Gespeichert von Weltrevolution am
Anfang 2004 hat das Internationalen Büros für die revolutionäre Partei (IBRP) eine Reihe von öffentlichen Veranstaltungen in Berlin begonnen, deren Abhaltung wir begrüßen. Die erste Veranstaltung zum Thema Klassenkampf fand Mitte Februar 2004 statt. Die zweite zu den Ursachen des imperialistischen Krieges Mitte Mai. Im nachfolgenden Artikel berichten wir über die erste der beiden Veranstaltungen. In der nächsten Ausgabe von Weltrevolution werden wir auf die Debatte bei der zweiten Veranstaltung eingehen.
Der Titel der Februar-Veranstaltung lautete: "Streiks in Italien - internationale Perspektive der Klassenkämpfe". Die angekündigten Themen für die Diskussion waren einerseits - wie der Titel vermuten ließ - der Klassenkampf, andererseits aber auch der imperialistische Krieg ("die Neuformierung imperialistischer Blöcke nach dem Zerfall der alten Blöcke, vor allem der verstärkte Gegensatz zwischen den USA und Europa beim Kampf um strategische Positionen und um die Kontrolle der globalen Energievorräte und -Transportwege - Ursachen des Irakkriegs von 2003"). Die Veranstaltung wurde von verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen, die linkskommunistische Positionen vertreten oder sich dafür interessieren, besucht. Die IKS nahm an dieser Veranstaltung ebenfalls mit einer Delegation teil. Obwohl es das IBRP in letzter Zeit ablehnt, mit der IKS gemeinsame Veranstaltungen durchzuführen oder z.B. eine gemeinsame Stellungnahme zum Krieg im Irak zu veröffentlichen (1), fand die Diskussion in einer brüderlichen Atmosphäre statt.
Die Referate
Ein Sympathisant des IBRP führte die Veranstaltung mit einem Referat zu den programmatischen Punkten und der Ge-schichte dieser Organisation ein. Er wies darauf hin, dass das IBRP heute aus Battaglia Comunista (Italien), der Communist Workers Organisation (Großbritannien), Internationalist Notes (Kanada) und Bilan et Perspectives (Frankreich) besteht und sich auf die Tradition der Italienischen Kommunistischen Linken um Bilan in den 1930er Jahren bezieht, wobei es auch Berührungspunkte zur KAPD in den 1920er Jahren gebe. Seit dem Anfang der 1950er Jahre bestehe die Kommunistische Linke im wesentlichen aus drei Strömungen, nämlich:
- Battaglia Comunista (bzw. eben später das IBRP)
- den Bordigisten
- der IKS (bzw. ihre Vorläuferorganisationen).
Der Genosse fasste auch einige programmatische Positionen des IBRP zum Imperialismus, zur Gewerkschaftsfrage und zum Verhältnis der revolutionären Partei zur Arbeiterklasse zusammen. Es ist hier nicht der Ort, diese Programmpunkte wieder-zugeben; statt dessen sei auf die Publikationen des IBRP verwiesen (2).
Darauf folgte ein Referat des eingeladenen Vertreters des IBRP zu den angekündigten Themen: die imperialistischen Spannungen und die Streiks vom letzten Winter bei den Nahverkehrsbetrieben in verschiedenen italienischen Städten.
Schließlich begann die Diskussion, die zwar streckenweise ein etwas zurückhaltendes Frage-/Antwortspiel war, bei gewissen Themen aber interessante und teilweise kontroverse Punkte aufgriff, zu denen lebhaft argumentiert wurde. Nachstehend wollen wir auf einige dieser Auseinandersetzungen eingehen und dabei auch die im Einleitungsreferat des Genossen des IBRP vertretenen Positionen zusammenfassen, soweit dies für das Verständnis der Auseinandersetzung nötig ist.
Blockbildung und Kriegsursachen
Wie schon im Einladungsflugblatt angetönt, geht das IBRP von einer "Neuformierung imperialistischer Blöcke nach dem Zerfall der alten Blöcke" aus. In Europa sieht es einen Gegenpol zu den USA, und zwar mindestens von der Tendenz her einen sich bildenden imperialistischen Block. Der Euro als Währung sei ein Gegenprojekt zur Dominanz des US-Dollars. Gleichzeitig unterstrich der Vertreter des IBRP, dass es den USA mit dem Irakkrieg im wesentlichen um die Verteidigung der Rohstoffe und der Transportwege, kurz: um die Sicherung der Erdölrente, gegangen sei bzw. immer noch gehe.
