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Weltrevolution - 2003

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Weltrevolution Nr. 116

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Debatte in Berlin:Die Aufarbeitung der Russischen Revolution ist eine Vorbedingung für die zukünftige Revolution

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Anlässlich des 85. Jahrestages der Oktoberrevolution von 1917 in Russland organisierten die Gruppen GIS (Gruppe Internationaler Sozialisten) und “Aufbrechen” ein öffentliches “Diskussionsseminar” zum selben Thema in Berlin. Die sehr lebhafte Veranstaltung, an der sich ca. 30 Leute aus allen Teilen Deutschlands beteiligten, erstreckte sich über einen ganzen Tag bis in den Abend hinein. Für die Veranstalter selbst ist die Wichtigkeit der Klärung der Klassennatur der Oktoberrevolution sowie die Einschätzung des Degenerationsprozesses und der Niederlage der Revolution naheliegend. Die GIS entstammt dem linkskapitalistischen Milieu des Trotzkismus, hat sozusagen mit der politischen Muttermilch die Idee des “degenerierten Arbeiterstaates” in der Sowjetunion, welche im 2. Weltkrieg angebliche Errungenschaften der Oktoberrevolution verteidigt haben soll, aufgenommen. Aufbrechen ist aus den Kreisen der antifaschistischen und “anti-imperialistischen” Autonomen bzw. dem Maoismus hervorgegangen, musste daher mit der stalinistischen Pervertierung und Verfälschung der Lehren des roten Oktobers abrechnen. Beide Gruppen haben sich in der Zwischenzeit gegenüber der Ideologie insbesondere der “nationalen Befreiungsbewegungen” und des “Antifaschismus” den internationalistischen Positionen der Kommunistischen Linken angenähert. Doch dass diese Arbeit der theoretischen Klärung und der Bruch mit der Bourgeoisie keineswegs abgeschlossen ist, zeigt nicht zuletzt die Frage der Russischen Revolution. Während die GIS bis jetzt noch keine tiefergehende Kritik an der trotzkistischen Auffassung hierzu veröffentlicht hat, vertrat Aufbrechen bislang die rätekommunistische Auffassung vom Oktober als eine bürgerliche Revolution – ohne sich aber, wie wir meinen, vertieft mit dieser Frage befasst zu haben.

Die Bedeutung der Oktoberrevolution für die Revolutionäre heute

Darüber hinaus ist die Einschätzung der Russischen Revolution gerade heute für alle Revolutionäre von besonderer Bedeutung. Die bürgerliche Gleichsetzung der inzwischen zusammengebrochenen stalinistischen Regime Osteuropas mit der Oktoberrevolution, und somit mit dem Marxismus, mit dem Kommunismus, mit der Theorie des Klassenkampfes führte seit 1989 zu starken Einbußen an Selbstvertrauen, Klas-senidentität und an Kampfeskraft der großen Masse der Arbeiterklasse. Bisher haben sich nur kleine, politisierte Minderheiten der Arbeiterklasse von diesem Rückschlag befreien können, indem sie diese Gleichsetzung hinterfragt haben. Das Verständnis der Oktoberrevolution ist somit von zentraler Bedeutung für die Wiederanknüpfung der neuen revolutionären Kräfte an die Traditionen und programmatischen Positionen unserer Klasse. In der Zukunft wird diese Frage eine sehr wichtige Rolle bei der historischen Wiedererstarkung des Klassenkampfes und der Wiederaneignung einer kommunistischen Perspektive durch das gesamte Proletariat spielen. Somit war es nur folgerichtig, dass neben den beiden Veranstaltern auch die “Unabhängigen Rätekommunisten”, sowie die IKS Referate zu verschiedenen Aspekten dieser Frage hielten. Darüber hinaus nahmen eine Reihe anderer Beteiligter aktiv an der Diskussion teil. Dazu gehörten Teilnehmer von Diskussionskreisen aus Frankfurt a.M. und aus Bielefeld, der Herausgeber einer Broschürenreihe mit bordigistischer Ausrichtung (“Für internationale Arbeitermacht”), sowie Sympathisanten der IKS.

Die Thesen des Rätekommunismus und die Gefahr der Abkehr vom Marxismus

Das erste Referat, welches unter dem Titel “Der bürgerliche Charakter des Bolschewismus” durch die “Unabhängigen Rätekommunisten” vorgetragen wurde, bezog sich ausdrücklich auf die bekannten, von Helmut Wagner verfassten “Thesen über den Bolschewismus”. Die Hauptideen dieses Referates waren, dass der Bolschewismus vor 1917 einen “kleinbürgerlich-radikalen Charakter” besaß; dass die Oktoberrevolution eine “bürgerliche Revolution gegen die Bourgeoisie” und ein “bürgerlich-bürokratischer Putsch war; dass die Partei Lenins nach der Machtergreifung bereits zwischen 1917-21 vollständig in eine “staatskapitalistisch-reaktionäre Strömung” umwandelt wurde; und dass “wer von der bolschewistischen Konterrevolution nicht reden will, über den Stalinismus schweigen” sollte. In der Diskussion wurde von verschiedenen Seiten am Referat zunächst kritisiert, dass die internationale Dimension der damaligen Ereignisse völlig fehle. Schließlich wurde die Oktoberrevolution von seinen eigenen Protagonisten – und den Bolschewiki selbst an erster Stelle – als Auftakt zur Weltrevolution begriffen. Daraufhin räumte der Referent selbst ein, dass dieser Aspekt im Referat zu wenig beachtet worden sei. Doch die Kritiker des Referates beharrten zurecht darauf, dass diese Schwäche nicht zufällig aufgetreten ist, sondern Ergebnis eines alten, methodischen Fehlers des Rätekommunismus ist. Auch wenn das Referat einige Auffassungen des holländischen Rätekommunisten Cajo Brendel zur Russischen Revolution kritisiert, erklärt es ausdrücklich seine Übereinstimmung darin mit ihm, dass “die ökonomische Rückständigkeit Russ-lands” der Grund für “die soziale Schwäche der russischen Arbeiterklasse und das schließliche Unterliegen der russischen Rätebewegung” gewesen sei. Während also der Marxismus immer davon ausgegangen ist, dass der proletarische Klassenkampf und das Ringen um den Kommunismus nur international möglich sind, und dass die Russische Revolution folglich in erster Linie an ihrer internationalen Isolierung scheiterte, hat der Rätekommunismus stets versucht, die damaligen Ereignisse in Petrograd und Moskau als Produkt der russischen Verhältnisse darzustellen. Ebenso typisch ist die dramatische Unterschätzung der zentralen Bedeutung des proletarischen Internationalismus als entscheidendste Trennungslinie zwischen Bourgeoisie und Proletariat, wie folgende Aussage des Referates zeigt: “Sein (Lenins) Eintreten für den proletarischen Internationalismus während des ersten Weltkrieges war beispielhaft and besitzt auch heute noch eine große moralische Kraft, aber auch dies machte aus ihm keinen proletarischen Revolutionär.”

Der Rätekommunismus als Ausdruck des Vertrauensverlustes in die Arbeiterklasse

Eine Sympathisantin der IKS argumentierte, dass die Auffassung vom Oktober als eine bürgerliche Revolution einen Ausdruck des Vertrauensverlustes in die Arbeiterklasse und in den Marxismus darstellt. Zum einem, weil sie in dieser Frage der bürgerlichen Propaganda recht gibt, derzufolge der Stalinismus den Nachfolger und nicht den Totengräber des Bolschewismus darstellt. Damit wird der Auffassung über die Oktoberrevolution widersprochen, welche alle klassenbewussten Arbeiter – ein-schließlich aller konsequenten revolutionären Marxisten wie Luxemburg, Pannekoek oder Gorter – damals selbst vertreten haben, und zwar gegen Kautsky, die Menschewiki und die anderen Feinde der Revolution, welche allein eine bürgerliche Umwälzung in Russland für möglich hielten. Zum anderen, weil die Infragestellung des proletarischen Charakters der Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg (und der Bolschewiki als linke, revolutionäre Kraft darin), Tür und Tor öffnet für die Infragestellung des Marxismus selbst. Obwohl die “Unabhängigen Rätekommunisten” (UK) dieses Argument empört von sich wiesen (sie behaupteten vielmehr, die Verteidiger des proletarischen Charakters der Oktoberrevolution ließen es an Vertrauen in die Klasse missen), finden wir, dass die neueste Publikation dieser Rätekommunisten selbst veranschaulicht, wie sehr die Genossin recht hatte. In der Einleitung zur Broschüre “Der Terror des Kapitals” lesen wir: “Unser Weg führt nicht zurück zu Marx, sondern vorwärts zum nachmarxistischen Kommunismus”. Als Kostprobe dessen ist auf S. 27 über “Marxens Reformismus in seinen Vorstellungen zum Kommunismus” die Rede. “Während der Parteimarxismus aus den materiellen Interessen der Parteibürokratie heraus ihren Namenspatron im Reformismus weit überholten, ist es für sozialrevolutionäre ArbeiterInnen im Interesse ihrer Emanzipation an der Zeit, den Kommunismus von reformistischen Etappentheorien zu befreien. Dabei kann durchaus auch auf einiges Vernünftiges aus der anarchistischen Kritik am Marxismus zurückgegriffen werden –allerdings “nur” in der Staatsfrage!” Die UK Leute – “Nelke”, als Herausgeber der “Sozialen Befreiung” sowie “Red Devil”, welcher “Revolution Times” und “ibliothek des Widerstandes” (eine Broschürenreihe zur Geschichte der Arbeiterbewegung) herausgibt – entstammen dem Trotzkismus. Die Geschichte bietet genügend Beispiele dafür, wie Leute aus diesem Milieu, wenn sie sich proletarischen Positionen anzunähern versuchen, sich leicht im Anarchismus verirren bzw. in einen antiautoritären “Nachmarxismus” abgleiten, indem sie angesichts der stalinistischen Konterrevolution der “alten” marxistischen Arbeiterbewegung den Rücken kehren. Dies trifft beispielsweise für die “Revolutionären Kommunisten Deutschlands” zu, welche im 2. Weltkrieg internationalistische Positionen vertraten, sich aber in der Nachkriegszeit in Richtung Anarchismus politisch rückwärts entwickelten. Es triff auch für die Gruppe “Socialisme ou Barbarie” nach dem 2. Weltkrieg zu, welche spätere nichtmarxistische Strömungen wie Solidarity, den Operaismus oder den Modernismus beeinflusst hat. Und es ist bezeichnend, dass das “UK” Referat ausgiebig aus Texten von Socialisme ou Barbarie und Solidarity (Brintons “Die Bolschewiki und die Arbeiterkontrolle”) zitiert.

Die Frage der historischen Methode

Ein Genosse aus Frankfurt warf in der Diskussion ein, dass obwohl die Position des Rätekommunismus Schwächen aufweise, die Frage der Klassennatur der Oktoberrevolution zweitrangig sei. Stattdessen sollte man – schlug er vor – den Beitrag des Rätekommunismus bei der Aufdeckung der Degeneration der Revolution sowie die notwendige Kritik an den Fehlern der Arbeiterbewegung würdigen. Beispielsweise verdanken wir dem Rätekommunismus die Einsicht, dass nicht die Partei die Klasse zu organisieren und die Diktatur des Proletariats auszuüben habe, sondern die Klasse selbst mittels der Arbeiterräte. Die IKS antwortete auf diesen Einwand. Nicht der Rätekommunismus, der die Partei ohnehin ablehnt, sondern die KAPD sowie die Italienische Linke (Bilan) haben zur Klärung der Frage der Beziehung zwischen Partei und Klasse beigetragen. Im übrigen ist die Einschätzung der Klassennatur der Russischen Revolution eine Frage der historischen Methode, und somit entscheidend, damit die Revolutionäre von heute die Lehren aus der Geschichte ziehen können. Wir versuchten dies anhand des Beispieles der Parteifrage zu verdeutlichen. Der Rätekommunismus versucht, die Befürwortung der Parteidiktatur durch Lenin der Betonung der Eigenaktivität der Massen durch Marx oder Rosa Luxemburg entgegenzustellen. Doch während die Marxisten – einschließlich Lenin und Trotzki – stets betonten, dass die Befreiung des Proletariats nur das Werk des Proletariats selbst sein kann, herrschte insgesamt innerhalb der marxistischen Bewegung bis zur russischen Bewegung die Idee vor, dass die Diktatur des Proletariats von der Partei ausgeübt wird. Rosa Luxemburg war nicht weniger davon überzeugt wie Lenin. Der Grund dafür liegt darin, dass im 19. Jahrhundert die Partei (die außerdem zunehmend einen Massencharakter angenommen hatte) die einzige vorhandene Organisation war, welche die Interessen der Klasse insgesamt vertreten konnte – Gewerkschaften und Kooperativen traten immer nur für einzelne Gruppen von Arbeitern ein. Erst mit dem Herannahen der Niedergangsphase des Kapitalismus, als die Frage des Kampfes um die Macht auf die Tagesordnung der Geschichte gestellt wurde, erschien mit den Arbeiterräten die endlich gefundene Form der Diktatur des Proletariats. Aber auch dann konnten die Marxisten nicht sofort die volle Bedeutung der Sowjets erfassen. Während Trotzki 1905 begann, als erster die Wichtigkeit der zunächst in Russland in Erscheinung getretenen Räte zu würdigen, behandelt beispielsweise die ansonsten großartige Broschüre Rosa Luxemburgs über die russischen Massenstreiks die Rolle der Räte kaum. Erst Lenins “Staat und Revolution” von 1917 identifiziert die Diktatur des Proletariats eindeutig mit den Räten. Doch in seiner Schrift aus der Zeit vor der Machtergreifung wird die Rolle der Partei und des Übergangsstaates noch nicht deutlich von denen der Arbeiterräte unterschieden. Bei den Bolschewisten, Spartakisten, wie auch bei Pannekoek oder Gorter herrschte damals immer noch die Auffassung, dass innerhalb der Räte die Partei die Regierung zu bilden habe, welche die Mehrheit hinter sich vereine. Erst durch die tragische Erfahrung der Niederlage in Russland war es der Kommunistischen Linken möglich, ein tieferes Verständnis der Beziehung zwischen Partei und Klasse in der Epoche von Krieg und Revolution zu entwickeln. Der Rätekommunismus hingegen geht mit einer idealistischen, ahistorischen Methode an das Problem heran, indem er proletarische Strömungen als bürgerlich oder kleinbürgerlich abstempelt, weil sie Fragen noch nicht verstanden hatten, die aufgrund der mangelnden Erfahrung der gesamten Arbeiterbewegung noch gar nicht verstanden werden konnten.

Die Position Trotzkis und die Frage des Staates nach der Machtergreifung

Das Referat der GIS lieferte wichtige Elemente einer Kritik der Auffassung Trotzkis über die Degeneration der Revolution. Es zeigte auf, wie Trotzkis unmaterialistische, bloß juristische Definition des durch die Revolution entstandenen Staats als “Arbeiterstaat” ihn blind machte für die Hauptgefährdung der Diktatur des Proletariats. Denn angesichts der Niederlage der Weltrevolution wurde dieser Staat selbst zum Hauptinstrument der stalinistischen Konterrevolution. Das Referat erinnerte daran, dass die Oktoberrevolution den Kapitalismus nicht abgeschafft hatte, da dies nur auf Weltebene möglich wäre. Folglich könnte nach einer politischen Entmachtung der Arbeiterklasse das Regime auch ohne Privatkapitalisten nur einen kapitalistischen Charakter haben. Wir begrüßen das Referat der GIS als einen Schritt hin zum notwendigen radikalen Bruch mit dem Trotzkismus. Allerdings fiel uns auf, dass die Genossen sich dabei noch nicht ausdrücklich auf die Vorarbeit der Kommunistischen Linken in dieser Frage gestützt haben. Während also Trotzkis Bezeichnung der Sowjetunion unter Stalin als “degenerierter Arbeiterstaat” klar verworfen wurde, herrschte in der Diskussion die Auffassung vor, dass nach der Revolution Staat und Arbeiterräte gleichzusetzen seien. Dies ist die klassische Position, welche Lenin in “Staat und Revolution” vertrat. Doch die historische Erfahrung nach der Machtergreifung zwang Lenin dazu anzuerkennen, dass es eine starke Tendenz des Staatsapparates gibt, sich gegenüber der Arbeiterklasse zu verselbständigen. Daraus schloss später die Italienische Fraktion, dass sowohl die Arbeiterräte als auch die Partei ihre Autonomie gegenüber dem Staat unbedingt verteidigen müssen, und dass der Übergangsstaat - dieser potenzielle Träger der Konterrevolution – gar nicht mehr als “Arbeiterstaat” bezeichnet werden sollte. Zu dieser Frage gab es auch eine sehr interessante Diskussion. Der Herausgeber der Reihe “für internationale Arbeitermacht” hob außerdem zurecht die Notwendigkeit hervor, mit dem Trotzkismus insgesamt zu brechen, insbesondere mit der bürgerlichen Ideologie der Demokatie, welche über die Befürwortung einer “Einheitsfront” mit der Sozialdemokratie bis hin zum Aufruf zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie gegen rechts den späteren Verrat des Trotzkismus an der Arbeiterklasse vorbereitete. Auch Trotzkis Forderung nach einer “Demokratisierung” der degenerierenden KPs, anstatt einen kompromisslosen Kampf der Revolutionäre gegen den Stalinismus innerhalb dieser Parteien zu befürworten, zeigte diese demokratistische Schwäche auf.

Die Position Bordigas und die Methode der Gruppe Aufbrechen

Das Referat von Aufbrechen über die Stellung Amadeo Bordigas zur Russischen Revolution bestand fast ausschließlich aus einer Aneinanderreihung von – zugegebenermaßen sehr interessanten - Zitaten vornehmlich aus dem Grundsatztext der IKP “Bilanz einer Revolution”. Aufbrechen kündigte das Vorhaben an, Teile dieses Textes, mit einer eigenen Einleitung versehen, wiederzuveröffentlichen. Aus dem Enthusiasmus, mit dem der referierende Genosse Bordigas Auffassung zum besten gab, konnte man den Eindruck gewinnen, dass zumindest Teile der Aufbrechengruppe ihre bisherige eher “rätistische” Auffassung vom Oktober als eine rein bürgerliche Revolution nicht mehr aufrechterhalten. Allerdings: auch wenn Bordiga stets den proletarischen Charakter des roten Oktobers verteidigt hat, unterscheiden sich die rätistischen und die bordigistischen Sichtweisen gegenüber den russischen Ereignissen in vielerlei Hinsichten gar nicht so sehr. So lehnen beide die Einsicht der Kommunistischen Internationalen von 1919 ab, derzufolge der Kapitalismus seit 1914 in seine Dekadenzphase eingetreten war. Beide glauben daran, dass es in Russland 1917 Aufgaben der bürgerlichen Revolution gab, welche die Bolschewisten, und nach ihnen die Stalinisten erledigt haben. Sowohl Bordiga als auch Cajo Brendel sind davon ausgegangen, dass es außer Russland auch andere Teile der Welt gab, wo nach 1917 bürgerliche Revolutionen und somit fortschrittliche nationale Befreiungsbewegungen noch möglich waren. Das Aufbrechen-Referat verdeutlichte eine alte Unterschätzung der Aufgabe der politischen Klärung durch diese Gruppe, die es bis heute stets unterlassen hat, Positionsänderungen klar anzugeben und zu rechtfertigen, oder die Öffentlichkeit über den Stand der eigenen Diskussionen zu informieren. So ist auf dieser Veranstaltung nicht klar geworden, welche Position die Gruppe oder einzelne ihrer Mitglieder zur Russischen Revolution überhaupt vertreten.

Die Wichtigkeit der politischen Klärung

Nachdem das Referat der IKS einige der wichtigsten Lehren in Erinnerung gerufen hatte, welche die Kommunistische Linke aus der russischen Erfahrung gezogen hat, führten wir zu den Aufgaben von heute u.a. aus: “Wir betrachten es als unsere Aufgabe, all die suchenden Elemente, die sich nicht mehr mit den Antworten der Bourgeoisie zufriedengeben, mit den Antworten des Linkskommunismus vertraut zu machen. Wir sehen es als unsere erste Pflicht an, innerhalb des politischen Milieus den Prozess der politischen Klärung voranzutreiben. Wir wollen damit unseren Beitrag zum Aufbau einer künftigen kommunistischen Weltpartei leisten – eine Partei die, wie die russische Revolution gezeigt hat, lebensnotwendig ist”. Tatsächlich bildete das Berliner Treffen einen wichtigen Beitrag zu diesem Klärungsprozess. Während der Rätekommunismus glaubt, dass das proletarische Klassenbewusstsein sich beinahe ausschließlich in den unmittelbaren Arbeiterkämpfen entwickelt, und der Bordigismus einseitig die Partei als die Quelle des Bewusstseins betrachtet, hat der Marxismus schon immer auf das Phänomen der unterirdischen Bewusstseinsentwicklung hingewiesen. Diese Reifung der Klasse außerhalb der Phasen des offenen Kampfes findet einen ihrer wichtigsten Ausdrücke in der Bestrebung politisierter Minderheiten nach öffentlicher Debatte und politischer Klärung. Dieser Prozess der theoretischen Vertiefung und der politischen Bildung dient sowohl der Radikalisierung der künftigen Arbeiterkämpfe als auch der Vorbereitung der kommunistischen Weltpartei. Dieser Prozess kann nicht vonstatten gehen, wenn jeder in seiner Ecke für sich zu klären versucht, sondern erfordert die ehrliche, furchtlose, der Sache die-nende, öffentliche Konfrontation der Ideen unter den Kommunisten. Die Beteiligten beschlossen die Veröffentlichung der jeweiligen Einleitungsreferate, um die Debatte einem größeren Kreis zugänglich zu machen. Dass gerade in Deutschland – dem Land, wo die Weltrevolution am Ende des 1. Weltkrieges ihre entscheidende Niederlage erfuhr, und damit zum Dreh- und Angelpunkt der darauf folgenden sozialdemokratischen, stalinistischen und nationalsozialistischen Konterrevolution wurde – heute wieder solche öffentlichen, solidarisch geführten, theoretischen Diskussionen stattfinden, ist ein ermutigendes Signal für die Revolutionäre aller Länder. Der theoretisch-politischen Klärung soviel Aufmerksamkeit zu widmen, ist auch ein wichtiges Signal gegenüber dem weitverbreiteten perspektivlosen Aktionismus und ungeduldigen Tatendrang, der von den meisten Gruppen der extremen Linken gegenüber den auf der Suche befindlichen politisierten Leuten propagiert wird. Die IKS tritt entschieden für die Fortsetzung solcher Debatten zu den Schlüsselthemen des Klassenkampfes ein, damit das Potenzial der politischen Reifung unter Minderheiten der Klasse nicht vergeudet wird und für das Proletariat insgesamt verloren geht.

IKS

 

* GIS c/o Rotes Antiquariat, Rungestrasse 20, 10179 Berlin email: [email protected] [1]

* Aufbrechen c/o Rotes Antiquariat, Rungestrasse 20, 10179 Berlin [email protected] [2]

* Soziale Befreiung, postlagernd, 36433 Bad Salzungen Homepage www.geocities.com/sozialebefreiung [3]

* Revolution Times, postlagernd, 23501 Lübeck email revtimes@gmx,de

Für Internationale Arbeitermacht. LLL Verlag Postfach 1104, 979722 Lauda-Konigshofen

 

 

Krise, Krieg: Der Kapitalismus gefährdet das Überleben der Menschheit

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Kaum ein Dutzend Jahre nach dem letzten Golfkrieg wollen die USA einen neuen Golfkrieg auslösen. Zusammen mit Großbritannien und Australien mobilisiert die einzig verbleibende Supermacht der Erde ihr mörderisches Waffenarsenal. Wie schon 1991 sind die USA bereit, ein Land in Schutt und Asche zu legen, unzählige Tote hinzunehmen, um ihre Vormachtstellung zu verteidigen. Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, lautet:

Warum dieser Krieg?

Die ‚wiedererwachte‘ Friedensbewegung und mit ihr die bürgerlichen Medien halten einen Schuldigen und eine Erklärung parat: Bush Jr. sei ein Handlanger der Ölmultis, die es darauf abzielten, die Ölquellen des Iraks unter ihre Kontrolle zu bringen. Nicht nur könnten dadurch Russland und Frankreich deren Öfförderkonzessionen im Irak abgejagt werden, sondern die US-Ölmultis wären durch eine geplante Verdoppelung der irakischen Ölförderung nach einem Sturz Saddam Husseins in der Lage, den Ölpreis zu erhöhen und gigantische Extraprofite einzuheimsen. Einige meinen gar, so könnte die US-Wirtschaft wieder angekurbelt werden. Folglich die Schlussfolgerung und Losung: Da der Krieg um Öl geführt wird, der Präsident der Welt größten Macht mehr oder weniger als Handlanger der Ölmultis präsentiert wird, somit die Profitgier einiger weniger Konzerne die Erklärung für den Krieg und Zerstörung liefern, sollen wir gegen diese Ölmultis protestieren. Indem uns die Ölmultis als die Schuldigen aufgetischt werden, wird in Wahrheit davon abgelenkt, dass das gesamte kapitalistische System nur durch Krieg und Zerstörungen überleben kann. Es wird verschwiegen, dass seit dem Zusammenbruch des stalinistischen Ostblocks 1989 keine ‘Ära des Friedens und Wohlstands‘ angebrochen ist, wie ihn uns seinerzeit Bush Sr. verheißen hatte, sondern eine Zunahme der Kriege auf allen Kontinenten zu beobachten ist (Golfkrieg 1991, Balkankrieg, Tschetschenien, Indien-Pakistan, Israel-Palästina, Ruanda, Angola, Kongo usw.). Es wird darüber hinweggetäuscht, dass der Kapitalismus seit dem Ersten Weltkrieg nur durch einen Zyklus von Krieg-Wiederaufbau-Krise überlebt hat. Es wird vertuscht, dass seit 1989 mit dem Verschwinden der Blöcke nicht der Militarismus begraben wurde, sondern dass jetzt nicht mehr zwei Blöcke aufeinanderprallen, stattdessen kämpft jeder für sich. Kurzum: Es soll davon abgelenkt werden, dass der Kapitalismus ohne Krieg und Zerstörung nicht existieren kann.

Die USA treiben die Kriegsspirale voran

Wenn die USA nun schon den zweiten Golfkrieg vom Zaun brechen wollen, dann wirft das ein Licht auf den einzigen Ausweg, der ihnen als allein übrig gebliebene Supermacht offen bleibt – der Versuch, ihre Vorherrschaft unter Einsatz aller militärischen Mittel aufrechtzuerhalten. Nachdem seit 1989 für die ehemaligen Verbündeten der USA kein Grund mehr zur Aufrechterhaltung einer Blockdisziplin besteht, haben die USA damals schon die Gefahr erkannt, die für sie aus dieser Konstellation entsteht. Sie provozierten den Golfkrieg 1991, um den anderen Staaten vor Augen zu führen: Wer bereit ist, die US-Vormachtstellung infragezustellen, wird militärisch abgestraft. Aber diese Botschaft konnte nicht lange von Wirkung sein, denn nur wenige Monate später wurde die Teilung Jugoslawiens unter deutscher Federführung vorangetrieben, was wenig später zur Auslösung einer Reihe von Balkan-kriegen führte. Konnten die USA im ersten Golfkrieg noch 20 Staaten um sich scharen, stehen sie bislang abgesehen von England und Australien allein da. Damals konnten sie die UNO für sich gewinnen – heute richten sich Kofi Annan und ein bedeutender Teil der UNO-Waffeninspektoren klar gegen einen US-Schlag gegen den Irak. Gegenwärtig verfügen die USA nicht mal im Sicherheitsrat über eine sichere Mehrheit – denn China, Russland, Frankreich, Deutschland und andere Staaten opponieren gegen einen US-Krieg. Selbst Großbritannien, das sich immer noch aus eigenem imperialistischen Machterhaltungstrieb am klarsten auf die Seite der USA gestellt hat, warnt, dass die USA eventuell alleine dastehen würden, wenn sie die UNO umgingen. Kurzum – alle versuchen, den USA einen Knüppel zwischen die Beine zu schmeißen. Niemand will den USA das Recht einräumen, unkontrolliert zu schalten und zu walten. Die imperialistischen Appetite aller Staaten sind geweckt worden. Ein verdeckter, aber reeller Rüstungswettlauf hat weltweit eingesetzt, an dem sich alle Staaten beteiligen. Der Militarismus ist weltweit im Aufschwung. Er nährt sich nicht aus dieser oder jener Ölquelle, sondern er wuchert immer mehr wegen der Ausweglosigkeit dieses Systems. Den USA geht es bei ihrem Krieg gegen den Irak unter anderem darum, den Ölhahn kontrollieren zu können, den sie gegenüber anderen Staaten, die vom Öl aus dem Nahen Osten (und nicht nur dem Irak) abhängig sind, je nach Gutdünken auf- und zudrehen wollen können. Sie können durch den Aufmarsch in dieser Region in einem Gebiet noch fester Fuß fassen, wo sie nach dem Afghanistan-Krieg wichtige Stützpunkte errichten, die ihnen langfristig die Einkreisung Europas ermöglichen. Vor allem aber zielt ihre Strategie auch darauf ab, den Ambitionen des deutschen Imperialismus einen Riegel vorzuschieben, da Deutschland historisch in der Region schon vor einem Jahrhundert als Rivale der damals existierenden Weltmacht Großbritannien seine Ansprüche anmeldete. Wenn die USA seit geraumer Zeit ihren Miltärschlag - ob mit oder ohne UNO - angekündigt haben, dann wollen sie zwar ihre wilde Entschlossenheit demonstrieren, können aber damit nicht das Dilemma verdecken, in dem sie stecken. Wenn die USA heftig mit der militärischen Keule gegen den Irak drohen, dann aber militärisch nicht zuschlagen, weil die ganze Welt sich gegen sie stellt, laufen sie Gefahr, noch mehr an Ansehen zu verlieren. Die Entwicklung um Nordkorea zeigt dieses Dilemma der USA sehr deutlich: Nordkorea, das diese Zwickmühle der USA spürt und den Widerstand anderer Staaten gegen die USA auszuschlachten versucht, provoziert die USA nahezu täglich; es bekennt sich offen zu seinem Rüstungsprogramm, müsste also von den USA als ein Teil der ‚Achse des Bösen‘ abgestraft werden. Aber alle anderen Staaten, von Russland und China, über Japan und Südkorea hin zur “Weltgemeinschaft” sprechen sich gegen eine militärische Aktion gegen Nordkorea aus – und die USA müssen gar versichern, dass jetzt nicht sofort ein Krieg gegen Nordkorea auf der Tagesordnung stünde. Eine Desavouierung der USA! Während also zur Zeit des ersten Golfkrieges die anderen Staaten sich zunächst einreihten, um erst nach dem Krieg wieder auszuscheren, erleben wir heute eine Situation, wo je näher die Stunde der Wahrheit zu rücken scheint, desto größer die Bestrebungen der anderen Mächte werden, die Autorität der USA infragezustellen. Der öffentliche Wutausbruch der US-Regierung angesichts des deutsch-französischen Schulterschlusses gegen die Washingtoner Kriegspläne offenbart diese Infragestellung der Führungsrolle der USA eklatant. Falls die USA im Nahen Osten gegen den Irak zuschlagen, werden sich viele Staaten zwar unmittelbar “ducken” und den USA kurzfristig fügen, aber danach wird der Widerstand noch unverblümter und heftiger werden. Kurzum: Egal, was sie machen, die USA können nur Schritte unternehmen, die alles für sie noch viel schlimmer machen und die Dynamik des “Alle gegen die USA” und des „Jeder für sich“ noch fördern. Wenn die USA also bereit sind, einen gigantischen, nicht kontrollierbaren ökonomischen Preis für diesen Krieg zu zahlen, dann nicht, weil sie ökonomisch besonders gewitzt kalkuliert hätten oder etwa Ölmultis im Weißen Haus und im Pentagon das Sagen hätten, sondern weil die Widersprüche des Kapitalismus die ganze Welt in eine Spirale von Krieg und Zerstörung treiben, wo die Bedürfnisse der Verteidigung imperialistischer Machtpositionen eine Unterordnung aller anderer Kriterien verlangen (siehe dazu weitere Artikel in dieser Zeitung).

Welcher Kampf gegen den Krieg?

Die Parole “Kein Krieg für Öl” ist aber noch aus einem anderen Grund irreführend. Sie vertuscht, dass der Kapitalismus heute in einer ausweglosen Wirtschaftskrise steckt. Nicht nur werden ganze Teile der Erde wie Südamerika (Stichwort Argentinien, Brasilien) oder Kontinente wie Afrika durch die Krise erdrückt. Nein, die großen Zugpferde der Weltwirtschaft, USA, Japan, Deutschland und mit ihnen alle Wirtschaftsbranchen, stecken in einer unüberwindbaren Krise. Gleichzeitig nehmen der Raubbau an der Natur, die Umweltzerstörungnen unaufhaltsam zu. Der mörderische Konkurrenzkampf fordert immer mehr Opfer. Deshalb ist es nicht damit getan, bei diesem Krieg die Ölmultis an den Pranger zu stellen, sondern man muss erkennen, dass die Frage nach der Notwendigkeit der Überwindung dieses Systems immer deutlicher in den Vordergrund rückt. Die mörderische Logik dieses System kann aber nicht durch irgendwelche pazifistischen Aktionen und Happenings durchkreuzt werden, wie sie von der sogenannten Friedensbewegung propagiert werden, sondern es geht darum, das Übel an der Wurzel zu packen. Dazu ist aber nur der Kampf der Arbeiterklasse fähig. Das heißt, wir müssen uns gegen Aktionen stellen, die eine Ungeduld und Verzweiflung zum Ausdruck bringen und meinen, man könne den Krieg bekämpfen, ohne den Kapitalismus infragezustellen. Die Erfahrung der Arbeiter im 1. Weltkrieg bewies - die Kriegsgefahr kann nur gebannt werden, indem der Kapitalismus gestürzt wird.

(26.01.03)

 

 

Leserbrief: Der imperialistische Krieg: Eine Lösung für die Krise?

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Als Reaktion auf unsere Artikel in Weltrevolution Nr. 114/115 haben wir von einem Teilnehmer eines Diskussionszirkels in Frankfurt einen Leserbrief erhalten, der sich kritisch mit der Analyse der IKS wie auch mit den Positionen der Gruppen GIS und Aufbrechen hinsichtlich der Kriegsursachen auseinandersetzt. Wir drucken nachfolgend seinen Brief ab.

 

Leserbrief:

Die IKS schreibt über den aktuellen Krieg: "Nur in dem die USA wiederholt ihr militärische Überlegenheit zur Schau stellen und in der strategisch wichtigsten Region der Erde die Kontrolle ausüben, können die USA ihre Führungsrolle in der Welt verteidigen." Es geht um Verhinderung der z.B. historischen Ausdehnungstrategie Deutschlands.

Kritik der vorherrschenden Auffassungen:

1. Der Krieg wird vom Aspekt der Zirkulation aus betrachtet und nicht aus den kapitalistischen Produktions- und Klassenverhältnissen erklärt. Imperialismus wird abgleitet aus Marktverhältnissen, Konkurrenz, Preisen.

2. Darum wird aufs Öl (synthetisch nicht ersetzbar...) Ölpreise, Öllobbyisten, Spaltung innerhalb der US-Bourgeoisie, Ölindustrie- einen Teil der Kapitalistenklasse- usw. bezuggenommen.

3. Der Krieg und auch dieser Krieg wird abhängig gemacht vom Willen der Kriegstreiber (Öllobby, Bush-Administration)

4. Dieser Krieg wird mit der Rohstofffrage in Verbindung gesetzt nur im Falle des Golfkrieges, vielleicht auch beim Afghanistankrieg, aber nicht mit dem 1. und 2. Weltkrieg und besonders nicht im Falle Koreas, Vietnams, Jugoslawiens usw. - nicht wie wiederkehrende Ereignisse, sondern isoliert voneinander.

5. Nicht die wiederkehrende Krise des Kapitalismus, sein Drang zur Vernichtung des Kapitals und infolgedessen Wiederherstellung einer angemessenen Profitrate zur weiteren Akkumulation werden in Betracht gezogen.

6. Darum werden die Kriegsgegner unter den Linken, den Friedensbewegten gesucht, eine Masse ohne ein gemeinsames ökonomisches bzw. soziales Interesse. Nicht an die Arbeiterklasse, sondern an die Konsumenten wird appelliert, die kein teures Blut für billiges Öl zahlen sollen.

7. Die amerikanischen, japanischen und europäischen Arbeiter wurden aus Sorge um Ölknappheit dem ideologischen Kriegspropaganda der Bourgeoisie ausgeliefert und die wirklichen Hintergründe werden weiter im Dunkeln gelassen. Es geht wie gesagt nicht nur um Eroberung, wie im vorkapitalistischen Zeitalter, sondern mehr um die kapitalistische Lösung der Krise, und mit staatlich gewaltsamen Eingriffen auf Kosten der arbeitenden Menschen überall auf der Welt. In diesem Sinne ist "WAR" selbst ein "CLASS WAR", ein Klassenkampf der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse. Kapital kann ohne Krieg nicht auskommen. Dieser Drang kommt nicht von Außen, sondern von Innen. Eine Beendigung des Krieges bedeutet die Abschaffung des Kapitalismus.

 

Antwort der IKS

Wir begrüßen zunächst die Sorge des Genossen, angesichts der imperialistischen Konflikte von heute auf die Notwendigkeit eines tieferen theoretischen Verständnisses der Ursachen des Krieges zu bestehen. Wie der Genosse schreibt, werden die Arbeiter "mit der Sorge um Ölknappheit dem ideologischen Kriegsfeld der Bourgeoisie ausgeliefert und die wirklichen Hintergründe werden weiter im Dunkeln gelassen." Und wir stimmen dem Genossen zu, wenn er feststellt: "Dieser Drang zum Krieg kommt nicht von Außen, sondern aus dem Inneren des Kapitals selbst. Die Beendigung des Krieges ist gleichbedeutend mit dem Ende des Kapitalismus."

Die Funktion des modernen Krieges

Mit der Einschätzung der Funktion des Krieges im heutigen Kapitalismus, die er in seinem Brief entwickelt, stimmen wir keineswegs überein. Er sieht diese Funktion darin, eine "Überakkumulation zu beseitigen", der im 20. Jahrhundert durch "rein ökonomische Ereignisse" wie die Wirtschaftskrise allein nicht mehr beizukommen ist. "Die Vernichtung von Kapital durch Krieg und Krise war zum Beispiel das Geheimnis der Nachkriegskonjunktur", schreibt er. Er glaubt also, in diesem Mechanismus "die Ursachen und Wirkungen aller Kriege des 20. Jahrhunderts zusammenfassen" zu können. Zwar scheint die spektakuläre Wiederaufbaukonjunktur nach dem 2. Weltkrieg dem Genossen Recht zu geben. Doch wenn wir uns die "Wirkungen aller Kriege des 20. Jahrhunderts" vor Augen führen, werden wir feststellen, dass die "Wiederbelebung" der "Wirtschaftstätigkeit" durch den Krieg eher die große Ausnahme geblieben ist. Nach dem 1. Weltkrieg z.B. wurde in Europa bis 1929 gerade noch das Vorkriegssniveau an Wirtschaftstätigkeit wiedererlangt, bevor die Weltwirtschaft in eine katastrophale Depression abstürzte. Die verheerenden Kriege der Zeit nach 1945 in Afrika, dem Nahen Osten oder in Südasien haben nichts als Trümmerhaufen und Elend hinterlassen. Die Balkankriege der 90er Jahre haben weder auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens noch im umliegenden Europa eine Wiederaufbaukonjunktur ausgelöst. Und selbst der beinahe mythische Nachkriegsboom nach dem 2. Weltkrieg überzeugt nicht ganz. Denn wie der Genosse selbst schreibt: "Im Jahre 1949 befanden sich die USA bereits wieder in einer Depression."

Obwohl es stimmt, dass der Kapitalismus im 20. Jahrhundert in einen Zyklus von Krise, Krieg und Wiederaufbau eingetreten ist, bedeutet dies keineswegs, dass die Krise die Lösung der Krise mit sich bringt, wie der Genosse zu glauben scheint. Auch wenn die Kriegszerstörungen die Erneuerung von Produktionsanlagen, Behausungen und Infrastuktur dringend erforderlich machen, setzt ein flotter kapitalistischer Nachkriegsboom noch etwas Anderes voraus, nämlich eine zahlungskräftige Kundschaft. Dies konnte in den Industriestaaten nach 1945 entwickelt werden, nicht in erster Linie wegen des Korea-kriegs, wie der Genosse behauptet, sondern weil der kapitalistische Staat gelernt hatte, durch billige, international koordinierte, letztendlich von der Regierung selbst abgesicherte Kreditvergabe diese Nachfrage zu stimulieren. Da der Kapitalismus inzwischen diese staatskapitalistischen Mechanismen bis zum Exzess ausgeschöpft hat, ist mit einem derartig kräftigen Wiederaufbau heutzutage nirgends mehr zu rechnen.

Der Genosse schreibt außerdem, dass "die Zerstörung von Kapital in Verbindung mit einer Produktivitätssteigerung der Arbeit eine Profitrate ergeben, die das Kapital aus der Depression" führen kann. Leider hat der Genosse es unterlassen nachzuweisen, wie der moderne Krieg dies bewirken soll.

Marx hat im "Kapital" nachgewiesen, dass die ständige Zunahme der Arbeitsproduktivität, welche der Kapitalismus wie keine andere Produktionsweise vorantreibt, zu einer fallenden Profitrate führt, indem er den Anteil der lebendigen Arbeit, die Quelle des Mehrwerts, in der Produktion senkt. Hiervon ausgehend, behauptete Grossmann in den 20er Jahren (und nach ihm Paul Mattick, auf den der Beitrag aus Frankfurt sich bezieht), dass der Krieg durch die Zerstörung von konstantem Kapital eine höhere Profitrate erlaubt. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie der Beitag aus Frankfurt selbst zugibt. "Auf jeden Fall kommt das Kapital nach einem Krieg konzentrierter und zentralisierter hervor". Damit geht notwendigerweise eine höhere Arbeitsproduktivität einher und somit eine Verstärkung des tendenziellen Falls der Profitrate.

 

Die Ursachen des Krieges

Der Genosse kritisiert u.a. die Auffassung der IKS von Krise und Krieg, indem er schreibt: "Diese Interpretationen sind also nicht abgeleitet vom Produktionsprozess des Kapitals, sondern von Marktverhältnissen, vom Zirkulationsprozess, von der Konkurrenz usw. d.h. sie beruhen nicht auf den Produktions- und Klassenverhältnissen, sondern sie agieren sozusagen selbständig."

