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Oktober 2010

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Beilage von Révolution Internationale zu den Kämpfen in Frankreich

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Die Arbeiterklasse muss ihr Selbstvertrauen in ihre Fähigkeit zu kämpfen und sich kollektiv als Klasse zu organisieren, entwickeln. Wie? Wie können die Arbeiter ihre Kämpfe in die eigene Hand nehmen? Wir versuchen darauf in den nachfolgenden Artikeln einzugehen, weil diese Frage wesentlich und ausschlaggebend ist für den weiteren Verlauf der Kämpfe.

Révolution Internationale, Zeitung der IKS in Frankreich

Wie die Kämpfe in die eigene Hand nehmen?

Die Bewegung gegen die Rentenreform dauert nun schon sieben Monate. Der erste Aktionstag fand am 23. März statt, damals beteiligten sich 800.000 Menschen, die Atmosphäre war eher schlaff und ein wenig hoffnungslos. Aber seitdem hat der Kampf an Stärke gewonnen. Mehr und mehr Beschäftigte, Arbeitslose, Prekäre, ganze Arbeiterfamilien, Gymnasiasten und Studenten haben sich schrittweise der Bewegung angeschlossen. Gegenwärtig kommen regelmäßig mehr als drei Millionen auf der Straße zusammen!

In Wirklichkeit ist diese Reform zum Symbol der allgemeinen und brutalen Verschlechterung unserer Lebensbedingungen geworden. Die Jugendlichen stehen wie vor einer Mauer: im öffentlichen Dienst werden fast keine Leute mehr eingestellt; in der Privatindustrie gibt es kaum Stellen, und wenn dann nur zu sehr prekären, unhaltbaren Bedingungen. Eingefrorene Löhne, Preissteigerungen, insbesondere Mieterhöhungen, drastische Kürzungen bei der Erstattung von medizinischen Leistungen und der Sozialhilfe, Kürzungen bei Beschäftigungsgesellschaften usw… all diese unzähligen Angriffe treiben uns alle langsam aber sicher in die Armut.

In dieser Lage war es lange bei vielen die Vorstellung, nach Jahren Plackerei und Lohnsklaverei bald eine „wohlverdiente Rente“ zu bekommen, die einen hoffen und durchhalten ließ. Es war das Licht am Ende des Tunnels. In den 1950er und 1960er Jahren konnten noch viele Beschäftigte von diesem relativen „Eldorado“ profitieren. Aber seit 20 Jahren sinken die Renten unaufhörlich. Mittlerweile sind sie auf ein miserables Niveau gefallen; viele Rentner sind gezwungen, noch irgendwelche kleine Jobs anzunehmen. Und jeder weiß, dass diese Reform diese dramatische Lage noch weiter zuspitzen wird. Wie viele Demonstranten rufen, ist die einzige Zukunft, die uns das Kapital bieten kann: „Métro, boulot, caveau“ („Zur Arbeit pendeln, schuften, verrecken“).

Die Weltwirtschaftskrise treibt heute die ganze Menschheit in eine Spirale der Verarmung. Die Lage spitzt sich immer weiter zu. Sieben Monate Kämpfe … immer wieder Aktionstage, ganze Wirtschaftsbereiche haben wiederholt gestreikt, ganze Standorte wurden von entschlossenen und kämpferischen Beschäftigten lahmgelegt, die zudem noch mit der staatlichen Repression konfrontiert wurden. „Die Jugend steckt in einer Galeere, die Alten in der Misere“. Kein Zweifel, die Wut ist riesig und in der ganzen Arbeiterklasse zu spüren!

Und dennoch die Regierung zieht ihre Rentenreform nicht zurück. Selbst zu Millionen auf die Straße zu ziehen, reicht nicht. Jeder spürt, dass irgendetwas dieser Bewegung fehlt. Was fehlt ist, dass die Arbeiter die Bewegung in die eigenen Hände nehmen. Wenn wir nur wie Schafe den gewerkschaftlichen Anordnung folgen, werden wir wie 2003 und 2007 eine Niederlage einstecken. Das Misstrauen gegenüber den Gewerkschaften wird unter den Arbeitern immer größer. Aber bislang hat nur eine Minderheit gewagt, diesen Schritt zu vollziehen, hat es gewagt, sich selbst in unabhängigen Vollversammlungen zu organisieren, die nicht von den Gewerkschaften kontrolliert werden. So weit wir wissen, gibt es heute ein gutes Dutzend branchenübergreifende Vollversammlungen dieser Art in Frankreich. Zum Beispiel kommen regelmäßig Eisenbahner, Lehrer, Arbeitslose und prekär Beschäftigte in der Bahnhofshalle des Pariser Ostbahnhofs zusammen. Straßenversammlungen werden regelmäßig in Toulouse vor den Arbeitsbörsen abgehalten und am Ende von Demonstrationen. Aber sie werden bislang nur von Minderheiten getragen.