Ein Genosse der Gruppe Internationaler SozialistInnen (GIS) (3) stellte die Analyse des IBRP über die Blockbildung in Europa und über die ökonomischen Ursachen des Irakkrieges in Frage. Er wies darauf hin, dass Europa alles andere als ein homogener Block sei, was sich gerade darin zeige, dass jeder europäische Nationalstaat, EU hin oder her, im Irak versucht habe, sein eigenes Süppchen zu kochen, wobei die Bündnispartner auch ständig wieder wechselten. Was das Erdöl betrifft, so bestritt der Genosse der GIS, dass es im wirtschaftlichen Sinn für den Krieg im Irak entscheidend gewesen sei. Es habe zwar eine wichtige strategische Bedeutung, weil ohne Zugang zum Erdöl kein Krieg geführt werden könne. Dies sei aber nicht zu verwechseln mit vermeintlichen wirtschaftlichen Interessen, also der Suche nach unmittelbarem finanziellem Profit. Dieser sei nicht die wirkliche Ursache des US-amerikanischen Feldzugs gewesen. In der Tat zeigt die aktuelle Entwicklung im Irak, dass an eine profitable Ausbeutung des irakischen Erdöls je länger je weniger zu denken ist. Doch selbst wenn die Bush-Administration im militärischen Bereich nicht mit so großen Schwierigkeiten rechnete, so war auch ihr schon vor Beginn des Krieges klar, dass es jahrelange Investitionen erfordern würde, bis die irakische Erdölproduktion Gewinn brächte. Zudem unterlag die Förderung auch unter Saddam weitgehend einem amerikanischen Diktat: politisch durch die damals geltende Exportkontrolle unter Führung der UNO, militärisch durch die ständigen Bombardierungen der Erdölanlagen und wirtschaft-lich durch den Einfluss der großen amerikanischen Ölfirmen. Es brauchte also nicht die empirischen Beweise, die heute vorliegen, um festzustellen, dass es unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten für die USA keinen Sinn machte, im Irak zu intervenieren. Ausschlaggebend waren vielmehr die strategischen Überlegungen, die auf eine Einkreisung der potentiellen Herausforderer der USA, allen voran Deutschlands, abzielten.
Klassenkampf
Im zweiten Teil seines Referats kam der Genosse des IBRP am Beispiel von Italien auf die Basisgewerkschaften und ihre Rolle in den Streiks zu sprechen. Er unterstrich, dass Basisgewerkschaften grundsätzlich keinen anderen Charakter als die offiziellen Gewerkschaften haben und dass die Arbeiterklasse von diesen Organisationen nichts erwarten kann. Er verwies auch darauf, dass sich Battaglia Comunista und die IKS in den 80er Jahren, als sich die Cobas zunächst als Kampfkomitees formierten, gemeinsam gegen ihre Umwandlungen in Gewerkschaften wehrten.
Obwohl die Position des IBRP zur Gewerkschaftsfrage nicht immer so gradlinig war und ist, gab es bei dieser Veranstaltung aufgrund der Ausführungen des Genossen von Battaglia Comunista keinen Anlass zu Entgegnungen. Hingegen kritisierte die IKS in der Diskussion den Standpunkt des IBRP über die sogenannte Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Denn das IBRP legt - ähnlich wie viele Autonome - zur Erklärung der schwachen Kampfbereitschaft des Proletariats viel Gewicht auf den Umstand, dass seit den 1970er Jahren ein Großteil der traditionellen Industrie verschwunden ist und sich die Arbeitsplätze in den Dienstleistungssektor und in den IT-Bereich verlagert haben. Diese Entwicklung habe zu einer veränderten Zusammensetzung der Arbeiterklasse geführt und sei gemeinsam mit dem Zusammenbruch des Ostblocks die Ursache für die heutigen Schwächen der Arbeiterklasse, die sich nur zögerlich gegen die Angriffe der Bourgeoisie zur Wehr setzt.
