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Nachdem sich die Epidemie in Europa und insbesondere in Italien bereits weit verbreitet hatte, begann die französische Bourgeoisie erst mit großer Verspätung zaghaft Maßnahmen zum "Schutz" der Bevölkerung zu ergreifen. Erst als die Situation in bestimmten Regionen wie der Picardie oder dem Elsass katastrophal war, wachte die Regierung von Macron auf und traf drastische Entscheidungen: Quarantäne, Grenzschließungen, Polizeikontrollen, Mobilisierung der Armee, um den völlig überforderten Gesundheitsteams zu Hilfe zu kommen.
"Wir befinden uns im Krieg", erklärte Präsident Macron in seiner Rede vom 16. März. Seither hört man die Kriegsrhetorik aus den Mündern von Ministern und Politikern aller Couleur: "Der Feind ist hier"! "Nationale Einheit"! "Stellungskrieg"! "Allgemeine Mobilisierung"! Die Regierung hat sogar die „glorreiche Vergangenheit“ ins Rampenlicht gerückt: die "Helden des Zweiten Weltkriegs", werden bemüht, um zu erklären, dass "in den Ellbogen husten" ein "Akt des Widerstands" sei.
Wenn "der Feind" "unsichtbar" und "schwer fassbar" bleibt, ähnelt der Kampf gegen diese Pandemie in der Tat einem wirklichen Krieg: die Regierung verbreitet massenhaft Lügen und Halbwahrheiten; unverantwortlicher Weise schickt sie Millionen Arbeiterinnen an die Arbeitsfront, und ruft den Bürger zu Kommunalwahlen auf.
Der bürgerliche Staat ist für dieses massenhafte Sterben verantwortlich!
"Wir stehen bereit und sind voll gerüstet. Würde der Krieg zwei Jahre dauern, würde unseren Soldaten (in weißen Kitteln) keine Maske fehlen, nicht eine Flasche Desinfektionsmittel", hätte General Macron erklären können! Aber die Wirklichkeit sah breits ganz anders aus: Angesichts der Nachlässigkeit des Staates und des Dilettantismus von Macron segelt die Regierung auf Sicht und verlässt sich nun ganz auf die Ärzte, um die Bevölkerung zu "schützen". Während also Jupiter, der "Kriegsherr" [Macron wird als Jupiter verspottet] und seine Minister ihre kleine Theatralik spielen, opfert sich das Krankenhauspersonal, um Leben zu retten, indem es mit weitgehend unzureichenden Mitteln tut, was es kann.
Heute, angesichts des COVID-19, werden die Arbeitszeiten in allen Stationen wahnsinnig überzogen, und erschöpfte Pfleger schuften mehr als vierzehn Stunden, was das Risiko dramatischer Fehler weiter erhöht. Erschöpfte Pfleger schreien ihre Wut heraus; sie ist gar bis ins Fernsehen zu vernehmen! Im Elsass musste der Staat angesichts der Höhe der Todesfälle und der Patienten mit Atemnot ein "militärisches Feldlazarett" in einem noch nie dagewesenen logistischen Chaos improvisieren, um die zivilen Krankenhäuser zu unterstützen, die durch den Mangel an Betten und Mitteln dem Kollaps nahe stehen.
Was die Vorräte an Masken, Desinfektionsmitteln, Kopfbedeckungen, Kitteln, Atemschutzmasken betrifft: überall mangelt es an Material und Personal! Im Jahr 2005 verfügte der Staat über einen strategischen Bestand von 723 Millionen Masken (1,4 Milliarden im Jahr 2011 nach der H1N1-Krise). Doch infolge der 2013 beschlossenen Haushaltsbeschränkungen sank der Bestand auf 150 Millionen. Angesichts von Rationierungen, der Verwendung veralteter Masken und sogar der Wiederverwendung gebrauchter Masken hat die Regierung nach mehrwöchiger Krise gerade erst 12 Millionen davon aus den ohnehin schon unzureichenden staatlichen Reserven aufgetrieben... für 1,1 Millionen Krankenhausmitarbeiter, die sie alle vier Stunden in den Müll werfen sollen. Genug für ein paar Tage für die Krankenhäuser, die das Glück haben, beliefert zu werden! Was die "nicht lebenswichtigen" Dienste und die Labors betrifft, die täglich Tausende von Tests durchführen, so ist dies ebenfalls Alltag. Keine Masken mehr![1] Das Pflegepersonal, "an der Front" (sic!), ist somit direkt der Krankheit ausgesetzt. Ein Notarzt in Compiègne ist soeben an dem Virus gestorben, und andere werden ihm wahrscheinlich ins Grab folgen! Wie kann Macron sich selbst in den Spiegel schauen, wenn er zu sagen wagt, dass die Gesundheit vor allem anderen kommen muss?