Wir wissen nicht, woher der Genosse diese Geringschätzung der "Marktverhältnisse", der "Zirkulation" und der "Konkurrenz" gegen-über dem "Produktionsprozess" hernimmt. Von Marx jedenfalls kann er das nicht gelernt haben. Denn Marx umreißt in seiner "Kritik der Politischen Ökonomie" den geschichtlichen Rahmen der Krisenentwicklung wie folgt: "Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um." Im Falle der bürgerlichen Gesellschaft offenbarte Engels das Wesen dieses Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Eigentumsverhältnissen, indem er im ‘Anti-Dührung’ schreibt, der Hauptwiderspruch des Kapitalismus liege im Gegensatz zwischen der Vergesellschaftung der Produktion und der privaten, anarchischen Aneignung ihrer Früchte. Und Marx leitet in seinem Hauptwerk ‘Das Kapital’ die Widersprüche des Kapitalismus nicht aus dem "Produktionsprozess", sondern aus der Analyse der Waren und der Warenproduktion ab. Tatsächlich ist die Möglichkeit der Krise mit der Warenproduktion selbst gegeben, die ja Produktion für die schwankenden Bedürfnisse einer unbekannten Anzahl von Konsumenten durch voneinander unabhängige, gegeneinander konkurrierende Produzenten bedeutet. Aber die entwickelten Krisen der Warenproduktion gibt es erst im Kapitalismus, der die Produktion für den Selbstverbrauch fortschreitend auflöst und dadurch die gesamte Gesellschaft immer mehr vom ungehinderten Verkauf abhängig macht. Somit wird die Krise selbst lebensnotwendig - die Unverkäuflichkeit der Waren zu ihren Produktionspreisen ist das regelnde Element. Die kapitalistische Konkurrenz unter den Bedingungen der Vergesellschaftung und Verwissenschaftlichung der Arbeit bewirkt eine stete Tendenz zur Ausweitung der Produktion, unabhängig von der Aufnahmefähigkeit des Marktes. Da die bürgerliche Gesellschaft die Mehrheit der Produzenten zu Lohnarbeitern macht, und den Wert der Ware Arbeit immer mehr herabgedrückt wird, ist diese Aufnahmefähigkeit des kapitalistischen Marktes historisch beschränkt - auch wenn diese Schranken nicht starr, sondern elastisch sind. Die Erklärung für den Zyklus von Krise, Krieg und Wiederaufbau im 20. Jahrhundert liegt darin, dass die Überproduktion chronisch wird. Dadurch bedeuten die Krisen nicht mehr allein eine notwendige Regelung der Produktion, sondern bringen den wachsenden Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den vorhandenen Produktions- bzw. Eigentumsverhältnissen zum Ausdruck. Der moderne imperialistische Krieg ist somit Ausdruck der Konkurrenz unter den Bedingungen der Dekadenz des Kapitalismus. Er ist nicht die Lösung der Krise, sondern das gewaltsame, zerstörerische Ergebnis, sozusagen die Explosion dieser Krise.

Zwar behauptet der Genosse aus Frankfurt, dass er mit seiner Analyse die "offensichtlichen Kriegsziele" sowie die "interimperialistischen Konflikte" nicht verneinen will. Doch wenn der Krieg nicht Ausdruck der Krise und der Konkurrenz, sondern der heilsame Ausweg aus der Krise darstellen soll, dann liegt das Wesen dieser Kriege nicht mehr in der anarchischen Explosion der Konkurrenz. Dann weiß man auch nicht mehr, weshalb die Kapitalisten nicht auch noch drauf kommen sollten, dass sie unter sich vereinbaren, nur zum Schein Krieg zu führen, um eine abgesprochene Menge an "Überakkumulation" abzubauen. Tatsächlich praktizieren die bürgerlichen Regierungen schon seit Jahrzehnten solche Absprachen, und zwar ohne Krieg, indem sie auf internationaler Ebene vertraglich festzulegen versuchen, wieviel landwirtschaftliche Fläche oder wieviel Kohle- und Stahlproduktion hier und dort stillgelegt werden muss. Doch auch diese kontrollierte Venichtung von Kapital kann an dem Grundübel der chronischen Überproduktion nichts ändern.

Wir sind davon überzeugt, dass die Sichtweise des Genossen zu einer groben Unterschätzung der imperialistischen Konkurrenz und der Barbarei führen muss. Auch der von ihm verwendete Begriff des modernen Krieges als ein "Klassenkampf der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse" (ein bekanntes Schlagwort der Operaisten) ist ein Beleg für diese Unterschätzung. Wäre es im Verlauf des "Kalten Krieges" zu einen 3.Weltkrieg gekommen, wäre das Ergebnis jedenfalls nicht die "Wiederbelebung" der "Wirtschaftstätigkeit", sondern vielmehr die Venichtung der Menschheit gewesen. IKS

 

Bei der IKS geht es nicht um "gegensätzliche Interessen. Und zwar darum, wer die Hand auf dem Ölhahn hat. [weil] ein niedriger Rohölpreis die Profitrate hoch" hält und nicht um "die langfristige und direkte Sicherung der mit Abstand zweitgrößten Erdölreserven der Welt" (GIS und Aufbrechen-Flugblatt), sondern um "die Kontrolle über die Ölfelder [...], weil dadurch die USA die Staaten Europas mit dieser strategisch wichtigen Energiequelle erpressen können" (Weltrevolution 114 S.1 u. 3)

Meiner Meinung nach betrachten beide Auffassungen "Verteidigung der Führungsrolle der USA in der Welt" und "niedriger Rohölpreis und Sicherung der Erdölreserven" den Imperialismus nicht im Sinne von Marx, d.h. abgeleitet von dem Produktionsprozess des Kapitals, sondern auf Marktebene, dem Zirkulationsprozess, der Konkurrenz usw., der nicht auf Produktions- und Klassenverhältnissen beruht, sondern selbständig agiert. [s. Imperialismustheorie von Lenin und Luxemburg] Der Marxsche Standpunkt ist: Weil die Höhe der durchschnittlichen Profitrate von der jeweiligen organischen Zusammensetzung des Kapitals abhängt, kann die Zerstörung von Kapital in Verbindung mit einer Produktivitätssteigerung der Arbeit eine Profitrate ergeben, die das Kapital aus der Depression führt. Marx erklärt die Krise aus dem tendenziellen Fall der Profitrate. Wenn aber es im 19. Jahrhundert leicht möglich war, mit Hilfe einer Krise "rein ökonomische" Ereignisse wie eine Überakkumulation zu beseitigen, schien um die Jahrhundertwende der Konjunkturzyklus als Instrument unbrauchbar geworden zu sein oder vielmehr verwandelte er sich in einen "Zyklus" von Kriegen. Außer der Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit kommt auf jeden Fall das Kapital nach dem Krieg konzentrierter und zentralisierter hervor; und dies sowohl trotz als auch WEGEN Kapitaldestruktion. [Zusammenfassung aller Kriege des 20. Jahrhundert] Die Vernichtung von Kapital durch Krieg und Krise war das Geheimnis der Nachkriegskonjunktur. Und wo die Krise allein nicht ausreichte, wurde mit gewaltsamen Eingriffen die Zerstörung des Kapitals vorangetrieben. 1949 befanden sich die USA wieder in der Depression, und mit dem Koreakrieg wuchs wieder die Wirtschaftstätigkeit nicht nur in den USA, sondern in der ganzen westlichen Welt.

Nur die Arbeiterklasse kann gegen den Krieg kämpfen

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Der Kapitalismus selbst birgt den Krieg in sich. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts, als dieses System in den Zeitraum seiner Dekadenz, seines historischen Niedergangs eintrat, hat es die Gesellschaft in eine immer schlimmer werdende Barbarei gestürzt: 20 Mio. Tote im 1. Weltkrieg (mit nochmal ca. 18 Mio. Toten, die in einer Grippewelle im Winter 1918/1919 infolge Erschöpfung und Auszehrung in Europa dahingerafft wurden), 50 Mio. Tote im 2. Weltkrieg. Und seit 1945 sind praktisch nochmal soviele Menschen umgekommen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert hat es keinen Tag Frieden auf der Welt gegeben. Deshalb bemüht sich die bürgerliche Propaganda so fleißig, die Kriege auf die Verrücktheit des einen oder anderen Politikers zurückzuführen, sie ‚demokratiefeindlichen Regimen’ oder gar den ‚grundlegendsten Instinkten’ oder dem ‚Neid’ des Menschen zuzuschreiben. Keine Lüge bleibt uns erspart, um ein System weißzuwaschen, dessen Fortbestand das Überleben der Menschheit selber gefährdet. Für die Herrschenden ist es eine entscheidende Frage: sie müssen mit allen Mitteln versuchen zu verhindern, daß die einzige Kraft, die sich dem Krieg entgegenstellen kann, die Arbeiterklasse, sich ihrer Verantwortung bewußt wird, und erkennt, was in ihren Kämpfen auf dem Spiel steht.

Die Arbeiterklasse und der Krieg

Seit dem Anfang der Arbeiterbewegung ist der Krieg schon immer eine zentrale Frage für die Arbeiterklasse gewesen. Als der Kapitalismus im 19. Jahrhundert noch ein sich ausdehnendes System war, und seine Entfaltung einen Fortschritt für die ganze Menschheit darstellte, konnten Kriege unter gewissen Bedingungen eine Stufe dieses Fortschritts darstellen (insbesondere, wenn sie die Bildung neuer Nationen ermöglichten, innerhalb deren sich die kapitalistische Wirtschaft voll entfalten konnte). Unter diesen Bedingungen unterstützten die Arbeiter bestimmte nationale Kriege. Dagegen hatte sich die Lage zu Anfang des 20. Jahrhunderts vollständig geändert. Nachdem der Kapitalismus einen Weltmarkt hergestellt hatte, hörte er auf, eine fortschrittliche Rolle bei der Entwicklung der Menschheit zu spielen, und er wurde nunmehr zu einem Hindernis für jeden weiteren Fortschritt. Die Kriege erfüllten damit keine den Fortschritt vorantreibende Funktion mehr. Egal welche Form er auch annahm (ob als ein begrenzter Konflikt zwischen wenigen Nationen oder als weit ausgedehnter Krieg, gar Weltkrieg), der Krieg ermöglichte keine Ausdehnung des Weltmarktes mehr und diente nur dazu, den Markt zwischen den großen kapitalistischen Mächten neu aufzuteilen. Deshalb hat die Arbeiterklasse nicht das geringste Interesse an der Unterstützung irgendeines Krieges, selbst wenn diese Kriege als “nationale Befreiungskämpfe” oder als “kolonialer Befreiungskampf” dargestellt wurden. Seitdem stellt jeder neue Krieg einen Schritt tiefer in noch mehr Barbarei dar. Es handelt sich um einen Prozeß, der nur mit der Zerstörung der Menschheit seinen Abschluß finden kann. So ist der imperialistische Krieg ein unleugbares Indiz dafür, daß dar Kapitalismus zerstört und durch eine vollkommen andersartige Gesellschaft ersetzt werden muß. In solch einer Situation besteht die einzige Position, die den Interessen der Arbeiter entspricht, darin, den Kampf auf eigenem ‚Boden’ gegen den Kapitalismus fortzusetzen mit dem Ziel, ihn umzustürzen. Jede Beteiligung am Krieg muß verworfen werden, egal welche Vorwände eingebracht werden, um zu einer Kriegsbeteiligung aufzufordern (Verteidigung des “Vaterlandes”, “der Zivilisation”, “der Demokratie”, gegen den “Faschismus”, den “Totalitarismus” usw.) Gerade diese Position wurde von den Revolutionären schon vor dem 1. Weltkrieg (sie wurde von den Kongressen der Internationale der Arbeiter 1907 und 1912 verabschiedet) vertreten. In Rußland sollte diese Position 1917 konkretisiert werden. In diesem Land trat die Arbeiterklasse im Februar 1917 massiv gegen den Krieg und damit auch gegen die Regierung auf. Innerhalb weniger Tage wurde das Regime des Zars gestürzt. Weil die provisorische bürgerliche Regierung (die an die Stelle des Zars getreten war) sich weigerte, den Krieg zu Ende zu bringen, wurde diese wiederum im Oktober desselben Jahres abgesetzt, und die Arbeiter mittels der Arbeiterräte die Macht ergriffen. Es war das erste Mal, daß die Arbeiterklasse - angeführt durch ihre revolutionäre Partei - diesen Kernpunkt ihres historischen Programms verwirklichte; die Zerstörung des kapitalistischen Staats und die Errichtung der Diktatur des Proletariats im Hinblick auf die Umwandlung der ganzen Gesellschaft. Dabei riefen die Arbeiter in Rußland ihre Klassenbrüder in den anderen Ländern dazu auf, auch in den revolutionären Kampf einzutreten und ebenfalls den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg gegen die herrschende Klasse umzuwandeln. Dieser Aufruf wurde von den Arbeitern in Deutschland, die zahlenmäßig am stärksten waren und über die größte Erfahrung verfügten, Ende 1918 aufgegriffen. Sie führten auch einen entschlossenen Kampf gegen den Kapitalismus (insbesondere die Arbeiter in Uniform). Aber um nicht beiseite gefegt zu werden, wie es mit der russischen Bourgeoisie geschehen war, entschloß sich die deutsche Bourgeoisie zu einem schnellen Abbruch des Kriegs; zwei Tage nach dem Aufstand der Matrosen in Kiel gegen die Militärbehörden (und danach breitete sich dieser Aufstand in Windeseile übers ganz Land aus) unterzeichnete die deutsche Regierung einen Waffenstillstand mit der französischen Regierung. Danach wurde die revolutionäre Bewegung in Deutschland allerdings besiegt - und später auch in Rußland. Aber in diesen beiden Ländern hatten die Arbeiter bewiesen, daß nur sie dazu in der Lage waren, den Weltkrieg zu Ende zu bringen. Und während der 20er Jahre hatte der Kapitalismus in Anbetracht der Gefahr eines Wiederaufflammens von revolutionären Kämpfen seine militaristische Politik und insbesondere seine Wiederaufrüstung stark einschränken müssen. Und als die Weltwirtschaftskrise von 1929 wiederum für das Kapital nur den einen Weg - einen neuen Weltkrieg - öffnete, konnte die Bourgeoisie diesen neuen imperialistischen Weltkrieg nur auslösen, nachdem sie zuvor systematisch jeden Widerstand der Arbeiterklasse niedergemacht hatte, indem sie wie in Deutschland terrorisiert wurde, oder wie in Frankreich hinter den antifaschistischen Mystifizierungen mobilisiert wurde. Dies war ein weiterer Beweis dafür, daß der Krieg nur möglich ist, wenn der Widerstand der Arbeiterklasse entweder ausgeschaltet ist oder die Arbeiter von ihrem Klassenterrain abgedrängt werden. Und dieser Beweis wurde erneut während der 70er und 80er Jahre geliefert, als die Gegensätze zwischen den beiden imperialistischen Blöcken, die sich bis Ende der 80er Jahre die Welt aufteilten, unter dem Druck der Krise sehr stark waren und sich weiter zuspitzten, aber nicht in einen 3. Weltkrieg mündeten. Die objektiven Bedingungen für solch einen Krieg aber waren vorhanden - sowohl aufgrund der Schärfe der Krise als auch aufgrund des Ausmaßes der Hochrüstung und der vorhandenen militärischen Blöcke. Aber das historische Wiedererstarken der Arbeiterkämpfe von 1968 an hatte verdeutlicht, daß die neuen Arbeitergenerationen der großen kapitalistischen Industriezentren im Gegensatz zu ihren Klassenbrüdern in den 30er Jahren nicht bereit waren, in einem neuen 3. Weltkrieg ihr Leben zu opfern.

Heute wie damals kann nur die Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg kämpfen

Während der letzten beiden Jahrzehnte hat die herrschende Klasse ständig versucht, diese Fähigkeit der Arbeiterklasse, sich einem neuen Weltkrieg entgegenzustellen, zu übertünchen (1). Und man kann verstehen, warum das so war! Für die herrschende Klasse kommt es darauf an, in den Reihen der Arbeiter ein Gefühl der Machtlosigkeit aufrechtzuhalten, ihnen die Idee einzubleuen, daß es für sie keine andere Alternative gebe als widerstandslos das hinzunehmen, was der Kapitalismus ihnen aufzwingt: eine immer schlimmere Ausbeutung, die Arbeitslosigkeit, die Misere, den Krieg. Die Arbeiterklasse soll daran gehindert werden, sich bewußt zu werden, daß sie in der Gesellschaft einen Einfluß ausüben kann, indem sie den Kapitalismus daran hindert, immer mörderische militärische Konflikte auszulösen, und vor allem, daß sie Trägerin einer neuen Gesellschaft ist. Denn es waren die gleichen Gründe, die es der Arbeiterklasse erlaubt haben, bis jetzt einen 3. Weltkrieg zu verhindern, die dafür grundlegend ist, daß sie die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen kann, in der es keine Kriege, keine Misere und keine Ausbeutung gibt. Weil die Arbeiterklasse die einzige Klasse ist, deren Interessen sowohl unmittelbar als auch in der Zukunft vollständig denen der herrschenden Kapitalistenklasse entgegengesetzt sind, kann auch nur sie als Klasse dieser typischen Erscheinung des dekadenten Kapitalismus - dem imperialistischen Krieg - entgegentreten und dieses System aus der Welt schaffen. Dies wurde von den Revolutionen 1917 in Rußland und 1918-23 in Deutschland bewiesen. Deshalb werden die vergangenen Kämpfe der Arbeiter systematisch durch die Schreiberlinge der Herrschenden verschleiert oder entstellt; die Arbeiter von heute sollen nicht zur Kenntnis nehmen, daß sie einer Klasse angehören, die nicht nur dazu in der Lage war, den Weltkrieg zu Ende zu bringen, sondern auch das kapitalistische System in seinen Grundfesten zu erschüttern. Heute werden überall die Lügen verbreitet, daß die Revolutionen von damals, wie die von 1917, endgültig der Vergangenheit angehören, daß die “Arbeiterklasse in einer Krise stecke”, oder daß sie gar verschwunden sei. Und dabei verweisen sie auf die Krisen, in denen die angeblichen Arbeiterorganisationen wie die Gewerkschaften stecken - als ob nicht gerade deren Krise den historischen und unwiderruflichen Verschleiß der Strukturen des kapitalistischen Staates aufzeigten, welche die Arbeiterklasse kontrollieren und ihre Kämpfe im Zaum halten sollen! Tatsächlich ist keiner der Gründe, die die Arbeiter dazu getrieben haben, im und am Ende des 1. Weltkriegs einen Sturmlauf gegen den Kapitalismus anzutreten, verschwunden. Die Arbeiterklasse ist deshalb die revolutionäre Klasse, weil sie als einzige aufgrund ihrer Stellung in der Produktion in der Lage ist, durch die Übernahme der Führung der Gesellschaft den tödlichen Widersprüchen des Kapitalismus ein Ende zu setzen. Niemand anders als sie kann diese für den Kapitalismus typischen Zerstörung, diesen Zerfall aus der Welt schaffen als die Arbeiter. Weil dieses System auf der Ausbeutung der Lohnarbeit fußt und nicht auf der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, ist es in eine unlösbare Wirtschaftskrise versunken, die für die ganze gegenwärtige Barbarei verantwortlich ist. Aber gerade die Ausbeutung der Lohnarbeit und der kapitalistische Profit befinden sich im Mittelpunkt des Kampfes der Arbeiter als Ausgebeutete - und deshalb ihr Interesse an der Abschaffung derselben. Da die Arbeiterklasse die revolutionäre Klasse ist, sind auch ihre unmittelbaren und historischen Interessen ein Teil eines Ganzen, das sich mit den Interessen der gesamten Menschheit deckt. Und dies bleibt heute weiterhin so gültig wie vor 80 Jahren. So wird der grundsätzliche Widerspruch zwischen den Interessen der Arbeiterklasse und denen der Bourgeoisie keineswegs - wie es viele Soziologen behaupten - abgeschwächt. Im Gegenteil: die brutale Zuspitzung der Wirtschaftskrise, das Versinken der Welt in immer zahlreicheren und immer mehr permanenten militärischen Konflikten wird diese Interessensgegensätze nur noch auf die Spitze treiben. Und dies umso mehr, da aufgrund der Krisenauswirkungen bei den Handwerkern und den kleinen Bauern die Arbeiter heute mehr als je zuvor die Hauptproduzenten des gesellschaftlichen Reichtums sind. Auch war die Arbeiterklasse noch nie so stark in gewaltigen Produktionseinheiten zusammengefaßt, noch nie hat sie so assoziiert gearbeitet - und dies sind gerade zwei Faktoren ihrer Stärke. Und aufgrund der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit aller nationalen Bereiche der kapitalistischen Wirtschaft waren die verschiedenen Teile des Weltproletariats und insbesondere die Teile der großen Industriezentren noch nie so gleichzeitig von den Auswirkungen der kapitalistischen Krise betroffen. Dadurch wird das gleichzeitige Zurückschlagen der Arbeiter wie die Entwicklung der objektiven Bedingungen für den proletarischen Internationalismus überhaupt begünstigt. Und gerade dieser proletarische Internationalismus muß zunehmend als wesentliche Grundlage der Arbeiterklasse bei dem Kampf der Arbeiter gegen die militärischen Zusammenstöße in den Vordergrund rücken. Heute sind der Umsturz des Kapitalismus und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft mehr denn je zu einer Lebensnotwendigkeit geworden. Die zunehmende kriegerischen Barbarei und das gleichzeitige Versinken der Gesellschaft im allgemeinen Zerfall beweisen, daß der Kapitalismus die Menschheit in den Abgrund führt. Die Kämpfe der Arbeiter in den zentralen Ländern gegen die wirtschaftlichen Angriffe können unmittelbar den Grad der Beteiligung dieser Industrieländer an der kriegerischen Barbarei begrenzen. Genauso wie in der Vergangenheit der Kampf gegen den Krieg untrennbar verbunden war mit dem Kampf für den Umsturz des Kapitalismus, muß die Arbeiterklasse heute in Anbetracht der immer brutaleren Auswirkungen der kapitalistischen Barbarei verstehen, daß ihre gegenwärtigen Kämpfe ein Teil der Perspektive der Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung sind. Es ist die Aufgabe der revolutionären Organisationen, sich mit ganzen Kräften an diesen Kämpfen zu beteiligen, um diese Perspektive entschlossen und deutlich vorwärtszudrängen.

(aus Révolution Internationale, Zeitung der IKS in Frankreich).

 

Weltrevolution Nr. 117

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April 1917: Die grundlegende Rolle Lenins bei der Vorbereitung der Oktoberrevolution

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 Am 4. April kehrte Lenin aus seinem Exil in der Schweiz kommend nach Petrograd zurück und wandte sich direkt an die Hunderte von Arbeitern und Soldaten, die zum Bahnhof geströmt waren, um ihn zu empfangen: ‘Liebe Genossen, Soldaten, Matrosen und Arbeiter, ich bin glücklich, in euch die siegreiche russische Revolution begrüßen zu können, euch als Vorhut der weltweiten proletarischen Armee zu begrüßen.... Die von euch vollzogene Revolution hat eine neue Epoche eingeleitet. Es lebe die sozialistische Weltrevolution!. 80 Jahre später bemühen sich die Bourgeoisie, ihre in ihrem Dienst stehenden Historiker und Medien, die schlimmsten Lügen und Geschichtsverfälschungen über die in Rußland begonnene proletarische Weltrevolution zu verbreiten.

Der Haß und die Verachtung der herrschenden Klasse gegen diese gewaltige Bewegung der ausgebeuteten Massen zielt darauf ab, das kommunistische Projekt der Arbeiterklasse als lächerlich und unrealisierbar darzustellen und zu behaupten, die Arbeiterklasse sei grundsätzlich nicht dazu in der Lage, eine neue weltweite Gesellschaftsordnung zu errichten, deren einzige Träger sie aber nur sein kann. Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 hat diesen Haß der Herrschenden noch vergrößert. Seitdem wurde eine gewaltige Kampagne entfacht, um in alle Welt hinauszuposaunen, daß der Kommunismus gescheitert sei, weil der Stalinismus zusammengebrochen ist, und damit habe auch die Idee des Marxismus Schiffbruch erlitten, der Klassenkampf gehöre in die Mottenkiste der Geschichte und natürlich auch die Idee der Revolution selber, die ja nur immer nur zu neuem Terror und zu neuen Gulags führen könne. In den Mittelpunkt dieser stinkenden Propaganda wird die politische Organisation, die Verkörperung der gewaltigen Aufstandsbewegung von 1917, die bolschewistische Partei gerückt, auf die sich ständig die Verteidiger der Bourgeoisie einschießen. All diesen Anhängern der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, wozu auch die Anarchisten gehören, unabhängig von ihren jeweiligen abweichenden Meinungen, geht es darum aufzuzeigen, daß Lenin und die Bolschewiki eine Bande machthungriger Fanatiker waren, die alles unternahmen, um die demokratischen Errungenschaften der Februarrevolution (siehe Weltrevolution Nr. 81) kaputtzuschlagen und Rußland und die Welt einer der schrecklichsten Erfahrungen auszusetzen, die die Geschichte je erlebt hat.

Gegenüber all diesen unglaublichen Verleumdungen des Bolschewismus ist es die Aufgabe der Revolutionäre, die Wahrheit herzustellen und hinsichtlich der Bolschewistischen Partei eine Kernaussage in den Mittelpunkt zu stellen:

Diese Partei war nicht das Ergebnis der Barbarei und der Rückständigkeit Rußlands, oder eines Machthungers ihrer Führer. Der Bolschewismus war an erster Stelle das Ergebnis des Weltproletariats, das mit der marxistischen Tradition verbunden war; er war die Vorhut einer internationalen Bewegung für die Abschaffung jeder Ausbeutung und Unterdrückung. Die Positionen Lenins, die er nach seiner Rückkehr nach Rußland 1917 verfaßte und die unter dem Namen ‘Aprilthesen’ bekannt geworden sind, stellen einen ausgezeichneten Ausgangspunkt dar, um als die Unwahrheiten über die Bolschewistische Partei, ihr Wesen, ihre Rolle und ihre Verbindungen mit den proletarischen Massen zu widerlegen.


Die Kampfbedingungen bei der Rückkehr Lenins nach Rußland im April 1917

In einem früheren Artikel haben wir daran erinnert, daß die Arbeiterklasse in Rußland mit den Kämpfen im Februar 1917 den Weg zur kommunistischen Weltrevolution eröffnet hatte, indem sie den Zar stürzte, sich in Arbeiterräten (Sowjets) organisierte und sich immer mehr radikalisierte. Aus der Erhebung im Februar war eine Lage der Doppelmacht hervorgegangen. Die offizielle Macht war die bürgerliche ‘provisorische Regierung’, die anfänglich von den ‘Liberalen’ angeführt wurde, die aber später eine ‘sozialistische’ Färbung unter Führung Kerenskis annahm. Andererseits lag die wirkliche Macht schon in vielen Bereichen in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräten. Ohne Erlaubnis der Sowjets konnte die Regierung kaum Hoffnung haben, daß ihre Anordnungen an die Arbeiter und Soldaten durchgeführt wurden. Aber die Arbeiterklasse hatte noch nicht die notwendige politische Reife erreicht, um die ganze Macht zu ergreifen. Trotz ihrer Aktionen und ihrer immer radikaleren Haltung, wurde die Mehrheit der Arbeiter und damit auch die Bauernmassen noch von den Illusionen über das Wesen der Bourgeoisie zurückgehalten, genauer, von der Idee, daß nur eine bürgerlich demokratische Revolution in Rußland auf der Tagesordnung stand. Die Vorherrschaft dieser Ideen in den Massen spiegelte sich wieder in der Vorherrschaft der Menschewiki und Sozialrevolutionäre in den Sowjets, die alles mögliche unternahmen, damit sie gegenüber dem neu errichteten bürgerlichen Regime hilflos waren. Diese Parteien, welche ins Lager der Bourgeoisie dabei waren überzuwechseln oder es schon getan hatten, versuchten mit allen Mitteln, die aufsteigende revolutionäre Bewegung der provisorischen Regierung zu unterwerfen, insbesondere hinsichtlich der Fortsetzung des imperialistischen Krieges. In dieser Situation, die voll von Gefahren und Verheißungen war, herrschte bei den Bolschewiki selbst, die die internationalistische Opposition gegen den Krieg angeführt hatten, eine nahezu vollständige Verwirrung, eine politische Orientierungslosigkeit. ‘Im Manifest des Zentralkomitees der Bolschewiki, das sofort nach dem siegreichen Aufstand verfaßt worden war, sagte man, daß ‘die Fabrikarbeiter und die aufständischen Truppen sofort ihre Vertreter für die revolutionäre provisorische Regierung wählen müssen“. Sie handelten nicht als Repräsentanten einer proletarischen Partei, die sich darauf vorbereitet, selbst den Kampf um den Macht eigenständig vorzubereiten, sondern um den linken Flügel der Demokratie...’ (Trotzki, Geschichte der russischen Revolution’). Schlimmer noch: als Stalin und Kamenew im März die Führung der Partei übernahmen, bezogen sie eine noch weiter nach rechts abweichende Haltung ein. Das offizielle Organ der Partei, die Prawda, bezog offen eine ‘Verteidigungsposition’ gegenüber dem Krieg. ‘Wir übernehmen nicht die haltlose Parole ‘Nieder mit dem Krieg’... Jeder bleibt auf seinem Kampfposten’. Die offene Aufgabe der Position Lenins zur Umwandlung des imperialistischen Kriegs in einen Bürgerkrieg rief Widerstand und gar die Wut in der Partei und unter den Arbeiterräten von Petrograd hervor, die das Herz des Proletariats waren. Aber diese radikalsten Elemente vermochten keine programmatische Alternative gegen diese Rechtswende anzubieten. Die Partei geriet also unter dem Einfluß des Nebels der demokratischen Euphorie, die nach der Februarrevolte entstanden war, in den Sog eines Kompromisses und des Verrates.

Lenins Aufgabe sollte es sein, sobald er aus dem Exil zurückgekehrt war, die Partei politisch ‘umzubewaffnen’ und die entscheidende Bedeutung der revolutionären Führung durch seine Aprilthesen hervorzuheben, die ‘wie eine Bome’ in der Partei einschlug. Das alte Programm der Partei war mittlerweile überholt; gegenüber den spontanen Aktionen der Massen hinkte es hinterher. Die Losung, ‘revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft’ die von den ‘alten Bolschewiki’ unterstützt wurde, war zu einer veralteten Formel geworden, die wie Lenin es ausdrückte, ‘ist schon Wirklichkeit geworden’.

‘Die Eigenart der gegenwärtigen Lage in Rußland besteht im Übergang von der ersten Etappe der Revolution, die infolge des ungenügend entwickelten Klassenbewußtseins und der ungenügenden Organisiertheit des Proletariats der Bourgeoisie die Macht gab, zur zweiten Etappe der Revolution, die die Macht in die Hände des Proletariats und der ärmsten Schichten der Bauernschaft legen muß’ (Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution’, 2.These, Bd. 24, S. 4).

Lenin war einer der ersten, dere die revolutionäre Bedeutung der Sowjets als eine Organ der politischen proletarischen Macht verstand. Ein weiteres Mal erteilte Lenin eine Lehre in marxistischer Methode, indem er bewies, daß der Marxismus alles anderes als ein totes Dogma war, sondern seinem innersten Wesen nach eine lebendige wissenschaftliche Theorie, die im Labor der gesellschaftlichen Bewegung ständig überprüft werden muß.

Gegenüber der Position der Menschewiki, derzufolge das rückständige Rußland für den Sozialismus noch nicht reif war, argumentierte Lenin wie ein wahrer Internationalist, daß die unmittelbare Aufgabe nicht die Einführung des Sozialismus in Rußland war (8. These). Während Rußland selber für den Sozialismus noch nicht reif war, hatte der imperialistische Krieg aufgezeigt, daß der Weltkapitalismus als ganzer wirklich mehr als reif dafür war.

Für Lenin wie auch die anderen echten damaligen Internationalisten war die Weltrevolution nicht nur ein frommer Wunsch, sondern eine konkrete Perspektive, die sich ausgehend von der internationalen proletarischen Revolte gegen den Krieg entwickelte - die Streiks in Großbritannien und Deutschland, die politischen Demonstrationen, die Meutereien und Verbrüderungen der Truppen in verschiedenen Ländern, und natürlich die sic erhebende revolutionäre Flutwelle in Rußland selber brachten dies an den Tag. Deshalb auch der Aufruf zur Schaffung einer neuen Internationale im Schlußteil der Thesen. Diese Perspektive wurde nach dem Oktoberaufstand vollkommen durch die Ausdehnung der revolutionären Bewegung auf Italien, Ungarn, Österreich und vor allem Deutschland bestätigt.


Die politische Umbewaffnung der Bolschewistischen Partei

Diese neue Definition der Aufgaben des Proletariats beinhalteten auch eine neue Auffassung von der Rolle und der Funktionsweise der Partei. Auch hier erhoben sich zunächst die ‘alten Bolschewiki’ wie Kamenew gegen die Auffassungen Lenins, seiner Idee der Machtübernahme durch die Sowjets einerseits und andererseits durch die Betonung der Selbständigkeit der Arbeiterklasse gegen die bürgerliche Regierung und den imperialistischen Krieg, selbst wenn dies hieß, eine Zeitlang in der Minderheit zu bleiben und nicht, wie es Kamenew wollte, ‘bis zum Ende die Partei der revolutionären Massen des Proletariats zu bleiben’. Kamenew stellte die ‘Massenpartei’ der Auffassung Lenins von einer entschlossenen Partei gegenüber, die ein klares Programm hat, vereint, zentralisiert, eine Minderheit darstellt, aber den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Lockrufen und den Illusionen innerhalb der Arbeiterklasse widersteht. Diese Auffassung von der Partei hat nichts mit der Auffassung einer blanquistischen, terroristischen Sekte zu tun, wie Lenin vorgeworfen wurde, oder daß sie gar anarchistisch sei, weil sie sich der Spontaneität der Massen unterwerfe. Im Gegenteil: sie stützte sich auf die Erkenntnis, daß in einem Zeitraum massiver revolutionärer Erschütterungen, der Entwicklung des Bewußtseins in der Klasse, die Partei die Massen weder organisieren noch planen könnte, wie das die Geheimbünde des 19. Jahrhunderts noch machen konnten. Aber dies ließ die Bedeutung der Rolle der Partei noch mehr wachsen. Lenin schloß sich damit der Auffassung Rosa Luxemburgs an, die sie in ihrer meisterhaften Analyse des Massenstreiks im Zeitraum der Dekadenz entwickelt hatte: ‘Verlassen wir nämlich das pedantische Schema eines künstlich von Partei und Gewerkschaft wegen kommandierten demonstrativen Massenstreiks der organisierten Minderheit und wenden wir uns dem lebendigen Bild eienr aus äußerster Zuspitzung der Klassengegensätze und der politischen Situation mit elementarer Kraft entstehenden wirklichen Volksbewegung zu, die sich sowohl in politischen wie in ökonomischen stürmischen Massenkämpfen, Massenstreiks entladet, so muß offenbar die Aufgabe der Sozialdemokratie nicht in der technischen Vorbereitung und Leitung des Massenstreiks, sondern vor allem in der politischen Führung der ganzen Bewegung bestehen’ (Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften’, Bd 2, S. 147).


Die ganze Energie Lenins richtete sich somit auf die Notwendigkeit aus, die Partei von diesen neuen Aufgaben zu überzeugen, und gegenüber der Arbeiterklasse war die zentrale Achse die Entwicklung des Klassenbewußtseins. In der 4. These wird dies alles sehr klar umrissen: ‘Aufklärung der Massen darüber, daß die Sowjets der Arbeiterdeputierten die einzig mögliche Form der revolutionären Regiereung sind und daß daher unsere Aufgabe, solange sich diese Regierung von der Bourgeoisie beeinflussen läßt, nur in geduldiger, systematischer, beharrlicher, besonders den praktischen Bedürfnissen der Massen angepaßter Aufkläruhg über die Fehler ihrer Taktik bestehen kann’ (ebenda, S. 5).

So war diese Vorgehensweise, dieser Wille, die klaren und präzisen Klassenprinzipien zu verteidigen, und zu wissen, daß man dazu auch gegen den Strom schwimmen und in der Minderheit bleiben müsse, war keineswegs ein Reinheitsfimmel oder Sektierertum. Im Gegenteil, sie stützten sich auf ein Begreifen der wirklichen Bewegung, die sich in der Klasse entwickelte, auf die Fähigkeit, den radikalsten Teilen innerhalb der Klasse eine Stimme und Führung zu verleihen. Der Aufstand war solange unmöglich wie die revolutionären Positionen der Bolschewiki, die sich während des ganzen revolutionären Prozesses weiterentwickelten, noch nicht bewußt die Sowjets erobert hatten. Von den bürgerlichen Lügen einer angeblich putschistischen Haltung der Bolschewiki keine Spur. Wie Lenin unterstrich: ‘Wir sind keine Scharlatane... Nur müssen uns nur auf das Bewußtsein der Massen stützen’ (von Trotzki zitiert).

Das Beherrschen der marxistischen Methode durch Lenin, der über das Erscheinungsbild und die Oberfläche der Ereignisse hinwegsah, ermöglichte es ihm zusammen mit den besten Elementen der Partei die wirkliche Dynamik der Bewegung, die sich unter seinen Augen entfaltete zu begreifen und auf die tiefsten Regungen der Massen einzugehen, indem er ihnen die theoretischen Mittel bot, mit denen sie ihre Positionen verteidigen und ihre Aktionen erklären konnten. Sie erlaubten ebenfalls, sich in der Konfrontation mit der Bourgeoisie zurechtzufinden, indem die Fallen aufgezeigt und umgangen wurden, die diese der Arbeiterklasse stellte, wie das im Juli 1917 der Fall war. Deshalb heben wir im Gegensatz zu den Menschewiki der damaligen Zeit und ihren zahlreichen anarchistischen, sozialdemokratischen und rätistischen Nachfolgern, die einige wirkliche Fehler Lenins bis aufs äußerste karikieren (1), um das proletarische Wesen der russischen Revolution zu verwerfen, die fundamentale Role hervor, die Lenin bei der Wiederaufrichtung der Bolschewistischen Partei gespielt hat, und ohne die das Proletariat im Oktober 1917 die Macht nicht hätte ergreifen können.

Lenins lebenslanger Kampf für den Aufbau der revolutionären Organisation ist eine historische Errungenschaft der Arbeiterbewegung. Er hat den heutigen Revolutionären eine unabdingbare Grundlage für den Wiederaufbau der Klassenpartei hinterlassen sowei für das Begreifen der Rolle der Klassenpartei innerhalb der Klasse insgesamt. Der siegreiche Aufstand des Oktober 1917 stellte die Auffassungen Lenins als richtig heraus.

Die Isolierung der Revolution nach dem Scheitern der revolutionären Schübe in den anderen Ländern Europas unterbrach die Dynamik der internationalen Revolution, die als einzige eine Garantie für einen örtlichen Sieg in Rußland liefern konnte. Der sowjetische Staat begünstigte den Aufstieg des Stalinismus, der zum Henker der Revolution und der wirklichen Bolschewisten wurde. Wesentlich bleibt, daß im Laufe der ansteigenden revolutionären Welle in Rußland der Lenin der April-Thesen nie ein isolierter Prophet blieb, kein Schöpfer der Welt, der erhaben über den vulgären Massen thronte, sondern die klarste Stimme der am meisten revolutionären Tendenz innerhalb des Proletariats; eine Stimme, die den Weg aufzeigte, welcher zum Sieg in der Oktoberrevolution 1917 führte. ‘In Rußland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Rußland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden. Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem ‘Bolschewismus’’ (Rosa Luxemburg, Zur russischen Revolution’). SB

(1) Zu den Fehlern gehörte: die Rätisten sprechen gerne von der ‘Theorie des in die Klasse von Außen eingebrachten Bewußtseins’, die in ‘Was tun?’ entwickelt wird. Später jedoch hat Lenin diesen Fehler eingestanden und in der Praxis eindeutig bewiesen, daß er eine richtige Auffassung des Prozesses der Entwicklung des Bewußtseins innerhalb der Arbeiterklasse entfaltet hatte.

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [4]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [5]

Die imperialistischen Rivalitäten zwischen den Großmächten treten offen zutage

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Obgleich ihr Ausgang noch nicht feststeht, kann man jetzt schon sagen, dass die gegenwärtige Irakkrise eine enorme Zuspitzung der imperialistischen Spannungen und eine neue Etappe derselben darstellt.

Gegenüber einer Welt, die von der Dynamik des ‚Jeder für sich' beherrscht wird, und wo insbesondere die früheren Vasallen des amerikanischen Gendarms danach streben, sich so weit wie möglich aus der er-drückenden Vorherrschaft dieses Gendarmen zu befreien, die sie wegen der Bedrohung durch den gegnerischen Block ertragen mussten, besteht für die USA das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Autorität darin, sich auf das Instrument zu stützen, bei dem sie gegenüber allen anderen Staaten eine haushohe Überlegenheit besitzen: die militärische Gewalt. Aber aufgrund dieses Einsatzes geraten die USA selbst in einen Widerspruch:

- einerseits, falls sie auf den Einsatz oder die Zurschaustellung ihrer militärischen Überlegenheit verzichten, kann das die anderen, sie herausfordernden Staaten nur ermuntern, noch weiter vorzudrängen bei dieser Herausforderung;

- andererseits, falls sie diese rohe Gewalt anwenden, und selbst und vor allem wenn sie es dank dieses Mittels schaffen, die imperialistischen Appetite ihrer Gegner vorübergehend zurückzudrängen, werden diese aber danach streben, die erstbeste Gelegenheit zu ergreifen, um sich zu revanchieren und wieder versuchen, aus der US-Vorherrschaft auszubrechen" (Resolution zur internationalen Situation, 1997, Internationale Revue Nr. 19).

Dieser seit dem Zusammenbruch des Ostblocks aufgetretene Widerspruch ist auch dafür verantwortlich, dass es seitdem zu einer Pendelbewegung gekommen ist zwischen der Offensive der USA, die die Herausforderer zum Schweigen bringt, und dann als Gegenbewegung wieder eine Infragestellung der USA in einem viel stärkeren Ausmaß nach sich zieht. Solch eine Bewegung wiederholt sich nicht einfach, sondern sie nimmt immer gewaltigere Ausmaße an. Im Frühjahr stellte die IKS dazu fest, dass "dies das Potenzial in sich birgt, dass das Ganze außer Kontrolle gerät. Die USA werden sich gezwungen sehen, immer stärker zu intervenieren, um ihre Autorität durchzusetzen, aber dadurch erhalten jeweils die Kräfte Auftrieb, die bereit sind, für ihre eigenen Interessen einzutreten und diese Autorität infragezustellen. Das trifft auch für die Hauptrivalen der USA zu" (Resolution zur internationalen Situation, März 2002).

Der 11. September und der von den USA inszenierte Kreuzzug gegen den Terrorismus stellte einen Wendepunkt dar. Nicht nur wurden gewaltige Mittel locker gemacht für die Aufrüstung, sondern die USA erklärten immer unverhohlener ihre Entschlossenheit, auch ohne die UNO loszuschlagen. Gleichzeitig erklärten die USA, dass dieser Kampf gegen den Terrorismus nicht von kurzer Dauer sein werde, mit genau definierten, auf eine Region beschränkten Zielen, sondern es werde ein ständiger, quasi endloser, weltweiter Kampf geführt. Aber es dauerte nicht lange, bis sich gegen diese neue Strategie der USA entschlossener Widerstand entfaltete.

Nachdem vor allem Frankreich jahrelang dadurch aufgefallen war, dass es sich lauthals gegen die US-Politik zu wehren versuchte und Deutschland eher im Hintergrund agierte, hat Deutschland in der letzten Zeit eine herausragende Rolle bei der Organisierung der Untergrabung der US-Führungsrolle übernommen. Ja, es stellt gar das Rückgrad dieses Widerstands dar. Dies ist kein Zufall, nimmt der Irak doch für Deutschland eine zentrale Stellung auf dem imperialistischen Schachbrett ein. Darüber hinaus hat die deutsche Bourgeoisie eine große politische Schwäche der US-Offensive ausnutzen können.

