ab­lehnende Haltung gegenüber dem Krieg zu einem geschichtslosen Prinzip machen, und die die Kriege auf metaphysische Weise als das Absolut-Böse  darstellen. Unsere Einstel­lung stützt sich auf eine hi­storische und dia­lektische Analyse der kriegerischen Krisen in Verbindung mit der Entwicklung und dem Ab­sterben von Gesellschaftsfor­men. Wir unter­scheiden somit

a) die Kriege des bürgerlichen Fortschritts oder der Entwicklung in der Zeit von 1792-1871,

b) imperialistische Kriege, die durch das ge­genseitige Zusammenprallen der Natio­nen im hochentwickelten Kapitalismus entstan­den sind,

c) revolutionäre proletarische Kriege "Die allgemeine Orientierung besteht darin, die Kriege zu unterstützen, welche die allge­meine Entwicklung voranbringen und die Kriege ab­zulehnen, die die allgemeine Ent­wicklung ver­zögern. Deshalb sind wir für die Sabotage der imperialistischen Kriege, nicht weil sie schrecklicher oder abscheuli­cher wären als die vorhergehenden Kriege, sondern weil sie ein Hindernis für die Zu­kunft der Menschheit darstellen, weil die imperialistische Bour­geoisie und der Welt­kapitalismus keine fort­schrittliche Rolle mehr spielen, sondern im Gegenteil zu ei­nem Hindernis für die allge­meine gesell­schaftliche Entwicklung geworden sind. (PC Nr.90 S.22)" Die IKS stimmt mit diesen Aussagen überein, das deckt sich mit dem, was wir in unseren Publikationen dazu ge­sagt haben.

Auch ist die Entblößung des Pazifismus durch die IKP besonders klar und zutref­fend. "Der Kapitalismus ist kein Opfer des Krieges, der von diesem oder jenem Teufel hervorgerufen wird, die Kriege sind keine Überreste von barbarischen Zeiten, die noch nicht ganz aus­gemerzt sind...Der bür­gerliche Pazifismus muß notwendiger­weise in die Kriegstreiberei münden. Der idylli­sche Traum eines friedli­chen Kapita­lismus ist keineswegs unschuldig. Es han­delt sich um einen blutbefleckten Traum. Wenn man zugibt, daß Kapitalismus und Krieg ständig zusammengehören, muß man, wenn das Kriegsgeschrei ertönt, einge­stehen, daß et­was der Zivilisation ge­genüber Fremdes die friedliche humanitäre Entwick­lung des Ka­pitalismus bedroht, daß der Kapi­talismus sich also verteidigen müßte, d.h. auch mit Waffen, falls andre Mittel nicht aus­reichen, indem er die Men­schen, die guten Willens sind, und die Friedliebenden zusam­menbringt. Der Pa­zifismus vollzieht seine letzte Wendung und wird zum Kriegstreiber, zu einem aktiven Faktor und zu einem Haupt­element bei der direkten Mobilisie­rung für den Krieg. Hier handelt es sich um einen Zwangs­prozeß, der aus der internen Dynamik des Pa­zifismus selbst hervorgeht. Dieser neigt näm­lich seinem Wesen gemäß dazu, Kriegstreiber zu werden" (PC Nr.90 S.22). Aus dieser Analyse leitet die IKP eine richtige Orientie­rung gegenüber den an­geblichen Antikriegs­bewegungen ab, die gegenwärtig immer wie­der aufblühen. Wir sind natürlich mit der IKP einverstanden, was den Antimilitarismus der Arbeiter­klasse betrifft (wie z.B. der während des 1.Weltkrieges, der ja zur Revolution in Rußland und Deutschland geführt hat). Aber dieser Antimilitarismus der Arbeiter­klasse kann sich nicht entfalten, wenn er von den Mobilisierungen ausgeht, die von den bürger­lichen Kräften organisiert wer­den: "Gegenüber den gegenwärtigen Friedensbe­wegungen besteht unser positi­ver Vorschlag nicht in einer Intervention in Form von Propa­ganda oder einem Bekeh­rungseifer gegenüber den Mitgliedern der Arbeiterklasse, die vom Pazifismus gefan­gen genommen, von kleinbür­gerlichen Mo­bilisierungen vereinnahmt wur­den, um sie aus dessen Klauen herauszurei­ßen. Wir sa­gen insbesondere gegenüber die­sen verein­nahmten Leuten, daß der Antimilita­rismus sich nicht mittels der heutigen Frie­densmärsche verbreitet, sondern nur durch den unnachgiebigen Kampf zur Verteidi­gung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Pro­letarier mittels eines Bruches mit den Interes­sen des Unternehmens und der Volkswirt­schaft. Da die Verteidigung der Arbeitsdiszi­plin und der Volkswirtschaft die Disziplin in den Schützengräben und die Verteidigung des Vaterlandes vorbereiten, bedeutet das, daß die Verwerfung der Inter­essen der Unternehmen und der Volkswirt­schaft heute eine Grundlage für die Vorbe­reitung des Antimilitarismus und des Defä­tismus darstellen." (PC Nr.92 S. 61) Wie wir später aufzeigen werden, ist der De­fätismus heute kein Slogan mehr, der in der gegenwärtigen Situation oder der Zukunft an­gebracht wäre. Jedoch un­terstreichen wir die Richtigkeit der Heran­gehensweise der IKP.

Schließlich ist der Artikel von PC auch sehr klar bezüglich der Rolle der bürgerli­chen De­mokratie bei der Vorbereitung und Durchfüh­rung des imperialistischen Krieges: "In unse­ren zivilisierten Staaten herrscht der Kapita­lismus dank der Demo­kratie. Wenn der Kapi­talismus Kanonen und seine Generäle einsetzt, dann indem er sich auf die Mechanismen der Demokratie, auf deren hypnotische Riten stützt." (PC Nr.91 S.38) "Die Existenz eines demokra­tischen Regimes ermöglicht es dem Staat eine grö­ßere militärische Effizienz zu er­reichen, da dadurch  sowohl die Vorbe­reitung des Krieges gefördert als auch die Wider­standskraft während des Krieges ma­ximal ausgenutzt wird. Der Faschismus kann nur an das Nationalgefühl appellie­ren, das bis zu ei­ner rassistischen Hysterie getrieben wird, um die nationale Einheit zu befesti­gen. Die Demo­kratie dagegen kann sich auf eine Kraft stüt­zen, die noch stär­ker ist, um die gesamte Ge­sellschaft für den imperiali­stischen Krieg zu­sammenzuschweißen. Die Tatsache, daß der Krieg direkt aus dem Willen des Volkes her­vorgeht, welcher durch die Wahlen zum Aus­druck kommt und auf diese Weise dank der Mystifikation der  Wahlbefragungen der Krieg als Verteidi­gung der Interessen der Volksmas­sen, der arbeitenden Klassen insbesondere, er­scheint." (PC Nr.91 S.419) Wir haben diese langen Zitate aus Programme Communiste (wir hätten übri­gens auch andere bringen kön­nen, insbe­sondere zur historischen Verdeutli­chung der vorgetragenen Thesen) gebracht, weil sie genau unsere Positionen zu diesen Fra­gen widerspiegeln. Anstatt also mit unse­ren eigenen Worten unsere Prinzipien zum imperialistischen Krieg zu wiederholen, ist es nützlich die tiefgreifende Einheit und die ge­meinsame Auffassung in dieser Frage inner­halb der kommunistischen Lin­ken zu verdeut­lichen. Es handelt sich um unsere gemeinsa­men Auffassungen.

Aber genauso wie wir die Prinzipieneinheit unterstreichen müssen, ist es auch die Auf­gabe der Revolutionäre, die Inkonsequen­zen und die theoretischen Inkohärenzen der bordigisti­schen Strömung aufzuzeigen, die die Fähig­keit, als wirksamer Kompaß ge­genüber der Arbeiterklasse aufzutreten, stark untergraben. Und die erste dieser In­konsequenzen besteht in der Weigerung, die Dekadenz, den Nieder­gang der kapitalisti­schen Produktionsweise zur Kenntnis zu nehmen und anzuerkennen.

DIE NICHT-VORHANDENE DEKA­DENZ AUS BORDIGISTISCHER SICHT

Die Anerkennung, daß seit diesem Jahrhun­dert und insbesondere seit dem 1.Weltkrieg die kapitalistische Gesellschaft in ihre Nieder­gangsphase eingetreten ist, ist ein Eckpfeiler der Perspektive der kommunisti­schen Bewe­gung. Im 1. impe­rialistischen Weltkrieg stützten sich Revo­lutionäre wie Lenin bei der Verteidigung der Notwendig­keit, daß die Ar­beiterklasse die­sen Krieg verwerfen mußte, den imperialisti­schen Krieg in einen Bürger­krieg umwandeln sollte, auf die Analyse der Dekadenz. (Siehe insbesondere "Der Imperia­lismus, das höchste Stadium des Kapitalis­mus") Auch stand der Eintritt des Kapitalis­mus in seine Nieder­gangsphase im Mittelpunkt der politischen Po­sitionen der Komintern bei ih­rer Gründung im März 1919. Gerade weil der Kapitalismus zu ei­nem dekadenten Sy­stem geworden war, war es nicht mehr möglich in­nerhalb des Systems zu kämpfen, um Refor­men zu er­reichen, wie es die Par­teien der 2.Internationale befür­worteten, sondern die einzige historische Auf­gabe der Arbeiter­klasse bestand darin, für die Welt­revolution zu kämp­fen. Besonders auf die­sem theoretischen Fun­dament hat schließ­lich die internationale kommunistische Linke und insbesondere die Italienische Linke ihre politischen Positionen erarbei­ten können. Je­doch war es die Origina­lität Bor­digas und der Strömung, die er ins Le­ben gerufen hat, die Tatsache zu leugnen, daß der Kapitalismus in seine Niedergangs­stufe eingetreten war. Und dennoch ist die bordi­gistische Strömung und insbesondere die PCI dazu gezwun­gen, anzu­erkennen, daß sich etwas am An­fang dieses Jahrhunderts geändert hatte hinsichtlich des Wesens der Wirtschafts­krisen als auch hin­sichtlich des Wesens des Krieges.

Hinsichtlich des Wesens des Krieges spre­chen die Zitate, die wir oben gebracht ha­ben, für sich selber. Es gibt in der Tat einen grundle­genden Unterschied zwischen den Kriegen der kapitalistischen Staaten im letzten Jahrhundert und den Kriegen in die­sem Jahrhundert. Z.B. trennten 6 Jahr­zehnte die Napoleonischen Kriege gegen Preußen vom Deutsch-Französi­schen Krieg 1870/71, während nur 4 Jahr­zehnte zwi­schen 1870 und dem 1.Weltkrieg mit sei­nem Beginn 1914 lagen. Jedoch unterschei­det sich der 1.Weltkrieg, der Krieg zwi­schen Frankreich und Deutsch­land sehr von all den Kriegen vorher. So konnte Marx die deut­schen Arbeiter dazu aufrufen, sich am Krieg von 1870 zu be­teiligen (siehe das 1.Manifest des General­rates der AIT), wo­bei er sich gleichzeitig auf dem Klassenbo­den der Arbei­terklasse befand, während die deutschen Sozi­aldemokraten, die die deut­schen Arbeiter 1914 zur nationalen Vertei­digung aufrie­fen, sich voll auf dem Boden der Bürgerli­chen be­fanden. Genau das ha­ben die Re­volutionäre wie Lenin oder Luxemburg fest in der Zeit gegen die Na­tionalchauvinisten verteidigt, die vorgaben, sich auf die Positionen von Marx im Jahre 1870 zu stützen. Die Position Mar­xens von 1870 war 1913 nicht mehr gültig, denn der Krieg hatte sein Wesen geändert und diese Änderung selbst leitete sich aus einer grundlegenden Änderung des Lebens der ge­samten kapitalistischen Produktionsweise ab.

Programme Communiste sagt übrigens nichts anderes als das, wenn es behauptet, daß die imperialistischen Kriege "als Hürde für die hi­storische Zukunft der Menschheit wirken, weil die imperialisti­sche Bour­geoisie und der Welt­kapitalismus keine fort­schrittliche Rolle mehr spielen, sondern im Gegenteil zu einem Hin­dernis für die allge­meine Entwicklung der Ge­sellschaft gewor­den sind". Ein Zitat von Bor­diga aufgrei­fend meint die IKP: "Die imperia­listischen Welt­kriege beweisen, daß die Zer­fallskrise des Kapitalismus auf Grund der Öff­nung der Periode unver­meidbar ist, wo seine Aus­dehnung nicht zu einer Erhöhung, zu ei­ner Stärkung der Produktivkräfte führt, sondern die Akku­mulation von einer noch größeren Zerstö­rung abhängig macht. (PC Nr.90 S.25) Aber weil die IKP in den alten bordi­gistischen Dogmen verfangen ist, ist sie un­fähig, die logische Konsequenz vom Standpunkt des historischen Materialismus aus zu ziehen. Die Tatsache, daß der Welt­kapitalismus zu einem Hindernis für die all­gemeine Entwicklung der Gesellschaft ge­worden ist, bedeutet ganz ein­fach, daß diese Produktionsform in ihre Nie­dergangsphase eingetreten ist. Als Lenin oder Luxemburg 1914 diese Feststellung trafen, hatten sie diese Idee nicht einfach erfunden, sondern sie wandten nur gewis­senhaft die marxisti­sche Theorie auf das Verständnis der histo­rischen Tatsachen der damaligen Epoche an. Die IKP, wie alle anderen IKP's, wel­che der bordigistischen Strömung angehö­ren, be­ruft sich auf den Marxismus. Das ist eine gute Sache. Heute können nur die Or­ganisationen, die ihre programmatischen Positionen auf die Lehre des Marxismus stützen, behaupten, die revolutionäre Per­spektive des Proleta­riats zu vertreten. Aber leider beweist die IKP, daß sie diese Me­thode falsch verstan­den hat. Insbe­sondere verwendet die IKP gerne den Begriff dia­lektisch, aber sie zeigt uns genau wie der Unwissende, der durch die Verwendung von vielen gebil­deten Worten Eindruck schinden will, in Wirklichkeit nur, daß er nicht weiß, wovon er spricht.

Z.B. kann man von der IKP hinsichtlich des Wesens der Krisen folgendes lesen: "Die Zehnjahreskrisen des jungen Kapita­lismus hatten nur geringe Auswirkungen. Sie wa­ren mehr geprägt durch die Krisen des internatio­nalen Handels als durch die Kri­sen im Indu­striebereich. Sie erfaßten nicht die industriel­len Produktionsstruktu­ren. Es handelte sich um die Krisen der Arbeitslo­sigkeit, d.h. Fir­menschließungen, Zusam­menbruch von Indu­strien. Die mo­dernen Krisen dagegen sind Krisen, in denen das ganze System auseinan­derbricht, und wo später das System nach­her unter großen Schwierigkeiten seine unter­schiedlichen Strukturen wieder auf­bauen muß" (PC Nr.90 S.28). Dann folgt eine Reihe von Statistiken, die das große Ausmaß der Kri­sen im 20.Jahrhundert. belegen, und deren Ausmaß weit über das der Krisen im letzten Jahr­hundert hinaus­reicht. Weil die IKP nicht sieht, daß der Unterschied des Aus­maßes zwischen die­sen beiden Arten von Krisen nicht nur einen grundlegenden Un­terschied zwischen den Kri­sen selbst ans Tageslicht bringt, sondern die unterschied­liche Le­bensform des Systems selbst wider­spiegelt, verwirft die IKP ein Grundlagen­element des dialek­tischen Marxis­mus. Die Umwandlung der Quantität in Qua­lität. Für die IKP ist der Unterschied zwischen den beiden Krisen­formen ausschließlich ein quantitativer, und er betrifft nicht die grundle­genden Mecha­nismen der Krisen selber. Dies zeigt die IKP, wenn sie schreibt: "Im letzten Jahr­hundert gab es sechs Weltwirtschaftskri­sen 1836, 1848, 1856, 1883, 1886 und 1894. Die Zyklus­dauer dieser Krisen betrug Marx zufolge zehn Jahre. Diesem jugendlichen Rhythmus folgte in der Zeit von Anfang die­ses Jahr­hunderts bis zum Ausbruch des 2.Weltkriegs eine schnellere Reihenfolge von Krisen. 1901, 1908, 1914, 1920, 1929. Dem stark gewachsenen Kapitalis­mus ging eine Steige­rung der organischen Zusam­mensetzung des Kapitals ein­her...,was zu einer wachsen­den Akkumu­lationsrate führte. Aus dem Grunde fiel die Durchschnittsdauer dieses Zy­klus auf sie­ben Jahre" (PC Nr.90 S.27). Die­ses Re­chenbeispiel der Dauer des Zyklus be­weist, daß die IKP die wirtschaft­lichen Er­schütterungen des letzten Jahrhun­derts auf die gleiche Ebene stellt wie die dieses Jahrhun­derts, ohne jedoch zu begrei­fen, daß das We­sen der Zyklen selbst sich grundlegend geän­dert hat. Blind geworden durch die Gefolg­schaft gegenüber den heili­gen Worten Bordi­gas, sieht die IKP nicht den Aussagen Trotzkis zufolge, daß die Krisen des vorigen Jahrhun­derts ein nor­males Herzschlagen des Kapita­lismus wa­ren, während die Krisen des 20.Jahrhundert. das Rö­cheln des mit dem Tode ringenden Ka­pitalismus sind.

Die gleiche Blindheit legt die IKP an den Tag, wenn sie die Verbindung zwischen Krise und Krieg aufzuzeigen versucht. Sehr systematisch und sehr breit aus­schweifend, weil in Erman­gelung einer wirklichen theo­retischen Strenge (wir kommen später dar­auf zurück), versucht die IKP aufzuzeigen, daß in der gegenwär­tigen Phase die kapita­listische Krise notwendiger­weise zum Welt­krieg führt. Dies ist eine sehr lobenswerte Sorge, denn damit bemüht sich die IKP all die illusori­schen Reden der Pazifi­sten zu entblößen. Der IKP kommt es jedoch nicht in den Sinn zu fragen, ob die Tatsache, daß die Krisen des 19.Jahrhundertrh. nicht zu ei­nem Weltkrieg führten und auch nicht zu jeweils lokalen Kriegen, nicht auf einen grundlegen­den Unterschied gegenüber den Krisen im 20.Jahrhundert. zurückzuführen sind. Hier liefert uns die IKP einen sehr armseligen Marxismus. Hier geht es nicht nur um ein mangelndes Verständnis des Begriffes Dia­lektik, sondern es handelt sich um eine Weigerung oder zu­mindest um eine Unfä­higkeit tief zu untersu­chen und über eine Fixierung über eine offen­sichtliche Ähn­lichkeit hinauszugehen, die zwi­schen den Wirtschaftszyklen früher und heute be­steht, um die bestimmenden Hauptphäno­mene der kapitalistischen Pro­duktionsweise zu be­stimmen.

So erweist sich die IKP als unfähig, bei ei­ner so wesentlichen Frage wie dem imperialisti­schen Krieg zufriedenstellend die marxistische Theorie anzuwenden, um den grundlegenden Unterschied zwischen der aufsteigenden und der niedergehenden Phase des Kapitalismus aufzuzeigen. Und die traurige Verdeutlichung dieser Unfähig­keit zeigt sich dadurch, daß die IKP den Kriegen der jetzigen Periode eine ähnliche wirtschaftliche Rationalität zuzuord­nen ver­sucht, wie sie die Kriege im letzten Jahr­hundert haben konnten.

RATIONALITÄT UND IRRATIONALI­TÄT DES KRIEGES

In unserer Internationalen Revue haben wir zahlreiche Artikel zur Irrationalität des Kriegs in der Niedergangsphase des Kapi­talismus veröffentlicht.(5) Unsere Position ist keinesfalls eine Entdeckung unserer Organisa­tion. Sie stützt sich auf die grund­legenden Er­rungenschaften des Marxismus seit Anfang die­ses Jahrhunderts, besonders auf die Errungen­schaften, die Lenin und Rosa Luxemburg ent­wickelt haben. Diese Errungenschaften wur­den sehr klar 1945 von der Gauche Communi­ste de France in Auseinandersetzung mit der revisionisti­schen Theorie entfaltet, welche Vercesi am Vorabend des 2.Weltkriegs ent­wickelt hatte, und die  seine Organisation, die Ita­lienische Fraktion der kommunistischen Linken, zu einer vollständigen Lähmung zum Zeitpunkt des Ausbruchs des imperia­listischen Kon­fliktes geführt hatte.

