Veröffentlicht auf Internationale Kommunistische Strömung (https://de.internationalism.org)

Startseite > Weltrevolution - 1990s > Weltrevolution - 1998 > Weltrevolution Nr. 90

Weltrevolution Nr. 90

  • 2298 Aufrufe

1918 - Generalstreik in der Schweiz

  • 5109 Aufrufe
 Im November vor 80 Jahren brach in der Schweiz ein Generalstreik aus, der grösste landesweite Streik in der bisherigen Geschichte der schweizerischen Arbeiterbewegung. Für Revolutionäre sind solche Ereignisse ein Anlass, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, die Stärken und Schwächen einer Bewegung zu analysieren, damit die Erfahrungen der früheren Generationen für die späteren fruchtbar gemacht werden können.

Das internationale Umfeld

Als die Arbeiterklasse in der Schweiz am 9. November 1918 in den Streik trat, geschah dies nicht isoliert, sondern in einem Zeitpunkt, als weltweit die Kampfbereitschaft massiv zunahm und in einigen Ländern Revolutionen im Gang waren. Der Generalstreik in der Schweiz war ein Ausdruck der weltrevolutionären Welle, die von 1917 bis 1923 dauerte. Ein Jahr zuvor hatte das Proletariat in Russland die Macht ergriffen. Seit einigen Tagen bildeten sich in Deutschland überall Arbeiter- und Soldatenräte. Der 9. November war der Tag, an dem der Kaiser in Berlin abdanken musste. Einige Monate später wurden in Bayern und Ungarn Räterepubliken ausgerufen. Die Bourgeoisie brach den Weltkrieg sofort ab und schloss sich eilig zusammen, um geeint gegen die proletarischen Bastionen vorzugehen.

Die Kämpfe in der Schweiz

1914 mit dem Beginn des Weltkrieges brach die Zweite Internationale zusammen. Bis auf wenige Ausnahmen schlossen die sozialdemokratischen Parteien Burgfrieden mit ihren jeweiligen nationalen Bourgeoisien. Auch die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) bekannte sich zur Landesverteidigungi [1] und erteilte dem Bundesrat (der Regierung) "alle ausserordentlichen Vollmachten zu Sicherung des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität".ii [1]

Früher als in anderen Ländern schwenkte aber die Mehrheit der SP in der Schweiz auf die Zimmerwald-Bewegung ein. Im September 1915 fand in Zimmerwald bei Bern die erste Internationale Sozialistische Konferenz statt, wo sich die verschiedenen sozialdemokratischen Kräfte, die sich gegen die Landesverteidigung stellten, auf ein Manifest gegen den Krieg einigten. Die SPS bezog aber nicht Stellung auf der konsequenten Linie der Zimmerwalder Linken um Lenin, Radek und Trotzki, sondern auf einer zentristischen Linie, die in Deutschland später von der USPD und in der Schweiz von der SP-Führung um Robert Grimm vertreten wurde. Während die Zimmerwalder Linke offen die Chauvinisten innerhalb der Sozialdemokratie denunzierte und zum revolutionären Kampf gegen den imperialistischen Krieg aufrief, blieben die Zentristen auf halbem Weg stehen, suchten die Versöhnung mit den rechten Sozialdemokraten und scheuten sich vor der offenen revolutionären Propaganda. Zur zweiten Internationalen Konferenz in Kiental 1916 sandte die SPS eine offizielle Delegation der Partei. Von nun an lehnte die sozialdemokratische Parlamentsfraktion Militärbudgets und Landesverteidigung ab.

Die Klassenwidersprüche verschärfen sich im Laufe des Krieges, der viel länger dauerte, als man zuerst allgemein angenommen hatte. 1917 kam es in der Schweiz zu den ersten Demonstrationsstreiks. Anfang 1918 bildeten die SPS und die Gewerkschaften zur Koordinierung des Kampfes das Oltener Aktionskomitee. Während Partei und Gewerkschaften 1913 den befristeten Generalstreik lediglich als letztes ausserparlamentarisches Kampfmittel in Aussicht genommen hatte, ermächtigte nun Ende Juli 1918 der Allgemeine Arbeiterkongress das Oltener Aktionskomitee, den allgemeinen (d.h. auch unbefristeten) Landesstreik zu beschliessen, falls der Bundesrat in verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Fragen (u.a. Versammlungsfreiheit, Zurückweisung von Deserteuren an der Grenze, 8-Stunden-Tag, Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln) keine Konzessionen macht.

In der Folge machte der Bundesrat einige Zugeständnisse, so dass das Oltener Aktionskomitee den Streik für nicht notwendig erachtete. Die Regierung bereitete sich aber ihrerseits mit der Einsetzung einer besonderen Kommission auf einen allfälligen zukünftigen Generalstreik vor.