Außerdem lügt der Staat ähnlich einer Bananenrepublik schamlos, um seine Verantwortung und die Wirklichkeit zu verbergen. Die Zahl der Patienten wird daher weitgehend klein gespielt, da die Regierung und die regionalen Gesundheitsbehörden seit einigen Tagen die Tatsache ignorieren, dass das Screening "nicht mehr systematisch" ist, so die bewundernswerte Untertreibung des Gesundheitsministers. In ähnlicher Weise suggerieren die Behörden (mit zunehmender Schwierigkeit), dass die „Überforderung“ der Krankenhäuser sich auf einige wenige Abteilungen beschränkt. Schamlose Lüge! In der Presse und sogar in den sozialen Netzwerken wimmelt es von ergreifenden Zeugenaussagen von Pflegekräften, die manchmal unter Tränen das Ausmaß der Katastrophe beschreiben.
Es muss deutlich gemacht werden: Dieses Chaos ist das Produkt der Dekadenz des kapitalistischen Systems, der Haushaltskürzungen, die der Staat seit Jahrzehnten vornehmen muss, um das nationale Kapital über Wasser zu halten!
Bereits 2004 beschloss der Staat, die Grundlagenforschung zum Coronavirus aus Haushaltsgründen drastisch zu reduzieren![2] Die herrschende Klasse wusste sehr wohl, dass ihre Krankenhäuser, die angesichts der einfachen saisonalen Grippe bereits überfordert waren, dem Schock einer großen Epidemie nicht standhalten würden![3] Der bürgerliche Staat hat sich bewusst dafür entschieden, die Menschen in Massen sterben zu lassen, um seine Finanzen zu "sanieren"!
Mit einem unerträglich paternalistischen Ton lobt General Macron heute den Mut und den Heldenmut der Ärzte, Sanitäter, Krankenpfleger und Krankenwagenfahrer und verschweigt dabei tunlichst zu sagen, dass er seine CRS (das deutsche Pendant ist die Bundespolizei) schickte, um sie ein ganzes Jahr lang mit Tränengas auf den Protestveranstaltungen auseinanderzujagen, während die "Soldaten in weißen Kitteln" mehr Mittel und Personal für die Behandlung der Patienten verlangten! Während eines Jahres voller Streiks und Demonstrationen hörte die Bourgeoisie nicht auf, die Notärzte zu verachten, und als einzige Antworten gab es einen völlig unbedeutenden "Krankenhausplan"[4] und ekelhafte Unterstellungen über ihre angeblichen Privilegien als Beamte. Macron mag ihnen vielleicht Medaillen verleihen, indem er das Pflegepersonal als "Helden" bezeichnet, ihre Gehälter werden nicht steigen und ihre Arbeitsbedingungen werden sich weiter verschlechtern!
Die Demontage des Gesundheitssystems in Frankreich
Das Gesundheitssystem in Frankreich, wie überall auf der Welt, liegt in Trümmern, zerschlagen mit der Axt auf dem Altar der "strengen Haushaltsdisziplin", die Minister Darmanin, einem der besten Schwertkämpfer von General Macron, so sehr am Herzen liegt. In etwa zwanzig Jahren ist die Zahl der Krankenhausbetten um 100.000 gesunken! Die Zahl der Krankenhäuser und Kliniken ist von 1.416 im Jahr 2014 auf 1.356 im Jahr 2018 gesunken.[5] Als Symbol für die Zerstörung des Gesundheitssystems beschloss die Regierung 2014 den Verkauf des Militärkrankenhauses Val de Grâce, das effizienteste und am besten ausgestattete der französischen Krankenhäuser.