Die IKS kritisierte diese Analyse als soziologisch und im Resultat fatalistisch. Der kapitalistische Produktionsprozess hat seit seinem Beginn die Zusammensetzung der Arbeiterklasse ständig verändert. Die Arbeiterklasse kann gegen diese Verände-rungen auch nichts ausrichten. Gerade zu Marx' Zeiten bestand das Proletariat noch zu einem großen Teil aus Hausangestell-ten, und nicht aus Industrieproletariern, ohne dass er daraus den Schluss gezogen hätte, dass die Bedingungen für die Ent-wicklung des Klassenbewusstseins deshalb erschwert wären. Wichtig ist für die Arbeiterklasse vielmehr, durch ihre Kämpfe ein günstiges Kräfteverhältnis gegenüber der Bourgeoisie zu entwickeln. Genau diese Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat unterlässt aber das IBRP, ja behauptet sogar, sie sei gar nicht möglich. Das IBRP kann und will keine Aussagen darüber machen, ob das Proletariat geschlagen oder ungeschlagen ist und die Bourgeoisie somit einen Weltkrieg auslösen kann oder eben nicht (4). Genau diese Einschätzung des historischen Kurses ist aber für Marxisten zent-ral. Erst in diesem Rahmen kann auch die Entwicklung des Klassenbewusstseins richtig eingeschätzt werden.
Die IKS leugnet nicht die gegenwärtigen Schwierigkeiten des Proletariats, gerade was die Kampfbereitschaft und das Klassenbewusstsein betrifft. Grundsätzlich geht aber der historische Kurs immer noch (seit 1968) in Richtung Zunahme der Klas-senkonfrontationen, auch wenn diese Entwicklung nicht gradlinig verläuft und es 1989 einen herben Rückschlag gegeben hat. Gerade in der Zeit danach, in den 1990er Jahren bis heute, darf aber die unterirdische Reifung der Bewusstseins nicht außer acht gelassen werden, die sich im Auftauchen von Gruppen und Einzelnen ausdrückt, die internationalistische Positionen verteidigen und sich für den Linkskommunismus interessieren.
Das revolutionäre Milieu
Die Delegation der IKS hat schließlich auch ein gewisses Staunen zum Ausdruck gebracht angesichts der Tatsache, dass einerseits auf der Einladung für die Diskussionsveranstaltung 'Einige Punkte zur Ausrichtung des IBRP' zusammengefasst werden, die die IKS ausnahmslos unterschreiben könnte, andererseits aber das IBRP eine gemeinsame Stellungnahme gegen den imperialistischen Krieg und den Pazifismus ablehnt mit der Begründung, unsere Positionen wären zu weit voneinander entfernt (5). Wir negieren nicht die Meinungsverschiedenheiten, die es zwischen unseren Organisationen gibt, betonen aber gerade gegenüber der Frage des imperialistischen Krieges die Gemeinsamkeiten innerhalb der Kommunistischen Linken. Es gibt ein proletarisches politisches Milieu, bestehend aus den Organisationen, die seit Jahrzehnten konsequent internationalis-tische Positionen verteidigen und sich auf das Erbe der linken Fraktionen der Komintern berufen. Diese Organisationen haben im Gegensatz zu den Sozialdemokraten, Stalinisten und Trotzkisten in einem imperialistischen Krieg nie die eine oder die andere Seite unterstützt, sondern immer die Haltung Lenins und Luxemburgs vertreten: Gegen den imperialistischen Krieg! - Gegen jede nationale Bourgeoisie! - Für die proletarische Weltrevolution! Gerade in der gegenwärtigen Phase, in der der Kapitalismus in immer mehr Kriegen und Massakern versinkt, wäre es wichtig, dass sich die revolutionären Organisatio-nen gemeinsam zu Wort melden, wie sie es mitten im 1. Weltkrieg in Zimmerwald und Kienthal getan hatten.
Der Genosse von BC entgegnete, dass das IBRP die IKS schon früher als den idealistischen Flügel des revolutionären Lagers betrachtet habe. Seit den internationalen Konferenzen vor rund 25 Jahren (6) hätten sich aber die Widersprüche zwischen ihrer Organisation und uns bestätigt. Das IBRP habe sich vom Begriff des proletarischen politischen Lagers verabschiedet, da es die anderen Organisationen für unfähig halte, einen Beitrag zum Aufbau der zukünftigen Partei zu bilden. Zwar stehe die IKS immer noch auf der richtigen Seite der Barrikade, habe aber mit den internen Problemen in den letzten Jahren gezeigt, dass sie einen solchen Beitrag nicht leisten könne, sondern vielmehr in einem Prozess der Fragmentierung begriffen sei. Auch der bordigistische Flügel des (ehemaligen) proletarischen Lagers mache einen solchen Prozess durch und sei heute politisch tot.