Die geostrategische Bedeutung des Irak

Die USA wollen die Politik der 'Eindämmung' Europas fortsetzen, nachdem sie wichtige Stellungen im Kosovo eingenommen und Afghanistan besetzt haben. Die USA wollen ihre Finger nach den Erdölreserven im Nahen Osten ausstrecken, von denen Japan zu 60% und auch einige Länder Europas stark abhängig sind, womit diese Länder bei einer internationalen Krise sehr leicht erpressbar werden würden. Abgesehen von den beiden oben genannten Faktoren nimmt der Irak seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis heute eine herausragende strategische Stellung ein. Der Zusammenbruch des osmanischen Reiches (‚des kranken Mannes Europas'), der sich Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschleunigte, trieb die damaligen Großmächte dazu, verstärkt nach den Gebieten zu greifen, die vorher unter osmanischer Kontrolle standen, insbesondere der Balkan (auf dem der 1. Weltkrieg ausgelöst wurde) und der Nahe Osten, der eine strategische Schlüsselstellung zwischen verschiedenen Kontinenten einnimmt. Während Frankreich und Großbritannien über das Mittelmeer eine Kontrolle dieser Region anstrebten (Frankreich errichtete 1869 den Suez-Kanal und England von Indien aus via Afghanistan und Persien), verfolgte Kaiser Wilhelm II. das gleiche Ziel - jedoch über den Landweg durch die Errichtung einer Achse Berlin-Istanbul-Bagdad. So finanzierte Deutschland den Bau der Badgad-Bahn, deren Bau 1903 begann, und die Berlin mit dem Persischen Golf (über die ‘Orient-Express-Route’ und die Türkei) verbinden sollte. Natürlich gewann diese Region Anfang des 20. Jahrhunderts noch mehr Bedeutung (und das Bestreben der Großmächte, die Kontrolle über sie zu erlangen), als dort Erdöl entdeckt wurde. Am Vorabend des 1. Weltkriegs fing das schwarze Gold im Iran und im Irak (der damals noch vom osmanischen Reich beherrscht wurde) an zu fließen. Nach der Niederlage Deutschlands im 1. Weltkrieg wurden die imperialistischen Interessen Deutschlands gebremst, England übernahm nach 1920 das Protektorat über den Irak. Bis zum Sturz der Haschemitischen Monarchie durch einen Staatsstreich am 14. Juli 1958 blieb die englische Vorherrschaft über den Irak praktisch nahezu unangefochten. Aber nach diesem Staatsstreich entglitt der Irak englischer Kontrolle, nachdem er politische, ökonomische und militärische Abkommen mit der damaligen UdSSR, Frankreich und Deutschland schloss. Der Zusammenbruch des Ostblocks bewirkte schließlich, dass die beiden letztgenannten Länder den größten ausländischen Einfluss im Irak ausübten; dieser Einfluss wurde auch nicht durch den Golfkrieg 1991, das Embargo und die seit 1991 stattfindenden britisch-amerikanischen Bombardierungen aus der Welt geschafft. Dies liefert die Erklärung dafür, dass Frankreich und Deutschland im Gegensatz zu Großbritannien und den USA (die mit dem Sturz des Irans 1979 einen wichtigen Verbündeten in der Region verloren haben) sehr an der Aufrechterhaltung des Status Quo im Irak interessiert sind.

Für die USA stellt der Irak ein Schlüsselglied dar, das sie unbedingt für sich vereinnahmen wollen, um die Kontrolle in der ganzen Region auszuüben. Die direkte Kontrolle des Iraks (ein Schlüsselland für die Beherrschung des gesamten Mittleren Ostens) stellt eine notwendige Etappe bei der Verstärkung der Stellung der USA in der Region dar, insbesondere durch die ‚Normalisierung' der Lage in Saudi-Arabien und die Unterwerfung des Irans, der sehr wohl zur nächsten Zielscheibe der US-Offensive werden könnte. Hinter dem Versuch der Unterwerfung des Iraks durch die USA verbirgt sich also eine Umkrempelung der geopolitischen Karte des Mittleren Ostens, mit der Perspektive der ‚Regelung' der Palästinenserfrage. Damit wird in Wirklichkeit nichts Anderes verfolgt als die Schaffung eines großen Israels, das Sharon so wichtig ist, indem die Bevölkerung aus den besetzten Gebieten vertrieben wird. Dieses Mal würden sie über den Jordan hinaus nach Jordanien vertrieben . Diese Elemente für sich genommen erklären schon, warum der Irak nach Afghanistan die Hauptzielscheibe der USA geworden ist. Es gibt ebenso andere strategische Prioritäten der USA. Indem sie den Irak als nächste Zielscheibe ihrer militärischen Operationen auswählten, waren sich die USA darüber im klaren, dass sie Großbritannien für sich gewinnen würden, das auch seinen Einfluss im Irak nicht mehr wiederherstellen kann, solange dort Saddam Hussein an der Macht ist.

Deutschland hat seine Strategie, von der verdeckten zur offenen Opposition gegen die USA überzugehen, also zunächst wegen der enormen strategischen Bedeutung des Irak gewechselt. Wenn Deutschland nicht an die Spitze der Herausforderer der USA getreten wäre, hätte Frankreich vielleicht längst einen Rückzieher gemacht und wäre umgeschwenkt. Und Moskau und Beijing hätten nicht so offen den USA die Stirn geboten. Aber die Schwäche der ideologischen Rechtfertigung der US-Kriegspläne gegen den Irak hat auch zugunsten Deutschlands gewirkt.

Die politische Schwächung der USA verstärkt die Untergrabung ihrer Führungsrolle

1991 war es den USA noch gelungen, der zunehmenden Herausforderung ihrer Führungsposition entgegenzutreten, indem sie eine internationale Kampagne im Namen der Verteidigung des 'Völkerrechts' aufzwingen konnten. Im Kovosokrieg beriefen sich die USA nicht auf das Völkerrecht und die damit eng verbundene Institution - die UNO, sondern sie griffen direkt mittels der NATO ein, was vom Standpunkt des Völkerrechts aus gesehen illegal war. Aber dieser Winkelzug konnte aus 'humantiären' Gründen gerechtfertigt werden: man musste die Kosovoalbaner vor dem Völkermord retten. In Afghanistan griffen die USA ebenso `illegal´ein; neu war jedoch, dass sie diesesmal alleine entschieden und völlig eigenmächtig handelten. Damals konnte das den USA noch gelingen, da es auf dem Hintergrund des 11. Septembers schwierig gewesen wäre, den Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus infragezustellen. In der gegenwärtigen Irakkrise jedoch sind nicht nur die Argumente zugunsten einer militärischen Intervention nicht stichhaltig, sondern ihre Gegner können sie sogar leicht gegen die USA wenden. Wenn die USA zunehmend gezwungen sind, sich direkt mit militärischen Mitteln durchzusetzen, führt dies dazu, dass die USA jede ideologische Rechtfertigung für ihr Handeln verlieren. Die gegenwärtige Lage verdeutlicht dies kristalklar. Einerseits haben die USA ihre militärische Überlegenheit gegenüber ihren Rivalen seit Anfang der 90er Jahre noch weiter ausbauen können. Aber diese noch nie dagewesene militärische Überlegenheit und die noch nie dagewesene gleichzeitige politisch-ideologische Schwächung sind ein Novum seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Man kann kein Reich einzig und allein auf Gewaltanwendung aufbauen, denn “man kann zwar alles mit Bajonetten machen, aber man kann sich nicht auf sie setzen!" Mehr als ein halbes Jahrhundert lang war die imperialistische Vorherrschaft der USA durch eine gewaltige militärische und ökonomische Überlegenheit abgesichert, aber dies galt auch vor allem für eine politisch-ideologische Vorherrschaft, die nie infragegestellt wurde. Diese politisch-ideologische Vorherrschaft der USA beruhte auf folgenden Faktoren:

- sie stützte sich weder auf eine Kolonialherrschaft (wie bei Großbritannien oder Frankreich der Fall) noch auf eine direkte und unmittelbare Kontrolle der Länder in ihrem Machtbereich, wie im Falle der Sowjetunion.

Im Gegenteil: Sie wurde 'demokratisch' ausgeübt, die Staaten willigten 'freiwillig' ein; indem sie sich dem großen Bruder unterwarfen, konnten sie von ihm 'Schutz' oder wirtschaftlich-militärische oder andere Vorteile erhalten. Sie wurde durch eine Ideologie unterstützt und verstärkt, die sich auf den freien 'Zusammenschluss' der Länder, die Verteidigung 'demokratischer Werte', die 'Freiheit' und die 'Verteidigung der Menschenrechte' berief.

Die alte Politik des 'Zusammenschlusses der Nationen', die dem US-Imperialismus nahezu ein halbes Jahrhundert lang enorme Vorteile gebracht hatte, hat heute keinen Bestand mehr. Zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert werden die USA den 'Bösen' zugerechnet, und ihre Rivalen können es sich erlauben, ihnen eine Lektion auf dem Gebiet der Ideologie zu erteilen, das die USA vorher beherrschten und so erfolgreich ausgenutzt hatten. Ihnen wird vorgeworfen, nicht dem Willen der Nationen zu folgen, nicht demokratisch zu handeln, sich über die Weltordnung hinwegzusetzen. Schlimmer noch: Bush wird mit Hitler verglichen.

Heute lässt das amerikanische Wirtschaftsmodell nicht mehr träumen (auch wenn die USA weiterhin die Nummer Eins auf wirtschaftlicher Ebene bleiben) und vor allem die politische Vorherrschaft der USA bröckelt immer mehr weg. Ihnen bleibt nur die Anwendung brutaler Gewalt.

Das imperialistische Kräfteverhältnis

Wie oben erwähnt, bot der entschlossene Widerstand Deutschlands anderen Mächten die Möglichkeit, sich so offen und bisher ungebrochen gegen die USA zu äußern. Deutschland hat es verstanden, seine Karten auszuspielen. Dieses Mal war es nicht durch seine extreme Schwäche auf militärischer Ebene behindert, sondern es hat zunehmend die politische Schwäche der USA auszunutzen verstanden. So ist es der Hauptdrahtzieher hinter dem enormen Fiasko, das die USA haben hinnehmen müssen, und das auf die seit Monaten fortdauernde Unfähigkeit der USA zurückzuführen ist, sich international politisch durchzusetzen. Die USA sind nicht zum ersten Mal gezwungen, vorübergehend auf das zu verzichten, was sie geplant und angekündigt hatten. Aber jetzt haben sie zum ersten Mal solch eine enorme politische und diplomatische Niederlage einstecken müssen. Und zum ersten Mal seit den 90er Jahren ist das imperialistische Wesen der US-Politik so deutlich zum Vorschein gekommen, und vor allem werden sie zum ersten Mal so entschlossen von einer Reihe von Mächten bekämpft, die von Deutschland angeführt wird. All das geschieht nur kurz nach den inszenierten Attentaten auf die Twin Towers, obgleich diese dazu dienen sollten, diese Art Politik der USA zu legitimieren.

Dies verdeutlicht, dass Deutschland ein potenzieller Blockführerkandidat ist, der den USA entgegentreten könnte, dass gleichzeitig aber Deutschland gegenwärtig überhaupt noch nicht in der Lage ist, dieser Rolle gerecht zu werden.

Auch wenn wir noch nicht wissen, wie die Irak-Krise sich schließlich weiterentwickeln wird, steht jetzt jedenfalls schon fest, dass es den USA gelungen ist, Deutschland und Frankreich von der Mehrzahl der Staaten Europas zu isolieren. So haben sich einige ‘befreundete’ Länder wie Spanien und Italien von den beiden abgewandt. Für Deutschland erscheinen die Schäden, die die US-Politik ihm zugefügt hat, am größten. Seit der Wiedervereinigung hatte Deutschland versucht, Richtung Osteuropa sein Einflussgebiet auszudehnen. Jetzt aber haben Länder wie Ungarn oder die Tschechische Republik, in denen Deutschland eine wichtige ökonomische Rolle spielt, ihm die Gefolgschaft versagt. Wenn sich einige Länder von Deutschland abgewandt haben, dann sicher nicht, weil die USA aus ihrer Sicht attraktiver erscheinen. Vielmehr haben sie dies zum Teil aus Angst vor Repressalien durch die USA getan, aber auch aus Angst vor einem zu großen Erstarken der Nachbarn Deutschland und Frankreich, die sie vereinnahmen könnten. Sie haben somit ihre Interessen auf dem imperialistischen Schachbrett zu verteidigen versucht.

In dieser Hinsicht hat Deutschland also einen herben Rückschlag erleiden müssen. Viel ‚tragischer' für das deutsche Kapital als in der Vergangenheit, als ähnliche Bedingungen es in den Krieg trieben, findet es sich heute in seinen Grenzen eingeschränkt, ohne Hoffnung, kurzfristig aus seinem begrenzten Territorium ausbrechen zu können, während die wirtschaftliche Potenz des Landes eigentlich verlangt, dass sie über die ganze Welt als ihr Betätigsungfeld verfügt. Die Interessen Frankreichs werden jetzt schon vor allem in Afrika untergraben, wo die USA zum Beispiel in der Elfenbeinküste gegen Frankreich agieren. Großbritannien wird von verschiedenen Seiten entweder als Schoßhund Amerikas oder als Amerikas treuester Verbündeter verhöhnt bzw. gelobt. In Wahrheit unterstützt es den Krieg, um seine eigenen Interessen zu fördern. Mit einem Sturz Saddams verbindet es die Hoffnung, einen Teil seines einstigen Einflusses in der Region wiederzuerlangen und damit einer völligen Beherrschung durch die USA entgegenzutreten. Diese Strategie verfolgte GB bereits gegenüber dem Kosovo, wo es ihm unter dem Deckmantel einer zur Schau gestellten Loyalität gegenüber den USA gelang, wichtige strategische Stellungen einzunehmen und damit den USA zu entziehen. Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der britischen Bourgeoisie sind darauf zurückzuführen, dass GB eine Zwischenstellung zwischen den USA und Deutchland & Frankreich einzunehmen versucht, wobei es verschiedene Ansichten darüber gibt, welche Nähe bzw. Distanz gegenüber diesen Hauptpolen eingenommen werden sollten. 12.03.03

Irak-Krise:

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Wie die 'neutrale' Schweiz ihre imperialistischen Interessen wahrnimmt

Mit dem Ersten Weltkrieg ist der Kapitalismus in seine dekadente Phase getreten, in der Krieg und Militarismus zur Lebensform dieser Gesellschaftsordnung schlechthin geworden sind: “Wenn der Imperialismus, der Militarismus und der Krieg so stark mit dem Zeitraum der Dekadenz gleichgesetzt werden, dann deshalb weil die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu einer Fessel für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden sind. Der vollkommen irrationale Charakter der ganzen Wirtschaft, der Rüstungsausgaben und der Krieg spiegeln nur die Abartigkeit wider, den die Aufrechterhaltung dieser Produktionsverhältnisse bedeuten” (Militarismus und Zerfall, in: Internationale Revue, Nr. 13, S. 17f.). Bereits damals hat Lenin, der sich in der Schweiz im Exil aufhielt, über dieses Land geschrieben, dass es “bei jeder denkbaren Situation in diesem Kriege nicht gegen den Imperialismus kämpfen wird, sondern an der Seite der einen oder der anderen imperialistischen Mächtekoalition, also tatsächlich als Helfershelfer der einen oder der anderen grossen Raubmächte, dass die schweizerische Bourgeoisie schon längst durch tausend Fäden imperialistisch ‘interessiert’ ist, sei es durch ein Netz von Beziehungen und ‘Beteiligungen’ zwischen den Grossbanken, sei es durch Export von Kapital...” (Lenin, Werke, Bd. 23, S. 161). Und weiter: “Die imperialistischen Interessen lassen sich ... nicht nur durch territoriale Erwerbungen wahr machen, sondern auch durch finanzielle. Die schweizerische Bourgeoisie exportiert Kapital, beutet also zurückgebliebene Völker imperialistisch aus.” (Ebd., S. 272). Während die Bourgeoisie danach trachtet, dem Volk im allgemeinen und der Arbeiterklasse im speziellen durch ein ideologisches Sperrfeuer die wahren imperialistischen Absichten zu verschleiern, muss es Aufgabe der Revolutionäre sein, diese “wirkliche Politik ‘seiner’ Bourgeoisie ohne Illusionen und unbarmherzig zu entlarven” (Ebd., S. 272). Dies gilt in der heutigen Situation der zugespitzten imperialistischen Interessengegensätze mehr denn je, kaschiert die Schweizer Bourgeoisie ihre imperialistischen Interessen doch mit so scheinbar positiven Attributen wie humanitär, pazifistisch und demokratisch. Die Aussenpolitik des Kleinstaates Schweiz seit dem Ersten Weltkrieg zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer darauf abzielte, sich möglichst lange einen möglichst grossen Handlungsspielraum in der Wahrung ihrer Interessen zu wahren. Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg hat sich die Schweiz nie offen einer kriegführenden Partei angeschlossen, hat aber hinter den Kulissen beste (z.T. auch militärische) Kontakte mit beiden Seiten gepflegt und auch von ihnen profitiert. Diese Politik kann ins Auge gehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste die Schweiz auf Druck der USA 250 Millionen Franken in Gold quasi als Strafe für die Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland zahlen. Dieser Betrag wäre höher ausgefallen, hätte der sich nun herausbildende Kalte Krieg die USA nicht dazu veranlasst, die Schraube gegenüber der Schweiz zu lockern. Auch in der bipolaren Weltordnung bis 1989 ist die Schweiz ihrer auf weitgehende Unabhängigkeit abzielende Politik treu geblieben: Als neutraler Staat konnte sie die grössten Vorteile aus der Blockkonstellation ziehen, während sie faktisch in die militärische und ökonomische Struktur des Westblocks, mit dem sie auch die ideologischen ‚Werte‘ teilte, eingebunden war.

Nach dem Zerfall des Ostlocks: Jeder gegen jeden

Der Zusammenbruch des Ostblocks, der selbst eine Folge des Zerfalls des Kapitalismus war, bedeutete gleichzeitig, dass der Zerfall von nun an die prägende Kraft der globalen gesellschaftlichen Entwicklung werden sollte. Auf imperialistischer Ebene führte dies in allererster Linie zur Entfesselung des “Jeder gegen jeden”, mussten sich nun vor allem die Länder des ehemaligen westlichen Bündnisses der bröckelnden Blockdisziplin kaum mehr unterordnen, was sie in die Lage versetzte, ihre eigenen imperialistischen Interessen wieder unverblümter und zielgerichteter zu verfolgen. Für die Schweiz begann ein tiefer Fall, verlor sie doch ihr Ansehen, das sie zur Zeit des Kalten Krieges als Vermittlerin genossen hatte, grosse Teile des sorgsam gehegten Selbstbildes sind somit obsolet geworden. Besonders schmerzlich bekam dies die Schweizer Bourgeoisie zu spüren, als ihr Land erneut wegen ihres Verhaltens gegenüber dem Nationalsozialismus zur Zeit des Zweiten Weltkriegs ins Visier der USA geriet. Die USA ritt eine heftige Attacke gegen die Schweiz, weil sie zu stark ihre eigenen Interessen wahrnahm und somit zunehmend in einem Gegensatz zur USA stand (siehe dazu unsere Artikel in: Weltrevolution, Nr. 79, 83, 84.). Die Attacke der USA zielte darauf ab, die Schweiz zu disziplinieren, zu zeigen, wer Herr im Haus sei. Die Schweizer Grossbanken mussten 1,25 Milliarden Dollars bezahlen, das Bankgeheimnisses gegenüber der USA lockern.

Die Schweiz hätte vielleicht dem Druck der USA eher standhalten können, wäre sie Mitglied der EU gewesen, aber die obenerwähnte Konstante der möglichst langen Wahrung der eigenen Unabhängigkeit blieb bestehen, hätte ihr doch auch die EU ein blaues Auge zugefügt. Dies ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Schweiz bezüglich der Auslandinvestitionen an 9. Stelle und pro Kopf an 3. Stelle (hinter Hongkong und Belgien) steht und sie aufgrund des sehr kleinen Binnenmarktes stärker als andere Länder auf den Export angewiesen ist, wobei auch hier (wie bei den Direktinvestitionen) die USA und die EU die grössten Stücke des Kuchens ausmachen. Und weshalb der EU beitreten, über die in der Schweizer Bourgeoisie “Zweifel da sind, ob (sie) nicht auch schon in den nächsten 50 Jahren Schiffbruch erleiden könnte ... “ (Bundesrat P. Couchepin in: Tages-Anzeiger, 3.1.2003) ?

Pazifismus als nationalistische Waffe gegen die USA

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um eine Intervention im Irak stellt sich die Schweiz klar gegen die Bemühungen der USA, endlich Krieg gegen den Irak zu führen. Diese Politik der Schweiz ist auch als Retourkutsche für den obenerwähnten Angriff der USA aus der Mitte der 90er Jahre zu verstehen, sie will sich gegenüber der Weltmacht wieder mehr Respekt verschaffen. Die seit Beginn des Jahres 2003 amtierende sozialdemokratische Aussenministerin Calmy-Rey hat als erstes am Davoser Weltwirtschaftsforum dem US-Aussenminister Powell die Leviten gelesen, dann eine sog. humanitäre Konferenz über die Folgen eines allfälligen Irak-Krieges (an der die USA nicht teilnahmen) unter der Leitung des Departementes für Entwicklung und Zusammenarbeit (!) durchgeführt und schliesslich einer Anfrage der USA zu Überflügen über die Schweiz für den Fall eines Krieges gegen den Irak eine Absage erteilt. Die Schweiz stellt sich somit hinter die Politik von Frankreich und Deutschland u.a., die eine Fortführung der UNO-Waffeninspektionen verlangen und in erster Linie die USA aufgrund andersgearteter imperialistischer Interessen an der Umsetzung ihrer Kriegspläne hindern möchten, wobei die Schweiz v.a. mit der Betonung der strikten Respektierung des humanitären Rechts sowie des internationalen Völkerrechts zur Unterstreichung ihrer Eigenständigkeit eine andere Tonart spielt und auch eigene Initiativen ergreift. Die Schweizer Bourgeoisie weiss, dass sich die Gegensätze und Konflikte zwischen den grossen imperialistischen Mächten ständig zuspitzen, sie bleibt dabei ihrer Linie treu und schliesst sich keinem der beiden Lager vollständig ein, da sie sonst ihren eigenen Handlungsspielraum einschränken würde. Gemeinsam mit Frankreich und Deutschland zeigt sie mit dem Finger auf den “bösen Buben” USA, die ihrer Rolle als Hüterin der Demokratie nicht mehr gerecht würden, sondern immer offener mittels Rückgriff auf nackte Waffengewalt ihre eigenen Interessen wahrnehmen, während eben ihre Gegner, und mit ihnen die Schweiz, sich als die guten demokratischen und friedliebenden Staaten darstellen. Wer kann eine solche Botschaft besser verkaufen als in der Schweiz eine Sozialdemokratin oder in Deutschland der Grüne Joschka Fischer?

Die Arbeiterklasse darf sich von solchen Manövern nicht blenden lassen, sie darf sich nicht hinter den Staat mobilisieren lassen, denn sie würde so in imperialistische Manöver eingespannt werden, die einzig dazu dienen, in einer Welt, in der alle Länder zueinander in einem Konkurrenzverhältnis stehen, für den eigenen Staat möglichst viel heraus zu holen. Dies gelingt dem helvetischen Kapital am besten mit der Ideologie der Neutralität.

Solange diese Gesellschaftsordnung existiert, solange wird es Krieg geben; und der Pazifismus, der die Ideologie eines Kapitalismus ohne Krieg vertritt, ist ein Wegbereiter weiterer Kriege. Lenin hat dies bereits im Ersten Weltkrieg denunziert. Tatsächlich ist der Krieg eine schlimme Geissel der gegenwärtigen Gesellschaft, sie kann aber nur beseitigt werden durch die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung, und diese wiederum muss das gemeinsame Werk der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt sein. Dazu muss sie auf ihrem eigenen Terrain kämpfen, was gerade durch die gegenwärtigen interklassistischen Antikriegsmobilisierungen verhindert werden soll.

Kampf gegen den Krieg heißt Kampf gegen den Kapitalismus

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Erneut bringen die USA und Großbritannien ihr mörderisches Waffenarsenal zum Einsatz. 250.000 Soldaten – mit allem möglichen high-tech Kriegsgerät für den Kampf in der Luft, zur See und auf dem Lande ausgerüstet – werden losgeschickt, um ‘Saddam Hussein zu entwaffnen’.

Auch wenn die Herrschenden noch so heuchlerisch behaupten, die Zivilbevölkerung werde geschont, steht jetzt schon fest, dass, wie bei allen anderen Kriegen während der letzten Hundert Jahre, die Hauptopfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen sein werden. Wie vor 12 Jahren im letzten Golfkrieg, wie vor 4 Jahren auf dem Balkan, wie vor mehr als einem Jahr in Afghanistan, werden sie von Kollateralschäden sprechen, wenn ihre Bomben und Raketen unzählige Tote und Verletzte hinterlassen. Auch die unzähligen Opfer unter den Soldaten - egal auf welcher Seite - sind zumeist Proletarier in Uniform, die, wie auf irakischer Seite zwangsrekrutiert, oder auf amerikanischer und britischer Seite durch materielle Not ins Militär gedrängt, werden als Kanonenfutter für die Kriegsmaschinerie verheizt.

Welche weiteren Folgen durch diesen Krieg für die gesamte Welt entstehen, ist heute noch nicht abzusehen. Nicht nur wird es möglicherweise zu Vergeltungsangriffen gegen die USA in der Region kommen, sondern Terror und Gewalt werden weltweit zunehmen. Der Kapitalismus hat der Menschheit nichts Anderes mehr als Zerstörung, Vernichtung, einen Abstieg in der Barbarei anzubieten!

Ein Kampf zur Eindämmung des Militarismus?

Die USA behaupten diesen Krieg zu führen, um Saddam Hussein zu entwaffnen, die Massenvernichtungswaffen, die angeblich die USA und die ganze Welt bedrohen, zu vernichten. Tatsache ist: nicht nur gehören die USA selbst zu den größten Produzenten und Lieferanten von Massenvernichtungswaffen, sondern sie werden ihre eigenen Waffenarsenale in der Region errichten. Sie werden nicht weniger Terror und Vernichtung bringen als der barbarische irakische Diktator während seiner langjährigen Terrorherrschaft. Den USA geht es nicht um die Entwaffnung dieses “Tyrannen”, den sie selbst jahrelang mit finanziert und hochgerüstet haben. Ihnen geht es darum, ihre eigenen imperialistischen Interessen in der Region und weltweit zu verfechten.

Die Kontrolle über den Irak gibt ihnen ein Erpressungsmittel in die Hand, indem sie den Ölhahn auf- und zudrehen können, wie und wann sie wollen.

Aber der Irak ist nicht nur wegen seiner Ölvorkommen und -reserven von Bedeutung, sondern er ist vor allem ein wichtiger Brückenkopf, von dem aus eine ganze Region beherrscht werden kann.

Indem sie den Irak besetzen, bringen sich die USA in der Region in Position. Damit können sie die direkten Nachbarn des Iraks auf die vielfältigste Weise unter Druck setzen – z.B. Saudi-Arabien, Syrien, die Türkei, Iran, die Anrainerstaaten des Persischen Golfs. Nachdem sie sich schon in Afghanistan niedergelassen haben, verfügen sie nun über einen noch größeren Operationsradius. Sie können Russland vom Süden, China vom Westen her bedrohen und gegenüber den beiden Rivalen Indien und Pakistan zusätzliche Druckmittel einsetzen.

Vor allem aber, indem sie sich dieses strategisch wichtige Schlüsselland zwischen Europa, Asien und Afrika einverleiben, wollen sie die europäischen Rivalen Frankreich, Deutschland und Russland aus der Region verdrängen.

Nicht nur haben diese drei Länder traditionell intensivere Handelsbeziehungen mit dem Irak unterhalten (siehe dazu Artikel auf S. 2), sondern der Irak ist vor allem für Deutschland ein wichtiges Glied in einer geo-strategischen Kette. Denn historisch hat der deutsche Imperialismus sein Einflussgebiet Richtung Mittleren Osten über ein Jahrhundert lang auszudehnen versucht, indem er auf ein Bündnis mit der Türkei, dem Irak und Iran setzte, um mit Hilfe dieser Länder die jeweiligen großen Rivalen vor Ort herauszufordern. So prallte Deutschland vor dem 1. Weltkrieg mit England, dann vor und während des 2. Weltkriegs erneut mit England und den damals erst in der Region ihren Einzug haltenden USA und natürlich mit Russland aufeinander. Deshalb hat gerade der deutsche Imperialismus viel zu verlieren, wenn die USA nun zum ersten Mal wieder seit dem Vietnam-Krieg ein Land mit solch einem Aufwand besetzen.

Und somit ist es kein Zufall, dass die drei großen europäischen Kontinentalmächte – Deutschland, Frankreich und Russland- , sich heftigst und bis zum letzten Augenblick den US-Ambitionen widersetzten, und wenn Kanzler Schröder den USA “jede Rechtfertigung zur Auslösung eines Krieges” abspricht.

Dem Irak-Krieg wird eine Zuspitzung der imperialistischen Rivalitäten folgen

Auch wenn die USA durch den Krieg ihre Position in der Region verstärken und die anderen Staaten aufgrund ihres militärischen Drucks zum Nachgeben zwingen können, wird diese Verstärkung der USA nicht zu einer Stabilisierung ihrer Vorherrschaft führen.

Wie wir in einem anderen Artikel in dieser Zeitung dargestellt haben, können die USA durch ihre Politik der kriegerischen Eskalation die imperialistischen Ambitionen ihrer Rivalen und die weltweite Untergrabung ihrer Vormachtstellung nicht aus der Welt schaffen. Kaum waren die Waffen nach dem Golfkrieg im Frühjahr 1991 verstummt, zettelte Deutschland schon im Sommer 1991 auf dem Balkan einen Krieg an. So steht heute schon fest – auch wenn die Gegner der USA sich heute vor ihrer militärischen Übermacht ‚ducken‘ müssen, werden sie zur Gegenoffensive antreten. Dadurch wird der weltweite Rüstungswettlauf weiter angefacht, vor allem aber werden die europäischen Hauptherausforderer der USA – Deutschland, Frankreich, Russland - , die diesen jetzt so offen die Stirn geboten haben, dazu getrieben, ihre Herausforderung der USA nicht nur auf diplomatischer Ebene zu intensivieren. Man kann davon ausgehen, dass jetzt überall schon Pläne geschmiedet werden, wie man den USA ‚nach dem großen Überfall auf den Irak‘ auch durch das Schüren neuer Kriege entgegensteuern kann.

Die Rivalitäten zwischen den Großmächten werden durch diesen Erfolg der USA nicht abnehmen. Im Gegenteil: Jetzt schon steht fest, dass sich die Spirale der Gewalt dadurch nur noch schneller drehen wird. Vor allem die Zusammenstöße zwischen den Großmächten werden an Schärfe zunehmen.

Und wenn die USA dank ihrer militärischen Überlegenheit durch die Auslösung des Krieges einen wichtigen Sieg davongetragen haben, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA politisch ein Debakel, erlebt haben. Vor allem das politische und ideologische Ansehen der USA als Führungsmacht bzw. als ‘Verteidiger der Freiheit’ ist dadurch schwer angeschlagen, dass sie es nicht geschafft haben, ihren Angriff gegen den Irak durch den UNO-Sicherheitsrat “demokratisch” legitimiert zu bekommen. Deutschland und Frankreich trugen entscheidend zu diesem politischen Fiasko bei.

Dabei ist es historisch besonders wichtig, dass sich Deutschland, dem seit dem 2. Weltkrieg die Bürde der Nazi-Vergangenheit immer wieder angelastet wurde, sich nunmehr als Friedensengel darstellt. Das erleichtert es dem deutschen Imperialismus, die eigenen imperialistischen Ambitionen, seine Aufrüstung als ‘Friedensbeitrag’ zu präsentieren und sich als ‚Unschuldiger‘ darzustellen.

Die Arbeiterklasse soll wieder für den Krieg zahlen

Krieg ist eine der schlimmsten Abscheulichkeiten, die der Kapitalismus der Menschheit aufzwingt. Wie bei allen früheren Kriegen wird die Arbeiterklasse den höchsten Preis dafür zu zahlen haben. Aber wir müssen es klar aussprechen. Pazifistische Mobilisierungen werden nie imperialistische Kriege aufhalten können. Die zentrale Aussage des Pazifismus, dass es im Kapitalismus Frieden gebe könne, ist eine ungeheuerliche Lüge, die dazu beiträgt, weitere Massaker vorzubereiten.

Auch wenn in diesem Krieg die USA das Krieg auslösende Land sind, steht fest, dass der Krieg in seiner jetzigen Form seit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Phase der Dekadenz zur Überlebensform des Kapitailsmus schlechthin gehört. Wie Rosa Luxemburg schon im 1. Weltkrieg schlussfolgerte: “Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ... dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag.” (Junius-Broschüre, 1915). Frieden ist im Kapitalismus unmöglich, Friedensphasen sind nur Augenblicke, in denen weitere Kriege vorbereitet werden.

Deshalb nützen keine symbolischen, von Verzweiflung getragenen Aktionen – wie sie von den Pazifisten immer wieder vorgeschlagen werden (siehe dazu Artikel in dieser Ausgabe), sondern das kapitalistische System selbst muss überwunden werden, um die Wurzeln des Krieges auszureißen.

Der Krieg ist ein Ausdruck der Sackgasse des kapitalistischen Systems. So ist es kein Zufall, dass gegenwärtig die Weltwirtschaft unter einer Rezession stöhnt und die Arbeiter über -all mit den gleichen Angriffen durch das Kapital konfrontiert werden. Massenentlassungen, explodierende Arbeitslosigkeit in allen Industriestaaten, Firmenpleiten usw. stehen überall auf der Tagesordnung.

Fest steht: Die Kriegsausgaben werden von niemand anders getragen als von der Arbeiterklasse. Auch in Deutschland hat die Rot-Grüne Regierung mit den jüngsten Sparbeschlüssen klargemacht, dass sie den Arbeitern tief in die Tasche greifen wird, nicht zuletzt um ihre Kriegskasse aufzufüllen.

Indem die Arbeiter ihre Lebensinteressen gegen die Angriffe des Kapitals verteidigen, führen sie den einzigen effektiven Kampf gegen die Ursachen des imperialistischen Krieges - nämlich gegen das kapitalistische System insgesamt.

Sie müssen dabei begreifen, dass sie in ihrem Abwehrkampf gegen diese Sparprogramme der Regierungen bewusst die Verbindung herstellen müssen zwischen der Kriegsfrage und dem Kampf gegen das System. Das heißt, es muss über den tag- täglichen Verteidigungskampf hinaus zunehmend die Systemfrage durch die Arbeiterklasse gestellt werden. Dies ist der Weg, um sich die alten Grundpositionen der Arbeiterklasse wieder anzueigenen -d.h. der proletarische Internationalismus, insbesondere gegenüber dem Krieg und die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, eine neue klassenlose kommunistische Gesellschaft auf den Trümmern des Kapitalismus zu errichten.

18.03.03

 

Wölfe im pazifistischen Schafspelz

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Am 15. Februar gingen Millionen von Menschen auf allen Kontinenten gegen den bevorstehenden Krieg im Irak auf die Strasse. Die Organisatoren behaupten, dass 20 Mio. Menschen in 600 Städten in 60 Ländern in der größten Anti-Kriegsdemonstration der Geschichte daran teilgenommen haben. Viele finden das ermutigend. Auch die bürgerliche Presse berichtet mit Wohlwollen über diese Kundgebungen gegen den Krieg. Doch sind diese Demos wirklich positiv? Werden sie den Krieg verhindern? Ist der Krieg überhaupt zu verhindern? Und wenn ja, wie?

Ohnmächtiger Pazifismus

Der gemeinsame Nenner derjenigen, die sich für diese Massenkundgebungen mobilisieren lassen, ist der Frieden, die Ablehnung des Krieges. Schon vor 30 Jahren, zur Zeit des Vietnamkrieges, oder vor 20 Jahren, als es um die Stationierung der Cruise Missiles und Pershing Raketen in Westeuropa ging, versammelten sich Millionen zu Friedensdemos. So vereinigend die Forderung für den Frieden über alle Klassen hinweg ist, so ohnmächtig ist sie gleichzeitig. Die Friedensbewegung richtet sich mit Appellen an die Regierungen, den Krieg gegen den Irak nicht zu unterstützen, den USA keine Überflugrechte zu gewähren und stattdessen humanitäre Hilfe zu leisten etc. - Appelle an Regierungen, die selber Armeen unterhalten, aufrüsten und auch einsetzen. Es sind Appelle, die nicht mit der kapitalistischen Logik brechen, mit diesem System, das notwendigerweise immer noch mehr Kriege hervorbringt.

Die Pazifisten wollen den Krieg verhindern, ohne den Kapitalismus zu bekämpfen. Anstatt die wirklichen Zusammenhänge zu erkennen und anzuprangern, appellieren die Leute der Friedensbewegung an die Vernunft und die Moral der Politiker, an den Staat schlechthin, also gerade an die, die ständig weiter rüsten und Waffen in andere Länder exportieren, während sie gleichzeitig unsere Lebensbedingungen angreifen. Seitdem der Kapitalismus entstanden ist und sich ausgebreitet hat, zieht er eine blutige Spur von Kriegen und Zerstörung über den ganzen Planeten. Von der Ausrottung der Indianer durch die spanischen und portugiesischen, später französischen und englischen Kolonisten über die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts bis zu den Massakern in Ruanda, Srebrenica und Osttimor in den letzten 10 Jahren - immer hat der Kapitalismus Krieg geführt, zunächst zur Eroberung von Märkten und Handelsrouten, später zur Bekämpfung der Konkurrenten, schlie ßlich zur Verteidigung strategisch wichtiger Positionen im Kampf mit dem militärischen Gegner. Der Krieg ist nicht auf verrückte Politiker zurückzuführen, das System ist längst selber verrückt geworden. Insbesondere seit 1989, seit dem Zusammenbruch der beiden Blöcke und dem Eintritt des Kapitalismus in seine Zerfallsphase gibt es selbst nach der Logik des Profits je länger je weniger eine rationelle Begründung für die sich ständig mehr ausbreitenden Kriege. Sie führen meist auch für den Sieger zu wirtschaftlichen Verlusten. Und sogar dort, wo die Kriege nicht offen geführt, sondern nur vorbereitet werden, erdrückt der Militarismus die Gesellschaft. Der Ostblock ist daran zugrunde gegangen, dass er im Aufrüstungswettkampf mit dem Westblock nicht mithalten konnte und seine Wirtschaft damit buchstäblich erstickte.

Die Pazifisten sind der Meinung, dass die Bevölkerung massiven Druck auf die Politiker ausüben sollten, damit diese eine friedliche Politik betreiben. Mit den großen Demonstrationen und zusätzlichen Meinungsumfragen über die Stimmung in der Bevölkerung (je nach Land 70-90% gegen den Krieg) soll der Eindruck vermittelt werden, dass die Regierungen nun durch ”das Volk” gezwungen würden, nachzugeben und auf den Krieg zu verzichten. Die Pazifisten verkennen (oder verschweigen) die Tatsache, dass die Regierungen und der Staat insgesamt sich um die Meinung der ”Bürger” einen Dreck scheren. Ob es sich um Wahlen oder um Demonstrationen für den Frieden handelt, die Entscheidungen werden getroffen, ohne den ”Volkswillen” zu berücksichtigen. Vor dem I. Weltkrieg gab es auch zahlreiche Friedensdemonstrationen, die aber nichts ausrichten konnten. Erst vier Jahre später, als 1917 in Russland und 1918 in Deutschland, Österreich und Ungarn die Arbeiterklasse gegen den Krieg aufstand, beendete die Bourgeoisie das Massaker. Und die Friedensbewegung vor 20 Jahren verhinderte die Stationierung der Pershing und der Cruise Missiles ebensowenig. Diese wurden erst wieder abgebaut, als sie aus der Sicht der westlichen Regierungen nicht mehr nötig waren, weil dem gegnerischen Ostblock im Wettrüsten die Luft ausging und sich dieser die Stationierung seiner Raketen nicht mehr leisten konnte.

Pazifistische Kriegstreiberei

Doch gerade die gegenwärtigen Friedenskundgebungen enthüllen, dass der Pazifismus nicht nur ohnmächtig ist (und dies oft bis zur Lächerlichkeit), sondern ein Teil der Vorbereitung auf den Krieg. Diese Seite des Pazifismus hat heute zahlreiche Facetten, die es sich lohnt je einzeln zu betrachten:

a) Zunächst einmal verbreitet der Pazifismus die Illusion, dass ein Frieden im Kapitalismus möglich sei. Dadurch versucht er, diesem todgeweihten System weiteres Leben einzuhauchen. Es ist der x-te Versuch, die kapitalistische Gesellschaftsordnung mit ihrer Profit- und Unterdrückungslogik, statt zu überwinden, zu reformieren.

Es ist nicht nur naiv, sondern zynisch, wenn Teile der Friedensbewegung heute dem Krieg die ”Menschenrechte” und die ”humanitäre Hilfe” entgegensetzen und dabei vergessen, oder besser gesagt: verschleiern, dass praktisch alle Kriege seit Reagan und erst recht seit dem Zusammenbruch des Ostblocks von Seiten der westlichen Grossmächte im Namen der Menschenrechte und als humanitäre Interventionen geführt worden sind.

Mit solchen Parolen werden diejenigen, die sich gegen den Krieg stellen wollen, ideologisch an das System gebunden. Es sind diese systemerhaltenden Augenwischereien, die Lenin, Luxemburg, Liebknecht, Trotzki und die anderen Revolutionäre der Zimmerwalder Linken während des I. Weltkrieges denunziert und bekämpft haben.

Mit dieser Logik des kapitalistischen Systems brechen auch diejenigen nicht, die für ”radikalere Aktionen” plädieren und Strassen für Waffen- und Truppentransporte blockieren, Häfen oder Militärbasen belagern, individuell desertieren etc. All dies bleibt im Korsett des Bürgerwiderstands, des zivilen Ungehorsams stecken, der letztlich das System akzeptiert und nur seine Fehler bekämpfen will.

b) Ein Teil der Pazifisten beruft sich heute auf die Notwendigkeit einer neuen Entscheidung im UNO-Sicherheitsrat. Der Krieg sei nicht legitim, weil er nicht von der UNO abgesegnet worden sei. Welche Heuchelei! Ein Krieg soll deshalb in Ordnung sein, weil er von einer ganzen Gangsterbande beschlossen wird, statt nur von einem oder zwei Schurken?

Ein Redner an einer Friedenskundgebung in Zürich forderte, die Schweiz müsse die Rüstungszusammenarbeit mit den USA abbrechen, wenn diese einen Krieg gegen den Irak ohne UNO-Mandat beginnen würden. Anders gesagt: Mit UNO-Mandat darf ruhig Krieg geführt und Waffenhandel getrieben werden. Und bei einem Krieg ohne UNO-Mandat darf halt die Rüstungszusammenarbeit nur noch mit anderen Regierungen (wahrscheinlich den ”friedliebenden” Chirac, Schröder und Konsorten) fortgesetzt werden. In jedem Fall ist aus der Sicht dieses Pazifisten gar nichts gegen die Landesverteidigung an sich und die entsprechende militärische Rüstung einzuwenden.

c) Und hier wird deutlich, dass diese Pazifisten durchaus Teil der Kriegstreiberei sind. In Europa (und eigentlich überall auf der Welt außer in den USA) kommt der Pazifismus heute im Mäntelchen des Antiamerikanismus daher. Die USA werden als blutrünstige Kriegstreiber hingestellt, während die europäischen Staaten völlig aus der Schusslinie genommen werden und sich in blütenweißer Weste präsentieren können. Dabei stellen sich gerade Deutschland, Frankreich und Russland aus ihrer eigenen imperialistischen Interessenlage heraus gegen diesen Krieg. Der Feldzug der USA gegen den Irak richtet sich denn auch nicht primär gegen die Person Saddam Husseins oder gegen die irakischen Massenvernichtungswaffen, sondern gegen den strategischen Vormarsch Deutschlands Richtung Osten (Balkan, Naher Osten, Zentralasien). Bei der Besetzung Iraks (wie auch schon bei derjenigen Afghanistans) durch die USA werden unvermeidlich auch strategische Positionen Russlands und Frankreichs tangiert. Der Antiamerikanismus ist also genau das, was die Herausforderer der USA, allen voran die deutsche Bourgeoisie brauchen, um ihre Position zu stärken. An der Demo in Berlin beteiligten sich nicht von ungefähr deutsche Minister. Und Le Pen gratulierte Chirac zur Kundgebung in Paris. Von Links bis Rechts freut sich die französische und deutsche Bourgeoisie über die antiamerikanischen Massenmobilisierungen. Der Pazifismus ist somit eine ideologische Waffe des deutschen und des französischen Imperialismus.

