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Januar 2008

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Ein Bericht über Buchvorstellungen und Diskussionen auf der Nürnberger Buchmesse 2007

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Vom 14. – 16. Dezember 2007 fand die 12. Linke Literaturmesse in Nürnberg statt. Veranstaltet wird dieses Ereignis von dem Archiv und der Bibliothek Metroproletan sowie dem Gostenhofer Literatur- und Kulturverein Libresso in Nürnberg (www.linke-literaturmesse.org [1]). Dort finden jährlich Veranstaltungen, Buchvorstellungen, Lesungen sowie natürlich eine Verkaufsmesse statt. Die IKS hat sich in diesem Jahr vor allem deshalb daran beteiligt, um ihr soeben auf Deutsch erschienenes Buch über die Italienische Kommunistische Linke bekannt zu machen. Wir nutzten unsere Anwesenheit, um uns an den vor Ort stattfindenden Diskussionen zu beteiligen. Es wurden teilweise sehr interessante neue Bücher vorgestellt, und es fand ein anregender Meinungsaustausch nicht nur auf den Veranstaltungen und Buchvorstellungen statt, sondern auch an den Büchertischen und anderswo. Wir wollen an dieser Stelle ein Echo der Diskussionen wiedergeben, wobei wir über unsere eigene Veranstaltung – auf der wir unser neues Buch vorgestellt haben – gesondert berichten werden. 

Demokratie und Reformismus

Da wir erst am Samstagmorgen anwesend sein konnten, bekamen wir die Vorstellung der Ulrike Meinhof-Biografie von Jutta Ditfurth am Freitag Abend nicht mit. Da wir außerdem unseren Büchertisch betreuen mussten, war die Buchvorstellung Kapitalismus versus Barbarei mit dem Autor Michael Klundt (Hrg.) am frühen Nachmittag die erste Veranstaltung, die wir besuchen konnten. Der Autor, ein Vertreter der Linkspartei, wies auf die faktische Entwicklung der  Barbarei in der modernen Welt hin. So z.B. auf die geschätzten 6.000 Menschen, die im vergangenen Jahr bei dem verzweifelten Versuch, von Afrika aus die Kanarischen Inseln und somit das Territorium der Europäischen Union zu erreichen, ertrunken waren. Er schien einseitig die „neoliberalen“ Vertreter der Bourgeoisie dafür verantwortlich zu machen. Bezug nehmend auf eine Formulierung Hitlers, derzufolge die wirtschaftliche Form, welche am besten der politischen Institution der Demokratie entspreche, der Kommunismus sei, deutete er an, dass das Großbürgertum seit 1989 der parlamentarischen Demokratie überdrüssig geworden sei und nach Wegen suche, sich dieser zu entledigen. Vor diesem Hintergrund behauptete er, dass selbst die banalsten Reformprojekte der „Linke“ gegenwärtig eine neue Brisanz gewännen. Wir erwiderten darauf, dass es keine Anzeichen einer solchen Entwicklung gibt. Vielmehr haben die Jahrzehnte nach der Niederlage Hitlerdeutschlands dem „Westen“ zu Genüge bewiesen, dass die Demokratie die ideale Herrschaftsform des modernen Kapitalismus liefert und dass die herrschende Klasse gerade heute, in Zeiten steigender Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse, dieses Mittel der sozialen Kontrolle nicht aus der Hand geben wird. Was den angeblich fortschrittlichen Reformismus der „Linke“ betrifft, so wollten wir wissen, ob der Autor auch die SPD-PDS-Koalition in Berlin dazu zähle. Darauf antwortete er, wie die Anderen auch, mit der Behauptung, dass die Vorläuferregierung an allem Schuld sei. Die Diskussion endete mit der Erörterung der Frage, ob Reformen im heutigen Kapitalismus überhaupt möglich sind.  

Islamismus und westlicher Imperialismus

Der deutsche Journalist Marc Thörner hat seine Erfahrungen als Reporter an der Kriegsfront im Irak oder auch als Beobachter einer Reihe „islamischer“ Länder in Buchform verarbeitet (Der falsche Bart). In seinem Vortrag thematisierte er die Rolle des Westens gegenüber islamistischen Gruppen wie die GIA in Algerien. Er legte dar, wie die Regierung in Algier, mit Unterstützung Frankreichs, die terroristische GIA - eine Abspaltung der ebenfalls islamistischen FIS – instrumentalisierte, um an der Regierung zu bleiben. Auch wies er darauf hin, wie führende islamistische Theoretiker aus bürgerlichen Ideologien des Westens geschöpft haben, vornehmlich aus den antimodernen und antimaterialistischen Strömungen Europas. Am Beispiel Tunesiens zeigte er auf, wie auch Deutschland im Namen des „Kampfes gegen den Terrorismus“ Folterregimes unter die Arme greift und die dortigen Polizeikräfte auch noch ausbildet. Was die Lage im Irak betrifft, so erläuterte er den Strategiewechsel der USA im Irak, die im „sunnitischen Dreieck“ inzwischen auf die alten Baathisten aus dem Umfeld des inzwischen hingerichteten, ehemaligen Diktators Saddam Hussein setzen. In der Diskussion wies die IKS auf die wachsenden sozialen Spannungen in diesem Teil der Welt hin, welche in den offiziellen Medien verschwiegen werden. Wir erwähnten die Streikbewegungen in Ägypten oder Dubai, die Wut der Bevölkerung im Irak auf die angeblich „eigenen“ Terrorgruppen, aber auch die Unzufriedenheit vieler amerikanischer Soldaten im Irak. Letzteres bestätigte Thörner. Dabei sagte er, dass der schlimmste Kriegstreiber in der US-Armee vor Ort nicht einmal das Offizierskorps sei, sondern die Militärgeistlichkeit. 

RAF und Antisemitismus

Joachim Bruhn und Jan Gerber vom Verlag  ça ira (Freiburg im Breisgau) stellten ihr Buch vor: Rote Armee Fiktion. Sie begannen mit einer Einschätzung des Buches von Ditfurth über Ulrike Meinhof, das das „Niveau der Bunte“ (eine deutsche Klatschzeitschrift) habe und das Wesentliche an Meinhof übersehen habe: dass sie politisch ungebildet gewesen und mehr oder weniger zufällig in die Illegalität abgerutscht sei. Ebenso entschieden wandten sich Bruhn und Gerber gegen die von den Medien und der politischen Klasse betriebenen Glorifizierung der Opfer des Terrors. Obwohl Attentate zum Berufsrisiko der Manager und Politiker gehören wie die Staublunge zum Bergarbeiter, habe man noch nie von einer öffentlichen Würdigung des Leidens Letzterer gemerkt. Zu Recht verwiesen die Autoren auf die Sinnlosigkeit terroristischer Anschläge sowie auf ihre Verwurzelung im Unverständnis, dass nicht die Führer, die lediglich „Charaktermasken“ des Kapitals sind, sondern die Funktionsweise des Systems das Grundproblem darstellt. Der geplante Brandanschlag der RAF auf ein Kaufhaus in Frankfurt wurde als Beispiel für den kleinbürgerlichen, vom protestantischen Moralismus beeinflussten Moralismus Meinhofs und ihrer Umgebung genannt: Sie predigten Askese, Reinheit und Lustfeindlichkeit, anstatt zu begreifen, dass es darum geht, Luxus und das schöne Leben allen Menschen zu ermöglichen. Auch die autoritäre Staatsgläubigkeit der RAF wurde anhand des Hangs dieser Gruppe thematisiert, sich gegenüber der Bundesregierung als „Gegenstaat“ aufzuspielen. Unter Hinweis auf die Tradition des Rätekommunismus Anton Pannekoeks und Cajo Brendels wurde auch der „Leninismus“ der RAF kritisiert. Gemeint ist damit die Vorstellung, dass dem Proletariat revolutionäres Bewusstsein von Außen, durch linke Intellektuelle, „vermittelt“ werden müsse. Vor allem wurden die antisemitischen Tendenzen der RAF (Anschläge auf jüdische Einrichtungen, Parteinahme für „die Palästinenser“ im Nahostkonflikt, Begrüßung des Anschlags gegen israelische Sportler bei den Olympischen Spielen von 1972 in München u.a. durch Ulrike Meinhof) thematisiert und ebenso verurteilt wie ihr positiver Bezug auf die deutsche Nation als ein angeblich vom amerikanischen Imperialismus zu befreiendes Subjekt. Es wurde aufgezeigt, wie diese reaktionären Vorstellungen mehr oder weniger zum Allgemeingut der damaligen linken, „antiimperialistischen“ Szene gehörten und zum Teil noch gehören. In unserer Wortmeldung unterstützten wir viele Aussagen in beiden Referaten. Was die Rolle des Antisemitismus betrifft, so hat bereits Trotzki darauf hingewiesen, wie dieser wesentlich zum System des Stalinismus gehörte und zur Stabilisierung des eigenen Regimes zielstrebig eingesetzt wurde. Aber auch wenn August Bebel mit seiner Bezeichnung des Antisemitismus als „Sozialismus des dummen Kerls“ die davon ausgehende Gefahr unterschätzte, so war die marxistische Arbeiterbewegung in Deutschland zurzeit der Antisozialistengesetze nicht antisemitisch, sondern der Vorkämpfer dagegen. Erst die Niederlage der Weltrevolution ermöglichte den Vormarsch des Nationalismus und des Rassismus vor allem mit dem Sieg der stalinistischen Konterrevolution. Was die Bezugnahme auf den Rätekommunismus betrifft, so haben wir darauf hingewiesen, dass für den damaligen „Rätekommunismus“ wie für die Kommunistische Linke insgesamt das wirklich bedeutende und zukunftsweisende Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre weder die RAF noch die Studentenbewegung war, sondern das Wiederauftauchen wilder, illegaler, außergewerkschaftlicher und oft antigewerkschaftlicher Kämpfe der Arbeiterklasse. Wir betonten die Wichtigkeit der Wiederaneignung der Lehren dieser Kämpfe gerade heute, im Vorfeld erneuter größerer Arbeiterkämpfe. Diese Wortmeldung löste eine heftige Reaktion Joachim Bruhns aus. Die positive Bezugnahme der Kommunistischen Linken auf die Arbeiterklasse und ihre Kämpfe teile er keineswegs. Die Nazizeit habe in Deutschland eine Volksgemeinschaft zustande gebracht, einen die Kapitalisten und die Arbeiterklasse einschließenden Mob erzeugt, welcher bis heute Bestand habe. So sei für ihn jede positive Bezugnahme auf Arbeiterkämpfe und Arbeiterforderungen ausgeschlossen. An dieser Stelle mussten wir die Veranstaltung verlassen, um unsere eigene abzuhalten. Wir waren aber dankbar für diese Klarstellung. Sie macht deutlich, dass das Milieu der sog. Antideutschen (zu dem ça  ira und Bahamas gehören), sofern es die Unterstützung eines imperialistischen Lagers gegen ein anderes (jenes Israels und der USA im Nahostkonflikt) zur Leitlinie seiner Politik macht, nichts zu tun haben kann mit der Tradition eines Anton Pannekoek oder Cajo Brendel, welche sich internationalistisch auf die Seite des Proletariats gegen alle imperialistischen Lagern gestellt haben. 

