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Weltrevolution - 1995

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Weltrevolution Nr. 68

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Intellektuelle und Arbeiterbewegung (1.+2. Teil)

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 Die IKS organisiert nicht nur regelmäßig öffentliche Diskussionsveranstaltungen zu bestimmten, vorher festgelegten Themen, sondern darüberhinaus auch Diskussionsrunden ohne besonderes Thema. Hier können die verschiedensten Fragen von den Teilnehmern zur Sprache gebracht werden. Die Organisation nimmt zu diesen Problembereichen Stellung. Bei der letzten Diskussionsrunde warf ein Genosse aus dem Rheinland die Frage der Intellektuellen auf. Er bezog sich auf die Position von Lenin in ‘Was Tun’, derzufolge die Arbeiterklasse im Rahmen ihrer ökonomischen Verteidigungskämpfe spontan lediglich ein gewerkschaftliches Bewußtsein entwickeln kann. Damit die Arbeiterklasse darüberhinaus zu einem sozialistischen, auf der wissenschaftlichen Grundlage des Marxismus ruhenden Bewußtsein gelangen kann, sei das Eingreifen der sozialistischen Intellektuellen erforderlich. Im Gegensatz zu den bis auf die Knochen ausgebeuteten Arbeitern haben diese Intellektuellen sowohl den notwendigen Bildungsstand als auch die erforderliche Freizeit und Muße, um sich den wissenschaftlichen Marxismus anzueignen. So die Meinung des Genossen in Anlehnung an Lenin.

In seinem vor der Revolution von 1905 verfaßten Werk ‘Was Tun’ übernahm Lenin dieses Argument von Kautsky. Sowohl Lenin als Kautsky setzten dieses Argument gegen den opportunistischen Flügel der Arbeiterbewegung ein, der damals die Notwendigkeit eines revolutionären Umsturzes und eines unabhängigen politischen Kampfes des Proletariats gegen das Kapital zu verneinen begann. Auf den täglichen Lohnkampf käme es an, sagten die Opportunisten, nicht auf Politik oder Marxismus. Die Überschätzung der revolutionären Theorie und der marxistischen Klassenpartei sei ein Ausdruck intellektuellen Revoluzzertums und nicht Sache der Arbeiter - so die Reformisten von damals. So argumentierten die Anhänger von Bernstein in Deutschland, für die die Bewegung (der Lohnkampf) alles, das Ziel (die Revolution) nichts war. So argumentierten die ‘Ökonomisten’ in Rußland. Es war damals das große Verdienst von Lenin und Kautsky, diesem Verrat am revolutionären Marxismus den Kampf angesagt zu haben. Dabei haben diese Genossen in ihrer Argumentation - in der Hitze der Polemik - einen Fehler gemacht. Zwar waren die Opportunisten typische Beispiele für die Art kleinbürgerlicher Intellektueller, welche sich damals der Arbeiterbewegung anschlossen, ohne vom revolutionären Klassenkampf wirklich überzeugt zu sein. Aber diese kleinbürgerlichen Intellektuellen und Karrieristen setzten geschickt intellektuellen- und theoriefeindliche Argumente ein, um den rückständigsten Arbeiterschichten, welche über den Tageskampf in der einzelnen Fabrik nicht hinausblicken wollten, zu schmeicheln und sie zu gewinnen. Lenin und Kautsky, welche damals den Marxismus glänzend verteidigt haben, sind nun in einem Punkt sozusagen in die Falle der Opportunisten gegangen. Sie griffen nämlich die Behauptung der Reformisten auf, daß die großen Theoretiker der Arbeiterbewegung bis dato alle Intellektuelle gewesen seien und schleuderten zurück: Und wenn schon, dann brauchen wir halt diese revolutionären Intellektuellen, welche eine wissenschaftliche marxistische Methode, welche ein sozialistisches Bewußtsein von außen in die Arbeiterklasse hineintragen.

An dieser Stelle haben Kautsky und Lenin in ihrer Verteidigung des Marxismus selber den Boden des Marxismus verlassen. Nirgendwo in den Schriften der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, bei Marx und Engels, finden wir auch nur ein Wort über ein sozialistisches Bewußtsein, das von außen in die Arbeiterklasse hineingetragen werden müßte. Sie zeigten ja gerade das Gegenteil. Die großen sozialistischen Utopisten wie Saint Simon, Fourier und Owen glaubten ja, daß der Sozialismus ein Produkt einzelner Denker sei, von der die Arbeiter ‘von außen’ überzeugt werden müssen. Wissenschaftlich ist der Sozialismus erst geworden, als erkannt wurde, daß der Sozialismus keine außerhalb der Geschichte stehende ‘Idee’ ist, die irgendwelche klugen Intellektuellen ausgetüftelt haben, sondern eine historische Notwendigkeit. Das Proletariat selbst, durch seine Position im Kapitalismus, durch sein Wesen als eigentumslose aber produktive, internationale und kollektiv-assoziiert arbeitende Klasse verkörpert und trägt die neue, kommunistische Gesellschaft in sich. Deshalb ist diese Klasse selbst, und kein "Außenstehender" in der Lage, das Wesen des Kommunismus zu begreifen, indem es ihr eigenes Wesen begreift. Deshalb konnten Marx und Engels, obwohl keine Arbeiter, nur unter dem Einfluß der Arbeiterklasse und der Arbeiterbewegung zu einem sozialistischen Bewußtsein gelangen.

Auch das Argument, die großen Theoretiker seien keine Arbeiter gewesen, hat nicht viel zu sagen. Die überragende Rolle einzelner Theoretiker ist nur für die Anfangszeit der Arbeiterbewegung gültig. Außerdem zeigten gerade Marx und Engels wiederholt die theoretische Überlegenheit der Arbeiter auf, sobald sie politisiert werden. Z.B. die deutsche Arbeiterklasse nach 1870: "In ihrem Kampf mit den Behörden wie mit den einzelnen Bourgeois zeigten sich die Arbeiter überall als die intellektuell und moralisch Überlegenen und bewiesen namentlich in ihren Konflikten mit den sogenannten ‘Arbeitgebern’, daß sie, die Arbeiter, jetzt die Gebildeten und die Kapitalisten die Knoten sind"..."Ohne theoretischen Sinn unter den Arbeitern wäre dieser wissenschaftliche Sozialismus nie so sehr in ihr Fleisch und Blut übergegangen, wie dies der Fall ist." (Engels, Ergänzung der Vorbemerkung von 1870 zu "Der deutsche Bauernkrieg").

Um zu zeigen, daß die Schwierigkeiten der Arbeiterklasse mit der revolutionären Theorie nicht mit ihrer Stellung in der Gesellschaft, sondern mit dem Gewicht des Kleinbürgertums zu tun haben, fügt Engels hinzu: "Und welch ein unermeßlicher Vorzug dies ist, zeigt sich einerseits an der Gleichgültigkeit gegen alle Theorie, die eine der Hauptursachen ist, weshalb die englische Arbeiterbewegung, trotz aller ausgezeichneten Organisation der einzelnen Gewerke, so langsam vom Flecke kommt, und andererseits an dem Unfug und der Verwirrung, die der Proudhonismus in seiner ursprünglichen Gestalt bei Franzosen und Belgiern, in seiner durch Bakunin weiter karikierten Form bei Spaniern und Italienern angerichtet haben." (Engels, ibid, Marx-Engels-Werke Band 18, S. 515, 516).

Die Massenkämpfe von 1905 in Rußland erlaubten Lenin, seine Position von 1902 in ‘Was Tun’ zu überwinden. Die spontane Entstehung von revolutionären Arbeiterräten als revolutionäre Organisationsform und Leitung der Massenstreiks zeigte erneut und unmißverständlich, daß die Arbeiterklasse sehr wohl, auch ‘spontan’ und in ihren Abwehrkämpfen weit über ein rein ‘ökonomisches’ (man sagte damals ‘gewerkschaftliches’) Bewußtsein hinausgeht. Lenin selbst erkannte dies, indem er sagte, daß hinter jedem Streik "das Gespenst der Revolution" stecke. Kautsky hingegen fiel es nach 1905 sehr schwer, die Lehren aus den Massenstreiks in Rußland und anderswo zu ziehen. Er begann, eine formalistische und dogmatische Karikatur einer marxistischen ‘Orthodoxie’ zu verteidigen, welche den Weg zu seinem späteren Verrat an der Arbeiterklasse ebnen sollte.

In Wirklichkeit beschränkte sich weder die damalige Auseinandersetzung mit dem Opportunismus im allgemeinen, noch die Debatte über die Rolle der Intellektuellen auf die Frage, wie sich das sozialistische Klassenbewußtsein innerhalb das Proletariat entwickelt. Der Kampf gegen den Opportunismus wurde ebenfalls um die Frage der Organisation der Revolutionäre geführt. Auch hierbei ging es nicht zuletzt darum zu klären, welche Rolle die Intellektuellen innerhalb der Partei spielen. Gerade zu dieser Frage haben Lenin und Kautsky damals glänzende Beiträge geliefert, von denen die Marxisten heute noch zehren. Die Frage nach der Rolle der Intellektuellen hat damals in der Auseinandersetzung zwischen Marxisten und Opportunisten in der 2. Internationale eine entscheidende Rolle gespielt - vor allem in Rußland, wo sie 1903 mit die entscheidende Trennungslinie zwischen Bolschewismus und Menschewismus zog. Auch heute in der Debatte innerhalb der IKS, wo die Organisationsfrage im Mittelpunkt steht, spielt diese Frage eine herausragende Rolle. Deshalb wollen wir auf diese Frage in der nächsten Ausgabe von Weltrevolution zurückkommen und dabei die Argumente wieder aufgreifen, welche in der Debatte bei unserer öffentlichen Diskussionsrunde dazu gegeben worden sind.

Weltrevolution


Intellektuelle und Arbeiterbewegung – Teil 2


Die Frage, welche Rolle die radikale bürgerliche Intelligenz im proletarischen Klassenkampf spielt, ist nicht neu. Bei einer öffentlichen Diskussionsrunde der IKS hat ein Teilnehmer aus dem Rheinland diese Frage aufgeworfen. Er bezog sich auf die Position Lenins in "Was Tun?" (1902), um sein Argument zu untermauern, daß die Intelligenz eine entscheidende Rolle bei der Befreiung der Arbeiterklasse spielen muß. In "Was Tun?" hat Lenin, in Anlehnung an Kautsky, zu beweisen versucht, daß die sozialistische Theorie "von Außen" durch die Intellektuelle in die Arbeiterklasse hineingetragen wird.

In ersten Teil dieses Artikels (WR68) haben wir nachgewiesen, daß diese Auffassung völlig im Gegensatz zum marxistischen Verständnis der Bewußtseinsentwicklung der Arbeiterklasse steht. Lenin selbst überwand später diesen falschen Standpunkt. Er kehrte damit auf den Boden des Marxismus zurück, der davon ausgeht, daß "die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter selber sein kann".

Dies bedeutet aber nicht, daß die "sozialistische Intelligenz" nicht eine bestimmte "Sonderrolle" in der Arbeiterbewegung zu spielen neigt. Allerdings eine negative Rolle. Die kleinbürgerlichen Intellektuellen und Literaten haben in der Tat stets die Rolle übernommen, in der Arbeiterbewegung gegen die kollektive, disziplinierte, auf ein gemeinsames Ziel gerichtete Arbeitsweise der Klassenpartei zu rebellieren. Diese Funktionsweise der Arbeiterpartei, welche dem kollektiven, gemeinsamen, auf-einander-angewiesenen Charakter der Fabrikarbeit entspricht (Marx spricht hier von " vergesellschafteter Arbeit"), empfindet der individualistisch lebende und denkende Intellektuelle als Zwang, als Unfreiheit. Dies war z.B 1903 beim zweiten Parteitag der russischen Sozialdemokratie der Fall. Dort nahmen die Intellektuellen in der Partei eine anarchistische Haltung zu Organisationsfragen ein. Sie weigerten sich, die Beschlüsse des Parteitages anzuerkennen, bildeten eine Partei innerhalb der Partei (die Menschewiki) und betrieben eine Spaltung. Die Bolschewiki um Lenin verteidigten hingegen die Einheit und die marxistischen Prinzipien der Partei. In diesem Zusammenhang zitierte Lenin in seinem Buch "Ein Schritt vorwärts, Zwei Schritte zurück" (1903) die marxistische Auffassung zu dieser Frage, welche Kautsky in seinem Artikel über Franz Mehring 1903 in „Die Neue Zeit" (zitiert von Lenin Bd 7, Kap.: Die Wahlen. Das Ende des Parteitags.) darlegte:

"Der Literat steht also in keinem ökonomischen Gegensatz zum Proletariat. Aber seine Lebenslage und seine Arbeitsbedingungen sind keine proletarischen, und daraus erwächst ein Gegensatz im Empfinden und Denken.

Der Proletarier ist nichts als isoliertes Individuum. Seine ganze Kraft, sein ganzes Fortschreiten, alle seine Erwartungen und Hoffnungen schöpft er aus der Organisation, aus dem planmäßigen Zusammenwirken mit seinen Genossen. Er fühlt sich groß und stark, wenn er den Teil eines großen und starken Organismus bildet. Dieser ist ihm die Hauptsache, das Individuum gilt demgegenüber sehr wenig. Er kämpft mit vollster Hingabe als Stück der anonymen Masse, ohne Aussicht auf persönlichen Gewinn oder persönlichen Ruhm, erfüllt seine Pflicht auf jedem Posten, auf den er gestellt wird, in freiwilliger Disziplin, die sein ganzes Fühlen und Denken erfüllt.

Ganz anders der Literat. Er kämpft nicht mit Machtmitteln, sondern mit Argumenten. Seine Waffen sind sein persönliches Wissen, sein persönliches Können, seine persönliche Überzeugung. Er kann nur zur Geltung kommen durch seine Persönlichkeit. Vollste Freiheit für sie erscheint ihm als die erste Vorbedingung gedeihlichen Wirkens. Nur schwer fügt er sich einem Ganzen als dienendes Glied ein, nur der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe. Die Notwendigkeit der Disziplin erkennt er nur für die Masse, nicht für auserlesene Geister an. Und zu diesen rechnet er sich natürlich auch........

Nietzsches Philosophie mit ihrem Kultus des Über- oder Herrenmenschen, dem das Ausleben der eigenen Persönlichkeit alles ist und jede Unterordnung der Person unter einen großen gesellschaftlichen Zweck ebenso abgeschmackt wie erbärmlich erscheint, diese Philosophie ist die richtige Lebensanschauung des Literaten, sie macht aber völlig untauglich zur Einreihung in den Klassenkampf des Proletariats". (Karl Kautsky, "Franz Mehring").

Lenin fügt in einer Fußnote hinzu: "Ich übersetze die deutschen Ausdrücke Literat und Literatentum mit Intellektueller und Intellektueller und Intelligenz, weil damit nicht nur die Schriftsteller gemeint sind, sondern überhaupt alle Gebildeten, Vertreter freier Berufe Kopfarbeiter (brain worker, wie die Engländer sagen) zum Unterschied von den Handarbeitern." Um zu beweisen, daß einzelne Intellektuelle dennoch völlig in der Arbeiterbewegung aufgehen können, führt Kautsky Mehring, Wilhelm Liebknecht und natürlich Marx an, "der sich nie vordrängte und dessen Unterwerfung unter die Parteidisziplin in der Internationale, wo er gar manches Mal in der Minorität blieb, musterhaft war" (ibid).