Doch auch in Übersee kommt die Unterstützung der eigenen Bourgeoisie teilweise im pazifistischen Schafspelz daher: ”Der Frieden ist patriotisch!” heißt es da. Die Pazifisten und die offenen Kriegsgurgeln machen sich gegenseitig den Anspruch auf die wirklich patriotische Haltung streitig.

Ist der Krieg zu verhindern?

Im Kapitalismus, der mit dem I. Weltkrieg 1914/18 in seine dekadente Phase, in das Zeitalter der Kriege und Revolutionen eingetreten ist, für den Frieden zu kämpfen, ohne den Kapitalismus selbst politisch in Frage zu stellen, heißt die Idee zu vertreten, dass es einen menschlichen und friedlichen Kapitalismus geben könne. Das ist Augenwischerei. Für die Menschheit gibt es nur eine Perspektive, und das ist die kommunistische Gesellschaft: In dieser Gesellschaft gibt es keine Nationalstaaten mehr, die Produktionsmittel gehören der ganzen Gesellschaft, und sie bestimmt gemäss dem Prinzip der Befriedigung der Bedürfnisse und nicht gemäss dem Profit, was produziert wird. Der Gegensatz zwischen kollektiver Produktion und individueller Aneignung wird aufgehoben. Mit den Klassengegensätzen und den Nationalstaaten verschwinden auch die Grundlagen für den Krieg.

Aber kann man den unmittelbar nichts gegen diesen Krieg machen? - Nein, wir müssen mit kühlem Kopf klar aussprechen, dass der Krieg, der ja heute mit Berufsarmeen, und nicht mit Zwangsrekrutierten und der Militarisierung der Fabriken geführt wird, unmittelbar und kurzfristig nicht verhindert werden kann. Die Kriegsmechanismen können auf der Ebene ”Krieg oder Frieden” nicht unterbrochen werden. Die Reaktion gegen den Krieg und sein mörderisches Werk darf keine hauptsächlich moralische sein, wie das bei so vielen Menschen der Fall ist. Es geht vielmehr darum, ein Kräfteverhältnis zu entwickeln, das das Kapital und seine Regierungen daran hindert, Kriege auszulösen, oder es zum Abbruch eines Krieges zwingt. Um aber dieses Kräfteverhältnis zwischen den Klassen aufzubauen, muss ein entsprechender Druck der Arbeiter entfaltet, ein Abwehrkampf gegen alle Angriffe auf unsere Lebensbedingungen entwickelt werden. Dieser Druck lässt sich nicht dekretieren, sondern kann nur das Ergebnis der Kampfbereitschaft der Arbeiter sein, ihre Klassen interessen zu verteidigen. Und in diesen Kämpfen muss der Zusammenhang zwischen dem Krieg und der Krise klar aufgezeigt werden. Der Kampf gegen den Krieg kann ohne Kampf gegen die Krise und die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen gar nicht geführt werden. Gerade das Beispiel des I. Weltkriegs zeigt auch dies: Es gibt keine Abkürzungen, die am Aufbau dieses Kräfteverhältnis vorbeiführen. Die Friedensdemonstrationen sind im besten Fall machtlos, in der Regel aber sogar Wasser auf die Mühlen mindestens einer der kriegsführenden Parteien. Der Druck aus der Betrieben war erforderlich, um die Bourgeoisie schließlich zum Abbruch des Krieges zu zwingen, der sich ab 1916 entwickelnde Klassenkampf, der den Zusammenhang zwischen Hunger und Krieg aufgriff und dagegen antrat. Dabei spielten die Revolutionäre eine wichtige Rolle, indem sie als erste - eben als Vorhut - diese Erfordernisse aussprachen und aktiv propagierten.

Wir sind heute nicht am selben Punkt. Das Bewusstsein über den Zusammenhang von Krieg und Krise ist noch nicht verbreitet. Die Arbeiterklasse ist aber auch nicht geschlagen, wir befinden uns nicht in einem Weltkrieg, sondern in einer Zeit, in der die Kriege von Seiten der Großmächte mit Berufsarmeen geführt werden. Bis jetzt ist es der Bourgeoisie nicht gelungen, die großen Proletariermassen in den Industriestaaten für eine aktive Beteiligung am Krieg zu mobilisieren. Diese passive Haltung reicht aber umgekehrt auch nicht aus, um die Fortsetzung der lokalen Kriege wie in Afghanistan, an der Elfenbeinküste oder am Persischen Golf zu verhindern. Der Krieg zeigt die Ausweglosigkeit, die mörderische Sackgasse des kapitalistischen Systems auf. Es ist deshalb heute die erste Aufgabe der Revolutionäre, diese Ausweglosigkeit aufzuzeigen. Wir müssen über das System reden, die Kriegsursachen aufzeigen, diejenige Waffe schmieden, ohne die das System nie gekippt werden kann: das Bewusstsein der Arbeiterklasse.

Die Auswirkungen der Lage auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse

Zum ersten Mal seit Anfang der 90er Jahre können die Konflikte zwischen den Großmächten nicht mehr glaubhaft als ein ‘Kampf um die gerechte Sache’ verkauft werden. Jedoch erscheinen in der jetzigen Lage die USA als einziger Kriegstreiber; eine Tatsache, die die Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse erschwert. Tatsächlich kann diese Situation ausgenutzt werden wie seinerzeit der Faschismus durch die Demokratie, womit bestimmte, dem Zerfall des Kapitalismus besonders ausgesetzte Teile der Arbeiterklasse verstärkt Opfer des Nationalismus werden können. Dies stellt ein umso größeres Hindernis für das Proletariat dar in Ländern wie Deutschland, Belgien oder Frankreich, deren Bourgeoisie (wenn sie keinen Rückzieher machen) als Kriegsgegner auftreten. Diese Schwierigkeit findet ihren Widerhall darin, dass auf der pazifistischen Demonstration am 15. Februar in Amsterdam belgische Fahnen geschwenkt wurden - in Anlehnung an die angebliche Friedenspolitik Belgiens. Jedoch ist diese Lage weit entfernt von den politischen Bedingungen der Vorbereitung des 2. Weltkriegs, da

- die Arbeiterklasse noch nicht geschlagen ist und das Versinken in die Rezession sowie die damit verbundenen Angriffe gegen die Arbeiterklasse als auch die zusätzliche Bürde der Kriegskosten ein Faktor der Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse sind.

- im Gegensatz zum Deutschland der 30er Jahre berufen sich die USA, das Land, welches heute ‘das Böse’ zu verkörpern scheint, weiterhin auf die Demokratie und hält genauso wie seine Rivalen bestimmte ‘demokratische’ Praktiken ein.

- es gibt nicht mehr zwei Blöcke, die jeweils um eine bestimmte Ideologie organisiert sind, sondern das ‘Jeder für sich’ herrscht vor, dessen Auswirkungen auf der imperialistischen Ebene notwendigerweise die Illusion der Existenz zweier Lager untergraben muss, von denen das eine Lager angeblich ‘demokratisch’ und das andere nur ‘schein-demokratisch’ wäre.

- die Lage wird Deutschland dazu zwingen, seine Militärausgaben mittels einer verstärkten Ausbeutung der Arbeiterklasse zu erhöhen, auch dies wird ein Faktor der Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse sein.

- die Kriegsziele bestimmter nationaler Bourgeoisien sind so offensichtlich, dass sie nicht verneint werden können. Deshalb ist die Bourgeoisie gezwungen, davon abzulenken, indem sie eine Karikatur dieser materiellen Kriegsziele hochhält (‘Krieg ums Öl’).

Darüber hinaus bilden sich innerhalb der Arbeiterklasse zur Zeit politisierte Minderheiten, die sehr wohl in der Lage sein werden, viel mehr als die Klasse insgesamt von der Entwicklung auf imperialistischer Ebene zu profitieren, um eine politische Klärung voranzutreiben, was auch unsere Organisation während der pazifistischen Demonstrationen feststellen konnte anhand einer erhöhten Aufnahmebereitschaft gegenüber unserer Presse und eine regere Teilnahme an unseren Diskussionsveranstaltungen.

25.02.03

Weltrevolution Nr. 118

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Agenda 2010

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Regierung und Gewerkschaften: Komplizen gegen die Arbeiter 

Deutschland steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Nachkriegsgeschichte. Seit nunmehr über zwei Jahren stagniert die deutsche Wirtschaft. Im ersten Quartal dieses Jahres ist sie gar geschrumpft, womit die prognostizierten (ohnehin bescheidenen) 0,75 Prozent Wachstum für dieses Jahr obsolet geworden sind. Und je dramatischer die Hiobsbotschaften über Arbeitslosenraten und Staatsverschuldung ausfallen, desto frenetischer wird der Chor derjenigen, die eine ”Modernisierung der Deutschland AG”, den ”Umbau des Sozialstaates”, eine ”Reform an Haupt und Gliedern” fordern. Mit anderen Worten: Je tiefer Deutschland in die Krise rutscht, desto unverblümter werden die Angriffe gegen die Arbeitenden und Erwerbslosen dieses Landes.

Die Agenda 2010: Teile und herrsche

Im Windschatten der schon seit Monaten währenden Medienkampagne über die “deutsche Krankheit“ holt Rot-Grün nun zum zweiten Schlag gegen unsere Arbeits- und Lebensbedingungen aus. Nachdem die Schröder-Regierung in ihrer ersten Legislaturperiode erfolgreich die sog. Renten- und Steuerreform durchgeboxt hatte, ist sie nun im Begriff, einen Schritt weiter zu gehen in ihrer ”Sparpolitik” gegen die Arbeiterklasse. Kern der Agenda 2010 sind der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung durch Unternehmen und Beschäftigten zu Lasten Letzterer, die Halbierung der Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung für ältere Beschäftigte von 32 auf 18 Monate, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und die Lockerung des Kündigungsschutzes für Beschäftigte in Kleinbetrieben. Hinzu kommen noch kleinere Grausamkeiten wie die Erhöhung der Tabaksteuer und die Privatisierung des Krankengeldes.

Zweifellos werden die Angriffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse immer massiver. Dennoch zeichnet sich die Agenda 2010 dadurch aus, dass sie nicht nach dem Rasenmäherprinzip vorgeht, d.h. dass ihre geplanten Maßnahmen sich zwar gegen die gesamte Klasse richten, aber so konzipiert sind, dass die Arbeiter in ihren verschiedenen Lebenslagen beispielsweise als Beitragszahler in die Rentenversicherung einerseits und als jetziger oder künftiger Rentenbezieher andererseits gegeneinander ausgespielt werden.

Und es ist kein Zufall, dass es dabei diejenigen mit besonderer Härte erwischt, die zu den Schwächsten der Arbeiterklasse zählen: Arbeitslose, Kranke, Ältere, Beschäftigte von Klitschen. Doch daran ist nichts Neues. Diese Vorgehensweise entspricht dem uralten Herrschaftsprinzip aller Ausbeuterklassen, mit dem Mittel der Zwietracht einen kollektiven Widerstand der Unterdrückten zu verhindern. Wer weiß dies besser als die Sozialdemokratie, die es zu einiger Virtuosität auf diesem Instrument gebracht hat!

Und keiner versteht es besser als die Sozialdemokratie, selbst die brutalsten Angriffe noch als “Sozialreformen” zu verkaufen. So hat sich die Schröder-Regierung, neben der üblichen Blut-Schweiß-und-Tränen-Phraseologie, mit einigem Erfolg darum bemüht, einen nicht unerheblichen Teil der Klasse von den Vorteilen der Agenda 2010 zu überzeugen. Schließlich werde mit diesen Maßnahmen ja angestrebt, die Lohnnebenkosten, die mittlerweile über 40 Prozent betragen, zu reduzieren.

Die Linke und die Gewerkschaften – zwei kritische Weggefährten von Rot-Grün

Nicht anders verhält es sich mit den Protesten der SPD-Linken und der Gewerkschaften gegen die Agenda 2010. Anfangs in den Medien noch als “Aufstand” tituliert, ist die Drohung von zwölf Mitgliedern aus der SPD-Bundestagsfraktion, wegen “sozialer Unausgewogenheit” gegen die Agenda im Bundestag zu stimmen, schnell zur Lachnummer verkommen. Das sog. Mitgliederbegehren, mit dem sie die Agenda parteiintern angeblich kippen wollten, ist im Sande verlaufen. Einige Placebos (Ausbildungsabgabe für Unternehmen, Modifikationen in der Arbeitslosengeldregelung u.ä.) und ein paar Rücktrittsdrohungen Schröders reichten aus, um den Widerstand der “Rebellen” bröckeln zu lassen.

Auch der angekündigte “heiße Herbst” durch die Gewerkschaften ist mehr rhetorisches Wortgeklingel denn tatsächliche Absicht. Schon gibt es innerhalb des gewerkschaftlichen Lagers erste Absetzmanöver von diesem Kurs. Auch DGB-Chef Sommer trat nach einem Gespräch mit dem Kanzler reichlich zerknirscht an die Öffentlichkeit – offensichtlich überwältigt von der Notwendigkeit der bitteren Pillen, die der Arbeiterklasse verabreicht werden sollen.

Sowohl der Widerstand der SPD-Linken um Lafontaine und Schreiner als auch die geharnischten Proteste insbesondere der beiden größten Gewerkschaften, der IG-Metall und Verdi, sind nur Manöver zur Irreführung der Arbeiterklasse. Sie sind der Katalysator, an dem sich die Geister scheiden sollen. Zum einen verhilft das schlechte Licht, in dem die sog. “Traditionalisten” fast einhellig von der bürgerlichen Öffentlichkeit wahrgenommen werden, den Kanzler zu neuem Glanz als “Modernisierer”, der scheinheilig auf das weit verbreitete Gefühl innerhalb der Arbeiterklasse antwortet, dass es so nicht weitergehen kann. Zum anderen treibt das inszenierte Kesseltreiben gegen Gewerkschaften und SPD-Linke jenen Teil der Klasse, der sich der Logik des Kapitals nicht beugen will, zur Solidarisierung mit eben jenem gewerkschaftlichen und linken Flügel der SPD und damit auf das Terrain des Reformismus keynesianischer Ausprägung. Indem Lafontaine & Co. unbeirrt auf die längst untauglich gewordenen Instrumente des deficit spending setzen, um der Logik der Krise zu entkommen, verbreiten sie unter diesen kritischen Arbeitern die Illusion, als gäbe es noch eine Alternative zur Austeritätspolitik innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, und hindern sie somit daran, nach Alternativen außerhalb dieses mörderischen Systems zu suchen.

Die Austeritätspolitik: Die Bourgeoisie hat keine andere Wahl

In Wahrheit erlaubt das ganze Ausmaß der Krise heute keinen Rückgriff mehr auf die alten Palliativmittel der bürgerlichen Krisenmanager. Die astronomisch hohen Schulden des Staates, die nicht zuletzt durch die staatliche Wohlfahrts- und Subventionspolitik in den letzten drei Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts angehäuft wurden, sind heute selbst zu einem krisenverschärfenden Faktor geworden. So werden von den 248 Milliarden Euro im Bundeshaushalt allein 50 Milliarden für den Schuldendienst ausgegeben. Angesichts dessen ist die Bourgeoisie schlicht dazu gezwungen, die Flucht nach vorn anzutreten. Und das heißt: immer massivere Angriffe gegen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse zu richten.

Diese Krise ist nicht auf Deutschland beschränkt und schon gar nicht die Folge einer “deutschen Krankheit”. Es handelt sich hier vielmehr um einen globalen Wirtschaftsabschwung, der insbesondere die hochentwickelten Industriestaaten seit fast zwei Jahren im Würgegriff hält. Ob die USA, Großbritannien, Italien, Frankreich, Japan, etc. – überall hat die Wirtschaft mit Auftragsrückgängen und Insolvenzen zu kämpfen. Was wir heute erleben, ist eine weitere Etappe der kapitalistischen Produktionsweise auf ihrer “Reise nach Jerusalem”, ein weiterer Ausdruck der immer weiter zunehmenden Übersättigung der Märkte. Und ebensowenig wie der auf früheren Etappen der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise praktizierte Keynesianismus stellt auch die heutige Austeritätspolitik einen Ausweg aus dem prinzipiellen Dilemma der kapitalistischen Überproduktion dar.

Der einzige Ausweg aus dieser für die gesamte Menschheit fatalen Lage ist nichts Geringeres als die revolutionäre Umwälzung der Produktionsverhältnisse, d.h. die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Produktion um des Profits willen und ihre Ersetzung durch die gesellschaftliche Aneignung der Produktionsmittel und die Produktion um der Bedürfnisse willen. Diese Herkulesarbeit kann allerdings nur gelingen, wenn sich die Arbeiterklasse von allen Illusionen über die Reformierbarkeit des Kapitalismus befreit und wenn sie Hoffnung aus der eigenen Kraft schöpft.

23.5.2003

Dekadenz des Kapitalismus und der Untauglichkeit der Theorie des 'Operaismus'

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Im Artikel “Krise des Krieges und Grenzen des Kapitalismus” der Sonderausgabe von Wildcat zum Irakkrieg wird zu den Ursprüngen und Hintergründen dieses Krieges Stellung bezogen. “In den Debatten über das Für und Wider und die Gründe für die Bomben auf Bagdad geht es schon längst nicht mehr nur um die Situation im Nahen Osten. Es geht um die Frage, wie die Welt zukünftig regiert und beherrscht wird”. (S.7) Dabei geht es natürlich u.a. um die Rolle Amerikas in der Welt. Die Bush-Leute “haben zwar verstanden, daß ein weiteres ‚amerikanisches Jahrhundert’ äußerst fraglich ist. Aber sie denken in den vertrauten Kategorien staatlicher Hegemonie und eines gegebenen Rahmens von Weltwirtschaft, Währungssystemen und zwischenstaatlichen Machtverhältnissen. Wie in der linken Debatte werden diese Verhältnisse als der sichere Boden unterstellt, auf dem sich dann politische Veränderungen wie die Ablösung einer Supermacht durch eine andere vollziehen. Könnte es nicht sein, daß eben dieser Boden zur Zeit ins Wanken gerät? Daß so natürlich erscheinende Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens auf diesem Planeten wie Staat, Geld oder Unternehmen und Lohnarbeit sich in Krise befinden?” (S.8)

Wir halten schon mal fest: Die Krisenhaftigkeit von Staat, Geld oder Lohnarbeit und der Kampf um staatliche Hegemonie unter den imperialistischen Mächten werden einander hier gegenübergestellt. Während die marxistische Arbeiterbewegung seit bald 100 Jahren den Kapitalismus mitsamt seines Staatensystems in seiner historischen Niedergangsphase sieht, will uns Wildcat nachweisen, dass diese Krise ein neues Phänomen wäre, das nach einer nie da gewesenen Erklärung verlangt.

Produktionsweise und Niedergang des Kapitalismus

Um diese Sichtweise zu stützen, greift der Artikel auf alte Märchen der herrschenden Klasse vom Siegeszug des frisch expandierenden Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg zurück.

“In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand es nicht gut um den Kapitalismus. Nicht nur linke Kritiker, sondern auch konservative Denker sahen sein Ende und den Übergang zu einer anderen Form von Gesellschaft – die wurde damals meistens ‚Sozialismus’ genannt – voraus. Nach einer blutigen dreißigjährigen Schreckensphäre nahm diese Gesellschafsform aber noch einmal einen ungeahnten Aufschwung und konnte das Leben auf dem ganzen Planeten umkrempeln und dominieren. Politisch und militärisch stand dieser Aufschwung unter der Führerschaft einer neuen Macht, den USA..” (S.8)

Wildcat behauptet, dass diesem Aufschwung nichts Geringeres als eine neue “Produktionsweise” zugrunde lag. “Hinter den statistischen Zahlen verbirgt sich die Durchsetzung und anschließende Krise einer neuen Produktionsweise in den USA, die vor allem in der Organisation des Arbeitsprozesses und der Kontrolle der gesellschaftlichen Arbeit dem englischen Produktionssystem überlegen war.” (S. 8) “Sie übernahm dabei die technologisch weitentwickeltste Maschinerie aus England, nicht aber deren Arbeitsorganisation, die der Kontrolle der Unternehmer über den Arbeitsprozeß Grenzen setzte”. (S.9) Zwar klingt dieses - laut Wildcat –‚neue’ System nicht viel anders als der jugendliche Industriekapitalismus Englands mit seiner brutalen Proletarisierung der Landbevölkerung und der irischen Einwanderer sowie seiner Verwissenschaftlichung der Produktion, welche Marx zu seinen Lebzeiten analysierte. So behauptet der Artikel: “Das amerikanische System der Massenindustrie beruhte darauf, eingewanderte und bäuerliche Arbeitskräfte in einen durchorganisierten und geplanten Produktionsprozess einbinden zu können.” (S.9)

Laut Wildcat ermöglichte also die Ablösung der britischen durch die amerikanische Vorherrschaft in der Folge des 2. Weltkriegs, durch die Einführung einer neuen Produktionsweise, die Überwindung der krisenhaften Erschütterungen der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Um dieser Behauptung Glaubwürdigkeit zu verleihen, bedient sich der Artikel eines im Kreise “operaistischer” Theoretiker beliebten Kunstgriffes, indem er mit marxistischen Begriffen argumentiert, diesen Begriffen aber einen völlig anderen Inhalt gibt.

“Produktionsweise bezeichnet eine Phase dieser Ausweitung, bei der es gelingt, einen bestimmten Typus von Maschinerie, Arbeitsorganisation und Arbeitskraft so zu kombinieren, dass sich Kapital verwerten und der Klassengegensatz kontrollieren läßt.” (S.9) Hier wird der Eindruck erweckt, als ob die Umwandlung der Produktionsweisen verschiedener Entwicklungsphasen dem Kapitalismus entsprechen würden. Marx hingegen erzählt uns: “In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und moderne bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden.” (Zur Kritik der politischen Ökonomie. Vorwort. Marx-Engels-Werke Bd. 13, S.9) Demzufolge gibt es keine Möglichkeit der Entwicklung neuer Produktionsweisen innerhalb des Kapitalismus, um dessen Krise zu überwinden. Statt dessen unterscheidet Marx zwischen aufsteigenden und niedergehenden Phasen einer Produktionsweise. “Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein.” (Marx, ibid). Daraus folgt, dass die Niedergangskrise einer Produktionsweise keineswegs die Form einer allgemeinen Lähmung des Produktionsapparates einnimmt, sondern einen immer krisenhafteren “Widerspruch” der Produktivkräfte mit den vorhandenen Produktions- und Eigentumsverhältnissen mit sich bringt. Die “dreißigjährige Schreckensphase” des Kapitalismus nach 1914 – zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise ab 1929, vor allem aber der erste Anlauf zur sozialistischen Weltrevolution – läutet für den Kapitalismus dieser Phase die Kollision der Produktivkräfte mit den Fesseln der bürgerlichen Gesellschaft ein. Die sehr vorübergehende, relative, auf einige Weltteile beschränkte Stabilisierung des Kapitalismus nach 1945 machte diese Phase der “Kriege und Revolutionen”, welche die Kommunistische Internationale bereits 1919 feststellte, keineswegs rückgängig, im Gegenteil. Wenn der Kapitalismus aus sich heraus neue Produktionsweisen hervorbringen könnte, wie die Operaisten behaupten, könnte die jetzige Krise nicht ebenfalls durch eine neue bürgerliche “Produktionsweise” innerhalb des Kapitalismus gelöst werden? Der Wildcat Artikel stellt empirisch fest, dass dies bisher nicht eingetreten ist, ohne es theoretisch auszuschließen. “In den 90er Jahren wurde gleich zweimal mit lautem Getöse der Beginn einer neuen Produktionsweise verkündet: in der Krise Anfang der 90er Jahre das Modell der “schlanken Produktion”, der “Gruppenarbeit” und der flexiblen Zulieferketten. Nach diesem Hype des “Toyotismus” kam in der zweiten Hälfte der 90er Jahre der Hype des Internets und der “New Economy”. Aber beide Modelle führten zu keiner Verbesserung der Profitraten im nicht-finanziellen Unternehmenssektor.” (S.13)

Kapitalistische Dekadenz und das Wesen des Imperialismus

In der Wildcat-Darstellung erscheint die Zuspitzung der militärischen Auseinandersetzungen ebenfalls als das Ergebnis der Krise der amerikanischen Vormachtstellung bzw. der “amerikanischen Produktionsweise”. So werden die imperialistischen Kämpfe um die Weltherrschaft vor 1989, d.h. in der Zeit des Kalten Krieges, ausgeblendet bzw. völlig unterschätzt. “Anders gesagt: nicht weil sie als der besondere Staat USA auftraten, wurden sie hegemonial, sondern weil sie für die weltweite Kapitalistenklasse zur Verkörperung des neuen erfolgreichen Booms der kapitalistischen Produktionsweise in den 50er und 60er Jahren wurden. Es war die erneute materielle Ausweitung der kapitalistischen Produktionsweise und ihres Klassenverhältnisses, auf denen die politische Vormachtstellung der USA beruhte – und von der sie daher auch abhängig war.” (S. 10) Kein Wort darüber, dass die Bourgeoisien Westeuropas oder Japans vor allem deshalb die Vormachtstellung der USA freiwillig hinnahmen, weil sie den Schutz Washingtons gegenüber einer anderen mächtigen imperialistischen Bedrohung, nämlich die der Sowjetunion, benötigten. Die Genossen sehen nicht, dass der Imperialismus unzertrennbar mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Niedergangsphase verbunden ist und dass in dieser Phase keine Abnahme militärischer Spannungen möglich ist. Wenn sie, wie im Wildcat-Artikel, die Existenz des Ost-West-Gegensatzes überhaupt zur Kenntnis nehmen, dann nicht als Erklärung, sondern lediglich als Legitimation der US-Führung. “Die NATO diente den USA als Sicherung ihrer hegemonialen Stellung gegenüber Westeuropa, galt aber vertraglich als Verteidigung gegenüber dem Osten”. (S. 11)

Erst mit dem nun offensichtlich gewordenen Ende der US-Vorherrschaft scheint der Kapitalismus lt. Wildcat ein “Auslaufmodell” geworden zu sein. “Die heutige Umbruchsituation besteht nicht darin, daß in einem intakten Staatensystem einzelne Randstaaten ‚versagen’ oder eine hegemoniale Macht von einer anderen abgelöst wird – sondern daß sich die Form der Staatlichkeit, die gewaltsame Klammer um eine vom Klassengegensatz zerrissene Gesellschaft in der Krise befindet. Die Krise der USA als hegemonialer Macht im Staatensystem ist zugleich die Krise dieses Staatensystems und von Staatlichkeit überhaupt.” (S. 12) Was hier als eine völlig neue Erkenntnis zum Besten gegeben wird, hat bereits Lenin 1915 (also vor bald 90 Jahren) in seiner Schrift “Der Zusammenbruch der II. Internationale” festgestellt, indem er den Imperialismus als “Kampf der untergehenden, altersschwachen und verfaulten Bourgeoisie um die Aufteilung der Welt” (Lenin-Werke Bd. 21, S.204) und den 1. Weltkrieg als “ein(en) Krieg in der Epoche des letzten Entwicklungsstadiums des Kapitalismus” bezeichnete, “in der sich die bürgerlichen Staaten im nationalen Rahmen überlebt haben”. (“An die Redaktion des “Nasche Slowo”, Bd. 21, S.114)

Die Unfähigkeit des Operaismus, die geschichtlichen Entwicklung zu begreifen

“Better late than never”, sagen die pragmatischen Engländer. Und es sei erlaubt zu fragen, ob die Verspätung der Erkenntnisse Wildcats nicht zweitrangig ist, da die Genossen wenigstens den Ernst der heutigen Lage begriffen haben. Haben sie das aber wirklich? Kann man welthistorische Ereignisse wie den Irakkrieg überhaupt begreifen, ohne sie in einen korrekten, geschichtlichen Rahmen einzubetten? Wildcat entstammt nämlich einer politischen Denkrichtung – die des italienischen “Operaismus” – welche stets grundsätzlich die Bedeutung der Wirtschaftskrise und der imperialistischen Rivalitäten unterschätzt, bisweilen sogar verneint hat. Im vorliegenden Artikel führt Wildcat seine traditionelle Weigerung fort, Wirtschaftskrise und Imperialismus als objektive, eigenständige Faktoren der neueren Geschichte anzuerkennen. Vielmehr wird die jetzige Zuspitzung als Krise einer bestimmten Strategie des Kapitals gegenüber der Arbeiterklasse bewertet, die sie wie viele bürgerliche Soziologen den “Fordismus” nennen. Weit davon entfernt, das tatsächliche Niveau imperialistischer Spannungen heute zu begreifen, schreiben die Genossen: “Die Gegnerschaft von Machtblöcken und die Rivalität zwischen Nationalstaaten hatte in der ganzen Geschichte des Kapitalismus immer wieder verdeckt, daß der Inhalt der staatlichen Konkurrenz die gemeinsame Beherrschung des globalen Klassenkonfliktes durch die herrschende Klasse war.” (S.11) Dagegen hat der Marxismus stets behauptet, dass die gemeinsame Beherrschung des globalen Klassenkonfliktes der Inhalt der staatlichen Zusammenarbeit ist, während der Inhalt der staatlichen Konkurrenz der Kampf um die Aufteilung und Neuaufteilung der Welt ist. Doch nicht nur die alte These der Operaisten, dass der imperialistische Krieg in Wahrheit ein Krieg “gegen die Arbeiterklasse” sei, taucht in diesen Artikel wieder auf, sondern ebenfalls ihre alte – ebenso unmarxistische - Vorstellung von den Arbeiterkämpfen als Ursache der Wirtschaftskrise. “Das historisch Neue an der Krise in den 70er Jahren bestand in der aktiven Rolle, die das weltweite Proletariat in ihr gespielt hatte. Im Kampfzyklus 1968-73 hatten die weltweiten Jugendrevolten, die Kämpfe der FabrikarbeiterInnen im Norden und die Aufstände des Proletariats im Süden die kapitalistische Verwertung blockiert.” (S.12) Doch seit über 30 Jahren sind uns die Theoretiker des Operaismus eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie Streiks und Arbeiterdemonstrationen die “kapitalistische Verwertung blockieren” können....

Es wundert uns somit nicht, dass Wildcat selbst zugeben muss, von den jüngsten Ereignissen um den Irak, insbesondere aber von der Zuspitzung der Gegensätze zwischen den ehemaligen Verbündeten des “Westens” überrascht und überrollt worden zu sein.

Im Editorial ihrer Sonderausgabe zum Irak-Krieg lesen wir. “Als wir uns vorgenommen haben, eine Sondernummer gegen den Krieg zu machen, stellten wir uns das recht einfach vor. (...) Dann wurde es aber immer ‚verrückter’, warum will Bush unbedingt diesen Krieg durchsetzen? Warum sammeln sich um Schröders ‚Wahlkampfthema’ beeindruckende Koalitionen (Frankreich, Russland, ggf. China...). Wir haben gemerkt, daß da etwas Neues passiert und haben uns selber erstmal viel erarbeiten und klarmachen müssen”. Und weiter: “Angesichts der aktuellen Eskalationen waren wir aber doch überrascht, wie weitgehend diese Krise bereits das normale Funktionieren von Bündnissen, ‚Außenpolitik’ usw. ins Stocken bringt”.

Im Hauptartikel dieser Sonderausgabe (“Krise des Krieges und Grenzen des Kapitalismus”) heißt es weiter: “Als die Ablehnung des Kriegs durch die deutsche Regierung radikaler wurde, als sie ursprünglich gemeint war, als die Achse Paris-Berlin-Moskau vor die Scheinwerfer trat (...), da dämmerte es, dass wir einen epochalen Bruch erleben – das Ende einer Weltordnung, wie wir sie kennen.” Dabei war diese Weltordnung bereits 14 Jahre vorher, 1989, zusammengebrochen. Und seitdem hat es eine Reihe von Kriegen – zwei Golfkriege, die Balkankriege, der Afghanistankrieg, die Konflikte im Nahen Osten, in Afrika usw. gegeben, die nicht zuletzt bereits Stellvertreterkonflikte zwischen den ehemaligen westlichen Bündnispartnern darstellten! Doch nicht Unaufmerksamkeit oder ein etwaiges Unvermögen, politisch zu analysieren, hat Wildcat mit Blindheit geschlagen gegenüber dieser Entwicklung, sondern die alte operaistische “Überwindung” des Marxismus in Form der Theorien des “Fordismus” und von der Krise und des Krieges als angebliche “Strategien” gegen das Proletariat.

Die Prinzipienlosigkeit des Operaismus gegenüber der Bourgeoisie

Doch das Schlimmste an dieser theoretischen Verwirrung des Operaismus sind deren politische Folgen. Die Sichtweise, derzufolge der Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie der ausschließliche Motor der modernen geschichtlichen Entwicklung darstellt, führt dazu, jede Auseinandersetzung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft als einen Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital umzudeuten. Wenn das “Kommunistische Manifest” davon spricht, dass der Klassenkampf den Motor der geschichtlichen Entwicklung darstellt, wird damit weder verneint, dass diese Kämpfe mit objektiven wirtschaftlichen Entwicklungen einhergehen, noch, dass auch Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klasse selbst zu den Klassenkämpfen zählen, welche den Lauf der Geschichte mitbestimmen. Wenn man dies nicht theoretisch in Betracht zieht, bleibt man völlig ungeschützt gegenüber der Gefahr, reaktionäre Kämpfe innerhalb der Bourgeoisie zu unterstützen. Der Wildcat-Artikel schließt mit einigen erschreckenden Beispielen für diese Tendenz. So werden die nationalistischen Aufstände der Kurden und Schiiten im Irak am Ende des ersten Golfkrieges 1991, welche von den Amerikanern zuerst angezettelt und dann ihrem Schicksal überlassen wurden, völlig unkritisch als “soziale Aufstände” bezeichnet (S. 14). Außerdem werden die pazifistischen Demonstrationen vor dem jüngsten Irakkrieg mit ihrem großbürgerlichen Antiamerikanismus und kleinbürgerlichen Pazifismus, und sogar die angebliche Antikriegshaltung der meisten bürgerlichen Staaten als zumindest indirekten Ausdruck des proletarischen Klassenkampfes eingestuft! “Auf die ‚öffentliche Meinung’ sollten wir nicht allzuviel geben, aber in dem breiten Umschwenken der Regierungen auf der ganzen Welt gegen diesen Krieg kommt ein sozialer Gegensatz gegen Krieg und Herrschaft zum Ausdruck.” (S.12)

Wir meinen: Dieser Wildcat-Artikel bringt nicht die Tiefe der Krise des Kapitalismus, wohl aber die Krise des Operaismus, seine Untauglichkeit als theoretische Waffe im Dienste des Proletariats, klar zum Ausdruck.

Wildcat: Sisina Postfach 301206, 50782 Köln

 

Internationalistische Stimmen gegen den Krieg

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Neben den alten, gewachsenen und bekannten Gruppen des proletarischen politischen Milieus wie Battaglia Comunista, Communist Workers‘ Organisation, Le Prolétaire, Il Comunista, die eindeutig internationalistisch gegen den Krieg Stellung bezogen haben, hat eine Reihe von weiteren Gruppierungen und Zirkel den Irak-Krieg von einem internationalistischen Standpunkt aus angeprangert.

Wir möchten in diesem Artikel näher auf vier Flugblätter eingehen:

- “Gegen Krieg und kapitalistischen Frieden”, “Eine Initiative von der Syndikalistischen Initiative (SI), Gruppe Internationaler SozialistInnen (GIS), Aufbrechen Berlin, Aufbrechen Bielefeld und Einzelpersonen” (im Folgenden ‚gemeinsames Flugblatt‘ genannt),

- “Kein Krieg gegen den Irak, kein Frieden mit dem kapitalistischen System!” Herausgegeben von der (GIS)

- “Gegen kapitalistischen Krieg und Frieden” – verfasst von Genossen aus Bielefeld

- “Kein Krieg im Irak, kein Frieden mit dem kapitalistischen System” – verfasst von Proletarischer Zirkel, Frankfurt/Main

Der IKS liegen weitere internationalistische Stimmen auf deutsch gegen den Krieg vor, auf die wir aber in diesem Artikel nicht näher eingehen können (1) [6].

Auch wenn diese ‚Stimmen‘ gegenüber vielen Fragen keinen oder keinen ausgereiften, weil in der Entwicklung befindlichen Standpunkt haben, kann man sehen, dass sie bei dieser Prinzipienfrage einen unzweideutigen internationalistischen Standpunkt bezogen haben. Dies hebt sie ab sowohl von den linksbürgerlichen Gruppen wie Linksruck, SoZ, Spartacists, die zur ‚kritischen Unterstützung‘ des Iraks aufgerufen haben als auch von den ‚Anti-Deutschen‘ wie z.B. Bahamas, die zur Unterstützung der amerikanisch-britisch-israelischen Seite in den Nahostkonflikten aufrufen. Damit treten diese internationalistischen Stimmen nicht nur in einen Gegensatz zur bürgerlichen Linken der SPD und Rot-Grün, sondern stellen sich damit auch gegen all die Trotzkisten, Maoisten und Autonomen, von denen einige herstammen.

Da heute so viele Stimmen einen internationalistischen Standpunkt einnehmen, kann man eine Reifung zur Zeit des Vietnam-Krieges vor 30 Jahren feststellen, als eine ganze Heerschar von linken Gruppen zur Unterstützung der stalinistischen Guerrilla aufriefen und gegen die Internationalisten hetzte.

Auch gegenüber den Balkan-Kriegen in den 90er Jahren, als nur ganz wenige Gruppierungen einen internationalistischen Standpunkt gegen den Krieg äußerten, hat heute eine Reifung stattgefunden, die nicht nur in Deutschland zu beobachten ist.

Dies ist auf einen Reifungsprozess einer kleinen Minderheit zurückzuführen, die sich nicht durch die Propagandakampagne der herrschenden Klasse nach dem Zusammenbruch des Stalinismus 1989 hat irreführen lassen, sondern erkannt hat, dass in Russland nicht der Kommunismus zusammengebrochen ist und der Kapitalismus keineswegs “die Lösung für die Menschheit” anbietet.

Zudem hat die Entfaltung einer Vielzahl von Kriegen seit 1989 viele Politisierte, die zuvor bei der bürgerlichen Linken aktiv waren, dazu gezwungen, ihre Position zu überdenken. So fingen während der 90er Jahre schon viele dieser Leute an zu spüren, dass ihre bis dahin als Tabu geltende Unterstützung des Antifaschismus “problematisch” wurde und nicht zuletzt durch die Politik von “Rot-Grün” infragegestellt werden musste. Die Kriege der 90er Jahre, vor allem die Unterstützung der Bombardierungen Belgrads durch die NATO-Verbände – die von Rot-Grün als eine Verteidigung der Menschlichkeit gerechtfertigt wurde- , veranlasste sie, den Antifaschismus infragezustellen und sich damit de facto gegen die linksextremen Gruppen wenden, die ständig für solche Kriege mobilisieren.

Erklärung der Kriegsursachen

Auch bei der Erklärung der Kriegsziele der USA heben sich fast alle Stimmen ab von den üblichen Parolen und simplistischen ‚Erklärungen‘ der linkskapitalistischen Gruppen wie “Kein Blut für Öl”.

So lesen wir in dem gemeinsam verfassten Flugblatt “Gegen Krieg und kapitalistischen Frieden”: “Aber die Ölquellen im umkämpften Gebiet reichen wohl nicht aus, um der Komplexität internationaler Beziehungen gerecht zu werden... Nicht nur der Ostblock ist verschwunden, auch der Zusammenhang im Westen hat sich zugunsten der Konkurrenz aller gegen alle endgültig aufgelöst. Es konkurrieren nicht nur die einzelnen Wirtschaftsunternehmen miteinander, sondern eben auch die Staaten der Welt um möglichst gute Anlage- und Produktionsbedingungen weltweit. Nur bestehen nach wie vor enorme Unterschiede zwischen den Konkurrenten, sowohl was ihre Wirtschaftskraft als auch ihr Militärpotential angeht. In beiden Fällen hat die USA die Vorherrschaft, diese wird aber fortlaufend herausgefordert und in Frage gestellt, z.B. durch die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes. Die USA müssen und wollen auf diese Herausforderungen reagieren, dies geschieht mit ökonomischen Mitteln (Bsp. Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll) und eben auch mit der Ausspielung ihrer Militärmacht. Ziel ist die Verhinderung des Heranwachsens einer Macht, die den USA wirtschaftlich und militärisch ebenbürtig wird und damit die Konkurrenzsituation zu Ungunsten des amerikanischen Kapitals und Standortes verändert... Die “Achse des Friedens” zwischen Paris, Berlin und Moskau entsteht also nicht aus gemeinsamen pazifistischen Überzeugungen, sondern aus gemeinsamen, gegen die USA gerichteten Interessen. Die Koalitionen, die wir momentan erkennen können, sind aber nicht auf Dauer festgeschrieben, sie können durchaus wechseln...

Der Irak ist Teil des “Schachbrett(s), auf dem der Kampf um die globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird” (Brzezinski)... “Die derzeitige Konstellation wird bei den nächsten Kriegen nicht unbedingt von Bestand sein, so wie es beim Krieg in Afghanistan und den Kriegen im damaligen Jugoslawien eine andere Zusammensetzung von “Falken” und “Tauben” gab.” Oder: “Die vielfältigen diplomatischen Verstimmungen, Störmanöver und Ränkespiele haben die Interessensgegensätze der Großmächte in bisher ungeahntem Ausmaß zu Tage gefördert und die Geschäftsgrundlage von UNO, NATO und EU nachhaltig in Frage gestellt.” (Flugblatt GIS).

Nachdem die Interessensgegensätze zwischen den imperialistischen Rivalen so offen zutage treten, betonen alle, dass man für keine der kriegführenden Parteien Stellung beziehen darf. “ Kein Grund ist dies jedoch, sich im Kleinkrieg der verfeindeten kapitalistischen Brüder auf die Seite eines dieser imperialistischen Blöcke zu stellen. Kein Grund übrigens auch, das dabei unter die Räder gekommene irakische Regime zu verteidigen, das genauso wenig eine emanzipatorische Note aufweist wie irgend eine andere staatliche Entwicklungs- und Modernisierungsdiktatur. Daher ist auch jenen Kräften eine Absage zu erteilen, die in einer Volksfront mit arabischen Nationalisten eine irgendwie geartete fortschrittliche Komponente sehen. (Frankfurter Flugblatt)

Deutschland – Friedensengel? In allen Flugblättern wird vehement und ausführlich die deutsche imperialistische Politik an den Pranger gestellt.