In der Scheiße leben

Ingrid Scherf stellte das lesenswerte Buch von Mike Davis über die Explosion der Megacities vor: Planet der Slums. Davis zieht Parallelen zwischen der Schilderung der Lage der arbeitenden Bevölkerung im Frühkapitalismus durch Friedrich Engels (Die Lage der Arbeiterklasse in England) und das Leben eines Großteils der Menschheit heute. Die Exkremente von fünf Milliarden Menschen werden entweder unbehandelt entsorgt oder nicht einmal das – so dass die Menschen mitten drin leben müssen. Eine Stadt wie Kinshasa in Zentralafrika, welche bald zehn Millionen Einwohner haben wird, verfügt über gar kein Abwassersystem. Davis spricht ein Thema an, welches aus Sicht des Marxismus zu den Grundproblemen der Klassengesellschaft gehört, die eine künftige kommunistische Gesellschaft lösen muss: der wachsende Widerspruch zwischen Stadt und Land. So war es wichtig, dass ein Teilnehmer der Diskussion auf die Notwendigkeit verwies, den Zustrom vom Lande in die Stadt umzukehren. Ingrid Scherf wiederum antwortete darauf, dass dies unmöglich sei, ohne die Ursachen der Landflucht wie die Verarmung der Kleinproduzenten, ihre Vertreibung zugunsten von Weltmarktplantagen, Bürgerkriege usw. zu beseitigen. So entwickelte sich eine Diskussion über die Frage, inwiefern die Slums von heute eine Barriere für die Entwicklung künftiger Kämpfe darstellen aufgrund von Zerfallserscheinungen wie Bürgerkriege, Kriminalität und Bandenwesen, und inwiefern andererseits ein multinationales erwerbstätiges wie auch erwerbsloses Proletariat auch dort entsteht, ohne Vaterland und ohne dass es etwas zu verlieren hat, das sich an einem weltweiten revolutionären Ansturm der Zukunft beteiligen könnte. Es wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Slumgesellschaften weder als homogene noch als passiv-hilflos auf Almosen angewiesene Gemeinschaften zu betrachten. Beispiele wurden gegeben von Kämpfen der Bewohner für den Anschluss an den öffentlichen Verkehr und an andere Infrastrukturen – nicht zuletzt um zur Arbeit gelangen zu können. Dies weist auf die Rolle der lohnarbeitenden, proletarisierten Schichten in diesen Teilen der Welt und der Gesellschaft hin. Auch wurde thematisiert, dass aufgrund der Erwerbslosigkeit der Männer zunehmend Arbeiterfrauen aktiviert werden. Schließlich regte eine junge Teilnehmerin ein Nachdenken über die Slumentwicklung in den kapitalistischen Metropolen an. Dies veranlasste Ingrid Scherf zu der Bemerkung, dass beispielsweise in New York die schlimmsten Elendsviertel inzwischen abgetragen worden sind, ohne dass Klarheit darüber herrsche, was aus ihren einstigen Bewohnern geworden sei. 

Die Macht des Geldes

Theo Wentzke vom GegenStandpunkt Verlag stellte sein Buch Das Geld vor. Wir werden seine langen und aus unserer Sicht korrekten und interessanten Ausführungen dazu nicht wiedergeben. Sein Buch ist lehrreich und lesenswert. Man kann das alles natürlich auch bei Marx im Kapital nachlesen. Nachteilig an dieser Buchvorstellung wie auch an der von ça ca ira oder von Robert Kurz (worauf wir gleich zu sprechen werden) war, dass die Einleitungen fast die gesamte vorgesehene Zeit ausfüllten (eine Stunde). Bei der Veranstaltung zur RAF wurde eine Diskussion nur dadurch ermöglicht, dass der Raum am Abend nicht mehr gebraucht, somit die Zeit überzogen werden konnte. Diese Unart erinnert an die Uni, wo der Professor lehrt und die Schüler zuhören, um zu lernen (oder auch nicht). Es entspricht keineswegs dem kollektiven Charakter der Arbeiterklasse, deren Bewusstseinsentwicklung grundsätzlich nur kollektiv vonstatten geht.Somit konnten auch hier am Ende nur wenige kurze Fragen gestellt werden. Ein Genosse vom rätekommunistischen Kreis Revolution Times widersprach zu Recht unter Hinweis auf die Lohnarbeit, Warenproduktion und Geldwirtschaft, Ausbeutung und Entfremdung der Produzenten von ihrem Produkt und ihr Ausschluss von der Bestimmung über die Produktion der Behauptung Wentzkes, derzufolge in den stalinistischen Ländern kein Kapitalismus geherrscht habe. Die IKS wiederum wies darauf hin, dass der Vortrag wesentliche Folgen der kapitalistischen Geldwirtschaft außer Acht gelassen hatte, welche für Marx zentral waren, insbesondere die Überproduktionskrise und die Verarmung des Proletariats aufgrund der Entwicklung der Massenarbeitslosigkeit (industrielle Reservearmee resp. „Surplusbevölkerung“). Wentzke erklärte, diese Aspekte seien nur wegen Zeitmangels nicht angesprochen wurden. Eine Aussage, die wir bemerkenswert finden. Wir haben ganz andere Veranstaltungen von GegenStandpunkt erlebt, wo die Idee der Überproduktionskrise als Blödsinn abgekanzelt wurde. Denn die Frage der Krise stellt die Frage des Klassenkampfes und die Notwendigkeit der Revolution – Fragen, mit denen GSP bislang nichts zu tun haben wollte. 

Die Frage der „nachholenden Modernisierung“

Unter dem Titel „Kapitalismuskritik light“ stellte Robert Kurz kein neues Buch vor, sondern einen neuen Arbeitskreis: Exit, der sich von Krisis abgespalten hat. Diese Gruppe treibt u.a. die Frage an: Was war das 1989 zusammengebrochene System im Osten? Was war die damit verbundene „alte“ Arbeiterbewegung? Seine Antwort: ein Prozess der „nachholenden Modernisierung“. Soll heißen: anstatt antikapitalistisch zu sein, hat die alte Arbeiterbewegung, haben Gewerkschaften, Sozialdemokratie sowie der „Kommunismus“ des Ostblocks dem Kapitalismus den Weg gebahnt. Einige Altstalinisten empörten sich über die Idee, dass die Ostblockstaaten nicht sozialistisch gewesen seien, und meinten, mit dieser Behauptung verabschiede man sich überhaupt von der Idee des Sozialismus. Die Kritik der IKS setzte an einer ganz anderen Stelle an. Wir begrüßten die Feststellung, dass die Ostblockländer nicht sozialistisch, sondern kapitalistisch waren. Zugleich äußerten wir die Befürchtung, dass der Begriff der nachholenden Modernisierung zu einer Beschönigung des Stalinismus führen könnte. Denn aus unserer Sicht ist der Stalinismus nicht nur kein Sozialismus gewesen, sondern nicht einmal eine  fortschrittliche Entwicklung des Kapitalismus oder eine Tendenz zum Kapitalismus, sondern die Konterrevolution gegen die proletarische Weltrevolution. Das Wesen des Stalinismus war die Vorstellung des „Sozialismus in einem Land“, d.h. der Glaube an die Möglichkeit einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung durch eine Abkoppelung vom Weltmarkt (Autarkie). Damals führten die Marxisten zwei Hauptargumente gegen diese Auffassung an. Zum einen zeigten sie auf, dass der Sozialismus in einem Land unmöglich ist, da der Kapitalismus ein Weltsystem ist und nur als solches überwunden werden kann. Zum anderen wiesen sie darauf hin, dass nicht nur der Sozialismus, sondern selbst eine fortschrittliche Entwicklung des Kapitalismus in einem Land – also abgetrennt vom Weltmarkt – unmöglich, ja eine reaktionäre Utopie darstellt. Das Scheitern des Stalinismus wie auch anderer Autarkiemodelle - wie des Kemalismus in der Türkei - hat in den letzten Jahren diese Aussagen bestätigt.In seiner Erwiderung behauptete Robert Kurz, diese von uns vertretene Argumentationslinie führe geschichtsphilosophische Begriffe wie „fortschrittlich“ oder „reaktionär“ in die Diskussion ein, welche aus der Zeit der Aufklärung und von Hegel stammen und heute fragwürdig geworden sind. Darauf entgegneten wir, dass die Vorstellung, wonach der Kapitalismus, wie jede andere Produktionsweise, nach einer Phase der Förderung der Entwicklung der Gesellschaft zu einer Fessel dieser Entwicklung wird, nicht von Hegel stammt, sondern zu den Grundlagen des zuerst von Marx entwickelten historischen Materialismus gehört. Aufgrund von Zeitmangel konnte jedoch diese Diskussion leider nicht fortgeführt werden.Abgesehen von dieser Frage konzentrierte sich der Vortrag von Kurz im Wesentlichen auf eine Kritik an anderen gängigen „linken“ Auffassungen, die er als „Kapitalismuskritik light“ bezeichnete. Dabei ging er wesentlich behutsamer vor als ein Vertreter der „Antideutschen“, der die „Globalisierungsgegner“ von Heiligendamm undifferenziert als „antisemitischen Mob“ bezeichnete. Was allerdings Kurz wie viele andere „Marxologen“ aus unserer Sicht kennzeichnet, ist, dass sie nichts als Kritik und keine Perspektiven anzubieten haben. Dabei rührt der Reichtum beispielsweise der von Marx entwickelten Kritik an der „politischen Ökonomie“ gerade daher, dass er den Kapitalismus vom Standpunkt seiner Überwindung aus betrachtete – vom Standpunkt des Kommunismus.  Dez 2007,

Gegen die Angriffe der Regierung müssen wir alle gemeinsam kämpfen

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Im Namen einer „gerechteren Gesellschaft“ haben Sarkozy und seine Milliardärskumpels die Unverfrorenheit, uns aufzufordern, die Abschaffung bzw. Änderung der „Sonderrentenrechte“ zu akzeptieren und 40 Jahre lang für die Rente zu arbeiten. Was die Eisenbahnarbeiter, die Beschäftigten der RATP, der Gas- und Elektrizitätswerke fordern, wurde deutlich in ihren Hauptversammlungen zum Ausdruck gebracht: Sie wollen keine „Privilegien“, sie wollen die siebenundreißigeinhalb Jahre für alle! Wenn dieser Angriff auf die „Sonderrentenrechte“ hingenommen wird, dann wird, wie die ArbeiterInnen sehr gut wissen, der Staat demnächst von uns fordern, erst 41, dann 42 Jahre lang Beiträge zu leisten, um eine vollständige Rente zu erhalten – möglicherweise sogar noch länger, wie in Italien (das demnächst zu einem Renteneintrittsalter von 65 übergehen wird) oder in Deutschland und Dänemark, wo das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre ausgedehnt wurde.

In den Universitäten hat diese Regierung (in Komplizenschaft mit der UNEF – der französischen Studentengewerkschaft – und der Sozialistischen Partei) klammheimlich ein Gesetz verabschiedet, das Tür und Tor öffnet für ein Universitätssystem der zwei Geschwindigkeiten: auf der einen Seiten ein paar „Eliteuniversitäten“, die für die Studenten mit dem besten Abschluss reserviert sind, und auf der anderen Seite eine Masse von niederen Universitäten, die die meisten jungen Studenten, die aus ärmeren Verhältnissen kommen, auf ihre künftige Rolle als arbeitslose oder prekäre ArbeiterInnen vorbereiten.

Im Öffentlichen Dienst stellt sich die Regierung darauf ein, bis 2012 300.000 Arbeitsplätze zu vernichten, und dies just zu einer Zeit, in der LehrerInnen sich überfüllten Klassenzimmern gegenübersehen und in der eine wachsende Zahl von Staatsangestellten dazu gezwungen wird, immer mehr Aufgaben zu erfüllen und immer mehr Stunden zu arbeiten. Im privaten Sektor finden alle Nase lang Stellenabbau und Entlassungen statt, und dies zu einer Zeit, in der die Sarkozy-Regierung eine Reform des Arbeitsrechts ausheckt, deren Schlüsselwort „Flexi-Sicherheit“ lautet, die es den Arbeitgebern noch leichter machen wird, uns auf die Straße zu werfen. Ab dem 1. Januar 2008 werden wir neue Gesundheitsbeiträge zahlen dürfen, die von gestiegenen Rezeptgebühren, von wachsenden Krankenhausgebühren (eingebracht vom früheren Minister Ralite, einem Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs), von einer Gebühr in Höhe von 90 Euros für medizinische Operationen, etc. begleitet werden.

Sarkozy fordert uns auf, „mehr zu arbeiten, um mehr zu verdienen“. Doch tatsächlich werden wir dazu aufgefordert, mehr zu arbeiten und weniger zu verdienen. Der Schwindel erregende Fall in der Kaufkraft wird nun auch noch von einem exorbitanten Preisanstieg aller Grundnahrungsmittel flankiert: Milchprodukte, Brot, Kartoffeln, Obst und Gemüse, Fisch, Fleisch... Gleichzeitig schnellen die Mietpreise in die Höhe: Immer mehr ProletarierInnen leben in unsicheren oder ungesunden Wohnverhältnissen. Immer mehr ProletarierInnen, selbst jene mit einem Job, sinken in die Armut, sind nicht in der Lage, sich eine anständige Ernährung, Wohnung und Gesundheitsfürsorge zu leisten. Und doch erzählen sie uns: „Es ist noch nicht vorbei“. Die Zukunft, die sie für uns parat halten, die Angriffe, die sie uns versprechen, werden noch schlimmer sein. Und dies, weil die französische Bourgeoisie nun versucht, zu ihren Rivalen in den anderen Ländern aufzuschließen. Angesichts der Verschlimmerung der Krise des Kapitalismus, der Verschärfung der Konkurrenz auf dem Weltmarkt müsse man „konkurrenzfähig“ sein. Dies bedeutet die Steigerung der Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse.