"Zur Zeit des aufsteigenden Kapitalismus drückten ... die Kriege den aufsteigenden Weg der Gärung, Erweiterung und Ausdeh­nung des kapitalistischen Wirt­schaftssystems aus... Die Aufwendungen für jeden Krieg wurden durch die Eröff­nung neuer Ausdeh­nungsfelder gerechtfer­tigt, womit eine grö­ßere kapitalistische Produktion gewährlei­stet war. .. Der Krieg war unerläßlich für den Kapitalismus, um seine weitere Ent­wicklung zu einem Zeit­punkt zu gestatten, wo dies nur durch Ge­walt möglich war. Ebenso führt der Zu­sammenbruch der ka­pitalistischen Welt, der die Unmöglichkeit weiterer Entwick­lung verdeutlicht, zum im­perialistischen Krieg. Dieser wird dann der Ausdruck die­ses Zusammenbruchs. Der Krieg ermög­licht dann keine weitere Aus­dehnung der Produktion, sondern führt nur zur Zerstö­rung der Produktivkräfte und zum Aufhäu­fen einer Ruine nach der anderen" (aus: "Bericht zur Internatio­nalen Lage", Juli 1945, GCG, in International Review; Nr. 59).

Die Unterscheidung zwischen den Kriegen dieses Jahrhunderts und denen des vorigen Jahrhunderts wird auch von der IKP, wie wir oben gesehen haben, vorgenommen. Jedoch zieht die IKP daraus nicht die Kon­sequenzen, sondern, nachdem sie einen Schritt in die richtige Richtung gemacht hat, geht sie zwei Schritte zurück, indem sie eine wirtschaftliche Rationalität der Kriege dieses Jahrhun­derts sucht. Die IKP versucht diese Rationali­tät, "die grund­sätzliche Ver­deutlichung der öko­nomischen Faktoren, die die Staaten in den Krieg treiben," (PC Nr.92, S.54) in den Zita­ten von Marx zu finden, der schrieb, daß eine periodische Zerstörung von Kapital zu einer notwendigen Bedingung geworden ist... Aus dieser Sicht betrachtet sind all diese furchtbaren Greuel, die wir mit soviel Angst und Sorge erwarten, wahrscheinlich das einzige natürliche und notwendige Korrektiv eines exzessiven und übertriebenen Überflusses, die Kraft, mittels der das gegenwärtige Gesellschaftssystem sich von Zeit zu Zeit von einer ständig wachsenden überschüssigen Warenmasse befreit, die seine Existenz bedroht und somit die Rückkehr zu einer festen und gesunden Zustand ermöglicht.

Die Zerstörung des Kapitals, die Marx hier erwähnt, wird durch die zyklischen Krisen der damaligen Zeit hervorgerufen (nicht durch den Krieg). Gerade weil damals die Krisen der Herzschlag des kapitalistischen Systems waren (obgleich sie damals schon die historischen Grenzen aufzeigten). An vielen Stellen seiner Arbeiten zeigte Marx, daß die Art und Weise, wie der Kapitalis­mus seine Krisen überwindet, nicht nur in einer Entwertung des zeitweise überschüs­sigen Kapitals besteht, sondern auch und vor allem in der Eroberung neuer Märkte und insbesondere in Gebieten außerhalb der kapitalistischen Produktionsverhält­nisse.(6) Und da der Weltmarkt nicht als grenzenlos angesehen werden kann, weil die außerkapita­listischen Märkte nur ab­nehmen können, bis sie vollständig ver­schwinden, weil das Kapital den ganzen Erdball seinen Gesetzen unter­wirft, wird der Kapitalismus in immer stärke­re und katastrophalere Er­schütterungen ge­trieben. Diese Idee wurde viel systematischer von Rosa Luxemburg in ihrem Werk "Die Ak­kumulation des Kapi­tals" entwickelt, aber sie hat sie keines­wegs, wie einige Unwis­sende behaupten, erfunden. Diese Idee er­scheint üb­rigens auch zwischen den Zeilen in bestimm­ten Abschnitten des Textes der IKP. Aber wenn sie Rosa Luxemburg er­wähnt, tut sie das nicht, um sich auf ihre außergewöhnlichen theore­tischen Ausfüh­rungen zu stützen, die mit der größten Klarheit die Krisenmechanis­men des Ka­pitalismus erklä­ren, insbesondere warum die Gesetze des Systems es historisch schei­tern lassen, son­dern die IKP erwähnt Rosa Luxemburg nur, um sich auf die um­strittene Idee zu stützen, die in der 'Akkumulation des Kapitals' vor­handen ist. Es dreht sich hier um die These, derzu­folge der Militarismus ein Akkumula­tionsfeld sein könnte, der teilweise die öko­nomischen Wi­dersprüche des  Kapita­lismus erleichtert. (PC Nr.91, S.31-33) Gerade in diese Idee hatte sich Vercesi Ende der 30er Jahre verlaufen, woraus er die Schlußfolge­rung zog, daß die gewaltige Entwicklung der Rüstungsproduk­tion von 1933 an eine Wieder­ankurbelung der ka­pitalistischen Produktion ermöglichen würde, und damit die Perspektive eines Welt­kriegs immer weiter aufheben könnte. Wenn jedoch die IKP eine systemati­sche Erklärung des Kri­senmechanismus liefern will, um die vor­handene Beziehung zwi­schen der Krise und dem imperialistischen Krieg aufzuzeigen, entfaltet sie eine ein­seitige Auf­fassung, die sich hauptsächlich auf das Gesetz des tenden­ziellen Falls der Profitrate stützt: "Seitdem die bürgerliche Produktionsweise zur vorherr­schenden geworden ist, ist der Krieg auf de­terministische Art und Weise eng ver­bunden mit dem Gesetz, das Marx über die durch­schnittliche Profitrate erar­beitet hatte, welches die Tendenz des Kapi­talismus hin zur Endka­tastrophe ist." (PC Nr.90 S.23) Dem folgt eine Zusammenfas­sung, die PC aus Bor­diga, Dia­log mit Sta­lin, übernommen hat. Den Thesen Mar­xens zufolge bringt die ständige An­hebung des Wertes der Waren (aufgrund des stän­digen Fortschritts der Produktions­techniken) nämlich des Anteils, der den Ma­schinen und den Rohstoffen gegenüber dem Anteil der Lohnarbeit zugeordnet werden kann, eine historischen Tendenz des Falls der Profitrate mit sich, solange nur die Ar­beit des Arbeiters dazu in der Lage ist, Profit zu produzieren (mehr Wert zu produzieren als sie den Unternehmer kostet).

Wir müssen darauf hinweisen, daß die IKP  (und Bordiga, den PC aus­führlich in ihrer Analyse zitiert) die Frage der Märkte nicht außer acht läßt. Und die Tatsa­che, daß der imperialistische Krieg die Folge der Konkur­renz zwischen kapitalistischen Staa­ten ist.

"Die geometrische Progression der Produk­tion verlangt vom nationalen Kapi­tal zu ex­portieren, auf den äußeren Märk­ten ent­sprechende Absatzmöglichkeiten für seine Pro­duktion zu erobern. Und da jeder natio­nale Akkumulationspol den gleichen Regeln unter­worfen ist, ist der Krieg zwi­schen kapitalisti­schen Staaten unvermeid­lich. Von den Wirt­schafts- und Handels­kriegen, den Finanzkon­flikten, den Kämp­fen um Roh­stoffe und den politischen und diplomati­schen Zusammenstö­ßen, die dar­aus hervor­gehen, kommen wir schließlich zum offenen Krieg. Der latente Konflikt zwischen Staaten bricht zunächst in Gestalt militärischer Konflikte auf, die auf be­stimmte geographi­sche Zonen beschränkt sind, von örtlichen Kriegen, in denen die Groß­mächte nicht di­rekt aufeinanderpral­len, son­dern durch Stellvertreter; aber er mündet schließlich in einen generalisierten Krieg, d.h. den di­rekten Zusammenprall der großen staat­lichen Einheiten des Impe­rialismus, wobei sie alle gegeneinander getrieben werden aufgrund ihrer inneren Widersprüche. Und alle kleine­ren Staaten werden in diesen Konflikt mit hin­eingezogen, dessen Schlachtplatz sich not­wendigerweise auf den ganzen Planeten aus­dehnt. Akkumulation, Krisen, örtliche Kriege, Weltkrieg." (PC Nr.90 S.26)

Mit dieser Ana­lyse kann man einverstan­den sein, denn sie untermauert nur das, was die Marxisten seit dem 1.Weltkrieg behauptet ha­ben. Die Sache bekommt je­doch da einen Ha­ken, wo die Su­che nach äußeren Märk­ten von der IKP nur als eine Folge des ten­denziellen Falls der Pro­fitrate angesehen wird, während der Kapita­lismus als Ganzes ständig Märkte außerhalb sei­ner eigenen Produktionssphäre benötigt, wie es von Rosa Luxemburg unter Beweis ge­stellt wurde. Er benötigt diese näm­lich, um den Teil des Mehrwertes zu realisie­ren, der dazu dient, in einem späteren Zy­klus vom Ka­pital mit dem Ziel der Akku­mulation wieder investiert zu werden. Von dieser ein­seitigen Betrachtungsweise aus­gehend, ordnet PC dem imperialistischen Weltkrieg eine ge­naue öko­nomische Funk­tion zu. Es meint, es gäbe eine wirkliche Rationalität in der Funkti­onsweise des Ka­pitalismus:

unklar.....

"Die Krise hat ihren Ur­sprung in der Unmög­lichkeit der Fortsetzung der Akku­mulation. Dies äußert sich, wenn das Wachstum der Produktionsmasse es nicht mehr schafft, den Fall der Profitrate aus­zugleichen. Die Masse der gesamten Mehrar­beit reicht nicht mehr, dem vorge­schossenen Kapital Profit zu garan­tieren, und um die Be­dingungen für die Renta­bilität der Investitio­nen zu schaffen. Durch die Zerstörung des konstanten Kapitals (tote Ar­beit) in großem Maßstab spielt der Krieg eine wirt­schaftlich wesentliche Rolle: Dank der schrecklichen Zerstörungen des Produktions­apparates ermöglicht der Krieg eine gewaltige zukünftige Ausdeh­nung zur  Ersetzung der zerstörten Anal­gen, also eine paral­lele Ausdehnung des Profits, des ge­samten Mehr­wertes, d.h. der Mehrar­beit....Die Bedingun­gen für den Wiederauf­schwung des Akkumu­lationsprozesses sind somit herge­stellt. Der Wirtschaftskreislauf fängt von neuem an...Das weltweite kapita­listische System tritt veraltet in den Krieg ein, aber ver­jüngt sich in dem Blut­bad, durch das es eine neue Jugend erhält, ins­gesamt geht es daraus mit der Vitalität ei­nes kräftigen Neu­geborenen hervor." (PC Nr.90 S.24)

Die These von PC ist nicht neu. Sie wurde von Grossmann aufgebracht und syste­matisch in den 20er Jahren entwickelt, nach ihm wurde sie von Mattick, einem Theore­tiker der rätekommunistischen Be­wegung, wieder auf­gegriffen. Sie kann ganz einfach in den fol­genden Begriffen zusammengefaßt werden: Durch die Zer­störung des kon­stanten Kapitals läßt der Krieg die organi­sche Zusammenset­zung des Kapitals sinken und ermöglicht somit eine Erhöhung der Profitrate. Jedoch wurde nie bewiesen, daß während des Wiederauf­schwungs nach den Weltkriegen die organi­sche Zusammenset­zung des Ka­pitals niedriger war als vor dem jeweiligen Welt­krieg. Das Gegenteil ist meistens der Fall. Wenn wir z.B. den 2.Weltkrieg neh­men, ist es klar, daß in den vom Krieg zerstörten Ländern die durch­schnittliche Produktivität der Arbeit und damit das Verhältnis zwischen konstantem und vari­ablen Kapital sehr schnell, Anfang der 50er Jahre, das Niveau von 1939 er­reicht hatte. Tatsächlich waren die nach dem Krieg erbau­ten Produktionsanlagen sehr viel moder­ner als die durch den Krieg zer­störten Anla­gen. PC stellt dies übrigens selbst fest, denn es erklärt dies gerade als eine der Ursachen für den Nachkriegs­boom:

"Die Kriegswirt­schaft übermittelt dem Kapita­lismus u.a. sowohl den technischen und wissenschaftli­chen Fortschritt, der von der Rüstungsindu­strie erzielt wurde, als auch die Industrieanla­gen, welche für die Rüstungspro­duktion auf­gebaut wurden. Diese wurden in der Tat nicht alle durch die Bombardierungen zerstört -, und auch nicht wie im Falle Deutschlands durch die De­montage der Alli­ierten...Die großflä­chige Zerstörung von Aus­rüstungen, Anla­gen, Gebäuden, Transport­mitteln usw., der Zu­fluß von Produktions­mitteln auf ei­ner hohen Stufe der technologi­schen Zusam­mensetzung, die aus der Rü­stungsindustrie stammt,... all das legte die Grundlagen für das Wirtschaftswunder." (PC Nr.92 S.38)

Was die USA angeht, war die organische Zu­sammensetzung ihres Kapitals, da es keine Zerstörungen auf dem Boden der USA gege­ben hat, 1945 höher als die von 1939. Jedoch war die Wohlstandsphase, die mit der Wiederaufbauphase einherging, län­ger. Tatsächlich dau­erte sie bis Mitte der 60er Jahre, als der Zeit­punkt des Wieder­aufbaus der Produktionsan­lagen aus der Vorkriegs­zeit wieder erreicht war, wodurch das frü­here Niveau der organi­schen Zusam­mensetzung wieder­hergestellt war.(7)

Da wir schon sehr viele Texte als Kritik an den Auffassungen von Grossmann, Mattick verfaßt haben, auf die sich die IKP in der Tra­dition Bordigas stützt, wollen wir hier nicht weiter darauf eingehen. Jedoch ist es wichtig, die theoretischen Fehler überhaupt aufzuzei­gen, zu denen die Auffassungen Bor­digas, die die IKP jetzt wieder auf­greift, füh­ren.

DIE FEHLER DER AUFFASSUNG DER IKP

Die Hauptsorge der IKP ist vollkommen rich­tig: Die Unvermeidbarkeit des Krieges aufzu­zeigen, insbesondere will sie die Auf­fassung vom Superimperialismus, die insbe­sondere von Kautsky während des 1.Weltkrieges ent­wickelt wurde, verwer­fen. Dieser Auffassung  zufolge könnten sich nämlich die Großmächte einigen, um eine gemeinsame und friedliche Weltherr­schaft zu errichten. Diese Auffassung war natür­lich eine der Lügen der Pazifisten, die dar­auf abzielte, den Arbeitern einzutrich­tern, daß es möglich wäre, den Krieg zu Ende zu bringen, ohne den Kapitalismus zu zerstö­ren. Um dieser Auffassung entgegenzutre­ten, liefert die IKP das fol­gende Argument:

"Ein Superimperialismus ist unmöglich. Wenn aus außergewöhnlichen Gründen der Imperialis­mus es schaffen sollte, Konflikte zwi­schen den Staaten abzuschaffen, wür­den seine inneren Widersprüche ihn dazu zwin­gen, er­neut in na­tionale, miteinander kon­kurrierende Akkumu­lationspole auseinan­derzubrechen und damit in staat­liche Blöcke, die miteinander in Kon­flikt stehen. Die Notwendigkeit, gewaltige Mas­sen toter Arbeit zu zerstören, kann nicht al­lein durch Naturkatastrophen erfüllt werden. (PC Nr.90 S.26).

Kurzum die grundlegende Funktion der impe­rialistischen Blöcke oder der Tendenz hin zu ihrer Bildung besteht darin, Bedin­gungen zu schaffen für massive Zerstörun­gen. Wenn man diese Auffassung vertritt, versteht man jedoch nicht, warum die ka­pitalistischen Staaten sich gerade nicht unter­einander verständigen könnten, um  -wenn not­wendig-  solche Zer­störungen her­beizuführen, die eine Erhöhung der Pro­fitrate und der Pro­duktion wieder er­möglichen würden. Sie ver­fügen über ausrei­chende Mittel, um solche Zerstörun­gen her­beizuführen, wobei sie durchaus die Kontrolle über die Zerstörungen aufrechter­halten kön­nen und ihre jeweili­gen Interes­sen dabei am besten verteidi­gen. Was PC hier nicht berück­sichtigen will, ist, daß die Spaltung in impe­rialistische Blöcke das logi­sche Ergebnis der Konkurrenz zwischen den verschie­denen na­tionalen Teilen des Kapita­lismus ist. Es han­delt sich um eine Konkur­renz, die der We­senskern dieses Sy­stems sel­ber ist und die sich zuspitzt, wenn die Krise in ihrer ganzen Ge­walt zuschlägt. Deshalb rührt die Bildung von imperialisti­schen Blöcken keineswegs aus ei­ner Ten­denz, auch wenn sie noch unabge­schlossen ist, hin zur Vereinigung kapitalisti­scher Staa­ten, sondern sie ist das Er­gebnis der Not­wendigkeit der Bildung von Militärbünd­nissen, weil kein Staat allein in einen Krieg gegen alle anderen eintreten kann. Das Wich­tigste bei der Bildung von Blöcken ist nicht die Konvergenz von Inter­essen, die zwischen ver­schiedenen verbün­deten Staaten bestehen kön­nen, d.h.  eine Kon­vergenz, die infra­gegestellt werden kann, wie sie die Bündnis­wechsel während des 20.Jahrhunderts mehr­fach bewie­sen ha­ben. Wichtig ist vielmehr der grundle­gende Wi­derspruch zwischen den Blöcken, der der höchste Ausdruck der unüberwindba­ren Rivalitäten zwischen allen Nationalstaaten ist. Deshalb ist die Auffassung, es könnte einen Superimperialismus geben, logisch wi­dersinnig.

Weil die IKP schwache bzw. leicht widerleg­bare Argumente benutzt, fußt die Verwerfung der Auffassung vom Superim­perialismus bei der IKP auf schwachen Bei­nen. Dadurch wird der Kampf gegen die Lügen der herrschenden Klasse abge­schwächt. Dies wird offensichtlich anhand des nächsten Teils des Zitates. "Die Men­schenmassen und der Wille der Menschen müssen die Sachen ändern, die gegeneinan­der gerichtet sind, die einge­setzt werden, um ihre und andere Intelli­genzen zu ver­nichten." Hier können wir sehen, wie schwach die Argu­mentation der IKP ist. Of­fen gesagt: in Anbe­tracht all der Mittel, über die heute die kapitali­stischen Staaten verfügen, insbeson­dere die Atom­waffen, warum wäre da der Menschen­wille und vor allem die Menschen­massen un­abdingbar, um einen ausreichenden Grad der Zerstö­rung herbeizuführen, unter der Voraus­setzung, daß dies, wie die IKP meint, die wirt­schaftliche Funktion des impe­rialistischen Krieges wäre.

Schließlich bezahlt die bordigistische Strö­mung mit schwerwiegenden theoretischen und politischen Fehlern die Schwäche der Ana­lyse, auf die sich ihre Position zum imperiali­stischen Krieg und zu den Blöc­ken stützt. In­dem sie auf der einen Seite den Begriff des Su­perimperialismus zur Tür hinausjagen will, läßt sie mit dem Be­griff eines russisch-ame­rikanischen Kondomini­ums den Begriff des Superimpe­rialismus wieder zum Fenster her­ein. "Der 2.Weltkrieg hat ein Gleichge­wicht hervor­gebracht, das durch die Formel "russisch-amerikanisches Kondominium" rich­tig be­schrieben wird...Wenn bislang der Frie­den in den imperialistischen Metropolen re­giert hat, dann vor allem auf Grund der Vor­herrschaft der USA und der UdSSR." (PC Nr.91 S.47) "Tatsächlich spiegelte der kalte Krieg deutlich die Sicherheit der bei­den Sieger­mächte des Konfliktes des Welt­krieges und die Stabilität der in Jalta fest­gelegten Gleichge­wichte wider; dies ent­sprach den Bedürfnis­sen der ideologischen Mobilisie­rung und der Kontrolle der so­zialen Span­nungen, die inner­halb der Blöcke existier­ten. Der neue kalte Krieg, der an die Stelle der Entspannung in der zweiten Hälfte der 70er Jahre trat, spie­gelte das Erfordernis der Kontrolle der Wider­sprüche nicht (noch nicht) zwischen den Klas­sen wider, sondern der Wider­sprüche zwi­schen den Staaten, die immer mehr Schwie­rigkeiten hatten, die al­ten Bündnissysteme zu ertragen. Die russi­sche und amerikanische Reaktion auf den wach­senden Druck bestand darin, die poli­tische Aggressivität ihrer Ver­bündeten in die Richtung des feindlichen La­gers zu len­ken" (PC, Nr.92, S. 47)..

