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Weil die Gesellschaft weiterhin in Klassen mit entgegengesetzten Interessen gespalten ist, entsteht in ihr während der Übergangsperiode ein Staat. Solch ein Staat wird zur Aufgabe haben, die Errungenschaften der Übergangsgesellschaft einerseits gegen jeglichen inneren und äußeren Versuch der Wiederherstellung der Macht der alten ausbeutenden Macht zu garantieren, und andererseits den Zusammenhalt der Gesellschaft aufrechtzuhalten in Anbetracht der Gefahr ihrer Zerrüttung, die aus den Gegensätzen zwischen den verschiedenen, noch weiterhin bestehenden nicht-ausbeutenden Klassen entstehen kann.
Der Staat der Übergangsperiode weist bestimmte Unterschiede zum Staat der früheren Gesellschaften auf:
- zum ersten Mal in der Geschichte steht der Staat nicht im Dienste einer ausbeutenden Minderheit zur Unterdrückung der Mehrheit, sondern im Gegenteil im Dienste der Mehrheit, bestehend aus den ausgebeuteten Klassen und Schichten, sowie aus den nicht-ausbeutenden, gegen die Minderheit der entmachteten, ehemaligen herrschenden Klassen;
- er geht nicht aus einer stabilen Gesellschaft mit stabilen Produktionsverhältnissen hervor, sondern im Gegenteil aus einer Gesellschaft, deren ständiges Merkmal die dauernde Umwälzung ist, die zu den größten Veränderungen in der Geschichte führt;
- er kann sich mit keiner ökonomisch herrschenden Klasse identifizieren, da es in der Gesellschaft der Übergangsperiode keine Klasse dieser Art gibt;
- im Gegensatz zum Staat der vergangenen Gesellschaften verfügt der Staat der Übergangsperiode nicht mehr über das Monopol der Waffen. Aus all diesen Gründen und wegen der sich daraus ergebenden Folgen konnten die Marxisten in Bezug auf das in der Übergangsperiode entstehende Organ von einem "halben" Staat sprechen.
Andererseits behält dieser Staat einige Charakteristiken der vergangenen Staat. Insbesondere bleibt er das Organ des Status-Quo, das zur Aufgabe hat, einen schon bestehenden ökonomischen Zustand zu kodifizieren, zu legalisieren, ihm Gesetzeskraft zu geben, so daß er von allen Mitgliedern der Gesellschaft akzeptiert wird. In der Übergangsperiode wird der Staat dazu neigen, den bestehenden ökonomischen Zustand zu erhalten. Somit bleibt der Staat ein grundsätzlich konservatives Organ, das dazu neigt:
- die soziale Umwälzung nicht zu begünstigen, sondern sich ihr entgegenzustellen,
- die Bedingungen seines Überlebens am Leben zu erhalten: die Spaltung der Gesellschaft in Klassen,
- sich von der Gesellschaft zu lösen, sich ihr aufzuzwingen, seine eigene Existenz zu verewigen, seine eigenen Vorrechte zu entwickeln,
- seine Existenz mit dem Zwang und der Gewalt, die er während der Übergangsperiode zwangsläufig gebraucht, zu verhindern, und diese Art der Regulierung sozialer Beziehungen zu erhalten und zu verstärken,
- Nährboden für die Bildung einer Bürokratie zu sein; ein Sammelplatz für die Überläuferelemente der alten Klassen und Kader, die die Revolution zerstört hatte.
Dieser Antagonismus zwischen Proletariat und Staat drückt sich sowohl auf unmittelbarer als auch auf historischer Ebene aus.
Auf unmittelbarer Ebene muß das Proletariat gegen die Eingriffe und den Druck des Staates ankämpfen, die der Ausdruck einer Gesellschaft sind, die noch aus Klassen besteht, deren Klasseninteressen denen des Proletariats entgegengesetzt sind. Auf historischer Ebene wird das vom Marxismus schon hervorgehobene notwendige Absterben des Staates im Kommunismus nicht das Resultat der Eigendynamik des Staates, sondern das Ergebnis eines ständigen Druckes seitens des Proletariats sein. Dies wird eine Folge der Vorwärtsbewegung des Proletariats sein, durch welche dem Staat all seine Merkmale im Laufe der Entwicklung zur klassenlosen Gesellschaft schrittweise entzogen werden.
Auch wenn das Proletariat den Staat der Übergangsperiode benutzen muß, muß es aus diesen Gründen eine vollständige Unabhängigkeit gegenüber diesem Organ bewahren. In diesem Sinne vermischt sich die Diktatur des Proletariats nicht mit dem Staat. Zwischen beiden besteht ein ständiges Kräfteverhältnis, das das Proletariat immer zu seinem Gunsten erhalten muß: die Arbeiterklasse übt die Diktatur des Proletariats durch ihre allgemeine, einheitliche, unabhängige und bewaffnete Organisation aus: die Arbeiterräte, die als solche an den territorialen Räten teilnehmen (in welchen die gesamte nicht-ausbeutende Bevölkerung vertreten ist und von welchen die staatliche Struktur ausgeht), ohne sich damit zu vermischen, um ihre Klassenvorherrschaft in allen Strukturen der Übergangsgesellschaft zu sichern.
Aus diesen Gründen wurde der Staat der Übergangsperiode von Anfang an von den Marxisten als eine "Plage", ein "notwendiges Übel" betrachtet, dessen übelsten Auswirkungen man verhindern muß (Engels). Aus all diesen Gründen und im Gegensatz zur Vergangenheit kann sich die revolutionäre Klasse mit dem Staat der Übergangsperiode nicht identifizieren.
Einerseits ist das Proletariat keine ökonomisch herrschende Klasse, weder in der kapitalistischen noch in der Übergangsgesellschaft. In der letzten verfügt es über keine Wirtschaft, kein Eigentum - auch kein kollektives -, sondern es kämpft für das Verschwinden der Wirtschaft und des Eigentums. Andererseits stößt das Proletariat - Träger des Kommunismus und Triebkraft der Umwälzung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse der Übergangsperiode - notwendigerweise mit dem Organ zusammen, das diese Verhältnisse zu verewigen sucht. Demzufolge kann man während der Übergangsperiode weder von einem "sozialistischen Staat", noch von einem "Arbeiterstaat", noch von einem "proletarischen Staat" sprechen.
1979