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Weltrevolution Nr. 148

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Weltrevolution Nr. 148

Bericht zur Lage in Deutschland

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Der folgende Artikel entspringt einem Bericht, den die deutsche Sektion der IKS anlässlich ihrer territorialen Konferenz im April 2008 verfasst hatte. Auf dieser Konferenz waren erstmals auch Genoss/Innen zugegen, die nicht der IKS angehören. Damit haben wir eine alte Tradition wieder aufleben lassen, die schon von der alten Arbeiterbewegung praktiziert worden war. Abgesehen von unserer Absicht, dem politischen Milieu in der Arbeiterklasse einen Einblick in unser internes Leben zu ermöglichen, versprachen wir uns von der Anwesenheit von Nicht-IKS-Mitgliedern auch eine Bereicherung der Diskussion auf der Konferenz. Eine Erwartung, die sich auch und gerade in der Diskussion über den Bericht zur nationalen Lage erfüllt hat. Insbesondere an der Frage der Solidarität, in der wir eine signifikante Veränderung in der Entwicklung des Klassenkampfes zu beobachten vermeinen, entzündeten sich einige Kontroversen. So gab es Genossen, die unseren Optimismus hinsichtlich der Rolle der Solidarität in den jüngsten weltweiten Kämpfen unserer Klasse nicht teilten. Ohne die Tendenzen zu einer verstärkten Solidarität zu verneinen, verwiesen sie dabei auf entgegengesetzte Tendenzen wie die Vereinzelung der Menschen, der grassierende Korporatismus in der Arbeiterklasse, der Individualismus, etc. Es war diesen Interventionen zu verdanken, dass sich die Diskussion in ihrem weiteren Verlauf zu einem echten Beispiel für Debattenkultur entwickelte. Am Anfang stand unsere These - die Tendenz zur Solidarisierung in den Arbeiterkämpfen. Dem schien die Antithese gegenüber zu stehen - die Gegentendenzen der wachsenden Konkurrenz innerhalb unserer Klasse. Und am Ende mündeten diese anfangs entgegengesetzt scheinenden Positionen in einer Synthese. Wir kamen darin überein, dass die Tendenz der Solidarisierung eben nur eine... Tendenz ist, wenn auch eine nicht unwichtige, dass es aber neben ihr durchaus auch andere, konträre Tendenzen gibt. Wir gelangten ferner zu der Erkenntnis, dass die Arbeiterklasse heute oft nur sporadisch Solidarität praktiziert, sie oft mehr spontan denn als mit Vorbedacht ausübt. Damit diese Solidarität aber kein Muster ohne Wert bleibt, muss sie auf kurz oder lang mit der Perspektive einer besseren Welt, mit dem Kommunismus verknüpft werden. Und hier liegt das wahre Verdienst der Interventionen jener GenossInnen: Die Solidarität ist keine Sache, die sich automatisch aus der Krise und aus der Verschlechterung der Lebenslage ergibt. Sie muss theoretisch untermauert, mit einem Ziel versehen, zu einem bewussten Akt gegen das herrschende System werden. Andernfalls verkümmert das zarte Pflänzchen der Solidarität, das heute da und dort bereits sprießt.

Wir veröffentlichen hier hauptsächlich den Teil des Berichtes zum Klassenkampf in Deutschland, was ohnehin der Hauptteil war, und uns für die Debatte momentan auch am wichtigsten erscheint.

Die letzten Jahre waren gekennzeichnet von einem Phänomen, das die unselige Kampagne über den angeblichen Tod des Kommunismus noch in den neunziger Jahren für tot erklärt hatte - den Klassenkampf des Proletariats. In der Tat erlebt Deutschland zurzeit den Abschied von der viel gerühmten "Sozialpartnerschaft" zwischen Kapital und Arbeit, die dem Land jahrzehntelang zu einer der niedrigsten Streikquoten auf der Welt verholfen hatte. Das Jahr 2007 zeitigte so viele Streiks wie seit anderthalb Jahrzehnten nicht mehr.

Es ist sicherlich richtig, dass die aktuellen Kämpfe der Arbeiterklasse in Deutschland relativ unspektakulär daherkommen. Es trifft ebenfalls zu, dass fast alle dieser Kämpfe noch fest im gewerkschaftlichen Würgegriff stecken. Das Bestreben, den Kampf in die eigene Hände zu nehmen und ihn auszudehnen, ist allenfalls rudimentär vorhanden. Und dennoch messen wir den aktuellen Kämpfen ein größeres Potenzial bei, als sie auf dem ersten Blick vermuten lassen. Was veranlasst uns zu diesem Optimismus?

Die wirtschaftliche Lage des deutschen Kapitalismus

Ein Grund hierfür ist im fortgeschrittenen Stand der Wirtschaftskrise zu suchen. Lange Zeit war es der deutschen Bourgeoisie gelungen, die Folgen der seit Ende der sechziger Jahre grassierenden Überproduktionskrise relativ glimpflich zu überstehen. Der "rheinische Kapitalismus", der sich neben der o.g. "Sozialpartnerschaft" vor allem durch die enge Vernetzung des heimischen Finanz- und Industriekapitals auszeichnete, besaß in den siebziger und achtziger Jahren Vorbildcharakter für andere Industrieländer ("Modell Deutschland"). Doch in den neunziger Jahren änderte sich das Bild. Plötzlich galt Deutschland als der "kranke Mann Europas"; sein Bruttosozialprodukt wies das geringste Wachstum in der Europäischen Union auf, die Arbeitslosenquote dagegen gehörte zu den höchsten in den westlichen Industrieländern. Die "Deutschland AG", in den Zeiten des Kalten Krieges eine Erfolgsstory, erwies sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem darauffolgenden Liberalisierungsschub des Weltmarktes als zunehmend untauglich. Ihr "Konsensprinzip" entpuppte sich als größtes Hemmnis bei dem Vorhaben der deutschen Bourgeoisie, ihre Wirtschaft konkurrenzfähig zu halten.

Der größte Trumpf des deutschen Kapitalismus ist seine industrielle Potenz. Die deutsche Wirtschaft gehört schon seit Jahrzehnten zu den Hauptexporteuren von Industriegütern. Und auch die Tatsache, dass Deutschland in den letzten Jahren seine Stellung als Exportweltmeister zurückerobern konnte, ist zu einem großen Teil auf den reißenden Absatz deutscher Maschinen, Autos etc. in aller Welt zurückzuführen. In einem gewissen Sinn ist Deutschland die "Werkstatt der Welt". Wie kein anderes Industrieland dominiert der deutsche Kapitalismus die Königsdisziplin der kapitalistischen Produktionsweise - die Produktion der Produktionsgüter, den Maschinenbau, der neben der wirtschaftlichen Basis gleichzeitig auch die Grundlage für die imperialistischen Ansprüche der deutschen Bourgeoisie bildete und bildet. (Ein Beispiel: Als Hitler an die Macht kam, konnte er die Wiederaufrüstung der Reichswehr - nach ihrer massiven Abrüstung durch den Versailler Vertrag - dank dieser industriellen Kraft in kürzester Frist durchführen und Deutschland wieder zu einem waffenstarrenden Land machen.) Da der deutsche Kapitalismus andererseits, anders als beispielsweise die angelsächsischen Länder, deren wirtschaftliche Stärken im globalen kapitalistischen Finanzsektor liegen, nie einen sonderlich großen Einfluss auf die Finanzmärkte ausübte, kann er nicht auf seine industrielle Basis verzichten und etwa durch den Ausbau seiner Finanzinstitutionen kompensieren, wie es in Großbritannien, aber auch in den USA der Fall ist. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Brutalität der Angriffe, die das Kapital gegen die Arbeiterklasse in Deutschland in den letzten Jahren lanciert hatte.