Kurzum der erste kalte Krieg hatte ihnen zu­folge eigentlich nur einen ideologischen Hin­tergrund: die Widersprüche zwischen den Klassen im Griff zu halten. Hier wird wirklich die Welt auf den Kopf gestellt: Wenn es nach dem 1.Weltkrieg in der Tat eine Ab­schwächung der imperialistischen Spannungen gab und gleichzeitig eine Ab­schwächung der Kriegs­wirtschaft, dann ge­schah dies deshalb, weil die Bourgeoisie sich hauptsächlich damit befassen mußte, der revolutionären Welle von Kämpfen, die 1917 angefangen hatte, entge­genzutreten. Sie mußte eine gemeinsame Front gegen die Gefahr aufbauen, die vom tödlichen Feind aller Teile der Bour­geoisie, nämlich dem Proletariat,  ausging. Während dagegen der 2.Weltkrieg sofort in die Entfaltung und Eskalation imperiali­stischer Widersprüche zwischen den bei­den Hauptsiegermächten mündete, wobei die Kriegswirtschaft auf ei­nem sehr ho­hen Niveau aufrechterhalten wurde. Hier liegt die Erklärung darin, daß die Gefahr, die von der Ar­beiterklasse aus­ging, welche von der Konter­revolution ge­schwächt wor­den war, vollstän­dig während des Krieges und unmittelbar nach dem Krieg aus der Welt geschafft wor­den war. Die Bour­geoisie hatte aus ihrer eige­nen hi­storischen Erfahrung ge­lernt. Folgt man der Auffas­sung von PC, war der Koreakrieg, der In­dochinakrieg und später auch der Viet­namkrieg, und lassen wir all die Kriege im Nahen/Mittleren Osten außer acht, wo sich Israel, das fest von den USA unter­stützt wurde, und die arabischen Staaten, die massiv Waffenlieferungen von der UdSSR be­kamen, aufeinanderprallten, und spre­chen wir nicht von den Dutzenden von Kriegen bis hin zum Krieg in Afghanistan 1980, die bis Ende der 80er Jahre dauer­ten, dann hatten all diese Kriege nichts mit ei­nem grundlegenden Wider­spruch zwi­schen den beiden großen imperiali­stischen Mon­stern zu tun, sondern waren nur ir­gendein Bluff, oder sie entsprachen nur einfachen ideologi­schen Kampagnen gegen die Arbeiter­klasse oder vielleicht sogar der Not­wendigkeit, daß jede der Supermächte in ih­rem Herrschaftsbereich ihre Vorherr­schaft aufrechterhalten wollte.

Darüber hinaus wird dieser Idee von PC selbst widersprochen, denn der Entspan­nung zwi­schen den beiden Blöcken am Ende der 50er bis Mitte der 70er Jahre schreibt PC die glei­che Funktion zu wie dem kalten Krieg. "Tatsächlich war die Entspannung nur die Antwort der beiden Supermächte auf die Bruchli­nien, die im­mer offensichtlicher in ih­ren Ein­flußbereichen auftraten. Die Entspan­nung be­deutete, daß Moskau und Washington starken Druck auf ihre Verbündeten aus­übten, um ihre zentri­fugalen Bestrebungen einzu­dämmen." (PC Nr.92 S.43)

Es stimmt, daß die Kommunisten nie das für bare Münze nehmen dürfen, was die Bourgeoisie und ihre Historiker sagen. Aber zu behaupten,  daß bei den meisten Kriegen (mehr als 100), die von 1945 bis Ende der 80er Jahre die Welt erschüttert haben, nicht die Großmächte ihre Finger im Spiel hatten, bedeutet die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. Gleich­zeitig heißt das, das in Frage zu stellen, was die IKP selbst richtigerweise sagt: "Der latente Konflikt zwischen Staaten bricht zunächst auf in Gestalt von be­grenzten militärischen Konflikten, die zunächst auf bestimmte geo­graphische Ge­biete lokal begrenzt bleiben, in denen die Großmächte nicht direkt zu­sammenprallen, sondern deren Stellvertreter". Die IKP kann immer den Widerspruch zwischen dem, was sie erzählt, und der Wirklichkeit oder die Unterschiede zwischen ihren ver­schiedenen Argumenten durch die "Dialektik" erklären. Damit beweist sie aber vor allem, daß theoretische Strenge nicht gerade ihre Stärke ist, und daß sie manchmal einfach irgendetwas erzählt, was nicht gerade bedeutet, daß sie den Lügen der herrschenden Klasse wirksam entgegentre­ten kann und das Bewußtsein des Proletari­ats verstärkt.

Genau hierum geht es, und all das erreicht die Stufe einer Karikatur, wenn die IKP sich auf einen Artikel von Bordiga aus dem Jahre 1950 stützt, um die Lügen des Pazi­fismus zu bekämpfen. In diesem Arti­kel stellt die IKP die Entwicklung der Stahlpro­duktion als das Hauptindiz und gar als einen Faktor dar, der die Entwicklung des Kapi­talismus selber widerspiegelt. "Der Krieg im Zeitraum des Kapitalismus, d.h. die schrecklichste Art von Kriegen, ist eine Krise, die unausweichlich durch die Not­wendigkeit hervorgerufen wird, den herge­stellten Stahl zu verbrauchen und für das Monopolrecht auf die zusätzliche Stahlpro­duktion zu kämpfen" ("Seine Ma­jestät der Stahl", Battaglia Comunista Nr. 18, 1950).

Immer noch von dem Willen getrieben, dem Krieg eine 'rationale' Begründung zu ge­ben, gibt die IKP zu verstehen, daß der im­perialistische Krieg nicht nur etwas Gutes für den Kapitalismus sei, sondern auch für die gesamte Menschheit  und da­mit auch für die Arbeiterklasse. "Die Ver­längerung des bürgerlichen Friedens über die durch den ökonomischen Zyklus bestimmten Grenzen hinaus, könnte, selbst wenn dies mög­lich wäre, nur zu noch schlimmeren Situa­tionen führen als der Krieg uns schon bie­tet". Dem folgt ein Zitat aus einem Artikel Bordigas, der einen Preis wert ist!

"Hören wir auf anzunehmen, daß es an­statt der beiden Weltkriege den bürgerli­chen in­dustriellen Frieden gegeben hätte. In unge­fähr 35 Jahren ist die Stahlproduk­tion ca. 20 mal gestiegen. Diese Stahlpro­duktion wäre 20mal höher gewesen als die 70 Mio.t von 1915, sie würden also heute (d.h. 1950) 1.400 Mio. t betragen. Aber all dieser Stahl kann nicht gegessen, ver­braucht, nicht zerstört werden, sondern dient nur den Massakern der Völker. Die 2 Mrd. Men­schen wiegen ca. 140 Mio. Ton­nen. Sie würden innerhalb eines einzigen Jahres 10 mal mehr Stahl produzieren als ihr ei­genes Ge­wicht. Die Götter be­straften Midas, indem sie ihn in eine Masse Gold verwandelten - das Ka­pital würde die Menschen zu einer Masse Stahl, Erde, Wasser und Luft verwandeln, in der sie in einem Metallgefängnis lebten. Der bürgerliche Frieden bietet also noch bestia­lischere Perspektiven als der Krieg"

Hier befindet sich Bordiga schlechthin im Delirium, was diesem Revolutionär leider oft genug passierte. Aber anstatt sich ge­genüber diesen Ausführungen zu distanzie­ren, geht die IKP im Gegenteil noch weiter: "Vor allem wenn man davon ausgeht, daß der Boden, der in Stahlsärge umgewandelt worden wäre, ein Ort des Verfaulens wäre, wo überflüssige Waren und Menschen friedlich verfaulten. Seht ihr Pazifisten, was das Er­gebnis eurer "Rückkehr zur Vernunft" der Regierungen, ihre Hinwendung zur "Friedenskultur" bringen würde. Aber ge­nau deshalb handelt es sich nicht um Wahn­sinn, sondern um Vernunft - natürlich um die Vernunft der bürgerlichen Gesell­schaft, die alle Regierungen in den Krieg treibt - hin zum heilsamen und hygieni­schen Krieg" (PC, Nr. 92, S. 54).

Als Bordiga diese Zeilen schrieb, auf die sich die IKP beruft, verwarf er eine der grundlegenden Analysen des Marxismus. Der Kapitalismus produziert Waren. Und wer Waren sagt, spricht von der Möglich­keit ein Bedürfnis zu befriedigen, so per­vertiert dies auch sein mag, wie das Be­dürfnis nach Mordinstrumenten und Zerstö­rungsmitteln seitens der kapitalisti­schen Staaten. Wenn er Stahl in großen Mengen produziert, dann um zum großen Teil die Nachfrage des Staates nach Rü­stungsgütern zu befrie­digen. Aber diese Produktion kann nicht über die Nach­frage des Staates hinausge­hen: wenn die Stahlindustrie ihren Stahl nicht mehr an das Militär verkaufen kann, weil dies schon ausreichend Massen Stahl aufgekauft hat, werden die Stahlprodu­zenten ihre Produk­tion nicht lange fortset­zen können, bevor sie in Konkurs gehen, denn die Produktion fin­det keine Käufer mehr. Sie sind nicht wahn­sinnig. Bordiga jedoch ist schon ein wenig wahnsinnig, wenn er sich vorstellt, daß die Stahlpro­duktion endlos lange fortgesetzt werden könnte, ohne auf eine andere Grenze als die der Zerstörung durch den imperiali­stischen Krieg zu stoßen.

Es ist ein Glück für die IKP, daß das Lä­cherliche nicht tötet (und Bordiga ist ja auch nicht daran gestorben). Wahrschein­lich würden die Ausführungen der IKP und der dahinterstehenden sie inspirierenden Kraft auf ein großes Lachen in den Reihen der Arbeiter stoßen. Aber es ist deshalb umso bedauernswerter, daß die IKP solche Auf­fassungen vertritt. Indem sie sich auf stu­pide und lächerliche Argumente gegen den Pazifismus einläßt, stärkt sie nicht die Seite des Proletariats, sondern seines Geg­ners.

Die Sache hat jedoch auch eine gute Seite. Bei der Rechtfertigung der "Rationalität des Krieges" zerstört die IKP gleichzeitig die ganze Idee. Die IKP tritt nämlich für eine Per­spektive ein, bei der das Proleta­riat Gefahr läuft, gegenüber dem Krieg desorientiert, hilflos dazustehen, weil dadurch die Gefahr, wel­cher der Kapitalismus für die Menschheit bedeutet, unterschätzt wird. Dies wird deutlich in der folgenden Be­hauptung der IKP: "Daraus geht auch her­vor (aus dem Krieg als einem Ausdruck ei­ner "ökonomischen Vernunft"), daß der inter-imperialistische Kampf und der Zusammen­stoß zwischen rivalisierenden Mächten nie zur Zerstörung des Planeten führen kann, weil es sich nicht um exzes­sive imperialisti­sche Gier handelt, sondern um die Notwen­digkeit die Überproduktion zu überwinden. Wenn der Überschuß zer­stört ist, steht die Kriegsmaschinerie still, unabhängig von dem Zerstörungspotential der eingesetzten Waffen, denn gleichzeitig verschwinden auch die Kriegsursachen" (PC, Nr. 92, S. 55).

Wir werden in einem weiteren Artikel auf die dramatische Unterschätzung der impe­rialistischen Kriegsgefahr eingehen, zu der die IKP kommt, und insbesondere auf die politische Entwaffnung, die die politischen Aussagen dieser Organisation für die Ar­beiterklasse bedeuten.

FM,     aus International Review, Nr. 77, 2. Quartal 1994, Erstveröffentlichung auf deutsch in Internationale Revue Nr. 15, 1994

Jahresfeiern 1944:

  • 1961 reads

Noch nie wurde die Landung der Alliierten (D-Day, Decision-Day) am 6. Juni1944 mit soviel Aufwand und Medienspektakel wie in diesem Jahr gefeiert. Nochnie war der Sieg der Alliierten in Europa mit solch einer Gehirnwäsche in denMedien aufge­bauscht worden. Das Ziel besteht wieder einmal darin, dasimperialistische Wesen des Holocaustes des 2. Weltkriegs zu übertünchen, wiesie es übrigens schon mit dem 1. Weltkrieg taten. Nicht nur zieht dieBourgeoisie wieder das alte faschistische Schreckgespenst hervor. Sie mussviele Er­scheinungen der jetzigen zerfallenden ka­pitalistischen Gesellschaftselbst für ihre Propaganda einsetzen. In Deutschland wird jetzt nach demZusammenbruch des Ostens, nach der Wiedervereinigung viel Aufheben gemacht umdie Anhänger eines "Großdeutschlands" - das von Skin­heads undanderen Rechtsradikalen so laut gefor­dert wird. Der Mord an Türken undBrandanschläge gegen Ausländer werden mediengerecht so dargestellt, dass essich jeweils um "Feinde der Demokratie", Er­ben der "neuen brauenPest" handelt. Wenn Neo-Nazi-Schlägerbanden Auslän­der ver­prügeln, wirddas in den Medien so prä­sentiert: "Nazi-Banden jagen Ausländer in denStraßen von Magdeburg"... und wir sollen glauben, es sei alles wieder wiein den 30er Jahren unter Hitler. In Italien hat der Demagoge Berlusconi dieRegierungsge­schäfte übernommen und er­nannte drei Rechtsradikale als Minister.Kurz danach ließ der Stadtrat von Vicenza einen Marsch einiger Hundert Neonazismit Hakenkreuz-Fahnen zu. Plötzlich war­nen die Politiker vor einem neuen"Marsch auf Rom". Der wirkliche Marsch wurde von der bürgerli­chenLinken am 25. April organisiert. Die­ser Marsch zog nämlich trotz Regens ca.300.000 Menschen an, die sich unter der Fahne des Antifaschis­mus versammelten.Die propagandistische Trickkiste, so wie wir sie seit der Zeit nach dem 2.Weltkrieg kennen, wurde wieder ausgepackt.

In Frankreich warnen sowohl die Führer der KP als auch der SozialistischenPartei vor der faschistischen Gefahr, nachdem sie jahrelang den Führer derNationalen Front Le Pen als Schreckgespenst dargestellt ha­ben. Als ein DutzendWaffen-SS Vetera­nen die Strände der Normandie mit ihrem Besuch"beehrten", musste dies als ein Bei­spiel für die wachsende Bedrohungdurch die "Feinde der Demokratie" herhalten.

Die 50 Millionen Kriegstoten werden von den Medien, angefangen von CNN bishin zur kleinsten Lokalzeitung, als die Opfer aus­schließlich der Nazisdargestellt. In den meisten europäischen Staaten wird viel Aufheben gemacht umdie Aktionen von rechtsextremen Gruppen. Gerade rechtzei­tig bringt Hollywoodeinen Film raus über das Massaker an den Juden in Europa (Schindlers List). DerIdealismus der tap­feren GIs, die zu Tausenden an den Küsten der Normandie imNamen der Freiheit starben, wird hochgelobt.

Diese militärischen Feiern vermeiden sorg­fältigst die Verbrechen der"siegreichen Demokratien"[1]. Dabei reichen deren Ver­brechenaus, um die Führer dieser Staaten in die gleiche Gesellschaft einzuordnen wieHitler, Mussolini und Hirohito. Aber selbst dieses Denken ist eine Konzessionan die Personifizierung von "Kriegsverbrechen". Die Diktatoren warenalle nur "untergeordnete" Schergen, denn die herr­schende Klasse, dieBourgeoisie, ist als Klasse insgesamt der Hauptkriegsschul­dige. Als Goebbelserklärte, wenn man eine Lüge nur oft genug wiederhole, dann werde daraus eineWahrheit, zog sein zy­nisches Gegenstück, Churchill, nach und sagte: "InKriegszeiten ist die Wahrheit so kostbar, dass sie immer durch einen Berg von Lügengeschützt werden muss"[2].

Die meisten Rekruten zogen kaum mit Enthusiasmus in den Krieg, da dasTrauma des 1. Weltkriegs noch auf ihnen lastete, weil die Generation ihrer Vätergerade 20 Jahre zuvor im Krieg dezimiert worden war. Die große Flüchtlingsbewegungin Frankreich, der Terror, den der Nazi-Staat gegen die deutsche Bevölkerungausübte, die massiven Verschleppungen von ganzen Bevölkerungsteilen in denstaatskapitalisti­schen stalinistischen Regimen, all das wird heute in denZeitungsberichten verschwie­gen. All die angeblich "objektiven" Doku­mentationenund Artikel bringen immer nur einen Namen "Hitler"! Ähnlich wie imMittelalter, als die Pest als eine Strafe, von Gott geschickt, aufgefasstwurde. Im dekadenten Kapitalismus hat jetzt die herr­schende Klasse eine neueGeißel gefunden: die braune Pest. In der Geschichte haben die herrschendenKlassen immer ein neues Übel erfunden, um eine Interessensge­meinschaftzwischen den Unterdrückten und ihren Unterdrückern herbei zu schwören. DiePersonifizierung der Ereignisse um Diktatoren oder alliierte Generale ist nützlich,um die Tatsache zu übertünchen, dass sie nichts anderes als ausführende Or­ganeihrer jeweiligen Bourgeoisie waren. Namen werden in den Vordergrund ge­stellt,um dafür zu sorgen, dass die gesell­schaftlichen Klassen in Kriegszeiten ver­schwinden.In einem neuen Kreuzzug ge­gen das Böse soll jeder sich in diese Ein­heiteinreihen.

1933 - das Jahr der Machtübernahme durch Hitler, war ein Schlüsseljahr. Wiedie Revolutionäre um BILAN zeigten, nicht weil es eine "Niederlage derDemo­kratie" gegeben hätte, sondern weil es ein entscheidender Sieg derKonterrevolution war, vor allem in dem Land, wo die Ar­beiterklasse zuvor am stärkstengewesen war. Die Machtübernahme durch Hitler kann nicht nur allein durch denentwürdi­genden Versailler Vertrag erklärt werden, der Deutschland wegen derReparations­zahlungen auf die Knie zwang. Insbeson­dere weil die Arbeiterklasseals Gefahr für die herrschende Klasse von der Bühne der Geschichte verschwand.

In Russland fing der Staat an, Bolschewiki und revolutionäre Arbeiter imgroßen Maßstab zu massakrieren. All das geschah mit der schweigenden Zustimmungder westlichen Demokratien, die vorher schon die weißen Armeen aufgestellthatten, wel­che ab 1919 in Russland eingefallen waren, um die damaligeArbeitermacht zu be­kämpfen. In Deutschland hatte das sozial­demokratischeRegime der Weimarer Re­publik Hitlers Schergen den Platz überlas­sen nach derenSieg bei den republikani­schen Wahlen. Die "sozialistischen" Füh­rer,die für das Massaker an den deutschen Arbeitern verantwortlich waren - Scheide­mann,Noske usw. - gaben ihr Mandat demokratisch ab. Sie wurden während derdarauffolgenden 5 Jahre Nazi-Herrschaft nie wirklich bedrängt.

Die Kämpfe in Spanien und Frankreich während der 30er Jahre waren nur nochAusläuferstreiks in Anbetracht der Nie­derlage, die die Arbeiterklasseinternatio­nal erlitten hatte. Der Wahlsieg der Fa­schisten in Italien undDeutschland war nicht die Ursache dafür, sondern sie war das Ergebnis derNiederlage der Arbeiter­klasse auf ihrem eigenen Klassenterrain. Als sie denFaschismus hervorbrachte, er­fand die Bourgeoisie keine neue Art Re­gime,sondern einen Staatskapitalismus, wie er unter Roosevelts New Deal oder unterStalins Kapitalismus vorhanden war. In Kriegszeiten vereinigen sich die Frak­tionender Bourgeoisie ihrem Wesen nach auf na­tionaler Ebene, da sie die proletari­scheGe­fahr weltweit ausgeschaltet haben - und diese Vereinigung kann die Form derNazi- oder stalinistischen Parteien anneh­men.

Die "wachsende Gefahr" wurde in Kom­plizenschaft mit Stalin und derrussischen Bourgeoisie von den Vasallen der Kom­munistischen Partei des neuenrussischen Imperialismus organisiert. Es geschah un­ter dem Deckmantel derIdeologie der "Volksfront", die eine Desorientierung der Arbeiterbewirkte, nachdem sie sich für das Programm der nationalen Einheit und dieVorbereitungen für den imperialisti­schen Krieg einspannen lassen sollten.