Frankreich verfügte im Jahr 2017 über 309 Intensivpflegeplätze pro 100.000 Einwohner, verglichen mit 601 Betten in Deutschland,[6] das (O Wunder!) bislang eine viel niedrigere Sterblichkeitsrate durch Covid-19 hat als seine Nachbarn. In einigen Regionen wie Ostfrankreich oder Korsika spürt man auf die grausamste Weise wie sehr es an Material mangelt, dort hat die Triage der Patienten bereits begonnen. Echte "Kriegsmedizin", bei der die am schwersten Verwundeten und Krüppel (vor allem ältere Menschen) im Stich gelassen werden, wenn sie nicht für die Rentabilität der Volkswirtschaft wiedergewonnen werden können!
All dies geht offensichtlich mit einem chronischen Personalmangel einher sowie einem mörderischen Arbeitstempo, Tausenden von Überstunden und miserablen Löhnen.[7] Die Demontage des Gesundheitssystems hat auch zu der so genannten Numerus-Clausus-Politik geführt, die auf Studenten an Medizin- und Krankenpflegeschulen angewandt wird. 50 Jahre lang wurden Ärzte und Krankenschwestern auf Wettbewerbsbasis ausgewählt, wobei die Anzahl der erfolgreichen Kandidaten willkürlich per Ministerialverordnung festgelegt wurde, und zwar, wie zu erwarten, gemäß der strengsten Logik der Haushaltsdisziplin. Dies hat die zweitgrößte europäische Wirtschaft gezwungen, buchstäblich Niedriglohn-Ärzte und Krankenschwestern aus Spanien, dem Maghreb und Osteuropa zu "importieren".
Die Bourgeoisie hat keine andere Waffe als den Zwang, um die Pandemie einzudämmen
Um die Auswirkungen der Gesundheitskrise auf den "französischen Produktionsapparat" abzufedern, beschloss der Krisenstab des Staates eine Reihe von Sofortmaßnahmen, darunter eine sehr späe angeordnete Quarantäne. Während die Epidemie in Europa Anfang Februar begann, kündigte General Macron erst am 16. März endlich Eindämmungsmaßnahmen an. Bis dahin bestand, während die Epidemie weiter voranschritt, seine Priorität darin, Sparmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse zu ergreifen, einschließlich der Verabschiedung seiner Rentenreform.
Doch die Regierung war sich der Gefahr, die von Covic-19 ausgeht, sehr wohl bewusst. Es war die ehemalige Gesundheitsministerin, der "weiße Engel" Agnes Buzyn, die öffentlich die Katze aus dem Sack ließ, indem sie (zweifellos verbittert durch ihre schlechten Wahlergebnisse im Rennen um das Amt des Bürgermeisters von Paris) erklärte, dass sie das Staatsoberhaupt schon sehr früh vor der bevorstehenden Katastrophe gewarnt habe: "Ich wusste, dass die Tsunami-Welle vor uns lag". "Am 30. Januar habe ich [Premierminister] Édouard Philippe gewarnt, dass die Wahlen wahrscheinlich nicht stattfinden können. Wir hätten alles stoppen sollen, es war eine Maskerade".[8]
Die "Maskerade" hat stattgefunden! Die Regierung verschlimmerte wissentlich die Ausbreitung der Epidemie, indem sie Millionen von Bürgern in die Wahllokale schickte, um der großen demokratischen Messe beizuwohnen! Die eklatante Unfähigkeit einer der Großmächte der Welt, die Bevölkerung mit wirksamen Schutzmitteln (Masken, Handschuhe und Desinfektionsmitteln) zu versorgen, zwingt jedoch zu drastischen Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit und weiteren Eindämmungsmaßnahmen.
Die "Maskerade" beschränkt sich nicht auf die waghalsige, verbrecherische Durchführung von Wahlen inmitten der zunehmenden Epidemie – Macron forderte in derselben Rede vom 16. März seine "lieben Landsleute" auf, nicht auf die Straße zu gehen, "außer um zu wählen und Besorgungen zu machen".