Die Arbeiterklasse muss ihr Selbstvertrauen in ihre Fähigkeit zu kämpfen und sich kollektiv als Klasse zu organisieren, entwickeln. Wie? Wie können die Arbeiter ihre Kämpfe in die eigene Hand nehmen? Wir versuchen darauf in den nachfolgenden Artikeln einzugehen, weil diese Frage wesentlich und ausschlaggebend ist für den weiteren Verlauf der Kämpfe. IKS 22.10.2010

 

 

Raffinerien blockieren – ein zweischneidiges Schwert

20% der Tankstellen ohne Benzin. Endlos lange Schlagen. Überall Schlagzeilen in den Medien wegen der wirtschaftlichen Lähmung des Landes. Kämpferische und entschlossene Arbeiter. Und ein Präsident der Republik, der mit der Faust auf den Tisch schlägt, die „Diebe“ mit den schlimmsten Repressalien bedroht. Diese Szenen sind überall in den Medien zu sehen und werden weltweit verbreitet.

Die Beschäftigten, die vor den Raffinerien ausharren, tun dies im Namen der Arbeitersolidarität. Wenn sie den Mut haben, sich der wütenden Polizeirepression und den Strafen ihrer Arbeitgeber auszusetzen (z.B. Grandpuits, in der Pariser Region, der gedroht hat, den Standort dicht zu machen und alle zu entlassen), tun sie dies, weil sie sich dessen bewusst, sind, dass sie für eine gerechte Sache kämpfen, die weit über ihr sie hinausgeht: Die Rentenreform, die uns alle betrifft, und die miserablen Renten, die sich daraus ergeben. Sie kämpfen für die Interessen der gesamten Klasse.

Die Lähmung des Verkehrs, welche durch die Blockade entstanden ist, offenbart auch, dass die Arbeiterklasse die Kraft ist, von der alle Räder in dieser Welt abhängen. Die Arbeiter produzieren alle Reichtümer. Die Kapitalisten sind letzten Endes nur Parasiten, die auf unsere Kosten leben und sich die Erzeugnisse unserer Arbeit aneignen. Es reicht aus, dass ein strategischer Bereich wie die Raffinerien nicht mehr normal funktioniert, und schon gerät die ganze Wirtschaft aus den Fugen.

Aber diese Waffe ist ein zweischneidiges Schwert.

Wer leidet am meisten unter den Blockaden?

Die Blockade der Raffinerien verfolgt das erklärte Ziel der Lähmung der Wirtschaft, um Druck auf das Kapital auszuüben. Es stimmt, dass den Kapitalisten nichts wichtiger ist als der Profit. Aber wer wird am meisten durch die Benzinknappheit getroffen? Wer ist wirtschaftlich am härtesten getroffen? Das Kapital oder die Arbeiter? Konkret sind die größten Betriebe des Landes (Carrefour, L’Oréal, BNP Paribas, Société Générale, Danone usw.) nicht in Gefahr. Sie sitzen relativ fest im Sattel und können auf die Unterstützung des Staates bauen (auch auf finanzielle Hilfe). Aber die Arbeiter leiden tag- täglich unter den Schwierigkeiten, Benzin zu tanken und zur Arbeit zu fahren. Sie leiden unter den Strafen der Arbeitgeber oder den Sanktionen durch ihre Vorgesetzten, weil man zu spät zur Arbeit kommt. Und die Beschäftigten, die seit Wochen immer wieder gestreikt haben, müssen sich jetzt den Gürtel enger schnallen wegen der dadurch entstandenen Lohnverluste.

