Nur die Arbeiterklasse kann gegen den Krieg kämpfen

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Der Kapitalismus selbst birgt den Krieg in sich. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts, als dieses System in den Zeitraum seiner Dekadenz, seines historischen Niedergangs eintrat, hat es die Gesellschaft in eine immer schlimmer werdende Barbarei gestürzt: 20 Mio. Tote im 1. Weltkrieg (mit nochmal ca. 18 Mio. Toten, die in einer Grippewelle im Winter 1918/1919 infolge Erschöpfung und Auszehrung in Europa dahingerafft wurden), 50 Mio. Tote im 2. Weltkrieg. Und seit 1945 sind praktisch nochmal soviele Menschen umgekommen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert hat es keinen Tag Frieden auf der Welt gegeben. Deshalb bemüht sich die bürgerliche Propaganda so fleißig, die Kriege auf die Verrücktheit des einen oder anderen Politikers zurückzuführen, sie ‚demokratiefeindlichen Regimen’ oder gar den ‚grundlegendsten Instinkten’ oder dem ‚Neid’ des Menschen zuzuschreiben. Keine Lüge bleibt uns erspart, um ein System weißzuwaschen, dessen Fortbestand das Überleben der Menschheit selber gefährdet. Für die Herrschenden ist es eine entscheidende Frage: sie müssen mit allen Mitteln versuchen zu verhindern, daß die einzige Kraft, die sich dem Krieg entgegenstellen kann, die Arbeiterklasse, sich ihrer Verantwortung bewußt wird, und erkennt, was in ihren Kämpfen auf dem Spiel steht.

Die Arbeiterklasse und der Krieg

Seit dem Anfang der Arbeiterbewegung ist der Krieg schon immer eine zentrale Frage für die Arbeiterklasse gewesen. Als der Kapitalismus im 19. Jahrhundert noch ein sich ausdehnendes System war, und seine Entfaltung einen Fortschritt für die ganze Menschheit darstellte, konnten Kriege unter gewissen Bedingungen eine Stufe dieses Fortschritts darstellen (insbesondere, wenn sie die Bildung neuer Nationen ermöglichten, innerhalb deren sich die kapitalistische Wirtschaft voll entfalten konnte). Unter diesen Bedingungen unterstützten die Arbeiter bestimmte nationale Kriege. Dagegen hatte sich die Lage zu Anfang des 20. Jahrhunderts vollständig geändert. Nachdem der Kapitalismus einen Weltmarkt hergestellt hatte, hörte er auf, eine fortschrittliche Rolle bei der Entwicklung der Menschheit zu spielen, und er wurde nunmehr zu einem Hindernis für jeden weiteren Fortschritt. Die Kriege erfüllten damit keine den Fortschritt vorantreibende Funktion mehr. Egal welche Form er auch annahm (ob als ein begrenzter Konflikt zwischen wenigen Nationen oder als weit ausgedehnter Krieg, gar Weltkrieg), der Krieg ermöglichte keine Ausdehnung des Weltmarktes mehr und diente nur dazu, den Markt zwischen den großen kapitalistischen Mächten neu aufzuteilen. Deshalb hat die Arbeiterklasse nicht das geringste Interesse an der Unterstützung irgendeines Krieges, selbst wenn diese Kriege als “nationale Befreiungskämpfe” oder als “kolonialer Befreiungskampf” dargestellt wurden. Seitdem stellt jeder neue Krieg einen Schritt tiefer in noch mehr Barbarei dar. Es handelt sich um einen Prozeß, der nur mit der Zerstörung der Menschheit seinen Abschluß finden kann. So ist der imperialistische Krieg ein unleugbares Indiz dafür, daß dar Kapitalismus zerstört und durch eine vollkommen andersartige Gesellschaft ersetzt werden muß. In solch einer Situation besteht die einzige Position, die den Interessen der Arbeiter entspricht, darin, den Kampf auf eigenem ‚Boden’ gegen den Kapitalismus fortzusetzen mit dem Ziel, ihn umzustürzen. Jede Beteiligung am Krieg muß verworfen werden, egal welche Vorwände eingebracht werden, um zu einer Kriegsbeteiligung aufzufordern (Verteidigung des “Vaterlandes”, “der Zivilisation”, “der Demokratie”, gegen den “Faschismus”, den “Totalitarismus” usw.) Gerade diese Position