Die französische KP zog 1935 die Natio­nalflagge, die Trikolore, hoch, alssie den Laval-Stalin-Pakt unterzeichnete, wodurch die Arbeiter ins Massakergetrieben wur­den: "Falls Hitler trotz alledem einen Krieg anfängt, sollteer wissen, dass er dem vereinten französischen Volk entgegentre­ten muss, mitden Kommunisten an vorder­ster Front, um die Sicherheit des Landes und dieFreiheit und Unabhängigkeit des Volkes zu verteidigen". Die KP brach inSpanien die letzten Streiks und ließ Arbei­ter mit Hilfe der GPU (StalinsGeheimpoli­zei) niederschießen, bevor Franco deren schmutzige Arbeit abschloss.Die stalinisti­schen Führer flüchteten dann nach Frankreich und Russland, genauwie de Gaulle und Thorez (Führer der KPF), als diese jeweils nach London undMoskau flüchteten.

DER WEG ZUM IMPERIALISTI­SCHEN KRIEG

Von 1918 bis 1935 hatte es weltweit viele Kriege gegeben, aber sie hattennoch nicht Europa erfasst. Oder es gab "Befriedungskriege" wie diedes französi­schen Imperialismus in Syrien, Marokko und Indochina. Revolutionärewie die Gruppe BILAN sahen die ersten Warnsi­gnale mit dem Krieg in Äthiopien,wo auch der britische Imperialismus und die Armee Mussolinis beteiligt waren.Es diente den Interessen der westlichen Verbündeten, als sie Faschismus mitKrieg identifizieren konnten. Die Schuld für den nächsten Weltkrieg konntesomit leicht dem Fa­schismus angelastet werden. Das faschisti­sche Schreckgespensterschien noch größer nach dem Sieg Francos 1939 in Spa­nien. Die Propaganda derAlliierten konn­te "mit Recht" auf die Hunderttausende Flüchtlinge,die Opfer des Franco-Regimes waren, weisen. Es folgte eine Zeit des"status quo", als ein "Friede ge­sucht" wurde, währendDeutschland das Rhein­land militärisch wieder besetzte und 1938 den"Anschluss" Österreichs betrieb. Der Münchner Konferenz vom 30.Sept.1938 folgte im Oktober des gleichen Jahres die Besetzung des tschechischenSudeten­landes. Die Tschechen waren noch nicht einmal zur Konferenz nach Münchenein­geladen worden, und als Deutschland im März 1939 die Tschechoslowakeiselber besetzte, rührten weder Frankreich noch England einen Finger. Daladierund Chamberlain wurden nach ihrer Rückkehr aus München enthusiastisch von denMas­sen begrüßt, die glaubten, "der Friede" sei gerettet. Tatsächlichspielten aber beide Seiten auf Zeitgewinn. Offizielle Historiker haben sichseitdem damit begnügt, die un­zureichende Bewaffnung Frankreichs und Großbritanniensals Erklärung anzuführen. Tatsächlich aber waren die Kriegsbünd­nisse nochnicht ganz fest gezurrt worden. Die deutsche Bourgeoisie spielte noch mit derHoffnung eines Bündnisses mit Frankreich und Großbritannien gegen Russland. Dasdeutsche Volk war ebenso wie die Menschen in Großbritannien und Frankreichhinters Licht geführt worden: "... Die Deutschen begrüßten auch Cham­berlainstürmisch, weil sie in ihm den Ret­ter vor dem Krieg sahen. Mehr Menschen kamenzu seiner Begrüßung als zu der von Mussolini... München war voll von UnionJacks (britische Fahne), die Massen außer sich vor Freude. Als Chamberlain nachEngland zum Flughafen Heston zurück­kehrte, wurde er wie ein Messias empfan­gen.In Paris wurde eine öffentliche Spen­densammlung eingeleitet, um dem briti­schenPremierminister ein Geschenk zu machen"[3].

1937 leitete Japan seine Besetzung Chinas ein, eroberte Peking und bedrohtedamit die US-Vorherrschaft im Pazifik. Am 24. August 1939 kam es mit demdeutsch-rus­sischen Pakt (Hitler-Stalin-Pakt) zum Pau­kenschlag. Hitler hattesomit freie Hand, Westeuropa anzugreifen. In der Zwischen­zeit fiel dieWehrmacht am 1. Sept. 1939 in Polen ein. Auch Russland marschierte in Polen ein.Zögerlich erklärten die französi­sche und britische Regierung Deutschland zweiTage später den Krieg. Die italieni­sche Armee eroberte Albanien. Ohne förmlicheKriegserklärung landete die Wehrmacht im April 1940 in Norwegen.

Die französische Armee begann die Saar-Offensive, aber sie kam nach dem Todvon Tausenden von Soldaten zum Stehen. Da­nach erklärte Stalin, der damit seineAn­hänger zum Narren hielt, welche erklärt hatten, der Hitler-Stalin-Pakt seiein Pakt mit dem Teufel, um Hitler vom Angriff gegen Westeuropa abzuhalten:"Nicht Deutschland hat Frankreich und Großbri­tannien angegriffen, sondernFrankreich und Großbritannien haben Deutschland angegriffen.... Nach dem Beginnder Feindseligkeiten machte Deutschland Frankreich und Großbritannien Frie­densangebote,und die Sowjetunion unter­stützte offen die deutschen Vorschläge. Die führendenPolitiker Frankreichs und Groß­britanniens verwarfen die deutschen Frie­densvorschlägeschroff und die Versu­che der Sowjetunion, den Krieg schnell zu beenden".

Niemand wollte gegenüber der Arbeiter­klasse die Verantwortung für die Auslösungdes Krieges übernehmen. Nach dem Krieg gab es plötzlich keine"Kriegsministerien" mehr sondern nur noch"Verteidigungsminister". Auch fällt auf, dass der Nazi-Staat starkdaran interes­siert war, als der "angegriffene Staat" zu erscheinen.Albert Speer bemerkt in seinen Memoiren die folgende Erklärung Hitlers:"Wir werden nicht den gleichen Fehler machen wie 1914. Wir müssen jetztunse­rem Feind die Schuld in die Schuhe schie­ben". Am Vorabend desKrieges mit Japan wiederholte Roosevelt die gleiche Aus­sage: "DieDemokratien dürfen nie als der Aggressor erscheinen".  9 Monate Ab­warten, mit Gewehr bei Fuß, bestäti­gendieses Zögern all der Kriegsteilneh­mer. Der Historiker Pierre Miquel stelltfest, dass Hitler den Angriff gegen den We­sten nicht weniger als 14-malaufgrund man­gelnder deutscher Vorbereitungen und schlechter Wetterbedingungenaufschob.

Am 22. Juni 1941 marschierte Deutschland in die Sowjetunion ein, wodurchder "brillante" Stratege Stalin völlig überrascht wurde. Am 8.Dezember, nachdem der ameri­kanische Imperialismus seine eigenen Sol­daten inPearl Harbour hatte umbringen lassen (die US-Geheimdienste hatte den ja­panischenAngriff vorhergesagt), erklärten die USA, und nachdem sie  sich als Opfer der japanischen Angriffedarstellten, Japan den Krieg. Schließlich erklärten dann Deutschland undItalien am 11. Dezember 1941 den USA den Krieg.

Einige Bemerkungen sind hier notwendig nach dem kurzen Überblick über den"diplomatischen Weg" zum Weltkrieg, nachdem die Arbeiterklasse zumSchwei­gen gebracht worden war. Die beiden lo­kalen Kriege (Äthiopien undSpanien) hat­ten schließlich die Faschisten nach Jahren der Medienpropaganda inEuropa als "Kriegstreiber" dargestellt. Die militäri­schen Aufmärscheund Paraden Hitlers und Mussolinis waren sicher besser orga­nisiert als diefranzösischen Feiern zum 14. Juli oder die amerikanischen und briti­schenNationalfeiern, aber sie waren nicht weniger absurd. Zwei weitere Kriege imHerzen Europas (Tschechoslowakei und Polen) führten zur schnellen Niederlageder mit ihnen verbündeten "Demokratien". Nachdem der Tschechoslowakei(und Spa­nien) keine Unterstützung gewährt wurde, zwang sich die"Verteidigung der Demo­kratie" und der bürgerlichen Freiheiten nachder Besetzung Polens durch die "totalitären Regime" Russlands undDeutschlands geradezu auf. Politisch-di­plomatische Manöver können sich überJahre hinziehen. Aber bewaffnete Kon­flikte können Auseinandersetzungen inner­halbkürzester Zeit durch Waffen regeln - zum Preis eines gewaltigen Abschlachtens.Der Krieg wurde erst wirklich nach einem Jahr zu einem Weltkrieg, nachdemDeutschland Großteile Europas erobert hatte. Mehr als 4 Jahre lang unternahmendie USA keinen entscheidenden Schlag ge­gen die Invasoren, womit die deutscheWehrmacht in Europa den Gendarmen spielen konnte. Die USA, die weit entferntvon Europa sind, waren anfänglich mehr um ihre Vorherrschaft wegen der japani­schenBedrohung im Pazifik besorgt. Der Weltkrieg dauerte länger als die vorheri­genlokalen Kriege, und dies kann nicht allein aufgrund der Stärke der Wehrmachterklärt werden oder der verschiedenen Wendungen der imperialistischen Diplo­matie.Es ist zum Beispiel gut bekannt, dass ein Teil der amerikanischen Bourgeoisieviel lieber mit der deutschen Bourgeoisie zusammengegangen wäre, anstatt sichmit dem "kommunistischen" Regime Stalins zusammenzuschließen. Genausohatte die deutsche Bourgeoisie vergeblich versucht, sich mit Frankreich undEngland gegen Stalin zusammenzuschließen. 1940 und 1941 erhielt die englischeBourgeoisie von Hitler Friedensangebote, bevor es zur Operation"Barbarossa", dem Feldzug ge­gen Russland, kam. Das Gleiche, als Mus­solinisArmee in Nordafrika eine Nieder­lage erlitt. Die britische Regierung zögerte umsomehr, da sie dazu neigte, alles zu tun, damit die beiden großen "totalitärenRe­gime" sich gegenseitig dezimierten. Aber es wäre ein Fehler hierstehenzubleiben und zu glauben, dass die Hauptkraft, die dem Kriegstreiben derBourgeoisie entge­gensteht, das Proletariat, einfach von der Bildflächeverschwunden wäre, nur weil die Herrschenden einen das Volk"vereinigenden" Krieg wollten.

Die Marxisten können nicht einfach ab­strakt den Krieg als solchenuntersuchen, unabhängig von der jeweiligen historischen Phase. Im 19.Jahrhundert, in der aufstei­genden Phase des Kapitalismus, war der Krieg einunabdingbares Mittel zur Eröff­nung neuer Entwicklungsmöglichkeiten. Kanonenwurden damals zur Eroberung neuer Märkte eingesetzt. Dies wurde von der GaucheCommuniste de France (GCF) im Jahre 1945 aufgezeigt. Sie war eine der wenigenGruppen, die während des Krieges dem proletarischen Internationa­lismus treugeblieben war. "In der Deka­denzphase, wo der Kapitalismus historischgesehen alle Entwicklungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, bietet der moderne,d.h. der imperialistische Krieg, der Ausdruck dieser Dekadenz ist, keineweitere Ent­wicklungsmöglichkeit der Produktion. Der Krieg führt nur zur Zerstörungder Pro­duktivkräfte und zum Aufhäufen einer Ruine nach der anderen... Je mehrdie Märkte schrumpfen, desto verbissener wird der Kampf um den Besitz anRohstoffen und die Kontrolle des Welt­marktes. Der wirtschaftliche Kampf zwi­schenverschie­denen kapitalistischen Gruppen spitzt sich mehr und mehr zu; er nimmtimmer mehr die Gestalt des Kampfes zwischen den Staaten an. Der auf die Spitzegetriebene ökonomische Kampf zwischen Staaten kann letzten Endes nur durchmilitärische Ge­walt gelöst werden. Der Krieg wird zum einzigen Mittel, mit demjedes nationale Kapital versucht, die Schwierigkeiten zu lösen, vor denen essteht. Dies geht nur auf Kosten der impe­rialistischen Rivalen"[4].

DIE NATIONALE EINHEIT WÄH­REND DESKRIEGES

Die bürgerlichen Historiker hängten die schnelle Niederlage der altenkontinentalen Großmacht Frankreich nicht besonders hoch an die Glocke. Nichtnur die klimati­schen Be­dingungen hatten den Angriff der Wehrmacht hinausgezögert.Der deut­sche Staatsapparat hatte Hitler nicht zufällig ge­wählt, denn diedeutsche Staatsführung, das waren keine Dummköpfe. Es wurden geheime diplomati­scheVerhandlungen ge­führt. Selbst mitten während des Krieges kann es zu einerUmkehr von alten Al­lianzen kommen. Darüberhinaus war sich die deut­scheBourgeoisie immer des­sen bewusst, dass ausge­hend von Erinnerungen an denAufstand der Arbei­ter und Soldaten 1918, die Ernährungsfrage von hochrangi­gerBedeutung ist. 1938 befand sich eine herr­schende Klasse in Deutschland an derMacht, welche das Erbe der 1. Weimarer Republik über­nommen hatte, die dank derNiederschla­gung der proletarischen Revo­lution von 1918/1919 entstanden war.Die Bataillone der SS waren aus den alten Freikorps zusammen­gestellt, die dieMas­saker an den aufständi­schen Arbeitern 1918/1919 übernom­men hat­ten. Wederder Aufstand der Kommune von Paris 1870, noch die Oktoberrevolution 1917, nochdie Kämpfe in Deutschland 1919 waren ver­gessen worden. Auch wenn sie politischgeschlagen war, blieb die Arbeiterklasse für die Bourgeoisie eine ge­fährlicheKlasse.

Der schnelle Sieg des deutschen Imperia­lismus in der Tschechoslowakei warein Ergebnis des Ner­venkriegs, des Bluffs, ge­schickter Manöver und vor allemder Spe­kulation um die Angst aller Regierun­gen wegen der Folgen ei­nesKrieges gewesen, falls dieser zu schnell ohne entsprechende Unterwerfung derArbei­terklasse ausge­dehnt worden wäre. Wäh­rend die französi­schen Generalenoch mit dem alten Konzept des Stellungskriegs von 1914 ver­bunden waren, hatteder deutsche Generalstab seine Kriegs­strategie "modernisiert" unddie Taktik des Blitz­krieges eingeführt. Nur lang­sam vorzurücken, ohne hartzuzu­schlagen, bedeutet aus dieser Blitzkriegs­sicht (während des Golfkriegeswurde dies wieder bestätigt) eine sichere Niederlage anzusteuern. Schlim­mernoch, denn je zer­brechlicher die Unter­stützung für den Krieg innerhalb derBevölke­rung ist, be­deutet jeder Zeitverschub, jedes Hinauszögern, dass diekriegsführenden Sol­daten selbst unter­einander über die Fronten hin­wegKontakt aufneh­men können und damit das Risiko von Erhebungen und sozialen Ex­plosionenanwächst. Im 20. Jahr­hundert ist die Arbeiterklasse zweifelsohne zum er­stenBa­taillon gegen den imperialistischen Krieg ge­worden. Hitler selbst meinte ge­genüberAlbert Speer, die "Industrie ist ein Faktor, der für die Ent­wicklung desKom­munismus günstig wirkt". Hitler ging auch davon aus, dass nach derEinführung von Zwangsarbeitsmaßnahmen in Frankreich im Jahre 1943 die Möglichkeitvon Ar­beitsniederlegungen und Streiks, wel­che die Produktion bremsen wür­den,ein Ri­siko sei, das man in Kriegszeiten einge­hen müsse. Die deutscheBourgeoisie hatte also so etwas wie einen bismarckschen Reflex. Denn Bis­marckwar während des Auf­stands der Pa­riser Ar­beiter in der Pariser Kommune gegendie französi­sche Bour­geoisie mit dieser Erfah­rung konfrontiert worden.Damals war der Vormarsch der deutschen Truppen blockiert worden. Die deutscheBour­geoisie fürchtete damals die Ausbreitung dieses Aufstandes un­ter dendeutschen Arbeitern und Sol­daten. 1918 hatten schließlich auch die deutschenAr­beiter und Soldaten, angespornt durch die Revolu­tion in Russland, durch dieEntfal­tung des Bürger­krieges gegen ihre eigene Bour­geoisie reagiert.

In Frankreich fand jedoch so etwas wie ein Ermü­dungskrieg nach demabrupten Ende der ersten deutschen Militäroffensive statt. Deutschland wolltesich vor allem einen Le­bensraum im Osten eröffnen und zog es sogar vor, sicheher mit den beiden westli­chen "demokratischen" Ländern zu verbün­den,an­statt einen Großteil seiner militärischen Ka­pazitäten für deren Beset­zungzu verschwen­den. Deutschland unter­stützte die Kriegspartei Lavals und Do­riots,die alte Pazifisten waren und sich zuvor auf den Sozialismus berufen hatten.Diese pro-faschisti­schen Fraktionen waren jedoch eine Minderheit, die für eindeutsch-französisches Bündnis eintrat. Die gesamte Bourgeoisie war sehr besorgtwegen der mangelnden Mobilisierung des französi­schen Prole­tariats für denKrieg. Die Arbei­terklasse war in Frankreich nicht mit Bajonet­ten undFlammenwer­fern nie­dergeworfen worden wie die Arbeiter­klasse in Deutschlandzwischen 1918-23.

Die deutsche Bourgeoisie musste also auch in Frankreich vorsichtigvorgehen, denn sie wusste, dass Frankreich sowohl militä­risch als auch gesell­schaftlichzerbrechlich war. Der Beweis war das langsame Aus­einanderfallen der französischenBour­geoisie zwischen auf der einen Seite den feigen Militärs und denPazifisten, die sich bald als Kolla­borateure mit dem Besat­zungsregimeherausstellten, und die für die Kontrolle der Arbeiter zu sorgen hat­ten.

Die Volksfront hatte entscheidend zur Aufrü­stung beigetragen und damitauch zur politi­schen Ent­waffnung der Arbeiter. Aber sie hatte es nicht ge­schafft,die natio­nale Einheit vollständig herzustel­len. Die Polizei hatte vieleStreiks zerschlagen und Hunderte militante Arbeiter verhaftet, die zwar nichtalle klare Vorstellungen davon hatten, wie sie sich dem Kriege entgegen­stellensollten, die aber trotz­dem gegen den Krieg waren. Der linke Flügel der französischenBourgeoisie hatte die Ar­beiter mit dem Schwindel der Volksfront be­ruhigt, diein die­ser Situation den Ar­beitern den "bezahlten Urlaub" zugestand,während die Arbeiter in diesem Urlaub für den Krieg selbst mobilisiert wurden.Der Einfluss der pa­zifistischen links-extremen Fraktionen des Ka­pitalsverhinderte gleich­zeitig, dass eine wahre Klassenalternative aufkam. In Ergänzungzur Sabo­tagearbeit der Stalinisten veröffentlichten die Anar­chisten, die inden Gewerkschaften noch über großen Einfluss verfügten, im Sep­tember 1939 einFlugblatt "Frieden so­fort!", das von einer Handvoll von Intel­lektuellenunterzeichnet war: "Keine Blu­men am Ge­wehr, keine Heldenlieder, keineHurra-Rufe an die Soldaten, die an die Front ziehen. Es wird behauptet, dassdies in allen kriegsfüh­renden Ländern so sei. Der Krieg wird vom ersten Tag anvon al­len Seiten - vor und hinter der Front ver­urteilt -. Schließen wirschnell den Frie­den".

Der "Frieden" kann aber nicht die Alter­native ge­genüber demKrieg im dekaden­ten Kapita­lismus sein. Solche Resolutionen dienen nur dazu,die Tendenz zu stärken, "Rette sich wer kann", m.a.W. dass indivi­duelleLösungen wie Flucht ins Ausland für die Bessergestellten angestrebt werden. DieVerwirrung in den Reihen der Arbei­ter nimmt damit nur zu, ihre Sorgen und ihrBestreben etwas zu tun, kön­nen nicht wirklich zum Ausdruck kommen, son­dernverfangen sich in den Reihen der lin­ken und extrem-linken Parteien und Gruppie­rungen,die diese wiederum dann auf ein anti­faschistisches Ter­rain ziehen, auf demangeb­lich ihre Interessen ver­teidigt wer­den.

Die französische Gesellschaft brach jedoch so stark auseinander, dass diedeutsche Armee kurz nach der ersten großen Bom­bardierung von Rotterdam (40.000Tote) am 10. Mai 1940 ohne auf großen Wider­stand zu stoßen die zerbrechlicheMaginot-Li­nie in Frankreich überschreiten konnte. Die Offi­ziere der fran­zösischenArmee flüchteten als erste und lie­ßen ihre Trup­pen zurück. Die niederländi­sche,belgi­sche, luxemburgische Bevölkerung wie des Nordens Frankreichs, Pariseingeschlossen, flüchtete in großen Scharen Richtung Süden und nach Mittel- undSüdfrankreich. So kam es zu einer der größten Massenfluchtbewe­gungen. Diese"mangelnde Widerstandsbereit­schaft" der Bevölke­rung wurde ihr spätervon den Ideologen des Ma­quis (unter denen viele wie Mitterand und die"sozialistischen" Führer Belgiens und Italiens erst von 1942 ihreWeste gewechselt haben) vorgewor­fen, um nach dem Krieg alle möglichen Erpres­sungsversuchezu unternehmen, damit die Arbeiter­klasse sich für den Wie­deraufbau opferte.