Ende September 1918 brach in Zürich ein Bankangestelltenstreik aus, der sich schnell zu einem lokalen Generalstreik ausweitete und aufgrund der ansteigenden Kampfbereitschaft einen momentanen Sieg für das Proletariat bedeutete. Die Banken mussten in allen Punkten nachgeben: Die Löhne wurden verdoppelt, der Bankangestelltenverband als offizielle Vertretung anerkannt, und Massregelungen wegen der Teilnahme am Streik durften nicht ergriffen werden.iii [1]

Die Bourgeoisie war aufgeschreckt. Die Widersprüche spitzten sich weiter zu, da v.a. die Arbeiter durch die kriegsbedingte Lebensmittelknappheit immer tiefer ins Hungerelend gerieten. Gleichzeitig begannen die Zersetzung der Armeen der Zentralmächte und die Revolutionen in Deutschland, Österreich, Ungarn. Ein Aufruf in Zürich zu einer Demonstration aus Anlass des ersten Jahrestages der Oktoberrevolution bewegte die Armeeleitung zu einem Vorstoss: Sie verlangte vom Bundesrat die Einwilligung zur Entsendung zusätzlicher Truppen nach Zürich zur Vorbeugung gegen eine vermutete Revolution. Der Bundesrat stimmte zu, und der General bot Infanterie und Kavallerie zur Belagerung von Zürich auf. Der Truppenaufmarsch wurde vom Proletariat als so starke Provokation empfunden, dass das Aktionskomitee auf Druck der Arbeiter einen befristeten Proteststreik in 19 Städten proklamieren musste. Dieser Streik war sehr bescheiden konzipiert: Das vorgesehene Datum, der 9. November, war ein Samstag, wo ohnehin nur halbtags gearbeitet wurde. In Zürich war die Stimmung aber so heiss (nicht zuletzt durch das Verhalten der Militärs), dass die Arbeiterunion Zürich, in der die in der SPS und den Gewerkschaften organisierten Arbeiter zusammengeschlossen waren, die Fortsetzung des Generalstreiks für Zürich beschloss. Die Forderungen lauteten u.a.: Truppenrückzug, Freilassung der politischen Gefangenen, Anerkennung der Sowjetgesandtschaften. Das Oltener Aktionskomitee musste mitziehen. Zwischen 250'000 und 400'000 Arbeiter (von insgesamt (800'000 zur damaligen Zeit) schlossen sich dem Streik an; in der Schwerindustrie waren es mindestens 80%, die die Arbeit niederlegten. Der Kampf verlief auf Seiten der Arbeiterklasse sehr diszipliniert, die Armeeführung umgekehrt verfolgte die Strategie der Provokation. In mehreren Städten wurden Arbeiter durch Schüsse und Bajonette verletzt, in Grenchen sogar 3 erschossen.

Am 13. November stellte der Bundesrat dem Aktionskomitee ein Ultimatum zum Streikabbruch. Da der Bundesrat auf die Hauptforderung des Aktionskomitees nach einem Truppenabzug in Zürich nicht einging, stand die offene Schlacht bevor. Der Streik war aber in wichtigen Teilen des Landes, insbesondere in der französischen Schweiz bei weitem kein vollständiger. Die Streikbewegung weitete sich in diesen Tagen auch nicht mehr aus, sondern war zu einem Stillstand gekommen. Das Aktionskomitee beschloss nach dem Ultimatum den Streikabbruch, was ihm in weiten Teilen des kämpfenden Proletariats das Vertrauen kostete. In den grösseren Städten verlangten die in Gewerkschaften und SP organisierten Arbeiter eine Neubildung der zentralen Leitung. Und viele Arbeiter zerrissen wütend ihre Mitgliederausweise der Gewerkschaften und der Partei.


Das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat

Zum 80. Jahrestag des Landesstreiks versucht die Bourgeoisie dem Proletariat ihre Version zu verkaufen. Dabei geht sie - wie immer - arbeitsteilig vor. Der auflagenstarke TagesAnzeiger hebt die "fortschrittlichen" reformistischen Forderungen der sozialdemokratischen Streikleitung hervor: Proporzwahl für den Nationalrat, Frauenstimmrecht und Sozialversicherungen - "was die Streikenden forderten, ist heute eine Selbstverständlichkeit"iv [1]. Damit versucht die Bourgeoisie von der revolutionären Dynamik der Kämpfe insbesondere im internationalen Umfeld abzulenken. Die Stalinisten innerhalb des Aufbaus umgekehrt sprechen zwar von Revolution, um sie aber mit der Kapitulation des Oltener Aktionskomitees gleich wieder zu begraben: ”Die bedingungslose Kapitulation der sozialdemokratischen Führung erschütterte die Vorstellung an die Erreichbarkeit einer revolutionären Veränderung zutiefst.”v [1] - Als ob die Revolution eine nationale und v.a. militärische Angelegenheit wäre.