“Nach 1989 standen für das vor Selbstbewußtsein strotzende Deutschland weitreichende Ziele zum Ausbau der eigenen Stellung im internationalen Konkurrenzkampf an. Außenpolitisch sollte sich die geballte Wirtschaftsmacht nun auch endlich in der Position Deutschlands innerhalb der EU und der UNO widerspiegeln. Dazu war eine entschlossene Demonstration der Macht und des Willens zur Machtausübung nötig. Höhepunkte waren die Vorreiterrolle der deutschen Außenpolitik bei der Vorbereitung des Krieges gegen Jugoslawien sowie die Beteiligung deutscher Truppen an diesem Krieg und dem in Afghanistan. Der Aufbau einer EU- Armee und schneller Eingreiftruppen auch mit dem Bundeswehradler machen deutlich, daß die Kette der Kriege nicht abreißen wird.”(gemeinsames Flugblatt)

Und die Genossen aus Frankfurt schreiben: “Mit dem Wiedererstarken Deutschlands und dem Eintritt ins offizielle Kriegsgeschehen seit dem Angriffskrieg auf Jugoslawien werden auch die unterschiedlichen Interessen zwischen den einzelnen Machtblöcken Deutschland/EU, USA/NAFTA, Japan/ASIAN - und zukünftig evtl. Russland/China/Indien mehr Präsenz bekommen, zumindest auf politischer Ebene, militärisch werden diese Auseinandersetzungen zumindest in den nächsten Jahren höchstens über Stellvertreterkriege ausgeführt werden. Im Moment mangelt es der deutschen Bundeswehr noch an genügend hochgerüsteten und einsatzbereiten Krisenreaktionskräften(2) [6]

Die Anti-Kriegshaltung der deutschen wie auch der französischen Regierung ist also Bestandteil eines Formierungsprozesses, dessen strategisches Ziel die Etablierung eines europäischen Rivalen zum US-Imperialismus ist. (Frankfurter Flugblatt).

Pazifismus – eine Waffe gegen die Arbeiterklasse

Und während bei den Anti-Kriegsprotesten weltweit Millionen auf die Straße gingen und bei vielen die Illusion entstand, hier würde ein großer Druck auf die Regierungen ausgeübt, unterstreichen die Flugblätter, dass pazifistische Proteste nichts gegen den Krieg ausrichten können. “Dominierend bei den breiten Protesten gegen den Bush-Krieg sind inzwischen ausgerechnet jene rot-grünen Kriegstreiber, die noch vor drei Jahren mit den absurdesten Begründungen bis hin zu infamen Auschwitz-Vergleichen die Bombardierung Jugoslawiens legitimiert und KritikerInnen ihres Kriegskurses als Spinner, Extremisten und Milosevic-Fans verleumdet haben. Und es sind die selben, von Schröder und Fischer bis Thierse und Vollmer, die vor etwas mehr als einem Jahr keine Bedenken hatten, im "Anti-Terror-Krieg" gegen Afghanistan kräftig mitzumischen... (Frankfurter Flugblatt). “Das heißt aber auch, daß der Appell an die deutsche Regierung, die französische Regierung oder an irgendeinen Staat in dieser Welt, für den Frieden einzutreten, den prinzipiellen Fehler beinhaltet, davon auszugehen, daß es “böse”/ aggressive Staaten und “gute”/friedliebende Staaten gibt. Oder aber der Appell entspringt der Illusion, die Konkurrenz zu zähmen ohne die Ursache, nämlich die kapitalistische Produktionsweise selbst abzuschaffen. Die Aufforderung des “Weiter so - Joschka”, “Halte durch - Gerd” zeugt mindestens von dieser Illusion”. (gemeinsames Flugblatt)

Die Verfasser des Flugblattes weisen dabei völlig zurecht auf die Tatsache hin, dass die Friedensbewegung den Zusammenhang zwischen der Aufrüstung Deutschlands und der Sparpolitik von Rot-Grün verschweigt. ”Ein Hinnehmen der sozialen Kürzungen ist also durchaus ein Beitrag zur Stärkung der deutschen Stellung im Konkurrenzkampf, was eben nicht zu mehr internationaler “Zivilität”, sondern zur aggressiven Interessenvertretung Deutschlands führen wird. Eine Friedensbewegung, die den Schulterschluß mit ihrer eigenen Regierung sucht, den sozialen Kahlschlag ignoriert und deren Aggressivität negiert, produziert bereits heute die moralischen Begründungen für die nächsten Kriege, da sie dem deutschen Staat einen grundsätzlich integren und friedliebenden Standpunkt zuschreibt”. (Gemeinsames Flugblatt).

Schließlich zeichnen sich die Flugblätter dadurch aus, dass sie den heuchlerischen Charakter der bürgerlichen Demokratie entblößen. “Die Demokratie hat sich als die effektivste Form der Verwaltung des Kapitalismus bewiesen” (gemeinsames Flugblatt)

Die Rolle der Arbeiterklasse

Während die Linksbürgerlichen lauthals “Stoppt den Krieg” rufen, betonen die Flugblätter, dass es keine unmittelbare Lösung gibt. Gegenüber der typisch kleinbürgerlichen Ohnmacht und Ungeduld etwa der Kasernenblockierer, weisen sie völlig zurecht auf die ausschlaggebende Rolle des Klassenkampfes hin.

“Deshalb kann die einzige Position [nur sein] ... der internationale Kampf der Proletarisierten gegen jede Art von Unterdrückung und Ausbeutung. Die Ursachen des Krieges liegen im kapitalistischen System, und die Beseitigung dieses Systems sowie seiner Nationen und Staatsmaschinerien ist folglich das einzige probate Mittel dagegen.” (Frankfurter Flugblatt)

In einem Umfeld, wo so viele Zweifel an der Arbeiterklasse geäußert werden, ist es um so wichtiger, dass die Betonung auf den Klassenkampf gelegt wird. “Dies alles allein verhindert noch keinen Krieg, aber bewußt oder unbewußt stehen diese Menschen im Widerstand zum Krieg und auch zum kapitalistischen Frieden mit seinem barbarischen Alltag. Die gemeinsame Realität der Stellung in der Produktion, der Zwang, zur Existenzsicherung seine Arbeitskraft zu verkaufen, ist die Gemeinsamkeit, aus der heraus wirksam gegen Krieg und kapitalistischen Frieden vorgegangen werden kann. (Gemeinsames Flugblatt)

“Die Klassenkämpfe waren schon immer das beste Friedensinstrument. Kämpft für Eure Interessen. Zerreißt die Lügen von Demokratie und Menschenrechten...” (Flugblatt Bielefeld).

Die Notwendigkeit einer Debatte

Während die Flugblätter bei den oben genannten Punkten alle mehr oder weniger an einem Strang ziehen, die IKS diese Stoßrichtung sehr begrüßt und unterstützt, gibt es bei der eigentlichen Kriegserklärung und der Einschätzung der Rolle des Krieges im Kapitalismus unterschiedliche Ansätze unter den internationalistischen Stimmen. So schreiben die Verfasser des Frankfurter Flugblattes:

“Imperialistische Kriege sind nicht einfach ein Systemfehler, ein zufällig auftretendes Ereignis, das sich aus widerstreitenden Interessen von Staaten und Konzernen und der Gier nach Öl entwickelt. Sie sind Ausdruck der Krise des kapitalistischen Weltsystems Ein erfolgversprechender Ausweg aus dieser ökonomischen Krise, wie sie momentan alle Industriestaaten erleben, liegt im Krieg. Dies ist der Weg, den momentan die USA wählen. Die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus macht die gewaltsame Zerstörung von Waren und Kapital, die Neuaufteilung von Märkten, Ressourcen und Einflusssphären - also Krieg zu einer zyklischen Notwendigkeit.” Wir sind schon ausführlicher auf diesen Argumentationsansatz in Weltrevolution Nr. 116 (Der imperialistische Krieg – eine Lösung für die Krise?) eingegangen und können hier aus Platzgründen unsere Argumente nicht wiederholen. Heute müssen sogar die kriegführenden Mächte USA und GB sogar zugeben, dass die erhofften Renditen aus dem Verkauf des irakischen Öls in den nächsten 10 Jahre kaum reichen werden, um das Land wieder aufzubauen, geschweige denn die astronomischen Kosten des Krieges selbst zu decken. Kurzum, bei diesem Ansatz, wo die militärischen Aspekte den ökonomischen unterworfen zu sein scheinen, erscheint der Krieg als ‚rationale Lösung‘ für etwas, was in Wirklichkeit eine unüberwindbare Sackgasse darstellt! Ist der Krieg eine Lösung oder eine Explosion der Widersprüche? Die anderen Flugblätter äußern sich nicht näher zum Verhältnis zwischen Wirtschaft und Krieg.

In dem Flugblatt aus Bielefeld wird der ‚Wahnsinn‘ des kapitalistischen Systems angeprangert und es wird betont, dass unsere Herrscher “pathologische Fälle [sind, die] in eine Therapie gehören und [sie] sollten uns nicht auch noch regieren und befehlen können...” “Das ganze kapitalistische System läuft völlig aus dem Ruder. Die Spirale von Krieg, Zerstörung, Hunger und Elend dreht sich immer enger und schneller.... Jeder Reformversuch, der sich in der Logik von Konkurrenz und Markt bewegt, ist zum Scheitern verurteilt, egal ob er im links- rechtsradikalen oder bürgerlich demokratischen Gewand daherkommt. Dieses System muss zerschlagen werden: Jeder weitere Tag seiner Existenz drückt uns ein wenig mehr die Luft ab.....

Eigentum an Produktionsmitteln, Markt, Handel, Konkurrenz, abstrakte Arbeit und Geld: Einst waren sie Motor der technologischen Entwicklung in Mangelgesellschaften. Sie haben ihre Entwicklungsfunktion schon seit langem verloren und bilden nur noch Hemmnisse der Menschheitsentwicklung.... (Bielefelder Flugblatt).

Die IKS geht voll mit dem Kern dieser Aussage konform – aber ist es nicht trotzdem unabdingbar zu unterscheiden zwischen der Entwicklung der kapitalistischen Widersprüche in seiner aufsteigenden Phase und der Explosion dieser Widersprüche, seitdem das System in seine Niedergangsphase eingetreten ist? Läuft man nicht Gefahr, es bei einer bloßen “Anklage” gegen das System zu belassen, die etwas zeitlos erscheinen mag, während man die qualitativ neue Entwicklung aufzeigen muss, in die der Kapitalismus seit dem 1. Weltkrieg eingetreten ist? Oder was ist genau damit gemeint, dass “etwas aus dem Ruder läuft”? Wenn man davon spricht, dass Markt, Handel, Eigentum an Produktionsmittel usw. einst Motoren der technologischen Entwicklung waren und nun zu Hemmnissen geworden sind, dann wäre es für die Klärung der Standpunkte wichtig, den Umschlag von einem Motor zu einem Hemmnis zu erläutern.

Auch in dem Flugblatt der GIS wird der Leser hier im Unklaren gehalten: “Kriege sind keine Betriebsunfälle oder eine Abkehr von der Norm des kapitalistischen Alltagsgeschäfts. Sie sind Ausdruck wachsender imperialistischer Konkurrenz in einem immer wahnwitzigeren Gesellschaftssystem.” Die Frage bleibt hier ungeklärt, ob der Kapitalismus ein dekadentes System geworden ist, wie es die Kommunistische Internationale bereits 1919 feststellte.

Im “gemeinsamen Flugblatt” wird nicht näher auf die tiefer liegenden Kriegsgründe eingegangen. Wenn man richtigerweise aussagt, “die Ölquellen im umkämpften Gebiet reichen wohl nicht aus, um der Komplexität internationaler Beziehungen gerecht zu werden”, wäre es auch hier nützlich, über die unmittelbare Situation hinausgehend einige Erklärungsansätze für die Funktion des Krieges zu bieten.

Diese mehr oder weniger ‚offenen‘ oder kontroversen Fragen sollten aus unserer Sicht weiter aufgegriffen und debattiert werden.

Deshalb unterstützen wir den Geist der Verfasser des Frankfurter Flugblattes, die zum Schluss ihres Flugblattes dazu aufrufen: “Stellungnahmen, Kritiken etc. können gerne an die Absenderadresse gerichtet werden, wir sehen unsere Position nicht als Doktrin und sind für sachliche und inhaltliche Debatten offen."

Weltrevolution

(1) [6] So haben z.B. die Unabhängigen Rätekomunisten- Revolution Times (Webseite) und die Initiative Linkskommunismus (Webseite) Flugschriften herausgebracht. In Weltrevolution Nr. 117 haben wir einen Teil des Textes der Initiative Linkskommunismus abgedruckt.

Das ‚gemeinsame Flugblatt‘ und das Flugblatt aus Bielefeld wurden mit keiner Adresse versehen.

(2) [6] Wir wollen aus Platzgründen nicht näher auf die Debatte eingehen, ob die Konfrontationslinie zwischen Handelsblöcken verläuft, so wie das in dieser Aussage angedeutet wird. Hier verwechseln die Genossen aus unserer Sicht Militär- und Handelsblöcke. In der Internationalen Revue Nr. 31 haben wir einen Artikel zur Europäischen Union und zur Rolle des Euros veröffentlicht, der sich eingehender mit dieser Frage befasst. Die IKS ist der Auffassung, dass die EU kein militärischer Block, sondern ein Handeslblock ist, der zudem auf imperialistischer Ebene gespalten ist, wie wir in andern Artikeln in dieser Zeitung dargestellt haben. Darüber hinaus hebt man in diesem Flugblatt nicht deutlich genug hervor, dass die USA aufgrund ihres Dilemmas immer mehr zur Gewaltanwendung gezwungen sind.

Nach dem Irakkrieg: US-Sieg schaft neue Probleme

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Die amerikanisch-britischen Truppenverbände brauchten weniger als einen Monat Kampfhandlungen im Irak, um die Lage militärisch unter Kontrolle zu bringen. Erneut haben die USA ihre erdrückende militärische Überlegenheit und vor allem ihre Fähigkeit zur Schau gestellt, diesen Militärapparat zur Umsetzung ihrer politischen Ziele einzusetzen. Die US-Besatzungstruppen im Irak haben die zweitgrößten Erdölreserven der Welt unter ihre Kontrolle gebracht, von denen Japan und bestimmte Industriestaaten Westeuropas wesentlich abhängen, so dass sie jetzt hinsichtlich der Lieferung eines Teils ihrer Energiequellen von der Gnade Washingtons abhängig sind. Der militärische Erfolg der USA im Irak hat Angst und Respekt eingejagt; mehr denn je zuvor haben die USA im Mittleren Osten eine dominierende Stellung eingenommen. Und trotzdem fangen jetzt erst die richtigen Schwierigkeiten der USA an.

Die militärische Überlegenheit der USA

Die ungleichen Kräfte konnten nur zu einem militärischen Sieg der USA führen. Es standen sich gegenüber: Eine gut ausgebildete und gut ernährte Berufsarmee, ausgerüstet mit der modernsten militärischen High-Tech; auf der anderen Seite eine auf der Flucht befindliche Armee, ohne Flugzeuge, mit veralteten Waffen, die kaum funktionierten, und Soldaten, die wenig Neigung zeigten, ihr Leben für die Verteidigung eines verhassten Regimes zu opfern. Vor dem Konflikt sagten die US-Medien einen Blitzkrieg dank der Erhebung der irakischen Bevölkerung voraus, die nur auf den Einzug der ‚Befreier‘ warten würden. Dazu kam es nicht, aber die Frage steht im Raum, ob dies keine absichtliche ‚Fehlprognose‘ im Dienste der Propaganda war, um dadurch Zögerungen gegenüber einem Kriegseintritt zu überwinden. Als Bush nach einer Woche Krieg warnte, dass der Konflikt lang und schwierig werden würde, konnte dies auch ein Täuschungsmanöver gewesen sein, um ein Gefühl der Erleichterung herbeizuführen, als ein amerikanischer Sieg schneller und weniger blutig als erwartet eintrat. Und das Gespenst einer Stadtguerrilla, das die eroberten Städte, insbesondere Bagdad für die Invasoren zu einer Hölle werden lassen sollte, ist auch nicht aufgetaucht. Tausende von Irakern wurden getötet oder schrecklich verletzt, die Lebensbedingungen der Bevölkerung haben sich unglaublich verschlechtert, viel Wut hat sich gegen die Besatzungstruppen entladen, dennoch sind die amerikanischen Truppen nicht mit einem ernsthaften bewaffneten Widerstand konfrontiert worden. Die massive Fluchtbewegung, auf die sich die Nachbarländer mit Zeltlagern vorbereiteten, entfaltete sich auch nicht.

Das Treffen des “Friedenslagers” in Moskau am 11. April, das nach dem Fall Bagdads stattfand, rechnete mit dem Auftauchen weiterer Schwierigkeiten der USA bei der Umsetzung ihrer Ziele im Mittleren Osten. So sprach Putin von den Besatzermächten im Irak: “Ich glaube, sie unternehmen alles, um eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden, aber die Probleme sind so groß, dass sie nicht dazu in der Lage sind.” Dann bezeichnete er die Ziele der USA als “Kolonialismus” (Le Monde, 13-14. April). Seitdem haben die USA ihre Position im Irak verstärken können, und die Kritiken haben eine ‚konstruktivere‘ Form angenommen.

Eine nicht zu bewältigende Lage

Unter diesen Umständen überrascht es nicht, dass die USA kategorisch die Forderungen der Europäer verworfen haben, mittels der UNO eine Rolle zu spielen, als sie behaupteten, ‚Europa‘ habe kein gemeinsames Projekt zu bieten, zudem seine tiefgreifenden Spaltungen in der Zeit vor dem Krieg deutlich wurden.

Aber die Errichtung einer Übergangsregierung im Irak bereitet den USA viel Kopfzerbrechen, da viele, im Gegensatz zueinander stehende Faktoren zu berücksichtigen sind, deren Wurzeln im Land selbst liegen.

Saddam Husseins Regime stand vor gewissen inneren Widersprüchen, angefangen mit den drei größten ethnisch-religiösen Gruppen im Land – Kurden, Schiiten, Sunniten, - die mit ihren jeweiligen Führern an der Spitze wenig Neigung zur Übereinstimmung zeigen. Um damit fertig zu werden, hielt Saddam Hussein die Kurden und Schiiten von allen Ebenen der Macht fern. Weil sein Regime in der gesamten Bevölkerung verhasst war, konnte Saddam Hussein sich nur durch Gewalt und Terror an der Macht halten. Unter diesen Umständen war es unvermeidlich, dass sobald dieser Riegel aufgebrochen war, die zentrifugalen Kräfte, die auf ein Versinken des Landes im Chaos hin wirkten, die Oberhand gewannen, genauso wie man es 1991 in Jugoslawien beobachten konnte. Mit dieser Situation müssen die USA fertig werden, ohne unmittelbare Aussicht dazu in der Lage zu sein, dass der Irak in ein ähnliches Korsett gesteckt wird, wie es Saddam Hussein mit dem Land tun konnte, da die USA mit dem Anspruch aufgetreten sind, jetzt ‚Demokratie zu bringen‘. Auch wenn die USA unvermeidlich die dominierende Rolle bei der Verwaltung des Landes eine Zeitlang übernehmen werden müssen, müssen sie diese Phase als eine Übergangszeit nutzen, um eine Verwaltung vorzubereiten, die gegenüber Uncle Sam selbständiger handeln kann. Dies ist der härteste Brocken, wenn man von den ersten Treffen der früheren Oppositionsgruppen in Nasariya ausgeht. Das Treffen am 15. April wurde von den vielen irakischen Fraktionen boykottiert. Auch Ahmed Chalabri, der Führer des Irakischen Nationalkongresses, der bislang als der heißeste Kandidat der USA für die Übernahme einer Führungsrolle galt, blieb dem Treffen fern. Diese Episode belegt, dass die US-Diplomatie nicht allen zusagt, aber sie zeigt auch, dass sie nicht umhin kann, sich auf Teile des alten Machtapparates von Saddam Hussein zu stützen, insbesondere der Teil des Apparates, der von den Stammesführern gestellt wurde. Deshalb wurden die Führer der Baath-Partei zu dem Treffen eingeladen, genauso wie die frühere Baath-Polizei wieder eingesetzt wurde, um die Ordnung in den Straßen aufrechtzuhalten.

Die Wucht der amerikafeindlichen Gefühle, die sich jetzt schon Bahn brechen, wurde ebenso anhand der massiven schiitischen Demonstrationen im Rahmen einer religiösen Pilgerfahrt nach Kerbala deutlich, die zeitgleich mit dem Treffen in Nasariya stattfand. Der Hauptslogan der Demonstranten war “Nein zu Saddam, nein zu Amerika, ja zum Islam!”, womit das Gespenst eines mit dem Iran verbundenen islamischen Staates aufkam, einer der Gründe, weshalb die USA es Saddam Hussein 1991 gestatteten, die Schiiten niederzuschlagen. Schiitische Geistliche haben schon angefangen, die Leere auszufüllen, die durch den Zusammenbruch des alten Regimes entstanden war. Sie haben ein Netzwerk von Milizen oder bewaffneten Gruppen errichtet, die sicherlich sehr zögern werden, ihre Waffen einer vielleicht entstehenden weltlichen Behörde auszuliefern.

Und die antiamerikanischen Ressentiments sind nicht auf die Schiiten begrenzt. An den wütenden Demonstrationen in Mosul, die von amerikanischen Truppen gewalttätig niedergeschlagen wurden, beteiligten sich hauptsächlich sunnitische Schiiten.

Dann gibt es das Kurdenproblem. Ihnen zuviel Einfluss im Norden des Iraks einzuräumen, insbesondere in der ölreichen Region um Kirkuk, birgt die Gefahr in sich, dass dadurch die Grundlagen für einen separaten kurdischen Staat geschaffen würden. Dies wäre für die Türkei nicht hinnehmbar, da dadurch nur die separatistischen Bestrebungen der kurdischen Nationalisten in der Türkei Auftrieb erhalten würden. Bislang haben die USA alles unternommen, um eine Provokation der Türkei zu vermeiden, insbesondere da die Türkei immer enge Beziehungen zu Deutschland unterhalten hat. Als kurdische Peshmergas (Guerrilla-Kräfte) in Kirkuk einmarschierten, verlangten die USA sehr schnell deren Abzug, um sie durch ihre eigenen Truppen zu ersetzen.

Auf der anderen Seite, wenn die kurdischen Nationalisten im Norden keinen größeren Spielraum bekommen, könnten sie noch mehr Forderungen stellen und das Machtvakuum ausnutzen und ihre eigenen Machtstrukturen vor Ort aufbauen. Dies wiederum könnte die Spannungen zwischen der kurdischen und arabischen Bevölkerung verschärfen, die schon bei der Eroberung Kirkuks durch die Peshmergas spürbar wurden.

Aber eine weitere Schwierigkeit entsteht mit dem Wiederaufbau des Iraks. Die USA müssen hier gewisse Erfolge aufweisen können, wenn sie ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit behalten wollen, obwohl sie schon ein großes Misstrauen auf sich gezogen haben, nachdem sie die lukrativsten Verträge US-Firmen zugeschoben haben (von denen die meisten zudem direkt mit führenden Leuten der herrschenden Clique in Washington verbunden sind). Zur Finanzierung des Wiederaufbaus werden die USA auf die Ölquellen des Iraks zurückgreifen müssen. Um die Ölförderung aber auf das Niveau von vor 1991 hochzufahren, sind mindestens zwei Jahre nötig, während derer mit keinen Profiten zu rechnen ist. Und wer soll das alles bezahlen? Und welche Garantie gibt es, dass nach Erreichen dieses Ziels der Erhöhung der Ölförderung auf das Niveau von vor 1991 die anderen Ölförderländer nicht darunter zu leiden haben werden, wenn dadurch die Ölpreise fallen sollten?

Die Gefahr der Isolierung des US-Imperialismus

Jahrelange, nahezu bedingungslose Unterstützung Israels durch die USA, auch seitdem Israel mit eiserner Hand in den besetzten Gebieten gegen die palästinensische Bevölkerung vorgeht, haben den Antiamerikanismus und eine Israel-feindliche Haltung in der arabischen Welt verstärkt. Dies birgt jetzt die Gefahr in sich, dass die US-amerikanische Besetzung des Iraks bewirkt, dass die Ablehnung gegenüber den USA in eine offene Feindschaft umschlagen könnte. Um solche Gefahren einzudämmen, die die Rivalen der USA auszuschlachten versuchen würden, hatte Washington keine andere Wahl, als seinen treuesten und mächtigsten Verbündeten in der Region dazu zu zwingen, auf seine Besiedlungen zu verzichten und der Bildung eines palästinensischen Staates zuzustimmen. Ob die USA dabei Erfolg haben werden, ist eine andere Frage.

Die Gefahr der Isolierung der USA beschränkt sich aber nicht auf den Mittleren Osten. Die Länder, die sich vor dem Krieg der “Antikriegsfront” anschlossen, mussten sich während des Krieges ‚ducken‘, aber seit dem Kriegsende spielen sie wieder mit den alten Tricks. So trafen sich Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland, um eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik zu diskutieren, Blair erhielt von Putin in Moskau eine Abfuhr, in der UNO wird der Streit um die Rolle der UNO beim Wiederaufbau des Iraks und der Besetzung der irakischen Verwaltung fortgeführt. Selbst Großbritannien musste sich von den USA nach dem Krieg distanzieren und schloss sich der Forderung an, dass die UNO im Irak eine entscheidende Rolle zu spielen habe. Auch hat Großbritannien schon klargestellt, dass es nicht bereit wäre, nach dem Irak-Abenteuer einen sofortigen Schlag gegen Syrien mitzutragen. Die Erfahrung zeigt, dass die Rivalen der USA nicht viel Zeit brauchen, um sich von der ‚Schock- und Terrorwelle‘ des US-Militärs zu erholen. Nur wenige Monate nach dem ersten Golfkrieg erhob Deutschland, das damals dazu gezwungen wurde, einen Großteil der Kriegsrechnung zu begleichen, seinen Anspruch als wiedererstarkende Großmacht, als es den Balkankrieg anzettelte. Und heute sind die imperialistischen Rivalitäten zwischen den Großmächten viel deutlicher und schärfer zutagegetreten.

Ungeachtet der vorübergehenden Vorteile, die der US-Imperialismus aus seinem militärischen Sieg im Irak erzielen konnte, können die USA nicht umhin, neue Probleme und neue Konflikte anzufachen. Aber ihre Rivalen sind ebenso gezwungen, Öl auf das Feuer dieser Konflikte zu gießen. Der Kapitalismus hat insgesamt nur eine einzige Zukunft anzubieten: eine wahnsinnige Spirale des Militarismus und Kriege, die die Menschheit ins Verderben stürzen. LW (Anfang Mai 2003)

15 Mrd. Haushaltslücke bei 2004, keine Tabus....

Weltrevolution Nr. 119

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Agenda 2010, Rentenkürzungen in Europa

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Die Arbeiterklasse muss massiv zurückschlagen 

Gegen den Frontalangriff auf die Renten in Frankreich und …sterreich haben ganze Bereiche der Arbeiterklasse mit einer Entschlossenheit den Kampf aufgenommen, wie es sie seit Ende der 80er Jahren nicht mehr gegeben hat. In Frankreich versammelten sich Tausende von Arbeitern aus dem staatlichen, aber auch aus dem privaten Sektor wochenlang zu Demonstrationen: Am 13. Mai fanden sich anderthalb Millionen auf den Strassen der wichtigsten StŠdte. Allein die Pariser Demonstration vom 25. Mai konnte nahezu eine Million Proletarier, die vom 3. Juni nochmals 750â000 mobilisieren. Der staatliche Bildungssektor, der den heftigsten Angriffen ausgesetzt war, stand an der Spitze der Kampfbereitschaft dieser Bewegung in Frankreich. …sterreich, wo es im Bereich der Renten Angriffe von der Art wie in Frankreich gab, sah die massivsten Demonstrationen seit Ende des Zweiten Weltkriegs: mehr als 100â000 Personen am 13. Mai, nahezu eine Million (in einem Land von weniger als 10 Millionen Einwohner) am 3. Juli. In Brasilia protestierten Zehntausende gegen die linke Regierung um Lula, die ebenfalls die Renten kŸrzen will.

Die Bourgeoisie zwingt die Arbeiterklasse, die Lasten der Krise des Kapitalismus zu tragen

Weltweit versinkt die Wirtschaft immer mehr in der Rezession. Der Bourgeoisie gelingt es nicht mehr, den Kredit als Faktor des Wiederaufschwungs einzusetzen. Damit werden all diejenigen Stimmen dementiert, die meinten, der Irakkrieg wŸrde die Weltwirtschaft wiederankurbeln, wo er diese doch in abgrundtiefe Not brachte. TatsŠchlich rissen Krieg und andauernde Besetzung in erster Linie ein Loch in die amerikanische Wirtschaft (eine Milliarde Dollars pro Woche fŸr die Besatzungsarmee) und ebenso fŸr die britische.

Das zweite Merkmal der wirtschaftlichen Situation ist die Flucht nach vorn in einen immer gršsseren Schuldenberg. Der Kapitalismus wird dazu gezwungen, zunehmend gleichzeitig auf allen Ebenen die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse anzugreifen. Um indessen den gleichzeitigen Ausbruch sozialer Konflikte zur selben Frage in verschiedenen LŠndern zu vermeiden, liegt es natŸrlich in ihrem Interesse, den Rhythmus dieser Angriffe je nach Land vorauszuplanen und zu koordinieren.

Nun sind alle Sozialbudgets ins Visier der Bourgeoisie geraten.

Ein Wendepunkt in der Verschaerfung der Angriffe

Der Mythos der äsozialen Errungenschaftenä wird zerstšrt. Das Wesen dieser neuen Angriffe ist bedeutsam. Sie zielen auf die Renten, auf die Arbeitslosengelder und auf die Ausgaben im Gesundheitswesen. Mehr und mehr entblšsst sich die zunehmende UnfŠhigkeit der bŸrgerlichen Klasse, den Wohlfahrtsstaat zu finanzieren.

In Frankreich sollen die BeitrŠge zur Altersvorsorge nunmehr fŸr eine Dauer von 40 anstatt wie zuvor von 37,5 Jahren bezahlt werden, um die ävolle Renteä zu erhalten.

Folgt man der offiziellen Propaganda, so ist der fŸr das Defizit der Rentenkassen verantwortliche Faktor ein rein demographischer, die ä†beralterungä der Bevšlkerung, der zu einer unertrŠglichen äBŸrdeä fŸr die Wirtschaft wird. Es gebe nicht genŸgend äJungeä, um die Renten einer wachsenden Zahl von äAltenä zu bezahlen. In Wirklichkeit aber steigen die Jungen zunehmend spŠter in den Arbeitsprozess ein, nicht nur aufgrund der VerlŠngerung der Schulzeit, welche mit dem technischen Fortschritt in der Produktion notwendig geworden ist, sondern noch vielmehr, weil es immer schwieriger wird, ArbeitsplŠtze zu finden. Die Hauptursachen der sinkenden BeitrŠge und Defizite im Rentensystem sind in Wirklichkeit die unaufhšrliche Zunahme der Arbeitslosigkeit. TatsŠchlich ist ein Grossteil der Arbeitgeber nicht daran interessiert, in ihrer Belegschaft die Šlteren ArbeitskrŠfte zu erhalten, die im Allgemeinen bei geringerer Leistung und schlechterer äAnpassungsfŠhigkeitä besser bezahlt werden als die Jungen. Hinter den Floskeln Ÿber die Notwenigkeit lŠngerer Arbeitszeit verbirgt sich vor allem eine massive Reduzierung des Rentenniveaus. Zudem sollen die Krankenkassen 600 Medikamente nicht mehr bezahlen.

Auch in …sterreich zielen die Angriffe primŠr auf die Renten. Dort wird die Dauer der Beitragszahlungen auf 42 Jahre, fŸr einen Grossteil der ErwerbstŠtigen gar auf 45 Jahre erhšht. FŸr viele bedeutet das KŸrzungen von bis zu 40%.

In Deutschland greift die rot-grŸne Regierung mit der Agenda 2010 mehrere äsoziale Errungenschaften ä gleichzeitig an. In den Niederlanden, Polen und Brasilien gibt es Massnahmen gleicher Art.

Es zeigt sich also, dass, egal ob linke oder rechte Regierungen am Ruder sind, dieselben Angriffe umgesetzt werden. Heute hŠufen sich massive EntlassungsplŠne. Gegen diese qualitative VerschŠrfung der Krise und der daraus folgenden Angriffe gegen die Lebensbedingungen hat sich die Arbeiterklasse in den KŠmpfen der letzten Zeit mobilisiert.

Das KraefteverhŠltnis zwischen den Klassen

ZunŠchst muss man bei diesen KŠmpfen unterstreichen, dass sie eine eindeutige Widerlegung aller ideologischen Kampagnen sind, die in Folge des Zusammenbruchs des Ostblocks und der stalinistischen Regimes in unsere Reihen hinein propagiert wurden. Nein, die Arbeiterklasse ist nicht verschwunden! Nein, ihre KŠmpfe gehšren nicht der Vergangenheit an!

Sie weisen darauf hin, dass die Perspektive noch immer hin zu Klassenkonfrontationen weist. Dies trotz der Verwirrung und dem enormen RŸckgang des Klassenbewusstseins,

welche durch die ErschŸtterungen in den Jahren nach 1989 ausgelšst worden waren. Angesichts dieser Situation zwingen die Angriffe der Bourgeoisie und des Staates das Proletariat dazu, sich erneut auf dem Klassenterrain zu behaupten und sich die vergangenen Erfahrungen des Kampfes wiederanzueignen. Die Arbeiter werden von Neuem die Erfahrung der Sabotage ihrer KŠmpfe durch die Kontrollorgane der Bourgeoisie, die Gewerkschaften und linken Parteien machen mŸssen. Von noch entscheidenderer Bedeutung sind die tiefgreifenden Fragen Ÿber das Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft.

Die marxistische Methode hat immer auch die Strategie des Klassenfeinds untersucht. TatsŠchlich liefert das VerstŠndnis der Politik der Bourgeoisie im Allgemeinen den wichtigsten SchlŸssel zum VerstŠndnis des globalen KrŠfteverhŠltnisses. So hat auch Marx weitaus mehr Zeit, Papier und Energie gebraucht, um das Verhalten der Bourgeoisie zu untersuchen und ihre Ideologie zu entschleiern, um schliesslich die Logik, die Fehler und WidersprŸche des Kapitalismus aufzuzeigen, anstatt nur die ArbeiterkŠmpfe als solches zu beschreiben und untersuchen.

So untersuchte Marx in seiner BroschŸre Ÿber die KlassenkŠmpfe in Frankreich 1848 besonders die UrsprŸnge der Politik der Bourgeoisie. Auch Lenin proklamierte in seiner Schrift Was tun? von 1902: äDas Bewusstsein der Arbeitermassen kann kein authentisches Klassenbewusstsein sein, wenn die Arbeiter nicht lernen, ausgehend von konkreten und vor allem politischen, aktuellen Tatsachen und Ereignissen, die andere Klasse in ihrem intellektuellen, geistigen und politischen Leben zu beobachten (...) Diejenigen, welche die Aufmerksamkeit, die Beobachtung und das Bewusstsein der Arbeiterklasse nur oder hauptsŠchlich auf sie selbst konzentrieren, sind keine Sozialdemokratenä, sprich: keine RevolutionŠre. FŸr die ouvrieristischen, škonomistischen und rŠtistischen Tendenzen innerhalb der Arbeiterbewegung ist es schon immer typisch gewesen, die Untersuchung des Klassenfeindes zu vernachlŠssigen. Diese Sichtweise lŠsst die grundlegende Voraussetzung ausser Betracht, dass sich das Proletariat niemals in der Offensive befindet, solange wir uns nicht in einer direkt vorrevolutionŠren Situation befinden. In allen anderen FŠllen ist es also immer die Bourgeoisie in ihrer Stellung als herrschende Klasse, welche die Arbeiterklasse angreift und sie zu einer Antwort zwingt, die sich nicht nur den Aktionen der Arbeiterklasse anpasst und gezielt ihre Reaktionen vorherzusehen sucht. Sie verfŸgt Ÿber spezifische Instrumente, die ihr als Barometer fŸr die Stimmung in der Gesellschaft dienen: die Gewerkschaften.

Die Angriffsstrategie der herrschenden Klasse

Die herrschende Klasse greift die Arbeiter nie planlos an. Sie versucht, diese immer so stark wie mšglich zu schwŠchen. Dazu verwendet sie oft die Taktik, vorwŠrts zu drŠngen und Teile der sozialen Bewegungen zu isolierten Kampfaktionen anzustiften, bevor die breiten Arbeitermassen selbststŠndig die Initiative Ÿbernehmen. Das hervorragendste historische Beispiel ist die Niederschlagung der Berliner Arbeiter im Januar 1919, welche sich nach einer Provokation der sozialdemokratischen Regierung erhoben, aber vom Rest der Arbeiterklasse isoliert blieben.

Die gegenwŠrtigen Angriffe auf die Rentner in Frankreich, wie wir in der IKS-Presse ausfŸhrlich aufgezeigt haben, waren von derselben Strategie geleitet, die darauf abzielte, die Reaktion der Arbeiter, mšglichst in Grenzen zu halten. Weil die Bourgeoisie die KŠmpfe nicht gŠnzlich verhindern kann, muss sie den Arbeitern eine schmerzhafte Niederlage bereiten, damit die Arbeiterklasse erneut an ihrer FŠhigkeit, sich als Klasse gegen die Angriffe zur Wehr zu setzen, zu zweifeln beginnt.

Die Perspektive des Klassenkampfes

Heute erlaubt es die VerschŠrfung der Krise der herrschenden Klasse nicht mehr wie frŸher, das bisherige Rentenniveau zu halten und die gleiche medizinische Versorgung zu garantieren. Mit dem gleichzeitigen Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen immer weniger Arbeiter in en Genuss der Îvollenâ Renten. Von dem Moment an, wo die Arbeiter keinen Mehrwert mehr produzieren, werden sie fŸr den Kapitalismus zu einer Last und die beste Lšsung in der zynischen Logik des kapitalistischen Systems ist der mšglichst frŸhe Tod der Arbeiter.

Aus diesem Grunde hat der brutale und offene Angriff auf die Rentner eine starke Unruhe ausgelšst, welche sich durch ein Ansteigen der Kampfbereitschaft ausdrŸckt, aber auch dadurch, dass sich immer mehr Arbeiter die Frage stellen, welche Perspektive der Kapitalismus der Menschheit noch zu bieten hat.

1968 war einer der Hauptfaktoren fŸr das Wiedererwachen der Arbeiterklasse und ihrer KlassenkŠmpfe auf internationaler Ebene das brutale Ende der Illusionen, welche in der Wiederaufbauperiode geschŸrt worden waren. †ber eine ganze Generation hinweg herrschte auf dem Hintergrund der VollbeschŠftigung eine euphorische Stimmung, derzufolge sich die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse nach der Arbeitslosigkeit der 30er Jahre und dem Hunger und den Rationierungen des Krieges und der Nachkriegszeit stŠndig verbessern wŸrden. Bei den ersten Anzeichen der offenen Krise spŸrte die Arbeiterklasse nicht nur die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, sondern auch, dass es im Kapitalismus keine Zukunft gibt. Die Bedeutung der ArbeiterkŠmpfe ab Mai 1968 und das Wiederauftauchen einer revolutionŠren Perspektive hatten die bŸrgerlichen Mystifikationen der äKonsumgesellschaftä und der äVerbŸrgerlichung der Arbeiterklasseä vollstŠndig widerlegt. Die Tragweite der heutigen Angriffe weist zwar €hnlichkeiten mit der damaligen Zeit auf. Dennoch darf man diese beiden Perioden nicht gleichsetzen. 1968 stellte einen historischen Moment dar: das Ende einer mehr als vier Jahrzehnte dauernden Konterrevolution.

Heute erleben wir den Zusammenbruch dessen, was uns als Trost nach jahrelanger Arbeit zu miserablen Lšhnen versprochen wurde und wŠhrend zwanzig Jahren als StŸtzpfeiler des Systems gegolten hatte: die Rente mit 60, mit der Mšglichkeit, einen ruhigen Lebensabend zu gestalten, frei von materiellen EinschrŠnkungen. Heute sind die Arbeiter gezwungen, von der Illusion Abschied zu nehmen, sie kšnnten wŠhrend der letzten Jahre ihres Lebens dem entrinnen, was mehr und mehr fŸr sie unertrŠglich geworden war: die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, die dauernde Zunahme des Arbeitsvolumens und des Zeitdrucks. Entweder mŸssen sie lŠnger arbeiten, was eine VerkŸrzung jener Lebensphase bedeutet, in der sie endlich der Lohnsklaverei entfliehen kšnnten, oder bekommen, wenn sie nicht lange genug eingezahlt haben, eine Rente nahe oder unter dem Existenzminimum.

Der Angriff auf die Rentner betrifft alle Arbeiter und schlŠgt eine BrŸcke Ÿber den Graben, der sich zwischen den Arbeitergenerationen aufgetan hat, weil das Gewicht der Arbeitslosigkeit vor allem auf den Schultern der jungen Generationen lastet und bei ihnen ein GefŸhl des äno futureä auslšst. Aus diesem Grund fŸhlen sich alle Generationen von Arbeitern, auch die jŸngsten, betroffen. Dadurch kšnnen die Bestrebungen nach einer Einheit der Arbeiter gefšrdert werden.

Es reifen die Bedingungen, damit die Arbeiterklasse ihr Bewusstsein und ihre revolutionŠre Perspektive wieder findet. So kšnnen die Reaktionen der Arbeiter auf einer immer breiteren Ebene erfolgen, welche auch nationale Grenzen Ÿberschreitet. Langfristig kann so die proletarische KlassenidentitŠt wiedergewonnen und Schritt fŸr Schritt Illusionen Ÿberwunden werden, vor allem Ÿber die Reformierbarkeit dieses Systems.

Aus diesem Grunde ist die Krise der VerbŸndete des Proletariates. Doch der Weg, den die Arbeiterklasse gehen muss, um ihre eigene revolutionŠre Perspektive durchzusetzen, ist keineswegs ein einfacher. Er ist sehr lang, leidvoll, schwer und mit Fallen und Hindernissen gesŠt, die ihr der Klassenfeind zuhauf in den Weg legt.

Es ist eine Niederlage, welche die Arbeiter momentan in ihrem Kampf gegen die Angriffe auf die Rentner hinnehmen mŸssen, vor allem in Frankreich und …sterreich. Dennoch ist dieser Kampf eine positive Erfahrung fŸr die Arbeiterklasse, vor allem weil sie ihre Existenz und ihre Mobilisierung auf dem Klassenterrain wiedergefunden hat.

Angesichts der Angriffe, welche die herrschende Klasse gegen sie vorbereitet, hat die Arbeiterklasse keine andere Wahl als ihren Kampf zu entwickeln. Allem voran muss sie begreifen, dass die Gewerkschaften Organe zur Verteidigung der Interessen des Staates sind. DarŸber hinaus muss sie sich bewusst sein, dass sie in der Bourgeoisie einen Gegner hat, der zu manšvrieren versteht, um seine Klasseninteressen zu verteidigen und Ÿber ein ganzes Arsenal von Instrumenten verfŸgt, um seine Herrschaft zu schŸtzen: von der Polizei und ihren GefŠngnissen bis zu den linken Parteien, selbst diejenigen mit ärevolutionŠremä Anstrich (linksextreme Parteien, und hier vor allem die Trotzkisten). Ein Gegner, welcher Ÿber alle Mittel verfŸgt, um seine eigenen Lehren aus den vergangenen Klassenzusammenstšssen zu ziehen.