Der einzige Weg, sich diesen Angriffen zu widersetzen, ist die Aufnahme des Kampfes

Der Zorn und die Unzufriedenheit, die sich heute auf den Straßen und den Arbeitsplätzen artikuliert, konnte sich nur verbreiten, weil überall die ArbeiterInnen mit der Notwendigkeit konfrontiert sind, auf die gleichen Angriffe zu reagieren. Seit 2003 hat die Arbeiterklasse (die laut der Bourgeoisie eine „überholte Idee“ ist) ihren Willen demonstriert, Widerstand zu leisten gegen die Angriffe auf die Renten 2003 in Frankreich und Österreich, gegen die Reform des Gesundheitswesens, gegen Entlassungen in den Schiffswerften im spanischen Galizien 2006 oder im Automobilsektor in Andalusien im letzten Frühjahr. Heute kämpfen ihre Klassenbrüder bei den deutschen Eisenbahnen für Lohnerhöhungen. In all diesen Kämpfen, von Chile bis Peru, von den Textilarbeiterinnen in Ägypten bis zu den Bauarbeitern in Dubai, wird das Entstehen eines tiefen Gefühls der Klassensolidarität sichtbar, welches die Ausweitung der Kämpfe gegen die gemeinsam erlittene Ausbeutung vorantreibt. Dieselbe Klassensolidarität erhob ihr Haupt in der Studentenbewegung gegen die CPE im Frühjahr 2006 und befindet sich im Zentrum der heutigen Bewegung. Vor nichts fürchtet sich die Bourgeoisie mehr als davor.

Die Gewerkschaften spalten und sabotieren die Antwort der ArbeiterInnen

Zuerst dem Sonderrentenrecht besonders in Bereichen wie den öffentlichen Transport (SNCF, RATP) und der Energie (EDF, GDF) an den Kragen zu gehen erbringt dem Staat nur lächerliche Ersparnisse. Es handelt sich um eine rein strategische Wahl, die darauf ausgerichtet ist, die Arbeiterklasse zu spalten. Die Linke und die Gewerkschaften sind im Grunde völlig in Übereinstimmung mit der Regierung. Sie haben stets die Notwendigkeit von „Reformen“ hervorgehoben, besonders auf dem Gebiet der Renten. Mehr noch, es war der frühere sozialistische Premierminister Ricard gewesen, der Anfang der 1980er Jahre das „Weißbuch“ über die Renten produziert hatte, das als Blaupause für all die Angriffe diente, welche von den folgenden Regierungen, linken wie rechten, in die Praxis umgesetzt wurden. Die Kritik, die heute von den Linken und den Gewerkschaften geübt wird, gilt lediglich der Form: Die Angriffe seien nicht „demokratisch“ beschlossen worden, es habe nicht genügend „Konsultationen“ gegeben. Da die Linken zeitweilig raus aus dem Spiel sind, fällt die entscheidende Rolle bei der Kontrolle der Arbeiterklasse den Gewerkschaften zu. Letztere teilen sich die Arbeit mit der Regierung und unter sich auf, mit dem Ziel, die Antwort der ArbeiterInnen zu spalten und zu sabotieren. Die Bourgeoisie muss vor allem die ArbeiterInnen vom öffentlichen Transportsektor isolieren, sie von der restlichen Arbeiterklasse abschneiden.

Dies im Hinterkopf, hat die Bourgeoisie die gesamten Medien aufgeboten, um den Streik zu diskreditieren und die Idee zu streuen, dass andere ArbeiterInnen von einer egoistischen Minderheit privilegierter Arbeiter zur Geisel genommen werden, indem sie ausgiebigen Gebrauch von der Tatsache machte, dass der vom „Sonderrentenrecht“ am meisten betroffene Sektor der öffentliche Transport ist. Sie zählte dabei auf die Unbeliebtheit eines langen Transportstreiks, besonders in der SNCF (traditionell der kämpferischste Bereich, wie in den Streiks vom Winter 1986/87 und 1995), um die „Passagiere“ gegen die Streikenden aufzubringen.

Jede Gewerkschaft spielte ihre Rolle bei der Spaltung und Isolierung der Kämpfe:

  • Die FGAAC (die kleine Zugführergewerkschaft, welche lediglich drei Prozent der SNCF-ArbeiterInnen respräsentiert, aber immerhin 30 Prozent aller Zugführer) rief, nachdem sie zu einer „Neuauflage“ des Streiks am 18. Oktober zusammen mit den Gewerkschaften SUD und der FO aufgerufen hatte, noch am Abend der Demonstration zu Verhandlungen mit der Regierung, um einen „Kompromiss“ und einen speziellen Status für die Zugführer auszuarbeiten, und schließlich zur Wiederaufnahme der Arbeit am nächsten Morgen auf, übernahm also die Rolle des durchtriebenen „Verräters“.

  • Die CFDT (eine Gewerkschaft, die mit der Sozialistischen Partei verlinkt ist) rief nur die Eisenbahnarbeiter zum Streik und zur Demonstration an diesem Tag auf, um „nicht alle Probleme und Forderungen zu vermischen“, um ihren Generalsekretär Chereque zu zitieren; anschließend beeilte sie sich, ausgerüstet mit derselben Taktik, zur Suspendierung des Streiks in der SNCF und zur Rückkehr zur Arbeit in anderen Bereichen aufzurufen, sobald die Regierung ihre Absicht ankündigte, Verhandlungen von Unternehmen zu Unternehmen zu eröffnen.

  • Die CGT, die Hauptgewerkschaft (die mit der Kommunistischen Partei verbunden ist), spielte eine ausschlaggebende Rolle bei dem Manöver, die ArbeiterInnen zurückzudrängen. Sie beschränkte sich selbst auf einen 24-stündigen Streik am 18. Oktober (und überließ es den regionalen Gewerkschaften, die „Initiative“ bei der Verlängerung des Streiks zu übernehmen). Dann übernahm sie die Initiative bei der Ausrufung eines neuen Eisenbahnerstreiks, diesmal für den 13. November, und scharte andere Sektoren und Gewerkschaften hinter diesem Vorschlag. Am 10. November bat der Generalsekretär der CGT, Thibault, die Regierung, multilaterale Verhandlungen (Regierung, Management und Gewerkschaften) über die Sonderrechte zu eröffnen (was nichts als ein Bluff war, weil es die Regierung ist, die den Direktoren öffentlicher Unternehmen direkt ihre Politik diktiert); zwei Tage später, am 12., dem Vorabend des Streiks, rief sie zu einer neuen Initiative auf: Sie schlug erneute multilaterale Verhandlungen vor, diesmal von Unternehmen zu Unternehmen. Dies hieß, die ArbeiterInnen für Idioten zu halten, weil es exakt dieser Rahmen war, den die Regierung ursprünglich anstrebte, um ihre Reformen voranzutreiben, nämlich die Verhandlung zu stückeln, Unternehmen für Unternehmen, Fall für Fall. Diese Kehrtwendung provozierte wütende Reaktionen in den Hauptversammlungen, was die Gewerkschafts“basis“ dazu zwang, die Fortsetzung des Streiks zu befürworten.

  • FO und SUD (eine Gewerkschaft, die von der trotzkistischen Ligue Communiste Revolutionaire unter der Führung von Olivier Besancourt gelenkt wird) versuchten, den Streik noch einige Tage nach dem 18. Oktober mittels einer Minderheit weiterlaufen zu lassen, und fuhren fort, sich gegenseitig dabei zu überbieten, die radikalste Gewerkschaft zu sein. Sie drängten die ArbeiterInnen dazu, den neuaufgelegten Streik bis zum All-Gewerkschafts-Streik am 20. November im Öffentlichen Dienst fortzuführen, und riefen dazu auf, Kommandoaktionen wie die Blockierung der Schienen durchzuführen, statt danach zu streben, den Kampf auf andere Sektoren auszuweiten.

  • Ein Führer der UNSA, ebenfalls Anhänger einer Streik-Neuauflage, erklärte, dass die Demonstrationen getrennt stattfinden sollten und dass die Eisenbahnarbeiter nicht mit öffentlichen Angestellten marschieren sollten, weil „sie nicht dieselben Forderungen haben“.

In dieser Phase gelang es all diesen Gewerkschaften, bei der EDF und der GDF eine ruhige Rückkehr zur Arbeit zu bewerkstelligen. Am Mittwoch, den 21., unmittelbar nach der Demonstration, traten die sechs Gewerkschaftsverbände mit einer Plattform von spezifischen Forderungen in die Verhandlungen über die Zukunft der Eisenbahner.

Um wirksam zu kämpfen, können wir uns nur auf uns selbst verlassen!

Trotz des Bestrebens der Regierung, den Arbeiterwiderstand zu brechen, trotz aller gesetzlicher Verbote, die samt und sonders darauf abzielten, die Rückkehr zur Arbeit zu erzwingen, trotz der Komplizenschaft der Gewerkschaften und ihrer Sabotagearbeit blieb nicht nur der Zorn und die Militanz der ArbeiterInnen erhalten; zunehmend machte sich auch die Erkenntnis von der Notwendigkeit breit, die verschiedenen Kämpfe zu vereinen. Zum Beispiel in Rouen am 17. November, wo Studenten von der Fakultät von Mont-Saint-Aignan loszogen, um streikende Eisenbahnarbeiter aufzusuchen, gemeinsam mit ihnen aßen und an ihren Hauptversammlungen wie auch an der Operation „Freie Passage“ auf der Autobahn teilnahmen. Allmählich kommen Keime der Idee von der Notwendigkeit eines massiven und vereinten Kampfes der gesamten Arbeiterklasse gegen die unvermeidliche Häufung von Angriffen seitens der Regierung zum Vorschein. Damit dieser Kampf Realität wird, müssen die ArbeiterInnen die Lehren aus der Gewerkschaftssabotage ziehen. Um wirksam zu kämpfen, um den Kampf auszuweiten, können sie sich nur auf sich selbst verlassen. Sie haben keine andere Wahl, als durch ihre eigenen Kämpfe die Sache selbst in die Hand zu nehmen und die Fallen sowie spalterischen Manöver der Gewerkschaften zu demaskieren. Mehr als jemals zuvor liegt die Zukunft in der Weiterentwicklung des Klassenkampfes.

Wm 18.11.07

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Aktuelles und Laufendes: 

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Intervention von IKS-Mitgliedern auf zwei Eisenbahnerversammlungen

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Am Montag, den 19. November, nahm in einer großen Provinzstadt eine kleine Gruppe von Studenten, die auf unserer letzten öffentlichen Veranstaltung gewesen war, eine Delegation von älteren politisierten Arbeitern, Mitglieder der IKS, zu zwei Hauptversammlungen von Eisenbahnern mit. Da die Gewerkschaften darauf geachtet hatten, dass diese Versammlungen in verschiedene Sektoren aufgespalten wurden, teilten sich unsere Genossen auf, um auf beiden Versammlungen zu reden: auf einer Versammlung des Bahnhofspersonals und auf einer Versammlung der Lokführer.

In beiden Versammlungen gab es einen herzlichen Empfang durch die Eisenbahner. Auf dem Treffen des Bahnhofspersonals stellte sich unser Genossen mit den Worten vor, dass er kein Eisenbahner sei, sondern ein pensionierter Arbeiter, dass er dennoch gekommen sei, um seine Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Er fügte hinzu, dass er, wenn möglich, gern sprechen würde, um seine Gedanken darzulegen über das, was Solidarität bedeutet. Die EisenbahnerInnen, die ihn willkommen geheißen hatten, dankten ihn für sein Kommen und sagten: „Natürlich kannst du sprechen.“

Die Versammlung begann gegen halb zwölf und endete gegen halb eins. In der Leitung der Versammlung saß ein Haufen Gewerkschaftsrepräsentanten: FO, CFDT, CFTC, CGT, SUD... Jeder von ihnen hielt eine Rede, in der er uns an die Forderungen der Bewegung erinnerte und sagte, dass es notwendig sei, ein Kräfteverhältnis „auf höherer Stufe“ zu etablieren; in der er die Verhandlungen, die erst kürzlich angekündigt worden waren, als eine Perspektive für den Kampf darstellte und darauf bestand, dass die Versammlungen entscheiden müssen – dies alles jedoch mit einem stark regionalistischen Unterton. Nicht nur, dass es eine Versammlung für einen einzigen Bereich war; darüber hinaus mangelte es ihren Interventionen an jeglichem Interesse für die Lage der Studenten und der Angestellten des Öffentlichen Dienstes. Ein Gewerkschaftsdelegierter behauptete gar, dass die Perspektive darin bestünde, zu kämpfen, um „Reformen zu erlangen“, und nicht darin, gemeinsam zu kämpfen, da es nicht die Orientierung der Gewerkschaften sei, alles zu „revolutionisieren“. Der CFDT-Repräsentant äußerte, dass die regionale Föderation nicht mit der nationalen Führung übereinstimme, die zur Beendigung des Streiks aufgerufen hatte.