Angesichts dieser paradoxen Anordnung (geht raus aus dem Haus, aber kommt nicht heraus!) verschlossen viele die Augen vor der Realität und sahen nicht den Ernst dieser Pandemie. Es war daher nicht verwunderlich, dass viele "Bürger" keinen "Bürgersinn" zeigten und das gute Wetter nutzten, um an den Ufern der Seine und in öffentlichen Gärten spazieren zu gehen.
Macrons Rede, die nichts Halbes und nichts Ganzes war, sowie seine Entscheidung, die erste Runde der Kommunalwahlen aufrechtzuerhalten, waren immer noch eine Steilvorlage für Marine Le Pen, die diese für sich ausschlachtete.
Unter dem Druck der Warnungen der Ärzte trafen Macron und sein Innenminister Christophe Castaner die Entscheidung, allgemeines Ausgehverbot zu fordern. Eine Armee von 100.000 Polizisten und Soldaten wurde im ganzen Land eingesetzt, um die Kontaktsperre und die zunehmende Zahl der Ausgangssperren durchzusetzen. Angesichts der Schwere der Pandemie bleibt der herrschenden Klasse nichts anderes übrig, als mit Zwang ein massenhaftes Sterben zu verhindern.
An der Côte d'Azur überfliegt eine mit einem Lautsprecher ausgestattete Drohne sogar die Gemeinden Nizza und Cannes und befiehlt den Passanten, zu Hause zu bleiben: "Erinnerung an die Anweisungen bezüglich der Covid-19-Epidemie: Jeder Aufenthalt außerhalb des Hauses ist verboten, außer mit Sondergenehmigungen. Bitte halten Sie einen Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter zu anderen Personen ein", so wiederholt es die Stimme aus der Drohne immer wieder.
Die Polizei, mit ihrem üblichen Sinn für Unterscheidungsvermögen, zögerte nicht, die Maßnahmen der Regierung anzuwenden, indem sie die Mittellosesten und Obdachlosen ins Visier nahm: "Mehrere Obdachlose wurden in Frankreich von der Polizei mit einer Geldstrafe belegt, weil sie sich nicht an die Ausgangssperren hielten. ...] Fälle wurden vor allem in Paris, Lyon und Bayonne registriert"![9] Die Polizisten zögerten auch nicht, vier Trauernde am Tor eines Friedhofs zu bestrafen, weil sie "die Regeln des Kontaktverbotes nicht respektierten", und behaupteten, dass "eine Beerdigung nicht zwingend erforderlich ist"! Die Bourgeoisie hat keine andere Wahl, als ihre Ordnungskräfte einzusetzen, aber sie nutzt auch die Situation aus, um die Bevölkerung an die Militarisierung der Gesellschaft zu gewöhnen, wenn der "innere Feind" nicht mehr der Virus, sondern die kämpfende Arbeiterklasse sein wird!
Auf allen Fernsehgeräten werden täglich die an der "Front" mobilisierten Ärzte interviewt, um die Bevölkerung zur strikten Einhaltung des Ausgehverbots und sozialen Distanzierung zu drängen. Denn es ist (leider) heute die einzige Möglichkeit, die Gefahren des Coronavirus zu bekämpfen und die Ansteckung zu begrenzen.
Die Bourgeoisie sorgt sich nicht um die Gesundheit der Ausgebeuteten
Die "Maskerade" sind auch die Millionen von Menschen, die täglich in den öffentlichen Verkehrsmitteln zusammengepfercht sind. In den Fabrikhallen und Supermärkten, werden die Beschäftigten in großen Zahlen ‚eingesperrt‘. Die kriminelle "Maskerade" der Bourgeoisie und ihrer Regierung sind die tausenden noch offenen Unternehmen, deren Betrieb nur dem Namen nach "wesentlich" ist. Während Bauarbeiter sich weigerten, sich unnötig Gefahren auszusetzen, wagte der Arbeitsminister Pénicaud von "Defätismus" zu sprechen.