Der Blitzkrieg hinterließ jedoch mehr als 90.000 Tote und mehr als 120.000Ver­letzte auf französi­scher und 27.000 Tote auf deut­scher Seite. DieserBlitzkrieg brachte für mehr als 10 Millionen  Menschen unvorstellbare Lebens­bedingungen.1.5 Millionen Men­schen wurden als Gefangene nach Deutschland ver­frachtet. Na­türlichist das wenig im Vergleich zu den 50 Millionen Kriegstoten insgesamt.

In Europa litt dann die Zivilbevölkerung unter den schlimmsten Verlusten,die es jemals in Kriegszeiten gegeben hatte. Noch nie waren so viele Frauen undKinder im Krieg gefallen. Die Zahl der zivilen Op­fer überstieg zum er­sten Malin der Weltge­schichte die Zahl der toten Soldaten.

Mit einem nahezu bismarckschen Reflex ging die deutsche Bourgeoisie dazu über,Frankreich in zwei Teile zu spalten: eine be­setzte Zone, der Norden mit derHaupt­stadt, um direkt in Lauerstellung gegen­über England gehen zu können. Undeine "freie" Zone, der Süden, an deren Spitze der General Pe­tain,genannt der Tölpel, stand, und der ehemalige "Sozialist" Laval,Mitglied der ehrenwerten Interna­tionale. Dieser Staat der Kollaboration un­terstütztedie Deutschen bis es den Alliier­ten bei ihrem Vor­marsch gelang, den deut­schenImperialismus zu­rückzudrängen.

Die ständige Angst vor einer Erhebung der Arbeiter gegen den Krieg, auchwenn diese noch so schwach waren, war selbst bei denje­nigen zu spüren, die dieLinken als "antisozial" darstellen. Die Kollaborati­onszeitung"L’Oeuvre" spricht grob­schlächtig von der Notwendigkeit von Ge­werkschaften- diese sog. sozialen Errun­genschaften der Volksfront - die in den Dienst derBesatzer treten sollen. Sie schlugen damit mehr oder weniger die gleichen Töneein wie irgendeine linke oder trotzkistische Gruppierung: "Die Be­satzersind stark daran interessiert, dass es zu keinem Widerstand der Arbeiter kommt.Sie wol­len, dass die Arbeiter nicht den Kontakt verlieren, und dass sie ineine gut organisierte gesellschaftliche Bewegung integriert wer­den... DieDeutschen wün­schen, dass die Ar­beiter in Berufsorganisa­tionen eingegliedertwerden. Zu diesem Zweck müssen die notwen­digen Führungs­kräfte zur Verfügunggestellt werden, die das Vertrauen der Arbeiter genie­ßen... Und diese Führungskräftemüssen dann eine Auto­rität ausstrahlen und der Gefolg­schaft der Arbeitersicher sein"[5],(L’OEUVRE, 29.08.1940).

Ab dem Jahr 1941 fingen einige Mitglieder der französischenKollaborationsregierung an, sich über die Zeit nach der Besatzung Gedan­ken zumachen und die Frage der Aufrechter­haltung der gesell­schaftlichen Ordnung aufzu­werfen.Die Bourgeoisie um Petain und der im Exil befindliche De Gaulle, der als der Führerdes "freien Frankreichs" auftrat, nahmen dis­kret Kontakteuntereinander auf. Ihr Hauptan­liegen bestand darin, die gesellschaftliche undpolitische Ordnung beim Übergang zwischen den beiden Regierungsformenaufrechtzuer­halten. Die Ideologie der sehr schwachen Résistance-Bewe­gung, dievon der liberalen, in Großbritannien im Exil befindlichen  Fraktion und von den Stalini­sten der KPF inFrankreich verbreitet wurde, stieß an­fänglich auf große Schwie­rigkeiten, alses darum ging, die Ar­beiter für die nationale Union, für die "Befreiungdes Landes" zu mobilisieren. 1943 half die Bourgeoisie gegen ihren Willennach, die Rei­hen der "Terroristen" zu verstärken, indem sie eineneue Regelung einführte, der zufolge für jeden nach Deutschland ver­schicktenZwangsarbeiter ein Kriegsgefange­ner nach Frankreich zurück­kehren könnte. Abergrundsätzlich waren es die linken und extrem-linken Parteien, die es schafften,die Arbei­ter für die Résistance auf der Grundlage des Sieges der"Schlacht um Stalingrad" zu mobilisieren.

Änderungen der imperialistischen Bünd­nisse und die mögliche Reaktion desPro­letariats waren zu dieser Kriegszeit die Hauptfrage­stellungen der Bour­geoisie.Formell trat der Wendepunkt im Krieg 1942 ein, als die japani­sche Expansion imOsten zum Halten gekom­men war, und die Schlacht um El Alamein, die zurEntschei­dung über die Ölfelder führte, stattfand. Im gleichen Jahr fing dieSchlacht um Stalin­grad an, wo der stalinistische Staat dank der US-militärischenUnterstützung einen Sieg ver­zeichnen konnte (die USA lieferten Waffen undPanzer, die technisch höher ent­wickelt waren als die russischen Ge­räte). Ingeheimen Verhandlungen hatte Stalin sein Versprechen der Kriegserklä­rung anJapan als ein Faustpfand einge­bracht. Der Krieg hätte damals schnell zu Endegebracht werden kön­nen, insbeson­dere nachdem ein Teil der deut­schenBourgeoisie stark daran interessiert war, Hit­ler wie­der loszuwerden und ihn1944 zu ermorden ver­suchte. Die Alliierten ließen je­doch die Draht­zieher desAttentates ge­gen Hitler isoliert, wodurch der Nazi-Staat mit un­eingeschränkterGewalt gegen die Attentäter vorgehen konnte (Admiral Ca­naris Valky­rie Plan).

Aber die Reaktion des italienischen Proletari­ats musste nun berücksichtigtwer­den. Der Krieg musste noch zwei Jahre fortgeführt wer­den, bevor die be­stenKräfte des Proletariats abgeschlachtet wor­den waren, und um einen so überhastetenFriedensab­schluss wie den von 1918 zu vermeiden, der damals mit der Re­volutionauf seinen Fersen abgeschlossen worden war.

Nach der Erhebung des italienischen Proleta­riats trat 1943 ein Wendepunktim Krieg ein. Weltweit be­nutzte die Bour­geoisie die Isola­tion und die Nieder­lageder italienischen Ar­beiter dazu, der Résistance in den besetzten LändernAuftrieb zu verschaffen, um die Un­terstützung der Bevölkerung für den zu­künftigenkapitali­stischen Frieden zu errei­chen. Bis dahin bestanden die meisten Grup­pender Résistance hauptsächlich aus kleinen Minder­heitsgruppen vonnationalistischen Klein­bürgern, die terroristische Methoden be­nutzten. Dieanglo-amerikanische Bour­geoisie verherrlichte dann die Ideologie der Résistance.Sie erhielt Auftrieb nach dem Sieg in Sta­lingrad und nachdem die KPs sich inden meisten Ländern pro-westlich orientiert hatten. Die Arbeiter sa­hen keinengroßen Unterschied zwischen der Ausbeutung durch einen deut­schen und französi­schenUnternehmer. Sie hatten keinen Wunsch ge­zeigt, im Namen des englisch-französischenImpe­rialismus Po­len zu unterstützen und dabei ihr Leben zu lassen. Sie hattensich nicht für einen Krieg mo­bilisieren lassen, der nicht ihren Interessen ent­sprach.Sie jetzt für die "Verteidigung der Demo­kratie" einzuspan­nen,erforderte, dass sie von ihrem Klas­senstandpunkt aus dabei für sich einePerspek­tive erkennen müssten. Sta­lingrad als Wendepunkt des Krieges und die Mög­lichkeitder Herrschaft der Besatzungsar­meen ein Ende zu setzen, die"Freiheit" wie­derzuerlangen, selbst mit "eigenen Polizei­kräften",ließ die Hoffnungen der Arbeiter an­steigen, wobei gleichzeitig der"befreiende Kom­munismus" - verkörpert durch Stalin - sein Gift aus­stieß.Ohne diese Lüge wären die Arbeiter den be­waffneten Résistance-Bandenfeindselig gegenüber eingestellt geblieben, de­ren Handlungen die Gewalt desNazi-Terrors nur noch erhöhten. Ohne die Unter­stützung der Stalinisten undTrotzkisten hätte die Bour­geoisie in London und Washington keine Aus­sichtdarauf gehabt, die Arbeiter für den Krieg mo­bilisieren zu können. Im Gegensatzzum Krieg von 1914 ging es jetzt nicht darum, die Arbei­ter in Reih und Gliedzu zwingen, um sie zur Schlacht­bank zu führen, sondern ihre Un­terstützung auf"zivilem Boden" zu ge­winnen, sie in das Netz der Résistance ein­zugliedern,den Enthusiasmus nach dem Stalin­grad-Sieg auszunutzen.

In Italien und Frankreich schlossen sich viele Ar­beiter dem Maquis an,weil sie die Illusion hatten, somit wieder zum Klassen­kampf zu­rückfinden zu können.Die Stali­nisten und Trotzkisten stellten gar den Vergleich an mit der PariserKommune (denn damals erhoben sich die Arbeiter gegen ihre eigene Bour­geoisie -angeführt von dem neuen Thiers - Pétain - während die Deutschen seinerzeitFrankreich be­setzt hielten). Die Bevölkerung wurde seit dem Kriegsbeginnterrorisiert und musste sich somit hilflos gegenüber dem Krieg vorkommen. VieleArbeiter schlossen sich den Banden der Résistance an und wurden unter demEindruck in den Tod geschickt, dass sie für eine "sozialistische Be­freiung"Frankreichs oder Italiens kämpften. Mit anderen Worten: dass sie einen"neuen Bürgerkrieg gegen ihre eigene Bour­geoisie führten". Genausowie 1914 deutsche und französi­sche Arbeiter an die Front unter dem Vorwandgeschickt worden waren, dass Deutschland und Frankreich "den Sozia­lismusex­portierten". Die stalinistischen und trotzki­stischen Gruppen der Résistancesprachen bei dieser Er­pressung davon, dass die Arbeiter an "vordersterStelle beim Kampf für die Unab­hängigkeit der Völ­ker" zu stehen hätten.Dies traf insbesondere auf einen Schlüsselbereich der Wirtschaft zu, welcherdie Wirtschaft hätte lahmlegen können: die Eisen­bahnen.

Gleichzeitig wurde ohne das Wissen vieler Arbeiter ein Kampf um dieVorherrschaft in­nerhalb der rechten Fraktionen der Rési­stance darüber geführt,wie die alte kapita­listische Ordnung nach dem Krieg wieder­hergestellt werdenkönnte. Teams von ameri­kanischen Geheimagenten aus dem AMGOT (Allied Mi­litaryGovernment for the Occupied Territo­ries) waren nach Frankreich und Italien ge­schicktworden (dies war der Beginn der P2 Loge und der Kompli­zenschaft der italieni­schenund amerikanischen Bourgeoisie mit der Ma­fia). Sie sollten sicherstellen, dassdie Stali­nisten nicht zu viel Macht bekämen, um sich dem russischenImperialismus anzu­schließen. So wurde den Stalinisten immer deutlicher ihre ih­nenzu­geteilten Rolle auf­gezeigt. Dies wurde be­sonders in dem Be­reich klar, wosie wahre Ex­perten sind: der Sabotage von Arbeiter­kämpfen, der Ent­waffnungvon eher "utopisch" einge­stellten Résistancegruppen und der Nieder­schlagungder Ar­beiter, die ge­gen die Er­fordernisse des Wiederauf­baus protestier­ten.Sofort nach der "Befreiung" und als Beweis der Komplizenschaft allerBour­geoisien gegen das Proletariat rekrutierte die westliche herr­schendeKlasse - bei gleichzeiti­ger Verurteilung ei­niger Kriegs­verbrecher - um dasGesicht zu bewah­ren - eine Reihe von ehemaligen Nazi- und stalini­stischenFolterex­perten als nützliche Geheimagenten in den meisten europäi­schenHauptstädten. Die erste Aufgabe dieser neu Rekrutierten bestand na­türlichdarin, der russischen Seite entgegen­zutreten. Aber es ging auch darum, den"Kampf gegen den Kom­munismus" (Arbeiteraufstände) zu führen, um denWider­stand der Arbeiter selber auszuhöh­len, denn diese Gefahr bestand für dasKa­pital selbst noch nach den Schrecken des Krieges.

DIE MASSIVE ZERSTÖRUNG DES PROLETA­RIATS

Wir überlassen es den Bürgerlichen, über die Zahl der Toten in denjeweiligen Län­dern zu streiten[6]. Aber es gibt keinenZweifel, dass die russische Be­völkerung am meisten gelitten hat. Mehr als 20Millionen Tote an der europäi­schen Front. Diese Op­fer wurden bei den Fei­erlichkeitenanläss­lich des 50. Jahrestages der Landung der Alliierten in der Nor­mandienicht erwähnt. Heute beschuldigen russische Histo­riker weiterhin die USA, dieLandung in der Normandie herausgezögert zu haben, um die UdSSR in Anbetrachtdes heraufzie­henden kalten Krieges weiter auszubluten: "Die Lan­dung fandstatt, als das Schicksal Deutsch­lands schon durch die sowjetische Gegenoffen­sivean der Ostfront be­siegelt war"[7].

Am Ende der fetten Jahre des Wiederauf­baus fingen die bürgerlichenLiberalen mit ihrem hohen Priester Solschenizyn an, entrüstet über dieMillionen Toten in Stalins Gulags zu la­mentieren. Sie gaben vor zu vergessen, dassdie wirkliche Krö­nung der Konterre­volution nur mit der vollen Komplizenschaftdes We­stens im Krieg vollzogen worden war. Wir wis­sen, wie gnadenlos dieBourgeoisie nach einer Nie­derlage der Arbeiterklasse vorgeht (Zehntausende vonKommunarden wurden mit ihren Frauen und Kindern abge­schlachtet und nach derNiederlage von 1871 verschleppt). Die Art und Weise, wie der 2. Weltkriegdurchgeführt wurde, ließ der Bour­geoisie freien Spielraum, um dieArbeiterklasse noch mehr zu massakrieren, als sie es schon 1917 getan hatte.Die Rus­sen trugen das Gewicht des 4 Jahre dau­ernden Kriegs in Europa alleinauf ihren Schultern. Erst Anfang 1945 betra­ten die Amerika­ner deutschenBoden, wo­durch die Zahl ihrer eige­nen Toten gering ge­halten, und der sozialeFrieden in den USA auf­rechterhalten werden konnte. Die Millio­nen russischenOpfer verdeutlichten in der Tat ein tragisches Heldentum, denn ohne amerikani­scheMilitärhilfe wäre das rück­ständige stalini­stische Re­gime von dem in­dustrialisiertenDeutschland besiegt wor­den.

Nach solch einem Aderlass hatte es der russi­sche Staat nicht nötig,"eine demokra­tische Maske" zu zeigen, um seine Ord­nung auf­zuzwingen.Die Alli­ierten ließen die russi­schen Soldaten an Millionen Deut­schen Ver­geltungüben. Sie ließen Russland den Status einer "Siegermacht" einnehmen,denn die Er­fahrung seit 1914 bewies, dass solch ein Schritt dazu beitrug, densozialen Frieden aufrechtzu­erhalten. Die russische Regierung und ihr Diktatorließen der deutschen Armee ausrei­chend Spielraum, damit diese den Aufstand vonWarschau niederschlagen konnte. Ge­nauso wie sie Hunderttausende von Zivi­listenin Stalin­grad und Leningrad vor Hunger und Kälte umkommen ließen. Souvarinzufolge verheiz­ten sie Millionen Menschenleben in den Arbeitsla­gern.

Um den siegreichen imperialistischen Ap­petit Russ­lands zu befriedigen (dasstalini­stische Regime de­montierte zahlreiche Fa­briken in Osteuropa, wäh­rendder Westen von der Wie­deraufbauhilfe durch die USA profitierte), war esnotwendig, dass die Ar­beiterklasse daran gehindert wurde, nicht von der"Befreiung" der Bourgeoisie zu profitieren.

Eine intensive Propagandakampagne wurde sowohl im Westen als auch im"totalitären" Russland anläss­lich des Völ­kermords an den Judendurchgeführt, über den die Alliierten seit dem Beginn des Krieges im Bildegewesen waren. Wie ei­nige ernsthaftere Historiker an­erkannt ha­ben, liegt dieErklärung für diesen Völ­kermord nicht im Mittelalter, sondern ist im Rahmendes kalten Krieges zu finden. Das Mas­saker erreichte solche Ausmaße nach demBeginn des Krieges mit Russland. Das Problem der großen Massen von Ge­fangenenund Flüchtlingen musste von der deutschen Bour­geoisie "gelöst"werden. Der Nazi-Staat machte sich die größten Sorgen um die Ernäh­rung seinereigenen Truppen, auch wenn das bedeutete, dass ein Teil der Bevölkerung, der fürdie Kriegsaufwendungen eine Belastung war, früher in den Tod geschickt werdenmusste (Kugeln und Munition mussten für die rus­sische Front gehortet werden,insbeson­dere nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Massenerschießenselbst für die Er­schießungskommandos einen demoralisieren­den Ef­fekt hatte).Auf der Bermuda-Konferenz 1943 be­schlossen die Alliierten nichts für die Judenzu un­ternehmen. Damit zogen sie es vor, dass die Juden eher ausgelöschtwurden, als dass die Alliierten sich um die gewaltige Flüchtlingsmasse kümmernwür­den, die ent­standen wäre, wenn die Nazis diese Massen von Judenausgewiesen hätten. Eine Reihe von Verhandlungen wurde mittels Rumänien undUngarn geführt. Alle stießen auf die höfliche Ab­lehnung Roosevelts. Der meistbekannte Vor­schlag, der heute hinter der humanitären Aktion ei­nes Schindlersverdeckt wurde, war der von Eich­mann an Vertreter der Alliierten. DerVorschlag lautete: Wir tauschen 100.000 Juden gegen 10.000 LKWs. Die Alliiertenlehnten diesen Tausch ab. Ein briti­scher Staatsrepräsentant sagte: "DerTransport von so vielen Menschen würde nur unseren Kriegs­bemühungenschaden"[8].

Der Völkermord an den Juden, die ethni­sche "Säuberung" durch dieNazis, war eine per­fekte Ausrede für die Barbarei, die von den siegreichenAlliierten ausgeübt wurde. Die Konzentrationslager wurden der Öffentlichkeitgeplant und medienge­recht inszeniert zugäng­lich gemacht. Die­ser Berg von Lügen,der dazu diente, von den Besiegten ein Bild des Teufels zu ma­len, sollte jedeInfragestel­lung der alliier­ten Terrorbombenangriffe unmöglich ma­chen. Diesealliierten Terrorangriffe ver­folgten nämlich das Ziel, die Arbeiter­klasse aufder ganzen Welt zum Schweigen zu brin­gen. Einige Zahlen verdeutlichen diesenHor­ror.

- Juli 1943, Hamburg, 50.000 Tote,

- 1944: Darmstadt, Königsberg, Heilbronn 24.000 Tote, Braunschweig 23.000Tote,

- 13-14. Februar 1945: Bombardierung Dres­dens, Folgen: ca. 250.000 Tote,

- innerhalb von 18 Monaten wurden 45 der 60 größten deutschen Städte zerstört,mehr als 650.000 Tote,

- März 1945: Bombardierung Tokios, 80.000 Tote,

- August 1945: Hiroshima und Nagasaki,

- in Frankreich wie woanders war die Arbei­terklasse die Hauptzielscheibe:Tau­sende wur­den in Le Havre und Marseille getötet, wäh­rend der Landung derAlliier­ten führten die Bombardierungen von Caen und anderen Städten neben den20.000 Toten unter den Soldaten zu hohen Opfern unter der Zivilbe­völkerung,

- 4 Monate, nachdem sich das deutsche Reich ergeben hatte, nachdem sichJapan praktisch auf den Knien befand, zerstörten die schlimm­sten Waffen allerZeiten Hi­roshima und Na­gasaki. Der Vorwand: amerikanisches Leben solltegerettet wer­den. Der Arbeiterklasse sollte für immer vor Augen geführt werden,dass die herr­schende Klasse eine "allmächtige Klasse" sei.