Abgesehen davon, dass wir diese Einschätzung nicht teilen, ist interessant, dass der Genosse von Battaglia Comunista über die IKS diese letzte Diagnose 'politisch tot' nicht zu stellen wagte. Zu offensichtlich ist die politische Präsenz unserer Organisation nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Von einer Fragmentierung der IKS kann nicht im Ernst gesprochen werden. Ebenfalls wenig überzeugend sind die Argumente des IBRP zum Abschied der IKS vom proletarischen politischen Lager, denn die programmatischen Positionen der IKS haben sich seit den internationalen Konferenzen nicht verändert. Damals war es für BC und CWO noch möglich, mit uns und anderen Gruppierungen an einem Tisch zu sitzen. Der wahre Grund für das heute vertretene Sektierertum scheint ein Konkurrenzgefühl des IBRP gegenüber der IKS gerade angesichts des Auftauchens einer neuen Generation von Leuten zu sein, die sich für internationalistische Positionen interessieren. Konkurrenz ist aber die Funktionsweise der Krämer auf dem kapitalistischen Markt, die sich gegenseitig die Käufer abjagen wollen. Unter Revolutionären kann es nicht darum gehen, möglichst schnell und billig neue Mitglieder zu gewinnen, sondern die Klärung des Bewusstseins in der Ar-beiterklasse und insbesondere bei den fortgeschrittensten Elementen voranzutreiben, damit ein allfälliger Beitritt zu einer der bestehenden revolutionären Organisationen auf der Grundlage der größtmöglichen Klarheit der programmatischen Positionen stattfindet. Wir als IKS gehen nicht davon aus, dass die zukünftige Partei allein aus unserer Organisation hervorgeht und die anderen Gruppen des revolutionären Milieus verschwinden. Wir würden dies vielmehr für eine Schwäche halten und gehen umgekehrt davon aus, dass der Aufbau dieser Partei hoffentlich das Resultat eines Umgruppierungsprozesses im revolutionären Lager sein wird nach dem Vorbild von Umgruppierungen in früheren historischen Phasen, z.B. zwischen Lenins Bolschewiki und Trotzkis Zwischenbezirksorganisation im Jahre 1917 oder zwischen dem Spartakusbund und den Internationalen Kommunisten Deutschlands um die Jahreswende 1918/19 (unter dem Vorbehalt allerdings, dass die zukünftige revo-lutionäre Partei von Anfang an im Unterschied zu damals als eine internationale Partei entstehen muss).
Eine positive Bilanz
In der Diskussion wurden - wie aufgezeigt - teilweise sehr unterschiedliche Positionen vertreten. Sie fand aber in einer Atmosphäre statt, die vom gegenseitigen Respekt und vom Bemühen um eine klare Argumentation geprägt war. Dies ist zu begrüßen, und die Haltung des Genossen von BC gegenüber der IKS-Delegation steht in angenehmem Widerspruch zur offiziell sektiererischen Haltung des IBRP gegenüber anderen Organisationen des revolutionären Milieus.
Diese Art von Debatte muss fortgesetzt werden, egal ob in Berlin, Mailand, Paris, New York oder anderen Städten. Wichtig ist dabei, dass jeder Opportunismus in programmatischen und organisatorischen Fragen (der Krämergeist) vermieden wird und die unterschiedlichen Positionen offen thematisiert und ausdiskutiert werden. Zuerst Klarheit - dann Umgruppierung.
T/C, 8.5.04
Adresse des IBRP: www.ibrp.org
Fußnoten:
1) vgl. dazu die Artikel "Die Politik der IKS gegenüber dem politischen proletarischen Milieu" und "Das proletarische politische Milieu angesichts des Krieges" in Internationale Revue Nr. 32 bzw. 33<
3) vgl. unsere Polemiken mit dieser Gruppe in der Weltrevolution, z.B. in Nr. 121<
4) vgl. dazu "Die CWO und der historische Kurs: Ein Berg von Widersprüchen" in Internationale Revue Nr. 20 sowie "Das Konzept des historischen Kurses" in Internationale Revue Nr. 29 und 30<
5) vgl. unsere Polemiken mit den verschiedenen Organisationen des revolutionäre Milieus, insbesondere mit dem IBRP, in Internationale Revue Nr. 24 und 25 zum Kosovokrieg sowie 32 und 33 zum Irakkrieg<
6) Internationale Revue Nr. 4, Die Umgruppierung der Revolutionäre<