Mit der Agenda 2010, Hartz IV, der Renten- und Gesundheitsreform kündigte Rot-Grün, ganz im Sinne der Herrschenden, den Wohlfahrtsstaat einseitig auf. Fortan galt das Versprechen auf einen sicheren Lebensabend und auf ein besseres Leben für die Kinder nicht mehr. Auch der zurzeit der sozialen Marktwirtschaft gepredigte Glaubenssatz: Wenn es der Firma gutgeht, geht es auch den Beschäftigten gut, ist nur noch Makulatur. Seither ist die Arbeiterklasse in Deutschland der vollen Wucht der Krisenmaßnahmen der Herrschenden ausgesetzt. Das Ergebnis ist eine unerhörte Prekarisierung immer größerer Teile der Arbeiterklasse: jener, deren Lebenshaltungskosten durch Hartz IV auf ein Minimum zusammengestrichen wurde und denen eine bittere Altersarmut droht, und jener, die als Zeitarbeiter, Tagelöhner, Praktikanten usw. für einen Hungerlohn schuften und denen die jederzeitige Arbeitslosigkeit droht. Nicht zu vergessen die andere “Hälfte” der Arbeiterklasse, die noch unter "regulären" Bedingungen ihre Arbeitskraft verkauft: Nachdem diese ArbeiterInnen in den letzten fünfzehn Jahren durch die Tarifabkommen bereits erhebliche Reallohneinbußen erlitten hatten, sehen sie sich spätestens seit letztem Jahr mit einer sprunghaft angestiegenen Inflation (mittlerweile bei drei Prozent) konfrontiert, die eine weitere Verminderung ihrer Konsumfähigkeit zur Folge hat.

Der Klassenkampf in Deutschland: Ein Sprung in Quantität und Qualität

Die Verschärfung der seit Ende der 60er Jahre schwelenden Überproduktionskrise und die damit einhergehenden Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der LohnarbeiterInnen vertreiben sukzessive die Illusionen, die unsere Klasse in diesem Gesellschaftssystem noch hat; sie erschüttern ihr Vertrauen gegenüber dem Kapitalismus als beste unter allen Gesellschaften, als das Nonplusultra in der Menschheitsgeschichte. Vor allem aber haben sie die Arbeiterklasse in Deutschland aus den Winterschlaf der Nach-Wende-Jahre gerissen und ihren Kampfgeist angestachelt. Letztere hat mit ihren Protesten, Streiks und Betriebsbesetzungen, die sich seit 2004 (Mercedes und Opel) häufen, unübersehbar bewiesen, dass die internationale Wende im Klassenkampf schon längst in Deutschland angekommen ist.

Dafür spricht nicht nur die reine Statistik, d.h. die deutlich gestiegene Quantität der Streiks, auf die wir bereits eingangs hingewiesen hatten, sondern auch und vor allem die neue Qualität der Kämpfe in den letzten drei Jahren. Sicherlich, verglichen beispielsweise mit den so genannten Septemberstreiks 1969 und den Streiks bei Ford 1973 in Westdeutschland, nimmt sich der aktuelle Klassenkampf, oberflächlich betrachtet, geradezu "langweilig" aus: keine wilden Streiks, keine Massenversammlungen, keine Aufruhrstimmung, alles fest in gewerkschaftlicher Hand. Doch der Vergleich zwischen '68 und den heutigen Arbeiterkämpfen hinkt in gewisser Weise. Damals traf die Arbeiterklasse auf völlig überrumpelte Gewerkschaften; ihre wilden Streiks ergaben sich quasi automatisch aus der Abwesenheit Letztgenannter. Heute dagegen hat es die Arbeiterklasse auch und gerade in Deutschland mit einem Gegner zu tun, der mit Argusaugen auf jede Regung von Widerstand in der Klasse achtet und ihn mit Finten, Täuschungsmanövern und Mimikry zu brechen versucht. Damals ging eine Arbeiterklasse zum Angriff über, die unbefangen und voller Illusionen über ihre Perspektiven im kapitalistischen Nachkriegsdeutschland war. Heute treffen wir auf eine Klasse, die wachsende Zweifel über eben diese Perspektiven hegt, aber noch vor der Ungeheuerlichkeit der Konsequenzen zurückscheut.

Darüber hinaus bergen die aktuellen Kämpfe unserer Klasse einen wichtigen Keim der Politisierung in sich, ist doch ein zentrales Anliegen vieler dieser Kämpfe die Frage der Solidarität. Schon der Kampf bei Daimler 2004, mit dem die jüngste Welle von Klassenkämpfen in Deutschland eingeläutet wurde, machte dies deutlich. Hier traten die Mercedesarbeiter in Bremen aus Protest gegen den Versuch des Vorstandes, sie gegen ihre KollegInnen in Sindelfingen auszuspielen, in den Streik. Aber auch die jüngsten Auseinandersetzungen an der Klassenfront standen im Zeichen der Solidarisierung: Im Falle der Nokia-Betriebsschließung in Bochum waren es die Arbeiter aus der nahegelegenen Opel-Fabrik, die in einen mehrstündigen Solidaritätsstreik traten und zudem der Nokia-Belegschaft anboten, sich im Falle eines Streiks bei Nokia anzuschließen. Im Falle des BVG-Streiks in Berlin, einer der längsten unbefristeten Streiks in der Geschichte der Bundesrepublik, waren es die jüngeren und neu eingestellten Kollegen, die sich aus Solidarität dem Streik der "Altbeschäftigten" anschlossen, was um so erstaunlicher ist, weil es sich hierbei um einen Akt der Solidarität der finanziell schlechter gestellten Kollegen mit ihren besser bezahlten Kollegen handelte.

Wir denken, es ist kein Zufall, dass die aktuellen Kämpfe - stärker als in der Periode von 1968 bis 1989 - ihr Augenmerk auf den Aspekt der Solidarität legen. Neben der Brutalität der Angriffe ist es vor allem die Tatsache, dass der deutsche Staat seine eigene "Solidarität" mit den LohnarbeiterInnen aufgekündigt hat. Unter dem Druck der Krise ist die herrschende Klasse gezwungen, den so genannten Wohlfahrtsstaat zu demontieren, der in den 50er und 60er Jahren auch aus politischen Gründen eingeführt worden war. "Vater Staat" sollte - dies war der Hintergedanke - mit seinen milden Gaben (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Ausbau der Renten- und Krankenversicherung sowie der Arbeitslosenversicherung) die proletarische Solidarität überflüssig machen. Die Tatsache, dass der Standort Deutschland Zahlungen in diesem Umfang sich nicht mehr leisten kann und sich auch nicht zu leisten gedenkt, zwingt die ArbeiterInnen dazu, den Solidaritätsgedanken wiederzubeleben. Dies wird nicht nur auf der Ebene des offenen Kampfes sichtbar, sondern auch im Privatleben unzähliger Arbeiterfamilien: Man denke nur an die vielen Fälle, in denen die Alten ihren Kindern und Enkeln finanziell unter die Arme greifen, wie auch umgekehrt.

Seit dem Ende der Konterrevolution im Allgemeinen und seit 1968 im Besonderen hat die Arbeiterklasse in Deutschland stets am internationalen Klassenkampf partizipiert, doch hinkte sie ständig ihren Klassenbrüdern und -schwestern im Ausland mehr oder weniger hinterher. Doch nun bahnt sich eine substanzielle Veränderung an: Seit 2004 übt die hiesige Klasse nicht nur eine aktive, sondern auch eine zunehmend führende Rolle im internationalen Arbeiterkampf aus. Wir gehen sogar so weit zu sagen, dass die französische Arbeiterklasse als eine Speerspitze des internationalen Klassenkampfes von der Arbeiterklasse Deutschlands begleitet wird. Man mag einwenden, dass die französische Studentenbewegung von 2006 die deutlichste Manifestation des Massenkampfes und der Selbstorganisierung war. Doch bei allem Enthusiasmus über den Kampf der StudentInnen in Frankreich gegen das CPE sollte man nicht übersehen, dass die Studentenschaft eher zur Peripherie der Arbeiterklasse gehört, da StudentInnen strenggenommen nur ansatzweise (als Jobber zur Finanzierung ihres Studiums) Lohnarbeiterstatus besitzen. In Deutschland dagegen gehen die Solidaritätsimpulse unter anderem vom industriellen Kernbereich der hiesigen Klasse aus. In Deutschland entwickelt sich in Teilen der Arbeiterkonzentrationen an Rhein, Ruhr und Neckar schon seit Jahren allem Anschein nach ein neues Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefühl für den Rest der Klasse. So haben bereits in den neunziger Jahren die Mercedes-ArbeiterInnen mit ihren Streiks den Versuch der Kohl-Regierung vereitelt, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken, und sie haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie dabei nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern auch und vor allem die Interessen aller Lohnabhängigen verteidigen.