Um die unweigerlich sich sträubenden Beschäftigten zu zwingen zur Arbeit zu fahren, hat die Regierung ihre gefährlichsten Waffen eingesetzt: Repression und Propaganda. Der Staat kann natürlich auf seine Wachhunde der Gewerkschaften zählen, die für Disziplin sorgen. Letztere fordern ständig die Umsetzung "der Mittel, die für den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, die arbeiten müssen, unerlässlich sind" und "begrüßen das Engagement der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes".[10] Mit anderen Worten: Gehen Sie zur Arbeit, wir kümmern uns um Ihren Schutz durch den "sozialen Dialog" mit dem Management und dem Chef! Wenn ArbeiterInnen ihre Zurückhaltung zu offen äußern, machen die Gewerkschaften schnell von dem "Recht auf Rückzug" in "ihrem" Unternehmen Gebrauch. (In Frankreich haben Beschäftigte Anspruch auf einen „Rückzug“ (Recht auf Arbeitsverweigerung (bei drohender Gefahr für Gesundheit u. Leben))
Der "Gesundheitsnotstand" hat die Regierung nicht daran gehindert, die Beschäftigten zu drängen, sich nicht an die Ausgangssperre zu halten, wenn Homeoffice nicht möglich ist. Aber von nun an werden Polizisten, falls die Arbeiter sich weigern, zur Arbeit zu gehen, und es vorziehen, ihre Gesundheit und die ihrer ihnen Nahestehenden zu schützen, geschickt, um die widerspenstigen Arbeiter zur Arbeit zu zwingen und Strafen für alles zu verhängen, was der Staat als Hindernis für das reibungslose Funktionieren der nationalen Wirtschaft ansieht! Arbeitgeber können auch automatisch Zwangsurlaub verhängen, falls Beschäftigte von der Arbeit fernblieben. Selbst die Beamten bestimmter Finanzämter sind verpflichtet, ihre Arbeitsplätze nicht zu verlassen! Selektive Ausgangsperre ist Teil der Logik des Kapitals: Diese tödliche Pandemie darf den „reibungslosen Betrieb" der Volkswirtschaft nicht behindern.
"Meine Priorität ist es, die französische Wirtschaft zu retten", sagte der Wirtschaftsminister Bruno Le Maire mit dem Schwert in der Hand. Wie der Journalist der Zeitung Atlantico, Jean-Sébastien Ferjou, es formulierte: "Die eigentliche Frage, [...] ist: ziehen wir es vor, unsere alten und geschwächten Menschen zu opfern, oder ziehen wir es vor, zwei Punkte des BIP zu opfern?“ Die Regierung hat sich entschieden: Wir werden die alten Menschen opfern!
Es ist die Arbeiterklasse, die die Rechnung bezahlen muss!
Die französische Bourgeoisie hat, wie ihre Nachbarn, bei der ungeheuerlichen Propaganda nicht gespart! Mit dem Aufruf zur "allgemeinen Mobilisierung" und "nationalen Einheit" hat die Bourgeoisie eine höchst verabscheuungswürdige nationalistische Kampagne entfesselt!
Die Bourgeoisie bereitet sich bereits auf die wirtschaftlich ruinösen Folgen vor, die der "Gesundheitskrieg" hervorbringen wird; und es ist die Arbeiterklasse, die die Rechnung bezahlen wird! Der "Geist des Opferbringens", der in einer Zeit des "Wiederaufbaus" vorherrscht, ist schon an der Tagesordnung. Jetzt schon haben die prekärsten Arbeiterinnen und Arbeiter mit wenigen Stunden ihre Jobs verloren, mit deren Hilfe sie überleben. Schon jetzt werden diejenigen, die Kurzarbeit ausüben, entgegen den Versprechungen der Regierung schlussendlich nicht ihren vollen Lohn erhalten! Die Propaganda ist in vollem Gange, um den Menschen klarzumachen, dass wegen der Epidemie in Zukunft alle den Gürtel enger schnallen müssen. Genau so wie man uns eintrichtern wollte, dass "korrupte Banker" und "verrückte Finanzen" die Ursache der Wirtschaftskrise von 2008 waren, versucht die herrschende Klasse nun, die Leute glauben zu machen, dass Covid-19 die Ursache der Wirtschaftskrise ist. Aber die Realität ist ganz anders: Die Epidemie ist nicht nur ein Katalysator, ein Beschleuniger der Krise des kapitalistischen Systems, sondern sie ist selbst ein reines Produkt dieser Krise!