Im Anschluss an diese Reden ging ein junger Eisenbahner auf unseren Genossen zu und sagte: „Du kannst sprechen, wenn du möchtest.“ Die Gewerkschaftsredner, die begriffen, was vor sich ging, sagten, dass es notwendig sei, noch ein bisschen zu warten, ehe man ihm das Wort erteilt. Zunächst müsse man zur Abstimmung über den erneuerbaren Streik schreiten, erst dann könne man den seinen Vorschlägen zum weiteren Vorgehen zuhören. Dies beweist nur, dass am Vorabend der Demonstration vom 20. November die Gewerkschaftsrepräsentanten sich veranlasst sahen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dagegen unterließ sie es im öffentlichen Sektor, aus Solidarität mit den Eisenbahnern zum Kampf aufzurufen (1). Es lag auf der Hand, dass die Gewerkschaften nicht begierig auf diese „Minderheit“ von Studenten waren, die nur Ärger bereiten konnten und ihre „Kiste der Ideen“ (nach dem Modell der Bewegung gegen den CPE im Frühjahr 2006) zur Eisenbahnerversammlung mitbrachten, die die Gewerkschaftsfunktionäre als ihr Privateigentum betrachteten. Diese Art von Versammlung, organisiert, gemanagt und sabotiert von den Gewerkschaften, sah keine wirkliche Diskussion, keinen Gedankenaustausch vor, ja erlaubte sie nicht. Und doch gab es eine ganz reale Wut und Kampfbereitschaft. Von den 117 Stimmen stimmten 108 EisenbahnerInnen für die Wiederaufnahme des Streiks. Erst nach der Abstimmung wurde unser Genosse ans Mikrophon gelassen. Für die Gewerkschaften waren Vorschläge von „auswärtigen Elementen“ nicht dazu da, von den EisenbahnerInnen diskutiert zu werden. Hier ist der Inhalt seiner Intervention:

„Ich bin kein Eisenbahner. Ich bin Rentner. Doch ich bin gekommen, um meine Solidarität mit eurem Kampf auszudrücken. Von ‚außen‘ besehen, gibt es heute etliche Kämpfe gegen die Angriffe, die das Leben der ArbeiterInnen und die Arbeitsbedingungen betreffen. Ihr, die ihr für eure Renten kämpft, die Studenten, die in Zukunft Arbeiter sein werden und die gegen eine Reform kämpfen, die bestimmte Hochschulen in niedere Universitäten verwandelt, die Angestellten des Öffentlichen Dienstes (wie jene von der Nationalen Bildung) werden morgen demonstrieren, da ihre Arbeitsbedingungen immer unerträglicher werden und ein Haufen Jobs flöten gegangen sind. All diese Kämpfe sind derselbe Kampf für die Verteidigung unserer Lebensbedingungen. Ich habe gerade gehört, dass wir ein Kräfteverhältnis auf einer ‚höheren Stufe‘ durchsetzen sollten. Ich stimme dem zu. Doch wie bewerkstelligen wir dies? Ich denke, dass wir alle zusammen kämpfen müssen. Dies deshalb, weil es eine Menge Solidarität seitens der Lohnabhängigen gegenüber den Studenten gab, so dass angesichts massiver Demonstrationen gegen den CPE die Regierung am Ende zurückweichen musste. Morgen müssen wir in großer Zahl zur Demonstration gehen, aber ich denke auch, dass es gut wäre, wenn es einen Banner gäbe, wo so etwas wie ‚Eisenbahner, Studenten, öffentliche Angestellte: alle vereint im Kampf‘ draufsteht. Und schließlich ist es am Ende der Demo nötig, dass die Eisenbahner, statt nach Hause oder in ein Café zu gehen, mit den Studenten, die öffentlichen Angestellten mit den Eisenbahnern und Studenten diskutieren. Wir müssen miteinander diskutieren, weil wir nur so beginnen können, die benötigte Einheit zu schmieden. Der einzige Weg, um uns selbst gegen die Attacken zu verteidigen, ist, diese Einheit zu bilden.“ Die Intervention erhielt einen freundlichen Beifall.

Bevor die Versammlung begonnen hatte, hatte unser Genosse ein wenig mit den Eisenbahnern über die Lügen in den Medien diskutiert. Diese Lügen sind jedem klar, außer den Blinden und den Tauben (und den Gegendemonstranten von Liberté Cherie). Am Ende der Versammlung kam er noch einmal mit einer kleinen Gruppe von jungen Eisenbahnern ins Gespräch. Er fragte sie: „Wie denkt ihr über ein gemeinsames Banner?“ Einer von ihnen antwortete: „Eigentlich sind die meisten dafür, aber die Gewerkschaften sind dagegen.“ Deutlicher kann man sich kaum über die spalterische Rolle der Gewerkschaften äußern. Dennoch entwickelt sich, trotz des Widerstandes der Gewerkschaften, allmählich die Idee der Einheit und Solidarität unter allen ArbeiterInnen.

In der anderen Hauptversammlung, der der Lokführer, wurden unsere Genossen, welche die Studenten begleiteten, gleichfalls sehr herzlich willkommen geheißen. Sie waren in der Lage, zu intervenieren, um dieselbe Orientierung wie unsere anderen Genossen zu vertreten. Die Studenten waren begeistert über die Idee eines gemeinsamen Banners. Die Interventionen der Studenten und unserer Genossen stießen auf offene Ohren, trotz der Tatsache, dass die Lokführer noch immer die Illusion hatten, dass sie sich allein erfolgreich verteidigen könnten, da sie den Verkehr lahmlegen könnten. Es ist aber die Einheit der ArbeiterInnen und nicht das simple „Blockieren“, was die Stärke der Arbeiterklasse ausmacht. Dieser Fetisch des „Blockierens“ ist heute das neue Ass im Ärmel der Gewerkschaften und bezweckt die Verhinderung jeglicher wirklichen Ausweitung und Vereinigung der Kämpfe.

Seit dem 18. Oktober ging es darum, eine Klasseneinheit gegen die spalterische Arbeit der Gewerkschaften zu bilden. Doch wie diese kleine Gruppe von Studenten in einer Diskussion mit uns nach der Versammlung sagte: „Die Attacken der Bourgeoisie gegen alle Bereiche der Arbeiterklasse sind so breit gefächert, dass dies nur die Tendenz zur Einheit der Kämpfe erleichtern kann.“ Diese kleine Studentengruppe hat sehr gut verstanden, was ein Student von der Universität von Cenesier in Paris 2006 gesagt hatte: „Wenn wir alle allein kämpfen, werden sie uns zum Frühstück verspeisen.“ Und weil sie nicht ihre Eisenbahner-Genossen der Isolation überlassen wollten, die ansonsten von den Milizen des Kapitals aufgemischt worden wären, hielten sie Ausschau nach der Solidarität von authentischen Kommunisten (einige von ihnen waren in den 70er und 80er Jahren von der CGT-Gewerkschaft physisch angegriffen worden). Es trifft allerdings zu, dass seit dem Fall der Berliner Mauer die CGT und die so genannte Kommunistische Partei sehr viel „demokratischer“ geworden sind. Die Studenten, die in der Lage gewesen waren, die Tür zu den Eisenbahnerversammlungen (die im Gefängnis der örtlichen Gewerkschaftsfunktionäre gehalten wurden) aufzustoßen, sagten unseren Genossen: „Es ist großartig, solche ‚Eltern‘ wie euch zu haben.“ Sie sind völlig anders als die „aufbegehrenden“ Studenten Ende der 60er Jahre, die so sehr von der „Generationenlücke“ gezeichnet waren und die in ihrer Rebellion gegen ihre Eltern, die den Terror des Nazismus und Stalinismus erlebt hatten, zu Slogans griffen wie: „Bringt die ältere Generation in die Konzentrationslager!“ (2).

Die Intervention unserer Genossen bezweckte nicht, Mitgliedskarten zu verkaufen und zu jedem Preis zu rekrutieren, da die IKS anders als die Trotzkisten und andere Organisationen der „Linken“ keine Organisation ist, die am bürgerlichen Wahlzirkus teilnimmt. Auch ist es nicht ihr Ziel, „der Bewegung unter die Arme zu greifen, wie einige Anti-Partei-Ideologen denken. Was jene anbelangt, die weiterhin blinden Alarm schlagen und vor den zähnefletschenden Bolschewiki warnen, so können wir nur dazu raten, endlich einmal die tatsächliche Geschichte kennenzulernen und nicht die Lügen der bürgerlichen Propaganda zu wiederholen. Die neue Generation der Arbeiterklasse, ob Eisenbahner oder Studenten, entdeckt die Wahrheit über die reale „Demokratie“ und über die wahre Solidarität, selbst wenn sie noch Illusionen hat und nicht auf die Schule der Erfahrung verzichten kann. Der Mut, den sie schon jetzt besitzt, wo sie gerade beginnt, den Direktiven der Gewerkschaftsbosse nicht zu folgen und die wahre Kultur der Arbeiterklasse zum Leben wiederzuerwecken, zeigt, dass die Zukunft der Menschheit immer noch in ihren Händen liegt.

GM, November 2007

Geographisch: 

  • Frankreich [2]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [3]

Lohnkampf der Krankenschwestern in Finnland im Herbst 2007

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In Finnland gab es neulich eine ungewöhnliche Arbeitskampfmethode der Krankenschwestern. Die Gewerkschaft für das Krankenpflegepersonal, Tehy, hatte ihre Mitglieder dazu aufgerufen, zum 19. 11. 2007 ihre Arbeitsstelle zu kündigen, sollte der kommende Tarifvertrag ihre Forderungen nicht erfüllen. Die Gewerkschaft fordert 430 bis 650 Euro pro Monat, zu realisieren innerhalb der kommenden zweieinhalb Jahre. Die Unzufriedenheit unter dem Krankenhauspersonal war groß, der durchschnittliche Lohn bei Krankenschwestern mit mehrjähriger Berufserfahrung liegt so um die 1400,00 Euro netto. Knapp 13 000 KrankenpflegerInnen hatten sich verpflichtet, gemeinsam zu kündigen. Das ist ungefähr die Hälfte der Pflegepersonals in finnischen Krankenhäusern. Sie hatten die Nase voll, ließen sich auch nicht durch der Hetzkampagnen seitens der Regierung und der Medien von ihrem Vorhaben abbringen. Die schlecht bezahlten Krankenschwestern und Pfleger hatten große Sympathie bei den Arbeitern, die wussten, dass es notwendig ist, sich gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu wehren. Die Protestierenden hatten auch die Gewissheit, wiedereingestellt zu werden, da es in Finnland an Pflegepersonal mangelt.

Die jetzige Mitte-Rechts-Regierung unter dem ‚liberalen’ Ministerpräsident Matti Vanhanen ist erst im März dieses Jahres gewählt worden. Die Lohnforderung des Krankenhauspersonals entspricht dem Wahlversprechen des rechten Koalitionspartners. Sie hatten versprochen, im Falle ihres Wahlsieges die Gehälter um 540 Euro zu erhöhen, um so, wie es hieß, den europäischen Standard zu erreichen. Das hatten die Betroffenen ernst genommen.

Die Krankenhausverwaltungen warnten vor chaotischen Zuständen. Die Arbeitgeber drohten zudem, dass es keine automatische Wiedereinstellung nach Beendigung des Konfliktes geben werde. Sie warfen den kämpfenden Krankenschwestern vor, dass diese Arbeitskampfmaßnahme Menschenleben aufs Spiel setze. Wer Menschenleben wirklich aufs Spiel setzt, dazu nur ein Beispiel aus dem ganz normalen üblichen Alltag: Wie überall werden auch in Finnland viele Kliniken geschlossen, so dass Geburten im Krankenwagen keine Seltenheit mehr sind. In Lappland kann der Weg zur Klinik 500 km betragen, aber das Problem ist kein typisches für Lappland, in Süd - Finnland werden sogar noch mehr Kinder im Krankenwagen geboren.