Die Anzeichen mehren sich, dass die Arbeiterklasse in Deutschland wieder an ihre alte Rolle der Vorhut des internationalen Proletariats anknüpft, die sie insbesondere vor der Konterrevolution gespielt hatte. Denn wie das deutsche Kapital aufgrund seiner industriellen Potenz (s.o.), seiner geographischen Lage und der Bevölkerungsmasse Deutschlands (im Verhältnis zu den meisten anderen westlichen Industrieländern) eine Schlüsselstellung in der Weltwirtschaft innehat, so übte das deutsche Proletariat seit jeher eine Ausschlag gebende Funktion im internationalen Klassenkampf aus. Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert.

Der so genannte Linksrutsch in der politischen Klasse

Vor dem Hintergrund des ungebrochenen Kampfgeistes der Arbeiterklasse ist auch eine Entwicklung zu verstehen, die sich auf allen Ebenen dieser Gesellschaft Platz verschafft - ein allgemeiner Linksrutsch. Die Sprache der Medien, der bürgerlichen Intellektuellen und Ideologen bedient sich wieder der sozialen Rhetorik; sie räumen freimütig die Existenz von Klassen und der Klassengesellschaft ein. Begriffe, die noch in den 90er Jahren, als die New Economy und das Enrichissez-vous das Maß aller Dinge waren, Unworte waren, die unwiderruflich der Vergangenheit angehörten.

Besonders die politische Klasse verbreitet neuerdings eifrig ihre Soziallyrik über die "Gerechtigkeitslücke", über die unangemessenen Managergehälter, über eine "soziale Politik". Den Anfang machte die SPD, mit Kurt Beck als neuen Parteivorsitzenden, als sie - gegen den Widerstand des Arbeitsministers und Parteifreundes Müntefering, aber mit Zustimmung ihrer Koalitionspartner CDU und CSU (!) - die Verlängerung der Auszahlungsfrist des Arbeitslosengeldes 1 (ALG 1) für ältere Arbeitnehmer durchsetzte. Dem schloss sich die Debatte über staatlich verordnete Mindestlöhne an, die besonders von der SPD und Teilen der CDU forciert wurde. Es ging weiter mit der von den Medien und Politikern aller Couleur entfesselten Kampagne gegen zu hohe Managergehälter, die in keinem Verhältnis zu den erbrachten Leistungen stünden. Vorläufiger Höhepunkt war aber die effektvoll inszenierte Vorführung des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post, Zumwinkel, als Steuersünder. Der eigentliche Adressat dieser Manöver ist die Arbeiterklasse. Ihr wachsendes Bewusstsein über den wahren Charakter des Kapitalismus, über seine Perspektivlosigkeit gilt es zu trüben. Der Linksrutsch von Parteien, Verbänden, Kirchen, Medien verfolgt vor allem den Zweck, neues Vertrauen der Arbeiterklasse zum Staat und den ihm angeschlossenen Institutionen zu wecken. Der Zorn der ArbeiterInnen soll - das alte Lied vom schwarzen Schaf - gegen Spitzenmanager, einzelne Branchen (Zeitarbeit, Callcenter) und Praktiken (Outsourcing) gelenkt werden. Der Staat dagegen erscheint in diesen Kampagnen als Gegenkraft zum Privatkapital, als Garant der "Gerechtigkeit". Er soll - so wird uns weisgemacht - die "Auswüchse" des entfesselten und globalisierten Privatkapitals eindämmen. Die Absicht liegt auf der Hand: Die Arbeiterklasse soll mit allen Mitteln davon abgebracht werden, grundsätzliche Fragen über das herrschende Gesellschaftssystem zu stellen.

Mit der Partei Die Linke hält die herrschende Klasse einen weiteren Trumpf gegen die Arbeiterklasse hierzulande in der Hand. Allen offiziellen Verteufelungen zum Trotz passt der Erfolg, den diese Linkspartei derzeit feiert, der deutschen Bourgeoisie vortrefflich ins Konzept. All die Kritik am Populismus der Linken kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Melange aus alten SED-Kadern und westdeutschen Gewerkschaftern aktiv gefördert wurde. Kein deutscher Politiker wird so häufig zu Polit-Talks im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eingeladen wie Oskar Lafontaine, dem auf diese Weise ein Forum geboten wird, auf dem er sich an ein Millionenpublikum wenden kann. Was versprechen sich die herrschenden Fraktionen der deutschen Bourgeoisie von der Linkspartei?

Es ist nicht im Interesse dieser Kreise, dass die derzeitige Regierungskonstellation, die Große Koalition, längerfristig Bestand hat. Denn eine solche Elefantenhochzeit birgt zwei entscheidende Nachteile in sich. Zum einen besteht die akute Gefahr einer Erosion beider "Volksparteien", insbesondere der SPD, die bereits einen historischen Tiefstand in den Meinungsumfragen erreicht hat. Zum anderen würde eine längerfristige Festlegung auf eine große Koalition zu einem nachlassenden Interesse in der Arbeiterklasse an den Wahlen führen, was nicht im Sinne der Herrschenden sein kann. In dieser Situation - ein Vier-Parteien-System, bei dem sich Rot-Grün und Schwarz-Gelb gegenseitig lahmlegen - kommt Die Linke wie gerufen. Mit ihr ist es möglich, diese Pattsituation aufzulösen. Und seitdem der SPD-Parteivorsitzende Beck der hessischen SPD-Vorsitzenden Ypsilanti freie Hand bei ihrem Vorhaben gewährt hatte, sich mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, kommt Bewegung in die politische Landschaft Deutschlands. Plötzlich kommt es in Hamburg zur ersten schwarz-grünen Liaison auf Länderebene, und FDP-Chef Westerwelle löst sich von seiner einseitigen Ausrichtung auf die CDU/CSU, was die Installierung der so genannten Jamaica-Koalition in den Bereich des Möglichen rückt. Mit anderen Worten: die herrschende Klasse in Deutschland besitzt wieder mehr Optionen, um auf Veränderungen in der sozialen Lage flexibel reagieren zu können. Darüber hinaus hat sich die deutsche Bourgeoisie mit der Linkspartei ein Mittel geschaffen, um jenen Teil der Arbeiterklasse, der im Begriff ist, sich von dieser Gesellschaft abzuwenden, wieder auf das parlamentarische Terrain zurückzulocken.

Auch in die Gewerkschaften ist Bewegung gekommen. Vor allem hat sich eine Entwicklung verfestigt, die sich bereits vor einigen Jahren mit der Gründung bzw. Verselbständigung der Vereinigung Cockpit und des Marburger Bundes abgezeichnet hatte und die jetzt mit der Erfolgsgeschichte der GDL fortgesetzt wird: die Wiederauferstehung eines extremen Korporatismus. Dies ist ärgerlich für die bisher tonangebenden Gewerkschaften Ver.di sowie Transnet und andere sozialdemokratisch geführte DGB-Gewerkschaften, die einen Teil ihres Einflusses und ihrer Pfründe fortan mit anderen teilen müssen, aber durchaus im Sinne der herrschenden Fraktionen. Denn der Korporatismus ist nur eine weitere Methode, die Kämpfe der ArbeiterInnen voneinander zu isolieren. Wie peinlich genau die Herrschenden auf die zeitliche und räumliche Abgrenzung der einzelnen Kämpfe achten, demonstriert der BVG-Streik. Nicht nur dass ein gleichzeitig drohender Streik der Lokführer in letzter Minute abgewendet wurde, indem Druck auf Bahnchef Mehdorn ausgeübt wurde, damit dieser endlich gegenüber der GDL einknickt. Darüber hinaus ist es Ver.di gelungen, ein Zusammengehen des BVG-Streiks mit dem Tarifkampf der anderen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes zu vermeiden, indem für die Tarifverhandlungen Letzterer eine Schlichtungskommission ins Leben gerufen wurde, was die Aussetzung eines möglichen Streiks der Müllmänner, Kita-Angestellter, LehrerInnen bedeutete. Doch der BVG-Streik zeigt noch etwas anderes. Die linken Fraktionen des Kapitals, mit den Gewerkschaften und Linksextremisten an vorderster Front, haben zunehmend Mühe, den Topf auf dem Deckel zu halten.