Wim 22. Juni

 

Frankreich: IKS-Interventionen in den Kämpfen gegen die 'Rentenreformen'

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Als die Arbeiterklasse in Frankreich auf den beispiellosen Angriff antwortete, den die “Rentenreformen” darstellen, war es sehr wichtig für die Revolutionäre, sowohl auf den Demonstrationen als auch in den zahlreichen, sich im Kampf befindlichen Sektoren, insbesondere jenen der Beschäftigten im nationalen Erziehungswesen, Präsenz zu zeigen.

Die Interventionen der IKS auf den Demonstrationen

Anders als die bürgerliche Linke und die vor Begeisterung überschäumenden Elemente, die hinter allem, was sich bewegt, das Gespenst der sozialen Revolution erblicken, ist es das Ziel von Revolutionären, präzise zu intervenieren und sich dabei eines Kompasses zu bedienen, nämlich der marxistischen Methode, die sich auf nahezu 200 Jahre Erfahrung der Arbeiterklasse stützt. Allein diese Methode kann ihnen dabei helfen, die Fallen des Immediatismus, der kleinbürgerlichen Ungeduld, zu umgehen, die sie nur zu Wasserträgern für die Basisgewerkschafter und den linksextremistischen Flügel des Kapitals machen würden.

Also traf die IKS-Sektion in Frankreich, sobald sich mit der Demonstration vom 13.Mai die Bewegung ausweitete, die Entscheidung, eine Beilage zu ihrem Hauptinterventionsmittel, der Zeitung Revolution Internationale, herauszubringen. Diese Beilage hatte die Aufgabe, das Ausmaß des Angriffes auf die gesamte Arbeiterklasse aufzuzeigen, die Manöver der Bourgeoisie zu analysieren, um diesen Angriff durchzuziehen, und die Rolle der Gewerkschaften beim Wiederaufleben der Klassenmilitanz zu denunzieren. Der Haupttenor unserer Intervention war es, die Arbeiterklasse dazu zu ermutigen, über die Tiefe der kapitalistischen Krise und über die Notwendigkeit dieser Kampferfahrung nachzudenken, die sie dazu befähigen kann, ihr Selbstvertrauen wiederzugewinnen und ihre Klassenidentität wiederzuerlangen. Gerade weil wir die Betonung auf die Notwendigkeit legten, einen allgemeinen Rahmen für eine Analyse vorzustellen, um dieses Nachdenken zu ermöglichen, entschieden wir uns, eine Beilage zu verteilen, und nicht ein agitatorisches Flugblatt. Für alle Demonstrationen, in Paris wie in den Provinzen, mobilisierte die IKS all ihre Kräfte und sammelte ihre Sympathisanten, um die Presse so gut wie möglich zu verkaufen.

Die Bilanz dieser Mobilisierung war sehr positiv: Unsere Verkaufszahlen brachen alle Rekorde. In der gesamten Geschichte der IKS hat unsere Organisation niemals so viele Publikationen auf einer Demonstration verkauft wie jetzt. Besonders auf den Demonstrationen, wo die IKS präsent war, ging unsere Beilage weg wie warme Semmeln.

Wir sagen dies nicht, um uns selbst zu lobhudeln oder weil wir meinen, am Rande einer Revolution zu stehen. Diese Verkaufszahlen bestätigen wie die zahllosen Diskussionen, die wir auf den Demonstrationen führten, einfach, dass trotz der Schwierigkeiten, denen sich die Arbeiter noch immer bei der Entwicklung ihrer Kämpfe und bei der Herbeiführung eines Kräfteverhältnisses gegenübersehen, das die Bourgeoisie zum Rückzug zwingen könnte, sie immer

noch Ausschau nach einer Perspektive halten. Die Tatsache, dass so viele Streikende den politischen Schritt machten, eine Zeitung mit dem Titel Révolution Internationale oder eine Beilage mit dem Titel ‚Die Zukunft gehört dem Klassenkampf’ zu kaufen, ist ein bedeutsames Zeichen für den Wechsel in der Situation des Klassenkampfes. Es bedeutet, dass heute die Arbeiterklasse beginnt, die Zukunft in Frage zu stellen, die der Kapitalismus für uns bereithält. Dieses Infragestellen, dieses Suchen nach einer Perspektive, selbst wenn es noch sehr konfus und embryonal ist, ist eine klare Widerlegung all der bürgerlichen Kampagnen, die dem Zusammenbruch der stalinistischen Regimes folgten, in deren Mittelpunkt das Argument stand, dass der Kommunismus gescheitert und der Klassenkampf vorbei sei.

Somit bestätigen diese massiven Angriffe die Gültigkeit dessen, was unsere Organisation seit 1968 sagt: Trotz aller Leiden, die sie mit sich bringt, ist die Krise der beste Verbündete des Proletariats.

Die Interventionen der IKS im Streik des nationalen Erziehungswesens

Die IKS-Intervention beschränkte sich nicht darauf, unsere Presse auf den Straßendemonstrationen zu verkaufen.

In den Kämpfen selbst, in den Vollversammlungen, besonders in jenen der Lehrer, intervenierten unsere Genossen und Sympathisanten, wo immer sie konnten, um zu versuchen, die Manöver der Gewerkschaften und ihrer ‚radikalen’ linksextremen Fußsoldaten zu kontern. All unsere Interventionen schlugen vor:

- die lebenswichtige Notwendigkeit der geographischen Ausdehnung der Bewegung von Beginn an gegen die Manöver der Gewerkschaften und Linksextremen, die danach trachten, die Arbeiter innerhalb ihrer Branchen einzusperren;

- die Notwenigkeit, die Souveränität der Vollversammlung zu schützen, welche als Diskussions- und Entscheidungszentrum über die Frage der Weiterentwicklung des Kampfes dienen müssen, und nicht als Befehlsempfänger der Gewerkschaftsbeschlüsse, die im Voraus getroffen werden;

- die klare und deutliche Entlarvung der Ausrichtung des Gewerkschaftsapparates, der tatsächlichen Praxis der Gewerkschaften, die, unter dem Mantel der Rufe nach Einheit, nur dazu dienen, die wirklichen Notwendigkeiten des Kampfes zu verschleiern.

So ergriffen unsere Genossen zum Beispiel auf einer regionalen Vollversammlung in Lyon, auf der ca. 500 Streikende versammelt waren, das Wort. Trotz des gewerkschaftlichen Sperrfeuers, das darauf abzielte, uns zum Schweigen zu bringen (mit Unterbrechungen wie “Fasst euch kurz”, “Sorgt erst mal dafür, dass eure Schule streikt”), war ein anderer Genosse, der im Gesundheitssektor arbeitet, in der Lage, in dieser Versammlung auf der Notwendigkeit zu bestehen, die Straße zu überqueren, um sich mit anderen Branchen zu treffen, die gleichermaßen unter den Angriffen gegen die Renten leiden. Seine Intervention wurde sehr aufmerksam verfolgt, und dies veranlasste das Präsidium, das Mikrophon auszuschalten. Doch trotz dieses Manövers setzte unser Genosse seine Intervention fort, indem er seine Stimme anhob. Er erhielt starken Applaus. In diesem Augenblick sah sich das Präsidium gezwungen, Notiz zu nehmen von der Orientierung, die von unseren Genossen vorgeschlagen wurde, nämlich die Notwendigkeit der geographischen Ausdehnung – aber lediglich als eine vage Perspektive, was die Linksextremen stets tun, wenn die Bewegung ihnen aus dem Ruder läuft.

Diese regionale Versammlung zeigte deutlich, dass die ‚radikalen’ Gewerkschaften gezwungen waren, diese Art von Manöver zu praktizieren, um zu vermeiden, selbst unter dem Einfluss unserer Interventionen ausmanövriert zu werden.

Sofern wir in der Lage waren, in den Versammlungen zu intervenieren, versuchten wir, konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Bei zahlreichen Gelegenheiten, in Lyon z.B., schlugen unsere Genossen folgenden Antrag vor: “Die regionale Vollversammlung ruft die Vollversammlungen anderer Branchen dazu auf, die Appelle zur Ausweitung des Kampfes durch das Entsenden möglichst starker Delegationen zu öffentlichen wie privaten Unternehmen wie Alstom, Werkstätten, SNCF, Oullins, RVI, TCL, Krankenhäuser, Rathäuser, etc. in die Tat umzusetzen (...) die regionale Vollversammlung ist der Auffassung, dass die verspäteten Gewerkschaftsappelle an andere Branchen, sich dem Kampf anzuschließen, einige am 27.Mai, andere am 2.Juni, wiederum andere am 3.Juni, genauso wie ihr Schweigen in anderen Branchen konkrete Akte der Teilung und Spaltung sind, die sich gegen die Notwendigkeit einer Einheit richten...” Dieser Antrag erhielt 24 Stimmen, 137 stimmten dagegen, und 53 enthielten sich. Die Abstimmung über diesen Antrag zeigte, dass es erste Anfänge einer Infragestellung der Gewerkschaftskontrolle über die Kämpfe und ihrer Sabotagemanöver gibt. Obgleich diese Infragestellung nur bei einer Minderheit stattgefunden hat, war die Intervention unserer Militanten kein Blitz aus heiterem Himmel. Bei etlichen Gelegenheiten wurden unsere Genossen dazu aufgefordert, ihre Interventionen auszuführen, manchmal verbunden mit der Einladung, zu anderen Versammlungen in der Branche zu kommen und dort zu sprechen, wo die gleiche Art von Fragen gestellt wurden. Zahllose Diskussionen fanden statt und werden noch immer fortgesetzt. In anderen Regionalversammlungen, wie z.B. am 21.Mai in Nantes, konfrontierten unsere Genossen direkt die Gewerkschaften, indem sie lautstark verkündeten, dass “die Einheit des Kampfes nicht die Einheit der Gewerkschaften bedeutet!” Sie wurden lauthals ausgebuht während ihrer Interventionen. Am Ende dieser Versammlung drückten lediglich fünf Streikende ihre Übereinstimmung mit unserer Position aus. Was wir durch das Echo auf unsere Interventionen in vielen Regionen gesehen haben, ist, dass es eine große Heterogenität in der Bewegung gibt, sowohl was den Mobilisierungsgrad angeht als auch bezüglich des Misstrauens gegenüber den Gewerkschaften.

In einer zweiten Phase, die ziemlich schnell einsetzte, wurde es klar, dass jede Möglichkeit für eine massive Entfaltung des Kampfes von den Gewerkschaften untergraben worden war. Unsere Genossen waren gezwungen, ihre Interventionen umzuorientieren, indem:

- sie aufzeigten, dass die ‚Nadelstichtaktik’ eine Falle war, die nur Erschöpfung und Demoralisierung zu verursachen drohte;

- sie die Gewerkschaften und die linksextreme Haltung entlarvten, ‚bis zum bitteren Ende zu kämpfen’, indem sie zu sterilen Kommandoaktionen von Minderheiten griffen (wie das Blockieren von Abiturprüfungen), was nur die Spaltung zwischen Streikenden und Nicht-Streikenden verstärken konnte;

- sie die Notwendigkeit aufzeigten, sich neu zu sammeln, um Konfusionen zu vermeiden, so kollektiv wie möglich zu diskutieren, ob man mit dem Streik fortfährt oder nicht, um eine Demoralisierung zu verhindern und sich darauf vorzubereiten, den Kampf später wieder aufzunehmen und bis dahin unsere Stärke aufrechtzuerhalten;

- sie die Notwendigkeit für die kämpferischsten und bewusstesten Minderheiten vertraten, sich neu zu sammeln, um ihr Nachdenken über die von der Bewegung aufgestellten Fragen zu fördern. Es hat bereits eine Reihe von Treffen solcher Elemente aus verschiedenen Branchen u.a. in Lyon, Nantes und Marseille gegeben.

In den folgenden Tagen hielt die IKS auch eine Reihe anregender öffentlicher Treffen über die Kämpfe in einer Reihe von Städten ab.

Heute ist klar, dass die Bewegung nicht stark genug war, um die Bourgeoisie zurückzudrängen. Die Arbeiterklasse hat somit eine Niederlage erlitten. Einmal mehr trachtet die herrschende Klasse danach, die Arbeiter dazu zu bringen, die falschen Lehren daraus zu ziehen, insbesondere die Idee, dass der Kampf Zeitverschwendung sei. Es liegt also in der Verantwortung der Revolutionäre, diesen Mystifikationen entgegenzutreten.

Daher entschied sich die IKS, ein Flugblatt zu verteilen, das die Bilanz aus dieser Erfahrung zieht, um der gesamten Klasse zu erlauben, so viel Lehren wie möglich aus dieser Niederlage zu ziehen, die Arbeiter dazu zu drängen, ihr Nachdenken zu vertiefen, und sie so dafür zu wappnen, wenn sie den Kampf gegen die Verschärfung der Angriffe, die bereits in einem Maßnahmenpaket über die soziale Sicherheit angekündigt sind, wieder aufnehmen. SM

Weltrevolution Nr. 120

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Die Arbeiterbewegung und die Unterdrückung der Frau

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Im Folgenden publizieren wir grössere Auszüge aus einem Leserbrief, dessen Verfasserin sich eingehend mit der Frage der Frauenemanzipation beschäftigt, gefolgt von unserer Antwort.

Leserbrief

"(...) Im Land der ‚Menschenrechte’, wie wohl auch in gewissen anderen Staaten, dreht sich die gesamte gesellschaftliche Organisation um männliche Selbstbezogenheit (...) Ob mit oder ohne Frauenhäuser, Frauenzirkeln oder Frauenversammlungen von heute oder aus der Zeit Rosa Luxemburgs, immer waren wir die Unterdrückten (...) Mittels dem Vorwand der allgemeinen Mischung der Geschlechter geraten die Frauen in eine völlig verzweifelte Lage, denn sobald sie in eine andere Stadt oder ein anderes Land ziehen und zudem keine Arbeitstelle haben, sind die Frauenräume, welche ihnen die Möglichkeit bieten würden, wieder Vertrauen in sich zu fassen, praktisch inexistent. Schon viele Frauen sahen sich dermaßen gezwungen, sich bestmöglich an diese Tatsache ‚anzupassen’, dass sie schlussendlich ihre eigene Stellung zu leugnen suchten (...) Man kann sagen, dass die Frau das Proletariat des Mannes bleibt, selbst wenn die bürgerliche Ehe aus der Mode geraten ist. Die ehelichen Pflichten, oder anders gesagt die eheliche Prostitution, wird zugunsten einer Frivolität umgangen, welche jede Übereinstimmung zwischen den Menschen verunmöglicht. Inmitten dieser Frivolität kann es keine Übereinstimmung zwischen den Menschen geben, insofern die Ungleichheiten der gesamten Gesellschaftsordnung nicht abgeschafft werden und die Beziehung unter den Menschen diejenige von Besitztum und Sklaverei bleibt. Um sich davon zu befreien, wäre es vielleicht nötig (...), dass die Frauen mehr Frauenräume zur Verfügung hätten; ohne diese werden wir nie einen wirklichen Kommunismus erlangen. Ist der Kapitalismus vielleicht männlichen Ursprungs? Ich denke nicht, aber einige hatten großes Interesse daran, den Wunsch nach Dominanz des einen Geschlechts über das andere auszunutzen, um sich an der Macht zu halten."

Unsere Antwort

Unsere Leserin bringt eine Frage zur Sprache, welche die Arbeiterbewegung seit ihren Anfängen beschäftigt hat. Der Grund liegt darin, dass sie nicht als partielle Frage aufgefasst werden kann, sondern einzig als ein die gesamte Menschheit betreffendes Problem. In seinen Pariser Manuskripten von 1844 drückte Marx die Frage folgendermaßen aus: "Das unmittelbare, natürliche, notwendige Verhältnis des Menschen zum Menschen ist das Verhältnis des Mannes zum Weibe. (...) Aus diesem Verhältnis kann man also die ganze Bildungsstufe des Menschen beurteilen. Aus dem Charakter dieses Verhältnisses folgt, inwieweit der Mensch als Gattugnswesen, als Mensch sich geworden ist und erfasst hat (...)" (Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW Bd 40, S. 535).

Diese Auffassung ist während der ganzen Entwicklung des marxistischen Gedankenguts wiederaufgegriffen und weiterentwickelt worden, auch von den Revolutionären des 19. Jahrhunderts, welche sich mit der Frage der Frauenunterdrückung in der kapitalistischen Gesellschaft beschäftigten (Bebel, Engels, Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, Alexandra Kollontai und Lenin).

Der "Feminismus": Eine Ideologie im Dienste der Bourgeoisie

Beinahe zwei Jahrhunderte, nachdem diese Frage der Frauenunterdrückung von den Marxisten zur Sprache gebracht wurde, hat diese an Aktualität nicht verloren. Zeugen davon sind die äusserst barbarischen Ausmaße in den islamischen Staaten, welche den Frauen den Zwang des Schleiers auferlegen (ebenso das Verbot der Arbeit oder Ausbildung), oder in den zahlreichen Staaten, wo die Frauen Opfer schlimmster sexueller Verstümmelungen sind. Fest steht, dass sicherlich nicht das Eingreifen der grossen westlichen Demokratien dieses Problem zu lösen vermag, so wie sie es vorgeben. Dies war die gelungene Absicht der bürgerlichen Propaganda, die zum Zeitpunkt der "Befreiung" Kabuls von den "rächenden Engeln" der zivilisierten Welt nach dem Sturz der Macht der Taliban entfesselt wurde. In den Ländern des "zivilisierten" Westens, wo das Ausmaß der Prostitution ständig zunimmt, werden immer mehr junge Frauen, kaum der Kindheit entwachsen, gezwungen, um zu überleben und dem Elend zu entfliehen, ihren Körper zu verkaufen, da sie keine Arbeit finden können (häufig sind sie afrikanischer Herkunft oder aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks). Heute sind die Frauen, mit der Entwicklung des Kapitalismus, in den Produktionsprozess integriert worden und dürfen an der Leitung staatlicher Institutionen teilnehmen (und sogar die Zügel der Regierung in die Hand nehmen). Nichtsdestotrotz bleibt die Frauenunterdrückung eine Realität. Die Quellen dieser Realität allerdings sind nicht in der "natürlichen" und "biologischen" Dominanz des einen Geschlechts über das andere zu finden.

Einzig der Marxismus, seine wissenschaftliche, materialistische, historische und dialektische Methode erlaubt, den Ursprung dieser Unterdrückung zu finden, und ist vor allem in der Lage, eine Lösung für dieses Problem aufzuzeigen.

Marx und Engels haben deutlich aufgezeigt, dass die Institutionen und Fundamente der bürgerlichen Ordnung historische Grundlagen haben. Sie sind entstanden in einem langen und komplizierten Prozess, verknüpft mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Ihre Ursprünge finden sich in den ökonomischen Grundlagen der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und in dem Aufkommen des Privateigentums. Im Rahmen dieser Antwort können wir nicht auf die gesamte, vom Marxismus im 19. Jahrhundert entwickelte Argumentation eingehen. Wir verweisen unsere Leserin auf das Buch von Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, welches diese historische Entwicklung sorgfältig analysiert, sowie auf unsere Artikel in der Internationalen Revue Nr. 81 und 85 (engl., franz., span.)

Unsere Leserin spricht eine für die Arbeiterbewegung fundamental wichtige Frage an. Die von ihr gewählte, im Grunde naive Vorgehensweise auf der Suche nach einer Antwort ist identisch mit jener der "feministischen" Bewegungen, welche Ende der 1960er Jahre vor allem in den Vereinigten Staaten aufkamen. Diese der feministischen Ideologie eigene Sichtweise besteht in der Annahme, dass der Ursprung der Frauenunterdrückung in der bürgerlichen Gesellschaft (wie übrigens in allen Klassengesellschaften) im "Wunsch nach Dominanz des einen Geschlechts über das andere" zu finden ist. Diese Annahme ist nicht nur falsch, sondern gefährlich. Sie führt sie zur ebenso irrigen Antwort: die Frauen müssen "Frauenhäuser (fordern), ohne diese erlangen wir nie einen wirklichen Kommunismus." Für den Marxismus bedeutet die Geschichte der Menschheit die Geschichte von Klassenkämpfen und nicht den Kampf der Geschlechter. Im Gegensatz zur feministischen Sichtweise (welche nichts anderes als eine linksextremistische Variante ist, gleich dem Antifaschismus), hat der Marxismus immer gegen die Spaltungen gekämpft, welche die Bourgeoisie inmitten des Proletariates - der einzigen Klasse, die fähig ist auf Weltebene eine wirkliche kommunistische Gesellschaft zu erbauen - zu fördern bestrebt ist. Denn was die Kraft des Proletariats und seine Fähigkeit zum Umsturz der bürgerlichen Ordnung ausmacht, ist allem voran die Verteidigung seiner Einheit als Klasse und die Bekämpfung jeglicher Spaltungen (rassische, nationale, geschlechtliche), welche die Bourgeoisie in seinen Reihen zu schaffen bemüht ist. Ansonsten spricht unsere Leserin zu Recht von den zur Zeit Rosa Luxemburgs existierenden Frauenversammlungen und Frauenzirkeln. Zunächst ist klarzustellen, dass es sich hierbei nicht um klassenübergreifende Zusammenschlüsse handelte, welche unterschiedslos sowohl die Arbeiterin als auch die Frau ihres Chefs vereinigten, sondern um Organisationen "sozialistischer Frauen" (1). Was aber Ende des 19. Jahrhunderts, während des aufsteigenden Kapitalismus, noch richtig war, gilt heute nicht mehr. Damals konnte der Kapitalismus der ausgebeuteten Klasse noch bedeutsame Reformen zugestehen. Sie waren also legitim, die kurzfristigen Forderungen von Seiten der Revolutionäre für die Frau, das Wahlrecht eingeschlossen, bei gleichzeitiger Warnung vor allen klassenübergreifenden Illusionen (2). In diesem Kontext also hatten die sozialdemokratischen Parteien die spezifischen Forderungen der Frauen zu unterstützen, insofern als letztere die Frauen zwar nicht unmittelbar von der kapitalistischen Unterdrückung befreiten, aber das Proletariat durch die Integration der weiblichen Arbeiter in den allgemeinen Kampf gegen die Ausbeutung und für den Sturz des Kapitalismus stärkten. So wandten sich selbst in dieser Epoche, als die Forderungen der Frauen vom Standpunkt des proletarischen Kampfes noch eine Bedeutung besaßen und zur Stärkung der Arbeiterbewegung beitrugen, die Marxisten stets gegen den bürgerlichen Feminismus. Der bürgerliche Feminismus ist weit davon entfernt, zur Einheit der Arbeiterklasse beizutragen, sondern fördert im Gegenteil die Spaltung innerhalb derselben, was bis zur Vertreibung von ihrem Klassenterrain geht, indem er die klassenübergreifende Ideologie fördert.

Mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine dekadente Phase, wo jegliche Kämpfe für Reformen veraltet und überholt sind, bedeuten die spezifischen Frauenbewegungen ein gefundenes Fressen für die herrschende Klasse und werden für den bürgerlichen Staat benutzt. Letztendlich bringen die von unserer Leserin befürworteten "Frauenräume" das Risiko einer neuen Ghettoisierung mit sich, welche die Arbeiterinnen vom Rest des Proletariats isolieren sollen, genauso wie die "Bewegungen für Immigranten" die immigrierten Arbeiter vom allgemeinen Kampf ihrer Klasse abhalten sollen.

Nur der Marxismus ist zu einer Antwort auf das Problem der Frauenunterdrückung fähig

Unsere Leserin bekräftigt gleichzeitig, dass "...die Frau das Proletariat des Mannes bleibt, selbst wenn die bürgerliche Ehe aus der Mode geraten ist." Diese Aussage beinhaltet einen richtigen Gedanken, den im Übrigen auch Marx und Engels bereits 1846 in der Deutschen Ideologie vorgestellt hatten: "Die erste Teilung der Arbeit ist die von Mann und Weib zur Kinderzeugung." Im Folgenden fügte Engels hinzu, dass "...der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällte zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche" (Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW Bd 21, S. 68).

Und ausgehend von der Tatsache dieses historischen Zusammenhangs versuchte er, die Verknüpfung zwischen dem Widerspruch zwischen den Geschlechtern in der monogamen Ehe und dem Auftreten einer in Klassen geteilten Gesellschaft zu verstehen.

Die Entdeckung des Privateigentums bildete den Schlüssel für die gesamte marxistische Auffassung, die einzige Methode, welche erlaubt, die materiellen, ökonomischen Wurzeln der vergangenen und gegenwärtigen Unterdrückung der Frau zu verstehen. In seiner Studie über den Ursprung der Familie schreibt Engels: "Die moderne Einzelfamilie ist gegründet auf die offne oder verhüllte Haussklaverei der Frau, und die moderne Gesellschaft ist eine Masse, die aus lauter Einzelfamilien als ihren Molekülen sich zusammensetzt. Der Mann muss heutzutage in der großen Mehrzahl der Fälle der Erwerber, der Ernährer der Familie sein, wenigstens in den besitzenden Klassen, und das gibt ihm eine Herrscherstellung, die keiner juristischen Extrabevorrechtung bedarf. Er ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat" (Engels, ebenda S. 75).

Aber diese Formulierung von Engels, von unserer Leserin übernommen (und die von der feministischen Ideologie aus dem Zusammenhang gerissen, um sie zu missbrauchen und zu verzerren), hat nichts mit einer "sexistischen" Absicht gemein. Die Bemühungen Engels bestanden darin, nachzuweisen, dass im Wesentlichen mit dem Aufkommen des Privateigentums die individuelle monogame Familie zum wichtigsten ökonomischen Gebilde der Gesellschaft geworden ist. In ihr waren, angesichts der durch das Geschlecht bestimmten Arbeitsteilung, die späteren Klassenwidersprüche im Keime schon enthalten. In diesem Sinne stellte Marx fest, dass die patriarchalische Familie aus der "bedeutenden historischen Niederlage des weiblichen Geschlechts" hervorgegangen ist, aus der Vernichtung des mütterlichen Rechts, und dass sie im Kleinen "alle diejenigen Antagonismen enthält, die sich in der Folge im grossen Maßstab, in der Gesellschaft und ihrem Staat, entwickeln werden."

Marx und Engels haben demnach deutlich gezeigt, dass die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts in der Geschichte der Menschheit mit dem Aufkommen der Monogamie (und ihren logischen Konsequenzen, dem Ehebruch und der Prostitution) aufgetreten ist. Letztere bildete die erste Familienstruktur, welche nicht auf natürlichen, sondern auf wirtschaftlichen Voraussetzungen gründet, das heisst auf dem Sieg des Privateigentums über das primitive und urwüchsige gemeinschaftliche Eigentum: "Herrschaft des Mannes in der Familie und Erzeugung von Kindern, die nur die seinigen sein konnten und die zu Erben seines Reichtums bestimmt waren - das allein waren die von den Griechen unumwunden ausgesprochenen ausschließlichen Zwecke der Einzelehe." (Engels, ebenda S. 68) (...) Die Monogamie entstand aus der Konzentrierung größerer Reichtümer in einer Hand - und zwar der eines Mannes- und aus dem Bedürfnis, diese Reichtümer den Kindern dieses Mannes und keines anderen zu vererben. Dazu war Monogamie der Frau erforderlich, nicht des Mannes (...)" (Engels, ebenda S. 77). Demnach hat der Marxismus im Gegensatz zu unserer Leserin und der feministischen Ideologie gezeigt, dass die Ungleichheit der Geschlechter, welche wir von vorhergegangenen Gesellschaftsverhältnissen geerbt haben, nicht die Ursache, sondern die Konsequenz der ökonomischen Unterdrückung der Frau ist. Diese Unterdrückung entstand mit dem erstmaligen Auftreten von Privateigentum. Dies geschah zuerst in den archaischen Gesellschaften, wo durch die Akkumulation von Reichtümern und die Entwicklung von Produktionsmitteln Schritt für Schritt der Weg zu einer in Klassen geteilten Gesellschaft frei gemacht wurde. Wenn die Frau so zum "Proletariat des Mannes" geworden ist, dann liegt dies nicht in dem Machtwillen des männlichen Geschlechts begründet. Der Grund liegt vielmehr darin, dass die Leitung des Haushalts in der patriarchalischen Familie (welche als historische Notwendigkeit entstanden ist, die es der Menschheit erlaubte von der von der Wildheit zur "Zivilisation" überzugehen) und noch stärker in der individuellen monogamen Familie ihren öffentlichen Charakter der nun überholten Hauswirtschaft des "Urkommunismus" verloren hatte. Während also in den archaischen Gesellschaften die Hauswirtschaft eine den Frauen anvertraute "öffentliche Industrie von gesellschaftlicher Notwendigkeit" war (so wie die Beschaffung der Lebensmittel den Männern übertragen war), so ist diese Hauswirtschaft in monogamen patriarchalischen Familie zu einer "individuellen Dienstleistung" geworden. Von nun an war die Frau ausgegrenzt von der gesellschaftlichen Produktion und wurde zu einer "ersten Dienerin" (Engels). Und erst mit dem Aufkommen der Großindustrie in der kapitalistischen Gesellschaft konnten der Frau die Tore zur gesellschaftlichen Produktion wieder geöffnet werden. Deswegen hat der Marxismus immer betont, dass es die Voraussetzung für die "Emanzipation" der Frau ist, als Proletarierin in die gesellschaftliche Produktion integriert zu werden. Nur in ihrem Platz innerhalb der Produktionsverhältnisse und in ihrer aktiven Teilnahme als Proletarierin im vereinten Kampf der Gesamtheit der ausgebeuteten Klasse liegt der Schlüssel für das Problem. Allein, indem die Frage im Rahmen der Klassen und von einem Klassenstandpunkt gestellt wird, kann das Proletariat eine Antwort liefern.

Mit dem Sturz des Kapitalismus und der Erschaffung einer wirklichen weltweiten kommunistischen Gesellschaft wird sich dem Proletariat unter anderem die Aufgabe stellen, das häusliche Leben wieder zu vergesellschaften, indem es auf universaler Ebene entwickelt wird (vor allem wird die Erziehung der Kinder nicht mehr die Aufgabe der Familie als Kernzelle der Gesellschaft und deren erste ökonomische Einheit sein, sondern die der gesamten Gesellschaft). Allein das Weltproletariat kann, wenn es das Halseisen des Privateigentums an Produktionsmitteln bricht, einen riesigen Sprung in der Entwicklung der Produktivkräfte machen, und ein für allemal dem Mangel ein Ende setzen. Damit kann es die Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit führen.

Mit der Errichtung einer neuen, auf dem Überfluss basierenden Gesellschaft kann die Arbeiterklasse ihre historische Aufgabe als Totengräber des Kapitalismus erfüllen. Es kann endlich den alten Traum der Menschheit verwirklichen, das der Urkommunismus zu realisieren nicht imstande war.

Entgegen der fälschlichen Ansicht unserer Leserin wird die Emanzipation der Frauen nicht das Werk des an spezifische Forderungen gebundenen Kampfes der Frauen, sondern dasjenige der gesamten Arbeiterklasse sein. Gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen oder sich selbst zu prostituieren um zu überleben (und im dekadenten Kapitalismus ist Prostitution nicht mehr allein das "Vorrecht" der Frauen), ist der proletarische Mann oder die proletarische Frau in einem System, das auf Profitsuche basiert, nichts anderes als eine Ware.

Diese Unterdrückung ist Bestandteil der Ausbeutung und Unterdrückung einer Gesellschaftsklasse, die aller Produktionsmittel beraubt ist. Sie wird erst durch die revolutionäre Tat dieser Klasse beendet werden, die sich nur durch die Befreiung der gesamten Menschheit vom Joch der kapitalistischen Ausbeutung befreien kann. Louise

(1) Es muss aber klargestellt werden, dass, während Clara Zetkin Vorsitzende der sozialistischen Frauenbewegung und Chefredakteurin der sozialistischen Frauenzeitschrift Die Gleichheit war, Rosa Luxemburg sich in dieser Bewegung nie aktiv betätigte. Sie widmete ihre ganze Energie dem Kampf für den revolutionären Marxismus gegen den Reformismus. Und der Name Clara Zetkins selbst steht geschichtlich in Verbindung mit ihrem Kampf gegen den imperialistischen Krieg und für die Gründung der KPD, vor allem an der Seite Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts und Leo Jogiches. Diese Beteiligung Clara Zetkins steht viel mehr im Vordergrund als ihre "feministische" Aktivität.

(2) Zur selben Zeit stellten einige Länder die Schaubühne bürgerlicher Kampagnen für das Wahlrecht der Frauen. England war das von dieser Bewegung am meisten betroffene Land. Hier waren die Forderungen von Anfang an von dem bürgerlichen Philosophen John Stuart Mill und dem konservativen Premierminister Disraeli unterstützt worden. Churchills Frau war eine ehemalige "Suffragette": diese Frauenforderung als solche hatte also keinen Hauch von etwas spezifisch Proletarischem.

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [7]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Teilbereichskämpfe [8]

Kein Zugang für Spitzel zu den öffentlichen Veranstaltungen der IKS

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Die IKS hat beschlossen, den Mitgliedern der angeblichen ”Internen Fraktion” der IKS (IFIKS) (1) [9] die Anwesenheit an den öffentlichen Veranstaltungen und Lesertreffen (Permanenzen) unserer Organisation zu verbieten. Es ist das erste Mal, dass die IKS einen solchen Entschluss fällt, und die Gründe dafür sollen öffentlich gegenüber den Elementen und Gruppen des proletarischen politischen Milieus und der gesamten Arbeiterklasse erläutert werden.

Dieser Entscheid folgt auf den Ausschluss derselben Mitglieder der IFIKS während des 15. Kongresses, der im Frühjahr 2003 abgehalten worden war (2) [9] und ist eine Folge der Gründe, die zu diesem Ausschluss geführt haben: Diese Leute haben eine Spitzeltätigkeit gegenüber unserer Organisation aufgenommen.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Die Tatsache allein, dass diese Leute aus der IKS ausgeschlossen wurden, bedeutete noch nicht, dass ihnen die Teilnahme an den öffentlichen Veranstaltungen unserer Organisation verwehrt gewesen wäre. Wenn die IKS beispielsweise jemanden wegen einer Lebensführung ausschließt, die unvereinbar ist mit der Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Organisation (wie die Drogensucht), so würde dies die betreffende Person nicht daran hindern, immer noch auf den öffentlichen Veranstaltungen der IKS zu erscheinen.

Weil sich diese Elemente aber entschieden haben, sich wie Spitzel zu verhalten, können wir ihre Anwesenheit an diesen Veranstaltungen nicht mehr hinnehmen. Dieser Beschluss der IKS wird bei jeder Person angewendet, die sich der Veröffentlichung von Informationen widmet, die die Arbeit der Repressionsorgane des bürgerlichen Staates erleichtern.

Unser Beschluss stellt in der Geschichte der Organisationen der Arbeiterbewegung keine Ausnahme dar. Diese Organisationen haben immer den Grundsatz vertreten, Spitzel rauszuschmeißen, um die Sicherheit der revolutionären Organisationen und ihrer Mitglieder zu gewährleisten.(3) [9]

Obwohl wir dieses Thema in den Spalten unsere Presse bereits behandelt haben (vgl. Weltrevolution Nr. 117: ”Polizeiähnliche Methoden der ‚IFIKS‘”), sollen hier die Fakten, die den 15. Kongress dazu veranlassten, die Mitglieder der angeglichen ”Fraktion” auszuschließen, in aller Kürze in Erinnerung gerufen werden:

1. Die Veröffentlichung des Datums einer internen Konferenz der IKS-Sektion in Mexiko im Internet (im ”Bulletin” Nr. 14 der ”Fraktion”), und zwar eine Woche vor der Abhaltung dieser Konferenz. Dies bedeutete, dass die Polizei auf der ganzen Welt ihre Kontrolle und Überwachung in den Flughäfen und an den Grenzen verstärken und gezielt ausrichten konnte (denn unsere Presse hat immer wieder davon berichtet, dass internationale Delegationen an solchen Konferenzen teilzunehmen pflegen). Darüber hinaus wussten die Mitglieder der IFIKS genau, dass gewisse Genossen von uns früher bereits direkt Opfer der Repression waren und dass einzelne gezwungen waren, das Land ihrer Herkunft zu verlassen.

Als wir dieses Verhalten an den Pranger stellten, antworteten die Mitglieder der ”Fraktion”, dass das Datum erst am Tag der Abhaltung unserer Konferenz veröffentlicht worden sei und es keinen Grund gebe, ”hysterisch zu werden”. Diese Antwort war aber eine schamlose Lüge, was durch jeden und alle auf der Website der ”Fraktion” überprüft werden kann. Die Nr. 14 ihres Bulletins datiert vom 24. November 2002, mit anderen Worten sechs Tage vor dem für die Konferenz vorgesehenen Datum. Die IKS selbst erfuhr von dieser Veröffentlichung am 26. November und stellte sich deshalb ernsthaft die Frage, ob gewisse Delegierte noch zu dieser Konferenz geschickt werden können. (4 [9])

2. Die Veröffentlichung der richtigen Initialen eines unserer Mitglieder, verbunden mit der Nennung seines gegenwärtigen Pseudonyms. Da die ”Fraktion” die Tatsachen nicht bestreiten konnte, versuchte sie, von der Anschuldigung abzulenken: ”Wir wollen lediglich daran erinnern, dass die Initialen C.G. unter zahlreichen Artikeln in Révolution Internationale und der Revue internationale der 1970er Jahre stehen. Unter den Initialen C.G. ist das Organisationsmitglied Peter von heute im proletarischen Lager bekannt.” (Bulletin der IFIKS Nr. 18) Was bedeutet dieser letzte Satz? Dass die IFIKS will, dass die Gruppen der proletarischen politischen Milieus genau wissen, WER dieser Peter ist, vom dem in ihren Texten lang und breit die Rede ist. Zunächst kann man sich wirklich fragen, inwiefern diese Information es diesen Gruppen erlaubt, die gestellten politischen Fragen besser zu verstehen. Aber selbst wenn man einmal annimmt, dies sei der Fall, so wusste die IFIKS genau, dass von all diesen Gruppen einzig das IBRP C.G. kannte, und zwar das gleiche IBRP, das schon sieben Monate vorher bei einem Treffen mit der IFIKS über die wirkliche Identität von Peter informiert worden war (vgl. Bulletin der IFIKS Nr. 9). Was die anderen revolutionären Gruppen betrifft (so die IKP), wussten diese - im Gegensatz zur Polizei - schlicht nicht, wer C.G. ist. Es stimmt zwar, dass in den 70er Jahren zahlreiche Artikel mit C.G. gezeichnet waren; doch weshalb sind diese Initialen vor mehr als 20 Jahren aus unserer Presse verschwunden? Die Mitglieder der IFIKS wissen es sehr genau: Weil die IKS zur Einsicht gekommen war, dass man die Arbeit der Polizei mit der Veröffentlichung der richtigen Initialen eines Mitgliedes erleichtert. Wenn es die IFIKS aus politischen Gründen tatsächlich als unabdingbar erachtet hätte anzugeben, wie das Organisationsmitglied Peter seine Artikel zeichnet, so hätte sie die jüngeren Namen nennen können, und nicht den ältesten. Doch es ging ihr offensichtlich nicht darum: Das Ziel war vielmehr, C.G. ”abzuschießen”, damit sich die anderen Organisationsmitglieder vor Augen führen können, welchen Preis man bezahlt, wenn man gegen die IFIKS kämpft. Ihr Gefasel, mit dem sie versucht, ihre Untat zu rechtfertigen, veranschaulicht lediglich die Mentalität von Spitzeln und Verrätern, die ihre Mitglieder je länger desto mehr beherrscht.

Bei der Durchsicht ihrer Bulletins fällt auf, dass Klatsch und Denunziationen gegenüber der IKS und ihren Militanten die Hauptwerkzeuge der ”Fraktion” sind:

- im Bulletin Nr. 13 ist zu lesen, die IKS habe einen ”luxuriösen Saal” für eine öffentliche Veranstaltung gemietet;

- in der Nr. 18 finden wir den detaillierten Bericht über eine öffentliche Veranstaltung des PCI-Le Prolétaire, in dem alle Gesten und Fakten von ”Peter alias G.C.” beschrieben sind;

- in Nr. 19 geht es erneut um Peter, der bei dieser oder jener Demonstration ”alleine die Presse verkauft hat”, und es wird eine ”höchst politische” Frage aufs Tapet gebracht: ”Schließlich, und ihr versteht, weshalb wir auch diese Frage stellen, wo ist Louise? Abwesend an Demonstrationen, abwesend an öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, ist sie erneut ‚krank‘?”.

Die Hauptbeschäftigung der Mitglieder der ”IFIKS”, nebst ihrer Präsenz an Demonstrationen und Diskussionsveranstaltungen der IKS, ist zu erfahren, WER abwesend ist, WER anwesend ist, WER was macht und WER was sagt, um dann alle Fakten und Gesten über unsere Militanten öffentlich zu machen. Dies ist eine Arbeit, die derjenigen von Geheimdienstagenten gleicht. Wir können den Mitgliedern der ”IFIKS” nicht verbieten, die Demonstrationen zu durchkämmen, um uns zu überwachen. Doch wir können verhindern, dass sie ihre schmutzige Spitzelei auf unseren öffentlichen Diskussionsveranstaltungen betreiben. Sie haben dort bereits ein Redeverbot erhalten, solange sie uns das der IKS entwendete Geld nicht zurückgeben. Die alleinige Motivation für ihr jeweiliges Erscheinen ist die polizeimässige Bespitzelung und die Jagd nach Leuten, welche an unseren Positionen interessiert sind.

Eines der klarsten und unwiderlegbarsten Beispiele des polizeimässigen Vorgehens der ”IFIKS” findet man im Text ”Letzte Richtigstellung”, der im Bulletin Nr. 14 veröffentlicht wurde und in dem man Folgendes lesen kann: ”Man muss zuallererst wissen, dass dieser Text (unser Artikel ”Die Internationale Kommunistische Partei im Schlepptau der ‚internen Fraktion der IKS‘”, veröffentlicht in Weltrevolution Nr. 116) aus der Hand von G.C. alias Peter stammt, was der Stil des Artikels beweist” (von uns unterstrichen). In seiner berühmten Broschüre Was jeder Revolutionär über die Repression wissen muss rät Victor Serge den kommunistischen Militanten ”folgendes Sprichwort aus Polizeikreisen niemals zu vergessen: Gebt mir drei Zeilen Geschriebenes und ich werde den Autor an den Galgen bringen”. Heute, wo die meisten Texte direkt mit dem Computer und nicht mehr von Hand geschrieben werden, ist die Analyse des ”Stils” eines Dokumentes das wichtigste Mittel, um dessen Autor zu identifizieren, und die ”IFIKS” leitet damit brav Wasser auf die Mühlen der Polizei.

Wir wollen klarstellen, dass wir keine Gründe dafür haben anzunehmen, die Mitglieder der ”Fraktion” seien von der Polizei bezahlt, und auch nicht dafür, dass sie von dieser ”gelenkt” seien. Doch macht die Tatsache der unentgeltlichen und beliebigen Denunziation deshalb alles weniger schlimm?

Manch einer mag sagen, dass all diese Informationen für die Polizei keine Hilfe sind. Dies heisst aber, nicht im Geringsten deren Methode verstehen, die darin besteht, jedes kleine Indiz auszuwerten, um von den Organisationen der Arbeiterklasse ein laufendes Organigramm zu führen. Dieses Vorgehen der Polizei ist von Victor Serge sehr gut in seiner Studie über die russische Ochrana beschrieben worden. (5 [9]) Wäre es nicht naiv, sich vorzustellen, die modernen Geheimdienste seien weniger geschickt als ihre zaristischen Vorgänger?