Die Arbeitgeber riefen nach Gesetzesänderungen, um Arbeitskämpfe in „kritischen“ Bereichen einschränken zu können. Die Arbeitgeber klagten vor dem Arbeitsgericht, dass 800 Kündigungen rechtswidrig wären. Sie bekamen recht. Die 800 Krankenschwestern mussten ihre Kündigungen zurückziehen, da sie als Beamte laut Gerichtsbeschluss gar nicht an Arbeitskämpfen teilnehmen dürften und die Kündigungen ja eine Arbeitskampfmaßnahme wären. Die Gewerkschaften versuchten, wie so oft, den Kampf der Arbeiterklasse auf den Boden der Gerichte zu ziehen, indem sie vor dem Arbeitsgericht die Klage einreichten, dass die Arbeitgeber den Krankenschwestern ungesetzlicherweise Drohbriefe geschickt hätten, worin stand, dass ihre Stellen Arbeitsuchenden angeboten würden. Das Gericht gab der Klage nicht statt.

Die Krankenhäuser mussten Notpläne machen, worin der Transport von Kranken mit dem Flugzeug nach Upsala in Schweden und nach Bonn in Deutschland vorgesehen war. Die Verhandlungen kamen nicht wie gewünscht voran. Die Kampfbereitschaft beim Pflegepersonal war enorm. Die Regierung beschloss am Vorabend des Kündigungstermins am 17. 11. ein Gesetz zum Schutz der Patienten. Dieses Gesetzt erlaubt die Zwangsverpflichtung des Krankenhauspersonals. Man hatte vor über 2600 Krankenschwestern per brieflicher Ladung zur Arbeit zu zwingen. In Interviews sagten die Krankenschwestern und Pfleger, dass sie dafür Sorge getroffen hätten, dass man sie nicht zuhause anträfe, sollten Zwangsverpflichtungen vorgenommen werden, und viele würden endgültig ihrem Pflegejob den Rücken kehren. Die Krankenschwestern, die nicht an diesen Kampfmaßnahmen teilnahmen, sagten, sie würden auch überlegen, was man anderes beruflich machen könnte, weil die Zustände untragbar wären.

Buchstäblich in letzter Minute am 19. November einigen sich die Arbeitgeberseite und die Gewerkschaft Tehy auf einen Tarifvertrag, der eine Laufzeit von vier Jahren hat, und eine Gehaltssteigerung von 22% – 28% monatlich vorsieht. Außerdem gibt es eine Einmalzahlung von 270 Euro im Dezember. Die Freude ist bei den Krankenschwestern groß. Sie sind aber auch empört, dass man sie beschuldigt hat, die Kranken im Stich zu lassen und dass man so weit gehen muss, selbst zu kündigen, um eine Lohnerhöhung zu bekommen. Ein Kommentar einer Krankenschwester: „Lange hat man uns erzählt, es gäbe genug Arbeitslose, die unsere Arbeit mit Kusshand übernehmen würden, jetzt stellt man fest, dass es doch nicht so einfach ist.“ Im Gegenteil, man war drauf und dran, das Krankenhauspersonal zwangszuverpflichten. Es gibt aber sofort zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern Uneinigkeit darüber, wie dieser Vertrag ausgelegt wird. Die Kommunen wollen den Vertrag als Arbeitgeber so auslegen, dass die Gehaltserhöhung zwischen 16% und 18% liegt. Die Frage, für wen dieser Vertrag gilt, ist offen. Die Gewerkschaft geht davon aus, dass der Vertrag nur für ihre Mitglieder gilt, leider denken auch Teile der Krankenschwestern so. So versucht man den Kampf im Gesundheitswesen, welcher von den Betroffenen selbst ausging, dazu auszunutzen, um das Personal zu zwingen, der Gewerkschaft beizutreten, um die Lohnerhöhung überhaupt zu erhalten. Bedenklich scheint den Betroffenen Klausel im Vertrag, dass ein Teil der Erhöhung an die Entwicklung der Produktivität gekoppelt ist. Also, je weniger Krankenschwestern es im Jahre 2010 sind, desto höher werden die Löhne der verbleibenden Krankenschwestern und –pfleger ausfallen. Diese Klausel im Vertrag zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberseite ist eine Schweinerei. Die Krankenschwestern sollen im ‚eigenen’ Interesse dafür sorgen, dass Personal abgeschafft wird, damit sie mit ihren Löhnen über die Runden kommen. Überall wird jetzt gewiss, dass die Gewerkschaften, nachdem sie sich in der Öffentlichkeit profiliert haben, im Stillen den Vertrag möglichst zu Ungunsten der Arbeiter auslegen werden.

Der Premierminister Vanhanen hat zwei Tage nach dem Zustandekommen des Tarifvertrages eine Rede gehalten, wobei die Gewerkschaft wie die Sozialdemokratie ihr Fett abbekamen. Er warf der Gewerkschaft Tehy vor, ihre Mitglieder nicht darüber informiert zu haben, dass falls Patienten zu Schaden oder gar zu Tode kämen, die Krankenschwestern persönlich dafür hätten haften müssen. Er beschuldigte das Personal, sie hätten mit ihren Kündigungen, durch die sie höhere Löhne erzwingen wollten, also nur für mehr Geld die Gesundheit und das Leben der Patienten aufs Spiel gesetzt zu haben. Besonders scharf griff er die Sozialdemokratische Partei an, sich ganz offen an die Seite der Kämpfenden gestellt zu haben, und damit unverantwortlicherweise ein solches Verhalten der Krankenschwestern gutgeheißen hätte. Der Bourgeoisie kommt es zugute, wenn die Sozialdemokratie in der Opposition wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen kann. Dazu trägt bei, es so hinzustellen, dass die Sozialdemokratie sich von der Rechten absetzt und von diesen bekämpft wird, dass sie für die Belange der Arbeiter einträte.

Diesen Lohnkampf der Krankenschwestern in Finnland muss man in Zusammenhang mit der weltweiten Situation der Arbeiterklasse sehen. Es ist bezeichnend, dass sich selbst in den Kernbereichen wie Lokführern oder Krankenschwestern immer mehr das Phänomen „working poor“ durchsetzt. Solche Streiks erfahren bei der Bevölkerung große Popularität und Unterstützung, so in Deutschland der Lokführerstreik oder in Frankreich der Streik der Eisenbahner. Die jeweiligen Bourgeoisien haben diese Streiks für etwas Spezifisches für diese Länder oder für bestimmte Berufsgruppen hingestellt. In all diesen Streiks haben die Betroffenen anhören müssen, dass sie egoistisch Vorteile für sich allein ergattern wollen, und keine Rücksicht auf die anderen nehmen würden. Trotz der Hetze in den Medien, hat die Bevölkerung ihre Sympathien im Großen und Ganzen den Streikenden entgegengebracht. Das ist gerade deshalb möglich, weil diese Bewegungen für bessere Lebensbedingungen keine Einzelerscheinungen sind. Die Leute spüren, dass die Kämpfenden ein Teil von uns Arbeitern sind, bewundern deren Mut und sehen in ihnen so etwas wie Vorkämpfer. Dieses Gespür innerhalb der Klasse kennt keine Landesgrenzen, sie ist international, so wie die Klasse selbst. (Anfang Jan.2008)

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [3]

Nieder mit dem Polizeistaat. Solidarität aller Arbeiter mit den von der Polizei niedergeknüppelten Studenten!

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Letzte Woche hat die Regierung Sarkozy/Fillon/Hortefeux/Pécresse und Konsorten (in stillschweigender Komplizenschaft mit der Sozialistischen Partei und der ganzen „pluralistischen Linken“) den Gipfel der Schande und des Sadismus überschritten. Nachdem bislang Illegale in Namen der Politik der „Auswahl der Einwanderer“ gewaltsam aus dem Land vertrieben wurden, sind nun die streikenden Studenten dran und man knüppelt wild auf sie ein. Die Studenten, die sich gegen das Gesetz zur Privatisierung der Universitäten (LRU) wehren, sehen sich nun schlimmster Repression ausgesetzt. Im Namen von „Demokratie“ und „Freiheit“ trafen einige Universitätspräsidenten, die sich an das Kapital verkauft haben, die Entscheidung, die Bürgerkriegspolizei CRS und die mobilen Eingreiftruppen herbeizurufen, um die besetzten Universitäten in Nanterre, Tolbiac, Rennes, Aix-Marseille, Nantes, Grenoble frei zu knüppeln.

Die Ordnung des kapitalistischen Terrors

Die Repression war besonders heftig in Rennes und vor allem in Nanterre. Nach anfänglichem Einsatz von Polizeihunden haben die Universitätspräsidenten Hundertschaften vom CRS angefordert, um die Unis zu räumen. Die besetzenden Studenten wurden mit Knüppeln und Tränengas vertrieben. Mehrere Studenten wurden verletzt und verhaftet. Die CRS haben ihren Sadismus auf die Spitze getrieben, als sie einem Studenten die Brille (ein Symbol derjenigen, die studieren und Bücher lesen!) wegrissen und zerstörten. Die Sarkozy und dem Kapital treuen Medien haben über die Repression berichtet und sie gerechtfertigt, als sie die Stellungnahmen der Universitätspräsidenten veröffentlichten. In den 20-Uhr-Nachrichten des Fernsehkanals France 2 rechtfertigte der Präsident der Universität Nanterre die Repression mit den Worten: „Dies ist kein Kampf, dies sind jugendliche Delinquenten“. Ein anderer hysterischer Diener des Kapitals, der Präsident der Universität Rennes, behauptete ohne Skrupel, dass die Revoltierenden „Terroristen und Rote Khmer“ seien.

Es ist klar, dass der ehemalige erste Polizist Frankreichs, Nicolas der Kleine (Sarkozy war zuvor Innenminister), entschlossen ist, die französischen Universitäten mit dem Kärcher zu reinigen und die Kinder der Arbeiterklasse als „Strolche“ „Straftäter“, „Kriminelle“ abzustempeln (so der Präsident der Uni Nanterre). Und aus der Sicht der Politiker (wie sagte Madame Pécresse am 7. November in LCI? „Die Besetzungen sind vor allem ein politischer Akt“) handelt es sich nur um „Terroristen“. Als die Innenministerin Alliot-Marie ihren Polizisten den Einsatzbefehl zur Räumung der besetzten Universitäten erteilte, ging ihre „Freundin“, Madame Pécresse, in ihrem Zynismus sogar so weit, zu behaupten, dass sie den „Studenten ein Gefühl der Sicherheit vermitteln“ wolle.

Die Beschäftigten aus allen Bereichen sollen wissen: Wer auch immer in den Kampf tritt, wild und „unpopulär“ streikt (man kann sich darauf verlassen, dass die Medien und Tele-Sarkozy jeden Tag ihre Propaganda verschärfen werden), der wird, wie die Eisenbahner oder die U-Bahn-Beschäftigten, welche angeblich die „Reisenden in Geiselhaft“ nehmen, als „Terrorist“ und Störer der öffentlichen Ordnung bezichtigt werden.

Die wahre „gelbe Gefahr“ sind nicht die angeblichen „Roten Khmer“ der Universität Rennes. Es sind vielmehr die Vertreter der herrschenden Ordnung, die die Streiks der jungen Generation der Arbeiterklasse mit Hilfe der Spitzel und Kriecher niederknüppeln und mit Tränengas zerstreuen wollen: die Universitätspräsidenten. Die wahren „Terroristen“, die wahren Kriminellen sind diejenigen, die uns regieren und die schmutzigen Manöver dieser Gangsterklasse, der dekadenten Bourgeoisie, ausführen. Ihre Ordnung ist die des erbarmungslosen Terrors des Kapitals.

Diese Gangsterklasse gab sich jedoch nicht damit zufrieden, ihre Hundemeute und die Knüppelgarde der CRS auf die streikenden Studenten zu hetzen. In einigen Universitäten, die von der Polizei geräumt wurden, wurden auch die Streikkassen der Studenten „beschlagnahmt“. So hatten zum Beispiel in Lyon am 16. November besetzende Studenten einige Hundert Euro für ihre Streikkasse sammeln können. Während bis an die Zähne bewaffnete CRS die Uni räumten, beschlagnahmte die Universitätsverwaltung die Lebensmittel, die den Studenten gespendet worden waren, sowie deren Streikkasse. Das ist empörend und widerwärtig! Das Vorgehen der Kleinkriminellen der Bourgeoisie unterscheidet sich in nichts von der Vorgehensweise der „Schläger“ in den Vororten, die im November 2006 vom bürgerlichen Staat gegen die Anti-CPE-Bewegung mobilisiert worden waren, um die demonstrierenden Studenten anzugreifen und ihnen ihre Handys zu rauben!