Der BVG-Streik ist eines von vielen Anzeichen dafür, dass die Bedingungen künftiger Massenstreiks langsam heranreifen. Denn viele Zeichen stehen auf Sturm: Einerseits kündigt sich mit der sehr wahrscheinlichen Rezession in den USA eine weitere Verschärfung der Krise und damit eine weitere Forcierung der Angriffe gegen die Arbeiterklasse an. Andererseits hat Letztere zu Genüge bewiesen, dass sie nicht gewillt ist, stillzuhalten und der Logik des Kapitals zu gehorchen. Mai 08

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in Deutschland [1]

Aktuelles und Laufendes: 

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Der Klassenkampf ist international - Zunahme der Arbeiterkämpfe weltweit Verarmung, Prekarisierung, Preissteigerungen von Lebensmitteln - vor all diesen Fragen stehen auf der ganzen Welt immer mehr Menschen

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Zunahme der Arbeiterkämpfe weltweit Verarmung, Prekarisierung, Preissteigerungen von Lebensmitteln - vor all diesen Fragen stehen auf der ganzen Welt immer mehr Menschen. Die herrschende Klasse selbst ist besorgt über die weltweite Zuspitzung all dieser Phänomene. Heute schon verhungern jeden Tag 100.000 Menschen auf der ganzen Erde. Während der letzten drei Jahre sind die Lebensmittelpreise um 83% gestiegen. Der Weizenpreis ist sogar um 181% nach oben geschnellt. In den USA wurde Reis schon teilweise rationiert. Schon bei den großen Hungerkatastrophen der letzten Jahrzehnte - in der Sahelzone, Äthiopien, Darfur usw., welche von den Medien als eine "Naturkatastrophe" dargestellt wurden, war in Wirklichkeit das kapitalistische System verantwortlich. Jetzt werden immer mehr Menschen aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise mit dem Problem des Hungers konfrontiert. Jean Ziegler, UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Ernährung, erklärte: "Wir stehen vor einem langen Zeitraum von Aufständen, Konflikten, einer Welle von unkontrollierbaren Destabilisierungen ganzer Regionen". Selbst die Weltbank gesteht ein, dass "der Anstieg der Lebensmittelpreise kein vorübergehendes Phänomen" und diese weiter bis mindestens 2015 steigen würden. Immer mehr Menschen werden verhungern, weil das kapitalistische System in der Krise versinkt. Weil nunmehr die Immobilienspekulation nicht mehr lukrativ ist, stürzen sich die Spekulanten jetzt auf Rohstoffe, vor allem aber auf Grundnahrungsmittel.

Hungerrevolten

In den letzten Monaten hat es schon Hungerrevolten in einer Reihe von Ländern gegeben (siehe dazu den Artikel in dieser Zeitung). In den meisten Ländern hat die herrschende Klasse mit Repression reagiert: Über 200 Protestierende wurden im Februar in Burkina Faso erschossen, mehr als 100 Tote im Kamerun. Auch in Haiti und Ägypten schossen Polizisten auf Demonstranten. Aber dieses Mal entwickelt sich neben dem Protest der Hungernden in den Ländern der 3. Welt eine wachsende Kampfbereitschaft der Arbeiter in den Industriestaaten. Auch in den modernen Arbeitslagern der "Schwellenländer" flammen immer mehr Kämpfe auf. Oft versucht die Propaganda der herrschenden Klasse die Ausgebeuteten zwischen Nord und Süd zu spalten, als ob die Menschen im Norden "privilegiert" und die Ausgebeuteten im Süden zu einem wirksamen Widerstand unfähig wären. Durch diese Beschuldigung "privilegiert" zu sein, sollen hinterlistig Schuldgefühle geweckt werden, obwohl in Wirklichkeit das System verantwortlich ist für die Misere. Aber diese Taktik geht so nicht mehr auf. Denn bei den jüngsten Abwehrkämpfen der Arbeiterklasse kam trotz des weit verbreiteten Individualismus immer mehr ein Streben nach Solidarität zum Ausdruck.

Eine einzige Antwort gegenüber dem weltweiten Bankrott des Kapitalismus: Solidarität und Einheit der Arbeiterklasse

In den letzten Jahren haben sich immer mehr Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse entwickelt - sowohl in den ärmsten Ländern als auch in im Zentrum des Kapitalismus, insbesondere in Europa.

Seit mehr als zwei Jahren brechen immer wieder zahlreiche Kämpfe in Ägypten aus. Insbesondere die Textilfabrik Ghazl al-Mahalla im Norden Kairos stand im Mittelpunkt. Und immer wieder attackierte die Polizei die Beschäftigten. Weil die gewerkschaftliche Kontrolle über die Arbeiterkämpfe schwach ist, können die Kämpfe massiver werden und die Arbeiter radikalere Forderungen stellen. Auch haben die Arbeiter, weil sie ohne die Gewerkschaften kämpften, ihre Kämpfe leichter ausdehnen können. Die Bewegung hat auf andere Bereiche übergegriffen - Eisenbahnen, Finanzbeamte, Postbeschäftigte, Universitäten in Kairo, Alexandria, Mansur.

Im Iran erschütterte eine massive Streikwelle das Land. Im Januar streikten die Teheraner-Busfahrer. Im Februar demonstrierten die Arbeiter einer Zuckerfabrik für höhere Löhne. Im Norden und im Süden des Landes traten zahlreiche Beschäftigte in den Ausstand wegen nicht gezahlter Löhne. Immer wieder hießen die Slogans "Wir wollen essen". Jedes Mal reagierte die Regierung mit brutaler Repression. Normale Polizeikräfte und die Geheimpolizei VEVAK gingen gegen die Arbeiter vor. An mehreren Orten wurden Hunderte Streikende verhaftet.

Seit Anfang des Jahres wurden mehr als 150 Streiks in Vietnam registriert. Jüngst streikten 17.000 Arbeiterinnen einer Nike-Schuhfabrik im Süden Vietnams um Lohnerhöhungen durchzusetzen. Die Arbeiterinnen konnten nur die Hälfte der geforderten Lohnerhöhung erzwingen, aber nach gewalttätigen Auseinandersetzungen musste die Fabrik drei Tage lang geschlossen werden. 10.000 Beschäftigte einer Spielzeugfabrik in Danang traten ebenfalls in den Streik, um längere Urlaubszeiten und Zulagen zu erhalten.

In Rumänien haben die Renaultbeschäftigten des Dacia-Werkes eine Lohnerhöhung von 40% (=100 Euro) nach einem wochenlangen Streik durchsetzen können. Im Osten des Landes traten 4.000 Beschäftigte von Arcelo Mittal in Galati in den unbefristeten Ausstand. Sie wollten eine Verdoppelung ihrer Löhne, Wochenendzulagen und Beihilfen für die Familien von Stahlarbeitern durchsetzen, die einen Arbeitsunfall erlitten hatten oder gar durch einen Unfall ums Leben gekommen waren. Die Werksleitung hat sofort eine 12%ige Lohnerhöhung zugestanden. Aber der Streik wurde gerichtlich aufgrund von "Sicherheitsgründen beim Betrieb der Hochöfen" für verboten erklärten. Während die Kapitalisten immer mehr Arbeitsplätze verlagern und die Arbeiter in den westlichen Industriestaaten damit erpressen, zeigen diese Kämpfe in den "Billiglohnländern", dass auch dort die Arbeiter ausgebeutet werden und den gleichen Kampf wie ihre Klassenbrüder- und -schwestern im Westen zu führen haben. Überall auf der Welt muss die Arbeiterklasse für Solidarität und Zusammenschluss ihrer Kämpfe eintreten.

In Polen streikten im Januar und Februar die Bergarbeiter von Budryk in Omontowice in Schlesien 46 Tage lang, um Lohnanpassungen an die Löhne anderer Beschäftigter zu verlangen. Dies war der größte Streik seit 1989. Auch Bergwerke wurden dabei besetzt. Zwei Drittel der Bevölkerung unterstützte den Streik. Viele andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes legten ebenfalls die Arbeit nieder. Die große Streikwelle im Sommer 1980 war von der damals gegründeten Gewerkschaft Solidarnosc gebremst und schließlich sabotiert worden. Dieses Mal beschimpfte die Gewerkschaft Solidarnosc und die Gewerkschaftszentrale ZZG die Streikenden als "Lumpen". Bergarbeiterfrauen demonstrierten in Warschau zur Unterstützung ihrer Männer.