In der Presse und in sozialen Netzwerken, im Fernsehen und auf YouTube werden diejenigen, die immer noch allein joggen, als unverantwortlich dargestellt, die für die Ausbreitung der Epidemie verantwortlich seien. Ist es den Journalisten und ihren "youtube"-Gehilfen nicht in den Sinn gekommen, dass diese unklugen Jogger das Verbot des Joggens im Freien völlig lächerlich fanden, nachdem sie in großen Menschenmengen in der RER, (öffentlichen Nahverkehr), in ihren Bahnhöfen und am Tag zuvor in den Wahllokalen eingepfercht waren?
Der Staat betreibt eine Kampagne der individuellen Schuldzuweisungen, um seine eigene Nachlässigkeit und seine Unfähigkeit, die Pandemie einzudämmen, besser zu verbergen!
Aber am verhängnisvollsten ist die ideologische Kampagne der Bourgeoisie mit ihren Aufrufen, den Mitarbeitern des Gesundheitswesens stehenden Beifall zu spenden. Die Fernsehsender zeigen immer wieder die Bilder des erleuchteten Eiffelturms und der reichen Viertel mit den jeden Abend um 20 Uhr an den Fenstern und Balkonen applaudierenden Leuten, die den Ärzten und Krankenschwestern - manchmal sogar mit der Kulisse der Marseillaise - Beispiel spenden. Die Bourgeoisie scheut weder Zynismus noch Unanständigkeit, indem sie die Bevölkerung auffordert, nach dem Tod des ersten Arztes ihren Applaus zu verdoppeln. Die "Soldaten, die für Frankreich gestorben sind" werden unter dem Jubel des Volkes geehrt! Es ist nicht mehr und nicht weniger eine Perversion der Solidarität der Arbeiterklasse, wenn General Macron eine Kriegsrede hält, in der er den "Heldentum" der Ärzte lobte. Obwohl dieser Applaus ein wenig Balsam in die Herzen bringt, braucht das Pflegepersonal für seinen guten und loyalen Dienst an der "Nation" keine Medaillen. Sie brauchen zusätzliches Personal und Ausrüstung, sie brauchen Masken und Schutz! Sie brauchen die "Anerkennung" durch Ausbeuter in Form von Lohnerhöhungen[11] und Personalaufstockungen, damit sie nicht unter der Last des höllischen Arbeitspensums zusammenbrechen!
Die Wut kann nur zunehmen
Angesichts der Nachlässigkeit der Bourgeoisie und des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems, der die Versorgung der Kranken immer schwieriger macht, steigt der Zorn in den Reihen der Arbeiter. Die Verachtung der herrschenden Klasse für das menschliche Leben spornt die Wut der Ausgebeuteten an. Viele können den erklärten Wunsch der Regierung nicht mehr ertragen, die „Drückeberger“ aufzuscheuchen oder sich am Arbeitsplatz in Gefahr zu begeben, wenn es keine Rechtfertigung für ihre Präsenz am Arbeitsplatz gibt. Lieferanten bei Deliveroo und Uber-Eats, die Beschäftigten der SNF-Fabrik in Andrézieux, die Beschäftigten von La Redoute und Saverglass in der Region Oise streikten, um gegen ihre gefährlichen Arbeitsbedingungen zu protestieren. Auch bei Amazon und bei der Post streikten die Beschäftigten. An vielen Orten brachten viele Proletarier ihre Solidarität an ihren Fenstern schnell zum Ausdruck, indem sie mehr Geld für die Pfleger forderten, nicht mit stehenden Ovationen an die "Helden der Nation", sondern mit dem Ruf von: "Geld! Geld, für das öffentliche Krankenhaus!"
Aber einstweilen herrschen Angst und Erstaunen vor angesichts dieser gesundheitlichen Katastrophe, die die herrschende Klasse nicht kontrollieren kann. Die Unmöglichkeit, in größeren Massen zusammen zu kommen, erlaubt es der Arbeiterklasse heute nicht, den Weg des Kampfes auf ihrem eigenen Klassenterrain wieder aufzunehmen.