wurde von den Revolutionären schon vor dem 1. Weltkrieg (sie wurde von den Kongressen der Internationale der Arbeiter 1907 und 1912 verabschiedet) vertreten. In Rußland sollte diese Position 1917 konkretisiert werden. In diesem Land trat die Arbeiterklasse im Februar 1917 massiv gegen den Krieg und damit auch gegen die Regierung auf. Innerhalb weniger Tage wurde das Regime des Zars gestürzt. Weil die provisorische bürgerliche Regierung (die an die Stelle des Zars getreten war) sich weigerte, den Krieg zu Ende zu bringen, wurde diese wiederum im Oktober desselben Jahres abgesetzt, und die Arbeiter mittels der Arbeiterräte die Macht ergriffen. Es war das erste Mal, daß die Arbeiterklasse - angeführt durch ihre revolutionäre Partei - diesen Kernpunkt ihres historischen Programms verwirklichte; die Zerstörung des kapitalistischen Staats und die Errichtung der Diktatur des Proletariats im Hinblick auf die Umwandlung der ganzen Gesellschaft. Dabei riefen die Arbeiter in Rußland ihre Klassenbrüder in den anderen Ländern dazu auf, auch in den revolutionären Kampf einzutreten und ebenfalls den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg gegen die herrschende Klasse umzuwandeln. Dieser Aufruf wurde von den Arbeitern in Deutschland, die zahlenmäßig am stärksten waren und über die größte Erfahrung verfügten, Ende 1918 aufgegriffen. Sie führten auch einen entschlossenen Kampf gegen den Kapitalismus (insbesondere die Arbeiter in Uniform). Aber um nicht beiseite gefegt zu werden, wie es mit der russischen Bourgeoisie geschehen war, entschloß sich die deutsche Bourgeoisie zu einem schnellen Abbruch des Kriegs; zwei Tage nach dem Aufstand der Matrosen in Kiel gegen die Militärbehörden (und danach breitete sich dieser Aufstand in Windeseile übers ganz Land aus) unterzeichnete die deutsche Regierung einen Waffenstillstand mit der französischen Regierung. Danach wurde die revolutionäre Bewegung in Deutschland allerdings besiegt - und später auch in Rußland. Aber in diesen beiden Ländern hatten die Arbeiter bewiesen, daß nur sie dazu in der Lage waren, den Weltkrieg zu Ende zu bringen. Und während der 20er Jahre hatte der Kapitalismus in Anbetracht der Gefahr eines Wiederaufflammens von revolutionären Kämpfen seine militaristische Politik und insbesondere seine Wiederaufrüstung stark einschränken müssen. Und als die Weltwirtschaftskrise von 1929 wiederum für das Kapital nur den einen Weg - einen neuen Weltkrieg - öffnete, konnte die Bourgeoisie diesen neuen imperialistischen Weltkrieg nur auslösen, nachdem sie zuvor systematisch jeden Widerstand der Arbeiterklasse niedergemacht hatte, indem sie wie in Deutschland terrorisiert wurde, oder wie in Frankreich hinter den antifaschistischen Mystifizierungen mobilisiert wurde. Dies war ein weiterer Beweis dafür, daß der Krieg nur möglich ist, wenn der Widerstand der Arbeiterklasse entweder ausgeschaltet ist oder die Arbeiter von ihrem Klassenterrain abgedrängt werden. Und dieser Beweis wurde erneut während der 70er und 80er Jahre geliefert, als die Gegensätze zwischen den beiden imperialistischen Blöcken, die sich bis Ende der 80er Jahre die Welt aufteilten, unter dem Druck der Krise sehr stark waren und sich weiter zuspitzten, aber nicht in einen 3. Weltkrieg mündeten. Die objektiven Bedingungen für solch einen Krieg aber waren vorhanden - sowohl aufgrund der Schärfe der Krise als auch aufgrund des Ausmaßes der Hochrüstung und der vorhandenen militärischen Blöcke. Aber das historische Wiedererstarken der Arbeiterkämpfe von 1968 an hatte verdeutlicht, daß die neuen Arbeitergenerationen der großen kapitalistischen Industriezentren im Gegensatz zu ihren Klassenbrüdern in den 30er Jahren nicht bereit waren, in einem neuen 3. Weltkrieg ihr Leben zu opfern.