Aber der Widerstand der Arbeiter nimmt auch in den Industriezentren des Kapitalismus selbst zu.

In Großbritannien streikten am 24. April ca. 400.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gegen die sinkende Kaufkraft und die Angriffe der Labourregierung. Zum ersten Mal seit 21 Jahren wurde im Erziehungswesen gestreikt; dort allein streikten 200.000 Lehrer. Auch Beschäftigte der Stadtverwaltungen legten massiv die Arbeit nieder - wie in Birmingham 20.000. Beschäftigte der Ölraffinerien in Grangemouth in Schottland wehrten sich gegen Pensionskürzungen. In London drohten die Beschäftigten der U-Bahn mit einem dreitägigen Streik vom 6.-8. April, um gegen eine Absenkung des Sicherheitsstandards aus Kostengründen zu protestieren - die Geschäftsleitung gab nach.

In Deutschland gab es nach dem letztendlich erfolglosen Abwehrkampf der Nokianer gegen die Werksschließung in Bochum, bei denen sie von den Beschäftigten der benachbarten Opelwerke aktiv unterstützt wurden, eine Reihe von Arbeitsniederlegungen in der Stahlindustrie, die zu Lohnerhöhungen von 5.4% für die 93.000 Beschäftigten führten. Danach erlebte das Land eine Reihe von Tarifauseinandersetzungen, insbesondere im öffentlichen Dienst in der ersten Märzwoche. Die Gewerkschaften waren gezwungen, einen mehrere Wochen dauernden Streik bei der BVG in Berlin sowie Warnstreiks in den Krankenhäusern, Kita’s, an vielen Flughäfen und in den Verwaltungen zuzulassen. Unter dem Druck der Arbeiter drohte Verdi mit einem massiven, unbefristeten Streik Ende März/Anfang April für eine Lohnerhöhung von 8%, während die Arbeitgeberseite lediglich die Hälfte zugestehen und gleichzeitig eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit durchsetzen wollte. Zugleich drohte ein unbefristeter Streik bei der Deutschen Post ab Anfang Mai, da die Beschäftigten sowohl eine Lohnerhöhung von 7% als auch die Abwehr von Entlassungen anstrebten.

Während Verdi gezwungen war, den BVG-Streik in Berlin hinzunehmen, sorgte sie für ein Abwürgen des Streiks im öffentlichen Dienst in den anderen Bereichen, um die Beschäftigten des Transportbereiches in der Hauptstadt zu isolieren, sowie anschließend für einen Abschluss im öffentlichen Dienst, der die Lage an der Streikfront insgesamt beruhigen sollte. Der darauf folgende Abschluss bei der Post wird inzwischen von vielen Beschäftigten als Mogelpackung empfunden, da sowohl die ausgehandelten Lohnerhöhungen als auch die Arbeitsplatzgarantie genauso wie bei der Deutsche Bahn durch Ausgliederungen unterlaufen werden sollen. Zwar hat in Deutschland die Kapitalseite keine wesentlichen Angriffe zurückgenommen, und dennoch kann man als Bilanz der Kämpfe im ersten Halbjahr auch die Schlussfolgerung ziehen, dass die Herrschenden hier und da momentan höheren Abschlüssen, als sie sich gewünscht hätten, zustimmen mussten, um der Gefahr der Gleichzeitigkeit größerer Kämpfe vorzubeugen.

Auch bei den Streiks der Renault-Arbeiter in Rumänien ist auffallend, dass die Arbeiter zumindest einen Teil ihrer Forderungen durchgesetzt haben, obwohl die Regierung in Bukarest das Schreckgespenst der Abwanderung des Auslandskapitals an die Wand malte. Auch wenn die Weltarbeiterklasse die Verschlechterung ihrer Lage nicht verhindern kann, so zeigt sich doch, dass es sich lohnt, sich zur Wehr zu setzen, und der Konkurrenz unter den Lohnarbeitern die Solidarität der Arbeiterklasse entgegenzusetzen. Internationale Solidarität ist unsere Antwort auf die weltweite Erpressung durch das Kapital.

Hin zur Zusammenführung der Kämpfe

All diese Beispiele zeigen auf, dass die Arbeiter überall auf der Welt immer mehr aus den gleichen Gründen zum Kampf gezwungen werden. Zunächst und vor allem lassen Preissteigerungen und Lohnsenkungen das Überleben immer schwieriger werden. Hinzu kommen immer schlechtere, unerträglichere Arbeitsbedingungen, ein immer späteres Renteneintrittsalter mit immer geringeren Renten und der Perspektive der Altersarmut, immer prekärere Arbeitsbedingungen. Man muss die Entwicklung der letzten Jahre mit Abstand betrachten. Die Arbeiter fangen nicht nur an, langsam den Kampf wieder aufzunehmen, sondern die Kämpfe nehmen eine neue Dimension aufgrund ihrer internationalen Gleichzeitigkeit und ihrer Ausdehnung an. Die gemeinsame Wurzel der Arbeiterkämpfe in der Peripherie und dem Herz des Kapitalismus in der weltweiten kapitalistischen Krise wird immer deutlicher. Daraus werden in der Zukunft neue Perspektiven für die Zusammenführung der Kämpfe erwachsen. Diese Perspektive ist umso wichtiger, da ansonsten die Gefahr droht, dass die Herrschenden bei ihren Versuchen erfolgreicher werden, die Besitzlosen gegeneinander aufzuhetzen wie es derzeit in Johannesburg und anderen Großstädten Südafrikas geschieht.

Während die Kämpfe in der Peripherie massiver werden, kann man die gleiche Tendenz in den Industriezentren vernehmen, wo die Arbeiter über mehr Erfahrung verfügen, aber die Bourgeoisie auch beim Aufstellen von Fallen geschickter ist. Auch wenn sie immer unerträglicheren Bedingungen ausgesetzt ist, mit einer immer größeren Armut und einer immer heftigeren Repression konfrontiert wird, ist die Arbeiterklasse dazu fähig, sich zu wehren. Anstatt sich kampflos geschlagen zu geben, erhebt die Arbeiterklasse immer mehr die Stirn. Die Verteidigung unserer Würde ist eine zutiefst moralische Angelegenheit der Arbeiterklasse und die Verteidigung unserer Würde gibt uns Selbstvertrauen und stärkt unsere Kräfte.

Map, Mitte Mai 08

Aktuelles und Laufendes: 

  • Klassenkampf international [3]
  • Arbeiterkampf international [4]

Deutschland 1968 - Eine neue Generation sucht nach einer Alternative - Teil I

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Die Bildung der außerparlamentarischen Opposition und die bürgerliche Demokratie

Wie in anderen Artikeln unserer Presse aufgezeigt, entwickelte sich Ende der 1960er Jahre eine internationale Protestbewegung, gegen den Vietnam-Krieg, gegen die ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Verschlechterung, die in vielen Ländern Keime einer Infragestellung der bestehenden Ordnung in sich trug. Die Bewegung in Deutschland setzte schon relativ früh ein, sie sollte auch eine größere internationale Ausstrahlung haben.

 

Opposition außerhalb des bürgerlichen Parlamentes

Nachdem es seit Mitte der 1960er Jahre immer häufiger vor allem zu Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg gekommen war, erhielten die Proteste eine neue Dimension, als am 1. Dezember 1966 die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD in Bonn gebildet wurde und Rudi Dutschke nur wenige Tage später, am 10. Dez 1966, zur Errichtung einer „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) aufrief. Wenn die wichtigste „linke“ Partei sich an der Regierung beteiligte, musste dies zu Enttäuschung und Abwendung von der SPD führen. Während die SPD emsig die Wahltrommel rührte und immer wieder für die Wahlbeteiligung warb, wurden die Proteste mehr auf die Straße getragen. Am Anfang dieser Bewegung stand eine gehörige Portion Illusionen über die bürgerliche Demokratie im Allgemeinen, und über die Sozialdemokratie insbesondere. Die Idee: Da es mit dem Eintritt der SPD in die Regierung keine größere Oppositionskraft mehr im Bundestag gäbe, müsse man diese Opposition von der Straße aus anfachen. Mit der immer offensichtlicher werdenden systemstützenden Rolle der Sozialdemokratie innerhalb der Großen Koalition aber richtete sich die „außerparlamentarische Opposition“ mehr gegen eine Vereinnahmung durch die bürgerliche Demokratie, gegen Wahlbeteiligung und sprach sich für direkte Aktionen aus. Diese Stoßrichtung war ein wichtiges Element bei dem langsamen Prozess der späteren Aufkündung des „Klassenfriedens“…