In Tat und Wahrheit war das Proletariat im November 1918 sowohl weltweit als auch in der Schweiz noch lange nicht geschlagen. Die Revolutionen in Deutschland und Mitteleuropa hatten gerade erst begonnen. Die gewaltigen Streiks im Ruhrgebiet vom Frühjahr 1919, die ungarische Räterepublik, die Gründung der Dritten Internationalen, die Kämpfe in Italien standen noch bevor. Die lokalen Generalstreiks im Sommer 1919 in Basel und Zürich erfassten im Gegensatz zum Landesstreik vom November 1918 auch die Angestellten und Beamten, zogen also weitere Teile des Proletariats in den Kampf. In den Wochen und Monaten nach dem Landesstreik nahm nicht nur die Kampfbereitschaft, sondern insbesondere auch das Klassenbewusstsein im Proletariat zu. So schrieb z.B. Jules Humbert-Droz, der spätere Sekretär der Komintern, am 19. November 1918 in der französischsprachigen Zeitung Sentinelle: "Das Oltener Aktionskomitee hat vielleicht kapituliert, die Arbeiterklasse aber hat nicht kapituliert. Überall erhebt sich Kritik gegen das Aktionskomitee; das arbeitende Volk hätte trotz der Dragoner und Maschinengewehre weiterkämpfen wollen, es war zu weiteren Opfern bereit; es hält die Kapitulation für verfrüht und bereitet neue grosse Kämpfe vor. Begeistert durch die Welle der Solidarität, die es zum Aufstand getragen hat, ist es von einem neuen revolutionären Atem durchdrungen (...)"vi [1] Die Kritik am zentristischen Aktionskomitee, der Bruch von manchen Arbeitern mit ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft und mit der Sozialdemokratie, die bevorstehende Gründung der Kommunistischen Partei der Schweiz sind klare Boten einer Vertiefung des Klassenbewusstseins.


Die Rolle der Sozialdemokratie vor und während dem Generalstreik

Die Arbeiterklasse war im Landesstreik mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert, die sie damals nicht überwinden konnte: Anders als in Deutschland bildeten sich keine Massenkampforgane, die die Leitung des Streiks in die Hand genommen hätten. Der Klasse fehlte eine der neu angebrochenen Zeit angemessene Massenstruktur (Räte, beschlussfähige Vollversammlungen, von den Arbeitern gewählte Streikkomitees). Stattdessen oblag die Streikleitung einem Aktionskomitee von Delegierten aus der Sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften. Die Arbeiter hatten somit keinen direkten Einfluss auf die Entscheide der Streikleitung. Die Delegierten der SPS und der Gewerkschaften hatten ein Mandat dieser Organisationen und konnten nicht durch die Massen abgewählt werden, wie die Deputierten eines Arbeiterrates oder die Mitglieder eines direkt von den Streikversammlungen gewählten Komitees.

Die Zusammensetzung des Oltener Aktionskomitees war das zweite Problem: Die Sozialdemokratische Partei war zu diesem Zeitpunkt bereits degeneriert, in ihrer Mehrheit hat sie bürgerliche oder zumindest zentristische Positionen vertreten, die Gewerkschaften waren mit dem Übergang zum Staatskapitalismus zu Organen des bürgerlichen Staates gewordenvii [1]. Die Revolutionäre waren z.T. bereits aus der SPS ausgeschlossen wordenviii [1], z.T. leisteten sie noch Fraktionsarbeit als Minderheit in der SPSix [1]. Diese proletarischen Kräfte waren aber im Oltener Aktionskomitee überhaupt nicht mehr vertreten, richtigerweise traten sie aus, als es seinen bürgerlichen Charakter offenbarte.

An sich war der Streikabbruch nach dem Ultimatum des Bundesrates richtig: Das Proletariat wäre zu früh in eine Konfrontation getrieben worden, der es nicht gewachsen gewesen wäre. Da die sich der Streik nicht mehr ausweitete, die Bewegung zu einem Stillstand gekommen war, wäre das Proletariat in den Industriegebieten der Nord- und Nordostschweiz isoliert geblieben und durch die Armee (fast 100'000 Mann) massakriert worden.

Die Arbeiterklasse überstand den 6tätigen Generalstreik ohne grosse physische Verluste und moralisch unbeschadet. Das Problem des Streikabbruchs bestand aber darin, dass er von einem der Klasse fremden Organ beschlossen wurde, und nicht von der Klasse selber. Die Klasse verfügte damals in der Schweiz nicht über eine Massenstruktur, die ihren Willen zum Ausdruck gebracht hätte. Deshalb musste sie sich (subjektiv) durch den Entscheid des Oltener Aktionskomitees verraten fühlen, obwohl der Streikabbruch, objektiv betrachtet, richtig war.

Effektiv hatte die Sozialdemokratie die Arbeiterklasse verraten, und zwar seit Beginn des Weltkrieges mit ihrer Burgfriedenspolitik. Im Landesstreik verhielt sich die SPS nicht anders. In ihrer Mehrheit vertrat sie bürgerliche Positionen. Nach der Trennung von der linken Fraktion Ende 1920 war die Partei für das Proletariat definitiv verloren. Im November 1918 wurde aber der bürgerliche Charakter des Oltener Aktionskomitees und der Mehrheit der SPS für viele Arbeiter noch nicht schonungslos entlarvt, da es sich die Bourgeoisie leisten konnte, die Armee an die Front des Klassenkampfes zu schicken und nicht die Sozialdemokraten. Im Januar 1919 in Deutschland war es die sozialdemokratische Regierung von Ebert, Scheidemann und Noske, die auf die Arbeiter schoss. Diese letzte Karte - die Übergabe der Regierungsgeschäfte an die Linke - musste die Schweizer Bourgeoisie nicht verspielen. Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen hatte sich noch nicht so weit zugunsten des Proletariats verschoben.