Die Frage ist heute aktueller den je. Die neue Generation der Revolutionäre nach 1968 war in besonderem Maße dem Gewicht der kleinbürgerlichen, anarchistischen Intelligenz ausgesetzt. Diese revolutionäre Generation war natürlich das Produkt der historischen, weltweiten Wiederaufnahme des Kampfes der Arbeiterklasse Ende der 60er Jahre. Obwohl die Arbeiter damals Massenkämpfe entfalteten, waren die Arbeiter wegen der vorangegangenen jahrzehntelangen bürgerlichen Konterrevolution noch sehr wenig politisiert. Dieser Bruch mit den Traditionen der vergangenen Arbeiterbewegung schuf besonders günstige Bedingungen für das Sich-Ausbreiten des kleinbürgerlichen Individualismus in den Reihen der Arbeiterbewegung. Heute stellt auch die IKS fest, wie wenig es uns bis jetzt gelungen ist, die Reste dieses kleinbürgerlichen Anarchismus in Organisationsfragen auszumerzen. Deshalb haben die verschiedenen Kongresse und Konferenzen der IKS in jüngster Zeit, wie die Konferenz von Weltrevolution 1994, sich vor allem damit auseinandergesetzt, wie wir heute den Kampf Lenins gegen den kleinbürgerlichen Individualismus, gegen den Literaten-Menschewismus erfolgreich zu Ende führen können. Wir werden auf diese Frage in unserer Presse selbstverständlich zurückkommen.


Weltrevolution Nr. 69

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1905: Der Massenstreik und die Arbeiterräte

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 Vor 90 Jahren begann das Proletariat in Rußland die erste revolutionäre Bewegung dieses Jahrhunderts: die Generalprobe für die siegreiche Revolution von 1917 und die internationale Welle von revolutionären Kämpfen, die sich ihr anschloß. 1905 entfaltete die Arbeiterklasse zum ersten Mal ihre spezifische Waffe im Zeitraum der kapitalistischen Dekadenz: den Massenstreik. In Anbetracht der Schlüsselfragen, vor denen das Proletariat heute steht, ist es die Aufgabe der revolutionären Minderheiten, ihre Klasse an die gewaltigen, gegen ein System, das auf seinen Zusammenbruch hinraste, gerichteten Kämpfe von 1905 zu erinnern.Der Grund, weshalb es heute so wichtig ist, daß sich die Arbeiter die Lehren dieser Erfahrung aneignen, liegt darin, daß die Antworten auf die Fragen, vor denen die Arbeiter heute stehen, 1905 gegeben wurden: die Vereinigung der Arbeiterklasse durch die Ausdehnung und Selbstorganisierung des Kampfes, wodurch die Grundlagen für die revolutionäre Offensive gegen die kapitalistische Ordnung gelegt wurden.Die Revolution von 1905 wurde durch ein unbedeutendes Ereignis ausgelöst, das aber wie ein Funken bei einem Pulverfaß wirkte: im Dez. 1904 wurden zwei Arbeiter der Putilov-Werke in St. Petersburg deswegen entlassen, weil sie einer politischen Organisation angehörten. Am 3. Januar traten die Arbeiter der Putilov-Fabrik in den Streik, und am 7. Januar brachten 140.000 Streikende ihre Wut in den Fabriken von St. Petersburg zum Ausdruck, organisierten Vollversammlungen, in denen politische und ökonomische Forderungen formuliert wurden. Diese spiegelten die Revolte gegen die Autorität des Zaren, die Bedingungen der Misere und der Ausbeutung wider, welche durch die Wirtschaftskrise und den imperialistischen Krieg mit Japan aufgezwungen wurden. Insbesondere forderten sie Lohnerhöhungen, den 8-Stunden-Tag, Bürgerrechte, das allgemeine Wahlrecht. Von einem Priester, Gapon, angeführt, - von dem sich später herausstellte, daß er ein Polizeiagent war - marschierten die Arbeiter friedlich zum Winterpalais des Zaren. Sie wollten dem Zar eine Petition vortragen, in der sie demütig um eine Verbesserung ihrer Lebenslage nachsuchten. Aber ihnen traten die Truppen des Zaren entgegen, die wild auf die Menge schossen. Dieser ‘blutige Sonntag’ war Anlaß für die erste revolutionäre Explosion des Proletariats im ganzen Zarenreich, die erste Massenstreikbewegung in der Geschichte.

Die Ausdehnung des Massenstreiks

Während der nachfolgenden zwei Monate dehnte sich der Widerstand der Arbeiter über ganz Rußland aus, schloß später 132 Städte und nahezu eine Million Arbeiter ein. Dann flachte die Bewegung langsam ab, um spontan und mit vereinten Kräften im Herbst wieder aufzutauchen. Die Kämpfe im Herbst 1905 waren der Höhepunkt einer ganzen Bewegung. Wie im Januar 1905 wurden sie durch ein kleines Ereignis ausgelöst: am 19. Sept. traten die Arbeiter in der Sytine Druckerei in Moskau in den Streik, um ihrer Forderung nach Lohnerhöhungen und einer Verkürzung des Arbeitstages Nachdruck zu verleihen. Der erste Streik dehnte sich auf der Ebene der Branche aus: die Drucker aus andern Petersburger Druckereien legten aus Solidarität die Arbeit nieder, um die Moskauer Drucker zu unterstützen. Aber der Streik überwand schnell die Barrieren der Berufe und Branchen und dehnte sich geographisch aus. Der Funken sprang über auf die Eisenbahner und wurde noch verstärkt, als die Beschäftigten des Telegrafenamtes der Bewegung beitraten. Die Streikenden kamen zu Vollversammlungen zusammen, die sich sofort entschlossen, Räte (Sowjets) zu bilden, um ihre Kämpfe zu koordinieren und zentralisieren. 5 Tage nach der Schaffung des ersten Sowjets begann sich der Streik durch den Impuls der Eisenbahner auszudehnen, die die Eisenbahnlinien blockierten. Jegliche Verbindung zwischen Moskau und anderen Städten wurde unterbrochen. Das hinderte die Arbeiter nicht daran, die Verbindung untereinander aufrechtzuhalten. Trotz der Drohung der Repression (3-monatige Gefängnisstrafen für Streikende) ließen sich die Eisenbahner und die Telegrafenamtbeschäftigten nicht einschüchtern. Die Bewegung dehnte sich vom Zentrum zur Peripherie aus. Andere nichtausbeutende Schichten wurden ebenfalls in den Kampf einbezogen. Die Ausdehnung nahm zunehmend einen politischen Charakter an, insbesondere bei der Solidarität der Soldaten. Hier stellte das Proletariat sein Bewußtsein unter Beweis, indem es die Arbeiter und Bauern in Uniform auf seine Seite zog, deren Unterstützung gewann, was eine unabdingbare Bedingung für die Übernahme der Macht war. Die revolutionären Aufstände dehnten sich im Herbst 1905 auf ganz Rußland aus und ergriffen alle Gesellschaftsschichten. Überall nahmen die Streiks zu, es kam zu Studentendemos, Arbeiter- und Matrosenmeutereien, Bauernaufständen. Die herrschende Klasse war gezwungen, Konzessionen zu machen. Das Kriegsrecht wurde aufgehoben, Streiktage bezahlt, für die Aufständischen von Kronstadt wurde eine Amnestie ausgesprochen.

Der Massenstreik von 1905 bewies, daß das Proletariat durch die Ausdehnung seiner Kämpfe auf alle Bereiche seiner Stärke bewußt wird, und als das einzige Subjekt in der Geschichte auftreten kann.

Der ‘rote Oktober’ des Jahres 1905 bietet der Arbeiterklasse heute viele Lehren an. In Anbetracht der Hauptfrage, vor denen die Arbeiter immer wieder stehen, nämlich die Ausdehnung der Kämpfe, hat uns 1905 eine große Errungenschaft hinterlassen. In der Zeit des Massenstreiks (d.h. in der Dekadenz dieser Gesellschaft) ist die Dauer eines Kampfes keine Stärke an sich. Unter bestimmten Umständen besteht das Risiko, daß nicht die Bourgeoisie sondern das Proletariat gelähmt wird. So stellte in der Zeit vom Oktober bis November 1905 der Aufruf zur Wiederaufnahme der Arbeit in bestimmten Branchen einen wichtigen Schritt der Bewußtseinsentwicklung des Proletariats dar, der es ihm ermöglichte, seine Kämpfe später zu vereinigen. Die Züge wurden für die Beförderung von Delegierten eingesetzt, die Telegrafenleitungen für die Übermittlung von Anordnungen der Sowjets herangezogen, Druckereien gingen in die Kontrolle der Arbeiter über, um die Presse der Arbeiter zu drucken.

Die Arbeitskraft der Arbeiter nicht für das Kapital einzusetzen, sondern sie für die Ausdehnung des Streiks zu verwenden, das ist eine der Hauptlehren von 1905. Die Ausdehnung der Kämpfe für die Vereinigung der Klasse, die Entwicklung des Klassenbewußtseins, das Zurückdrängen der Bourgeoisie, die Notwendigkeit, den Massenstreik geschickt einzusetzen, so daß die Arbeiterklasse und nicht die Bourgeoisie gestärkt wird, das sind wichtige Lehren, die sich die Arbeiterklasse heute aneignen muß - so wie sie es in Polen 1980 auch gezeigt hatte.


Die Sowjets: Die Selbstorganisation des Proletariats

Aber die von den Arbeitern 1905 verwendeten Methoden zur Ausdehnung der Streiks beschränkten sich nicht nur auf die Kommunikationsmittel. Die bewußte Ausdehnung der Kämpfe erforderte ihre Koordinierung und somit die selbständige Organisierung der Klasse. Nur weil das Proletariat 1905 die ersten Arbeiterräte schuf, konnte es das große Potential der Massenstreiks ausschöpfen.

Im Okt. 1905 beschlossen die Petersburger Arbeiter, ihre Bewegung durch die Schaffung einer autonomen Arbeiterverwaltung zu zentralisieren. So wurde der erste Petersburger Arbeiterrat gegründet, in dem Delegierte aller Fabriken der Stadt vertreten waren, und der als das Nervenzentrum der revolutionären Bewegung auftrat. Drei Jahre nach der Gründung der Sowjets brachte das organisierte Proletariat eine Arbeiterpresse (Isvestia) (Nachrichten) heraus, das ein Verbindungs- und Propagandaorgan war. Im Sowjet waren Delegierte aus allen Fabriken vertreten, die gewählt und jederzeit abwählbar waren. Ständig fanden Treffen statt, deren Hauptdiskussionsthemen folgende waren:

- Wie den Kampf auf alle Bereiche ausdehnen? So schickte z.B. Anfang Oktober der Arbeiterrat große Delegationen zu den Textilfabriken Petrograds, die immer noch zögerten, sich dem Streik anzuschließen. Unmittelbar danach legten die Textilarbeiter die Arbeit nieder. Die Ausdehnung fand ohne Zwangsausübung statt. Die Sowjets hatten die zögernden Arbeiter durch ihre eigene Entschlossenheit überzeugt.

- Die Aufstellung einer Plattform von Forderungen (Garantie eines Raumes für Treffen, Lebensmittel- und Waffenlieferungen an das Proletariat...). Die Sowjets machten sich keine Illusionen über die Fähigkeit der Bourgeoisie, solche Forderungen zu erfüllen. Sie hatten vor allem agitatorischen Wert und dienten der Vertiefung des Bewußtseins des Proletariats.

Darum lag die zentralisierende Rolle der Sowjets. Indem sie die Arbeiterklasse vereinigten, bündelten sie alle Aspekte des Kampfes in sich zusammen: defensive und offensive, lokale und allgemeine, ökonomische und politische.

Die selbständige Organisation der Klasse in Arbeiterräten im dem Jahre 1905 zeigt uns andere wichtige Lehren für heute auf.

1) Der wirkliche Sieg oder die Niederlage werden nicht bestimmt durch einzelne Momente des Massenstreiks, sondern durch seinen Höhepunkt, den revolutionären Aufstand. Diese erste Lehre wurde von Nov. 1905 an deutlich. Als der Sowjet in Anbetracht des Drucks in den Reihen der Arbeiter die Kampagne für den 8-Stunden-Tag einleitete. In vielen Fabriken (insbesondere in der Textilindustrie und im Metallbereich) führten die Arbeiter ihn selbst ein. Aber die Bourgeoisie wollte nicht nachgeben und schloß Fabriken. Damit warf sie ca. 19.000 Arbeiter auf einen Schlag auf die Straße. Unter dem Zwang nachzugeben, nahmen die Arbeiter die Arbeit wieder zu den alten Bedingungen auf. Der Sowjet war sich bewußt, daß die Aussichten einer solchen Bewegung auf ‘Erfolg’ gering waren. Aber er wußte auch, daß sich hinter dieser unvermeidbaren wirtschaftlichen Niederlage ein politischer Sieg abzeichnete, der im Bewußtsein des Proletariats unauslöschliche Spuren hinterlassen würde. Denn indem das Proletariat auf eine unnachgiebige, krisengeschüttelte herrschende Klasse stieß, konnte es von 1905 an langsam die Notwendigkeit der Übernahme der Macht begreifen. So traten die Gegensätze zwischen Bourgeoisie und Proletariat in all ihrer unverkennbaren Nacktheit auf. Die Bewegung für den 8-Std.-Tag, die durch die Selbstorganisierung des Proletariats vorangetragen wurde, sollte ein Vorspiel sein für den Aufstand im Dezember in Moskau.

2.) Die zweite wichtige Lehre, die die Erfahrung aus dem Sowjet von 1905 uns heute hinterlassen hat, ist die Erkenntnis, daß es unmöglich ist, einen Streik isoliert zu entwickeln. Das Beispiel des Streiks der Petersburger Arbeiter, die im November aus Solidarität mit Kronstadt die Arbeit niedergelegt hatten, ist aufschlußreich.

Am 26. Okt. 1905 brach ein Aufstand aus in den Kasernen von Kronstadt; am nächsten Tag wurde er von den Truppen des Zaren niedergeschlagen. Sofort gab es eine breite Protestbewegung in den Petersburger Fabriken, die von dem Sowjet in die Wege geleitet wurde. Die Bewegung brach jedoch auf dem Hintergrund des allgemeinen Zurückweichens der Kämpfe in Rußland aus, und sie blieb auf die Petersburger Gegend beschränkt. In Anbetracht der Schwierigkeit, den Streik auszudehnen, rief der Sowjet zur Wiederaufnahme der Arbeit am Ende der Woche auf, weil er begriffen hatte, daß die Fortführung des Streiks unter den Bedingungen der Isolierung nur zur Demoralisierung der Petersburger Arbeiter führen würde. So kann die Fähigkeit des Proletariats, seinen Kampf zu verstärken, ebenfalls von seiner Fähigkeit abhängen, einen Rückzug anzutreten, wenn die Bedingungen für eine sofortige Offensive nicht reif genug sind. Der Petersburger Sowjet brachte dies folgendermaßen zum Ausdruck: ‘Wir fürchten weder die Schlachten noch die Niederlagen. Niederlagen sind für uns Schritte, die uns zum Sieg führen... Für jede Schlacht suchen wir die besten Bedingungen. Die Zeit arbeitet für uns, und wir haben keinen Grund etwas zu überstürzen... Alle Vorteile sind auf unserer Seite, denn morgen, Genossen, werden wir stärker sein als heute, und übermorgen stärker als morgen! Wir sollten jetzt den Streik abbrechen... und alle unsere Kräfte darauf konzentrieren, das zu schaffen und zu verstärken, was wir jetzt am meisten brauchen: Organisation und noch mal Organisation. Vergeßt nicht, daß wir in der Stunde der Entscheidung nur auf uns selbst zählen können’ (Rede des Berichterstatters vor dem Exekutivkomitee des Sowjets auf der Sitzung vom 5. Nov. 1905).