Dies ist das wahre Gesicht der parlamentarischen Demokratie: Die öffentliche „Ordnung“ ist die Ordnung des Kapitals. Es ist die Ordnung des Terrors und des Kapitals, der Bullen und Medien. Eine Ordnung, die die Lügen und Manipulationen der Tele-Sarkozys verbreitet. Es ist die Ordnung der Machiavellis, die uns spalten wollen, um besser zu herrschen. Es ist die Ordnung derjenigen, die uns gegeneinander aufhetzen wollen und die gleiche Strategie benutzen wie die Vorgänger-Regierung Villepin/Sarkozy im Frühjahr 2006: Diese wollte die Bewegung durch die Anzettelung von Gewalt in die Sackgasse führen.

Die Solidarität zwischen Studenten und Eisenbahnern weist uns den Weg

Die wilde Repression gegen die Studenten ist ein dreister Angriff gegen die ganze Arbeiterklasse. Die große Mehrzahl der gegen die Privatisierung der Unis und die Einführung von Studiengebühren als Zugangskriterium zur Uni kämpfenden Studenten sind Arbeiterkinder und nicht, wie bestimmte Medien und die Sozio-Ideologen des Kapitals verbreiten, Kleinbürger. Viele von ihnen sind Kinder von Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes oder Einwandererkinder (insbesondere in Vorort-Unis wie in Nanterre oder Saint-Denis). Der proletarische Charakter des Kampfes der Studenten gegen das Précesse-Gesetz wurde durch die Tatsache ersichtlich, dass die Streikenden ihre Forderungen erweiterten: Die meisten besetzten Unis nahmen in ihrem Forderungskatalog nicht nur die Rücknahme der LRU, sondern auch die Verteidigung der Sonderbedingungen des Renteneintrittsalters (welche die Regierung beispielsweise im Öffentlichen Dienst, bei den Eisenbahnern, abschaffen will) auf wie auch die Ablehnung des Horefeux-Gesetzes und der Sarkozy-Politik der „Auswahl der Einwanderer“, die Abehnung der Zusatzzahlungen beim Medikamentenkauf und der Angriffe der Regierung gegen die gesamte Arbeiterklasse. Sie betonten die für die Vereinigung der Arbeiter notwendige SOLIDARITÄT, welche für den Zusammenschluss im Kampf gegen das Branchendenken und der „Verhandlungen“ von Betrieb zu Betrieb, von Branche zu Branche (was die Gewerkschaften befürworten) unerlässlich ist. Die Studenten setzten diese Solidarität auch konkret in die Tat um. So haben sich in den französischen Provinzstädten und in Paris Hunderte von Studenten den Demonstrationen der Eisenbahner angeschlossen (insbesondere am 13. und 14. November), die sich gegen die Abschaffung gesonderter Renteneintrittsbedingungen zur Wehr setzten. In einigen Städten (Rennes, Caen, Rouen, Saint-Denis, Grenoble) wurde diese Solidarität der jungen Generation von den Eisenbahnern sehr begrüßt; sie wurden zu deren Vollversammlungen eingeladen und führten gemeinsame Aktionen durch (z.B. traten sie gemeinsam an Autobahnabfahrten auf, wo Studenten und Eisenbahner die Autofahrer an den Zahlstellen kostenlos vorbeiließen und ihnen die Gründe für ihre Aktionen erklärten). Heute überlegen, diskutieren, handeln (und essen) Eisenbahner und Studenten gemeinsam. In einigen Universitäten wie in Paris-8 Saint-Denis (deren Präsidenten Menschen und nicht hysterische Hyänen sind, die mit den Wölfen heulen) schlossen sich ihnen die Dozenten und das Verwaltungspersonal an.

Der proletarische Charakter des Kampfes der Studenten wurde auch darin deutlich, dass die Studenten bei der Besetzung der Unis nicht nur aus dem Grunde die Räume besetzen wollten, um ihre Vollversammlungen abzuhalten und politische Debatten zu führen, die allen offen stehen (ja, Frau Pécresse, der Mensch ist eine Gattung, die im Gegensatz zum Affen über eine Sprache verfügt und ein politisches Wesen ist, wie einige Beschäftigte von Sonderförderungsausbildungsstätten bewiesen haben). In einigen Universitäten haben die streikenden Studenten beschlossen, in den besetzten Räumen auch Illegalen, also Menschen ohne Personalpapiere (die sans-papiers), Schutz zu bieten.

Aufgrund dieser aktiven Solidarität, die auf andere Bereiche überzugreifen droht, hat die Regierung Sarkozy/Fillon (und ihre „Eisernen Ladies“ Pécresse, Alliot-Marie, Dati sowie andere käufliche, unterwürfige Elemente) beschlossen, ihre Bullen zu schicken, um der Arbeiterklasse das Rückgrat zu brechen. Die französische Bourgeoisie will die gleiche Politik anwenden wie damals Thatcher in Großbritannien. Sie will wie in Großbritannien jegliche Solidaritätsstreiks untersagen, um 2008, sobald die Gemeinderatswahlen vorüber sind, freie Hand bei ihren noch brutaleren Angriffen zu haben. Heute versucht die herrschende Klasse mit der Gewalt und Repression ihres Handlangers Sarkozy, ihre „demokratische“ Ordnung durchzusetzen.

Die von den Studenten und einigen Eisenbahnern initiierte Solidaritätsbewegung zeigt, dass der Kampf gegen den CPE nicht in Vergessenheit geraten ist – trotz der ohrenbetäubenden Kampagne rund um die Präsidentschaftswahlen. Die Solidarität zwischen kämpfenden Studenten und einem Teil der Beschäftigten der SNCF und der RATP (die Pariser Metro) weist uns den Weg. Alle arbeitslosen und noch beschäftigten Arbeiter, ob französischer Abstammung oder Einwanderer, ob im Öffentlichen Dienst oder in der Privatindustrie, müssen diesen Weg einschlagen. Es ist der einzige Weg, um gegen die Angriffe der Bourgeoisie und gegen ihr dekadentes System, das der jungen Generation keine andere Zukunft anzubieten hat als die der Arbeitslosigkeit, prekären Arbeitsbedingungen, Armut und Repression (heute Knüppel und Tränengas, morgen Maschinengewehre!), ausreichend Gegendruck aufzubauen.

Dass der Oberbulle Frankreichs, Sarkozy, seine Bullen nicht schon 2006 auf die besetzenden Studenten gehetzt hatte, lag weniger daran, dass er moralische Bedenken gehabt hatte, sondern vielmehr daran, dass er damals Präsidentschaftskandidat war und nicht einen Teil der Wählerschaft verprellen wollte, deren Kinder in den Universitäten eingeschrieben sind. Jetzt, als Präsident, will er seine Muskeln spielen lassen, eine Rechnung begleichen und seine Wut darüber freien Lauf zu lassen, dass die französische Bourgeoisie 2006 den CPE zurücknehmen musste (hatte nicht Sarkozy nach seiner Wahl sofort darüber schwadroniert, dass „der Staat nicht zurückweichen darf“?). Sarkozy will der Clique um Villepin beweisen, dass er nicht nachgeben wird (denn wie Raffarin sagte: „Bei uns darf nicht die Straße herrschen“). Der Zynismus, mit dem er im Namen der „Transparenz“ die Erhöhung seines Gehalts um 140 Prozent ankündigte, während er sich gleichzeitig bei all den Angriffen gegen den Lebensstandard der Arbeiter unnachgiebig zeigte, ist eine wahre Provokation. Die Arbeiterklasse übers Ohr hauen, sie verspotten – das will Sarkozy. „Wir lassen es nicht zu, die Privilegien der Bourgeoisie anzufassen. Ich bin von den Franzosen gewählt worden; jetzt habe ich einen Blankoscheck, um das zu machen, was ich will.“ Aber abgesehen von den persönlichen Ambitionen dieser sinistren Gestalt vertritt Sarkozy auch die gesamte Kapitalistenklasse. Die Auseinandersetzung mit den Eisenbahnern verfolgt nur ein Ziel: Der gesamten Arbeiterklasse soll eine Niederlage beigefügt werden; das seinerzeit in der Bewegung gegen den CPE vorherrschende Gefühl, dass nur ein vereinter Kampf zählt, soll verdrängt werden. Deshalb möchte Sarkozy gegenüber den Eisenbahnern nicht nachgeben und die Universitäten in wahre Polizeifestungen umwandeln.

Aber egal wie dieser Konflikt zwischen der Regierung Sarkozy/Fillon/Pécresse und der Arbeiterklasse ausgehen wird, der Kampf zahlt sich schon jetzt aus: Die Solidaritätsbewegung zwischen Eisenbahnern und Studenten, der sich schon andere Teile der Arbeiterklasse angeschlossen haben (insbesondere unter den Universitäts-Beschäftigten), wird eine unauslöschliche Spur im Bewusstsein hinterlassen, genau wie der Kampf gegen den CPE selbst. Wie alle Arbeiterkämpfe, die zur Zeit weltweit stattfinden, ist er ein wichtiger Bestandteil auf dem Weg zur zukünftigen Überwindung des Kapitalismus. Der Hauptgewinn des Kampfes ist der Kampf selbst, die Erfahrung lebendiger und aktiver Solidarität der Arbeiterklasse auf dem Weg zu ihrer Befreiung und zur Befreiung der gesamten Menschheit.

„Arbeiter, ob aus Frankreich oder Einwanderer, ob im staatlichen Bereich oder in der Privatindustrie beschäftigt, Studenten, Schüler, Arbeitslose: Wir führen den gleichen Kampf gegen die Angriffe der Regierung. Nieder mit dem Polizeistaat. Dem Terror des Kapitals müssen wir die Solidarität der ganzen Arbeiterklasse entgegenstellen!“ Sofiane, 17. November 2007.

 

Geographisch: 

  • Frankreich [2]

Nokia - Allgemeiner Lohnraub: Gegen den Terror des Kapitals - Arbeitersolidarität

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Beiläufig, zufällig nur erfuhren gut 2000 Mitarbeiter des Handyherstellers Nokia Mitte letzter Woche, dass das Werk Bochum, von dem ihre Existenzen leider abhängen, geschlossen werden soll. Keine drei Tage später wurde schon Hunderten von mit Zeitverträgen ausgestatteten MitarbeiterInnen gekündigt. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie ab sofort auf  dem Firmengelände nichts mehr zu suchen haben. Die Restlichen „dürfen“ eine kurze Zeit noch die Arbeit der bereits Entlassenen mitverrichten, bis auch sie auf die Straße gesetzt werden. So werden die Lebensplanungen von über 4000 Menschen im Werk Bochum und in der Zulieferindustrie über Nacht zunichte gemacht.  