All diese Äußerungen des Zornes zeigen jedoch, dass die Kampfbereitschaft noch sehr lebendig ist, dass die Proletarier nicht resigniert die tödliche Nachlässigkeit derer, die sie ausbeuten, als akzeptieren. "Wir sind kein Kanonenfutter", hört man unter dem Pflegepersonal.
Sobald diese Gesundheitskrise überwunden ist, wird der "schützende" Staat wieder sein wahres Gesicht zeigen. Die Angriffe auf die Lebensbedingungen der Proletarier, (verschärft durch den Absturz der Wirtschaft in den Abgrund der Rezession) können auf Dauer nur zu neuen Explosionen von Wut und Empörung führen – und nicht zum „Burgfrieden“ der Ausgebeuteten mit ihren Ausbeutern.
Diese globale Gesundheitskatastrophe kann nur zum Nachdenken in der Arbeiterklasse beitragen und damit zur Erkenntnis, dass der Kapitalismus ein völlig verrottetes System ist, eine wahre Geißel, die das Überleben der menschlichen Spezies bedroht.
EG, 22. März 2020
[1] General Macron kann zumindest auf eine Expeditionstruppe, das Chinesische Rote Kreuz, zählen, das dem Alten Kontinent gerade mehrere Millionen Masken und Geräte zur Beatmung und Intubation von Kranken "gespendet" hat. Natürlich sind die "Spenden" aus Peking nicht nur anekdotisch, sie sind auch kein altruistischer und selbstloser Akt. Während die Staaten nicht in der Lage sind, ihr Handeln in einem Mindestmaß abzustimmen, ist Chinas "Großzügigkeit" eher Ausdruck des immer mehr um sich greifenden "jeder für sich", das den verrottenden Kapitalismus kennzeichnet, wofür die COVID-19-Pandemie ein spektakuläres Beispiel ist. Wir werden in einem zukünftigen Artikel auf diese Fragen zurückkommen.
[2] Vgl. das Interview mit Professor Bruno Canard, Forschungsdirektor des CNRS und Spezialist für Koronaviren, das in Le Monde veröffentlicht wurde: “Face aux coronavirus, énormément de temps a été perdu pour trouver des médicaments” (29. Februar 2020).
[3] Darüber hinaus ist COVID-19 bei weitem nicht die virulenteste Krankheit, die die Menschheit je befallen hat. Die apokalyptischen Auswirkungen einer MERS-CoV-Pandemie mit einer Todesrate von 30% sind bereits jetzt ohne allzu große Schwierigkeiten vorhersehbar! (MERS-CoV avec son taux de létalité à 30 % !)
[4] In welchem Maße das ein Witz ist, lässt sich ermessen, wenn man diese "sehr wichtige Investition" von 300 Millionen Euro (laut der ehemaligen Gesundheitsministerin Agnès Buzyn) mit dem Hilfsplan von etwa 750 Milliarden Euro vergleicht, den die EZB gerade freigegeben hat, um "die Wirtschaft zu retten".
[5] Vgl. das Panorama der DRESS von 2019 und einen im gleichen Jahr veröffentlichten DRESS-Bericht (le Panorama de la DRESS de 2019 et un rapport de la DRESS publié la même année).
[6] Siehe "Pflegebetten in Krankenhäusern". “Curative care beds in hospitals”. Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 2017. Zweifel an der kontinuierlichen Verschlechterung der Aufwendungen in den letzten zwei Jahren sind kaum zulässig.
[7] Darüber hinaus hat der Staat die Misere noch verschlimmert, indem er die Stellen von Krankenpflegern durch Pflegehelferinnen ersetzt hat, die Hungerlöhne erhalten.
[8] “Les regrets d’Agnès Buzyn”, Le Monde (17. März 2020).
[9] “Coronavirus : des SDF verbalisés pour non-respect du confinement” AFP (20 mars 2020). "Coronavirus: Obdachlose wegen Nichteinhaltung der Ausgangssperre bestraft", AFP (20. März 2020).
[10] Communiqué intersyndical du 19 mars 2020 "Communiqué intersyndical vom 19. März 2020", das die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen zusammen unterzeichneten.
[11] Die Zusage einer Prämie von 1.000 Euro für Pflegekräfte ist nicht einmal ein 13. Monatsgehalt des Mindestlohns; diese Krümel sind eine echte Beleidigung.