Die Kämpfe von 1905 bewiesen, daß die Arbeiterklasse ihre Kämpfe auf die neuen Bedingungen des Niedergangs des Kapitalismus einstellen konnte. Auch wenn die Gewerkschaften immer versuchen, das Proletariat in Sackgassen zu lenken (Kämpfe auf einen Bereich zu beschränken, lange, aber isolierte Streiks, ‘finanzielle’ Solidarität statt Ausdehnung und andere überholte Methoden), müssen wir aus der Erfahrung von 1905 alle Lehren ziehen. Avril


Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1905 - Revolution in Russland [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [2]

Umwälzungen innerhalb der Arbeiterklasse - Soziologie gegen Marxismus

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Auf der letzten Diskussionsveranstaltung der IKS in Köln wurde lebhaft über die Tatsache diskutiert, daß die Krise auf der einen Seite die Arbeiterklasse weltweit immer mehr in Existenznöte bringt, daß andererseits aber die Arbeiterklasse in letzter Zeit nicht in große Abwehrkämpfe gegen die Angriffe des Kapitals eingetreten ist. Während die IKS die Ursache für dieses Auseinanderklaffen zwischen der Heftigkeit der Krise und der zögernden Reaktion der Arbeiter vor allem dem globalen Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeiterklasse zuordnet, das in den letzten Jahren nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime im Osten zu einer Schwächung sowohl der Kampfbereitschaft als auch des Bewußtseins in der Klasse geführt hat, argumentierten einige Diskussionsteilnehmer folgendermaßen. Es habe umfassende Umschichtungen innerhalb der Arbeiterklasse gegeben. Ihre Zusammensetzung, ihre Arbeitsbedingungen haben sich derart geändert, daß dies auch zu großen politischen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse geführt habe. Dieser Ansatz, dessen Befürworter vor allem Soziologen sind, hat in den letzten Jahren viel Auftrieb erhalten. Manche gehen soweit zu behaupten, die Arbeiterklasse sei gar in der Auflösung begriffen. Wir wollen uns deshalb mit diesem Standpunkt auseinandersetzen.

Gab es die Arbeiterklasse nur im vorigen Jahrhundert?

Wenden wir uns zunächst den Argumenten der bürgerlichen Soziologen und bezahlten Historiker zu. Sie geben bereitwillig zu, daß das Proletariat zu Lebzeiten von Marx und Engels, oder sogar noch von Lenin und Luxemburg, eine revolutionäre Kraft war. Sie weisen ohne Umschweife auf die revolutionären Arbeiterkämpfe von damals hin: 1848 und 1870 in Paris, 1905 und 1917 in Rußland, 1918-1923 in Deutschland. Und sie sagen: damals war das Proletariat revolutionär, im Gegensatz zu heute. Denn damals war die Arbeiterklasse wirklich arm und mußte schwerste körperliche Arbeit verrichten. Vor allem aber: die Arbeiterklasse von damals war eine wirkliche industrielle Armee, in der Produktion in Riesenbetrieben vereinigt. Und das Proletariat war eine homogene Masse, welche ungefähr dieselben Arbeits- und Lebensbedingungen teilte.

Wie die Soziologen die Arbeiterklasse weganalysieren

Es kostet unsere Soziologen nicht viel, um die DAMALIGE revolutionäre Gesinnung des Proletariats einzugestehen, denn sie teilen uns sofort triumphal mit, daß dies heute nicht mehr gilt! Und warum nicht? Hier die gängige Antwort der bezahlten Propagandisten:

- Die Vereinigung der Arbeiter am Arbeitsplatz sei gesprengt worden durch Dezentralisierung, internationale Arbeitsteilung, das Wiederaufleben des Kleinbetriebes, durch Zulieferbetriebe, Subunternehmertum und Leiharbeit.

- Die industrielle Armee des Proletariats sei dermaßen dahingeschmolzen, daß die sog. "Tertiarisierung", d.h. die Beschäftigung im Dienstleistungsbereich, jetzt zum überwiegenden Bereich der Arbeiterklasse wird.

- Die Homogenisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen, welche laut der marxistischen Theorie durch die Krise vorangetrieben wird, hat einer rasanten Heterogenisierung weichen müssen, so daß die Arbeiterklasse enorm differenziert, aufgesplittert ist zwischen hochqualifizierten und hochbezahlten Spezialisten einerseits und "Prekär-Beschäftigten" bzw. den Arbeitern der Billiglohnländer und -bereiche andererseits, zwischen Beschäftigten und Langzeitarbeitslosen usw.

Mit anderen Worten: das Proletariat sei heute viel zu sehr nach Einkommen, Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen gespalten; sein industrieller Kern viel zu klein geworden, um noch eine revolutionäre Kraft darstellen zu können.

Der Widerhall der Soziologen bei den Operaisten

Während der durchschnittliche bürgerliche Soziologe über seine, den Fortbestand des Kapitalismus scheinbar stützende Schlußfolgerung jubelt, gibt es auch linksgerichtete Vertreter dieser Zunft, welche "mit Bedauern" zu derselben Schlußfolgerung kommen. Aber es gibt sogar Leute, welche sich als Revolutionäre ausgeben (und vielleicht sogar daran glauben, welche zu sein), aber in genau dieselbe reaktionäre soziologische Kerbe hauen. So z.B. die sog. Operaisten in Italien, oder Leute wie Karl-Heinz Roth und die Wildcat-Kreise in Deutschland. Diese Leute sind keine Marxisten. Für sie sind die kapitalistische Krise, oder die wirtschaftliche und militärische Konkurrenz zwischen Teilen der Bourgeoisie, zu vernachlässigende Größen. Sie glauben, daß die ganzen Änderungen in der "Zusammensetzung" der Arbeiterklasse, welche sie zusammen mit den anderen Soziologen zu erkennen meinen, vom Kapital ausschließlich herbeigeführt wurden, um die Arbeiterklasse zu schwächen. Sie sprechen nicht vom "Niedergang" der Arbeiterklasse sondern von ihrer "Krise" bzw. ihrer "Neuzusammensetzung". Dennoch: ob man die "Dezentralisierung" und "Tertiarisierung" der Arbeiterklasse als das Ergebnis der "neuen Revolution der Informationsgesellschaft" wie die linken Uniprofessoren, oder ob man diese "Informationsgesellschaft" als das Mittel auffaßt, womit das Kapital sein angebliches Ziel der "Dezentralisierung" und "Tertiarisierung" der Arbeiterklasse auffaßt, dies ist letzten Endes einerlei. Wesentlich ist die soziologische Methode, die Arbeiterklasse abzuschreiben.

Veränderungen in der Arbeiterklasse ja, aber nicht deren Aufhebung

Gegenüber dieser Auffassung stellen wir folgendes fest:

- Diese soziologische Methode, die Arbeiterklasse abzuschreiben, ist nichts neues. Schon um die Jahrhundertwende versuchten die politischen Gegner des Marxismus dasselbe nachzuweisen. z.B. der Revisionismus von Bernstein, welcher die verstärkte "Differenzierung" der Arbeiterklasse in den Mittelpunkt stellte. Diese Theorien wurden bereits durch den 1. Weltkrieg und die darauffolgenden revolutionären Arbeiterkämpfe widerlegt.

- Der Marxismus hat die Differenzierung der Lebens- und Arbeitsbedingungen innerhalb des Proletariats nie verneint, sondern sogar ihre Unvermeidbarkeit nachgewiesen. Er hat aber nie eine Identität der Lebens- und Arbeitsbedingungen zwischen allen Teilen der Klasse als eine Bedingung der Revolution angesehen. Wichtig ist, daß die Bedingungen aller Arbeiter sich rasant verschlechtern, damit eine revolutionäre Situation entstehen kann, und nicht daß es überall dieselben Bedingungen gibt! Den Schlüssel hierfür liefert die marxistische Untersuchung der kapitalistischen Wirtschaftskrise, und nicht die "militante Untersuchung" der verschiedenen Arbeitsplätze, welche die anti-marxistischen Operaisten propagieren.

- Trotz Desindustrialisierung und Tertiarisierung als Folge der kapitalistischen Niedergangskrise bleibt der industrielle Kern der Arbeiterklasse heute weltweit stärker und umfangreicher als jemals früher.

- Durch die Entwicklung der vergesellschafteten und industrialisierten Arbeit, die er an die Stelle der individuellen Arbeit gesetzt hat, hat der Kapitalismus die Arbeiterklasse nicht nur am Arbeitsplatz, in den einzelnen Betrieben, sondern weltweit durch die internationale Arbeitsteilung vernetzt. Während die Soziologen behaupten, die Arbeiter seien heute in der Produktion nie so isoliert von einander gewesen, trifft genau das Gegenteil zu.

- Die wirklichen Ursachen der unbestreitbaren Schwierigkeiten der Arbeiterklasse liegen nicht in einer angebliche "Krise" aufgrund ihrer "Zusammensetzung", sondern im politischen Bereich - auf der Ebene des Klassenbewußtseins. Gerade dieses Bewußtsein wird heute massiv angegriffen durch die "Thesen" einer "Krise" der Arbeiterklasse und von der "Überholtheit" des Marxismus.

Wir sind davon überzeugt, daß man der Arbeiterklasse nur aus ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten heraushelfen kann, wenn man ihre revolutionäre Theorie, den Marxismus, vorbehaltlos verteidigt. Dazu gehört an erster Stelle. die marxistische Auffassung von der Arbeiterklasse.

Widerhall der Soziologen bei den Revolutionären

Diese absurde soziologische Theorie hat neulich ihren Widerhall im revolutionären Milieu gefunden. So hat Battaglia Comunista dazu einen Artikel in ‘Communist Review’ (die es gemeinsam mit der CWO auf Englisch herausgibt) veröffentlicht. Schon immer hat Battaglia genau wie Programma Comunista behauptet, daß wir uns trotz der Kämpfe seit Ende der 60er Jahre nach wie vor in der Phase der Konterrevolution befinden, die Mitte der 20er Jahre nach der Niederschlagung der revolutionären Kämpfe von 1917-23 anfing. Denn die Partei habe ihren Einfluß über die Massen nicht zurückgewinnen können. Jetzt heißt es aber, die Schwächen des Klassenkampfes seit Ende der 80er Jahre seien auf die Entwicklung der Informatik, auf die Entqualifizierung und Dezentralisierung der Arbeitsplätze, die Tertiarisierung sowie die Entwicklung der Massenarbeitslosigkeit zurückzuführen. Die Auswirkungen des Zusammenbruchs im Osten werden nur beiläufig als ein sekundärer Faktor erwähnt. Merkwürdigerweise wird in diesem Artikel die Arbeitslosigkeit als Erpressungsmittel aber nicht als Ausdruck der Krise angesprochen.

Zwar zieht Battaglia daraus nicht direkt die Schlußfolgerung einer "Krise der Arbeiterklasse". Aber es bleibt nicht weit davon entfernt. Die Änderungen innerhalb der Arbeiterklasse werden noch länger Schwierigkeiten für das Proletariat mit sich bringen, heißt es dort. Kein Wunder! Denn die angeführten Phänomene sind kaum als vorübergehend zu betrachten! Die FECCI hingegen, die sog. "externe Fraktion" der IKS, hat schon lange die Seiten ihrer "Internationalist Perspectives" mit Humbug gefüllt über die "Krise des Proletariats" aufgrund der soziologischen "Neuzusammensetzung".

Weshalb ist das Proletariat eine revolutionäre Klasse?

Entscheidend sind 2 Faktoren. Erstens die vollständige Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln. Grundlage dafür die Lohnarbeit. Hier liegt die Quelle der spezifisch kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats, die von Marx im Band I des Kapital aufgedeckt wird. Zweitens aber die Vergesellschaftung der Arbeit. Aus individuellen werden kollektive Arbeitsmittel. Dies bedeutet, daß die Aufhebung der Trennung zwischen Produzenten und Produktionsmittel nicht mehr individuell sondern nur gemeinsam erfolgen kann, durch die kollektive Inbesitznahme durch das Proletariat. Daraus folgt das kollektive, kooperative, solidarische, internationalistische, bewußte Wesen des Proletariats. Entscheidend ist also nicht, ob mehr mit der Hand oder mit dem Kopf, ob am Fließband oder in Gruppenarbeit, ob mit konventioneller oder mittels computergesteuerter Maschinen und Werkzeugen produziert wird. Entscheidend ist, daß diese Produktion vergesellschaftet, auf der Grundlage der Lohnarbeit, der kapitalistischen Ausbeutung erfolgt. Dieses Wesen des revolutionären Proletariats hat sich nicht geändert. Es hat sich auch nicht "neu zusammengesetzt".

Dabei spielt natürlich die Konzentration des Kapitals und der Arbeiterklasse eine große Rolle. Nur ist diese Konzentration der Klasse nicht in erster Linie als eine physische, im Sinne von gemeinsamem Arbeiten innerhalb ein- und derselben Fabrik gedacht. Natürlich hängt das irgendwie zusammen. Vergleichen wir aber z.B. die Arbeiterklasse in Ost- und Westeuropa vor "der Wende" miteinander, so sehen wir, daß im Osten die Klasse viel stärker in Riesenfabriken und Kombinaten zusammengeballt war, während im Westen der Trend zu kleineren, voneinander örtlich getrennten Betrieben viel stärker war. Wo aber war die Klasse stärker konzentriert? Eindeutig im Westen! Was macht diese Konzentration z.B. in Westdeutschland aus? Die Dichte der Vernetzung aller Produktionsstätten miteinander, wofür gerade die Entwicklung der Informatik, des Transportsystems, die hochgradige Arbeitsteilung steht. Es ist also nicht die Konzentration am einzelnen Arbeitsplatz, die entscheidend ist, sondern die tatsächliche Verknüpfung aller Arbeitsplätze miteinander durch die wirkliche Konzentration des Kapitals. Außerdem sind diese Verknüpfungen nicht lokal, sondern international. Die westlichen Industriestaaten erscheinen wie Mittelpunkte von weltumspannenden Werkstätten und Märkten - im Osten war dies nicht der Fall. Es stimmt tatsächlich, daß die westliche Bourgeoisie an einer Dezentralisierung der Produktionsstätten interessiert ist, und daß dies neben wirtschaftlichen auch militärstrategische und soziale Gründe hat. Aber das Kapital kann damit die wirkliche Konzentration des Proletariats nicht rückgängig machen, welche mit der Konzentration des Kapitals selbst einhergeht. Deshalb bleibt die Bourgeoisie weit entfernt davon, sich auf die "Verkleinerung" des Einzelbetriebs verlassen zu können, sondern ist in erster Linie auf die Gewerkschaften angewiesen, um die Klasse zu spalten! Aber dieser entscheidende Punkt bleibt ein Buch mit 7 Siegeln für alle, die das revolutionäre Wesen des Proletariats nicht begreifen.

Die Fragen der Zusammensetzung der Arbeiterklasse sind nicht unwichtig. Es ist bedeutsam, daß z.B. die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes seit einem Dutzend von Jahren oft eine Vorhut des Klassenkampfes geworden sind. Oder die weitaus größere Integration der "white collar workers" seit 1968 mit großen Streikbewegungen der Lehrer oder Bankangestellten. Das Gewicht der Bergarbeiter in den Industriestaaten hat hingegen abgenommen. Natürlich ist auch die Entwicklung sowie die "Zusammensetzung" der Arbeitslosen sehr wichtig zu verfolgen. Aber diese Änderungen berühren keineswegs das revolutionäre Wesen der Klasse.

 

Weltrevolution Nr. 70

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Debatte mit der CWO: Sind die Gewerkschaften Teil des Staates?