Heute wie damals kann nur die Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg kämpfen

Während der letzten beiden Jahrzehnte hat die herrschende Klasse ständig versucht, diese Fähigkeit der Arbeiterklasse, sich einem neuen Weltkrieg entgegenzustellen, zu übertünchen (1). Und man kann verstehen, warum das so war! Für die herrschende Klasse kommt es darauf an, in den Reihen der Arbeiter ein Gefühl der Machtlosigkeit aufrechtzuhalten, ihnen die Idee einzubleuen, daß es für sie keine andere Alternative gebe als widerstandslos das hinzunehmen, was der Kapitalismus ihnen aufzwingt: eine immer schlimmere Ausbeutung, die Arbeitslosigkeit, die Misere, den Krieg. Die Arbeiterklasse soll daran gehindert werden, sich bewußt zu werden, daß sie in der Gesellschaft einen Einfluß ausüben kann, indem sie den Kapitalismus daran hindert, immer mörderische militärische Konflikte auszulösen, und vor allem, daß sie Trägerin einer neuen Gesellschaft ist. Denn es waren die gleichen Gründe, die es der Arbeiterklasse erlaubt haben, bis jetzt einen 3. Weltkrieg zu verhindern, die dafür grundlegend ist, daß sie die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen kann, in der es keine Kriege, keine Misere und keine Ausbeutung gibt. Weil die Arbeiterklasse die einzige Klasse ist, deren Interessen sowohl unmittelbar als auch in der Zukunft vollständig denen der herrschenden Kapitalistenklasse entgegengesetzt sind, kann auch nur sie als Klasse dieser typischen Erscheinung des dekadenten Kapitalismus - dem imperialistischen Krieg - entgegentreten und dieses System aus der Welt schaffen. Dies wurde von den Revolutionen 1917 in Rußland und 1918-23 in Deutschland bewiesen. Deshalb werden die vergangenen Kämpfe der Arbeiter systematisch durch die Schreiberlinge der Herrschenden verschleiert oder entstellt; die Arbeiter von heute sollen nicht zur Kenntnis nehmen, daß sie einer Klasse angehören, die nicht nur dazu in der Lage war, den Weltkrieg zu Ende zu bringen, sondern auch das kapitalistische System in seinen Grundfesten zu erschüttern. Heute werden überall die Lügen verbreitet, daß die Revolutionen von damals, wie die von 1917, endgültig der Vergangenheit angehören, daß die “Arbeiterklasse in einer Krise stecke”, oder daß sie gar verschwunden sei. Und dabei verweisen sie auf die Krisen, in denen die angeblichen Arbeiterorganisationen wie die Gewerkschaften stecken - als ob nicht gerade deren Krise den historischen und unwiderruflichen Verschleiß der Strukturen des kapitalistischen Staates aufzeigten, welche die Arbeiterklasse kontrollieren und ihre Kämpfe im Zaum halten sollen! Tatsächlich ist keiner der Gründe, die die Arbeiter dazu getrieben haben, im und am Ende des 1. Weltkriegs einen Sturmlauf gegen den Kapitalismus anzutreten, verschwunden. Die Arbeiterklasse ist deshalb die revolutionäre Klasse, weil sie als einzige aufgrund ihrer Stellung in der Produktion in der Lage ist, durch die Übernahme der Führung der Gesellschaft den tödlichen Widersprüchen des Kapitalismus ein Ende zu setzen. Niemand anders als sie kann diese für den Kapitalismus typischen Zerstörung, diesen Zerfall aus der Welt schaffen als die Arbeiter. Weil dieses System auf der Ausbeutung der Lohnarbeit fußt und nicht auf