Das wahre Gesicht des Kapitalismus

Die deutsche politische Obrigkeit hat diese Umgangsweise des finnischen Weltkonzerns mit markigen Worten quittiert. Der NRW Ministerpräsident Rüttgers sprach von „Subventionsheuschrecken“, Bundesfinanzminister Steinbrück von „Karawanenkapitalismus“. Sie wollen uns damit sagen, Nokia habe einen sonst überall vorherrschenden “rücksichtsvollen“ und „sozial verantwortlichen“ Umgang der Kapitalisten mit der arbeitenden Bevölkerung verletzt. Da können wir den hohen Herren von der Politik nicht folgen. Es ist vielmehr so, dass die Brutalität und Unverfrorenheit von Nokia absolut typisch ist für das heutige Verhalten der Besitzerklasse gegenüber der Arbeiterklasse. Keine Firmenzentrale im fernen Helsinki, sondern ein deutsches Arbeitsgericht war es, welches monatelang den bundesweiten Streik der Eisenbahner schlichtweg verbot, den Arbeitskampf der Ausgebeuteten unter Strafe stellte. Die deutsche Telekom war es, welche 10.000 MitarbeiterInnen auf einen Schlag ausgliederte, um sie für deutlich weniger Geld länger arbeiten zu lassen. Und als im vergangenen Sommer viele Jugendliche, die für sich keine Perspektive mehr innerhalb dieses Gesellschaftssystems sehen, sich aufmachten, um gegen den G-8 Gipfel in Heiligendamm zu protestieren,  erblickte die Bundesanwaltschaft darin die Bildung von terroristischen Vereinigungen. Die Antwort der Staatsgewalt auf die neue Generation ließ nicht lange auf sich warten: Vorbeugehaft sowie das Einsperren von Demonstranten in Käfige wie auf Guantanamo. Und dieselben Politiker, die sich nun mit den „Nokianern“ solidarisch erklären, haben monatelang in aller Öffentlichkeit gegen die Eisenbahner gehetzt, als diese sich aus guten Gründen zur Wehr gesetzt haben. Dieselben Vertreter des Bundes und des Landes NRW, welche Nokia vor zehn Jahren 88 Millionen Euro in den Rachen warfen, um den Kapitalisten ihr Bochumer Werk mitzufinanzieren, hetzen jetzt angesichts der bevorstehenden Tarifauseinandersetzungen gegen Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst! Ja die Zeiten, als Belegschaften  regelmäßig „stufenweise“ und „sozialverträglich“ abgetragen wurden, gehören der Vergangenheit an. Die ungeheuere Verschärfung des Konkurrenzkampfes auf Weltebene, die hinter der Immobilienkrise sich abzeichnende Zuspitzung der Überproduktionskrise des Kapitalismus zwingen die alten Industriestaaten, die Maske der „Sozialpartnerschaft“ fallen zu lassen, welche in den meisten Weltteilen ohnehin nie groß aufgesetzt wurde.  Was hat beispielsweise NRW-Chef Rüttgers getan, nachdem er auf dem Nokiagelände in Bochum die Betroffenen mit leeren Worthülsen abzuspeisen versucht hatte? Er eilte nach Düsseldorf zurück, um ein weiteres „Rettungspaket“ von voraussichtlich 2 Milliarden Euro für seine Landesbank WestLB zu schnüren, welche sich bei der US Immobilienkrise ein wenig verspekuliert hatte. Die vom deutschen Staat an Nokia verschenkten 88 Millionen Euro, worüber die politische Klasse sich nun öffentlich ereifert, sind eine lächerliche Summe im Vergleich zu den Milliarden, welche in den letzten Monaten locker gemacht wurden, um einen Zusammenbruch des maroden kapitalistischen Finanz- und Bankensektors zu vermeiden. Da hat die Besitzerklasse nicht mal mehr das Bisschen für die Lohnabhängigen übrig, das sie in früheren Zeiten eingesetzt hatte, um den „sozialen Frieden“ abzusichern. Hier liegt der Grund, warum das Kapital mit immer unverblümterer Brutalität gegenüber der Arbeiterklasse vorgeht. Nicht an der „Taktlosigkeit“ eines einzelnen Konzerns liegt es, sondern an der Notwendigkeit eines ganzen Systems, wenn heute immer systematischer versucht wird, die Lohnabhängigen einzuschüchtern. Die Brutalitäten gegenüber den Nokianern oder gegenüber den Lokführern sind kein Ausrutscher Einzelner, sondern pure Absicht. Sie zielen darauf ab, uns zu terrorisieren, um uns gefügig zu machen. Da arbeiten die „bösen“ Kapitalisten“ und der uns angeblich umsorgende Staat Hand in Hand. Nicht nur die Kündigung droht den Betroffenen bei Nokia und anderswo, sondern das, was danach kommt: Hartz IV!  

Die Bochumer Werksschließung: Ein Angriff gegen die gesamte Arbeiterklasse

Die Nachricht von der beabsichtigten Werksschließung bei Nokia in Bochum wurde genau drei Tage bekannt, nachdem die Lokführer bei der Deutschen Bahn 8% mehr Lohn und eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit um eine Stunde durchgesetzt hatten. Das muss nicht Zufall sein. Dieser Teilerfolg bei der Bahn nach Jahren der Reallohnsenkung ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht für die Pläne der herrschenden Klasse, auf Kosten der Beschäftigten die DB in ein international tätiges Logistikunternehmen zu verwandeln. Es ist eine Ermutigung für die ganze Arbeiterklasse, dem Beispiel der Eisenbahner zu folgen und sich einen Ausgleich für die rapide steigenden Preise und Steuerlast zu erkämpfen. Ob beabsichtigt oder nicht, ob mit der Staatsmacht abgesprochen oder nicht (welche in Deutschland bei  Entlassungen von über 50 Beschäftigten auf einmal vorab informiert wird): Die Nachricht von der Bochumer Werksschließung kam für das Kapital genau zum richtigen Zeitpunkt. Sie dient als Warnung an die gesamte arbeitende Bevölkerung, angesichts des Teilerfolgs bei der Bahn nicht „übermütig“ zu werden. Die Botschaft lautet: „erkämpfte Lohnerhöhungen der Beschäftigten werden durch Massenentlassungen von Seiten des Kapitals quittiert! Vergesst nicht, wer in dieser Gesellschaft am längeren Hebel sitzt, nämlich die Besitzer der Produktionsmittel!“Nachdem es ein Jahrzehnt lang die Reallöhne – auch im internationalen Vergleich – besonders stark abgesenkt, und sich dadurch Wettbewerbsvorteile erzwungen hatte, weiß das deutsche Kapital heute sehr genau, dass eine allgemeine Unzufriedenheit der arbeitenden Klasse sich angestaut hat. So ist die Kapitalseite heute emsig bemüht, durch v.a. kosmetische „Korrekturen“ beim Arbeitslosengeld, dem Gerede von „Mindestlöhnen“, „Reichenbesteuerung“ und „sozialer Gerechtigkeit“ die Wogen zu glätten. Denn eine allgemeine Streikwelle würde uns Lohnabhängigen einen Teil unserer Klassenidentität und unser  Selbstvertrauen wieder geben. Der „Standort Deutschland“ will außerdem verhindern, dass durch eine solche allgemeine Kampfeswelle ein Teil der angesammelten Konkurrenzvorteile wieder verloren gehen könnten. Zwar hat in dieser Hinsicht die Regierung vorgesorgt: Maßnahmen wie die seit Anfang 2007 in Kraft getretene Mehrwertsteuererhöhung oder die geplante massive Besteuerung von Sparkonten ab 2009 sollen den größten Teil eventueller Reallohnerhöhungen wieder in die Taschen des Staates und der Unternehmen umleiten. Dennoch setzt das Kapital auch auf offene Einschüchterung, damit weder die bevorstehenden Lohnkämpfe noch die daraus hervorgehenden Abschlüsse zu umfangreich werden. Auch in dieser Hinsicht richtet sich der Angriff gegen die Nokiabeschäftigten in Wahrheit gegen die gesamte Arbeiterklasse! 

Arbeitersolidarität gegen die Gewalt des Kapitals

Gegenüber der Wucht der kapitalistischen Angriffe kann es nur eine Antwort geben: Die Arbeitersolidarität. Dass die Betroffenen die Notwendigkeit dieser Klassensolidarität immer deutlicher spüren, zeigt die erste Reaktion der Bevölkerung des Ruhrgebiets auf die Nachricht von der Werksschließung bei Nokia. Die Beschäftigten spürten sofort das Bedürfnis, sich auf dem Werksgelände zu versammeln. Da standen die ZeitarbeiterInnen und die (nur scheinbar) „Festangestellten“ Schulter an Schulter, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Wichtiger noch: Nicht allein die üblichen rituellen Gewerkschaftsdelegationen waren vertreten, sondern es strömten Lohnabhängige aus den unterschiedlichsten Betrieben der Region herbei, um ihre Solidarität kundzutun. Die Leute von Opel erklärten: Ihr habt uns 2004 in unserem Kampf gegen die Werksschließung unterstützt, jetzt unterstützen wir euch! Bei den Gesprächen bezog man sich wie selbstverständlich auf die gemeinsamen Kampferfahrungen unserer Klasse, um gegenüber der jetzigen Lage eine Perspektive zu gewinnen. So war von der beispielhaften Kampfkraft der Eisenbahner die Rede. Auch wurde darauf hingewiesen, dass die Werksschließung bei Opel in Bochum vor vier Jahren nicht durch Unterordnung und „Opferbereitschaft“ der Beschäftigten, sondern allein durch die große Kampfkraft der Betroffenen und die Solidarität der gesamten arbeitenden Bevölkerung verhindert wurde. Die Lehren von vor 20 Jahren bei Krupp wurden ebenfalls aufgegriffen: Die Kraft der Solidarität, aber auch die Verelendung, welche auf der doch noch durchgesetzten Werksschließung damals in Duisburg-Rheinhausen folgte. Dort auf dem Nokiagelände und in den darauffolgenden Tagen tauchte ein Ausdruck der Arbeitersolidarität wieder auf, welcher zukunftsweisend ist. In den letzten Jahren wurde der Kampf gegen Massenentlassungen und Werksschließungen hauptsächlich von den unmittelbar Betroffenen getragen, während andere Beschäftigte oder Erwerbslose sich mehr unterstützend, sozusagen von außen helfend beteiligten. Das war 2006 bei der AEG in Nürnberg so, 2004 bei Opel Bochum und auch 1987 bei Krupp. Jetzt war aus dem Opelwerk in Bochum zu vernehmen, dass die Beschäftigten dort sich an einem eventuellen Streik der Nokianer beteiligen wollen. Das hat es im Ansatz bereits 2004 bei Mercedes gegeben, als die Beschäftigten im Werk Bremen mitgestreikt haben aus Solidarität mit ihren KollegInnen in Stuttgart. Damals handelte es sich noch um eine Solidarität unter Beschäftigten ein und desselben Konzerns, die sich nicht gegeneinander ausspielen lassen wollten. Nun keimt ein Bewusstsein wieder auf, dass auch die Lohnsklaven aus verschiedenen Firmen, Branchen usw. gemeinsame Interessen haben, die nur gemeinsam verteidigt werden können. Diese Einsicht gewinnt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit an Boden. So haben gegen Jahresende 2006 in Frankreich kämpfende Eisenbahner und Studenten gemeinsame Kampfversammlungen abgehalten.Auch die große Popularität, welche der Eisenbahnerstreik in Deutschland innerhalb der arbeitenden Bevölkerung genossen hat, muss in diesem Lichte gesehen werden. Der herrschenden Klasse ist es zwar gelungen, die massive Unzufriedenheit eines Teils der Eisenbahner mit den bestehenden, v.a. dem DGB angegliederten Gewerkschaften wieder in kapitalistisch geordnete – sprich gewerkschaftliche – Bahnen zu lenken   mittels einer Scheinradikalisierung der fossilen GDL. Dadurch ist ein Bild in der Öffentlichkeit gestiftet worden, welches der herrschenden Klasse nur recht sein kann. Dies ist das Bild von einer Berufsgruppe – in diesem Fall die Lokführer –, welche sich von einem gemeinsamen Kampf mit anderen Berufsgruppen oder Sektoren der Klasse verabschiedet, um zu versuchen, auf eigene Faust das Beste für sich herauszuholen. Aller Erfolge der GDL bei der Isolierung des Lokführerstreiks zum trotz entspricht dieses Bild heute nicht der Stimmung der Arbeiterklasse. Die Lokführer werden vielmehr als Vorkämpfer eines notwendig gewordenen allgemeinen Kampfes angesehen. Mit ihrer Bekundung der Bereitschaft zur aktiven Solidarität mit den Nokianern ist es den Opelaner in Bochum gelungen, dieser Gemeinsamkeit, welche nur indirekt durch die allgemeine Beliebtheit des Lokführerstreiks zum Ausdruck kam, eine direkte Konkretisierung zu geben. Wir können und müssen dem Terrorsystem der kapitalistischen Konkurrenz die Stirn bieten! Wir können und wir müssen den Versuch der herrschenden Klasse durchkreuzen, mittels Angriffe wie bei Nokia nicht nur die Betroffenen, sondern uns alle einzuschüchtern. Begreifen wir die Gleichzeitigkeit der Angriffe mittels Arbeitslosigkeit und Inflation als Herausforderung, unsere eigenen Kräfte zu bündeln. Während bei Nokia, bei Motorola in Flensburg oder bei BMW Jobs vernichtet werden, stehen in vielen Branchen Tarifverhandlungen an, es wächst der Unmut gegenüber Reallohnverlusten. Es gilt, direkte Verbindungen zwischen den kämpferischsten Arbeiterinnen und Arbeitern der verschiedenen Bereiche zu knüpfen, ohne gewerkschaftliche „Vermittlung“. Es gilt, sich den Versammlungen und Demonstrationen anderer Bereiche zielstrebig anzuschließen bzw. die eigenen Aktionen für andere zu öffnen. Es gilt, dort die Gemeinsamkeit der Interessen aller Lohnabhängigen hervorzuheben und gemeinsame Forderungen zur Sprache zu bringen. Es gilt, den Kampf gegen Massenentlassungen und die Lohnkämpfe bewusst zu verbinden, sie immer mehr zusammenzuführen. Gegenüber der gewerkschaftlichen Absonderung, wie von der GDL vorexerziert, und dem gewerkschaftlichen Streikbrechertum, wie zuletzt von Transnet gegenüber dem Lokführerstreik praktiziert, müssen die Kämpferischsten sich für die Eigenständigkeit der Aktionen der Betroffenen selbst stark machen. Nur eine breite, allgemeine Aktion, welche die Logik des Kapitals in Frage stellt, welche gegen das Prinzip der kapitalistischen Konkurrenz das sozialistische Prinzip der Solidarität geltend macht, kann Angriffe wie bei Nokia aufhalten.