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Im Januar diesen Jahres hielt die Communist Workers’ Organisation (CWO) eine öffentliche Diskussionsveranstaltung in London zum Thema Gewerkschaften ab. Die CWO stützt sich auf die Traditionen der Italienischen Kommunistischen Linken. Sie ist verbündet mit der Partito Comunista Internazionalista (Battaglia Comunista) in dem Internationalen Büro für die Revolutionäre Partei (IBRP). Es handelt sich um eine bedeutsame Organisation innerhalb des revolutionären Milieus; sie vertritt Positionen, die gewöhnlich unseren sehr nahe stehen.

Die CWO begann die Veranstaltung mit einem Referat, in dem aufgezeigt wurde, wie die Gewerkschaften ursprünglich Verteidigungsorgane der Arbeiterklasse waren, die dann aber die Klassengrenze mit dem Beginn der kapitalistischen Dekadenz überschritten, insbesondere als die Gewerkschaften 1914 den imperialistischen Krieg unterstützten. Dies ist grob gesehen der marxistische Rahmen um zu verstehen, warum die Arbeiter sich nicht mehr mittels der Gewerkschaften verteidigen können. Aus der Sicht der CWO jedoch haben die Gewerkschaften ihr Klassenwesen, nicht jedoch ihre Funktion geändert. Der CWO zufolge handeln die Gewerkschaften die Bedingungen der Lohnarbeit aus. Im 19. Jahrhundert, als sich das Kapital noch in der Expansionsphase befand, konnte dies defensiv für die Arbeiterklasse ausgenutzt werden, aber aufgrund der ständigen Angriffe des Kapitals gegen die Arbeiterklasse ist dies mittlerweile nicht mehr möglich. Diese theoretische Schwäche führt zu einer großen Unklarheit in der Intervention der CWO, da sie die Gewerkschaften nicht als einen Teil des Staates auffaßt, der die besondere Funktion hat, die Arbeiterklasse zu kontrollieren und sie zu unterdrücken. Dies wurde im 2. Teil der Diskussion aufgegriffen.

Wie die von den Gewerkschaften aufgezwungene Isolierung überwinden?

Das Referat endete mit der richtigen Entblößung der Basisgewerkschafter, der Entblößung ihrer angeblich ‘radikalen Geldsammlungen’, die aber nie mit einer wirklichen Ausdehnung der Kämpfe verbunden sind. Auch unterstrich die CWO, daß ständige Verteidigungsorgane sich notwendigerweise den Bedürfnissen der herrschenden Klasse unterwerfen müssen. Aber die CWO rief auch dazu auf, daß Organisationen am Arbeitsplatz eingerichtet werden müßten, die mit der revolutionären Partei verbunden sein sollten. In der Diskussion ging man auf die Schwierigkeiten ein, vor denen militante Arbeiter stehen, um die Isolierung zu durchbrechen, Diskussionen voranzutreiben und gemeinsam vorzugehen. Oder wie ein Genosse der CWO es beschrieb, die Notwendigkeit für Revolutionäre, sich eine Stimme in der Arbeiterklasse zu verschaffen.

Die Stärke der Diskussion war der Wille, die konkrete Situation zu untersuchen, die wirkliche Bewegung, in der wir uns befinden. Insbesondere wurde in den Interventionen der CWO die Erfahrung ihrer Schwesterorganisation in Italien - Battaglia Comunista - kritisch untersucht, wo unter Kampfbedingungen kommunistische Militante dazu in der Lage sind, einen Kern von Arbeitern, eine Kampfgruppe um sich herum zusammenzuführen und sie zusammenzuschließen. Dies kann am Arbeitsplatz oder auf geographischer Grundlage geschehen, wobei das letztere die Notwendigkeit des Kampfes zum Ausdruck bringt, unmittelbar eine Brücke über den Arbeitsplatz hinaus zu schaffen, um somit eine Niederlage zu vermeiden. Um dies besser zu klären, hat die CWO aufgehört, den Begriff ‘Transmissionsriemen’ zu benutzen. Diesen Begriff benutzten sie Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, als sie von den ‘internationalistischen Fabrikgruppen’ sprachen, welche sie hatten aufbauen wollen.

Aus der Sicht der CWO erschienen die territorialen Arbeiterkampfgruppen

‘Wie können wir den Funken des Bewußtseins aufrecht, sobald die Kämpfe nachlassen?’,

fragte ein Genosse der CWO hinsichtlich des zeitlich beschränkten Wesens der Kampfgruppen. Es gibt offensichtlich kein organisatorisches Schema als Antwort darauf. Ein künstlicher Versuch, um das Leben einer Kampfgruppe zu verändern, führt regelmäßig zum Fiasko der Einverleibung durch die Gewerkschaften oder durch die Linken. In Anbetracht ihrer mittlerweile gewonnen Erfahrung hat die CWO jetzt den Versuch aufgegeben, ‘Transmissionsriemen’ und künstliche Fabrikgruppen unter ihrer Kontrolle zu errichten. Aber wie der Aufruf der CWO am Ende des Einleitungsreferates sagte, als zur Bildung von ‘Organisationen am Arbeitsplatz in Verbindung mit der revolutionären Partei’ aufgerufen wurde, und die Frage zeigte, wie der Funke des revolutionären Bewußtseins aufrechterhalten werden könnte, gibt die CWO den Versuch nicht auf, organisatorische Schemen als Anleitung für ihre Intervention zu suchen. Tatsächlich aber kann es keinen Ersatz für die schmerzlich langsame und geduldige Propagandaarbeit geben, die sich auf die Intervention der revolutionären Organisation, ihre Publikationen und ihre Treffen stützt; und je nachdem wenn die Verhältnisse es zulassen, auch auf die aktive Beteiligung an den Kämpfen der Arbeiterklasse. Dies ist unser Beitrag zur Aufrechterhaltung des ‘Funken Klassenbewußtseins’.(1) als etwas Neues, das verbunden wäre mit einer soziologischen Änderung in der Arbeiterklasse, da es jetzt aufgrund des Arbeitsplatzabbaus in vielen großen Betrieben viel weniger Arbeitsplätze gibt. Aber es gab in den 80er Jahren sowohl territoriale Gruppen als auch Kampfgruppen am Arbeitsplatz, die ein Teil der Welle von internationalen Kämpfen waren. Sobald die Kämpfe abebbten, konnten diese Gruppen, von denen viele zuvor dank der aktiven Beteiligung der IKS entstanden waren, sich nicht mehr am Leben halten. Ein Beispiel dafür war die Action Group for Workers’ Unity (Aktionsgruppe Arbeitereinheit) in London, in der 1989 Arbeiter aus verschiedenen Teilen der Klasse zusammengekommen waren (Erziehungswesen, kommunale Beschäftigte, Beschäftigte aus dem Transport & Verkehrswesen (siehe World Revolution Nr. 128).

Eine Zweideutigkeit bei der Gewerkschaftsfrage führt zu Fehlern in der Intervention

Indem die CWO die Idee vertritt, daß die Gewerkschaften eine ständige Funktion des Aushandelns der Bedingungen der Lohnarbeit auszufüllen hätten, und auch durch die Abkehr von der Analyse des Staatskapitalismus, wird die CWO dazu verleitet zu leugnen, daß die Gewerkschaften ein Teil des Staates sind. Sie zitiert Marxens Beschreibung der Gewerkschaften: ‘3. Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstandes gegen die Gewalttaten des Kapitals..... Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern...’ (Lohn, Preis, Profit in MEW Bd.16, S.152) Aber die Funktion der Gewerkschaften bestand in der Verteidigung der Arbeiter gegen die Übergriffe des Kapitals, wobei sie auch Verhandlungen und Streikaktionen einsetzen, nicht nur um die Lohnarbeitsbedingungen auszuhandeln als Teil des Kapitalismus im 19. Jahrhundert.

Heute haben Gewerkschaften nicht zur Aufgabe, die Löhne auszuhandeln, sondern sie sind ein aktiver Teil des Staates, die die Arbeiterklasse disziplinieren, und die Arbeiter dazu drängen, die Angriffe des Kapitals hinzunehmen. Darin besteht die heutige Funktion der Gewerkschaften.

Während sie mit der Einschätzung des bürgerlichen und arbeiterfeindlichen Wesens der Gewerkschaften übereinstimmen, wehrt sich die CWO dagegen zu behaupten, daß die Gewerkschaften ein Teil des Staates sind. Es handelt sich hier nicht um reine Wortklauberei. Die Diskussion auf dem Treffen bezog sich auf die Debatte zwischen den Organisationen der Revolutionäre zur Zeit des Timex-Kampfes auf (siehe dazu World Revolution Nr. 167, Sept. 1993). Damals kritisierte die IKS die CWO und warf ihr vor, in die Falle der extremen Linken gelaufen zu sein. Die CWO wehrte sich gegen diese Kritik und behauptete, daß sie

a) physisch während des Streiks präsent waren,

b) mit der Schwierigkeit kämpften, genau zu wissen, was sie den im Kampf befindlichen Arbeitern sagen sollten,

c) und daß die Polemik der IKS einige Formulierungen auf eine törichte Weise aufgegriffen und die Tatsache außer Acht gelassen habe, daß die CWO den Gewerkschaften auch feindlich gesinnt sei. Als Antwort darauf haben wir hervorgehoben, welche Art Formulierung wir kritisiert haben. ‘Es stimmt, daß die Arbeiter dort eine größere Unterstützung von Gewerkschaften bekommen haben als andere Arbeiter’. Genossen der CWO, dies steht im Widerspruch zu eurer Position, daß die Gewerkschaften bürgerliche Organisationen sind!

b) wir haben die Zweideutigkeiten der CWO zur Gewerkschaftsfrage aufgegriffen. In Workers Voice Nr. 74 (Okt/Nov. 1994) sagte die CWO zum Streik der Stellwerksbediener bei den britischen Eisenbahnen: ‘Die Stellwerksbediener standen von Anfang an in Konfrontation mit dem Staat, als dieser eingriff und das Angebot von 5.7% zurücknahm’. Hier ist unsere Divergenz klar. Aus der Sicht der CWO ist es so, wenn die Regierung nicht interveniert hätte, könnte man schlußfolgern, daß der Staat bei den Kämpfen abwesend gewesen wäre. Aus der Sicht der IKS ist es wesentlich, die grundsätzliche Einheit der Bourgeoisie gegen den Klassenkampf zu erkennen. Die _Einheit der Bourgeoisie wird vom Staat organisiert und von den Gewerkschaften angeführt.

Im gleichen Artikel erklärt die CWO das bürgerliche Wesen der Gewerkschaften in rein ökonomischen Begriffen. ‘Heute benutzen die Gewerkschaften Fonds, um einen Profit mittels irgendwelcher Kapitalinvestitionen einzuheimsen, von denen sie vermuten, daß sie die größten Einkünfte abwerfen. Sie werden das Geld nicht in Streiks ausgeben und darum kämpfen, ihre eigenen Profite zu retten’. Die bewußte bürgerliche Funktion der Spaltung und Kontrolle der Arbeiterklasse, die von einem Teil des Staates - den Gewerkschaften - vollzogen wird, wird wieder geleugnet. Im besten Fall führt dies zu einer gefährlichen Unterschätzung des Klassenfeindes, im schlimmsten Fall läuft man direkt in die Arme der Propaganda der Linken.

Diese Unterschätzung wurde ziemlich deutlich zur Zeit des Timex-Streiks, als die CWO die wirkliche Bedeutung dieses Kampfes als eine exemplarische Niederlage nicht verstand. Es handelte sich um einen Kampf, der künstlich in die Länge gezogen wurde mit einer internationalen Propagandakampagne, die das Ziel verfolgte, aufzuzeigen, daß Kämpfe lange isolierte Streiks seien und sich nicht auszahlten. Für die Bourgeoisie ist es immer noch sehr wichtig, wie die Niederlagen und die Rolle der Gewerkschaften bei diesen Niederlagen dargestellt werden. Der neulich stattgefundene Streik der Stellwerksbediener war ein Ausdruck dafür: ‘Den Stellwerksbedienern sollte vor den Augen aller Arbeiter eine Abfuhr erteilt und alle anderen Arbeiter abgeschreckt werden, selbst den Kampf zu ihrer eigenen Verteidigung aufzunehmen’ (WR Nr. 178). Die ‘Regierung und die Arbeitgeber unternahmen alles, um die Stellwerksbediener in den Kampf zu locken, indem sie eine harte und provozierende Linie einschlugen. Aber die Hauptrolle bei der Niederlage der Stellwerksbediener wurde vor allem von den sog. Repräsentanten der RMT gespielt, die alles unternahmen, um den Streik vom Rest der Klasse zu isolieren’ (WR 179).

Die Gefahr des Empirismus

Die Hauptargumente der CWO gegen die Analyse, daß die Gewerkschaften ein Teil des Staates sind, waren sehr empirischer Natur. Sie sagte, einige Gewerkschaften sind illegal, Gewerkschaftsfunktionäre werden nicht wie die Polizei und die Armee vom Staat bezahlt, es ist möglich bürgerlich zu sein, ohne gleichzeitig Teil des Staates zu sein; Gewerkschaften sind in vielen Ländern der 3. Welt illegal, und sie sind nicht formell oder gesetzmäßig in den Staat eingegliedert. Deshalb könnten die Gewerkschaften nicht Teil des Staates sein, obgleich sie für den Staat Dienste leisten. Die CWO brachte sogar solche Allgemeinplätze hervor wie: ‘Sind Wohnungsgenossenchaften auch Teil des Staates? Ist der Fußballklub Manchester United auch Teil des Staates?’ Diese empirische Methode ermöglicht uns nicht, irgendwas vom kapitalistischen Staat zu verstehen. Es geht hier darum, einen Rahmen, eine Methode zu haben, die es uns ermöglicht, die Bedeutung verschiedener Elemente im Zusammenhang zu verstehen.

Jeder Staat benötigt ein Mittel zur Niederschlagung der Arbeiterklasse. Die Gewerkschaften stellen dazu das wirksamste Mittel dar. Die Tatsache, daß diese oder jene Gewerkschaft formell nicht in den Staat integriert ist, sollte uns nicht blind werden lassen. In Wirklichkeit hat der Staat im Laufe der Dekadenz des Kapitalismus mehr und mehr Teile der Gesellschaft in sich aufgesogen. Insbesondere wird das in Kriegszeiten deutlich, wenn das ganze nationale Kapital der Kontrolle des Staates für die Kriegsanstrengungen unterworfen werden muß. Diese Entwicklung wurde von den Revolutionären seit dem 1. Weltkrieg als Staatskapitalismus bezeichnet.

Für uns ist unerklärlich, wie die CWO die Labour-Partei als einen Teil des Staates erkennen kann aber nicht die Gewerkschaften, die offiziell sogar auf der Seite des Staates stehen. Der Unterschied ist vielleicht einigen Mitgliedern der CWO selbst nicht besonders klar, wie sich auch während der Diskussion herausstellte, als einige Mitglieder verwirrt nach der Meinung des Präsidiums fragten, um festzustellen, ob die Labour-Partei Teil des Staates sei.

Die Idee, daß die Gewerkschaften und die Labour-Partei nicht Teil des Staates seien, ist ein wichtiges Element der demokratischen Mystifizierung. Wir sollen damit glauben, daß diese Institutionen Organisationen seien, die man unter Druck setzen oder innerhalb derer man eine Stimme haben könnte.