Allem offenen oder versteckten Hohn der Bourgeoisie zum Trotz ist es aber falsch, den Generalstreik vom November 1918 als Niederlage der Arbeiterklasse zu bezeichnen. Im Gegenteil: Angeschlagen war einzig das Image des Oltener Aktionskomitees. Die Kampfkraft des Proletariats war ungebrochen. Das zeigen auch die relativ milden Strafen, die die Gerichte nach dem Streik gegen die Exponenten des Kampfes aussprachen. Es war kein Rachefeldzug einer siegessicheren Bourgeoisie, sondern ein eher schüchterner Versuch der Justiz, das Gesicht zu wahren, ohne neue Unruhen heraufzubeschwören. Die revolutionäre Welle von 1917 bis 1923 hatte gerade erst begonnen.   FH

i [1]Im Parlament gab es keine Gegenstimmen, hingegen enthielten sich zwei Sozialdemokraten, Charles Naine und Paul Graber, aus pazifistischen (und nicht aus revolutionären) Erwägungen der Stimme.

ii [1]Zum imperialistischen Charakter der Neutralitätsverteidigung vgl. Lenins Artikel Der Schutz der Neutralität, LW Bd. 23, S. 271

iii [1]Im dekadenten Kapitalismus können solche Errungenschaften des Proletariats nur von vorübergehender Dauer sein. Die Lohnerhöhungen wurden durch die Inflation wieder rückgängig gemacht. Die Bankangestelltengewerkschaft wurde in den Staatsapparat integriert, und die Banken banden missliebig gewordene Angestellte in der Beförderung zurück, wenn sie sie nicht schliesslich unter einem Vorwand doch entliessen.

iv [1]TA vom 3.8.98

v [1]Aufbau Nr. 10

vi [1]zit. nach Mémoires de Jules Humbert-Droz, Mon évolution du tolstoisme au communisme, S. 283.

vii [1]siehe dazu unsere Broschüre Die Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse

viii [1]u.a. Jakob Herzog

ix [1]u.a. Fritz Platten und Jules Humbert-Droz

Geographisch: 

  • Schweiz [2]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Welle 1917-1923 [3]

Marxismus und die Wahlen: Bekämpfung der bürgerlichen Demokratie

  • 4391 Aufrufe
 Lange vor dem Wahlgang am 27. September feierte die deutsche Bourgeoisie im voraus ihren bedeutendsten Sieg bei den diesjährigen Bundestagswahlen: die erwartete besonders hohe Wahlbeteiligung. Zugleich brachten die bürgerlichen Medien in Sondersendungen und Talk-Shows ihre Sorge um die immer noch bedeutende Minderheit der Nichtwähler zum Ausdruck. Und tatsächlich: Trotz der vom Wahlzirkus in Aussicht gestellten „Abwahl“ Kohls sowie dem seit 1989 ununterbrochen gefeierten „Sieg der Demokratie“ über den „Kommunismus“ (sprich Stalinismus) bleiben dennoch viele Wähler gerade aus der Arbeiterklasse den Wahlurnen fern.

Um auch diese „Wahlunwilligen“ für das scheindemokratische Ritual des Staates zu mobilisieren, werden verschiedene „radikale Alternativen“ aufgestellt, um auch den letzten „Bürger“ wenigstens zur „Protestwahl“ zugunsten einer PDS oder DVU zu bewegen. Denn für den Erhalt des Ausbeutersystems ist es weniger wichtig, wer gewählt wird - Hauptsache es wird gewählt. Die Parlamentswahlen gehören zu den wichtigsten Mitteln, um die zerstörerische Herrschaft einer winzigen Minderheit von Kapitalisten über den Rest der Menschheit zu legitimieren. Indem die Ausgebeuteten und Entrechteten, allen voran die Mitglieder der Arbeiterklasse, sich an den Wahlen beteiligen, verleihen sie dem totalitären kapitalistischen Staat den demokratischen Anstrich, den er braucht.


Trotzkisten und Anarchisten: Fallensteller

Freilich: nicht jeder, der am Wahltag Zuhause bleibt, tut dies aus Skepsis, gar Ablehnung gegenüber diesem Gesellschaftssystem, sondern oft aus Passivität und Depolitisierung. Gefährlich hingegen sind die Strömungen innerhalb der Arbeiterklasse, welche von der Wahlurne aus dem Gefühl heraus fernbleiben, daß die bürgerlichen Parteien „alle unter einer Decke stecken“, und daß die Angriffe der Herrschenden unabhängig vom Wahlausgang erfolgen. Am gefährlichsten für die bürgerliche „Ordnung“ sind die kleinen Minderheiten, politisch suchender Leute innerhalb der Arbeiterklasse, welche aus einer klassenkämpferischen Haltung heraus die Teilnahme an den Wahlen verweigern. Um dieser gefährlichen Einstellung in der Arbeiterklasse - die heute erst von Minderheiten vertreten wird - zu begegnen, verfügt der Kapitalismus über besonders radikale Laufburschen: die extreme Linke, die Trotzkisten und Anarchisten.