In einem weiteren Artikel werden wir die Re­aktionen der Arbeiterklasse währenddes Krieges behandeln, die von all den Hi­storikern verschwiegen werden. Dabeiwerden wir auch die Haltung, die Positio­nen und Aktivitäten der revolutionärenMinderheiten aufgreifen.

Damien

 (aus International Review, Nr. 78,3. Quartal 1994).

 

[1] siehe INTERNATIONALE REVUE Nr. 13, "DieMassaker und Verbrechen der großen Demokra­tien", 3. Quartal 1991,

[2] "The Secret War", A.C.Brown,

[3] 34-39: L`Avant-guerre, Michel Ragon, Ed. De­noel, 1968

[4] Bericht zur internationalen Situation, 14.07.1945

[5] L`Oeuvre, 29.8.1940

[6] siehe Internationale Revue, Manifest des9. Kon­gresses der IKS

[7] Le Figaro, 6.6.1944

[8] Siehe "Die Geschichte Joel Brands" vonAlex Weissberg. Ein halbes Jahrhundert später ver­hält sich der Kapitalismusgegenüber dem Flücht­lingsproblem noch immer gleich: "Aus ökonomi­schenund politischen Gründen (jeder Flüchtling ko­stet $ 7.000) will Washing­tonnicht, dass die Quota der Juden auf Kosten der Flüchtlinge aus Latein­amerika,Asien und Afrika steigt, die mit keiner Un­terstützung rech­nen können undvielleicht mehr "verfolgt" sind (Le Monde, 4.10.1989, "Diesowjeti­schen Juden wären am meisten von Einwanderungs­beschränkungenbetroffen“). Das Europa Maastrichts steht dem in nichts nach: "aus eu­ropäischerSicht sind die meisten Asylbewerber keine wirklichen Asylanten, sondern Wirt­schaftsflüchtlinge,die man auf einem schon ge­sättigten Arbeitsmarkt nicht auf­nehmen kann"(Libération, 9.10.1989).

Das ist derdekadente Kapitalismus. Da er die Ent­faltung der Produktivkräfte fesselt, musser in Kriegs- und Friedenszeiten einen Großteil der Men­schen eines langsamenTods sterben lassen. Die Heuchelei in Anbetracht der "ethnischen Säuberun­gen"auf dem Balkan und des Mordes an über 1 Millionen Einwohnern Ruandas innerhalbweniger Wo­chen zeigen die "wahren Fähigkei­ten" des Kapita­lismusauf. Indem sie die Massa­ker geschehen las­sen, genauso wie sie damals denGenozid an den Juden zugelassen haben, tun die westlichen Demo­kratien so, alsob sie damit nichts zu tun hätten; in Wirklichkeit aber sind sie nicht nurKomplizen, sondern heute sind sie noch stärker als im Fall der Juden direktbeteiligt.

Theoretische Fragen: 

  • Imperialismus [41]

Das Verständnis der Dekadenz - Polemik

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In den beiden vorhergehenden Artikeln haben wir aufgezeigt, daß alle Produkti­onsweisen von einem aufsteigenden und einem deka­denten Zy­klus be­stimmt werden (International Review, Nr.55), und daß wir uns heute inmitten der ka­pitalistischen De­kadenz be­finden (Internationale Review, Nr.54). Der vorliegende Artikel will aus­führlich die  Ele­mente darstellen, die es dem Kapitalismus er­möglichten, in seiner Nieder­gangsphase weiterzule­ben. Insbe­sondere hat der Artikel das Ziel, eine Grundlage dafür zu schaf­fen,  die Wachs­tumsraten in der Zeit nach 1945 (die höchsten in der Ge­schichte des Ka­pitalismus) verstehen zu können. Vor al­lem wollen wir aufzeigen, daß dieser vor­übergehende Auf­schwung ein `gedoptes' Wachstum war,  ist, daß es nichts anderes ist als der verzwei­felte Kampf eines Sy­stems in seinem Todesringen. Die Mittel, die dafür benutzt wur­den, um dies zu er­reichen (massive Verschul­dungen, Staatsinterventio­nismus, wachsende Rü­stungsproduktion, unproduk­tive Aus­gaben, etc.) sind erschöpft. Dadurch wird der Weg zu einer nie gekannten Krise eröffnet.

 

1.  Der fundamentale Widerspruch des Kapi­talismus

 

"Im Prozesse der Produktion aber ist das entschei­dende: In wel­chem Verhältnisse stehen die Arbeiten­den zu ihren Produkti­onsmitteln?" (Luxemburg Werke Bd.5, S.644) Im Kapitalis­mus sind die Ar­beiter durch das Lohnverhältnis mit den Produkti­onsmitteln verbunden. Das ist das fundamentale ge­sellschaftliche Produktionsverhält­nis, welches dem Kapitalis­mus seine Dynamik ver­leiht, wie auch seine un­überwindbaren Widersprüche enthält (1). Es ist ein dynamisches Ver­hältnis in dem Sinne, daß das Sy­stem, an­gestachelt von der Tendenz der fallenden Profitrate und ihrer Anglei­chung durch die Wert- und Konkurrenzgesetze, fort­während wach­sen, akkumulieren, expan­dieren und die Lohnaus­beutung bis an die Grenzen treiben muß. Es ist ein wider­sprüchliches Ver­hältnis in dem Sinne, daß der eigentliche Me­chanismus zur Pro­duktion von Mehrwert mehr Werte produ­ziert, als er zu verteilen imstande ist, Mehrwerte, die aus der Differenz zwi­schen dem Produktionswert der pro­duzierten Ware und dem Wert der Ware Arbeits­kraft, den Löh­nen, stammen. Indem die Lohnarbeit sich verallge­meinert, schränkt der Kapitalismus selbst seine Ab­satzmöglichkeiten ein und ist ständig ge­zwungen, Käufer außerhalb seiner Sphäre von Kapital und Ar­beit zu suchen.

 

"....je mehr sie [die kapitalistische Pro­duktion] sich entwickelt, um so mehr ge­zwungen ist, auf großer Stufenleiter zu produzieren, die mit der immediate de­mand [unmittelbaren Nachfrage] nichts zu tun hat, sondern von einer beständigen Erweiterung des Weltmarkts abhängt...Er [Ricardo] übersieht, daß die Ware in Geld ver­wandelt werden muß. Die de­mand [Nachfrage] der Arbeiter ge­nügt nicht, da der Profit ja grade dadurch herkommt, daß die de­mand der Arbei­ter kleiner als der Wert ihres Produkts, und um so größer ist, je relativ kleiner diese de­mand. Die demand der capi­talists untereinander ge­nügt ebensowenig...." (MEW 26.2, S.469) "...Wird endlich gesagt, daß die Kapitali­sten ja nur selbst unter sich ihre Waren auszutauschen und aufzuessen haben,  so wird der ganze Cha­rakter der kapitalisti­schen Produktion vergessen und verges­sen, daß es sich um die Verwertung des Kapitals han­delt...." (MEW 25, S.269f) "....Das bloße  Verhältnis von Lohnarbei­ter und Kapitalist schließt ein:

 

1. daß der größte Teil der Produzenten (die Arbei­ter) Nichtkonsu­menten (Nichtkäufer) eines sehr großen Teils ihres Produkts sind, nämlich der Ar­beitsmittel  und des Arbeitsmaterials;

 

2. daß der größte Teil der Produzenten, die Arbei­ter, nur ein Äquivalent für ihr Produkt konsumieren können, solang sie mehr als dies Äquivalent - die surplus va­lue [den Mehrwert] oder das surplus pro­duce [Mehrprodukt] - pro­duzieren, um in­nerhalb der Schranken ihres Be­dürfnisses Konsumenten oder Käufer sein zu kön­nen." (MEW26.2, S.520) "Die Überproduk­tion speziell hat das allgemeine Produk­tionsgesetz des Kapitals zur Bedin­gung, zu produ­zieren im Maß der Produk­tivkräfte (d.h. der Mög­lichkeit, mit gege­bener Masse Kapital größtmögliche Masse Arbeit auszubeu­ten) ohne Rücksicht auf die vorhandenen Schranken des Markts oder der zah­lungsfähigen Bedürf­nisse...." (dito, S.535)

 

Marx zeigte einerseits deutlich die unvermeidli­che Jagd des Kapi­talismus nach Erhöhung der Mehr­wertmenge auf, um den Fall der Profitrate aus­zugleichen (Dynamik), und er wies anderer­seits auf das dem gegenüberstehende Hindernis hin: den Ausbruch von Krisen, die dem schrumpfenden Markt, auf dem die Pro­dukte ver­kauft werden kön­nen (Widerspruch), ge­schuldet sind, lange be­vor der an dem Fall der Profitrate ge­knüpfte Mangel an Mehrwert auf­tritt:

 

"Aber in dem selben Maße, worin seine Pro­duktion sich ausge­dehnt hat, hat sich das Be­dürfnis des Ab­satzes für ihn ausge­dehnt. Die mächtigeren und kostspielige­ren Produktions­mittel, die er ins Leben ge­rufen, befähigen ihn zwar, seine Ware wohlfeiler zu ver­kaufen, sie zwingen ihn aber zugleich, mehr Waren zu ver­kaufen, einen ungleich größeren Markt für seine Waren zu erobern..." (Marx,  Lohnarbeit und Kapital, MEW6) "Sie [die Krisen] werden häu­figer und immer heftiger schon deswegen, weil in demselben Maße, worin die Produktenmasse, also das Bedürfnis nach ausge­dehnten Märkten  wächst, der Weltmarkt immer mehr sich zusam­menzieht, im­mer weniger neue Märkte zur Ex­ploitation übrig­bleiben, ja jede vorher­gehende Krise einen bisher uneroberten oder vom Han­del nur oberflächlich ausge­beuteten Markt dem Welthandel unterwor­fen hat." (dito)

 

Diese Analyse wurde von Rosa Luxem­burg syste­matisiert und vollständiger ent­wickelt, die zur Schlußfolgerung gelangte, daß das Wachs­tum des Kapitalismus von der kontinuierlichen Erobe­rung vor-kapi­talistischer Märkte abhängt, da die Gesamt­heit des vom globalen Kapital pro­duzierten Mehr­werts seinem eigentlichen Charakter entsprechend nicht in rein kapitalisti­schen Bereichen re­alisiert werden kann. Die Er­schöpfung der Märkte, die den Be­dürfnissen der Akkumulation entsprechen, werde das System in seine dekadente Phase stürzen:

 

"Durch diesen Prozeß bereitet das Kapital aber in zweifacher Weise seinen Unter­gang vor. In­dem es einerseits durch seine Aus­dehnung auf Kosten aller nichtkapitali­stischen Produktions­formen auf den Mo­ment lossteuert, wo die ge­samte Mensch­heit in der Tat lediglich aus Ka­pitalisten und Lohnproleta­riern besteht und wo eben deshalb weitere Ausdeh­nung, also zugleich Akkumulation, unmöglich wird. Zugleich ver­schärft es, im Maße wie diese Ten­denz sich durchsetzt, die Klassengegensätze, die interna­tionale wirtschaftliche und politi­sche Anarchie der­art, daß es, lange bevor die letzte Konse­quenz der ökonomischen Entwicklung - die ab­solute, ungeteilte Herrschaft der kapitalistischen Produktion in der Welt - erreicht ist, die Rebel­lion des internationalen Proletariats gegen das Be­stehen der Kapitalsherr­schaft herbeiführen muß.... Der heutige Imperialis­mus.... ist das letzte Stadium in seinem hi­storischen Prozeß: die Periode der verschärften und generali­sierten weltweiten Konkurrenz zwi­schen den kapita­listischen Staa­ten um die letzten Überreste an nicht­kapitalistischen Gebieten auf dem Plane­ten." (Luxemburg Werke Bd.5, S.430f)

 

Abgesehen von ihrer Analyse der unzertrennli­chen Einheit der kapitalisti­schen Produktions­verhältnisse und des Im­perialismus, die auf­zeigt, daß das System nicht überleben kann, ohne sich auszu­weiten, und daß es daher impe­rialistisch an sich sei, liegt der Hauptbeitrag von Rosa Luxemburg in der Schaffung von analyti­schen Werkzeugen zum Verständnis da­für be­gründet, wie, wann und warum das Sy­stem in seine Dekadenzperiode eintrat. Rosa beantwor­tete diese Fragen mit dem Ausbruch des I.Weltkrieges 1914-18, in­dem sie erkannte, daß der weltweite in­ter-imperialisti­sche Konflikt die Periode eröff­nete, in der der Kapitalismus zu ei­ner Fes­sel der Wei­terentwicklung der Produk­tivkräfte wird: "Die Not­wendigkeit des Sozialis­mus ist völlig gegeben, so­bald die Herr­schaft der Bourgeoisie den histori­schen Fortschritt nicht mehr be­fördert, und zu einer Fessel und Gefahr für die weitere Entwick­lung der Gesell­schaft wird. Was die kapitalistische Ordnung be­trifft, ist ge­nau das, was der gegenwärtige Krieg zeigt."

 

Wie auch immer die mannigfaltigen `ökonomischen' Erklärungen waren, diese Analyse wurde von der gesamten revolu­tionären Be­wegung geteilt.

 

Ein klares Verständnis dieses unlösbaren Wider­spruchs im Kapital verschafft uns einen Ansatz­punkt zum Verständnis dafür, wie das System in seiner Dekadenz bisher überlebt hat. Die Ge­schichte der kapitali­stischen ™konomie seit 1914 ist die Ge­schichte der Ent­wicklung von Linde­rungsmitteln gegen die Engpässe, die von der Ungleichheit des Weltmarkts geschaf­fen wur­den. Nur mit solch ei­nem Ver­ständnis können wir die zeitweilige 'Leistunsfähigkeit' des Ka­pitalismus (wie die Wachstumsraten nach 1945) auf ihre ei­gentliche Größe zurechtstutzen. Die Kri­tiker unseres Stand­punktes (s. International Review Nr.54 und 55) sind von den Zah­len die­ser Wachstumsraten geblendet, was sie blind gegenüber deren NA­TUR macht. Sie entfernen sich somit von der marxisti­schen Me­thode, die darauf abzielt, die wirkliche Natur der Dinge hervorzukeh­ren, die versteckt hinter ihrer Exi­stenz liegt. Diese wirkliche Natur ist es, die wir hier aufzuzeigen beabsichtigen (2).

 

2.  Wenn die Realisierung des Mehr­werts wichtiger wird als seine Produk­tion

 

Während der aufsteigenden Periode über­traf die Nachfrage im all­gemeinen das An­gebot; der Preis der Waren wurde von den höchsten Produktionsko­sten bestimmt, je­nen nämlich der am we­nigsten entwickel­ten Bereiche und Län­der. So war es mög­lich, daß letztere Profite er­zielten, die eine reale Akkumulation erlaubten, wohingegen die entwickelt­sten Länder in der Lage wa­ren, Super­profite zu re­alisieren. In der Dekadenz ist das Gegenteil der Fall: Ins­gesamt ist das Angebot größer als die Nach­frage, und die Preise werden von den niedrigsten Produkti­onskosten bestimmt. Eine Folge davon ist, daß die Bereiche und Länder mit den höchsten Pro­duktionskosten gezwungen sind, zu einem verrin­gerten Profit oder gar mit Verlust zu ver­kaufen oder sich dem Wertgesetz zu entziehen, um zu überleben (s. unten). Dies senkt  ihre Akkumulationsrate auf ein äußerst niedriges Ni­veau. Auch die bür­gerlichen ™konomen haben in ihrer eige­nen Sprache (jene des Verkaufs- und des Kostpreises) diese Um­kehrung bemerkt: "Wir werden von der heutigen Umkehrung des Ver­hältnisses zwischen Kostpreis und Verkaufs­preis heimgesucht.... Langfristig wird der Kost­preis seine Rolle behalten.... Aber während es früher   so war, daß der Verkaufspreis immer über dem Kostenpreis gehalten werden konnte, erscheint er heute übli­cherweise dem Marktpreis untergeord­net. Unter die­sen Umständen, in denen nicht mehr die Produk­tion, sondern der Ver­kauf das wesentliche ist, in denen die Kon­kurrenz immer härter wird, wählen die Betriebe den Ver­kaufspreis zum Ausgangs­punkt, um sich dann schrittweise dem Kostpreis anzunä­hern.... Um zu verkaufen, neigen die Betriebe heute dazu, zualler­erst den Markt und damit den Ver­kaufspreis zu be­rücksichtigen..... Dies ist so schla­gend, daß wir es heute des öfteren mit dem Parado­xon zu tun haben, daß es immer weniger der Kost­preis ist, der den Ver­kaufspreis be­stimmt, sondern immer häufi­ger das Gegenteil der Fall ist. Das Pro­blem ist: entwe­der die Pro­duktion aufzuge­ben oder unterhalb des Markt­preises zu produ­zieren" (J.Fourastier und B.Bazil, Pourquoi les prix bais­sent).

 

Ein spektakuläres Anzeichen dieses Phä­nomens tritt in den wild durcheinanderge­würfelten Pro­portionen der Verteilung und Ver­marktung in den endgültigen Kosten des Produkts auf. Diese Funktionen wer­den vom Handelskapital aus­geübt, das sich seinen Anteil bei der allgegen­wärtigen Verteilung des Mehrwerts nimmt, so daß seine Ausgaben in die Produktions­kosten eingehen. In der aufsteigenden Phase trug auch das Handelskapital, solange es die Steigerung der Mehrwertmenge und der jährlichen Pro­fitrate durch die Verkürzung des Waren- und Kapitalum­laufs sicherte, zum allgemeinen Preis­verfall bei, der diese Periode kennzeichnete (s. Graphik 4). In der dekadenten Phase änderte sich seine Rolle. Da die Produktivkräfte an die Gren­zen des Marktes stoßen, be­steht die Rolle des Handelskapitals nicht darin, die Mehrwert­mengen zu steigern, sondern vielmehr ihre Re­alisierung zu si­chern. Dies wird durch die kon­krete Realität des Kapitalismus ausgedrückt: ei­nerseits durch das Anwachsen der Zahl jener Leute, die in der Verteilung beschäftigt sind, und im all­gemeinen durch den zahlenmäßigen Rückgang der Mehrwertproduzenten im Ver­hältnis zu anderen Ar­beitern; anderer­seits durch das Anwach­sen der Ge­winnspanne des Han­delskapitals am end­gültigen Mehr­wert. Es wird geschätzt, daß in den wichtig­sten kapitalisti­schen Ländern die Verteilungskosten heute zwi­schen 50 und 70% der Warenpreise betra­gen. Inve­stitionen in die parasitären Bereiche des Handelskapitals (Marketing, Sponsoring, Lobbyis­mus, etc.) erhalten ein wachsendes Ge­wicht im Verhältnis zu Investitionen in die Pro­duktion von Mehrwert. Dies führt letztlich zu einer Zerstö­rung des produkti­ven Kapitals, was die wachsende para­sitäre Na­tur des System ent­hüllt.

 

 

 

2.1.  Kredit

 

"Das Kreditwesen beschleunigt daher die mate­rielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstel­lung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Pro­duktionsform bis auf einen gewissen Hö­hergrad herzustellen, die hi­storische Auf­gabe der ka­pitalistischen Produkti­onsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kre­dit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Wider­spruches, die Kri­sen, und damit die Ele­mente der Auflösung der alten Produktions­weise." (MEW25, S.457)

 

In  der aufsteigenden Phase war der Kredit ein mächtiges Mittel zur Beschleunigung der Entwick­lung des Kapitalismus, indem er den Kreislauf der Kapitalakkumulation verkürzte. Der Kredit, der einen Fort­schritt bei der Reali­sierung einer Ware darstellte, konnte seinen Kreislauf vervoll­ständigen dank der Möglich­keit, neue au­ßerkapitalistische Märkte zu durch­dringen. In der Dekadenz ist dieses Resultat immer weniger möglich; der Kredit wird somit zu einem Linderungsmittel gegen die wach­sende Unfähigkeit des Ka­pitals, die Ge­samtheit des produzierten Mehrwertes zu realisieren. Die Akku­mulation, die durch den Kredit zeitweise ermöglicht wird, ent­wickelt lediglich einen Ab­szeß, der un­vermeidlicherweise zu einem allge­meinen imperiali­stischen Krieg führt.