Ob die Gewerkschaften in den Staat integriert sind oder nicht, hat wichtige Konsequenzen für die Intervention der Revolutionäre. In den 30er Jahren gingen sowohl BILAN, eine bedeutende Publikation der Italienischen Kommunistischen Linken, und Leon Trotzki davon aus, daß es eine sehr starke Tendenz innerhalb der Gewerkschaften gäbe, in den Staat integriert zu werden, aber daß diese Tendenz noch nicht abgeschlossen war. Als Folge dessen waren sie dafür, daß Revolutionäre innerhalb gewerkschaftlicher Strukturen arbeiteten. Aber da man jetzt sehen kann, daß die Gewerkschaften voll in den Staat integriert sind und alle Gewerkschaften die Funktion der Kontrolle der Arbeiterklasse ausüben, unabhängig von den besonderen Verhältnissen dieser oder jener Gewerkschaft, arbeiten wir nicht innerhalb der Gewerkschaften. Die CWO sollte eine kohärente Position zu dieser Frage haben. Wenn die Gewerkschaften nicht voll in den Staat integriert sind, dann sollten sie es befürworten, daß man in ihnen arbeitet. Die Mitglieder der CWO wurden ungeduldig, als die IKS ihre Position vertrat, daß die Gewerkschaften jetzt ein Teil des Staates sind. Die CWO betrachtete dies als Wortklauberei und eine abstrakte Diskussion, im Gegensatz zu den Diskussionen um Organisationen am Arbeitsplatz und Arbeiterkampfgruppen. Aber Diskussionen über die konkrete Alltagspraxis, die sich nicht auf feste theoretische Grundlagen stützen, werden unweigerlich zu Konzessionen in der Gewerkschaftsfrage und gegenüber der extremen Linken des Kapitals führen.

Aus der Zeitung der IKS in Großbritannien, World Revolution, Nr.181

Adresse der CWO: PO Box 338, Sheffield S3 9YX.

(1) Es handelt sich um Gruppen von Arbeitern, die in und um einen Kampf herum entstehen, gegen die Sabotage der Gewerkschaften für die Vereinigung und Radikalisierung des Kampfes eintreten, sich bei ihrer Arbeit nicht auf berufsspezifische Kriterien stützen, sondern auf das Überwinden dieser Barrieren, also nach geographischen - territorialen - Gesichtspunkten zusammenkommen

Kapitalismus und Drogen

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Gleichzeitig mit der immer tiefer werdenden weltweiten Krise hat sich auch das Drogenelend in den letzten Jahren immer mehr verschärft. Wir wollen hier anhand der Situation in der Schweiz aufzeigen, wie die herrschende Klasse versucht, die sich rasant zuspitzende Drogenmisere, deren Verursacher und Profiteur sie selber ist, für die Verstärkung des staatlichen Repressionsapparates auszunützen. Im Frühling dieses Jahres wurden mit massivsten Polizeiaufgeboten die offenen Drogenszenen in allen grossen Schweizer Städten aufgelöst, eine permanente Polizeipräsenz auf den Strassen ist Alltag geworden. Als ein Ausdruck des weltweiten Zerfalls des Kapitalismus ist der immer mehr jeglicher Kontrolle entgleitende Drogensumpf jedoch kein speziell "schweizerisches" Problem. Im Gegenteil finden wir heute in praktisch allen grossen Städten der Welt eine ähnliche Situation vor, sei es in Zürich, Los Angeles, Moskau, Mexiko City, Sao Paulo, Amsterdam oder anderswo. Der Drogenmarkt ist heute einer der grössten Märkte geworden, auf dem jährlich weltweit mehrere hundert Milliarden Dollar umgesetzt werden, vergleichbar mit dem Waffen- und dem Oelhandel. Ganze Länder in Asien, so zum Beispiel im "Goldenen Dreieck" Thailand, Burma, Laos oder in Südamerika, wie Peru oder Kolumbien, leben heute vornehmlich vom Anbau und Export von Drogen. Doch es sind nicht nur Länder in der Dritten Welt, deren Wirtschaft vom Drogenhandel lebt. Der grösste Produzent von Hanfprodukten wie Haschisch ist heute Kalifornien. Auch sind es lange nicht mehr nur die verarmten Bauern in Asien, Südamerika oder im Orient, welchen in der Not nicht mehr viel übrigbleibt, als auf ihren Feldern Mohn anzubauen, das zur Herstellung von Heroin verwendet wird. Es stehen ganze mafiaähnliche Organisationen dahinter, deren oberste Chefs in den Regierungen der jeweiligen Länder sitzen.

Drogen sind aber auch Haupteinnahmequellen von politischen Organisationen geworden. Die sich im afghanischen Bürgerkrieg bekämpfenden Cliquen finanzieren sich genauso mit Drogengeldern wie südamerikanische Guerillagruppierungen. Desgleichen im Libanon oder der Türkei. Diese Aufzählung liesse sich noch beliebig erweitern, von den Machenschaften des amerikanischen Geheimdienstes CIA, über Schweizer Banken, welche eine Drehscheibe für die Reinwaschung von Geld aus dem Drogenhandel geworden sind, bis zur russischen Armee, welche im Krieg in Tschetschenien Drogen einsetzt, um ihre eigenen Soldaten zu kontrollieren und sie die Schrecken dieses schmutzigen Krieges mittels Drogenkonsums vergessen zu lassen.

Wir sehen, dass es nicht lokale Gründe sind, welche den Drogenmarkt dermassen in die Höhe getrieben haben. Im Gegenteil sind es die sich immer enger zuspitzende weltweite Krise und der sich dadurch verschärfende Konkurrenzkampf unter den verschiedenen imperialistischen Staaten, die Drogen zu einem festen Bestandteil der kapitalistischen Wirtschaft und zu einer Waffe gemacht haben. Es sind im Kapitalismus nicht die Bedürfnisse der Menschen, welche die Art der produzierten Güter bestimmen, sondern die Gesetze des Profits, und mit Drogen lassen sich ungeheure Gewinne machen. Auch der Verbrauch von Waren, die Komsumtion, ist im Kapitalismus nicht "frei", wir können nur das kaufen, was wir uns je nach Lohn leisten können und was auf dem Markt erhältlich ist, nicht was wirklich unsere Bedürfnisse befriedigt. Drogen werden durch weltweit organisierte Banden überall verbreitet und angeboten und zum Beispiel Jugendlichen in Discotheken anfangs mit "Gratisabgaben" schmackhaft gemacht. Und genauso sind auch die Bedürfnisse im Kapitalismus nicht "frei". Sie werden durch perfideste Werbung manipuliert, und die miserable Situation in vielen Städten, die sich immer mehr verschlechternden Lebensbedingungen tun das ihre dazu. Diese Lebensbedingungen bilden einen idealen Nährboden für den Drogenhandel, indem sie das Bedürfnis nach einer Flucht in eine andere Welt erzeugen. So liegen auch für die Millionen von Drogensüchtigen die Gründe ihrer Abhängigkeit keineswegs in einem "besonders schwachen Charakter" oder einem "persönlichen Schicksal". Es ist gerade die stark angestiegene Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren, welche vielen Arbeitern das Gefühl von Nutzlosigkeit der eigenen Person hinterlässt und ein Grund ist, um zu Drogen verschiedenster Art, Alkohol, Medikamenten oder Heroin zu greifen. Besonders Jugendliche, welche nie eine Arbeitsstelle gefunden haben, versuchen so, ihrer perspektivlosen Situation zu entfliehen. In der Schweiz beispielsweise konsumieren laut neusten Untersuchungen ca.12 000 Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 16 Jahren täglich Alkohol. Auch der Konsum von Haschisch und chemischen Aufputschmitteln hat unter Kindern und Jugendlichen stark zugenommen.

MEHR POLIZEI, MEHR GEFÄNGNISSE

Weshalb ist es nun wichtig, über die Hintergründe der ganzen Drogenmisere zu sprechen? Die Bourgeoisie hat die katastrophale Situation in einer Stadt wie Zürich in ihren Medien aufgebläht und versucht, die Arbeiter und Arbeiterinnen für ihre "Vorschläge" zur Beseitigung des Drogensumpfes zu mobilisieren: "Entweder ihr seid für die schnelle Zerschlagung der Drogenszene mit massiven Polizeieinsätzen, oder wir können für nichts mehr garantieren". Zuerst wurde die offene Drogenszene lange frei geduldet, um, wie bei jemandem, dem man das Messer an den Hals setzt, den Ruf nach Hilfe zu erzeugen. So wurde denn auch der Ruf nach einer schnellen Zerschlagung der offenen Drogenszene immer lauter, es entstanden "Bürgerinitiativen", welche vor allem in den Quartieren ein härteres Eingreifen der Polizei forderten. Heute, vier Monate nach der Auflösung des Drogenumschlagplatzes am Zürcher Letten findet man in den Quartieren Transparente dieser "Bürgerinitiativen" hängen mit der Aufschrift: "Danke, wir leben wieder". Ein Dank an die Repressionspolitik, welche mittlerweile einer permanenten polizeilichen Belagerung ganzer Quartiere gleicht.

Doch kann ein Problem, welches im Grunde genommen nur ein Ausdruck des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft ist, isoliert gelöst werden? Keineswegs! Es ist gerade in einer Stadt wie Zürich der sozialdemokratischen Regierung geschickt gelungen, diese Illusion zu schüren und so den Ruf nach mehr Polizei und der Errichtung neuer Gefängnisse zu provozieren. So wurden alleine im Kanton Zürich im Verlaufe des letzten Jahres mehrere Hundert neue Gefängnisplätze geschaffen, ein grosser Haftanstalt-Neubau und zwei provisorische Gefängnisse. Gleichzeitig wurde dieser Schlag gegen die Drogenszene, in den ersten Wochen danach in den Medien als gelungen dargestellt. Der Zeitpunkt dieser Grossrazzien wurde bewusst einige Wochen vor den Wahlen angesetzt und von der Sozialdemokratie raffiniert als Erfolg ihrer Politik, als eine humanitäre Aktion zugunsten der Drogensüchtigen hingestellt. Mittlerweile sind, wie könnte es anders sein, verschiedenste neue Drogenumschlagplätze entstanden, zum Teil auf Schulhöfen oder an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel.

LEGALISIERUNG: UNMÖGLICH UND KEINE LÖSUNG

Da, wie oben beschrieben, heute ganze Staaten, und Teile der herrschenden Klasse in jedem Land in den Drogenhandel verstrickt sind und von den dort erwirtschafteten Geldern leben, ist eine gänzliche Legalisierung dieser Ware sowieso unmöglich. Die Kapitalisten würden sich so ja selbst den Boden für ihre enormen Profite unter den Füssen wegziehen. 80-90% der Drogengelder fliessen schlussendlich in die Kassen der Bourgeoisie in den Industrieländern. Es gibt in keinem anderen Geschäft vergleichbare Profite; so wird beispielsweise ein Gramm Heroin in der Schweiz für den ca.150-200fachen Preis verkauft, verglichen mit dem Preis, den der Produzent erhält. Die Räumung des Drogenumschlagplatzes Letten im Frühjahr 95 liess die Preise für Heroin und Kokain bis zu 500% in die Höhe schnellen. Darüber freuen sich natürlich gerade die Schweizer Banken, welche die Finanzdrehscheibe für den internationalen Drogenmarkt sind. Die herrschende Klasse lebt also auf jeden Fall besser mit illegalen Drogen und hat ökonomisch kein Interesse sich diese Profite entgehen zu lassen.

In dieselbe Kerbe wie die Repressionspolitik der Regierung hauen schlussendlich auch die Vorschläge linker politischer Gruppen, welche eine Legalisierung von harten Drogen und deren kontrollierte Abgabe durch den Staat fordern. Sie gaukeln damit gleichfalls vor, dass die Drogenprobleme innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb des Kapitalismus lösbar seien. Solche Auffassungen zu vertreten heisst, den Arbeitern und Arbeiterinnen Sand in die Augen streuen, und deshalb bekämpfen wir sie als Kommunisten genauso, wie wir die Repression des Staates entlarven. Auf den ersten Blick sehen Forderungen nach einer harten Repression gegen den Drogenmarkt und Forderungen nach Freigabe des Drogenkonsums als absolut verfeindet aus. Genau das Gegenteil ist der Fall! Beide wollen sie dem Staat die vermehrte Kontrolle über die Gesellschaft zuspielen, beide Forderungen zielen darauf ab, den kapitalistischen Staatsapparat zu stärken. Entweder wird unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung der Polizeiapparat aufgerüstet, oder der Staat selber beginnt als Drogenhändler aufzutreten, gibt Heroin oder Methadon an hunderte von Menschen ab, um so die gesellschaftlichen Zerfallserscheinungen und die Perspektivlosigkeit zu übertünchen. Wir Arbeiter sollen durch die in den Medien aufgeblähten Auseinandersetzungen zwischen diesen zwei "Lösungswegen" vor die Wahl gestellt werden, uns für das eine oder andere zu entscheiden oder uns hinter eine Kombination von beidem, Repression und Drogenabgabe stellen.

Eine Strategie, welche die Bourgeoisie, ob Rechte oder Linke, mit dem Aufblähen der Drogenmisere in Zeitungen und Fernsehen verfolgt, ist aber auch das Ablenken der Arbeiter von der Krise und ihren Folgen; den Entlassungen und dem permanenten Lohnraub. Wie wir uns dagegen zur Wehr setzen, darüber sollen wir nicht diskutieren, nein, wir sollen uns hinter die eine oder andere Strategie zur Drogenbekämpfung stellen!

Das Beispiel des Alkoholkonsums zeigt deutlich, dass der juristische Status, z.B. das Verbot von Alkohol wie in den Zwanzigerjahren in den USA (die sog. Prohibition von 1920-1933) oder heute in verschiedenen arabischen Staaten, das Problem des Alkoholismus keineswegs beseitigen kann. Das gesetzliche Verbot von Alkohol hatte in den USA keinen Einfluss auf den Konsum als solchen oder die Abhängigkeit vieler Menschen. Was sich änderte, war lediglich der Preis, der in die Höhe schnellte, und Alkoholhandel wurde ein Nährboden für das Entstehen einer riesigen Mafia. Es waren nun einfach andere Teile der herrschenden Klasse, die mehr am Alkoholhandel zu verdienen begannen. Um dieses Geschäft, via Steuern und Ausschankgebühren, wieder direkter in die staatlichen Finger, bzw. Kassen zu bekommen, wurde Alkohol bald wieder legalisiert. Verbot oder Legalisierung, die juristischen Phrasen, verändern lediglich den Preis harter Drogen und bestimmen, welche Teile der herrschenden Klasse diesen Markt kontrollieren.