Eine neue Generation leistet Widerstand

Die herrschende Klasse hatte sich veranlasst gesehen, die SPD als Reaktion auf das Wiederauftauchen der Wirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg wieder an die Regierung zu bringen. Nach dem lang andauernden Wirtschaftswunder fiel das Wachstum plötzlich ab 1965 stark ab. Auch wenn der Rückgang des Wachstums immer noch auf einem hohen Wachstumsniveau erfolgte und die damaligen Wachstumszahlen im Vergleich zu den gegenwärtigen niedrigen Wachstumszahlen noch „Traumzahlen“ waren, vollzog sich etwas Historisches. Das Nachkriegswirtschaftswunder war zu Ende. In der ersten Rezession 1967 verdreifachte sich nahezu die Zahl der Arbeitslosen von 0,16 auf 0,46 Millionen. Die Kapitalisten reagierten sofort mit Sparmaßnahmen. Erste Stellenstreichungen erfolgten; Sonderleistungen wie übertarifliche Zulagen wurden gestrichen. Auch wenn dies alles im Vergleich zu heute als geradezu ‚harmlos’ erscheint, war es für die gesamte Arbeiterklasse ein großer Schock. Das Gespenst der Krise war wieder da. Jedoch auch wenn die Krise plötzlich wieder hereingebrochen war, reagierte die Arbeiterklasse damals noch nicht mit einer größeren Streikbewegung. Dennoch beteiligten sich zwischen 1965-67 ca. 300.000 Arbeiter an diversen Arbeitskämpfen. Den Beginn einer bundesweiten Protestwelle markierte ein wilder Streik bei dem Druckmaschinenhersteller Faber und Schleicher in Offenbach im Dezember 1966, in dem es um die Entfernung eines Vorgesetzten ging, dem „Antreibermethoden“ vorgeworfen wurden. Hinzu kamen Konflikte über die Kontrolle der Arbeitszeit wie bei den ILO-Werken in Pinneberg bei Hamburg im September 1967. Nahezu alle entwickelten sich als wilde Streiks. Sie trugen nicht unwesentlich zur Stimmungsänderung vor allem bei jugendlichen Beschäftigten, insbesondere Lehrlingen bei (damals gab es keine nennenswerte Jugendarbeitslosigkeit, die meisten Jugendlichen verfügten über Erfahrung aus der Arbeitswelt). Nachdem zuvor jahrelang die Ideologie der Sozialpartnerschaft und die Botschaft vom „Vater“ Staat gepredigt worden war, entstanden nun erste Risse beim ‚sozialen Frieden’. Rückblickend betrachtet waren diese ersten kleineren Streiks nur „Vorläuferreaktionen“, welche letztendlich nur ein größeres Beben ankündigten, das in Deutschland erst 1969 eintreten sollte. Mit diesen zaghaften, wenig spektakulären Aktionen hatte die Arbeiterklasse in Deutschland dennoch ein wichtiges Signal ausgesendet, das auch der Protestbewegung der Studenten weiter Auftrieb verlieh. Auch wenn sich die Arbeiter in Deutschland damals nicht an die Spitze der internationalen Bewegung stellten, waren sie schon früh mit Abwehrreaktionen gegen die Krise dabei. Es war aber nicht so sehr die unmittelbare Heftigkeit der ersten Sparmaßnahmen, die etwas in Bewegung gesetzt hatte. Viel mehr waren auch die Regungen einer neuen Generation zu spüren. Nach den Entbehrungen der Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren und der Hungerjahre während des Krieges hatte der brutale Verschleiß von Arbeitskräften während des Nachkriegswiederaufbaus mit langen Arbeitsstunden und Niedrigstlöhnen einen höheren Konsum mit sich gebracht, aber gleichzeitig stellte dieses neue „Arbeitshaus“ etwas Abschreckendes insbesondere für die Jugend dar. Ein sehr diffuses Gefühl „das kann es doch nicht gewesen sein, wir brauchen etwas Anderes als nur Konsumgüter“. „Wir wollen nicht so erschöpft, abgestumpft, verschlissen, ausgemergelt sein wie unsere Eltern“, kam auf. Langsam trat eine neue, ungeschlagene Generation in Erscheinung, die den Krieg nicht mitgemacht hatte und jetzt nicht bereit war, die Schufterei der kapitalistischen Tretmühle widerstandslos hinzunehmen. Die Suche nach etwas Anderem, noch Undefinierten, begann

 

Hinter der Protestbewegung – die Suche nach einer anderen Gesellschaft

Die Bildung der „Außerparlamentarischen Opposition“ Ende 1966 selbst war wiederum nur ein Schritt einer größeren Regung unter den Jugendlichen, insbesondere den Studenten. Denn von 1965 an, noch bevor die Wirtschaftskrise wieder auftauchte, wurde in den Universitäten immer häufiger zu Vollversammlungen aufgerufen, in denen man in hitzigen Debatten über Mittel und Wege des Protestes stritt. An vielen Universitäten bildeten sich – dem US-Vorbild folgend – Diskussionsgruppen, als Gegenpol zur „etablierten“, bürgerlichen wurde die „kritische Universität“ gegründet. Aber auch in diesen Foren waren nicht nur Mitglieder des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) aktiv, die irgendwelche spektakulären, antiautoritären Protestformen beschlossen, sondern es wurde in dieser ersten Phase der Bewegung eine alte Tradition der Debatte, der Diskussionen in öffentlichen Vollversammlungen zum Teil wiederbelebt. Auch wenn sich viele durch den Drang zum spektakulären Handeln angezogen fühlten, blühte wieder das Interesse an Theorie, an der Geschichte revolutionärer Bewegungen auf und der Mut an den Gedanken der Überwindung des Kapitalismus auf. Bei vielen keimte Hoffnung auf andere Gesellschaft auf. Rudi Dutschke fasste diese im Juni 1967 folgendermaßen zusammen: „Die Entwicklungen der Produktivkräfte haben einen Prozesspunkt erreicht, wo die Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft materiell möglich geworden ist. Alles hängt vom bewussten Willen der Menschen ab,,ihre schon immer von ihnen gemachte Geschichte endlich bewusst zu machen, sie zu kontrollieren, sie sich zu unterwerfen…“ Eine Vielzahl von politischen Schriften der Arbeiterbewegung, insbesondere des Rätekommunismus, wurde wieder neu aufgelegt. Das Interesse an Arbeiterräten wuchs enorm. Die Protestbewegung in Deutschland galt international als die mit am „theoretischsten, diskussionsfreudigsten, politischsten“. Dabei kritisierte zunächst ein Großteil der Protestierenden wie z.B. Rudi Dutschke theoretisch oder zumindest gefühlsmäßig den Stalinismus. Dutschke sah diesen als doktrinäre Entartung des genuinen Marxismus zu einer neuen „bürokratischen“ Herrschaftsideologie. Er forderte auch im Ostblock eine durchgreifende Revolution zu einem selbstbestimmten Sozialismus.

Staatliche Repression sorgt für Empörung

Aus Protest gegen den Besuch des Schahs von Persien versammelten sich in West-Berlin am 2. Juni 1967 Tausende von Demonstranten. Die bürgerlich demokratische deutsche Regierung, die das blutige, diktatorische Regime des Schahs kritiklos unterstützte, war fest entschlossen, mit Polizeigewalt (Greiftrupps und Gummiknüppel) die Protestierenden in Schach zu halten. Bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen wurde dabei von einem Zivilpolizisten der Student Benno Ohnesorg hinterrücks erschossen (und nachher freigesprochen). Dieser Mord an dem Studenten rief eine enorme Empörung unter den sich politisierenden Jugendlichen hervor und sorgte für weiteren Auftrieb der Protestbewegung. In einem wenige Tage später am 9. Juni 1967 einberufenen Kongress "Hochschule und Demokratie" ließen nach der staatlichen Repression viele Diskussionen den Graben zwischen Staat und Gesellschaft deutlich werden. Gleichzeitig rückte eine weitere Komponente des Protestes immer mehr in den Vordergrund.