Die Trotzkisten übernehmen dabei die Aufgabe, den nach revolutionärer Orientierung suchenden politischen Minderheiten der Arbeiterklasse vorzugaukeln, die „kritische“ Teilnahme an den bürgerlichen Wahlen gehöre unerschütterlich zu den Prinzipien des revolutionären Marxismus. Sie verfälschen dabei die Geschichte, indem sie ihre niederträchtigen bürgerlichen Wahlmanöver als die Fortsetzung der revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegung hinstellen. Wer sich gegenüber dieser sogenannten „Taktik“ aber sträubt, wird in die Arme der Anarchisten getrieben. Denn die Vertreter des Anarchismus wie z.B. der FAU beteiligen sich nicht an den Wahlen: aber nicht zugunsten einer proletarischen Politik, sondern weil sie die „Politik“ überhaupt, und somit auch die Klassenpolitik des Proletariats ablehnen.

Es handelt sich hierbei objektiv um eine politische Arbeitsteilung zwischen Trotzkisten und Anarchisten, um die Arbeiter vor die falsche Alternative entweder „kritische“ trotzkistische Wahlbeteiligung oder anarchistisch, entpolitisierende „Enthaltsamkeit“.


Die marxistische Haltung zu den Wahlen

Vor dem 1. Weltkrieg beteiligten sich die Marxisten, im Gegensatz zu den Anarchisten, an den bürgerlichen Wahlen. Sie beteiligten sich aber nicht etwa deshalb daran, weil der Parlamentarismus sowie die Wahlbeteiligung „ewige proletarische Wahrheiten“ wären, (wie der heutige Trotzkismus glauben machen will) sondern weil damals der Kapitalismus noch ein aufsteigendes, historisch fortschrittliches Gesellschaftsystem war, und deshalb die proletarische Revolution noch nicht möglich war. Möglich war damals dagegen der Kampf um dauerhafte Reformen innerhalb eines expandierenden Systems, sowie die Vorbereitung des Proletariats auf die künftige Revolution. Die marxistische Wahlbeteiligung war kein Selbstzweck, sondern diente diesem Ziele.

„Jeder Kommunist kennt heute die Gründe, weshalb diese Kampfmethoden während jener Zeit notwendig und nützlich waren“, schrieb Anton Pannekoek 1920 in Weltrevolution und kommunistische Taktik. „Wenn die Arbeiterklasse mit dem Kapitalismus emporkommt, ist sie noch nicht imstande und kann nicht einmal den Gedanken fassen, die Organe zu schaffen, durch die sie die Gesellschaft beherrschen und regeln könnte. Sie muss sich zuerst geistig zurechtfinden und den Kapitalismus und seine Klassenherrschaft begreifen lernen. Ihre Vorhut, die sozialdemokratische Partei, muss durch ihre Propaganda das Wesen der Regierung enthüllen und durch das Aufstellen der Klassenforderungen den Massen ihre Ziele zeigen. Dazu war es notwendig, dass ihre Wortführer in die Parlamente, die Zentren der Bourgeoisherrschaft, eindrangen, dort ihre Stimme erhoben und sich an den politischen Parteikämpfen beteiligten.“ (1)

Die stalinistischen und trotzkistischen Verfälscher der Geschichte tun so, als ob diese Bedingungen immer noch gelten würden. In der Einleitung zu den Leitsätzen des 2. Weltkongresses der Kommunistischen Internationalen, (übrigens von Trotzki selbst 1920 verfaßt) wurde allerdings das exakte Gegenteil behauptet: „Gegenwärtig kann das Parlament für die Kommunisten auf keinen Fall ein Schauplatz des Kampfes um Reformen, um Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse sein, wie das in gewissen Augenblicken der vergangenen Periode der Fall war. Der Schwerpunkt des politischen Lebens hat sich vollkommen aus dem Parlament verschoben, und zwar endgültig“. (...) Die unmittelbare historische Aufgabe der Arbeiterklasse besteht deshalb darin, diesen Apparat den Händen der Bourgeoisie zu entreißen, sie zu zerbrechen, zu vernichten, und an ihre Stelle neue, proletarische Machtorgane zu setzen.“ (2)

Während der Trotzkismus heute zur Wahl Schröders oder Gysis, ja zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie „gegen Rechts“ aufruft, rief die Kommunistische Internationale 1920 zur Vernichtung dieser Demokratie und ihres Parlaments auf, da sie nichts als Feigenblätter der Diktatur des Kapitals sind. Das ist der ganze Unterschied zwischen bürgerlicher und proletarischer Politik.