KEINE LÖSUNG IM KAPITALISMUS

Genausowenig, wie im Kapitalismus die Krise oder Kriege per Gesetz beseitigt werden können, ist es auch mit Drogen. Der Grund liegt darin, dass sich eben verschiedene kapitalistische Interessen, die Gier nach Profiten,

in der Jagd nach Profiten gegenüberstehen und dies heizt die ganze Geschichte nur an. Drogen sind ein fester ökonomischer Bestandteil der Wirtschaft geworden. Doch wenn wir einerseits feststellen, dass es keine Lösung des Drogenproblems unter den bestehenden Verhältnissen gibt, heisst das keineswegs die Hände gleichgültig in den Schoss zu legen. Es ist die politische Diskussion unter uns Arbeitern und Arbeiterinnen über den Charakter des Kapitalismus und der Kampf für unsere Interessen als Lohnabhängige, die uns eine neue Perspektive geben. Diese Auseinandersetzungen werden vielen eine konkrete Richtung aufzeigen, die angebliche Sinnlosigkeit des Lebens, das "No Future", wegwischen. Doch es wäre Augenwischerei zu verheimlichen, dass einzig die Zerschlagung des Kapitalismus durch eine proletarische Weltrevolution die Ursachen der Drogenmisere endgültig beseitigen wird. Erst dann wird es möglich sein, eine Gesellschaft aufzubauen, welche die Bedürfnisse der Menschheit befriedigen kann, in der sich die Produktion nicht mehr am Profit orientiert und nicht wie heute Hunderttausende durch Hunger, Krieg oder Drogen zugrunde gehen lässt. 24.5.95

Weltrevolution Nr. 71

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Ethnische Säuberungen durch Demokratie

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Die in Paris erscheinende großbürgerliche Zeitung "Figaro" brachte am 28.07.95 folgenden Kommentar zur Lage im ehemaligen Jugoslawien:

"Wie die Vergewaltigungen und Massenhinrichtungen an den Moslems nach dem Fall von Srebrenica noch einmal gezeigt haben, ist die "ethnische Säuberung" ein nicht hinnehmbarer Horror. Aber der Austausch von Bevölkerungen, wenn das Zusammenleben unmöglich geworden ist, ist nicht unbedingt verwerflich. 1918 und 1945 hat diese Methode es ermöglicht, in Europa Minderheitenkonflikte abzuschwächen. Selbst wenn diese erzwungenen Evakuierungen besonders brutal waren, selbst wenn die Sudetendeutschen und die Schlesier die Erinnerung an ihre alte Heimat wachhalten, ist Bonn genausowenig wie Prag oder Warschau daran interessiert, auf die Vergangenheit unter dem Vorwand, sie auszulöschen, zurückzukommen. Als Zepa zwei Wochen nach Srebrenica sich ergeben mußte, haben die Blauhelme geholfen, die Einwohner zu den bosnischen Linien zu bringen. Anders ausgedrückt: Die Vereinten Nationen haben ihrerseits die Vorgehensweise, die nach den beiden Weltkriegen benutzt wurde, angewandt. Bleibt abzuwarten, ob die westlichen Diplomaten es wagen anzuerkennen, daß eine solche Vereinfachung der Landkarte eine bessere Chance bietet, den Kriegsparteien einen Kompromiß abzuringen."

Nicht nur in Frankreich entdeckt die Bourgeoisie wieder die Vorzüge der ethnischen Vertreibungen. Als am 4. August die kroatische Armee zum Sturm auf die Krajina ansetzte und damit zehntausende Serben aus der Region verjagte, fragte der Moderator des "Heute Journal" scheinheilig den Korrespondenten in Zagreb, ob nicht durch die Flucht der Serben wenigsten die "Landkarte des Balkans geordnet" werden könne? Denn durch die kroatische Offensive mit angestrebter Säuberung der Krajina sind allein ca. 150.000 Krajina-Serben in die Flucht getrieben worden. Es handelt sich um die größte Menschenvertreibung seit Beginn dieses Krieges.

Wer die bürgerlichen Medien aufmerksam und kritisch verfolgt, wird längst gemerkt haben, daß immer wieder Sprecher der herrschenden Klasse in den westlichen "Demokratien" der Notwendigkeit des "Ordnens" und des "Aufräumens" des "ethnische Chaos" auf dem Balkan das Wort reden. Zwar werden die Politiker, wenn sie zum Fenster hinaus reden, nicht müde, wenn es um die öffentliche Verurteilung ethnischer Vertreibungen geht. Sie tun so, als ob diese Verbrechen lediglich auf das Konto der "verrückt gewordenen Barbaren" vor Ort, der Karadzics und Tudjmanns gehen.

Die Vertreibung: eine alte gutbürgerliche Tradition

Tatsächlich ist die Vertreibung wie auch die Ermordung ethnischer Minderheiten ein gerade im diesem Jahrhundert bewährtes und häufig angewandtes Mittel der bürgerlichen Staatsräson. Dabei ist der ethnische Haß zumeist nicht die Ursache der Vertreibungen, sondern deren Mittel. Vertreibungen oder "Umsiedlungen" sind eine Politik des Staates, welche ganz konkreten politischen und strategischen Zielen dient. Unter Hitler betrieb Deutschland eine gigantische "Umsiedlungspolitik" im kontinentalen Maßstab, um ein möglichst großes und homogen besiedeltes Staatsgebiet zu schaffen. Denn: je 'homogener' das Gebiet eines Staates, desto besser kann es militärisch verteidigt werden. Je 'homogener' die eigene Bevölkerung, desto schwerer wird es feindlichen Staaten fallen, Teile davon gegen die eigene Regierung aufzustacheln.

In Rußland wurden unter Stalin ganze Volksgruppen oft Tausende von Kilometern weit aus politischen Gründen deportiert, z.B. die "Volksdeutschen", damit sie nicht mit den deutsche Invasoren im 2. Weltkrieg kollaborieren konnten. Am Kriegsende wurden dann ca. 15 Millionen Deutsche aus Osteuropa vertrieben, um ethnisch gereinigte Nationalstaaten herbeizuführen. Diese Vertreibungen durch die Stalinisten wurden von den ach so demokratischen westlichen Siegermächten des 2. Weltkriegs durch Absprachen sanktioniert und öffentlichen gutgeheißen.

Dieses Beispiel erinnert daran, daß neben dem Faschismus und den westlichen Demokratien gerade auch der Stalinismus über eine große, jahrzehntelange Tradition der Vertreibung von Menschen aus ethnischen und nationalistischen Gründen verfügt. In Bulgarien vertrieb das stalinistische Regime Anfang 1989 noch Hunderttausende Türken. Das ‘demokratisch’ gewählte Nachfolgeregime legitimierte diese Pogrome nachträglich. Im ehemaligen Jugoslawien sind es dieselben alten chauvinistischen, stalinistischen Henker, die heute unter bürgerlich demokratischen Cover ihre nationalistische Hetzpolitik fortführen. Milosevic, Tudjmann und Konsorten hatten in Stalin ihren Ziehvater und setzen nur dessen Tradition fort.

Im Konflikt auf dem Balkan verfolgen alle Kriegsparteien ähnliche Ziele. Sie wollen einerseits ihre eigenen Gebiete ethnisch "reinhalten", um ihre Macht über Land und Leute zu steigern. Andererseits versuchen sie ihre "Landsleute", welche auf dem Territorium des Gegners als ethnische Minderheit leben, möglichst lange dort zu halten, um sie als "5. Kolonne hinter den Feindeslinien" zu mißbrauchen. So werden ganze Bevölkerungsgruppen zu ständigen Geiseln der imperialistischen Rivalitäten der bürgerlichen Staaten. Dies gilt nicht nur für die Balkanvölker, sondern bereits heute auch für die Russen außerhalb Rußlands, für die Algerier in Frankreich, die Türken und Kurden in der Bundesrepublik usw.. Türken und Kurden dienen heute als Mobilisierungsmasse und Zielscheibe politisch-militärischer Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und der PKK,; sondern auch zwischen Deutschland und den USA.

Die Großmächte sind an den Vertreibungen mit beteiligt

Auf dem Balkan verfolgen die Großmächte, gerade weil sie nationale Gruppen vor Ort benutzen, um ihre eigenen Interessen zu wahren, ebenfalls die Politik der Vertreibungen. Man braucht etwa nicht zu glauben, daß die deutsche Regierung, konsequenter Verbündeter Zagrebs und Feind Serbiens, ein Interesse daran hat, daß nach der Rückeroberung der Krajina durch Kroatien, einige Hunderttausend Serben dort wohnen bleiben.

Dort, wo die angeblichen Verteidiger der Menschlichkeit, die westlichen Demokratien, selber auf dem Balkan Truppen stationiert haben, nehmen sie an den Vertreibungen zusammen mit ihren Verbündeten vor Ort direkt teil. So brachte etwa der Kommandant des niederländische Blauhelmkontingentes in Ostbosnien, Karremann, die Regierung in Den Haag sichtlich in Verlegung, als er öffentlich die ausgezeichnete Zusammenarbeit seiner Truppen mit den serbischen Kräften bei der Eroberung der "UN-Schutzzone" Srebrenica lobte.

Dieser Kommandant 'bekannte sich dazu, daß er sich "nachdrücklich für das Mitwirken an dem Abzug von Flüchtlingen" entschieden habe. Dadurch sei "viel Elend" in dem niederländischen UN-Stützpunkt verhindert worden. "Zugleich haben wir gelernt, daß die Parteien in Bosnien nicht in gute und schlechte Kerle eingeteilt werden können" sagte der holländische Oberst, der zuvor so anerkennende Worte für die serbischen Aggressoren gefunden hatte" wie die FAZ aus der Sicht der deutschen Bourgeoisie zornig berichtete (26.07.95).

Die Umsetzung von ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien ist sogar einer der wenigen Punkte, worauf die europäischen Großmächte sich im Laufe des Krieges einen Augenblick lang einigen konnten. Nach der diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens 1991 veröffentlichte die Europäische Union eine Art Katalog der Bedingungen, unter denen auch andere jugoslawische Republiken die diplomatische Anerkennug der Europäer erreichen könnten. Dort stand, daß in umstrittenen Gebieten per Volksabstimmung entschieden werden sollte, zu welcher Nachfolgerepublik ein Gebiet gehören sollte. Dies war nichts anderes als die Aufforderung an die lokalen Machthaber, durch ethnische Vertreibungen die Mehrheitsverhältnisse, die sie brauchten, herbeizuführen. In Bosnien wurde diese Politik denn auch sofort von der lokalen Bourgeoisie vor Ort, von Serbien, Kroatien wie auch von den moslemischen Machthabern sofort in die Tat umgesetzt.

Was die Bourgeoisie des In- und Auslands der jugoslawischen Arbeiterklasse angetan hat, darf nie vergessen werden.

"Innerhalb kurzer Zeit sind große Teile der Bevölkerung in allen Teilrepubliken verarmt, den Mittelstand gibt es praktisch nicht mehr. Die Mehrheit der Bevölkerung - über 90% - kämpft ums nackte Überleben. Hunderttausende sind aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben worden und leben nun weit verstreut, als Flüchtlinge in Kroatien, Serbien und Bosnien. Sie sind eine große Belastung für die übrigen Bewohner dieser Gebiete, deren Lage ohnehin schon schwierig genug ist. Das gesamte soziale Gefüge ist ins Wanken geraten. Sowohl in Serbien als auch in Kroatien und Bosnien steht jetzt eine kleine Schar Kriegsgewinnler an der Spitze. Diese schmale Schicht hat sich schamlos bereichert und hat in der zerfallenden Gesellschaft die beherrschende Rolle übernommen. Es sind durchweg Mitglieder der jeweiligen national gesinnten Führungsschicht, die nicht nur über den Reichtum des Landes verfügen." (Le Monde Diplomatique, Juli 1995).

 

Angesichts der antiserbischen Hetztiraden vor allem der deutschen Medien wollen wir zudem betonen, daß es die serbische Arbeiterklasse ist und nicht die Bourgeoisie, die Hunderttausende von Kriegsflüchtlingen miternährt und die entsetzlich zu leiden hat unter dem Wirtschaftsboykott der "internationalen Gemeinschaft".

Darüberhinaus aber haben die kapitalistischen Kriegsverbrecher die jugoslawische Arbeiterklasse physisch und politisch zerrissen.

Die Großmächte stacheln zum Haß an

In Bosnien ist dies besonders grausam gewesen, wo über 80% aller Ehen "ethnisch gemischt" waren. Hier sind Strassenzüge, Dörfer, ja Familien brutal gesprengt worden. Rekrutiertrupps der verschiedenen lokalen Ausbeuter haben junge Männer verschleppt, in Militäruniformen gesteckt und willkürlich als "Serbe" oder "Kroate" deklariert. So wurden Brüder gegen Brüder, Väter gegen Söhne in den Krieg geschickt. Viele solcher Soldaten, nachdem sie wiederholt desertiert waren und wieder aufgegriffen wurden, haben bereits zwangsweise 3 oder 4 verschiedenen Armeen gedient. Ein "bosnischer Moslem" unterscheidet sich nämlich nicht mal vom Akzent her, geschweige denn vom Aussehen von einem "bosnischen Serben". Dies hindert die bürgerliche Propaganda aber keineswegs daran weiter munter zu behaupten, der Konflikt in Bosnien sei durch den Haß der dortigen Bevölkerungsgruppen aufeinander hervorgerufen.

Seit Jahrzehnten behauptet diese Propaganda außerdem, Pogrome, Vertreibungen und Völkermord seien nicht das Ergebnis des kapitalistischen Systems mit seinem Konkurrenzprinzip zwischen den Nationalstaaten, sondern dies komme nur im Faschismus vor. Die Barbarei auf dem Balkan lehrt uns wieder einmal das Gegenteil. Der "demokratische" Kapitalismus hält noch viele solcher "Säuberungen" und "Vereinfachungen" der europäischen und anderer Landkarten bereit. 05.08.95 BS

Weltrevolution Nr. 72

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1984-85: Lehren aus dem britischen Bergarbeiterstreik

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Zehn Jahre sind seit dem Ende des britischen Bergarbeiterstreiks vergangen. Zehn Jahre, in denen die meisten Bergarbeiter arbeitslos gewor­den sind, die Bergarbeitersiedlungen noch weiter den Auswirkungen des gesellschaftlichen Zerfalls, der wachsenden Kriminalität, der Drogensucht und dem Zerbröckeln der Klassensolidarität ausgesetzt wurden, und in denen das kapitalistische Motto ‘Jeder für sich’ verbreitet wurde. 10 Jahre nach dem britischen Bergarbeiterstreik will die herrschende Klasse uns die Botschaft eintrichtern: ‘der Kampf lohnt sich nicht’. Um aber die Bedeutung des Bergarbeiterstreiks wirklich zu begreifen, müssen wir die Lüge verwerfen, derzufolge es sich damals um einen Kampf zwischen Gewerkschaften und den Tories gehandelt habe, zwischen Thatcher und A. Scargill (dem Bergarbeitergewerkschaftsführer). Statt dessen müssen wir den Kampf als eine Auseinandersetzung zwischen der Arbeiterklasse und der gesamten Bourgeoisie auffassen, wobei die Arbeiter auch und vor allem mit dem linken Flügel des Kapitals und den Gewerkschaften zusam­menprallten.

Die Dynamik des Bergarbeiterstreiks

Der Bergarbeiterstreik, der im Frühjahr 1984 ausbrach, fing nicht unter der Kontrolle der Ge­werkschaften an. ‘Anfangs dehnte sich der Streik als ein wilder Streik aus, als Bergarbeiter in Schottland und Wales fliegende Streikposten bildeten, um die Bergarbeiter anderer Bergwerke aufzurufen, sich ihrem Kampf gegen die Zechen­stillegungen anzuschließen.’ (aus unserer Zeitung in Großbritannien, ‘World Revolution’ Nr. 128) Die Bergarbeitergewerkschaft NUM lief den Arbeitern einige Tage hinterher; erst nachdem sie den Streik für offiziell erklärt hatte, konnte sie ihn unter ihre Kontrolle bringen.