Man könnte auch sagen, das Saalverbot für die Mitglieder der ”IFIKS” nütze nichts, da die Polizei jederzeit einen Unbekannten schicken könne, um sich auf unseren Diskussionsveranstaltungen umzusehen. Das ist tatsächlich wahr. Bedeutet dies jedoch, dass wir es weiterhin tolerieren, dass sie zu unseren Diskussionsveranstaltungen kommen, um ihre Notizbücher zu füllen? Diese Leute haben bereits bewiesen, dass es ihnen nichts ausmacht, alles zu veröffentlichen; sie haben bereits erklärt, dass sie keinerlei Loyalität gegenüber der IKS und deren Militanten, von denen sie detaillierte Kenntnisse haben, verspüren. Sollen wir offene und erklärte Denunzianten tolerieren, mit dem Argument, dass wir verdeckte Denunzianten nicht erkennen können?

Auch könnte man sagen, die staatlichen Geheimdienste hätten keinerlei Interesse an einer dermassen kleinen Organisation wie der unseren. Die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung beweist, dass die Geheimdienste des bürgerlichen Staates die potenzielle Gefahr nie unterschätzt haben, welche die revolutionären Organisationen darstellen, so bescheiden ihre Grösse und ihr Einfluss in der Arbeiterklasse zu einem gegebenen Zeitpunkt auch sein mögen. Trotz der Tatsache, dass heute der ”demokratische” Staat in der Regel keine offene Repression gegen die Gruppen der Kommunistischen Linken anwendet, sind diese schon Repressionsmassnahmen unterworfen worden (so die Hausdurchsuchungen gegen die Internationale Kommunistische Partei in den 70er Jahren). Auch die IKS wurde nicht verschont, da einige unserer Genossen, wohlverstanden in den ”demokratischsten” Ländern, Opfer von Hausdurchsuchungen, Observationen, ausgedehnten Verhören an Grenzposten, offensichtlichen polizeilichen Beobachtungen zur Einschüchterung und Kommandoaktionen von bewaffneten Elementen wurden, die wahrscheinlich mit dem Staat unter einer Decke stecken. All dies wissen die Mitglieder der ”IFIKS” sehr gut.

Heute besteht eine der grössten Schwächen der revolutionären Organisationen und deren Militanten darin, dass all die elementaren Sicherheitsmassnahmen vergessen werden, welche es den revolutionären Organisationen der Vergangenheit erlaubt haben, ihre Aktivitäten aufrechtzuerhalten und der Repression des bürgerlichen Staates, ob demokratisch oder ”totalitär”, die Stirn zu bieten. Heute wie gestern müssen die revolutionären Organisationen sich elementare Regeln der sogenannten ”politischen Hygiene” aneignen. Und eine dieser Regeln besteht darin, Denunzianten aus unseren Diskussionsveranstaltungen zu weisen.

IKS 30.8.0311

(1) [9]Es handelt sich um die folgenden Elemente: Aglaé, Alberto, Jonas, Juan, Leonardo, Olivier, Sergio, Vicente und eventuell weitere Mitglieder der IFIKS, die dieser kürzlich eventuell beigetreten sind und das Verhalten der Genannten unterstützen.

(2) [9] Vgl. dazu unsere Artikel "Der 15. Kongress der IKS: Ein Kampf an zwei Fronten" in Weltrevolution Nr. 118 und "Polizeiähnliche Methoden der ‚IFIKS'" in Weltrevolution Nr. 117.

(3) [9] Vgl. dazu unseren Artikel "Revolutionäre Organisationen gegen Provokationen und Verleumdungen" in Weltrevolution Nr. 111.

(4 [9]) Bevor der Kongress den Ausschluss der Mitglieder der "Fraktion" verkündete, schrieben wir zweimal allen diesen früheren Organisationsmitgliedern und fragten sie, ob sie sich persönlich hinter die Veröffentlichung dieser Information stellten oder ob es sich umgekehrt um einen Akt gehandelt habe, mit dem sie individuell nicht einverstanden gewesen seien. Sie hatten also genügend Gelegenheit, um auf die Sache zurück zu kommen. Wie man ihren Antwortschreiben, die auf ihrer Website öffentlich zugänglich sind, entnehmen kann, erhielten wir keine Antwort auf die klar gestellte Frage. Erst nach dem Kongress ist nun zu lesen, dass "wir (die Fraktion) bereitwillig zugeben, dass wir bei der Wiedergabe eures Briefes vorsichtiger hätten sein und diesen Passus weglassen sollen". Dabei handelt es sich wieder um reine Scheinheiligkeit: Um unseren Brief im Internet auf Französisch zu veröffentlichen, musste er zuerst aus dem Spanischen übersetzt werden. Hat dies die "Fraktion" im Schlaf getan?

(5 [9]) siehe: Was jeder Revolutionär über die Repression wissen muss.

 

Leserbrief

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Der Metallarbeiterstreik in Ostdeutschland Ein Komplott gegen die Arbeiterklasse

Wir veröffentlichen hier in Auszügen einen Leserbrief zum Metallarbeiterstreik in Deutschland und unsere Antwort darauf.

"... meiner Einschätzung nach war der Streikabbruch im Osten ein abgekartetes Spiel, ausgekungelt zwischen Zwickel, Schröder und Kapitalvertretern, um den linksreformistischen Flügel um Peters, Düvel und Co. zu schwächen, was ja auch gelungen ist. Huber und seine Mannen werden ja in vier Jahren die Führung der IGM übernehmen. Was sehr betrüblich ist, ist die Tatsache, dass der Streikabbruch durch Zwickel auf keinen nennenswerten Widerstand in der IGM gestoßen ist..."

Unsere Antwort:

In der Tat war der Abbruch des Streiks der Metallarbeiter in Ostdeutschland ein "abgekartetes Spiel", wie im übrigen der gesamte Streik. Jedoch teilen wir nicht die Auffassung, dass der Zweck dieser Verschwörung die Schwächung des "linksreformistischen Flügels" der Gewerkschaften gewesen ist. Wir sind vielmehr der Ansicht, dass die Arbeiterklasse in Deutschland das Opfer dieses abgekarteten Spiels war. Wir bedauern auch nicht das Ausbleiben eines "nennenswerten Widerstandes" in der IGM gegen den Streikabbruch, sondern betrachten diesen Streik als ein Kind der Gewerkschaften, dessen unrühmliches Ableben bewusst einkalkuliert war.

Der Metallarbeiterstreik: Eröffnung eines Nebenkriegsschauplatzes

Um die wahre Bedeutung des Streiks für die 35-Stunden-Woche der ostdeutschen Metallarbeiter zu ermessen, ist es unerlässlich, einen Blick auf die Begleitumstände dieses Streiks zu werfen. Denn bevor er in die Schlagzeilen der bürgerlichen Medien geriet, beherrschte ein ganz anderes Thema die Öffentlichkeit - die Agenda 2010. Unter dem Druck fast täglicher Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft holte Rot-Grün zum Rundumschlag gegen die Beschäftigten dieser Republik aus. Sie verstieß dabei nolens volens gegen ein Prinzip, das bisher die Strategie der Herrschenden gegenüber der Arbeiterklasse bestimmt hatte: Mit ihrer Renten- und Gesundheits"reform" greift die Schröder-Regierung erstmals die Arbeits- und Lebensbedingungen der gesamten Klasse massiv an und nicht mehr, wie bisher, von Teilbereichen.

Um dennoch die längerfristige Gefahr eines Widerstandes durch die gesamte Klasse zu bannen, griffen die Herrschenden mit Hilfe der Gewerkschaften zu einem altbewährten Mittel: Sie eröffneten einen Nebenkriegsschauplatz. Der insbesondere von IG Metall und Ver.di noch im Frühjahr lautstark angekündigte "heiße Sommer" gegen die Agenda 2010 ging nur meteorologisch in Erfüllung. Stattdessen entfachte die IGM in Ostdeutschland ein Strohfeuer um die 35-Stunden-Woche. Wir haben bereits in der letzten Ausgabe dieser Zeitung geschildert, wie ihr dabei das Kunststück gelang, ausgerechnet jenen Teil der Arbeiterklasse, der zu den schwächsten Sektoren zählt, erst für diesen unseligen Streik zu mobilisieren und anschließend in die Rolle von Streikbrechern zu manövrieren, die ihren eigenen Kampf sabotieren. Mit diesem perfiden Schachzug und mit Hilfe der Medien wurde nicht nur die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vom eigentlichen Hauptangriff der rot-grünen Regierung, die Agenda 2010, abgelenkt; darüber hinaus wurde in Form medienwirksamer Auseinandersetzungen zwischen ostdeutschen Streikbrechern und westdeutschen Gewerkschaftsaktivisten das beispiellose Spektakel einer gespaltenen Arbeiterschaft inszeniert. Und nicht zuletzt wurde dem langsam aufkeimenden Kampfgeist der Arbeiter in ganz Deutschland ein empfindlicher Schlag versetzt, denn die Botschaft dieses gescheiterten Streiks lautete, dass sich der Kampf gegen die Logik der Krise nicht auszahlt.

Die Richtungskämpfe in der IG Metall: Manövriermasse für die Inszenierungen der Bourgeoisie

Es ist offenkundig, dass sich im Verlauf dieses Streiks auch gewisse Divergenzen innerhalb der Gewerkschaftsbürokratie herausgeschält haben. Je mehr sich die Ereignisse an der Streikfront verschärften, desto mehr spitzten sich auch die Flügelkämpfe zwischen den "Traditionalisten" und den "Modernisierern" in der IG Metall zu. Und die öffentliche Meinung trug zur Aufbauschung und Polarisierung bei, indem sie fast unisono die "Traditionalisten" um Peters, Düvel & Co. an den Pranger stellte.

Es wäre jedoch völlig unangebracht, in diese Auseinandersetzungen mehr hineinzuinterpretieren, als sie tatsächlich darstellen - nämlich reine Scheinmanöver zur Verwirrung der Arbeiterklasse. Sicherlich mag in dem einen oder anderen süddeutschen Betriebsratsvorsitzenden das Herz eines "Modernisierers" schlagen. Und es ist nicht auszuschließen, dass etlichen "Traditionalisten" selbiges blutet angesichts der "sozialen Unausgewogenheit" der Agenda 2010. Doch ähnlich wie die militärischen Truppen, die, ohne eingeweiht zu werden, vom eigenen Generalstab für Scheinangriffe gegen den Feind mobilisiert und geopfert werden, sind all die "Traditionalisten" und "Modernisierer" nur das Salz in der Suppe der Inszenierungen und Manipulationen der herrschenden Kreise.

Um die Spiegelfechtereien solcher untergeordneter Fraktionen zu instrumentalisieren, bedarf es für die Herrschenden lediglich einer Handvoll Eingeweihter an den richtigen Stellen. So auch im Fall der IG Metall: Einer der Drahtzieher ist Jürgen Peters, seines Zeichens "Traditionalist" und mittlerweile gewählter Vorsitzender der IGM. Er veranlasste die Änderung der Streiktaktik, indem er von den bislang ausgeübten Nadelstichstreiks überging zu unbefristeten Streiks in ausgesuchten Betrieben; Betriebe, die "zufällig" Zulieferer westdeutscher Automobilunternehmen sind. So leitete er zielstrebig eine Dynamik ein, die in den Boykottaktionen der Betriebsräte eben jener Autohersteller gegen den Streik in Ostdeutschland und letztendlich im Scheitern des Streiks der ostdeutschen Metallarbeiter gipfelte. Zwei andere Schlüsselfiguren fielen durch ihr beredtes Schweigen auf. Bei dem einen handelt es sich um keinen Geringeren als Bundeskanzler Schröder, der Obermodernisierer der Nation. Seine Zurückhaltung gegenüber dem Niedersachsen Peters, der quasi aus seinem Stall kommt, legt den Verdacht nahe, dass die beiden - Traditionen hin, Modernisierung her - unter einer Decke stecken und eine entsprechende Arbeitsteilung miteinander abgesprochen haben. Bei der anderen Schlüsselfigur in dieser Affäre handelt es sich um Berthold Huber, ebenfalls der Fraktion der "Modernisierer" angehörend und darüber hinaus Kronprinz des damals noch amtierenden IG Metall-Vorsitzenden Zwickel. Er stellte sich zunächst tot, indem er sich krank meldete, und als er sich schließlich dann doch zu Wort meldete, war's nicht etwa um Peters, sondern um Zwickel geschehen, und das totgesagte Tandemmodell (mit ihm als Vize und Peters als 1.Vorsitzenden) erlebte seine Wiederauferstehung.

Nein, das schmähliche Ende des ostdeutschen Metallarbeiterstreiks bedeutet beileibe keine Schwächung des "linksreformistischen Flügels um Peters, Düvel und Co.". Mit der jüngst erfolgten Wahl von Peters zum neuen Vorsitzenden der IG Metall vollzieht sich im Gegenteil eine Verschiebung der Prioritäten der Gewerkschaft im Angesicht einer weiteren Verschärfung der Austeritätspolitik. Die großen Gewerkschaften wie Ver.di und die IG Metall positionieren sich zunehmend links von der rot-grünen Regierung. Denn um den Widerstand der Arbeiter gegen die kommenden Angriffe unter Kontrolle zu behalten und letztendlich zu brechen, benötigt die Bourgeoisie in den nächsten Jahren Gewerkschaftsführer vom Schlage eines Peters', die mit ihrem scheinbaren Konfrontationskurs gegen die Regierung den wachsenden Unmut in der Klasse kanalisieren sollen. 11.9.2003

Polemik mit Soziale Befreiung (II)

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Die Rolle der Partei im proletarischen Klassenkampf

Im ersten Teil dieses Artikels (Weltrevolution 119) kritisierten wir die unserer Meinung nach nicht-marxistische Sicht des proletarischen Klassenkampfes durch die Zeitschrift Soziale Befreiung, insbesondere deren Ablehnung der Vorstellung, dass das revolutionäre Proletariat eine historische Aufgabe bzw. Mission zu erfüllen hat. (1 [10])

Im zweiten Teil wollen wir uns mit den Vorstellungen der SB über die Rolle revolutionärer Organisationen befassen. Im Kapitel 3.3 des Bandes Der Terror des Kapitals, der die Zwischenüberschrift “Der bürgerliche Charakter der Sozialdemokratie und des Leninismus” trägt, lesen wir folgende Grundaussagen über das Wesen politischer Parteien. “Die bürgerliche Partei reproduziert die kapitalistische Klassengesellschaft in der politischen Form der Partei durch BerufspolitikerInnen auf der einen Seite und der mehr oder weniger entmündigten lohnabhängigen Parteibasis. Indem die ArbeiterInnenbewegung die politische Form der Partei übernahm, übernahm sie die politische Form der Klassenherrschaft und reproduzierte in einem längeren oder kürzeren Prozess den sozialen Inhalt, das heißt sie wurde zu einer Stütze der bürgerlichen Produktionsverhältnisse” (S.30).

“Die Feststellung des deutschen Rätekommunisten Otto Rühle, wonach eine Partei eine bürgerliche Organisationsform und nicht die des proletarischen Befreiungskampfes sei, ist durch die Geschichte und Gegenwart von Leninismus und Sozialdemokratie belegt. Die soziale Revolution wird das Werk der selbstorganisierten ArbeiterInnen sein, oder sie hat diesen Namen nicht verdient. Leninistische Sekten (Stalinismus, Maoismus, Trotzkismus, Bordigismus..) und sozialdemokratische Wahlvereine sind nichts anderes als Sackgassen (...) Nein, wir sind nicht Organisationsfeindlich. Wir lehnen nur die bürgerlichen Organisationsformen ab und betonen, daß die revolutionären Organisationsformen nur dem möglicherweise (nicht schematisch-naturgesetzmäßigen) revolutionären Klassenkampf in Krisenzeiten erwachsen können. Auch lehnen wir die heutige Organisation von Minderheiten sozialrevolutionärer ArbeiterInnen nicht ab. Was wir ablehnen ist jede Übernahme von BerufspolitikerInnen – und StellvertreterInnentum innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, die aber genau die gesellschaftliche Basis des Parteikommunismus ist. Der Parteimarxismus ist eine bürgerlich-bürokratische Ideologie oder anders formuliert: die verschiedenen parteimarxistischen Ideologien sind der geistige Ausdruck der verschiedenen Parteibürokratien.” (S.31)

Die Gefahren einer soziologischen Definition der Klassenzugehörigkeit

Es fällt auf, dass die Rolle politischer Organisationen im Klassenkampf hier nach soziologischen Kriterien ausgemacht wird. Aus Sicht des Marxismus wird die Klassennatur einer politischen Gruppe aber von ihrem Programm abgeleitet, nicht davon, ob dort “Berufspolitiker” tätig sind oder nicht. Es ist sehr bezeichnend, dass SB den “Bordigismus” in einem Atemzug mit dem Stalinismus, Maoismus oder Trotzkismus nennt. Das erste politische Kriterium der Zugehörigkeit einer politischen Strömung zur Arbeiterklasse ist die Verteidigung des proletarischen Internationalismus gegenüber dem imperialistischen Krieg. Während die Stalinisten, Maoisten und Trotzkisten Millionen von Arbeitern zur Schlachtbank des zweiten imperialistischen Krieges führten, gehörten die “Bordigisten” zu den ganz wenigen, welche der Grundlosung unserer Klasse – das Proletariat hat kein Vaterland – treu geblieben sind.

Wenn Bordiga und manche seiner Genossen innerhalb der KP Italiens Anfang der 1920er Jahre “Berufspolitiker” waren, dann nicht, um über die Arbeiter oder die Parteimitglieder zu herrschen, sondern weil eine kommunistische Organisation in einer revolutionären Lage eine Tagespresse herausgeben, eine vom Zugriff der bürgerlichen Repressionsorgane gesicherte, illegale Struktur aufbauen muss usw. – Aufgaben, welche nicht mehr unbedingt mit dem “normalen” Berufsleben zu vereinbaren sind. Auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren von Beruf nicht Arbeiter, sondern Politiker, und diese Tatsache wurde 1918 von den konterrevolutionären Schergen der Sozialdemokratie demagogisch dazu verwendet, um diese beiden, in ihrer Hingabe für die Sache des Proletariats beispielhaften Revolutionäre vom ersten Rätekongress in Berlin auszuschließen.

Hinter der scheinradikalen, unterschiedslosen Ablehnung aller politischen Parteien, unabhängig von der Klassennatur ihres Programms, steckt unserer Meinung nach eine gefährliche Unklarheit über linkskapitalistische Gruppierungen. Beispielsweise schreibt SB über die stalinistische Jugendorganisation in Deutschland: “Die SDAJ kann als radikal-reformistische Kraft einfach nicht begreifen, daß die Grundlagen der Sozialdemokratie noch nie revolutionär waren, sondern schon immer reformistisch und daß jene Grundlagen in Krisenzeiten konterreformistisch und konterrevolutionär wirken müssen. Indem die SDAJ Illusionen über die Reformierbarkeit der Gewerkschaften verbreitet, stärkt sie die linksbürgerliche Ideologie in der ArbeiterInnenklasse.” (S. 11) Daraus geht hervor, dass die Sozialdemokratie nur in Krisenzeiten konterrevolutionär wäre, während der Stalinismus selbst offenbar nicht für konterrevolutionär gehalten wird. Auf Seite 31 ringt SB mit der Tatsache, dass innerhalb von DKP und SDAJ die Hauptamtlichkeit “weitgehend abgeschafft” wurde, stellt aber fest: “Auch in ihrer Ehrenamtlichkeit liegt ihre Abgehobenheit zur lohnabhängigen Basis begründet, die nur in viel weniger Zeit Politik machen kann. Zweitens besitzt eine Ideologie ein gewisses Eigenleben, d.h. sie kann auch noch dann existieren wenn ihr die materielle Basis weitgehend abhanden gekommen ist.”

Auch diese Aussage zeigt die ganze Schwäche der soziologischen Definition der Klassenzugehörigkeit. In Wahrheit ist der stalinistischen Ideologie keineswegs ihre “materielle Basis” abhanden gekommen, denn diese Basis liegt keineswegs in der “Hauptamtlichkeit”, sondern in ihrer unumkehrbaren Integration im bürgerlichen Staatsapparat begründet.

Die Rolle der Partei in der Geschichte

SB macht sich die Auffassung Otto Rühles zu eigen, derzufolge die politische Partei ein wesentliches Attribut der Bourgeoisie, nicht aber des Proletariats sei. Die Geschichte zeigt aber, dass die politischen Parteien im Leben der Bourgeoisie keine sehr wesentliche Rolle gespielt haben. Bis zum 20. Jahrhundert gab es niemals und in keinem Land eine politische Partei, welche die bürgerliche Klasse einheitlich vertrat. Die Parteien waren v.a. Lobbyisten bestimmter Gruppen der Besitzerklasse, während der Regierung und damit dem Staatsapparat die Aufgabe zukam, die Interessen der Kapitalistenklasse insgesamt gegenüber der Arbeiterklasse wie auch gegenüber anderen nationalen Kapitalien zu verteidigen. Erst nach dem 1. Weltkrieg kommt das Phänomen des Einparteienstaates auf, wie etwa in Stalins Russlands oder im faschistischen Italien und Deutschland. Doch dies geschieht wiederum im Rahmen des Staatskapitalismus und geht einher mit der Integration der politischen Parteien in den Staatsapparat. Hier ist es erst recht der Staat, und nicht die politischen Parteien, welcher die Interessen des Kapitals maßgeblich vertritt.

Ganz anders beim Proletariat. Sobald die Arbeiterklasse zu einem eigenständigen Klassenbewusstsein gelangt, ist sie bestrebt, einheitliche politische Organisationen und Parteien hervorzubringen, welche einheitlich die Interessen des gesamten Proletariats verfechten. Mehr noch: das Proletariat strebt den Aufbau, nicht von national eigenständigen, sondern von Weltparteien an, wie die Geschichte der politischen Arbeiterbewegung vom Bund der Kommunisten über die drei Internationalen bis hin zu den linkskommunistischen Gruppierungen der Gegenwart belegt.

Erst das Proletariat bringt politische Parteien hervor, welche einheitlich für die weltweiten Interessen ihrer Klasse kämpfen und dabei eine zentrale, unverzichtbare Rolle übernehmen. Denn das Proletariat ist die erste eigentumslose, revolutionäre Klasse der Geschichte. Das bedeutet einerseits, dass es nicht durch unterschiedliche Interessen gegeneinander konkurrierender Eigentümer gespalten wird, und andererseits, dass es sich nur auf seine Bewusstseinsentwicklung und seine Organisationsfähigkeit stützen kann, um den Kapitalismus zu stürzen. Genau darin liegt die ganze Bedeutung der politischen Partei für die Arbeiterklasse begründet. Denn die Partei, wie die ihr vorangehenden, vorbereitenden, politischen Gruppierungen, dienen vornehmlich dem Vorantreiben des Klassenbewusstseins und der Selbstorganisation der Klasse. Alle anderen, falschen, von der Bourgeoisie entlehnten Vorstellungen über die Rolle der Arbeiterpartei – die Übernahme der Regierungsgeschäfte, die Organisierung der Arbeiterkämpfe – haben sich hingegen als unrichtig erwiesen.

Entwicklung des Klassenbewusstseins – eine Aufgabe des gesamten Proletariats

Die scheinradikale Ablehnung von Parteien per se und von “Berufspolitikern” schützt SB keineswegs davor, an den Vorstellungen Lenins in Was Tun beeinflussten Auffassungen anzuknüpfen, sobald sie die Aufgabe der Revolutionäre definieren wollen. “Ihr Platz” in der Revolution “ist dann in der proletarischen Selbstorganisation, welche von der Klasse im Kampf spontan und bewußt zugleich geschaffen wird. Dort ist es ihre Aufgabe den historischen Materialismus der Minderheit mit dem Klasseninstinkt der Mehrheit zum revolutionären Massenbewusstsein zu verschmelzen. Parteiorganisationen sind dazu nicht fähig.” (S.32)

SB zitiert wohlwollend den Rätekommunisten Paul Mattick, der den internationalistischen Marxisten Franz Mehring dafür kritisierte, dass er Wissenschaft, Literatur und Schulen für Arbeiter befürwortete (S.34).

Wir jedenfalls glauben, dass die Arbeiterklasse insgesamt sich mit der Geschichte, Theorie, Wissenschaft befassen muss, und sich niemals selbst befreien wird, wenn die Mehrheit der Arbeiter nichts als ihren “Klasseninstinkt” beizusteuern hat. Zwar ist es die spezifische Aufgabe der revolutionären Organisation, die programmatischen Errungenschaften, die historischen Lehren, die sozialistische Theorie sowie die marxistische Methode zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Doch heißt dies keineswegs, dass dies ausschließlich Aufgaben der Revolutionäre wären. Im Gegenteil – die proletarische Revolution kann nur als bewusste Bewegung der großen Arbeitermassen siegen. Wie Marx schon 1843/44 in der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie anmerkte, wird “auch die Theorie zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift”.

FR.

(1 [10])Die Soziale Befreiung schreibt uns in Bezug auf diesen ersten Artikel:

“In Eurer Polemik gegen uns sind euch bei der Wiedergabe von Zitaten leider sinnentstellende Fehler unterlaufen. Wir möchten euch bitten, diese Fehler in eurer nächsten Ausgabe zu berichtigen.

Erster Fehler: Ihr gebt folgenden Satz so wider: Erst dann wird auch der nationalen Ideologie die proletarische Folgschaft aufgekündigt.

Im Original steht aber: Erst dann wird auch der nationalen Ideologie massenhaft die proletarische Folgschaft aufgekündigt.

Zweiter Fehler: Ihr gebt folgenden Satz so wider: Sie führen also einen ebenfalls durch das Kapitalverhältnis gegebenen Konkurrenzkampf um Jobs und Sozialleistungen gegen andere Lohnabhängige – Sexismus und Rassismus sind die Ideologien dieses Klassenkampfes.

Im Original heißt es dagegen:

Sie führen also einen ebenfalls durch das Kapitalverhältnis gegebenen Konkurrenzkampf um Jobs und Sozialleistungen gegen andere Lohnabhängige – Sexismus und Rassismus sind die Ideologien dieses Konkurrenzkampfes.”

Hiermit entschuldigen wir uns für diese Flüchtigkeitsfehler.

Weltrevolution Nr. 121

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1. November in Berlin

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Ein erstes Anzeichen einer unterirdischen Bewusstseinsentwicklung

Als Ende Oktober die Delegiertenversammlung der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di in Berlin tagte, wurde viel darüber spekuliert, ob Frank Bsirske, Vorsitzender einer der größten Einzelgewerkschaften der Welt, zu der bevorstehenden Demonstration am 1. November in der Bundeshauptstadt aufrufen würde oder nicht.

Ver.di und PDS lassen ATTAC und den Sozialforen den Vortritt

Er tat es nicht – obwohl viele Geschäftsführer und Bezirksleiter von Ver.di bereits zu den Erstunterzeichnern des Demonstrationsaufrufes ”gegen den Sozialabbau” gehörten; obwohl Bsirske selbst auf der Delegiertenversammlung ein Abrücken seiner Gewerkschaft von der rot-grünen Bundesregierung sowie ihre Hinwendung zu neuen ”Bündnispartnern” unter den ”Globalisierungskritikern” und ”Sozialforen” angekündigt hatte; obwohl Bsirske selbst, als ”Privatperson”, auf der Berliner Demonstration am 1. November auftauchte.

Es kommt immer wieder vor, dass Gewerkschaften aus dem Grunde nicht von zentraler Stelle zu Arbeiterkundgebungen aufrufen, weil sie fürchten, die Kontrolle über die Proteste zu verlieren, falls zu viele Arbeiter daran teilnehmen. Dieser Erklärungsansatz für die Zurückhaltung Bsirskes scheidet diesmal aber aus, da in den Betrieben, Büros oder Krankenhäusern die Unruhe angesichts der Angriffe des Kapitals noch nicht in eine konkrete Kampfbereitschaft umgeschlagen ist. Vielmehr liegt einer der Gründe für diese Zurückhaltung darin, dass die Unzufriedenheit noch lange nicht den Punkt erreicht hat, wo die Gewerkschaften genötigt wären, in den Betrieben zu mobilisieren, um in geordneten, kontrollierten Bahnen Dampf abzulassen und so die Arbeiterschaft unter Kontrolle zu halten.

Doch diesmal gab es noch einen anderen Grund, weshalb Ver.di oder die IG Metall lieber im Hintergrund bleiben wollten. Denn noch während in Berlin über 100.000 Demonstranten vom Alexanderplatz Richtung Gendarmenmarkt marschierten, verkündeten die staatlichen Nachrichtensender im Fernsehen bereits die Geburt einer angeblich neuen, von den im Bundestag (einschließlich der PDS) sitzenden Parteien, aber auch von den Gewerkschaften unabhängigen, ”sozialen” und ”außerparlamentarischen” Bewegung. Und übereinstimmend wurden den ”Sozialforen” sowie den ”Globalisierungskritikern” von ATTAC die Hauptrolle bei der Mobilisierung der ”unerwartet vielen” Demonstranten zugeschrieben.

Es mag sein, dass der Sprecher von ATTAC ehrlich überrascht war von dem Ausmaß dieses ”Mobilisierungserfolges”. Doch in Wirklichkeit hatten vor allem PDS und Gewerkschaften in ungewöhnlicher Bescheidenheit und im Stillen für diesen angeblichen Mobilisierungserfolg der angeblich vom Parlament und den Gewerkschaften unabhängigen ”neuen” Bewegung gesorgt. So bildeten die altbekannten Aktivisten des DGB mit den traditionellen Fahnen und Stickern ihrer Einzelgewerkschaften sowie die Scharen von Ostberliner Rentnern, aus welchen sich das Wahlvolk der PDS rekrutiert, zahlenmäßig die beiden Hauptbestandteile dieser Demonstration. Den ”Globalisierungskritikern” wurde zu ihrem ”Erfolg” verholfen, damit sie erfolgreich ihre Rolle in der Bekämpfung der Gefahr unabhängiger Arbeiterkämpfe und der Entstehung einer eigenen, proletarischen Perspektive spielen.

Die Berliner Demonstration offenbart eine unterirdische Bewusstseinsentwicklung

Das soll nicht heißen, dass die Demonstration vom 1. November nicht ein erster und somit bedeutender Ausdruck des erwachenden Arbeiterwiderstands in Deutschland ist. Während dieser Protestaktion ist vielmehr von so manchem Teilnehmer ein echter Unmut und ein Widerstandswillen zu beobachten gewesen, was wir nur begrüßen können. Doch noch beschränkt sich, zumal in Deutschland, diese Bereitschaft, zu kämpfen und auf die Straße zu gehen, auf Minderheiten bzw. einzelne Teile der lohnabhängigen Bevölkerung, während das Gros der Arbeiterklasse noch zu wenig Selbstvertrauen und Klassenidentität besitzt und noch zu sehr von der machtvollen Offensive des Gegners eingeschüchtert ist, um bereits ein offenes Kräftemessen mit dem Kapital zu wagen. Und diese Situation der mühevollen und erst allmählichen Wiederbelebung der proletarischen Kampfbereitschaft beschränkt sich keineswegs auf Deutschland. Selbst in Frankreich, wo im Frühjahr zeitweise Millionen gegen die Renten- und andere Angriffe der Regierung auf die Straße gingen, war die Kampfbereitschaft der Klasse überhaupt noch nicht allgemein, sondern wurde hauptsächlich von Beschäftigten des Erziehungssektors bzw. von Minderheiten anderer Sektoren zum Ausdruck gebracht.

Diese Feststellung soll keinesfalls die Bedeutung der Proteste gegen die ”Rentenreformen” in Frankreich, Österreich und Italien noch der 1. November-Demonstration in Berlin schmälern. Es geht im Gegenteil darum, die wirkliche, tiefe Bedeutung dieser Aktionen zu erfassen.

Das Auffälligste an dem Berliner Aufmarsch, wie zuvor bei den Großdemonstrationen etwa in Frankreich, war die Aufgeschlossenheit vieler Teilnehmer gegenüber revolutionärer Ideen. Dies äußerte sich beispielsweise in dem relativ guten Verkauf der Presse unserer Organisation, sowie in dem teilweise sehr regen Interesse an unserem (untenstehend abgedrucktem) Flugblatt, welches wir für diese Demonstration geschrieben haben. Eine solche Offenheit gegenüber radikalen marxistischen Positionen wäre in den ersten Jahren nach 1989 (unter dem Eindruck der verlogenen Propaganda, dass mit dem Stalinismus der Kommunismus gescheitert sei) noch völlig undenkbar gewesen. Ja, selbst Anfang und Mitte der 80er Jahre, während der Arbeiterkampf sich noch auf einem aufsteigenden Ast befand, war eine solch politische Offenheit eher ungewöhnlich. Das bedeutet: Selbst wenn erst relativ dünne Schichten der Klasse davon erfasst sind, ist dies ein Anzeichen für eine unterirdische Bewusstseinsentwicklung innerhalb des Proletariats. Diese Entwicklung, des ”alten Maulwurfs” (Marx), welcher die Fundamente der bürgerlichen Ordnung untergräbt, vollzieht sich heute unter dem Eindruck eines qualitativ verschärften Charakters der bürgerlichen Angriffe, sowie der inzwischen deutlicher gewordenen Sackgasse der krisengeschüttelten kapitalistischen Wirtschaft. Es bestätigt sich hiermit ein Grundkonzept des Marxismus: dass die Wirtschaftskrise auf längere Sicht die Arbeiter nicht nur zum Kampf anspornt, sondern auch noch die Entwicklung des Bewusstseins der großen Arbeitermassen stimuliert. Und auch wenn z.Z. erst kleinere Teile der Klasse von diesem Prozess erfasst werden, so verspricht die langsam ansteigende Kampfbereitschaft und die Erfahrung des gemeinsamen Kampfes die Möglichkeit der Wiedereroberung der proletarischen Klassenidentität, und damit die Einbeziehung breiterer und tieferer Schichten in diese (noch) unterirdische Bewusstseinsentwicklung.

Auffallend in Berlin war auch, dass vornehmlich Rentner einerseits und sehr junge, oft erwerbslose Demonstranten andererseits sich am kämpferischsten und politisch am aufgeschlossensten zeigten. Dies mag damit zusammenhängen, dass einerseits besonders diese Schichten ins Visier der Angriffe der Regierung geraten sind, während sie andererseits, im Unterschied zu den (noch) Beschäftigten, nicht mehr durch die Drohung mit Entlassungen erpresst werden können. Jedenfalls ist dieses Zusammenkommen so unterschiedlicher Generationen zum gemeinsamen Kampf besonders willkommen, da die Solidarität der Generationen ein wesentlicher Bestandteil des proletarischen Klassenkampfes ist, sowie die unabdingbare Antwort auf den Versuch des Kapitals, jung und alt gegeneinander aufzuhetzen. Zudem bedeutet dies die allmähliche Einbeziehung von zwei neuen Generationen im Arbeiterkampf und im Prozess des politischen Nachdenkens. Die Aktivierung gerade der Älteren – jener Generation, welche vor 1968 die Konterrevolution auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges am eigenen Leib erlebt hat, nach 1968 manchen Versprechungen der Sozialdemokratie im Westen bzw. des Reformstalinismus im Osten Glauben geschenkt hat und sich heute betrogen und geschunden fühlt – verstärkt das Potenzial für die Wiederbelebung des historischen Gedächtnisses der Arbeiterklasse.

Die Intervention der Revolutionäre

Angesichts dieses langsamen und schwierigen, erst keimenden Prozesses der Weiterentwicklung der Kampfkraft und des Klassenbewusstseins, welcher die lange Rückflussphase nach 1989 abzulösen beginnt, kann sich die herrschende Klasse keineswegs damit trösten, dass diese Entwicklung erst kleinere Teile der Arbeiterklasse erfasst. Denn falls diese Arbeit des politischen Nachdenkens über die Probleme des Klassenkampfes und die Perspektiven der Gesellschaft fortgesetzt und vertieft wird, werden die Träger dieses Prozesses dazu übergehen, wiederum breitere Schichten der Klasse dahingehend zu beeinflussen, sobald die Arbeiterkämpfe massiver und allgemeiner werden. Die herrschende Klasse muss folglich bestrebt sein, diesen Prozess des politischen Nachdenkens im Keim zu ersticken.

Und dies bringt uns zurück auf unsere Ausgangsfrage: weshalb die Gewerkschaften, weshalb die PDS auf der Berliner Demonstration den Sozialforen, ATTAC sowie den darin wirkenden basisgewerkschaftlichen und linksextremen Aktivisten so generös den Vortritt überließen. Dies geschah, weil die etablierten Parteien und Gewerkschaften zu diskreditiert sind, um diese Minderheiten einfangen zu können. Weil der Niedergang des Stalinismus eine Bresche in den ideologischen Schutzschild des Kapitalismus geschlagen hat, welche durch eine aufgepeppte, ”anarcho-föderale”, basisdemokratischere Version des alten Staatskapitalismus in Gestalt der ”Alternativglobalisierer” geschlossen werden soll. Die Herrschenden wollen so die bereits heute kämpferischen und politisch nachdenklichen Arbeiter daran hindern, den Kapitalismus insgesamt in Frage zu stellen, und in ihre scheinradikale, basisgewerkschaftliche Schutzmauer gegen künftige Arbeiterkämpfe einbauen. Die in Berlin öffentlich akklamierte ”neue soziale Bewegung” soll vor allem das politische Nachdenken innerhalb der Klasse aufhalten, nicht nur indem falsche, reformistische Alternativen angeboten werden, sondern auch indem das Nachdenken selbst zugunsten eines blinden Aktivismus zurückgedrängt wird. Es geht dabei darum, die fortgeschritteneren Arbeiter daran zu hindern zu erkennen, dass nur der autonome Arbeiterkampf eine Antwort auf die Angriffe des Kapitals liefern kann, indem er durch das Zusammenschweißen des Proletariats und die Wiederbelebung seiner Klassensolidarität die kollektive, revolutionäre Perspektive des Kommunismus eröffnet

Deshalb sahen wir die Hauptaufgabe der Intervention der Revolutionäre auf dieser Demonstration darin, einen politischen Kampf gegen die Bourgeoisie um diese ersten aufwachenden Arbeiterschichten zu führen. Unsere Presse und unser Flugblatt waren darauf ausgerichtet, die Perspektive des Klassenkampfes gegen den bürgerlichen, klassenübergreifenden Reformismus zu verteidigen.

Die IKS war nicht die einzige Kraft auf dieser Demonstration, welche entgegen diesem Reformismus die Notwendigkeit der Zerschlagung des Kapitalismus aufzeigte. So verteilten die ”Unabhängigen Rätekommunisten” ein Flugblatt mit dem Titel ”Recht auf Arbeit? Recht auf Faulheit? Nieder mit der Lohnarbeit!”, welches v.a. den Mythos des ”Sozialstaates” angreift. Doch obwohl an einer Stelle erklärt wird: ”Wir orientieren uns am Kampf der Arbeiterklasse gegen die Lohnarbeit”, wird in diesem Flugblatt nirgends darauf hingewiesen, wie die revolutionäre Perspektive in den täglichen Abwehrkämpfen der Arbeiter entstehen kann. Stattdessen erscheint diese Perspektive in anarchistischer Manier als das Produkt einer individuellen Revolte: ”Das Überleben haben wir genauso satt wie die alternative Politik linker wie rechter Couleur oder die Logik des kleineren Übels und die unzähligen faulen Kompromisse. Setzen wir dem Totalitarismus der Ware unsere Bedürfnisse, Sehnsüchte, Träume und Wünsche entgegen. Kämpfen wir für das volle Leben, nicht nur ein einigermaßen akzeptables Überleben.”

Die ”Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft” hingegen bezogen sich in ihrem ”Aufruf zum Sozialrevolutionären Block” am 1.November etwas mehr auf die Kämpfe der Arbeiterklasse. Doch indem die Genossen einen eigenen Block anstrebten, erhoben sie faktisch den Anspruch, den Verlauf der Demonstration beeinflussen bzw. ändern zu können. Doch dies wäre nur möglich gewesen, wenn bereits innerhalb der Klasse bedeutende Tendenzen am Werk wären, den Gewerkschaften und bürgerlichen Linksreformisten die Kontrolle über die Aktionen streitig zu machen. Doch davon sind wir noch meilenweit entfernt. In Ermangelung einer solchen Perspektive läuft diese Politik auf den ohnmächtigen Versuch hinaus, an Stelle der Arbeitermassen den Klassenkampf führen zu wollen. Wir glauben hier noch den Einfluss der alten Mär zu erkennen, derzufolge man immer ”mitmachen” muss und niemals ”außerhalb” stehen darf. Mit einer solchen Logik rechtfertigen die Maoisten und Trotzkisten heute noch ihre ”kritische” Mitarbeit in den Gewerkschaften.

Doch in Wahrheit laufen die Genossen Gefahr, sich außerhalb des wirklichen Kampfes um die politische Entwicklung der Arbeiterklasse zu stellen, da sie auf solchen Demonstrationen ihre Hauptaufmerksamkeit eben nicht auf eine vertiefte Widerlegung der Argumente der Veranstalter richten und dadurch die politische Einflussnahme proletarischer Stimmen vor Ort alles andere als fördern. Aus unserer Sicht benötigen die Revolutionäre eine vertiefte, marxistische Analyse jeder konkreten Stufe und jedes Ereignisses des Klassenkampfes, um erkennen zu können, wann die Stunde der Propaganda, wann die Stunde der Agitation und wann die Stunde der politischen Führung in einer konkreten Aktion der kämpfenden Arbeiter geschlagen hat.

Die Zukunft gehört dem Klassenkampf

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Zur Zeit werden die schlimmsten Angriffe gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung in den Industriestaaten seit dem Zweiten Weltkrieg gefahren. Errungenschaften, welche Generationen in mühsamen, opferreichen Arbeiterkämpfen erworben haben, werden über Nacht hinweggefegt. Der Ansturm der rot-grünen Regierung in Deutschland lässt von den Lohnabhängigen - Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentnern, Jugendlichen - niemanden ungeschoren davon kommen, spart keinen Bereich des Lebens der Bevölkerung aus. Auf einem Schlag werden die Steuern und Abgabenlasten massiv erhöht, die Erwerbslosen weiter in die Armut getrieben und einem unerbittlichen Zwangsregime unterworfen; die Rentner ins Elend gestürzt; die Gesundheitsversorgung radikal zusammengestrichen und verteuert; der Kündigungsschutz weitgehend aufgehoben; die Beschäftigten zu horrenden Leistungssteigerungen erpresst.

Es liegt auf der Hand: Auch wenn es in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nicht leicht ist, sich zur Wehr zu setzen, dürfen die Lohnabhängigen diese Angriffe nicht widerspruchslos hinnehmen. Gegenwehr tut Not. Doch um zu wissen, wie man sich erfolgreich zur Wehr setzen kann, muss man sich Klarheit darüber verschaffen, wie es zu der jetzigen, rasanten Verschlechterung der Lebenslage der großen Bevölkerungsmehrheit gekommen ist.