Die Anarchisten hingegen hielten damals, halten heute die Kriegserklärung der Kommunistischen Internationalen für eine Bankrotterklärung gegenüber der Parlaments- und Wahlbeteiligung der Marxisten vor dem 1. Weltkrieg. Der Anarchismus mit seiner moralischen, unhistorischen Herangehensweise ist unfähig zu begreifen, dass eine Politik, welche in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus richtig war, in der Dekadenzphase dieses Systems nach 1914 ihre Gültigkeit verliert. Wie die Leitsätze von 1920 feststellen: „Die Stellung der III. Internationale zum Parlamentarismus wird nicht durch eine neue Doktrin, sondern durch die Änderung der Rolle des Parlamentarismus selbst bestimmt. In der vergangenen Epoche hat das Parlament als Instrument des sich entwickelnden Kapitalismus in gewissem Sinne eine historisch fortschrittliche Arbeit geleistet. Aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen, unter dem zügellosen Imperialismus, ist das Parlament zu einem Werkzeug der Lüge, des Betruges, der Gewalttat und des entnervenden Geschwätzes geworden.“ (3)

Während Trotzkisten und Anarchisten mit a-historischen bürgerlichen Phrasen um sich werfen, arbeitete die Kommunistische Internationale also noch 1920 mit der revolutionären Methode des historischen Materialismus, mit der marxistischen Theorie. War das Parlament in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus ein wirkliches Machtinstrument und politisches Forum der herrschenden Klasse, brach mit dem 1. Weltkrieg das Zeitalter des Staatskapitalismus und des bürgerlichen Totalitarismus an. Während die wirklichen politischen Entscheidungen damit nicht mehr vom gesetzgebenden Parlament, sondern hinter den Kulissen von den ausführenden („exekutiven“) Staatsorganen getroffen werden, wurde dennoch die Hülle der bürgerlichen Demokratie mit ihrem parlamentarischen Herzstück als Attrappe, als Täuschung gegen die Arbeiterklasse stehengelassen. „Die Bourgeoisie stützt sich in erster Linie auf den Exekutivapparat des Staates, der ihr auch dazu dient, sich die Mehrheiten in den gewählten Institutionen zu sichern.“ (Thesen der kommunistischen wahlboykottierenden Fraktion der sozialistischen Partei Italiens - Mai 1920).


Bürgerliche Demokratie: Waffe des Kapitals

Als die Kommunistische Internationale im März 1919 gegründet wurde, auf dem Höhepunkt der revolutionären Nachkriegswelle, bildeten die Kommunisten in den meisten Ländern eine kleine Minderheit im Vergleich zu den Massenparteien und Gewerkschaften der im Weltkrieg auf die Seite des Imperialismus übergewechselten Sozialdemokratie. Anstatt deswegen zu zögern, den vollständigen Bruch mit der Sozialdemokratie und ihren politischen Positionen zu vollziehen, besannen sich die Kommunisten bei der Gründung der Internationale auf die Erfahrung der Bolschewiki während der russischen Revolution, welche Lenin bereits im Frühjahr 1917 in seinen „Aprilthesen“ so formulierte: „Es kommt nicht auf die Zahl an, sondern auf den richtigen Ausdruck der Ideen und der Politik des wirklich revolutionären Proletariats.“ Wie Lenin während des Weltkriegs stets wiederholte „Besser zu zweit bleiben, wie Liebknecht - und das heißt beim revolutionären Proletariat bleiben.“

Somit bildeten die von Lenin verfaßten Thesen über bürgerliche Demokratie und Diktatur des Proletariats - die eine glänzende Verwerfung der gerade von der Sozialdemokratie verbreiteten Illusionen über die bürgerliche Demokratie und den Parlamentarismus waren- das Hauptwerk der neugegründeten Internationalen. Und in den zwei wichtigsten Zentren der damaligen Revolution in Westeuropa, in Deutschland und Italien, eroberte rasch die Position, die die Wahlbeteiligung ablehnte, die Mehrheit unter den Kommunisten. Der Gründungsparteitag der KPD Ende 1918 lehnte mit großer Mehrheit die Teilnahme an den Parlamentswahlen ab, welche von der konterrevolutionären Sozialdemokratie einberufen wurden, um die revolutionären Arbeiterräte in Deutschland zu zerstören. Und tatsächlich: enthüllten gerade die revolutionären Kämpfe des Jahres 1919 in Europa, daß der bürgerliche Parlamentarismus seinen fortschrittlichen Charakter verloren hatte und endgültig konterrevolutionär geworden war. Neben der raschen Beendigung des Weltkriegs war es die Waffe der bürgerlichen Demokratie im allgemeinen, und der Parlamentswahlen im besonderen, welche entscheidend zur Niederlage der Revolution in Deutschland, Italien und im ehemalig österreichisch-ungarischen Reich führten.