Der Bergarbeiterstreik trug viele typische Züge der internationalen Kampfwelle, die 1983 in Bel­gien begonnen hatte. In dieser Kampfwelle zeich­neten sich die Kämpfe durch eine Reihe von Ei­genschaften aus, die eine Reifung des Klassenbe­wußtseins der Arbeiterklasse widerspiegelten:

‘- eine Tendenz zum Auftauchen von spontanen Bewegungen, die eine gewisse Überwindung der Gewerkschaften zeigten;

- eine Tendenz hin zu breitgefächerten Massen­bewegungen,

- eine wachsende Gleichzeitigkeit von Kämpfen auf internationaler Ebene,

- einen langsamen Rhythmus der Entfaltung der Kämpfe’ (‘International Review’, engl. Ausgabe, Nr. 38)

Binnen einer Woche dehnte sich der Streik auf die meisten Zechen und auf Nottingham aus. Und als Bergarbeiterstreikposten zu den Kraftwerken und den Werften zogen, um die Solidarität dieser Arbeiter einzufordern, schien eine noch größere Ausdehnung wahrscheinlich. Die Gewerkschaften konnten dies jedoch verhindern, indem sie die ganze Aufmerksamkeit auf die noch arbeitenden Bergarbeiter lenkten. Im Juli 1984 stand die Frage der Ausdehnung des Kampfes jedoch wieder auf der Tagesordnung, als die Hafenarbeiter ebenfalls in den Streik traten: ‘Dies änderte die Lage voll­kommen; es gab nunmehr ein wirkliches Potential dafür, daß die beiden Kämpfe sich miteinander verbinden würden. Davor hatte die herrschende Klasse am meisten Angst, denn wenn die Bergar­beiter und die Docker sich vereinigt hätten, hätte das ein Beispiel für die ganze Klasse gesetzt’ (‘World Revolution’ Nr. 128).

Die Frage der Ausdehnung trat zwar weniger deutlich, aber dennoch ebenfalls im November auf, als die Automobilarbeiter streikten. Jedoch war zum damaligen Zeitpunkt schon die aufwärtsstre­bende Bewegung der Bergarbeiter insbesondere hin zur Ausdehnung der Streiks, größtenteils von den Gewerkschaften gebrochen.

Der Streik räumte ebenfalls mit dem Mythos einer friedlichen britischen Demokratie auf. Statt dessen kam das wirkliche Gesicht der kapitalistischen Diktatur zum Vorschein. Straßen wurden im Süden Londons gesperrt, als Bergarbeiter aus der Grafschaft Kent nach Norden ziehen wollten, um die Bergarbeiter direkt vor Ort zu unterstützen. Unzählige Bergarbeiter wurden vor Gericht ge­zerrt, eingesperrt, ganze Gebiete wurden belagert.

Die wirklichen Errungenschaften des Streiks waren die Versuche der Ausdehnung und Vereini­gung und nicht die Dauer des Streiks. Indem die Arbeiter in die Falle eines langen und isolierten Streiks gelockt wurden, schaffte es die herr­schende Klasse, die Arbeiter zu besiegen.

Die Strategie der Bourgeoisie

Die herrschende Klasse hatte sich gut auf diesen Streik vorbereitet. Ein spezielles Regierungsko­mitee war eigens zur Überwachung eingesetzt, die Polizeieinsätze waren landesweit koordiniert, Absprachen wurden zwischen der Gewerkschaft der Docker und der der Kraftwerke getrof­fen, um gleichzeitige Aktionen zu vermeiden. Diese beiden Gewerkschaften sollten gleichzeitig die konservative Rolle übernehmen, während A. Scargill zum ‘radikalen Führer’ der Bergarbeiter­gewerkschaft erkoren wurde. Vor dem Streik wurden riesige Kohlehalden aufgehäuft, die für die Unternehmer als Reserve dienen sollten.

Die Bergarbeitergewerkschaft versuchte von Anfang an, die Bergarbeiter vom Rest der Klasse abzutrennen, indem Parolen ausgegeben wurden wie ‘Kohle statt Arbeitslosigkeit’ (‘Coal not Dole’) und ‘Verteidigt die Bergarbeiter’. Scargill redete lang und breit von Solidarität unter den Bergarbeitern, aber die vorgeschlagene Solida­rität war die von Geldsammlungen und Spenden an die Gewerkschaft. Passive Sympathie, um die Bergarbeiter dennoch im Kampf alleine dastehen zu lassen. Die Energien der Bergarbeiter sollten in sinnlosen Auseinandersetzungen mit der Polizei verpuffen, als die Arbeiter versuchten, die wenigen nicht streikenden Bergwerke mit Streikposten dichtzu­machen. Als die Hafenarbeiter im Juli in den Streik traten, betonte die Gewerkschaft der Hafenarbei­ter sofort, deren Streik habe nichts mit dem der Bergarbeiter zu tun. Beim Automobilarbeiterstreik im Herbst 85 genau das gleiche. Die ganze Blick­richtung des Streiks war immer mehr nur auf die Bergarbeiter gewandt, anstatt auf die ganze Arbei­terklasse.


Die Lehren ziehen

Der Bergarbeiterstreik brachte eine Niederlage und einen Rückschlag für die ganze Arbeiterklasse. Aber der Klassenkampf wurde damit nicht zu Boden geworfen. In Großbritannien kam es wei­terhin zu Arbeiterkämpfen, bei denen Teile der Klasse zeigten, daß sie angefangen hatten, die Lehren aus dem Bergarbeiterstreik zu ziehen. Im Februar 1988 gab es nicht nur gleichzeitig Kämpfe im Gesundheitswesen, im Bergbau, bei den Auto­mobil- und Fährbeschäftigten, sondern es gab auch wirkliche Versuche, die verschiedenen Bereiche zusammenzubringen. So zogen Krankenpfleger und Bergarbeiter zusammen als Streikposten zu den Ford-Beschäftigten. Im Juli 1989 gab es Kämpfe im öffentlichen Dienst, vor allem bei den Trans­portarbeitern. Die Frage des Zusammenschlusses, um die Isolierung zu vermeiden, war eine zentrale Sorge der Beschäftigten.

Das Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften wuchs zunehmend. Ähnliche Beispiele kann man aus anderen Ländern in Westeuropa nennen. Im Winter 1986 streikten in Frankreich Eisenbahner, die es satt hatten, sich durch die Sabotagetaktik der Gewerkschaften die Initiative entreis­sen zu lassen. Sie legten selbständig los, bildeten ein Streikkomitee. Die Gewerkschaften schafften es dann aber doch, eine Ausdehnung, einen Zusam­menschluß zwischen den verschiedenen Bereichen der Klasse zu verhindern, u.a. dadurch, daß sie jeweils das Streikkomitee unterwanderten und aushebelten. Im Dez. 1987 wehrten sich die Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen gegen die beabsichtigte Schließung des Werkes. Die Arbeiter griffen von Anfang an die Lehre aus dem britischen Bergarbeiterstreik auf und hoben hervor: ‘Wir wollen kämpfen, aber wir wollen nicht isoliert untergehen wie die britischen Bergar­beiter.’ Also erließ man einen Aufruf zur Beteili­gung aller Beschäftigten in Duisburg an ihrem Abwehrkampf. Zu Anfang der Bewegung im Dez. 87 gab es gemeinsame Vollversammlungen von Beschäftigten von Krupp-Rheinhausen und Be­schäftigten aus Duisburg. Auch gab es erste Kon­taktaufnahmen zu Belegschaften aus anderen Städten. Bei diesem Streik jedoch -wie vorher schon in England und in Frankreich- waren die Gewerkschaften listig genug, den Arbeitern wieder die Initiative zu entreißen. Vor allem die Basisge­werkschaften und die linken Gruppierungen der Trotzkisten konnten den Arbeitern Fesseln anle­gen mit ‘Aktionstagen’ wie ‘Rheinhausen tote Stadt’, wo man alle Brücken und Verkehrsverbin­dungen lahmlegte, als ob so die Kampfkraft der Arbeiter wachse. Auf das Wirken dieser linken Kräfte - die von niemandem gewählt worden waren, sich aber immer geschickt an die Spitze der Bewegung zum Zweck ihrer Sabotage stellten -, ist es zurückzuführen, daß die Klassenbewegung Ende der 80er Jahre auf der Stelle trat.


Rückzug und Wiedererstarken des Klassen­kampfes

Der Zusammenbruch des Ostblocks und die Lügen vom angeblichen ‘Tod des Kommunismus’ be­wirkten einen tiefgreifenden Rückfluß sowohl der Kampfbereitschaft wie auch des Bewußtseins der Arbeiterklasse. Dadurch konnte nicht nur die Perspektive des Kommunismus als ‘vollkommen unrealistisch’ dargestellt werden, auch die Kon­trollkräfte im Dienste des Kapitals, die Gewerk­schaften, sind seitdem wieder im Aufwind und haben die wenigen Arbeiterkämpfe gut im Griff.

Zwar hat es seitdem Anzeichen einer wiedererstarkten Kampfbereitschaft gegeben, aber die Arbeiter­klasse hat sich noch nicht aus den Klauen der Gewerkschaften befreien können. Die objektive Lage, die massiven Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen wird die Arbeiterklasse immer wieder dazu zwingen, sich zu wehren und die Um­klammerung der Gewerkschaften infragezustellen. Um so wichtiger wird es deshalb bei der notwen­digen Wiederaufnahme der Kämpfe sein, daß sich die Arbeiter heute die Lehren aus dem Bergarbei­terstreik vor Augen halten: die Isolierung bedeutet den Tod einer jeden Bewegung. (Auf der Grundlage eines Artikels aus unserer Zeitung in Großbritannien ‘World Revolution’Nr. 186)


Die Konferenz von Zimmerwald

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Vorwort anlässlich des 100. Jahrestags der Zimmerwalder Konferenz

100 Jahre Zimmerwalder Konferenz: Was die Epigonen verschiedener Couleur daraus machen

Anlässlich des 100. Jahrestages der Zimmerwalder-Konferenz fand am 4. und 5. September in Zimmerwald eine Gedenkveranstaltung statt, die von einer beachtlichen Zahl von linken politischen Organisationen, Gewerkschaften, Stiftungen, Arbeitsgruppen und Bibliotheken organisiert und gesponsert wurde. Gleichzeitig hat der „Aufbau“, eine linksautonome Gruppierung mit maoistischem Einschlag aus der Schweiz, und eine stalinistische Gruppierung aus der Türkei, die MLKP, zu einer Gegenveranstaltung aufgerufen.

Für die Hauptveranstaltung wurde eine bunte Schar von Historikern, bekannten Politikern, wie Gregor Gysi von der Partei Die Linke oder der Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Christian Levrat, und weniger bekannten Politikern aus anderen Ländern eingeladen. Die offiziellen Organisatoren beriefen sich dabei auf Robert Grimm, auf seine „Friedenspolitik“ und zentristische Haltung. Lenin und der linke Flügel der damaligen Sozialdemokratie kritisierten schon damals resolut diese pazifistische, zentristische Haltung.

Der entscheidende Faktor zur Mobilisierung der Arbeiterklasse für den Ersten Weltkrieg war der Verrat durch die großen historischen Organisationen der Arbeiterklasse, Sozialdemokratie und Gewerkschaften, an der internationalistischen Tradition – sie riefen zum Krieg auf. Diese tragische Entwicklung spielte sich natürlich nicht ohne eine zähe Auseinandersetzung innerhalb der proletarischen Bewegung ab. Neben den offenen Kriegsbefürwortern aus den Reihen der alten Arbeiterorganisationen (dem „rechten“ Flügel der damaligen Arbeiterbewegung) und der klar internationalistischen Opposition (dem „linken“ Flügel) gab es aber vor allem einen schwankenden, unentschlossenen Teil (den so genannten Zentrum, die Zentristen), der seine Wurzeln in der proletarischen Bewegung hatte.

Ohne auf den eigentlichen Inhalt beider Veranstaltungen einzugehen, möchten wir hier lediglich einige Worte über den politischen Charakter sowohl der Organisatoren der „Gedenkveranstaltung“ als auch jener der Gegenveranstaltung verlieren. So verheerend die historischen zentristischen Strömungen in der Arbeiterklasse zur Zeit des Ersten Weltkrieges und danach auch waren, sie waren, wie wir bereits oben feststellten, noch immer im proletarischen Milieu verwurzelt. Dies kann man über die Veranstalter der heutigen Gedenkveranstaltungen beileibe nicht mehr sagen; ihre Wurzeln kann man ebenso wenig im proletarischen Milieu wie in einer degenerierenden, aber immerhin noch lebendigen Arbeiterorganisation verorten, so dass der historische Begriff des Zentrismus alles andere als zutreffend für sie ist.

Wann eine Arbeiterorganisation ins Lager der Bourgeoisie übergewechselt ist, kann man unter anderem am Verlust zweier wichtiger Eigenschaften einer solchen Organisation erkennen: die definitive, unumkehrbare Aufgabe des Internationalismus1 und das Entweichen jeglichen proletarischen Lebens aus der Organisation: „… eine Partei ist definitiv für die Arbeiterklasse verloren, wenn keine Tendenz, kein lebendiger (proletarischer) Körper mehr aus ihr entstehen kann. Das war 1921 bei den sozialistischen Parteien der Fall; dies war Anfang der 30er Jahre bei den Kommunistischen Parteien der Fall. Es ist also richtig, bis zu jenen Jahren von zentristischen Organisationen zu sprechen.“2

Anders gesagt: erst wenn es nicht mehr möglich ist, proletarische Positionen innerhalb einer (degenerierenden) proletarischen Partei zu vertreten, ist sie definitiv zum Klassenfeind übergegangen.

Ein Wort zu den Organisatoren der angesprochenen Gegenveranstaltung, zum „Aufbau“ und zur MLKP: Entgegen ihres Selbstverständnisses als „revolutionäre Alternative“ muss man festhalten, dass solche Gruppierungen weder zentristisch oder gar revolutionär sind oder je waren. Teil ihres genetischen Codes ist ihr politischer und praktischer Rückgriff auf das stalinistisch-maoistisches Erbe der Konterrevolution, das Ausdruck der fürchterlichen Degeneration der Kommunistischen Internationale war. Es ist nur logisch, wenn diese vom Stalinismus inspirierten Gruppierungen neuerdings in ihrer Presse Stimmung machen für die Unterstützung der YPG in Kurdistan. Eine Kostprobe gefällig? „Rojava hat gezeigt, dass wenn man eine Revolution aufbauen und verteidigen will, in diesem Fall im mittleren Osten, es eine bewaffnete Organisation braucht, eine Führung und eine Partei, die erfolgreich diese [Revolution] organisiert. Das beste Beispiel ist mit der Organisation YPG/YPJ gegeben.“3

Die von der MLKP so gerühmten YPG/YPJ schrecken offensichtlich nicht davor zurück, sowohl mit den früher von den „Antiimperialisten“ zum imperialistischen Hauptfeind erklärten USA zusammen zu kämpfen als auch ganz allgemein dazu aufrufen, mit allen „demokratischen Kräften“ eine Einheitsfront zu bilden. In einem ihrer Kommuniqués verkünden diese famosen Revoluzzer: „Die Rolle, die die französische Regierung gegen den Terrorismus einer Daesh (ISIS) spielt, ist die eines entscheidenden Unterstützers der Anstrengungen vor Ort. Wir unterstützen völlig das Volk und die französische Regierung in ihrem Kampf gegen den Terror.“ (Generalkommando der Volksverteidigungskräfte, YPG; 14. November, 2015)

Wie in den 30er Jahren dient das Gefasel von der Einheitsfront gegen den Terrorismus, das Propagieren einer klassenübergreifenden Ideologie, den herrschenden Klassen als Gelegenheit, die Ausgebeuteten für ihre niederen Interessen gegeneinander aufzuhetzen. Hier gilt es darauf zu beharren, dass es allein die Kommunistische Linke ist, die die politische Kontinuität der Zimmerwalder-Konferenz von 1915 aufrechterhalten hat, die das Erbe des linken internationalistischen Flügels angetreten hat, der sich damals in der Auseinandersetzung mit Zentristen und rechten Sozialdemokraten herausgeschält hatte. In einer schwer durchschaubaren Weltlage gegen alle Fraktionen der Bourgeoisie zu kämpfen, gegen den Strom zu schwimmen, falls erforderlich, ist eine der Hauptaufgaben der Kommunistischen Linken. Die Zuspitzung der kriegerischen Konflikte wie in Syrien und der Ukraine und die zunehmenden Spannungen zwischen den Großmächten erfordern eine klare proletarische Haltung gegen den Krieg, gerade angesichts der zunehmenden Kriegshysterie der Herrschenden und ihrer Medien nach den Anschlägen in Paris.