Die Lügen der Regierenden

Regierung und Opposition in Berlin haben zwei sehr bequeme Antworten auf die Frage, weshalb die Arbeitslosigkeit immer neue Rekorde bricht, weshalb die Finanzgrundlagen der Sozialversicherungen immer mehr wegbrechen: weil die „demographische Entwicklung", die zunehmende Überalterung der Bevölkerung, das Gesundheitssystem bzw. die Rentenkassen überfordem würden und die Arbeitskosten in Deutschland zu hoch seien. Träfe dies zu, bliebe uns nichts anderes übrig, als den Gürtel solange enger zu schnallen, bis ein neuer Beschäftigungsboom wieder frische Mittel in die Sozialkassen spülen würde. Doch diese „Erklärungen" sind der Gipfel der Heuchelei. Wäre die Überalterung die Ursache der Pleite der Sozialkassen, müsste die Bundesrepublik bzw. die EU händeringend nach jungen Arbeitskräften als potentiellen Beitragszahlem Ausschau halten. Tatsächlich aber werden Jährlich hundertjausende, auf Arbeitssuche sich befindende junge Menschen und ihre Familien mit Hinweis auf das Problem der Massenarbeitslosigkeit gewaltsam daran gehindert, das Gebiet der EU überhaupt zu betreten. Es ist umgekehrt so, dass die Erwerbslosigkeit die Hauptursache des zunehmenden Bankrotts der Sozialversicherungssysteme darstellt. Auch die Überalterung der Bevölkerung ist darauf zurückzuführen, dass seit Jahrzehnten die zunehmende Arbeitshetze, die Misere, die Wohnungsnot und die Unsicherheit der Beschäftigung viele Menschen abschreckt, Kinder in die Welt zu setzen. Mit ihrem Gerede von der „Generationsgerechtigkeit" wollen SPD/ Grüne/ Union/ FDP/ PDS nicht nur die wahren Ursachen der Wirtschaftskrise vertuschen, sondern darüber hinaus Jung und Alt gegeneinander aufhetzen, die Mentalität der Selektionsrampe fördern.

Auch das Gerede über die verlorengegangene Konkurrenzfähigkeit des Standortes Deutschland als Ursache der Misere verschleiert das wirkliche Problem. Es unterstellt, dass Massenarbeitslosigkeit und zunehmende Verarmung spezifische Probleme der Bundesrepublik seien. Tatsächlich ist aber kein Staat der Erde genügend konkurrenzfähig, da der kapitalistische Weltmarkt unter chronischer Überproduktion und Überschuldung leidet. Seit Jahrzehnten wird die arbeitende Bevölkerung aller Länder dazu aufgerufen, die Angriffe des Kapitals tatenlos hinzunehmen, um die verlorengegangene Konkurrenzfähigkeit wiederzuerlangen - was aber nur zu einer Verschlechterung der Lage der Lohnabhängigen in allen Ländern geführt hat.

Die Lügen der linken „Reformisten"

Die Organisatoren der heutigen Demo hingegen behaupten, die ausufernde Verschuldung des Staates sowie die Deckungslücken der Sozialversicherungen sei das Ergebnis einer falschen Politik. Die ständige Reduzierung des Arbeitgeberanteils an den Versicherungen sei ursächlich für die Defizite des Gesundheitssystems sowie der Rentenkassen verantwortlich, die zunehmende Zahlungsunfähigkeit der Kommunen sei das Resultat der Abschaffung der Gewerbesteuer usw. Und wenn die Kapitalisten lieber ihr Geld verspekulierten, anstatt es in neue Jobs zu investieren, dann weil der „Neoliberalismus" das Finanzkapital einseitig begünstige, anstatt, wie von dem Ökonomen Tobin vorgeschlagen, internationale Finanztransaktionen zu besteuern.

Manche dieser „Linksradikalen" sprechen von einem „Investitionsstreik" und fordern entweder, dass der Staat die Unternehmen zu produktiven Investitionen zwingen oder aber die Konzerne gleich verstaatlichen solle, damit der Staat an ihrer Stelle neue Jobs schaffe. Ware eine „falsche Politik" tatsächlich die Ursache der Wirtschaftskrise, so wäre ein eigenständiger Widerstand der Beschäftigten und Erwerbslosen gegen die Agenda 2010 höchst überflüssig. Nicht Klassenkampf, sondern ein „Politikwechsel", eine „Reform des Systems" wäre von Nöten. D.h., es würde reichen, linke Politiker vom Schlage Lafontaines bzw. Gewerkschaftsführer wie Bsirske oder Peters an das Ruder der Macht zu bringen, um eine Umverteilung von oben nach unten zu bewerkstelligen. Die Globalisierungsgegner haben richtig erkannt, was heutzutage jeder mit eigenen Augen sehen kann: dass der Staat ausschließlich die Interessen der Besitzenden auf Kosten der Besitzlosen vertritt. ATTAC, Teile der Gewerkschaften sowie die „radikale Linke" behaupten aber, dass der Staat durch einen Politikwechsel dazu gebracht werden könnte, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung gegen, die des Kapitals zu verfechten. Doch der Staat dient nicht deshalb den Interessen des Kapitals, weil er durch eine bestimmte, „neoliberale" Politik fehlgeleitet wird, sondern weil der Staat ein Herrschaftsinstrument und eine Ordnungsmacht ist, welcher in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gar nicht anders kann als die Interessen des Kapitals zu vertreten. Wenn der Staat alles tut, um die Gewinne der Unternehmen zu sichern, dann deshalb, weil die kapitalistische Gesellschaft nur dann ordnungsgemäß geführt werden kann, wenn ausreichend Profit erzielt wird. Bei ihren Investitionsentscheidungen lassen sich die Kapitalisten nicht durch neoliberale oder andere Ideologien, sondern durch die voraussichtlichen Gewinnaussichten leiten. Und auch wenn der Staat bestimmte Investitionen aus politischen Erwägungen vorschreiben oder betätigen kann, beschleunigen diese Investitionen, sobald sie an den Bedürfnissen des Marktes vorbeigehen, letztendlich den wirtschaftlichen Niedergang - wie der Zusammenbruch der staatskapitalistischen Regime Osteuropas 1989 gezeigt hat.

Wenn seit Jahrzehnten weltweit die Investitions- und Wachstumsraten nachlassen, so zeigt dies auf, dass die Wirtschaften auf kapitalistischer Grundlage immer weniger ergiebig, sprich, profitabel wird. Wenn sich der Finanzsektor immer mehr auf Kosten der Industrie aufbläht, so ist dies ein sicheres Zeichen des Niedergangs des Profitsystems. Die menschliche Arbeitskraft ist nämlich die Quelle des kapitalistischen Mehrwerts. Durch Finanztransaktionen und dergleichen entsteht kein neuer Reichtum, sondern der vorhandene Reichtum wird lediglich neu verteilt. Die Schranken des Marktes, die Produktion für Profit, sind zu einem unerträglichen Hindernis für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geworden. Die zunehmende Barbarei der niedergehenden bürgerlichen Gesellschaft seit dem Ersten Weltkrieg zeigt den historischen Bankrott der kapitalistischen Produktionsweise auf. Um dennoch zu überleben, bleibt dem Kapitalismus nichts anderes übrig, als auf Kosten der Lohnabhängigen die Profite der Herrschenden möglichst zu stützen. Deswegen werden die Steuern und Abgaben der Unternehmen zusammengestrichen, die der Arbeiter unaufhörlich angehoben: um die Banken, Versicherungen und Industriekonzerne über Wasser zu halten. Nur durch eine fortschreitende, absolute Verelendung der Arbeiterklasse, kann der Kapitalismus bestehen, wie Karl Marx bereits vor 150 Jahren aufgezeigt hat.

Der einzige Ausweg: der Klassenkampf

Da die Regierenden, der Staat und auch die „linken Reformkräfte" ein Teil des Problems, ein Teil des Kapitalismus sind, können sie niemals ein Teil der Lösung des Problems werden. Nur die Betroffenen selbst, nur die Arbeiterklasse kann sich gegen die Angriffe zur Wehr setzen. Indem die Arbeiter sich wehren, vertreten sie die Interessen der Menschheit gegen die Interessen des Kapitals. Denn die Logik des Kapitalismus verlangt die Unterordnung der lebendigen Arbeit unter die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals. Indem die Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentner ihr Leben und Überleben verteidigen, widersprechen sie der Logik der „Wirtschaftlichkeit", sprich, der Konkurrenz, des Marktes und des Profites. Damit erheben sie in der Praxis den Anspruch auf eine neue Gesellschaft, in der nicht mehr der private Gewinn, sondern die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse das Ziel sein wird. Nur die Arbeiterklasse kann gegen die Angriffe etwas ausrichten - diese Botschaft wird vielen, gerade heutzutage, wenig verheißungsvoll klingen. Schließlich wird uns unaufhörlich eingeredet, dass es keine Klassen mehr gebe, dass der Marxismus nicht mehr zeitgemäß sei. Doch langsam beginnt die Krise die Arbeiter zu zwingen sich zu wehren. Und dort wo, wie in diesem Jahr in Frankreich, Österreich oder Italien Hunderttausende auf die Straße gehen, um gegen die Rentenkürzungen der Regierungen zu demonstrieren, da dämmerte es allmählich: die Arbeiterklasse, die gibt es doch noch. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Noch besitzen die Lohnabhängigen kaum Selbstvertrauen oder ein Gefühl der Zusammengehörigkeit als Klasse. Noch fühlen sie sich eingeschüchtert durch die Macht ihres Gegners sowie durch die Angst vor Entlassungen und Repressalien. Da ist es verständlich, dass sie wenig Neigung verspüren, sich unüberlegt in den Kampf zu stürzen.

Man soll sich auch nicht unüberlegt in den Kampf stürzen. Der Kampf lohnt sich, weil die Tatenlosigkeit der Betroffenen seit Menschengedenken die Herrschenden nur ermuntert hat, noch rücksichtsloser anzugreifen. Der Kampf lohnt sich aber auch deshalb noch, weil wir durch den Kampf die Tradition der Solidarität, das Gefühl der Zusammengehörigkeit wiedererlangen können. Die kapitalistische Wirtschaftskrise ist eine Geißel der Menschheit. Sie birgt aber auch die Chance, dass die Arbeiterklasse dadurch allmählich das Wesen des Systems und die Notwendigkeit seiner Überwindung begreift. Denn die lohnabhängige Bevölkerung erlebt am eigenen Leibe die Widersprüche des Kapitalismus. Wenn, wie zur Zeit bei der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), fast die Hälfte der Stellen gestrichen wird, während die verbleibenden Beschäftigten die Arbeit der „Ausgemusterten" bei deutlich weniger Lohn mit übernehmen sollen, stellt sich die Notwendigkeit einer wirklich kommunistischen Produktion, wo die Ergiebigkeit und planmäßige Organisation der Arbeit der Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse dient, bei einer radikalen Kürzung der Arbeitszeit für alle.

Die Bedürfnisse des Kampfes

Die Angriffe des Kapitals machen die Wiederaufnahme des Klassenkampfes dringend erforderlich. Um ein Kräfteverhältnis zu Gunsten der Arbeiterklasse aufbauen zu können, müssen die Kämpfe möglichst allgemein geführt werden. Gemeinsam müssen Beschäftigte, Erwerbslose und Rentner, die Arbeiter des öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft, im Osten wie im Westen kämpfen. Dies erfordert möglichst massive Straßendemonstrationen sowie die Erhebung möglichst einheitlicher Forderungen, welche die Gemeinsamkeit der Interessen und die Solidarität aller Arbeiter zum Ausdruck bringen. Dies macht eine möglichst eigenständige Organisierung des Kampfes, gegen die Sabotage von Seiten der linken, kapitalistischen Ordnungskräfte, vor allem der Gewerkschaften erforderlich. Vollversammlungen werden erforderlich sein, welche den Willen der Arbeiter selbst zum Ausdruck bringen können.

Um diese Kämpfe vorzubereiten ist es erforderlich, dass die bereits kämpferischen, bereits politisch nachdenkenden Minderheiten zusammenkommen, um über die Bedingungen des Kampfes zu reden, um die Lehren aus den ersten Aktionen zu ziehen und über das Wesen des Kapitalismus und die Perspektive einer künftigen Gesellschaft zu sprechen.

 

Die Zukunft gehört dem Klassenkampf! Internationale Kommunistische Strömung 01.11.2003

Polemik mit der Gruppe Internationaler SozialistInnen (GIS) ....

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.... zu gewissen Organen des bürgerlichen Staats

In verschiedenen Ländern tauchen Gruppen und Diskussionszirkel auf, in denen sich Leute auf linkskommunistische Positionen berufen. Es ist zwar nur eine kleine Minderheit, die sich da und dort bemerkbar macht. Wir haben aber keinen Grund daran zu zweifeln, dass es der ”alte Maulwurf”1 [11] ist, der brav wühlt und einen unterirdischen Bewusstseinsprozess zum Ausdruck bringt. Dies stellten wir insbesondere auch im letzten Frühjahr fest, als in Deutschland aus Anlass des begonnenen Irakkriegs neben dem Flugblatt der IKS mindestens vier weitere Flugblätter zirkulierten, die nicht nur den Krieg, sondern auch den Pazifismus verurteilten und internationalistische Positionen verteidigten2 [11].

Ein Ausdruck dieser Gärung ist die Gruppe Internationaler SozialistInnen (GIS), mit welcher wir uns sowohl an Veranstaltungen als auch in der Weltrevolution schon verschiedentlich auseinandergesetzt haben. Dabei begrüßten wir abgesehen von der internationalistischen Haltung, d.h. der Ablehnung jeder nationalistischen ”Befreiungsideologie”, insbesondere auch die Kritik an Trotzkis Verteidigung der Sowjetunion als ”degenerierten Arbeiterstaat”. Da die GIS dem linkskapitalistischen Milieu des Trotzkismus entstammt, ist ihre Einsicht, dass die ”sog. realsozialistischen Länder in keinster Weise ‚antikapitalistisch‘, ‚progressiv‘ oder ‚fortschrittlich‘ waren, sondern besonders brutale Formen des Staatskapitalismus darstellten” keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Der Trotzkismus verriet im 2. Weltkrieg den Internationalismus, indem er sich für die Verteidigung des einen imperialistischen Lagers, nämlich des russischen, entschied, da es sich bei der Sowjetunion um einen zwar degenerierten, aber immerhin doch noch um einen Arbeiterstaat gehandelt habe; gleichzeitig riefen die Trotzkisten zum Krieg gegen die deutschen Truppen auf, statt zum revolutionären Bürgerkrieg in allen Ländern. In dieser prinzipiellen Frage sind wir uns mit der GIS einig.

Nicht auf halbem Weg stehen bleiben!

In den letzten Nummern ihrer Zeitung Sozialismus oder Barbarei veröffentlichte die GIS aber verschiedene Artikel, die uns zu einer Entgegnung veranlassen, da sie eine zaudernde, halbherzige Haltung verraten. Es geht in diesen Beiträgen um die SPD, die PDS und die Gewerkschaften.

In einem Artikel zur Schlappe der PDS bei den Bundestagswahlen kritisiert die GIS die Funktionäre der PDS wegen ihrer Schreibtischtäterperspektive: ”Dass es so etwas wie sozialistische Politik ganz jenseits der Parlamente geben könnte, dass es gar SozialistInnen und KommunistInnen geben könnte, die sich aus gutem Grund dem Mitmachen bei dieser Inszenierung verweigern, ist für solche Leute jenseits des Vorstellbaren. (...) Als institutionelle Opposition, deren originäre Funktion es ist, Protest parlamentarisch zu kanalisieren und die Linke im Würgegriff des Pragmatismus und der Sachzwänge zu halten, hat die PDS ausgespielt. Auch wenn man es natürlich individuell bedauerlich finden kann, dass Abgeordnete wie Winfried Wolf oder Ulla Jelpke diesem Parlament nicht mehr angehören (was aber auch schon bisher nur von sehr begrenzter Bedeutung für irgendeine Art von außerparlamentarischer Opposition war), ist diese Entwicklung im Großen und Ganzen zu begrüßen.” (Sozialismus oder Barbarei, Ausgabe 6, S. 8)

Wenn man diese Zeilen (und den ganzen Artikel ”Danke PDS!”) liest, drängt sich die Frage auf, welches Verhältnis die GIS zur PDS hat. Will die GIS versuchen, die PDS oder Teile davon für eine revolutionäre Politik zu gewinnen? Hat die GIS insgeheim erwartet, dass die PDS vielleicht im Bundestag eine ”Bedeutung für irgendeine Art von außerparlamentarischer Opposition” hätte spielen können, die für die proletarische Revolution von Nutzen gewesen wäre? Und welche Entwicklung soll nun genau zu begrüßen sein? Dass die PDS ihre Rolle als institutionelle Opposition ausgespielt habe? Dass sie nun zunehmend zu einer außerinstitutionellen Opposition werde?

Obwohl der Artikel an anderer Stelle die historische Parallele zur Sozialdemokratie zieht, die sich während und nach dem 1. Weltkrieg aus einer Arbeiterpartei in eine staatstragende, d.h. bürgerliche Partei verwandelte, behält die GIS zur PDS ein ambivalentes Verhältnis. Sie kritisiert diese Nachfolgeorganisation der SED, der Einheitspartei in einer ”besonders brutalen Form des Staatskapitalismus” 3 [11] so, als ob es da für die Sache der Revolution doch noch etwas herauszuholen gäbe. Insbesondere fällt auf, dass die GIS nicht die PDS an sich angreift, sondern ”diese Leute”, d.h. die Funktionäre, die ”Strategen aus dem Karl-Liebknecht-Haus”, die ”Parteigremien und Vorstände”, die ”PDS-Realos”, die es ”in den letzten Jahren fertiggebracht haben, so ziemlich alles zu ignorieren, was die linke Befindlichkeit noch immer als Schmerzgrenze definiert”.

Klassencharakter erkennen

Mit dieser Kritik an der PDS-Führung lässt sich die GIS die Möglichkeit einer kritischen Zusammenarbeit mit Teilen der PDS offen. Die GIS sagt dies zwar nicht ausdrücklich, aber wenn sie die Führung derart kritisiert und nichts über den Rest dieser Partei sagt, liegt der Schluss auf der Hand, dass mit der ”Basis” etwas anzufangen wäre, oder dass die PDS sogar für das Proletariat zurückgewonnen werden könnte. Dies wiederum erinnert an die bekannten trotzkistischen Taktiken des Entrismus bzw. des Frontismus 4 [11]

Für eine proletarische Organisation ist es überlebenswichtig, ihre Selbständigkeit gegenüber bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien zu wahren. Dies war schon im aufsteigenden Kapitalismus eine der Lehren von Marx und Engels nach den revolutionären Kämpfen von 1848: ”Statt sich abermals dazu herabzulassen, den bürgerlichen Demokraten als beifallklatschender Chor zu dienen, müssen alle Arbeiter, vor allem der Bund, dahin wirken, neben den offiziellen Demokraten eine selbständige geheime und öffentliche Organisation der Arbeiterpartei herzustellen und jede Gemeinde zum Mittelpunkt und Kern von Arbeitervereinen zu machen, in denen die Stellung und Interessen des Proletariats unabhängig von bürgerlichen Einflüssen diskutiert werden.”5 [11]

Dies gilt umso mehr im dekadenten Kapitalismus, wo die Widersprüche dieses anarchischen Systems auf die Spitze getrieben werden und die Gesellschaft so auseinander zu reißen drohen, dass es zur Erhaltung dieses Systems den staatlichen Totalitarismus braucht, der (im Rahmen des Nationalstaats) alles verwaltet und kontrolliert und jede dauerhafte Massenorganisation in Organe des Staates verwandelt und integriert. Für Marxisten ist es unabdingbar, sich bei jeder Organisation zunächst die Frage nach deren Klassencharakter zu stellen: Ist eine bestimmte Partei oder Gruppierung bürgerlicher oder proletarischer Natur? Für Revolutionäre kann es kein Zusammengehen mit einer bürgerlichen Organisation geben. Denn dies bedeutet, die Selbständigkeit der Arbeiterklasse aufzugeben und kann nur zum Verrat am kommunistischen Programm führen. Bei dieser Untersuchung des Klassencharakters einer bestimmten Gruppierung spielen einerseits ihre Positionen und ihre Praxis eine entscheidende Rolle, andererseits aber auch ihre Geschichte: Die Erfahrungen der letzten 150 Jahre zeigen, dass es zahlreiche proletarische Organisationen gegeben hat, die die Klasse verraten haben und ins bürgerliche Lager übergegangen sind (Sozialdemokratie 1914-1920, offizielle KPs 1925-1933, Trotzkisten 1939-1945), dass es aber umgekehrt keine einzige bürgerliche Organisation gegeben hat, die ins proletarische Lager gewechselt hätte. Dies ist kein Zufall: Gerade wegen des totalitären Charakters des Staatskapitalismus (im Westen wie im ehemaligen Osten) werden alle bürgerlichen Organisationen zu Rädern im Staatsapparat, zu staatlichen Organen. Doch da der bürgerliche Staat, wie die Genossen der GIS im gleichen Artikel über die PDS richtig sagen, ”nicht demokratisch reformiert und übernommen werden kann, sondern revolutionär zerschlagen werden muss”, gilt dies natürlich auch für seine Organe - also für seine Parteien wie die PDS oder die SPD.

Wenn man also mit der GIS davon ausgeht, dass die DDR in keiner Weise antikapitalistisch oder fortschrittlich, sondern eine besonders brutale Form des Staatskapitalismus war, so muss man die marxistische Methode in Bausch und Bogen verwerfen, wenn man gleichzeitig behaupten will, die Nachfolgeorganisation der ehemaligen Einheitspartei dieses Staates enthalte heute irgendwo (wenigstens an der ”Basis”) einen proletarischen Überrest. Die GIS sagt dies zwar nicht ausdrücklich, aber den Ton und die Argumentationsweise in ihrem zitierten Artikel lassen die Folgerichtigkeit arg vermissen. Zu viele Hintertüren werden da offen gelassen.

Und die Gewerkschaften?

Mit ihren Artikeln verrät die GIS, dass sie nicht nur zur PDS, sondern auch zur SPD und zu den Gewerkschaften ein zwiespältiges Verhältnis hat. Während die Grünen aus der Sicht der GIS wegen ihrer ”überwiegend mittelständischen Klientel weitaus einfacher für forcierte Angriffe auf Lohnabhängige zu begeistern” seien und keine Schonung verdienen, werden die SPD-Führung, die Gewerkschaftsfunktionäre und die Basis dieser Organisationen wiederum mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen. In der Ausgabe 8 von Sozialismus oder Barbarei kommentiert die GIS den SPD-Sonderparteitag im Frühjahr 2003: ”Wie schon bei den Debatten über die Riesterrente und die Hartzpläne, die von den Gewerkschaften weitgehend mitgetragen wurden, richtete sich die mal mehr mal weniger kraftmeierische Kritik einiger Gewerkschaftsfunktionäre an der Agenda 2010 niemals gegen die intendierte Marschrichtung, sondern lediglich gegen Einzelaspekte, die ‚soziale Schieflage‘ wie es Verdi-Chef Bsirske formulierte. (...) Wohl noch nie in der Geschichte der BRD war den Gewerkschaften von einer SPD-Regierung so dermaßen die kalte Schulter gezeigt worden.

Hinzu kam der von CDU- und FDP-Politikern in den Medien aufgebaute Popanz von den Gewerkschaften als ‚Fortschrittsblockierern‘ und als ‚Plage für das Land‘, der nicht unwesentlich dazu beitrug, gewerkschaftliche Positionen im öffentlichen Diskurs zu diskreditieren.

Nachverhandeln, den berechtigten Unmut der Basis über die Kürzungspläne auffangen und die Gewerkschaften wieder als ‚verantwortliche Sozialpartner‘ und ‚Garanten des sozialen Friedens‘ ins Spiel bringen, lautete vor diesem Hintergrund die Devise in den Vorstandsetagen der Gewerkschaftszentralen.” (”Strike! just do it!”)

Aus diesen Zeilen wird deutlich, dass die GIS meint, zwischen linken und rechten Parteien, zwischen Regierung und Gewerkschaften gebe es Widersprüche betreffend die Haltung gegenüber der Arbeiterklasse. Die GIS verkennt, dass sich diese verschiedenen Organisationen lediglich die Arbeit aufteilen. Der Regierung kommt die Funktion zu, die Angriffe mit der Agenda 2010 durchzuziehen. Die Gewerkschaften haben die Rolle, den Widerstand der Arbeiter rechtzeitig zu kanalisieren und in Sackgassen zu lenken. Und wenn die rechten Parteien über die Gewerkschaften herziehen, so wird damit nicht eine Diskreditierung ”gewerkschaftlicher Positionen” bezweckt, sondern im Gegenteil die Aufpolierung des Ansehens der Gewerkschaften nach dem Motto: Wenn die Kapitalisten die Gewerkschaften hassen, so werden sie wohl einen Grund dazu haben - die Gewerkschaften sind eben noch die wahren Vertreter der Arbeiterklasse!

Und dieser Message scheint auch die GIS auf den Leim gegangen zu sein, wenn sie erst jetzt (und zögernd) erkennt: ”Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass sich die auf Burgfrieden mit den Herrschenden getrimmte Politik der Gewerkschaften mehr und mehr als Hindernis für die Verteidigung unserer unmittelbaren Lebensinteressen erweist.” (a.a.O.)

Dies wird nicht erst seit ein paar Monaten deutlich, sondern ist seit dem 1. Weltkrieg klar, als die Gewerkschaften den schon damals so bezeichneten Burgfrieden mit der jeweiligen nationalen Bourgeoisie im Interesse der Kriegsführung eingegangen sind. Nicht nur die SPD, sondern auch die Gewerkschaften sind damals zu Organen des Staates geworden, der nicht mehr reformiert oder durch das revolutionäre Proletariat übernommen werden kann, sondern während der Revolution zerschlagen werden muss. Anton Pannekoek und die KAPD gehörten zu den ersten, die die neue Rolle der Gewerkschaften erkannten und daraus die Schlussfolgerungen für das Proletariat zogen: ”Was Marx und Lenin für den Staat hervorhoben: dass es seine Organisation trotz der formellen Demokratie unmöglich macht, ihn zu einem Instrument der proletarischen Revolution zu machen, muss daher auch für die Gewerkschaftsorganisationen gelten. Ihre konterrevolutionäre Macht kann nicht durch einen Personenwechsel, durch die Ersetzung reaktionärer durch radikale oder ‚revolutionäre‘ Führer vernichtet oder geschwächt werden. Die Organisationsform ist es, die die Massen so gut wie machtlos macht und sie daran hindert, die Gewerkschaft zum Organ ihres Willens zu machen. Die Revolution kann nur siegen, indem sie diese Organisation vernichtet, d.h. die Organisationsform so völlig umwälzt, dass sie zu etwas ganz anderem wird.”6 [11]. Die Gewerkschaften sind seit dem 1. Weltkrieg Teil des kapitalistischen Staates. Materialistisch betrachtet erklärt sich das durch den Verlust ihrer Funktion, die sie bis zu diesem Zeitpunkt noch ausüben konnten: Im aufsteigenden Kapitalismus waren die Gewerkschaften die Organisationen, die sich die Arbeiter zur Erkämpfung von Reformen (Verkürzung der Arbeitszeit, Erhöhung des Reallohnes) gegeben hatten. Mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine niedergehende Phase hörte das System auf, ein historisch fortschrittliches zu sein. Der Kapitalismus hatte sich auf die ganze Welt ausgedehnt und war im wörtlichen Sinn an seine Grenze gestoßen. Seither kann die Arbeiterklasse keine dauerhaften substantiellen Reformen mehr erkämpfen. Die Inflation frisst einmal gewährte Lohnerhöhungen gleich wieder auf; die Arbeitszeit wird nicht mehr wirklich verkürzt, vielmehr nimmt die Hetze am Arbeitsplatz je länger je mehr zu; schließlich breiten sich die Arbeitslosigkeit und die Verarmung immer mehr aus. Ein Kampf um Reformen ist im dekadenten Kapitalismus objektiv zwecklos, damit aber auch die Gewerkschaften für die Arbeiter. Aus diesem Grund konnten und mussten sie in den totalitären Staatsapparat integriert werden (vgl. dazu auch die Polemik mit ”Soziale Befreiung” in Weltrevolution Nr. 119 zur Frage, ob die Gewerkschaften die Ware Arbeitskraft zu einem möglichst guten Preis zu verkaufen versuchen).

Dabei darf man nicht einen soziologischen Maßstab anlegen und meinen, weil sich in den Gewerkschaften Arbeiter befänden, seien sie Arbeiterorganisationen. Oder umgekehrt: Weil sich die Mitgliedschaft der Grünen aus einer ”überwiegend mittelständischen Klientel” rekrutiere, sei sie arbeiterfeindlicher als eine SPD. Die Soziologie ist ein Handwerk der Bourgeoisie. Wesentlich ist aber vom proletarischen Standpunkt aus nicht die Klassenzusammensetzung einer Organisation, sondern deren Funktion innerhalb der bestehenden Gesellschaft. Die Gewerkschaften üben die Rolle einer Polizei in den Reihen der Arbeiterklasse aus und können dies nur deshalb, weil sie tatsächlich Arbeiter organisieren - aber eben gegen deren Interessen. Oft tritt denn auch dieser Widerspruch offen zutage. Pannekoek hat dies bereits 1920 erkannt und daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen: Dass spontane Streiks der Arbeiter gegen den Willen der Gewerkschaften als etwas Natürliches vorkommen, ”bringt zum Ausdruck, dass die Organisation nicht die Gesamtheit der Mitglieder ist, sondern gleichsam etwas ihr Fremdes; dass die Arbeiter nicht über den Verband gebieten, sondern dass er als eine äußere Macht, gegen die sie rebellieren können, über ihnen steht, obgleich doch diese Macht aus ihnen selbst entsprießt - also wieder ähnlich wie der Staat.”(a.a.O).

Mit der bürgerlichen Vergangenheit brechen

Die Genossen der GIS bleiben mit ihrer Kritik an PDS, SPD und Gewerkschaften auf halbem Weg stehen. Sie ziehen keine klare Trennungslinie zwischen sich und dem (bürgerlichen, staatskapitalistischen) Klassenfeind. Offenbar zählt sich die GIS selbst noch zu dem, was sie die ”Linke” nennt, wenn sie sich über die PDS-Funktionäre entrüstet, die die ”linke Befindlichkeit” mit Füssen trete und die ”Linken im Würgegriff des Pragmatismus und der Sachzwänge” gefangen halte. Wäre es nicht konsequent und an der Zeit, wenn sie die GIS selber von diesen Linken, die effektiv lediglich ein Teil des Staatsapparates sind, trennen und soliden marxistischen Boden betreten würde?

FS, 6.11.03

1 [11] vgl. Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW Bd. 8, S. 196

2 [11] vgl. "Internationalistische Stimmen gegen den Krieg" in Weltrevolution Nr. 118

3 [11] zit. aus dem "Politischen Selbstverständnis der GIS"

4 [11] Wir können in diesem Artikel nicht im Detail auf den Trotzkismus eingehen und verweisen stattdessen auf früher erschienene Artikel zu diesem Thema, z.B. in Weltrevolution Nr. 61 "BSA-Kritik an Gewerkschaften: ein Täuschungsmanöver", Nr. 96 "Bündnispolitik und Arbeiterklasse" oder auf die Broschüre in französischer Sprache "Le trotskisme contre la classe ouvrière"

5 [11] Marx/Engels, Ansprache an der Zentralbehörde an den Bund, März 1850, MEW Bd.. 7 S. 248 f.)

6 [11] Anton Pannekoek, Weltrevolution und kommunistische Taktik, Wien 1920.

Rebellion/FAUCH:

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Auf zur Verteidigung des Sozialstaates?

Angesichts der heftigen internationalen Angriffe auf die Renten hat sich die Arbeiterklasse in den letzten Monaten in verschiedenen Ländern mobilisiert. In diesem Zusammenhang sind auch verschiedenste linke Gruppierungen mit ihrer Presse an Demonstrationen aufgetreten, angeführt von ATTAC, über Trotzkisten, bis hin ins anarchistische Lager. Der gemeinsame Tenor, der in ihren Blättern zu erkennen ist: die ”Verteidigung des Sozialstaates gegen einen wildgewordenen Kapitalismus”! Wir wollen in diesem Artikel etwas genauer auf die Forderungen einer anarchosyndikalistischen Gruppe in der Schweiz eingehen. Ein Beispiel, welches die historische Unfähigkeit des Anarchosyndikalismus bestätigt, den Kampf der Arbeiterklasse und dessen wirkliche Ziele zu verstehen.

Auf zur Verteidigung des Sozialstaats?

Die Zeitschrift der Libertären Koordination FAUCH-OSL vom September 2003 Rebellion Nr. 25 titelt gross auf Seite eins. ”Auf zum schleichenden Generalstreik!”. Wie es sich für den Anarchosyndikalismus traditionell gehört, wettern sie gehörig gegen die Gewerkschaftsbürokratie: ”Trotz Säbelgerassel und Grossdemonstration am 20. September unter dem Motto ”Hände weg von der AHV” (Abkürzung für die Rente in der Schweiz) hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund SBG nicht die kleinste Absicht, einen wirklichen Kampf um die Renten zu führen. Sozialdemokratische Partei (SPS) und SBG wollen einzig ihre Fähigkeit beweisen, die Unzufriedenheit in die ”richtigen” Bahnen zu lenken, um die ”Modernisierung” nicht zu gefährden, die sie mit den Bürgerlichen befürworten und verwalten. Die Staatslinke möchte wie in Deutschland zeigen, dass sie regierungsfähig ist, die von der WTO aufgetragenen Restrukturierungen umsetzt und ein treuer Partner der Wirtschaft ist, führe es auch zu einem Gewichtsverlust vor den eigenen Mitgliedern und WählerInnen. Sie erweisen sich einmal mehr als Steigbügelhalter des Kapitals.

Wenn es noch eine Linke in diesem Lande gäbe, wäre nun der Moment da, die 2. Säule (Pensionskassen) anzugreifen. Die angebliche ”Sicherheit” der kapitalgestützten Altersvorsorge ist entlarvt. Die einzige wirklich sichere Lösung ist eine gute AHV für alle!”.

Richtig, die angebliche Sicherheit, die uns das kapitalistische System vorgaukelt, entblösst sich zunehmend als ein Bluff! Einerseits durch die sich beschleunigende weltweite Kriegsspirale, welche das Kapital nicht stoppen kann. Andererseits verdeutlichen gerade die heutigen Angriffe auf die Arbeiterklasse, bei denen es nicht nur um isolierte Lohnkürzungen oder Kurzarbeit geht, sondern um die Infragestellung der Lebensperspektive, den absoluten Bankrott des Systems. Soweit ist die Feststellung von Rebellion richtig. Doch für was soll die Arbeiterklasse heute kämpfen? Etwa für folgenden Vorschlag der Anarchosyndikalisten?: ”In Anbetracht dieser Situation muss eine kämpferische Strategie entwickelt werden, um die gegenwärtige zweite Säule in eine andere, existenzsichernde AHV umzuwandeln: Eine neue und starke AHV, die ein würdevolles Leben garantiert, gemäss den Kriterien der Solidarität, der Gleichheit und der sozialen Gerechtigkeit.” (Rebellion Nr. 22)

Um es vorwegzunehmen: Rebellion ruft bei genauem Hinsehen die Arbeiter dazu auf, die sogenannten Errungenschaften des kapitalistischen Sozialstaates zu verteidigen oder gar zu verbessern, auch wenn sie es nicht mit diesen Worten benennen. Dies ist, in kämpferischer Aufmachung, nichts anderes als die von ihnen selbst beschimpfte klassische Vorgehensweise der kapitalistischen Linken und des Reformismus, welche der Arbeiterklasse vorgeben, dieses System sei auf irgend eine Art und Weise reformierbar oder es gäbe für die Arbeiterklasse zumindest noch gewisse Verbesserungen herauszuholen. Über den im Grunde genommen reformistischen Charakter ihrer Methode kann auch der Radikalismus von Rebellion, der nach Generalstreik ruft und die ”Staatslinke” als Steigbügelhalter des Kapitals bezeichnet, nicht hinwegtäuschen!

Selbstverständlich muss sich die Arbeiterklasse gerade heute gegen die ganze Lawine von Angriffen zur Wehr setzen. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen diesem unabdingbaren Abwehrkampf, den das Proletariat in Ländern wie Frankreich, Österreich oder Deutschland in den letzten Monaten aufgenommen hat, und einem Kampf ”für die altbewährte AHV-Rente und gegen das Pensionskassen-System”.

Wofür soll die Arbeiterklasse kämpfen?

Das Gift, welches in Aufrufen zu einem Kampf um starke Rentensysteme lauert, wie von Rebellion gefordert wird, ist die Beschränkung des Arbeiterkampfes auf isolierte ökonomische Forderungen, die dann vom kapitalistischen Staat garantiert werden sollen. Von einem Staat, der Instrument des Kapitals ist und keinesfalls die Interessen der Arbeiter vertritt. Der Klassenkampf der Arbeiterklasse steht seit dem Beginn der Dekadenz des Kapitalismus (an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert) vor der Alternative, sich entweder auf den ökonomischen Kampf zu beschränken und damit unweigerlich in eine Sackgasse zu geraten. Dies, weil das Kapital gar nicht mehr in der Lage ist, durch den historischen Bankrott seines Systems, der Arbeiterklasse wie im aufsteigenden Kapitalismus des 19. Jahrhunderts bleibende Zugeständnisse zu machen. Die andere Alternative für den Kampf des Proletariates ist diejenige, welche von Revolutionären wie Rosa Luxemburg schon damals gegen die Auffassungen der degenerierenden Sozialdemokratie verteidigt wurde: Der Kampf der Arbeiter muss immer danach streben, über den rein ökonomischen Kampf hinauszugehen und sich vor allen über die politische Natur des eigenen Kampfes bewusst zu werden und dies auch zu bejahen. Dies heisst, die Borniertheit des Ökonomismus, des Kampfes um Reformen, des Lokalismus oder Illusionen einer ”Arbeiterselbstverwaltung der Betriebe” über den Haufen zu werfen.

An sich gilt es, gegen die Positionen von REBELLION dieselben Argumente ins Feld zu führen wie gegen die alte, längst überholte sozialdemokratische Trennung zwischen Minimalprogramm und Maximalprogramm, also der Trennung zwischen einem (im aufsteigenden Kapitalismus des 19. Jahrhunderts noch möglichen) Kampf um Reformen und dem eigentlichen historischen Ziel des Kampfes der Arbeiterklasse, der proletarischen Weltrevolution. An dieser Frage des Zusammenhanges zwischen den alltäglichen Klassenkämpfen des Proletariates und seinem historischen Ziel, der Revolution, scheitert nicht nur die anarchosyndikalistische Strömung kläglich, was die Bedeutung dieser Frage aufzeigt. Der Rätekommunismus beispielsweise, welcher auch versucht sich auf die Arbeiterklasse zu beziehen, hat in seiner Geschichte zum Teil Positionen hervorgebracht, die man mit ”Revolution oder gar nichts” zusammenfassen kann. Ein anderes Beispiel dieser Unterschätzung des revolutionären Potentials der täglichen Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse liefert die sogenannte ”Essener Tendenz” der KAPD Anfang der 20er Jahre, welche den ökonomischen Kämpfen ihre Unterstützung entzog und statt dessen die sofortige Revolution verlangte. Solche Strömungen verwerfen wie schon Proudhon im 19. Jahrhundert jegliche Kämpfe der Arbeiter wegen ihrer Beschränktheit (die sie natürlich immer aufweisen können, solange das Proletariat nicht zur Revolution schreiten kann). Eine solche Haltung stiftet in den Reihen der Arbeiterklasse nur Verwirrung. Beides, Anarchosyndikalismus und Rätismus, sind in dieser Hinsicht schlussendlich zwei Seiten derselben Medaille: das Unverständnis über das wirkliche Ziel und den Charakter des Klassenkampfes!

Die Arbeiter müssen sich gegen die Angriffe zur Wehr setzen. Dies ist das Lebenselixier des Klassenkampfes, auch wenn Mobilisierungen und Streiks, solange der Kapitalismus nicht durch die Revolution überwunden wird, immer dazu verdammt bleiben, vor allem auf der ökonomischen Ebene in einer Niederlage zu enden. Doch die Abwehrkämpfe der Arbeiter bringen die Arbeiterklasse voran, da sie damit politische Erfahrungen sammelt und ihr Selbstvertrauen als Klasse stärken können. In jedem Streik schlummert das Gespenst der Revolution, wie Lenin es treffend formulierte. Das entscheidende im Klassenkampf ist jedoch, dass die Arbeiterklasse sich ihrer politischen und historischen Rolle bewusst wird und Illusionen über Verbesserungen des Kapitalismus überwindet. Ein Weg, der von der Arbeiterklasse selbstverständlich nicht von heute auf morgen zurückgelegt werden kann. Was das Proletariat aufgeben muss, ist nicht der wirtschaftliche Charakter seines Kampfes, was ihm ohnehin nicht möglich ist, solange es als Klasse kämpft; sondern den Glauben, die Verteidigung selbst seiner unmittelbaren Interessen gewährleisten zu können, ohne den streng ökonomischen Rahmen zu verlassen und ohne sich des umfassenden politischen und revolutionären Charakters seines Kampfes bewusst zu werden. Im dekadenten Kapitalismus drückt schlussendlich nur das ”Maximalprogramm”, also das Ziel der proletarischen Revolution, den wirklichen Charakter des Kampfes der Arbeiterklasse aus. Nur das Streben hin zu dieser Perspektive bringt die Klasse vorwärts, keinesfalls aber darf der Klassenkampf auf wirtschaftliche Forderungen beschränkt und durch Illusionen in Reformen geschwächt werden.

Dies ist keinesfalls ein abstraktes Schema, welches die Arbeiterklasse in ihrem, gerade von den Anarchosyndikalisten immer wieder so aktivistisch gesuchten Klassenkampf von einer Klarheit abhalten würde. Im Gegenteil ist vor allem die politische Erkenntnis, dass nur die proletarische Revolution eine Antwort auf die unlösbaren und barbarischen Widersprüche des Kapitalismus geben kann, auch politischer Leitfaden für die heutigen Kämpfe der Arbeiter. Und genau diesen Leitfaden gilt es als Revolutionäre aufzuzeigen anstatt die Arbeiter dazu aufzurufen, den Kopf vor der Geschichte in den Sand zu stecken und etwa für ein ”starkes Schweizer Rentensystem” zu kämpfen. Das Proletariat kann nicht, wie es der Reformismus in verschiedenster Aufmachung darstellt, nur blind ökonomisch reagieren, sondern ist eine politische Klasse, die der Menschheit eine Perspektive anbieten kann.

Da sich Sozialdemokratie und Gewerkschaften schon seit der Zeit des Ersten Weltkrieges und der darauffolgenden weltrevolutionären Welle von 1917-23 nicht nur als Steigbügelhalter des Kapitals entlarvt haben, sondern als fester Bestandteil der herrschenden Klasse im Kapitalismus, fällt es leicht, mit radikalen Worten gegen die ”Staatslinke” und Gewerkschaftsbürokraten zu wettern. Dies ist aber, wie Rebellion beweist, noch nicht im geringsten eine Garantie, den wirklichen Charakter des Reformismus verstanden zu haben.

Wir gehen davon aus, dass die herrschende Klasse sich angesichts der sich zuspitzenden sozialen Verhältnisse völlig im Klaren ist, welche Gefahr für ihr System von Seiten der Arbeiterklasse droht. Die Bourgeoisie hat eine grosse historischen Erfahrung, wie die Kraft der Arbeiterklasse gebrochen werden kann. Die Gewerkschaften übernehmen klassischerweise die Rolle, die Arbeiter auf der eher direkten beruflichen, branchenmäßigen und ökonomischen Ebene in Sackgassen zu führen. Die Linke übernimmt den anderen Part in dieser Arbeitsteilung: die politische Verwirrung der Arbeiter mittels reformistischer, bis 1989 auch meist vom Stalinismus geprägter, bürgerlicher Ideologien. Dass die Sozialdemokratie diese Rolle spielt, scheint Rebellion begriffen zu haben (was auch nicht besonders schwer fällt!). Tatsache ist nur, dass sie mit Aufrufen zur Vereidigung des Sozialstaates selbst in dieselbe Kerbe hauen und lediglich einen Reformismus radikaler Couleur vertreten, der sich hinter einer Arbeitersprache versteckt und Gefahr läuft, mit der ”Regierungslinken” und den Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse Hand in Hand zu gehen!

QS,14.11.03


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