Die Bewegung gegen den Krieg

Wie in den USA war es 1965 und 1966 zu mehreren Kundgebungen und Kongressen gegen den Vietnamkrieg gekommen. Am 17./18. Februar 1968 wurde in West-Berlin ein Internationaler Vietnam-Kongress mit anschließender Demonstration von 12000 Teilnehmern abgehalten. Die kriegerische Eskalation im Nahen Osten mit dem Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und Ägypten im Juni 1967 sowie vor allem der Vietnamkrieg hatten die Bilder des Krieges in die Wohnungen gebracht. Gerade 20 Jahre seit dem Ende des 2. Weltkriegs waren vergangen, da wurde die neue Generation, die den 2. Weltkrieg selbst oft nicht, oder damals erst als kleine Kinder erlebt hatte, mit einem Krieg konfrontiert, der die ganze Barbarei dieses Systems vor Augen führte (permanente Bombardierung vor allem der Zivilbevölkerung, Einsatz von chemischen Waffen wie Agent Orange, Massaker von My Lai, auf Vietnam wurden mehr Bomben geworfen als im gesamten zweiten Weltkrieg.) Die jüngere Generation war nicht mehr bereit, sich in einem neuen Weltkrieg abschlachten zu lassen. Deshalb protestierten weltweit, vor allem in den USA und in Deutschland immer mehr gegen den Vietnamkrieg. Wie widersprüchlich und konfus die Bewegung jedoch damals war, zeigte sich anhand einer damals weit verbreiteten Grundidee, welche von R. Dutschke mit am klarsten vertreten wurde. Diese glaubte wie viele andere im SDS, der Vietnamkrieg der USA, die Notstandsgesetze in der Bundesrepublik und die stalinistischen Bürokratien im Ostblock hätten bei aller Verschiedenheit einen gemeinsamen Aspekt – sie seien Glieder der weltweiten Kette der autoritären Herrschaft über die entmündigten Völker. Die Bedingungen für die Überwindung des weltweiten Kapitalismus in den reichen Industriestaaten und der „Dritten Welt“ seien jedoch unterschiedlich. Die Revolution werde nicht von der Arbeiterklasse in Europa und den USA, sondern von den verarmten und unterdrückten Völkern der „Peripherie“ des Weltmarkts ausgehen. Deshalb fühlten sich viele Politisierte damals von den „anti-imperialistichen“ Theorien angezogen, welche die „nationalen Befreiungskämpfe als neue revolutionäre Kraft priesen“, obwohl es sich dabei in Wirklichkeit um imperialistische Konflikte – oft in Form von Stellvertreterkriegen handelte, bei denen die Bauern auf dem Altar des Imperialismus verheizt wurden. Auch wenn viele Jugendliche sich für die sogenannten nationalen Befreiungskämpfe in der 3. Welt begeisterten und auf den Antikriegsdemonstrationen für den Vietcong, Russland oder China eintraten, somit keine grundsätzlich internationalistische Position vertraten, wurde zunehmend spürbar, dass das grundsätzliche Unbehagen gegenüber dem Krieg zunahm, und dass sich vor allem viele Jugendliche nicht mehr für einen Krieg zwischen den beiden Blöcken einspannen lassen würden. Dass die herrschende Klasse in dem Frontstaat Deutschland immer mehr Probleme hatte, die Jugendlichen für ein globales imperialistisches Abschlachten einzuspannen, sollte von großer Bedeutung sein.

Die Spirale der Gewalt setzt ein

Schon von 1965 an hatte sich in zahlreichen Städten Widerstand gegen die „Notstandsgesetze“ formiert, welche den Staat mit umfassenden Rechten der Militarisierung im Inneren und verschärfter Repression ausstatten sollten. Die in die Große Koalition eingetretene SPD bestand auf diesem Vorhaben in alter Tradition (1) Nach dem Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 wurde im Frühjahr 1968 die Stimmung gegen die Protestierenden weiter aufgeheizt. Die Bild-Zeitung forderte: „Stoppt den Terror der Jungroten jetzt!“ Bei einer vom Berliner Senat organisierten „Pro-Amerika-Demonstration“ am 21. Februar 1968 trugen Teilnehmer Plakate mit der Aufschrift „Volksfeind Nr. 1: Rudi Dutschke“. Bei dieser Kundgebung wurde ein Passant mit Dutschke verwechselt, Demonstrationsteilnehmer drohten diesen totzuschlagen. Eine Woche nach der Ermordung Martin L. King in USA erreichte schließlich in Deutschland am „Gründonnerstag“ 11. April die Hetzkampagne ihren Höhepunkt durch das Attentat auf Rudi Dutschke in Berlin. In den darauf folgenden Osterrunruhen vom 11.-18. April, die sich hauptsächlich gegen die Springer-Presse richteten („Bild-Zeitung hat mitgeschossen“) starben zwei Menschen, Hunderte wurden schwer verletzt. Eine Spirale der Gewalt setzte ein. In Berlin flogen die ersten Molotowcoktails, die von einem Agenten des Verfassungsschutzes an Gewaltbereite verteilt wurden. In Frankfurt wurde das erste Kaufhaus in Brand gesteckt. Trotz eines Sternmarsches am 11.Mai 1968 auf Bonn mit 60.000 Teilnehmern boxte die Große Koalition in aller Eile die Notstandsgesetze durch. Während in Frankreich im Mai 68 (siehe dazu unsere Artikel) die studentischen Proteste durch die Arbeiterstreiks verdrängt wurden und die Arbeiterklasse wieder auf die Bühne der Geschichte zurückkehrte, waren in Deutschland die Proteste bereits im Mai 68 an einem Scheideweg angelangt. Eine Welle von Arbeiterstreiks sollte erst mehr als ein Jahr später im September 1969 ausbrechen. Nicht zuletzt deshalb fehlte es vor allem den meisten proletarisierten Protestierenden rasch an einem Bezugspunkt. Während sich ein Teil der Protestierenden gewaltsamen Aktionen zuwandte, und während sich viele, vor allem studentische Politisierte in den Aufbau von linken Organisationen (K-Gruppen) stürzten, um so besser an die „Arbeiter in den Fabriken heranzukommen“, sollten sich viele proletarisierte Protestierende von diesen Reaktionen abwenden und sich gewissermaßen zurückziehen. Auf die weitere Entwicklung nach Mai 68 in Deutschland werden wir im nächsten Teil eingehen. 2.5.08 TW (1) Die deutsche Bourgeoisie, setzte bereits 1918-19 Hetzkampagnen der Medien und Provokationen ein, um die Radikalen als gewaltsame Terroristen hinzustellen und zu isolieren. Siehe das Buch von Uwe Soukup, „Wie starb Benno Ohnesorg?“.

Geographisch: 

  • Deutschland [5]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Mai 68 [6]
  • Deutschland 1968 [7]
  • Studentenproteste [8]

Leute: 

  • Rudi Dutschke [9]
  • Benno Ohnesorg [10]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • Mai 1968 in Frankreich [11]

Historische Ereignisse: 

  • Mai 68 [12]
  • Deutschland 1968 [13]
  • Frankreich 1968 [14]
  • Studentenproteste 1968 [15]

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [16]

Die Jugend und der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft

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Seit einiger Zeit ist ein Bevölkerungsteil wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, von dem bis dahin (und besonders in den neunziger Jahren) nur als Objekt von Marketingstrategien Notiz genommen wurde - die junge Generation im Allgemeinen und die Arbeiterjugend im Besonderen. Begonnen hatte dies mit der Studentenbewegung in Frankreich 2006, wo sich die StudentInnen (und kommenden LohnarbeiterInnen) erfolgreich gegen die Angriffe der Regierung zur Wehr gesetzt hatten. Sie knüpften nicht nur an die besten Tugenden der Arbeiterbewegung an (Massenversammlungen, Öffnung gegenüber den Rest der Arbeiterklasse wie auch gegenüber den älteren Generationen, etc.), sondern demonstrierten wieder einmal die Vorreiterrolle, die die Jugend im Kampf für eine bessere Gesellschaft oftmals spielt. In der Tat mischte in der Geschichte der Arbeiterbewegung die Jugend wiederholt an vorderster Front mit. Noch nicht der Macht der Gewohnheit, der Routine des Alltags erlegen, ist die Bereitschaft, Überliefertes in Frage zu stellen und neue Wege zu beschreiten, in ihr oft stärker als in anderen Teilen der Arbeiterklasse ausgeprägt.