Die Kommunistische Linke und die internationalistischen Kräfte aus dem anarchistischen Lager müssen die historischen Prinzipien der Arbeiterklasse aufrechterhalten und gegen alle Angriffe von linken- oder linksextremen Fraktionen der Bourgeoisie verteidigen – wie es 1915 die Zimmerwalder-Linke tat. Darum ist wichtig, sich mit Zimmerwald und den Kampf gegen die Degeneration alter Arbeiterparteien auseinanderzusetzen: „Zum ersten Mal hatte eine politische Organisation der ArbeiterInnen nicht nur die Interessen der Arbeiterklasse verraten, sie wurde darüber hinaus zu einer der wirksamsten Waffen in den Händen der kapitalistischen Klasse, um den Krieg zu entfesseln und die Arbeiterrevolte gegen den Krieg zu zerschmettern. Die Lehren aus der Degeneration der Sozialdemokratie bleiben somit kreuzwichtig für die heutigen Revolutionäre.“4

1 Plattform der IKS, Punkt 13: Dies war der Fall bei der II. Internationale, als die großen ihrer Parteien, befallen vom Geschwür des Opportunismus und Zentrismus, mit dem Ausbruch des I. Weltkriegs (der den Tod der II. Internationale manifestierte) mehrheitlich dazu verleitet wurden, die Politik der „nationalen Verteidigung“ zu praktizieren. Dies geschah unter der Führung der sozialchauvinistischen Rechten, die sich zu diesem Zeitpunkt ins Lager der Bourgeoisie gesellte

2(Int. Revue Nr. 152, Engl.; The centrist currents in the political organisations of the proletariat, S. 21, 3. Spalte, zweitletzter Abschnitt): https://en.internationalism.org/international-review/201508/13354/zimmer... [3]

3https://www.aufbau.org/index.php/53-schlagzeilen2/2091-mlkp-rojava-gruss... [4]

4https://de.internationalism.org/internationalerevue/1914-wie-der-deutsch... [5]

Vorwort und Artikel zum 80. Jahrestag der Zimmerwalder Konferenz

Vor 80 Jahren fand im September 1915 in Zimmerwald die erste internationale sozialistische Konferenz gerade ein Jahr nach dem Beginn des 1.Weltkrieges statt. Dieses Ereignis wieder aufzugreifen, heißt nicht nur, eine Seite der Geschichte wieder aufzuschlagen, sondern die immer noch gültige Hauptlehre dieser Konferenz hervorzuheben: Der Kampf des Proletariats gegen den Krieg ist untrennbar mit seinem Kampf gegen die Ausbeutung verbunden. Der Kampf gegen den Krieg erfordert die Überwindung des Kapitalismus. Bei diesem Kampf tragen die Revolutionäre eine entscheidende Verantwortung für die Orientierung dieses Kampfes hin auf eine revolutionäre Perspektive. Auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Zunahme der kriegerischen Konflikte, der Verschärfung der Kriegspropaganda der Großmächte, die eine immer größere Barbarei hervorrufen, ist es wichtig, daß der Geist und die Lehren von Zimmerwald von der Arbeiterklasse heute wieder aufgegriffen werden.

Der Kriegsbeginn und die Auswirkungen auf die Arbeiterklasse und die Arbeiterorganisationen

Zimmerwald war die erste Reaktion der Arbeiterklasse gegenüber dem Abschlachten im 1.Weltkrieg. Das Echo, das von Zimmerwald ausging, ließ unter Millionen von Arbeitern Hoffnung aufkommen, die von den Schrecken des Krieges geplagt waren. Die Auslösung des 1.Weltkrieges am 4.August 1914 war eine bis dahin nie dagewesene Katastrophe für die Arbeiterbewegung. Neben einer unaufhörlichen nationalistischen ideologischen Bombardierung der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie war das entscheidende Element, das die Arbeiterklasse mit in den Krieg getrieben hatte, der Verrat des größten Teils der sozialdemokratischen Arbeiterparteien. Die parlamentarischen Fraktionen stimmten meist für die Kriegskredite im Namen der nationalen Einheit und trieben damit die Arbeitermassen dazu, sich gegenseitig im Interesse der imperialistischen Mächte abzuschlachten. Die Gewerkschaften stimmten einem Burgfrieden von Anfang an zu. Was vorher der ganze Stolz der Arbeiterklasse gewesen war, die 2.Internationale, ging in den Flammen des Weltkrieges auf, nachdem die bedeutendsten Parteien der 2.Internationalen, ein Großteil der Sozialdemokratie in Deutschland, wie auch die französische sozialistische Partei Verrat begangen hatten. Obgleich sie schon vom Reformismus und Opportunismus befallen war, hatte die 2.Internationale unter dem Einfluß der revolutionären Minderheiten, insbesondere der deutschen Linken und der Bolschewiki, sich früh gegen die Kriegsvorbereitungen und die Kriegsgefahr ausgesprochen. So hatte die 2.Internationale 1907 auf dem Stuttgarter Kongreß wie auch auf dem Baseler Kongreß 1912 und bis hin in die letzen Julitage 1914 ihre Stimme gegen die Kriegspropaganda erhoben und die militaristischen Ambitionen der herrschenden Klasse entblößt. Mit dem Verrat am 4.August 1914 jedoch wurden Jahrzehnte der Aufbauarbeit und der Bemühungen der Revolutionäre mit einem Schlag vernichtet. Aber die revolutionäre Minderheit, die dem Prinzip des proletarischen Internationalismus treu geblieben war und dieses Prinzip weiterhin unnachgiebig verteidigte, und die zuvor schon jahrelang gegen den Opportunismus in der 2.Internationalen und ihrer Parteien angekämpft hatte, leistete Widerstand. An führender Stelle in diesem Kampf standen:

  • In Deutschland die 'Gruppe Internationale', die von 1914 an um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gebildet wurde, die Zeitung 'Lichtstrahlen', sowie die Bremer Linke.
  • die Bolschewiki in Rußland und im Exil
  • In Holland die tribunistische Partei um Gorter und Pannekoek.
  • In Frankreich ein Teil der revolutionären Syndikalisten um Rosmer und Monatte.
  • In Polen die SDKPiL

Eine andere Strömung, die schwankte und zögerte und als zentristisch zu bezeichnen ist, nahm ebenfalls einen Aufschwung. Sie schwankte zwischen einer Haltung, wo heute zur Revolution und morgen zu einer pazifistischen Position aufgerufen wurde. Ihr gehörten z.B. die Menschewiki, die Gruppe Martow, die italienische sozialistische Partei)an. Einige unter ihnen suchten sich mit den sozialchauvinistischen Verrätern zu verbünden. Die revolutionäre Bewegung fing also den Kampf gegen den imperialistischen Krieg mittels einer schrittweisen Auseinandersetzung mit diesen Strömungen an und bereitete so die Bedingungen für die unvermeidbare Spaltung innerhalb der sozialistischen Parteien und die Bildung einer neuen Internationalen vor.

Die Konferenz von Zimmerwald

Auf der Tagesordnung stand also, die internationale Umgruppierung der Revolutionäre voranzutreiben. Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurden erste internationalistische Kontakte hergestellt zwischen den verschiedenen internationalistischen Stimmen, die den Sozialpatrioten nicht gefolgt waren. Vor allem in Deutschland wurde der Kampf gegen den Krieg am stärksten vorangetrieben. Liebknecht stimmte als einziger am 2.Dezember 1914 offen gegen die Kriegskredite. Andere Abgeordnete sollten ihm im Jahre 1915 mit der Ablehnung der Kriegskredite im Reichstag folgen. Die Aktivität der Arbeiterklasse gegen den Krieg wurde so durch die Reaktion der Arbeiterparteien ermuntert und erhielt eine Orientierung für die Auseinandersetzung in den Fabriken und bei den Demonstrationen. Die Grauen des Krieges mit den unzähligen Toten, nicht zuletzt in den Grabenkriegen, die Verstümmelung an der Front, die Zunahme der Armut hinter der Front, all das ermöglichte immer mehr Arbeitern die Augen über die Wirklichkeit des Krieges zu öffnen und sie aus dem nationalistischen Getaumel herauszuführen. Ab März 1915 gab es in Deutschland die ersten Demonstrationen gegen den Krieg, die von Frauen getragen wurden, welche zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gesteckt worden waren. Im Oktober 1915 kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten. Im November 1915 demonstrierten ungefähr 15.000 gegen den Krieg in Berlin. Der Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Krieg nahm aber auch in anderen Ländern, so in Österreich, in Großbritannien und in Frankreich zu. Dieses Wiedererstarken des Klassenkampfes, wie auch die Aktivität der Revolutionäre selbst sollte die Voraussetzung dafür liefern, daß unter den schwierigsten Bedingungen Propaganda gegen den Krieg betrieben werden konnte. Vom 5. bis 8. September 1915 konnte so schließlich die Konferenz von Zimmerwald in der Nähe von Bern abgehalten werden, an der sich 37 Delegierte aus 12 europäischen Ländern beteiligten. Diese Konferenz sollte das Symbol des Wiedererwachens des internationalen Proletariats werden, das bis dahin unter dem Kriegstrauma gelitten hatte. Diese Konferenz sollte zu einer entscheidenden Etappe auf dem Weg hin zur russischen Revolution und der Gründung der 3.Internationalen werden. Das von der Konferenz verabschiedete Manifest ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den verschiedenen Tendenzen. Die Zentristen traten zwar für die Beendigung des Krieges ein, aber sie vertraten noch eine pazifistische Auffassung, ohne die Notwendigkeit der Revolution hervorheben. So prallten sie auf's heftigste mit dem linken Flügel zusammen, der von der 'Gruppe Internationale', den Bremer Linken und den Bolschewiki vertreten wurde, die klar die Verbindung zwischen Krieg und Revolution zur zentralen Frage machten. Lenin kritisierte diese pazifistische Ausrichtung und hob die Tatsache hervor, daß der Krieg mit den Methoden der Pazifisten nicht bekämpft werden kann. Diese Kritik bezog sich auch auf das Manifest, bei dem Lenin kritisierte, daß die Forderung nach Frieden nichts Revolutionäres bedeute, sondern daß diese erst dann revolutionär werde, wenn er mit dem Aufruf zur Revolution, dem Kampf gegen die kapitalistische Klasse verbunden wird. Mit anderen Worten die einzige Parole in der imperialistischen Epoche muß sein: Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg. Trotz dieser Schwächen betrachtete die Linke, ohne ihre Kritik aufzugeben, das Manifest als einen Schritt vorwärts hin zum wirklichen Kampf gegen den Opportunismus, hin zum Bruch und zur Spaltung. Aber das Manifest von Zimmerwald sollte eine gewaltige Ausstrahlung in der Arbeiterklasse und unter den Soldaten haben. Mit der Intensivierung der Kämpfe in den verschiedenen Ländern und dem bedingungslosen Kampf des linken Flügels, um eine Klärung innerhalb der Reihen der Zentristen herbeizuführen, sollte die 2.Internationale Konferenz, die im März 1916 in Kienthal stattfand, eine Position einnehmen, die radikaler war und einen klaren Bruch mit den pazifistischen Formulierungen mit sich brachte. Die Intensivierung des Klassenkampfes in Deutschland wie auch in Italien im Jahre 1917, vor allem aber der Ausbruch der Revolution in Rußland, der der erste Schritt hin zur Weltrevolution war, brachte aber auch das Ende der Zimmerwalder Bewegung, die alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hatte. Von nun an war die einzige Perspektive die Schaffung einer neuen Internationalen, die - sich stützend auf die langsame Reifung des revolutionären Bewußtseins sowie auf die Bildung von konsequenten kommunistischen Parteien und in Erwartung des Ausbruchs der Revolution in Deutschland - im März 1919 eineinhalb später gegründet wurde. So hatte ungeachtet ihrer Schwächen die Bewegung von Zimmerwald eine entscheidende Bedeutung in der Geschichte der revolutionären Bewegung: Sie war das Symbol des proletarischen Internationalismus, sie stellte das Banner des Proletariats im Kampf gegen den Krieg und für die Revolution dar. Zimmerwald war insofern so etwas wie eine Brücke zwischen der 2. und der 3. Internationalen.

Die Lehren für heute

Eine der größten Lehren aus Zimmerwald, die gerade in der heutigen Zeit der Zuspitzung der Spannungen und der Verschärfung der imperialistischen Konflikte weiterhin gültig ist, ist die Erkenntnis der Tatsache, daß der Krieg für die Arbeiterklasse eine herausragende Bedeutung hat. Genauso wie der Kampf gegen die Ausbeutung ist der Kampf gegen den Krieg und die Kriegsbestrebungen der Bourgeoisie überhaupt ein integraler Bestandteil des Klassenkampfes. Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, daß der Krieg die Arbeiterklasse immer zum Hauptopfer macht. Der Krieg ist nicht einfach ein Wahnsinn im Kapitalismus. Sondern er ist ein Teil des normalen Funktionierens des Kapitalismus und in der Niedergangsphase ist er gar zu seiner Überlebensform geworden. Die reformistische Illusion eines Kapitalismus ohne Krieg kann für die Arbeiterklasse tödlich sein. Von den unüberwindbaren Widersprüchen in die Enge getrieben, von einer Wirtschaftskrise gepackt, die auf Grund der weltweiten Sättigung der Märkte keine Lösung finden kann, sind die verschiedenen nationalen Fraktionen der Bourgeoisie dazu gezwungen, sich gegenseitig auf das heftigste zu bekämpfen, um ihren Anteil am Kuchen zu haben, um dabei den anderen ihre Teile zu entreißen. Dabei ist der Krieg zu einer zentralen Tätigkeit der Gesellschaft geworden. Im Krieg stehen heute immer mehr die Auseinandersetzungen um strategische Positionen im Vordergrund. Deshalb ist der Glaube, man könne für die Verbesserung der Lebensbedingungen und für den Frieden als solchen eintreten, ohne die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft selbst anzukratzen, ein gefährlicher Trugschluß. Ohne die Perspektive eines massiven politischen revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse gibt es keinen wirklichen Kampf gegen den kapitalistischen Krieg. Der Pazifismus ist eine reaktionäre Ideologie, die dazu benutzt wird, die Unzufriedenheit und die Revolte des Proletariats gegen den Krieg in bestimmte Bahnen zu lenken, damit dessen Widerstand gegen den Krieg verpufft. Wenn die Arbeiterklasse in die Falle der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie läuft und meint, sie müßte mit ihren Ausbeutern eine gemeinsame Front aufbauen, in ein nationales Bündnis eintreten, wird sie nur in eine noch größere Barbarei hineingezogen werden. SB

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Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

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Rubric: 

Verteidigung des internationalistischen und organisatorischen Erbes

Weltrevolution Nr. 73

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Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/1905-revolution-russland [2] https://de.internationalism.org/tag/2/29/proletarischer-kampf [3] https://en.internationalism.org/international-review/201508/13354/zimmerwald-and-centrist-currents-political-organisations-proletari [4] https://www.aufbau.org/index.php/53-schlagzeilen2/2091-mlkp-rojava-grussbotschaft-zu-zimmerwald [5] https://de.internationalism.org/internationalerevue/1914-wie-der-deutsche-sozialismus-dazu-kam-die-arbeiterinnen-zu-verr#_ftnref52 [6] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/internationalismus [7] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/erster-weltkrieg [8] https://de.internationalism.org/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/zimmerwalder-bewegung