 

Der Kredit hat nie eine zahlungsfähige Nach­frage für sich gebil­det, und dies gilt noch weni­ger in der Dekadenz - im Ge­gensatz zu dem, was uns Com­munisme ou Civilisation (CoC) er­zählt: "Der Kredit ist nunmehr in den Kreis je­ner Ursachen auf­gerückt, die es dem Kapital erlauben zu akkumulieren; man kann genauso­gut sa­gen, daß die kapitalistische Klasse in der Lage ist, dank einer zahlungsfähigen Nachfrage, die aus der kapitalistischen Klasse her­rührt, den Mehrwert zu realisie­ren. Auch wenn die­ses Ar­gument nicht in dem Pamphlet der IKS über die Dekadenz des Ka­pitalismus auftaucht, ist es mittler­weile Teil der Aufnahmekriterien dieser Sekte geworden. Sie stimmt nun zu, was sie zu­vor un­nachgiebig abgestritten hatte: die Mög­lichkeit der Realisierung des für die Akkumula­tion bestimmten Mehrwerts." (CoC, Nr.22) (3). Der Kredit dient zur Förderung der Realisierung von Mehrwert und er­möglicht so eine beschleu­nigte Voll­endung des ge­samten Kreislaufes ka­pitalistischer Reproduktion. Marx zufolge ent­hält dieser Kreislauf - wie so oft verges­sen wird - sowohl die Produk­tion als auch die Realisie­rung der produzierten Waren. Was die auf­steigende Phase des Kapitalis­mus von seiner deka­denten unter­scheidet, das sind die Bedin­gungen, unter denen der Kredit wirkt. Die weltweite Sätti­gung der Märkte verlangsamt die Wiedererlan­gung des investierten Kapitals in steigendem Maße und macht sie zunehmend unmög­lich. Daher befindet sich das Kapital auf einem wachsenden Schulden­berg, der im­mer astronomischere Ausmaße an­nimmt. Der Kredit macht es also möglich, die Fik­tion von einer Ausweitung der Akkumula­tion auf­rechtzuerhalten und den endgülti­gen Tag der Ab­rechnung hinauszuschie­ben, an dem das Ka­pital die Zeche zahlen muß. Da es zu einer an­deren Hand­lungsweise unfähig ist, treibt das Kapital unerbittlich Handelskrie­gen und schließlich dem inter-imperiali­stischen Krieg entge­gen. Der Krieg ist die einzige `Lösung' für die Überproduktionskrisen in der De­kadenz (s. dazu International Review, Nr.54). Die Zah­len der Tabelle 1 und der Graphik 1 veran­schaulichen dieses Phä­nomen.

 

Konkret zeigen die Zahlen der Tab.1, daß die USA Schulden in Höhe des zweiein­halbfachen jährlichen Bruttosozialproduk­tes (BSP), Deutschland in Höhe des einfa­chen jährlichen BSP ange­häuft haben. Sollten diese Schulden jemals zurückbe­zahlt wer­den, müßten die Ar­beiter dieser Länder zweieinhalb Jahre bzw. ein Jahr  umsonst arbeiten. Diese Zahlen zeigen auch, daß die Schul­den schneller wachsen als das BSP, was ein Anzeichen dafür ist, daß seit eini­ger Zeit  die wirtschaftli­che Entwicklung immer mehr durch Kredite stattfin­det.

 

Diese beiden Beispiele sind keine Aus­nahme, son­dern veran­schaulichen die weltweite Ver­schuldung  des Kapitalismus. Zwar sind Kalku­lationen vor al­lem ange­sichts des Mangels an vertrau­enswürdigen Statistiken äußerst gewagt, aber man kann anneh­men, daß die Schulden zwischen dem anderthalb bis zweifachen welt­weiten BSP be­tragen. Zwischen 1974 und 1984 wuchsen die weltweiten Schulden um un­gefähr 11 %, während die Wachs­tumsrate des welt­weiten BSP ungefähr um 3,5 % zunahm!

 

Nachfolge Zahlen illustrieren die Wachs­tums- und Schul­denentwicklung, wie sie in den meisten Ländern zu beobachten ist. Die Schulden wach­sen er­sichtlich schneller als die Industrieproduktion. Während frü­her das Wachstum in steigendem Maße vom Kredit abhängig war (1958-74: Pro­duktion 6,01%, Kredite 13,26%), hängt heute schon die bloße Fortsetzung der Sta­gnation von Krediten ab (1974-81: Produk­tion 0,15%, Kre­dite 14,08%).

 

Entwicklung der Verschuldung im Kapitalismus

 

Öffentliche und private Verschuldung 

 

Verschuldung der Haus­halte

 

 

 

                BRD    USA                                 USA

 

 

 

Statistik wird noch eingestellt

 

 

 

 

 

Seit Beginn der Krise wurde jede wirt­schaftliche Er­holung von ständig größeren Kreditmassen getra­gen. Die Konjunktur 1975-79 wurde von Krediten stimuliert, die der   `Dritten Welt' und den soge­nannten `sozialistischen' Ländern gewährt worden wa­ren. Jene von 1983 wurde von einem Wachstum in der Schulden­aufnahme von Seiten der amerikani­schen Behörden getra­gen (hauptsächlich im Inter­esse der Rüstungs­ausgaben). Die CoC ver­steht die­sen Prozeß in keiner Weise und unter­schätzt völlig die Aus­weitung des Kredites als die Überlebens­weise des Kapitalis­mus in der Dekadenz.

 

 

 

2.2  Außerkapitalistische Märkte

 

Wir haben bereits gesehen (s. International Re­view, Nr.54), daß die Dekadenz des Kapitalis­mus nicht durch das Verschwin­den der außer­kapitalistischen Märkte cha­rakterisiert wird, sondern durch ihre Un­verhältnismäßigkeit ge­genüber den Be­dürfnissen ei­ner ex­pandierenden Akku­mulation des Kapitalismus. Das heißt, daß die außerkapitalistischen Märkte nicht mehr aus­reichen, um die Ge­samtheit des vom Kapitalis­mus produzierten und für die Reinvestie­rung vorgesehenen Mehrwerts zu realisieren. Ange­spornt von einer im­mer begrenzteren Akkumulati­onsbasis, ver­sucht der dekadente Kapitalismus, das Betätigungsfeld, das von den Überresten dieser Märkte gebildet wird, so ef­fektiv wie mög­lich aus­zubeuten, und zwar auf dreierlei Weise.

 

Erstens durch eine beschleunigte und ge­plante Ein­gliederung der verbliebenen Be­reiche merkantilisti­scher Wirtschaft inner­halb der ent­wickelten Länder.

 

 

 

Anteil der aktiven Bauernbevölkerung an der gesamten beschäftigen Bevölkerung

 

Grande-Bretagne: GB, Allemagen: BRD, Espagne: Spanien

 

 

 

Grafik wird noch eingestellt

 

 

 

 

 

 

 

Obige Grafik zeigt, daß in einigen Ländern die Integra­tion der mer­kantilen Bauernwirt­schaft in die kapita­listischen gesellschaftli­chen Produkti­onsverhältnisse bereits mit 1914 vollendet war, wohinge­gen sie in an­deren Ländern (Frankreich, Spanien, Ja­pan, etc.) erst während der Dekadenz und beschleunigt nach 1914 statt­fand.

 

Bis zum 2.Weltkrieg wuchs die Produkti­vität in der Landwirtschaft langsamer als in der Indu­strie, was die Folge einer lang­sameren Ent­wicklung in der Ar­beitsteilung war, entspre­chend u.a. dem immer noch großen Gewicht der Bodenrente, die einen Teil des für die Me­chanisierung benötigten Kapitals ab­zweigte. Nach dem 2.Weltkrieg wuchs die Ar­beitsproduktivität in der Landwirtschaft schnel­ler als in der Indu­strie. Dies nahm die Form ei­ner Politik an, die alle möglichen Mittel be­nutzte, um die Sub­sistenzwirtschaft der klein­bäuerlichen Familien zu ruinieren, die noch immer an die merkantile Klein­produktion ge­bunden waren, und um sie in ein rein kapitali­stisches Geschäft umzuwandeln. Soweit der Prozeß der Industrialisierung der Landwirt­schaft.

 

Angespornt von der Suche nach neuen Märkten, ist die Periode der Dekadenz ge­kennzeichnet durch eine verbesserte Aus­beutung der verblie­benen außerka­pitalistischen Märkte.

 

Einerseits erleichterten verbesserte Tech­niken, ver­besserte Kom­munikationsmittel und fallende Trans­portkosten die Penetra­tion - sowohl in In­halt und Umfang - und Zerstörung der merkan­tilistischen ™kono­mie in der außerkapitalisti­schen Sphäre.

 

Andererseits entlastete die sich entfaltende Poli­tik der `Dekolonialisierung' die Me­tropolen von einer kostenträchtigen Bürde und erlaubte ih­nen, den Um­satz ihres Ka­pitals zu verbes­sern und ihren Absatz in den alten Kolonien zu stei­gern (der durch die Überausbeutung der einge­borenen Be­völkerung be­zahlt wurde). Ein großer Teil dieses Absatzes be­stand aus Waffen, das erste und absolute Bedürfnis für den Auf­bau einer lokalen Staats­macht.

 

Der Rahmen, in dem sich der Kapitalismus während seiner auf­steigenden Periode ent­wickelt hatte, er­möglichte die Vereinheitli­chung der Produktionsbe­dingungen (technische und soziale Bedin­gungen, die durchschnittliche Arbeitspro­duktivität, etc.). Im Ge­gensatz dazu hat die De­kadenz die Ungleichheiten in der Ent­wicklung zwischen den entwickelten und unterentwickel­ten Län­dern gesteigert (s. Internatio­nal Review, Nr.23 und 54).

 

Während in der Aufstiegsperiode die Pro­fite, die den Kolonien entzogen worden waren (Verkauf, Anleihen, Investitionen), größer wa­ren als jene, die aus dem unglei­chen Austausch resultierten (4), fin­det in der Dekadenz das Ge­genteil statt. Die Ent­wicklung der Austausch­verhältnisse über einen lan­gen Zeitraum zeigt diese Tendenz auf. Seit dem zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts ha­ben sie sich deutlich zu­ungunsten der sog. `Dritten Welt' ver­schlechtert.

 

 

 

2.3  Staatskapitalismus

 

Wir haben bereits gesehen (s. International Re­view, Nr.54), daß die Entwicklung des Staats­kapitalismus eng mit der kapitalisti­schen Deka­denz verknüpft ist. (5) Der Staatskapitalismus ist eine weltweite Poli­tik, die dem System in jedem seiner Berei­che des sozia­len, politischen und wirt­schaftlichen Lebens aufge­zwungen wird. Der Staatskapitalismus hilft, die un­überwindbaren Wider­sprüche des Kapita­lismus ab­zuschwächen: auf der gesell­schaftlichen Ebene durch eine bessere Kontrolle einer Ar­beiterklasse, welche mittlerweile entwickelt ge­nug ist, um eine reale Gefahr für die Bour­geoisie zu sein; auf der politischen Ebene durch die Be­herrschung der wachsenden Span­nungen zwischen den bürgerlichen Fraktionen; auf der ökonomischen Ebene durch die Be­sänftigung der sich häufenden explosiven Wider­sprüche. Auf dieser letztgenannten Ebene, die uns hier angeht, interveniert der Staat mit einer Reihe von Mecha­nismen:

 

 

 

2.3.1  Das Umgehen des Wertgesetzes

 

Wir haben gesehen, daß in der Dekadenz ein immer wichtigerer Anteil der Produk­tion der strikten Be­stimmung des Wertge­setzes entflieht (International Review, Nr.54). Zweck dieses Prozesses ist es, Ak­tivitäten, die ansonsten an dem gnadenlo­sen Verdikt des Wertgesetzes scheitern würden, am Leben zu erhalten. Dem Ka­pitalismus gelingt es so für eine Weile, aber nur für eine Weile, dem eisernen Geset­zen des Marktes zu entgehen.

 

Permanente Inflation ist eines der Mittel, um letzte­ren zu begeg­nen. Sie ist zudem ein typi­sches Phä­nomen einer dekadenten Produktions­weise (6).

 

 

 

Entwicklung der Großhandels­preise in fünf entwickel­ten Ländern von 1750 bis 1950-70

 

Statistik wird noch eingestellt

 

 

 

 

 

Entwicklung der Einzelhandelspreise in Frankreich von 1820 - 1982

 

 

 

Einzelhandelspreise in Frankreich

 

Statistik wird noch eingestellt

 

 

 

 

 

 

 

Nachdem sie ein Jahrhundert lang stabil geblieben waren, explodierten die Preise nach dem 1. Weltkrieg, vor allem nach dem 2. Weltkrieg. Zwischen 1914-1982 stiegen sie um das Tausendfache an. Quelle INSEE

 

 

 

Wenn eine periodische Senkung und Neuord­nung der Preise zum Wertaus­tausch (Produktionspreis) durch das An­schwellen der Kredite und der Inflation künstlich verhindert wird, dann kann eine ganze Reihe von Betrie­ben, deren Ar­beitsproduktivität unter­halb des Durch­schnitts ihrer Branche gefallen ist, nichts­destotrotz der Entwertung  ihres Kapitals und dem Bankrott entkommen. Auf lange Sicht je­doch kann dies nur das Ungleich­gewicht zwi­schen den Produktionska­pazitäten und der zah­lungsfähigen Nach­frage stei­gern. Die Krise wird verzögert, nur um später noch stärker zurück­zukehren. In der Ge­schichte der ent­wickelten Länder er­schien die Infla­tion zum ersten Mal, als der Staat rüstungs- und kriegsgebundene Ausgaben machte. Später kam noch die Entwick­lung des Kre­dits und der unpro­duktiven Ausgaben zu den Waffen­ausgaben hinzu und wirkte als  Hauptursache der Inflation.

 

Die Bourgeoisie hat eine ganze Reihe antizykli­scher Maßnahmen ergriffen. Aus­gerüstet mit der Erfah­rung der Krise von 1929, die durch den Isolationis­mus be­trächtlich erschwert wor­den war, hat sich die herrschende Klasse von ihrem verblie­benen Irrglau­ben über den Frei­handel, wie vor 1914, losgesagt. Die 30er Jahre und erst recht die Periode nach 1945, mit dem Höhepunkt des Keynesianismus, wa­ren durch eine Serie konzertierter staatskapitalisti­scher Maßnahmen gekenn­zeichnet. Es ist schlech­terdings unmöglich, hier auf alle von ihnen ein­zugehen, aber sie alle hatten dasselbe Ziel: die Kontrolle über die Schwankungen in der ™ko­nomie zu erlangen und die Nachfrage künstlich zu stützen.

 

Der Grad der Staatsinterventionen in der Wirt­schaft ist gewach­sen. Dieser Punkt wurde be­reits in  vor­herigen Ausgaben von In­ternational Review breit abgehan­delt; hier wollen wir uns nur mit ei­nem Ge­sichtspunkt befassen, mit ei­nem Aspekt, der bisher le­diglich angedeutet worden war: die staatli­chen Eingriffe im gesell­schaftlichen Bereich und ihre Auswirkun­gen auf die Wirtschaft.

 

Während der Aufstiegsphase des Kapita­lismus wa­ren steigende Löhne, die Redu­zierung der Arbeits­zeit und verbesserte Arbeits­bedingungen "Konzessionen, dem Kapital abgerungen durch einen erbitterten Kampf.... Das Englische Ge­setz über den Zehnstunden­arbeitstag war in der Tat das Ergebnis eines langwierigen Kampfes zwi­schen der Kapitalistenklasse und der Arbei­terklasse." (Marx, Das Kapital). In der Deka­denz stellten die Zuge­ständnisse der Bourgeoisie an die Arbeiterklasse wäh­rend der revolutio­nären Er­hebungen 1918-23 zum ersten Mal Maßnahmen dar, die dazu dienten, eine soziale Bewegung, de­ren Ziel nicht mehr war, dauer­hafte Re­formen innerhalb des System zu er­langen, sondern die Macht zu ergrei­fen, zu besänf­tigen (8-Stunden-Arbeitstag, allgemei­nes Wahlrecht, Sozialversicherung, etc.) und zu kontrol­lieren (Tarifverträge, Gewerkschafts­rechte, Betriebsräte, etc.). Gerade die letztge­nannten Maß­nahmen, die eigentlich nur eine Begleiterscheinung des Kampfes waren, werfen ein Schlaglicht auf die Tatsache, daß in der ka­pitalistischen Dekadenz der Staat mit Hilfe der Gewerkschaften soziale Maßnah­men organisiert, kon­trolliert und plant, um die pro­letarische Bedro­hung abzuwenden. Dies wird unter­strichen durch das An­schwellen der staatlichen Aus­gaben, die dem sozialen Bereich gewidmet werden (indirekte Löhne, die der Gesamtlohn­menge entzo­gen wer­den).

 

 

 

Staatliche Sozialausgaben (Anteil am BSP)

 

 

 

              BRD    Frank.   GB    USA

 

 

 

Statistik wird noch eingestellt

 

 

 

 

 

In Frankreich ergriff der Staat in einer Pe­riode des sozialen Frie­dens eine ganze Reihe von Maßnah­men: Krankenversiche­rung ab 1928-30, unentgeltli­che Erziehung ab 1930, Kindergeld ab 1932. In Deutsch­land wurde die Krankenver­sicherung auf Büroange­stellte und Landarbeiter ausge­weitet, ab 1927 wurde den Arbeits­losen eine finanzielle Hilfe gewährt. Das gegenwär­tige System der sozialen Si­cherheit in den ent­wickelten Ländern wurde wäh­rend und gleich nach dem 2.Weltkrieg (7) entwor­fen, diskutiert und ge­plant: in Frankreich 1946, in Deutsch­land 1954-57 (Montangesetz 1951), etc.

 

Alle diese Maßnahmen zielten zuvorderst auf eine bessere soziale und politische Kontrolle über die Arbeiterklasse und auf die Stei­gerung ihrer Abhän­gigkeit von Staat und Gewerkschaf­ten (indirekte Löhne) ab. Aber auf der ökono­mischen Ebene hat­ten sie einen zweiten Effekt: Sie verminderten die Schwankungen in der Nachfrage des Sektors II (Konsumgüter), wo die Überproduktion zuerst auf­tritt.

 

Die Einrichtung von Einkommenshilfen, automati­schen Lohnerhö­hungen (8) und die Entwicklung von sogenannten Verbraucherkre­diten sind alle Teil des­selben Mechanismus.

 

 

 

2.4  Waffen, Krieg, Wiederaufbau

 

In der Periode der kapitalistischen Deka­denz besit­zen Kriege und Rüstungspro­duktion kei­nerlei Funk­tion mehr in der ka­pitalistischen Gesamtentwick­lung. Sie sind weder Akkumula­tionsfelder des Ka­pitals noch ein Moment in der politischen Verein­heitlichung der Bourgeoisie (wie in Deutschland nach dem Deutsch-franzö­sischen Krieg von 1871: siehe dazu Internatio­nal Review, No.51, 52, 53).

 

Kriege sind der höchste Ausdruck der Krise und Dekadenz des Kapitalismus. A Contre Courant (ACC) weigert sich, dies einzu­sehen. Für diese `Gruppe' besitzen Kriege, mit Blick auf die Zerstö­rungen, die sie anrichten und die die wachsende Hef­tigkeit der Krisen in einem sich konstant wei­terentwickelnden Kapitalis­mus aus­drücken, eine ökonomische Funktion bei der Entwertung  von Ka­pital. Kriege in der auf­steigenden und in der deka­denten Peri­ode des Ka­pitalismus würden daher kei­nerlei qualitative Unter­schiede aufweisen. "Auf die­ser Ebene möchten wir selbst der Idee eines Welt­krieges eine Perspektive verschaffen.... Alle Kriege im Kapitalismus haben somit einen im wesentlichen inter­nationalen In­halt.... Was sich geändert hat, ist nicht der unver­änderte glo­bale In­halt des Krieges (ob dies nun die Deka­dentisten mögen oder nicht), sondern sein Um­fang und seine Tiefe, die noch welt­weiter und kata­strophaler sind" (A Contre Cou­rant, Nr.1). ACC führt zwei Beispiele an, um ihre These zu stützen: die Periode der Napoleonischen Kriege (1795-1815) und die, im Vergleich zum 2. Weltkrieg, noch lokale Natur (sic!) des 1. Welt­krieges. Diese bei­den Beispiele beweisen überhaupt nichts.

 

 

 

Graphik 5.  Entwicklung der Einzelhan­delspreise in Frankreich 1820-1982

 

Statistik wird noch eingestellt

 

 

 

 

 

Nachdem sie ein Jahrhundert lang stabil geblie­ben waren, explo­dierten nach dem 1. Weltkrieg die Preise in Frankreich noch stär­ker als nach dem Zweiten; sie sind zwischen 1914 und 1982 um das 1000-fa­che gestiegen.

 

Quelle: INSEE

 

 

 

Während in der aufsteigenden Periode die Ten­denz der Preise ins­gesamt stabil blieb oder fiel, hat sich in der Dekadenz die Tendenz in ihr Gegenteil ver­kehrt. 1914 fing die Phase der permanenten In­flation an.