der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, ist es in eine unlösbare Wirtschaftskrise versunken, die für die ganze gegenwärtige Barbarei verantwortlich ist. Aber gerade die Ausbeutung der Lohnarbeit und der kapitalistische Profit befinden sich im Mittelpunkt des Kampfes der Arbeiter als Ausgebeutete - und deshalb ihr Interesse an der Abschaffung derselben. Da die Arbeiterklasse die revolutionäre Klasse ist, sind auch ihre unmittelbaren und historischen Interessen ein Teil eines Ganzen, das sich mit den Interessen der gesamten Menschheit deckt. Und dies bleibt heute weiterhin so gültig wie vor 80 Jahren. So wird der grundsätzliche Widerspruch zwischen den Interessen der Arbeiterklasse und denen der Bourgeoisie keineswegs - wie es viele Soziologen behaupten - abgeschwächt. Im Gegenteil: die brutale Zuspitzung der Wirtschaftskrise, das Versinken der Welt in immer zahlreicheren und immer mehr permanenten militärischen Konflikten wird diese Interessensgegensätze nur noch auf die Spitze treiben. Und dies umso mehr, da aufgrund der Krisenauswirkungen bei den Handwerkern und den kleinen Bauern die Arbeiter heute mehr als je zuvor die Hauptproduzenten des gesellschaftlichen Reichtums sind. Auch war die Arbeiterklasse noch nie so stark in gewaltigen Produktionseinheiten zusammengefaßt, noch nie hat sie so assoziiert gearbeitet - und dies sind gerade zwei Faktoren ihrer Stärke. Und aufgrund der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit aller nationalen Bereiche der kapitalistischen Wirtschaft waren die verschiedenen Teile des Weltproletariats und insbesondere die Teile der großen Industriezentren noch nie so gleichzeitig von den Auswirkungen der kapitalistischen Krise betroffen. Dadurch wird das gleichzeitige Zurückschlagen der Arbeiter wie die Entwicklung der objektiven Bedingungen für den proletarischen Internationalismus überhaupt begünstigt. Und gerade dieser proletarische Internationalismus muß zunehmend als wesentliche Grundlage der Arbeiterklasse bei dem Kampf der Arbeiter gegen die militärischen Zusammenstöße in den Vordergrund rücken. Heute sind der Umsturz des Kapitalismus und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft mehr denn je zu einer Lebensnotwendigkeit geworden. Die zunehmende kriegerischen Barbarei und das gleichzeitige Versinken der Gesellschaft im allgemeinen Zerfall beweisen, daß der Kapitalismus die Menschheit in den Abgrund führt. Die Kämpfe der Arbeiter in den zentralen Ländern gegen die wirtschaftlichen Angriffe können unmittelbar den Grad der Beteiligung dieser Industrieländer an der kriegerischen Barbarei begrenzen. Genauso wie in der Vergangenheit der Kampf gegen den Krieg untrennbar verbunden war mit dem Kampf für den Umsturz des Kapitalismus, muß die Arbeiterklasse heute in Anbetracht der immer brutaleren Auswirkungen der kapitalistischen Barbarei verstehen, daß ihre gegenwärtigen Kämpfe ein Teil der Perspektive der Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung sind. Es ist die Aufgabe der revolutionären Organisationen, sich mit ganzen Kräften an diesen Kämpfen zu beteiligen, um diese Perspektive entschlossen und deutlich vorwärtszudrängen.

(aus Révolution Internationale, Zeitung der IKS in Frankreich).