Die Frage des Parlamentarismus auf dem 2. Kongress der Komintern 1920

Als diese Frage auf dem 2. Weltkongress der Komintern im Sommer 1920 debattiert wurde, und die Kongressmehrheit sich unter dem Eindruck der Niederlage der Revolution in Mitteleuropa und der noch ungebrochenen Stärke der Sozialdemokratie in Westeuropa für eine Teilnahme an den Parlamentswahlen aus „taktischen“ Erwägungen aussprach, bildete sich erstmals um diese Frage deutlich eine internationale Opposition der Linkskommunisten heraus. Zwar hatte das Konzept Lenins und Bukharins von einem „revolutionären Parlamentarismus“, der „von innen“ zur revolutionären Zerstörung der bürgerlichen Demokratie beitragen sollte, nichts gemein mit den rein bürgerlichen „Wahlkämpfen“ der heutigen Trotzkisten. Doch war diese Politik schon damals nicht nur eine Illusion (die bürgerliche Demokratie kann nur durch die proletarischen Massenkämpfe zerstört werden) sondern eine opportunistische Gefahr für die Internationale. Die kommunistische, die Wahlen boykottierende Fraktion der Sozialistischen Partei Italiens vertrat auf diesem Kongress die Position der Linkskommunisten. Der Bericht Bukharins zu dieser Frage wurde durch einen Gegenbericht Bordigas, dem späteren Begründer der Kommunistischen Partei in Italien, beantwortet. Die von Bordiga eingebrachten Thesen, die die Lehren aus den ersten Niederlagen der Revolution in Westeuropa zogen, erkannten, dass weder die Zerstörung der demokratischen Illusionen der Massen noch der vollständige Bruch mit den Sozialdemokratien - den zwei wichtigsten Vorbedingungen eines revolutionären Siegs - ohne Bekämpfung der Wahlen durch die Kommunisten möglich waren. Es ist unmöglich, erklärten die Thesen, die demokratischen Lügen der Bourgeoisie zu zerstören

‘ohne daß mit den traditionellen Methoden des Aufrufs an die Arbeiter zur Wahlbeteiligung Seite an Seite mit Mitgliedern der Bourgeoisie gebrochen wird, und ohne daß man aufhört, daß Delegierte des Proletariats auf dem gleichen parlamentarischen Boden handeln wie die Delegierten ihrer Ausbeuter.’ (7. These)

Die Thesen erkannten ebenfalls, dass die Bekämpfung der Wahlen nicht nur gegenüber den Massen, sondern für die revolutionäre Partei selbst lebenswichtig geworden war.

‘Wenn man den Parteien, die durch einen Mehrheitsbeschluß der III. Internationale beigetreten sind, die Fortsetzung der Wahlbeteiligung zusteht, wird der notwendige Absonderungsprozeß und die Trennung von sozialdemokratischen Elementen scheitern, ohne den die III. Internationale ihre historische Rolle nicht erfüllen könnte, und sie wäre keine disziplinierte und homogene Armee mehr der Weltrevolution.’ (11. These)


Der angebliche Anarchismus der Kommunistischen Linken

Bereits die Verteidigung der Klassenpartei durch die oben erwähnte These widerlegt die heute noch weiterverbreitete Lüge, derzufolge die Linkskommunisten in der Parlamentsfrage auf die Argumentationsweise der Anarchisten zurückgefallen seien (wie zuletzt von der trotzkistischen „Spartakist-Tendenz“ in Bezug auf die KAPD behauptet wird). Vielmehr riet Bordiga in seinem Schlußwort den anwesenden Anarchisten, nicht für die antiparlamentarischen Thesen zu stimmen, wenn sie nicht deren marxistische Begründung teilten.

In Wahrheit intervenierte aber nicht nur die italienische kommunistische Linke, sondern auch die besten Vertreter der deutsch-holländischen Linkskommunisten - obwohl auf dem 2. Kongress nicht anwesend - in dieser Debatte, um die Klassenpartei vor dem tödlichen Opportunismus zu verteidigen. So Pannekoek in seinem Text Weltrevolution und kommunistische Taktik, den er als Diskussionsbeitrag zum 2. Weltkongress schrieb.

„Aus der Vorhut, die die ganze Klasse zum revolutionären Handeln hinter sich sammelt, wird sie zu einer parlamentarischen Partei, mit derselben legalen Position wie die anderen (..) eine Neuauflage der alten Sozialdemokratie unter neuen radikalen Losungen. Während im inneren Wesen zwischen der revolutionären Arbeiterklasse und der kommunistischen Partei kein Unterschied besteht, kein Gegensatz denkbar ist, da die Partei gleichsam das zusammengefasste klarste Klassenbewußtsein des Proletariats und seine wachsende Einheit verkörpert, zerbricht der Parlamentarismus diese Einheit“. Für die deutsch-holländische Linke ist der Parlamentarismus eine Gefahr für den proletarischen Internationalismus selbst, und damit für die Internationale insgesamt geworden. „In der parlamentarischen Aktion ist das Proletariat national geteilt und ist ein wirklich internationales Auftreten nicht möglich; in den Massenaktionen gegen das internationale Kapital fallen die nationalen Trennungen fort und ist jede Bewegung, auf welche Länder sie sich ausbreiten oder beschränken mag, Teil eines gemeinsamen Weltkampfes.“ (4 Und während der Anarchismus die Ablehnung der Politik, und somit Gleichgültigkeit gegenüber den Wahlen predigte, fordert der Linkskommunismus dazu auf, die bürgerlichen Wahlen aktiv politisch zu bekämpfen, indem man zu den wichtigsten Wahlveranstaltungen der linkskapitalistischen Parteien hingeht, um dieses bürgerliche Spektakel zu entlarven.