 

Die Napoleonischen Kriege wurden am Wende­punkt zwischen zwei Produktions­weisen ausge­fochten; sie sind tatsächlich die letzten Kriege des Ancien Ré­gime ( Dekadenz des Feudalis­mus) gewesen und können nicht in einem Atem­zug mit den charakteri­stischen Kriegen des Ka­pitalismus ge­nannt werden. Obwohl Na­poleons Wirtschaftsmaß­nahmen die Ent­wicklung des Kapitalismus ermutig­ten, en­gagierte er sich auf politischer Ebene, in be­ster Tradition des An­cien Régime, in ei­nem militäri­schen Feldzug. Die Bour­geoisie hegte keine Zweifel darüber; nach­dem sie ihn eine Zeitlang unterstützt hatte, stürzte sie ihn, weil sie seine Feldzüge zu teuer fand und seine Kontinentalblockade eine Be­hinderung ih­rer Entwicklung dar­stellte. Auch das zweite aufgeführte Bei­spiel erfordert entwe­der eine außerordent­liche Phantasie oder eine nicht minder au­ßergewöhnliche Ignoranz. Es geht nicht um einen Ver­gleich zwi­schen dem 1. und dem 2. Weltkrieg, sondern um den Ver­gleich beider mit den Kriegen des vergan­genen Jahrhunderts - ein Vergleich, den die ACC mit Bedacht nicht anstellt. Wür­den sie ihn nämlich anstellen, wäre die Schluß­folgerung so deutlich, daß niemand sie übersehen kann.

 

Nach der Tollheit des Ancien Régime wurde der Krieg den Be­dürfnissen des Ka­pitalismus nach Welteroberung  angepaßt (wie wir in einiger Aus­führlichkeit in der International Review, Nr.54, er­klärt ha­ben), nur um einst wieder zu­rückzukehren, die Irratio­nalität des dekadenten kapitalisti­schen Sy­stems zu vervollständi­gen. Ange­sichts der sich ver­tiefenden Widersprüche des Kapitals war der 2.Weltkrieg unvermeidli­cherweise weitergehend und zer­störerischer als der 1., aber beider Haupt­kennzeichen sind iden­tisch und den Kriegen des letzten Jahrhun­derts entge­gengesetzt.

 

Was die Erklärung der ökonomischen Funktion des Krieges mit der Kapitalent­wertung (Anstieg der Pro­fitrate - MW / KK + VK - dank der  Zerstörung von konstantem Kapital) (VK= va­riables Ka­pital, KK= Konstantes Kapital) an­geht, so bricht sie nach ge­nauer Prüfung zu­sammen. Erstens, weil der Krieg auch Ar­beiter (VK) auslöscht, und zweitens, weil sich der An­stieg der organi­schen Zusam­mensetzung des Kapitals auch während des Krieges fortsetzt. Das zeitweise Wachstum der Profitrate in der un­mittelbaren Nach­kriegsperiode entspricht ei­nerseits der Niederlage und der Überausbeutung der Arbei­terklasse und andererseits dem An­stieg des relativen Mehrwerts infolge der Entwick­lung der Arbeitspro­duktivität.

 

Am Ende des Krieges sieht sich der Kapitalis­mus immer noch der Notwendig­keit gegenüber, die Ge­samtheit seiner Pro­duktion zu verkaufen. Was sich jedoch ge­ändert hat, ist erstens der zeitweise Rück­gang der für die Reinvestition bestimmten Mehr­wertmenge, die realisiert wer­den muß (entsprechend der durch den Krieg ver­ursachten Zerstörungen), und zweitens die Schrumpfung  des Marktes durch die Eliminie­rung von Konkur­renten (die USA schnappten sich die meisten Kolo­nialmärkte der eu­ropäischen Metropolen).

 

Was die Waffenproduktion anbetrifft, so ist sie pri­mär von der Notwendigkeit des Überlebens in einer Umgebung inter-impe­rialistischer Kon­kurrenz moti­viert, gleich, wieviel sie kostet. Erst danach spielt sie auch eine ökonomische Rolle. Obwohl auf der Ebene des globalen Ka­pitals die Waf­fenproduktion für eine Verzeh­rung von Kapital sorgt, ohne der Bilanz am Ende des Pro­duktionszyklus etwas hinzu­zufügen, erlaubt sie dem Kapital, seine Widersprü­che sowohl in Raum als auch in Zeit auszubreiten. In der Zeit, weil die Waffenpro­duktion zeitweise die Fiktion ei­ner kontinuierli­chen Akkumulation am Le­ben erhält, und im Raum, weil das Kapital durch das ständige Ent­fachen von lokalen Kriegen und durch den Ver­kauf eines großen Teils der produ­zierten Waf­fen an die `Dritte Welt' einen Transfer von Wer­ten der letztge­nannten an die entwickelte­ren Länder betreibt.(9)

 

 

 

3.  Die Erschöpfung der Linderungsmit­tel

 

Von den von uns oben geschilderten Maßnah­men, die bereits nach der Krise von 1929 teil­weise in die Praxis umgesetzt wurden (New Deal, Volksfront, DeMan-Plan, etc.), um den Schritt in die Todes­zone der fundamentalen Wi­dersprüche des Kapitalismus hinaus­zuzögern, wurde schon in der Nachkriegspe­riode bis zum Ende der 60er Jahre ausgiebig Ge­brauch ge­macht. Heute sind sie er­schöpft, und die Ge­schichte der letzten 20 Jahre ist die Ge­schichte ihrer wachsenden Unwirksamkeit.

 

Das Streben nach militärischem Wachstum bleibt eine Notwendig­keit (weil es seiner­seits von den wachsenden imperialistischen Bedürf­nissen voran­getrieben wird), aber es verschafft nicht einmal mehr zeitweise Er­leichterung von den wirtschaftli­chen Pro­blemen. Die massiven Kosten der Waffen­produktion erschöpfen nun direkt das pro­duktive Kapital. Aus diesem Grunde ver­langsamt sich heute ihr Wachstum (außer in den USA, wo die Rüstungs­ausgaben in der Periode von 1976-80 um 2.3% und in der Periode von 1980-86 um 4.6% wuch­sen) und fällt der Anteil der `Dritten Welt' an Rüstungsaus­gaben, selbst wenn die mi­litärischen Ausgaben im­mer mehr ver­steckt werden, insbe­sondere unter dem Titel der `Forschung'. Nichtsdestotrotz setzt sich der Anstieg der Mi­litärausgaben in jedem Jahr fort (um 3.2% von 1980-85), und zwar mit einer schnelleren Rate als das globale BSP (2.4%).

 

Der massive Gebrauch von Krediten hat den Punkt erreicht, wo er ernste finanzielle Beben provoziert (z.B. Oktober 1987). Der Kapitalis­mus hat keine andere Wahl mehr, als auf des Messers Schneide zwi­schen der Gefahr eines Rückfalls in die Hyperin­flation (die Kredite ge­raten außer Kontrolle) und der Rezession (entsprechend dem Ansteigen des Zins­satzes, was die Kreditauf­nahme verringert) zu wan­deln. Mit der Verallgemeinerung der ka­pitalistischen Produktionsweise wird die Produktion in stei­gendem Maße vom Markt getrennt; die Reali­sierung des Wa­renwerts und damit des Mehr­werts wird immer komplizierter. Es wird immer schwieriger für den`Produzenten' zu wis­sen, ob seine Waren Ab­satz, einen `Endverbraucher' finden.. Er weitet seine Produktion ohne jegli­che Rücksicht auf die Fähig­keit des Marktes aus, seine Produkte aufzu­nehmen. Kredite, die den Ausbruch der Krise auf­schieben, erschwe­ren nur das Gleichgewicht im Sy­stem, was be­deutet, daß, wenn die Krise einmal ausbricht, dies um so gewalt­tätiger geschieht.

 

Der Kapitalismus ist immer weniger im­stande, eine solche infla­tionistische Politik aufrechtzu­erhalten, die die Wirtschaftsak­tivitäten auf künstliche Weise unterstützt. Solch eine Politik setzt hohe Zinssätze voraus (denn wenn die In­flation erst ein­mal redu­ziert worden ist, gibt es kein großes Interesse am Geldverleihen mehr). Hohe Zinssätze beinhalten je­doch eine hohe Profitrate in der realen Ökonomie (es ist ein all­gemeines Gesetz, daß die Zins­sätze niedriger sein müssen als die durch­schnittliche Pro­fitrate). Dies aber ist immer weniger möglich, da die Krise der Über­produktion und der Absatzman­gel die Pro­fitabilität des investierten Kapitals senkt, so daß nicht mehr eine Profitrate erreicht werden kann, die ausreicht, um die Bank­zinsen zu zahlen. Dieses Di­lemma konkre­tisierte sich im Oktober 1987 in Gestalt der Börsen­panik.

 

Alle außerkapitalistischen Märkte sind un­ter ei­nem immensen Druck überausgebeu­tet worden und völ­lig außerstande, für einen Ausweg zu sorgen.

 

Heute hat die Entwicklung der unprodukti­ven Berei­che einen Punkt erreicht, wo eine inflatio­nistische Politik die Dinge eher ver­schlimmert als lindert. Die Zeit ist daher gekom­men, um die Aus­gaben für den Überbau zu reduzie­ren.

 

Schon die Linderungsmittel, die seit 1948 be­nutzt worden sind, standen auf keinem gesun­den Funda­ment, ihre heutige Er­schöpfung je­doch bildet eine ökonomische Todeszone von unvor­hergesehenem Aus­maß. Heute besteht die einzig mögliche Politik in einem Frontalangriff auf die Ar­beiterklasse, einen Angriff, der von jeder Regierung mit Hingabe aus­geführt wird, ob rechts oder links, Ost oder West. Den­noch verschafft diese Austerität, dank de­rer die Ar­beiterklasse täglich im Namen der `Wettbewerbsfähigkeit' eines jeden nationalen Ka­pitals teuer für die Krise zahlt, keine `Lösung' der allgegenwärtigen Krise; im Ge­genteil, sie verringert die zahlungsfähige Nach­frage nur noch weiter.

 

4.  Schlußfolgerungen

 

Wir haben die verschiedenen Elemente, die das Überleben des Kapitalismus erklä­ren, nicht von ei­nem akademischen Stand­punkt aus, sondern als Mi­litante betrachtet. Was uns beschäftigt, ist, die Be­dingungen für die Entwicklung des Klassenkampfes besser zu verstehen, indem wir ihn in dem einzig gültigen und kohärenten Rahmen plazieren - der Dekadenz des Kapita­lismus -, indem wir uns mit den verschiedenen Maßnahmen auseinandersetzen , die vom Staatskapitalismus eingeführt wurden, und in­dem wir die Eindringlich­keit und die Ge­fahren der gegenwärtigen Lage an­erkennen, die auf die Er­schöpfung der Linderungs­mittel des Kapita­lismus gegen die Krise zurückzu­führen sind (s. Internatio­nal Review, Nr.23, 26, 27, 31).

 

Marx wartete nicht bis er das `Kapital' ge­schrieben hatte, ehe er sich dem Klassen­kampf anschloß. Rosa Luxemburg und Lenin warteten nicht auf die Bestä­tigung der ökonomischen Analyse des Imperialis­mus, ehe sie für die Not­wendigkeit der Gründung einer neuen Interna­tionale eintraten, ehe sie den Krieg durch die Re­volution bekämpften, etc. Denn hinter ih­ren Meinungsverschie­denheiten (Lenin er­klärte den Imperialismus mit der fallenden Pro­fitrate und dem Monopolkapitalismus, Luxemburg mit der Sätti­gung der Märkte) verbarg sich eine profunde Übereinstim­mung in allen Haupt­fragen des Klassen­kampfes und besonders in der Aner­kennung des hi­storischen Bankrotts der kapita­listischen Produkti­onsweise, der die sozialisti­sche Revolution auf die Tages­ordnung setzte: "Aus allem, was über das ökonomische Wesen des Impe­rialismus ge­sagt wurde, geht hervor, daß er charakte­risiert wer­den muß als Übergangskapitalis­mus oder, richtiger, als ster­bender Kapi­talismus.... Parasitismus und Fäul­nis kennzeichnen das höchste Stadium des Ka­pitalismus, den Imperialismus...." (Ausgewählte Werke Bd.2, LW22, S.768) "Der Im­perialismus ist der Vorabend der sozialen Revolu­tion des Proletariats. Das hat sich seit 1917 im Welt­maßstab bestä­tigt." (dito S.653)"

 

Wenn diese beiden großen Marxisten we­gen ih­rer ökonomischen Analysen so hef­tig angegrif­fen wur­den, dann nicht wegen der ökonomi­schen Analysen als solche, sondern wegen ihrer politi­schen Positio­nen. Gleichermaßen verber­gen sich hinter dem ge­genwärtigen Angriff auf die IKS in bezug auf die ökonomischen Fragen eine Verweigerung der mili­tanten Verantwor­tung, eine rä­tekommunistische Auffassung von der Rolle der Revolutionäre, eine Nicht-Aner­kennung des gegenwärtigen hi­storischen Kurses hin zu Klassenkonfron­tationen und ein Man­gel an Überzeugung vom historischen Bankrott der kapitalisti­schen Produktionsweise.

 

 

 

C.Mcl.

 

(aus International Review, Nr. 56, 1. Quartal 1989)

 

 

 

(Es handelt sich um den 6. Teil einer Polemik zur Frage der De­kadenz. Einige Teile sind in der Internationalen Revue Nr. 10,11 auf deutsch und die anderen Teile auf engl./franz./span. erhält­lich)

 

 

 

 

 

Fußnoten:

 

1) Deshalb war sich Marx stets sehr klar über die Tatsache, daß, um über den Ka­pitalismus hinaus zur Schaffung des Sozia­lismus zu schreiten, die Ab­schaffung der Lohnarbeit Vor­bedingung ist: "Statt des konservativen Mottos: `Ein gerechter Ta­gelohn für ein gerechtes Ta­gewerk!', sollte sie [die Sozial­demokratie] auf ihr Banner  die revolutionäre Lo­sung schreiben: `Nieder mit dem Lohnsystem!'." (MEW16, S.152)

 

 

 

2)  Wir nehmen hier nicht für uns in An­spruch, eine detaillierte Erklärung der ökonomischen Mechanis­men und Ge­schichte des Kapitalismus seit 1914 zu lie­fern, sondern wollen lediglich die Haupte­lemente herausstellen, die ihm er­laubt ha­ben zu überleben, indem wir uns auf die Mittel konzen­trieren, die er benutzt hat, um den Tag der Abrechnung seiner fun­damentalen Wi­dersprüche zu umgehen.

 

 

 

3)  An dieser Stelle sollten wir hervorhe­ben, daß von einigen `legitimen', wenn auch akade­mischen Fragen abgesehen, dieses Pamphlet nichts an­deres ist als eine Reihe von Entstellun­gen, die auf dem Grundsatz basie­ren: `Derjenige, der sei­nen Hund töten will, be­hauptet zunächst, er habe die Tollwut'.

 

 

 

4)  Das Wertgesetz regelt den Austausch auf der Ba­sis des gleichen Arbeitsauf­wands. Aber in­nerhalb des nationalen Rahmens kapitalistischer gesell­schaftlicher Produktionsverhältnisse und unter dem ge­gebenen An­stieg der nationalen Unter­schiede in den Produktionsbedingungen in der Dekadenz (Arbeitsproduktivität und -inten­sität, organische Zu­sammensetzung des Kapi­tals, Löhne, Mehrwertra­ten, etc.) findet die Ega­lisierung der Profitraten, die den Produkti­onspreis bilden, wesentlich im natio­nalen Rah­men statt. Es existieren so­mit verschie­dene Preise für die­selbe Ware in verschiedenen Län­dern. Dies bedeutet, daß im internationa­len Handel das Tages­werk einer entwickelteren Na­tion gegen jenes einer weniger entwickelten Na­tion oder eines Niedrig-Lohn-Landes ausge­tauscht wird.... Länder, die Fertigprodukte ex­portieren, können ihre Waren über den Produk­tionspreis verkaufen, wobei er im­mer noch un­terhalb des Pro­duktionspreises des importieren­den Landes bleibt. Erstere realisieren somit durch den Werttransfer einen Superprofit. Zum Beispiel: 1974 ko­stete ein Doppelzentner (100 Kilo) US-Weizen vier Stundenlöhne eines Ar­beiters in den USA, aber 16 Stunden in Frankreich, was einer höheren Arbeitsprodukti­vität in den USA ent­sprach. Die amerikanische Agrarindu­strie konnte also ihren Weizen in Frankreich oberhalb des Pro­duktionspreises (4 Stun­den) verkaufen und blieb immer noch kon­kurrenzfähiger als der französische Wei­zen (16 Stunden) - was den beeindrucken­den Schutz ihres landwirtschaftlichen Marktes durch die EU und die unaufhörli­chen Streitereien über diese Frage erklärt.

 

 

 

5)  Für die EFICC trifft dies nicht mehr zu. Die Entwicklung des Staatskapitalis­mus wird mit dem Übergang von der for­malen zur realen Herrschaft des Kapitals erklärt. Wenn dies der Fall wäre, müßten wir rein statistisch eine kon­tinuierliche Weiterentwicklung des staatlichen Anteils in der Wirtschaft beobachten können, da dieser Übergang sich über eine lange Peri­ode erstreckte, und darüber hinaus müßten wir sei­nen Anfang bis in die aufstei­gende Periode zu­rückverfolgen können. Dies ist er­sichtlich nicht der Fall. Die Statistiken, die wir ver­öffentlichten, zeigen einen deutlichen Bruch im Jahr 1914. Während der aufsteigenden Phase war der Staatsan­teil in der Wirtschaft konstant klein (er schwankte um 12% herum), doch wäh­rend der De­kadenz wuchs er soweit, daß er heute im Durch­schnitt über 50% des BSP be­trägt. Dies bekräftigt unsere These der untrenn­baren Verbindung zwi­schen der Dekadenz und der Entwick­lung des Staats­kapitalismus und ent­kräftet kategorisch jene der EFICC.

 

 

 

6)  Nach dieser Artikelserie kann nur je­mand, der so blind wie unsere Kritiker ist, den klaren Bruch in der kapitalistischen Existenzweise überse­hen, der vom Ersten Weltkrieg dargestellt wird. All die lang­fristigen stati­stischen Aufstel­lungen, die wir in die­sem Artikel veröffentlicht haben, demonstrieren die­sen Bruch: Weltindu­strieproduktion, Welthandel, Preise, Staatsinter­ventionen, Austauschverhältnis und Bewaff­nung. Allein die Analyse der Dekadenz und ihre Erklärung mit der weltweiten Sättigung des Marktes machen diesen Bruch nachvollziehbar.

 

 

 

7)  Auf Wunsch der britischen Regierung stellte der liberale Abgeordnete Sir William Beveridge einen Bericht zusam­men, der, 1942 veröffent­licht, als Ba­sis des Sozialversicherungssystems in Großbritan­nien diente, aber auch die Sozialversicherungssys­teme in allen entwic­kelten Ländern inspi­rierte. Vor­rang hatte, gegen einen direkt vom Lohn abgezoge­nen Beitrag, die Si­cherung einer finanziellen Unter­stützung im Falle "sozialer Risiken" (Krankheit, Un­fall, Tod, Alter, Arbeitslo­sigkeit, Mutterschaft, etc.).

 

 

 

8)  Ebenfalls während des Zweiten Welt­krieges plante die niederländische Bour­geoisie mit den Ge­werkschaften eine pro­gressive Lohnsteige­rung in Verbindung mit, auch wenn sie darunter blieb, der Produktivitätssteige­rung.

 

 

 

9)  CoC mag es, wenn 2 plus 2 gleich 4 sind; wenn ihnen gesagt wird, daß eine 4 auch durch die Sub­trahierung der 2 von der 6 rauskommt, sehen sie darin einen Widerspruch. Daher kommt die CoC auf  "die IKS und ihre wider­sprüchlichen Betrach­tungen über die Aufrüstung (zurück). Während ei­nerseits die Aufrü­stung für den Absatz der Produk­tion in ei­nem Ausmaß sorge, daß beispielsweise die Wirtschaftskon­junktur nach der Krise von 1929 al­lein auf die Rüstungsindustrie zu­rückzuführen sei, lernen wir ande­rerseits, daß die Waffenproduktion keine Lösung der Krisen sei und daß Rüstungsaus­gaben daher eine unglaubliche Ver­schwendung von Kapital für die Entwicklung der Pro­duktivkräfte dar­stellen, daß die Rü­stungsproduktion auf die Minus­seite des allge­genwärtigen Gleichgewichts angesie­delt werden sollte." (CoC, Nr.22)  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Dekadenz des Kapitalismus [42]

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