Gegen den Terror des Kapitalismus hilft nur die Solidarität der Arbeiterklasse!     20.01.08

 

Dieser Artikel wird von der IKS als Flugblatt auf der Demonstration am 22.01.08 in Bochum verteilt.

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in Deutschland [4]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [3]

Russland 1917, Deutschland 1918 : Die Ausdehnung der Russischen Revolution beendete den Weltkrieg

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Im Gegensatz zu den Behauptungen der offiziellen Geschichtsschreibung der herrschenden Klasse ging der 1. Weltkrieg am 11. November 1918 nicht zu Ende, weil die Verbündeten Deutschland-Österreich eine entscheidende militärische Niederlage erlitten hatten oder nicht mehr über die Kräfte zur Fortsetzung des Krieges verfügten. Nein, der Waffenstillstand wurde einzig unterzeichnet, weil die herrschende Klasse auf beiden kriegführenden Seiten der Gefahr der weltweiten Ausdehnung der proletarischen Oktoberrevolution von 1917 in Russland gegenüberstand. Tatsächlich war es die unmittelbare Gefahr der Erhebung des Proletariats in Europa, die die Kapitalisten dazu zwang, das Gemetzel einzustellen. Wenn es der Arbeiterklasse gelungen war, so weit voranzukommen, so nur, weil dem ein langer Prozess vorausgegangen war, in dem sie ihre Kräfte gesammelt hatte. Schon im Sommer 1916 entfalteten sich große Massenbewegungen, insbesondere in Deutschland, in denen die Wut der ArbeiterInnen gegen das Leid, die Entbehrungen und die Armut, die auf den Krieg zurückzuführen waren, zum Ausdruck gebracht wurden. Aber man kann erst vom wahren Beginn der revolutionären Welle im Februar 1917 in Russland reden. Der 23. Februar hätte eigentlich ein einfacher Gedenktag an die Arbeiterfrauen im Rahmen der üblichen Demonstrationen der sozialistischen Parteien sein sollen, aber dieser Tag löste eine Explosion der großen Verbitterung aus, die sich in den Reihen der ArbeiterInnen wie auch anderer armer Schichten der Bevölkerung gegen die Tag für Tag schlechter werdende Lebensmittelversorgung der damaligen Hauptstadt Russlands und der durch die Kriegswirtschaft bewirkten Überausbeutung gesteigert hatte.  Während die Bewegung am 23. Februar noch die Forderung nach Brot erhob, entwickelte sie sich in den nächsten Tagen schnell zu einem Aufstand, der wegen der blutigen Repression durch das Zarenregime noch ungewollt begünstigt wurde. Am 26. Februar schlossen sich aufgrund der Ausstrahlung der Arbeiterkämpfe Soldaten der Bewegung an. Am 27. Februar wurde das Zarenregime gestürzt, eine bürgerlich demokratische Regierung (eine so genannte „provisorische Regierung“) ernannt, während sich die Arbeiterklasse in den Fabriken und den anderen Arbeitsstätten in selbständigen Arbeiterräten organisierte und Delegierte in den zentralen Sowjet der Stadt schickte. Da die neue Regierung in den darauf folgenden Monaten den Krieg jedoch fortsetzen wollte und gegenüber dem Hunger und den durch den Krieg und die Kriegswirtschaft  auferlegten Entbehrungen nichts anzubieten hatte,  da stattdessen die Arbeiter viel länger als acht Stunden arbeiten mussten, wurden diese immer kämpferischer und ihr Bewusstsein immer weiter vorangetrieben. Im April 1917 trat die bolschewistische Partei für die Losung  „Brot und Frieden“ und „Alle Macht den Räten“ ein. Die Arbeiterklasse radikalisierte sich immer mehr, da die provisorische Regierung noch entschlossener als der Zar für den Krieg mobilisierte. Nach neuen Aufständen im Juli, in denen das Proletariat zum Rückzug gezwungen wurde (denn die Bedingungen zum Sturz der Kerenski-Regierung waren noch nicht herangereift), versuchte der dem Zar ergebene General Kornilow einen Putsch gegen die provisorische Regierung. Dieser Versuch wurde vor allem durch die massive Mobilisierung der Arbeiter in Petrograd vereitelt, was der Arbeiterklasse einen neuen Aufschwung verlieh und wodurch die Bolschewiki und ihre Losungen noch mehr Zulauf erhielten. Nach dem 22. Oktober 1917 fanden Versammlungen statt, in denen gewaltige Arbeitermassen zusammenkamen, und in denen die Losungen „Nieder mit der provisorischen Regierung! Nieder mit dem Krieg“, „Alle Macht den Räten“ aufkamen. Am 25. Oktober stürmten die Arbeitermassen mit den Matrosen der „Roten Flotte“ der Kronstädter Garnison den Winterpalast und verjagten die Kerenski-Regierung. Das war die Oktoberrevolution. Der Gesamtrussische Sowjetkongress, der zum gleichen Zeitpunkt stattfand und in dem die bolschewistische Partei über die Mehrheit verfügte, kündigte in einer Resolution die Übernahme der Macht an: „Gestützt auf den Willen der gewaltigen Mehrheit der Arbeiter, Bauern und Soldaten, gestützt auf den in Petrograd vollzogenen siegreichen Aufstand der Arbeiter und der Garnison, nimmt der Kongress die Macht in seine Hände“. (Lenin, „An die Arbeiter, Soldaten und Bauern“, Lenin, Bd. 26, S. 237). Am 26. Oktober verabschiedete der Kongress in seiner zweiten Sitzung ein „Dekret über den Frieden“ und schaffte gleichzeitig die Notmaßnahmen ab, damit die Bevölkerung in Russland nicht mehr unter den Kriegsfolgen litt. Die revolutionären Ereignisse in Russland hatten natürlich unter den ArbeiterInnen Europas und der ganzen Welt eine enorme Ausstrahlung. Dies war zunächst am stärksten spürbar unter den Arbeitern jener Länder, die direkt am imperialistischen Gemetzel beteiligt waren. Dadurch wurden sie überall zu Demonstrationen gegen den Krieg und zu Kundgebungen zur Unterstützung des Roten Oktober ermuntert. Eine Folge war, dass es an der Front zu Verbrüderungen unter kämpfenden Soldaten der verfeindeten Länder kam. In Deutschland, wo  es das zahlenmäßig größte und am stärksten konzentrierte Proletariat mit der umfassendsten politischen Erfahrung gab, ging die Ausstrahlung am weitesten. Nach einem Zeitraum der Reifung im Jahre 1917 entwickelte sich 1918 hier eine revolutionäre Dynamik, die Anfang November, d.h. am 4. November, ihren Höhepunkt erreichte. An jenem Tag meuterten die Matrosen von Kiel. Dabei gelang es ihnen, einen Großteil der Soldaten (Arbeiter in Uniform) sowie auch Arbeiter aus den Betrieben auf ihre Seite zu ziehen. Insbesondere in Berlin und Bayern kam es zu Zusammenschlüssen. Damit reagierten die Arbeiter in Deutschland auf die Aufrufe, die ihre Klassenbrüder und -schwestern in Russland an sie seit Oktober 1917 gerichtet hatten, damit sie sich in den Kampf um die Weltrevolution einreihen und dabei die Führung übernehmen. Ihr Aufstand ermöglichte auch den Aufstand jener Truppenteile, die bis dahin der Regierung des Kaisers Wilhelm II. ergeben gewesen waren. Innerhalb weniger Tage entstanden überall im Land - dem russischen Beispiel folgend - Arbeiterräte. Die herrschende Klasse verstand die Notwendigkeit, sich des Kaisers zu entledigen, der schließlich am 9. November zurücktrat; die Republik wurde ausgerufen. Die Regierungsgeschäfte wurden geleitet von den SPD-Leuten Ebert und Scheidemann (die 1914 die Kriegskredite bewilligt und den Burgfrieden unterstützt hatten). Diese schlossen unmittelbar danach mit der französischen Regierung einen Waffenstillstand. Wie wir in einem früheren Artikel in unserer Zeitung Révolution Internationale Nr. 173 (November 1988) anlässlich dieser Ereignisse geschrieben hatten: „Mit ihrer Aufstandsbewegung hatten die Arbeiter in Deutschland den größten Massenkampf der Arbeiterklasse in ihrer Geschichte ins Rollen gebracht. Die ganze Burgfriedenspolitik, welche die Gewerkschaften während des Krieges praktiziert hatten, und die Politik des Klassenfriedens zwischen den Klassen brach unter den Schlägen des Klassenkampfes auseinander. Mit diesen Aufständen schüttelten die Arbeiter die Niederlage vom August 1914 ab und erhoben nun wieder die Stirn. Der Mythos einer deutschen (oder anderen) Arbeiterklasse, die vom Reformismus gelähmt wäre, brach zusammen (…) In die Fußstapfen des Proletariats in Russland tretend, stellten sich die Arbeiter in Deutschland nach den Arbeiteraufständen und dem Anfang der Bildung von Arbeiterräten in Österreich und Ungarn 1919 an die Spitze der ersten großen internationalen Welle von revolutionären Kämpfen, die aus dem Krieg hervorgegangen waren“. Und um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, wie in Russland durch die revolutionäre Welle von Kämpfen weggespült zu werden, beeilte sich die deutsche Bourgeoisie sicherlich mit Unterstützung der herrschenden Klasse der anderen Länder und früheren Kriegsgegner, den imperialistischen Krieg, der vier Jahre zuvor vom Zaun gebrochen worden war, zu beenden. Um der Ausbreitung der proletarischen Revolution entgegenzutreten, haben sich die Bourgeoisien der Welt verständigt, um nur wenige Tage nach dem Aufstand der Matrosen in Kiel gegen das deutsche Militär sehr schnell einen Waffenstillstand zu schließen. Später wurde die revolutionäre Bewegung in Deutschland blutig niedergeschlagen (insbesondere während der „blutigen Woche“ im Januar 1919, als ihre berühmtesten Führer, revolutionäre Spartakisten wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, von Freikorps ermordet wurden, die im Sold der SPD standen) (2). Diese Niederlage des Proletariats in Deutschland sollte später zum Tod der Revolution in Russland führen. Nichtsdestotrotz hatte die Weltarbeiterklasse in diesen beiden Ländern gezeigt, dass sie die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die – wenn sie auf ihrem Klassenterrain kämpft, den Krieg beenden kann.    RI  1) Trotz des Fortbestehens eines politischen Regimes mit feudalem Charakter hatte sich der Kapitalismus in Russland stark entwickelt und große Industriezentren geschaffen: Zum Beispiel waren die Metallfabriken von Putilow mit ihren 40.000 Beschäftigten die größte Fabrik der Welt. 2) Siehe insbesondere die Artikelreihe über die Deutsche Revolution in Nr. 16 und 17, in der die Entwicklung im Detail, vom Waffenstillstand bis zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, nachgezeichnet wird und die besser ermöglicht zu begreifen, was damals in Deutschland passiert ist.  3) Siehe auch unseren Artikel in der Internationalen Revue Nr. 23 – „1918-1919 – Die proletarische Revolution bringt den imperialistischen Krieg zu Ende“.  

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [5]

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Links
[1] https://www.linke-literaturmesse.org/ [2] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/frankreich [3] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/arbeiterkampf [4] https://de.internationalism.org/tag/11/151/nationale-lage-deutschland [5] https://de.internationalism.org/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/1919-deutsche-revolution