Nicht taktisches Manövrieren, sondern selbständiger Klassenkampf !

Im niedergehenden Kapitalismus kann das Proletariat nur siegen, indem die Massen ihren Kampf selbst in der Hand nehmen mittels direkt gewählter und kontrollierter, im Kampf selbst geschaffener Organe: der Streikkomitees usw., später der Arbeiterräte in der Revolution. Die bürgerliche Demokratie hingegen ist darauf ausgerichtet, die Arbeiterklasse passiv und zersplittert zu halten - symbolisiert durch den einsamen „Akt“ der Stimmabgabe in der Wahlkabine. „Das Problem der Taktik ist, wie in der proletarischen Masse die traditionelle bürgerliche Denkweise auszurotten ist, die ihre Kraft lähmt (..) Der Parlamentarismus hat die unvermeidliche Tendenz, die eigene, zur Revolution notwendige Aktivität der Massen zu lähmen.“ (Pannekoek, ibid)

Die Linkskommunisten demolierten die „tak-tische“ Befürwortung eines „revolutionären Parlamentarismus“ durch Bukharin und Lenin, welche vor allem auf die Arbeit Karl Liebknechts im deutschen Reichstag verwiesen: „Das Beispiel des Genossen Liebknecht beweist eben die Richtigkeit unserer Taktik. Vor der Revolution (...) konnte er durch seine Proteste im Parlament eine gewaltige Kraft ausüben; in der Revolution aber nicht mehr. Sobald also die Arbeiter ihr Geschick in die eigene Hand genommen haben, müssen wir den Parlamentarismus fahren lassen.“ (Hermann Gorter: Offener Brief an den Genossen Lenin, 1920 - S.48)

„In Deutschland wurde neulich der Grund angegeben, die Kommunisten müssen ins Parlament gehen, um die Arbeiter von der Nutzlosigkeit des Parlaments zu überzeugen. Aber man geht doch nicht einen falschen Weg, um anderen zu zeigen, dass es falsch ist, sondern man geht lieber sofort den richtigen Weg.“ (Pannekoek, Weltrevolution S.137)

Bordiga schloß seine Rede auf den 2. Kominternkongress wie folgt: „Wenn die Kommunistische Internationale die Schaffung eines kommunistischen Parlamentarismus auf sich nehmen will, unterwerfen wir uns ihrer Bestimmung. Wir glauben nicht, dass dieser Plan gelingen wird; aber wir erklären, dass wir nichts unternehmen werden, um dieses Werk umzustoßen (...) so wünsche ich dem Genossen Bucharin, dass er uns ein weniger trauriges Bild des kommunistischen Parlamentarismus vorlegen kann, als das, mit welchem er diesmal seine Einleitung beginnen musste.’(Protokoll des II. Weltkongresses, S. 429f).

Bordiga sollte recht behalten. Der „revolutionäre Parlamentarismus“ der Kominterns beschleunigte eine opportunistische Anpassung der Internationalen an die sozialdemokratischen Illusionen der rückständigeren Teile der Arbeiterklasse: eine Anpassung, deren erste Schritte bereits auf dem 2. Weltkongress eingeleitet wurden. Dieser Opportunismus angesichts des Rückflusses der Weltrevolution führte bald, auf dem 3. und 4. Kongress, zu einer Wieder-Infragestellung des Bruchs der Kommunisten mit der Sozialdemokratie (Politik der „Einheitsfront“ und der „Arbeiterregierung“ mit den Sozialdemokraten; ja sogar zu einem organisatorischen Zusammenschluss mit Teilen der Sozialdemokratie). Diese Entwicklung schließlich ebnete auf dem Hintergrund der Niederlage der Weltrevolution den Sieg der stalinistischen Konterrevolution. War Anfang der 20er Jahre die Auseinandersetzung der Komintern über die Parlamentsfrage eine Debatte innerhalb des revolutionären Lagers, so verläuft heute zwischen dem marxistischen Antiparlamentarismus und den Manövern der Trotzkisten und Anarchisten ein Klassengraben. Kr.

(1) Veröffentlicht in Pannekoek/Gorter: Organisation und Taktik der proletarischen Revolution S. 136.

(2) in Dokumente des I. und II. Kongresses der Kommunistische Internationale S. 188.

Nationale Situationen: 

  • Wahlen in Deutschland [4]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [5]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/1102/weltrevolution-nr-90

Links
[1] https://de.internationalism.org/content/1149/1918-generalstreik-der-schweiz [2] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/schweiz [3] https://de.internationalism.org/tag/2/37/die-revolution-re-welle-1917-1923 [4] https://de.internationalism.org/tag/nationale-situationen/wahlen-deutschland [5] https://de.internationalism.org/tag/2/31/der-parlamentarische-zirkus