Die geistige Verelendung eines Teils der Arbeiterjugend

Wie kein anderer Teil der Menschheit ist die junge Generation im Allgemeinen und die Arbeiterjugend im Besonderen ein empfindlicher Seismograph, der jede gesellschaftliche Erschütterung zuverlässig anzeigt. Dies im positiven, aber auch im negativen Sinne. So finden schon seit einigen Jahren Entwicklungen statt, die Anlass zu tiefer Besorgnis geben. Ein wachsender Teil der Arbeiterjugend wird einer immer schlimmeren Verelendung überlassen. Dabei bezieht sich diese Verelendung nicht allein auf das materielle Wohl der heranwachsenden Generation von jungen ArbeiterInnen. Sie erfasst auch zunehmend den geistig-seelischen Zustand eines nicht unerheblichen Teils dieser Generation, der zwischen Körperkult und Todessehnsucht, Kriminalität und Trunksucht, Resignation, Ausländerhass und Fanatismus schwankt.

Greifen wir zwei Beispiele heraus: Seit Jahren verkünden die staatlichen Repressionsorgane, Polizei und Justiz, dass die Kriminalitätsrate in Deutschland allgemeinhin rückläufig sei. Allein die Jugendkriminalität habe auch im vergangenen Jahr zugenommen. Es fällt auf, dass dabei die Gewalt- und Rohheitsdelikte gegenüber Eigentumsdelikten überwiegen. Ob Amokläufe wie jener von Erfurt, sadistische Gruppenexzesse gegen Einzelne, Messerstechereien vor Diskotheken oder brutale, durch Nichtigkeiten ausgelöste Gewaltakte gegen wildfremde Menschen - all diese Untaten, fast immer von jungen Männern zwischen 16 und 25 begangen, zeichnen sich gleichermaßen durch ihre völlige Hemmungslosigkeit wie durch ihre totale Sinnlosigkeit aus.

Das zweite Beispiel für die geistige Verelendung eines wachsenden Teils der Arbeiterjugend ist ihr Alkoholkonsum, der alarmierende Ausmaße angenommen hat. Laut jüngsten Umfragen betrinkt sich nahezu die Hälfte der Jugendlichen in Deutschland mindestens zweimal im Monat bis zum Vollrausch. Immer öfter muss die Feuerwehr ausrücken, um schwer alkoholisierte Teenager auf den Straßen und Plätzen aufzusammeln. Rausch- und Wetttrinken sind gängige Praxis unter vielen Jugendlichen. Und die Spirituosenhersteller sowie die Gastronomie tragen ihr Teil dazu bei, um den Alkoholkonsum der Jugend zu forcieren. Ob mit der Herstellung so genannter Alcopops, mit denen ein neuer Käufer- und Konsumentenkreis erschlossen wurde, junge Frauen und Mädchen, oder mit Kampagnen wie das "Flatrate-Trinken".

Sowohl der steigenden Gewaltbereitschaft als auch dem grassierenden Alkoholismus ist eines gemeinsam: die Desperadomentalität eines wachsenden Teils der Jugend, ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer oder der eigenen Gesundheit. Sie sind der Aufschrei verängstigter Seelen, die ein Leben ohne Perspektive und Hoffnung vor sich wähnen. Eine lebende Manifestation des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft.

Der Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen um ihre Kinder

Es ist keine Küchenpsychologie, wenn man einen Zusammenhang zwischen der nun schon seit 40 Jahren sich langsam, aber stetig verschärfenden Krise des Weltkapitalismus einerseits und der Verelendung und Verrohung junger Menschen andererseits vermutet. Ein ständig wachsender Teil der Arbeiterjugend, besonders aus den sog. Unterschichten, den "bildungsfernen" Familien, fühlt sich um sein Leben betrogen. Ihre Schulzeit auf dem Abstellgleis "Hauptschule" verbringend, ohne jede Aussicht auf einen Arbeitsplatz, mit dem sie sich selbst oder gar eine Familie ernähren können, sehen sich diese Jugendlichen aus der Gesellschaft ausgeschlossen und um ihre Menschenwürde gebracht. Angesichts dieses Gemütszustandes reicht oftmals ein kleiner Funken, um eine Explosion der Aggressionen und Gewalt auszulösen. Und auch jene Teile der Arbeiterjugend, die noch in intakten Familien und Verhältnissen leben, sind Opfer einer immer mörderischeren Konkurrenz. Sie sehen sich einem immensen Druck ausgesetzt, der sich im Schulstress, in Versagensängsten, in der Gewissheit äußert, dass ein schlechter Schulabschluss oder die falsche Schule ein Leben als prekär Beschäftigter und Hartz IV-Empfänger bedeuten kann. Was Wunder, dass immer mehr Jugendliche immer häufiger und immer früher die Flucht in den Alkohol und anderen Drogen suchen, um sich diesem Leistungsdruck entziehen.

Neben den materiellen, von der Krise des Kapitalismus bedingten Ursachen spielt auch der massive Werteverfall in der Gesellschaft eine gewichtige Rolle bei der Verelendung der jungen Generation. Einerseits bietet die traditionelle Ideologie der herrschenden Klasse immer größeren Teilen der Arbeiterjugend keine Heimat mehr. Ihre Versatzstücke (Familie, Karriere, Nation, etc.) lösen sich im Strudel der Krise des Kapitalismus auf. Ihnen ist schon längst die Fähigkeit abhanden gekommen, die Arbeiterklasse und insbesondere ihre Jugend für ihre ultimo ratio zu mobilisieren. Andererseits ist es der Arbeiterklasse, die gerade dabei ist, ihre Identität wiederzuentdecken, insgesamt noch nicht gelungen, in diese Lücke zu stoßen, d.h. über den bloßen, ökonomischen Widerstand hinauszugehen und ihre historische Alternative wieder in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Noch werden ihre Werte vom Chor des Nihilismus, Hedonismus und des Gewaltkultes übertönt. Das Ergebnis dieses Patts: Die Gesellschaft zerfällt in ihre einzelnen Bestandteile, ihre sozialen und moralischen Bande lösen sich zusehends auf. Einer der Hauptleidtragenden des gesellschaftlichen Zerfalls ist die Jugend, die noch auf der Suche nach einer persönlichen Identität, nach einem Platz in der Gesellschaft ist.

Doch es gibt Anlass zur Hoffnung. Die Arbeiterklasse hat mit der seit 2003 nicht abreißenden Kette von Streiks überall auf der Welt, von Ägypten bis Bangladesh, von Europa bis zu den USA, ein neues Kapitel in ihrem Kampf aufgeschlagen. Es gibt Indizien dafür, dass - anders als die Kämpfe zwischen 1968 und 1989, die letztlich an ihrer fehlenden Politisierung scheiterten - die neue Welle von Kämpfen tiefer gehen wird. Objektive Indizien wie die Tiefe der Krise heute, die keinen Platz für Illusionen mehr lässt, und subjektive Anzeichen wie die Arbeitersolidarität, die bereits in dem einen oder anderen Kampf aufkeimt, oder wie die Massenstreiks, die da und dort, namentlich in Ägypten und Bangladesh, aufflammen. In der Tat ist die Politisierung und Ausweitung des Klassenkampfes der einzige Weg, um den gordischen Knoten, die gegenseitige Neutralisierung der beiden gesellschaftlichen Hauptklassen, zu zerschlagen und eine neue revolutionäre Epoche einzuleiten.

Letztendlich wird erst der revolutionäre Klassenkampf der Arbeiterjugend eine Heimat schaffen und ihren Enthusiasmus wecken. Doch schon jetzt können wir ein wachsendes Interesse junger Menschen an Alternativen feststellen. Sicherlich nimmt sich die Zahl dieser jungen Leute im Vergleich mit dem Rest ihrer Generation noch lächerlich gering aus, doch gegenüber der Lage in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts handelt es sich hier um eine nicht unbedeutende Entwicklung. Sie könnte der Vorbote einer viel breiteren Bewegung in der Zukunft sein, in der die Arbeiterjugend mit ihrem Elan und ihrer Begeisterungsfähigkeit, mit ihrer Unbekümmertheit und Unerschrockenheit wieder an die Spitze der Klassenbewegung rücken wird. 5/08, Conny

Aktuelles und Laufendes: 

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