„Die Wirtschaft lahmzulegen, um Druck auf das Kapital auszuüben“, ist übrigens ein Mythos, der aus dem 19. Jahrhundert stammt. Vor mehr als einem Jahrhundert konnten die Beschäftigten ihre Betriebe lahmlegen und somit ihre Arbeitgeber zum Nachgeben zwingen. Einerseits ermöglichten die Solidaritätskassen, den Arbeitern „durchzuhalten“, andererseits musste der bestreikte Unternehmer mit ansehen, wie seine Konkurrenten die Lage auszunutzen und ihm Kunden webschnappten. Es gab ernste Gefahren, bankrott zu gehen, und oft konnten die Arbeiter einen Sieg davontragen. Heute sind die Verhältnisse aber ganz anders. Es mag zwar noch Solidaritätskassen geben; so gibt es welche für die „Blockierer“ der Raffinerien. Aber die Arbeitgeber fallen sich in einem Arbeitskampf nicht mehr gegenseitig in den Rücken; im Gegenteil sie unterstützen sich gegenseitig. Sie verfügen gar über schwarze Kassen, um mit solch einer Lage umzugehen. Somit treten die Beschäftigten der Raffinerien nicht nur „ihrem“ Arbeitgeber gegenüber, sondern dem Kapital insgesamt, und vor allem der geballten Staatsmacht. Das Kräfteverhältnis auf rein ökonomischer Ebene besteht nicht mehr zugunsten der Streikenden. Aber das ist nicht die einzige Falle.

 

Die Gefahr der Isolierung und „unpopulär“ zu werden

Streiks, über deren jeweilige Fortsetzung immer von neuem entschieden wird, sind heute noch nicht sehr verbreitet. Nur in einigen Bereichen wird zurzeit ununterbrochen gekämpft: im Verkehrswesen (vor allem bei der SNCF), den Häfen und der Müllabfuhr in Marseille und den Raffinerien. Weil sie isoliert sind, laufen diese Beschäftigen Gefahr, sich zu erschöpfen, im Falle einer Niederlage entmutigt und gewaltsam bestraft zu werden. Deshalb sind ja auch so viele Arbeiter zu den blockierten Raffinerien gekommen, um vor Ort ihre Solidarität durch ihre Anwesenheit zu bekunden.

Aber es gibt ein noch größeres Risiko, nämlich dass diese Bewegung „unpopulär“ wird. Im Augenblick unterstützt noch der größte Teil der Arbeiterklasse und der Bevölkerung insgesamt diesen Kampf gegen die Rentenreform. Seit dem ersten Aktionstag am 23. März haben sich immer mehr Lohnabhängige der Bewegung angeschlossen (selbst kleine Händler, Freiberufler, Handwerker und Bauern). Ihre Stärke besteht gerade darin, dass immer mehr Bereiche sich dem Kampf anschließen. Den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben sich Schritt für Schritt die der Privatindustrie, ganze Arbeiterfamilien (insbesondere während der Samstagsdemos), prekär Beschäftigte, Arbeitslose, dann Gymnasiasten und Studenten angeschlossen… Der Kampf gegen die Rentenreform ist für alle eine Kampf gegen die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen und gegen die Verarmung geworden.

Aber weil die Blockade des Verkehrswesens schlussendlich in erster Linie diejenigen trifft, die sich am Kampf beteiligen, besteht die Gefahr der Spaltung und dass diese Dynamik gebrochen und ein Hindernis wird für die notwendige massive Ausdehnung der Kämpfe. Bislang unterstützen viele Arbeiter diese Blockadeaktionen, aber im Laufe der Zeit kann sich das Blatt wenden.

Übrigens würde die vollständige Lähmung des Transportwesens ein Zusammenkommen bei den Demonstrationen unmöglich machen. Eine große Erleichterung für das Zusammenkommen wäre es vielmehr, wenn man kostenlos mit der Bahn reisen könnte, wäre das keine wirksamere Vorgehensweise zur Stärkung der Bewegung?

Ein politisches Kräfteverhältnis aufbauen

Soll das damit heißen, wir würden sagen, Blockaden und Besetzungen wären keine nützlichen Kampfmittel? Natürlich nicht! Es geht nur darum, dass diese Aktionen nicht als vorrangiges Ziel haben können, ökonomisch zu punkten, sondern sie müssen ein politisches Kräfteverhältnis aufzubauen.

Jegliches Handeln sollte bestimmt sein durch das Bemühen, den Kampf auszudehnen. Unsere Stärke ist unsere massive Einheit und unsere Solidarität im Kampf.

Zum Beispiel fingen die Streiks an den Unis während der Bewegung gegen den CPE im Frühjahr 2006 durch Blockaden an. Mit Hilfe der Blockaden gelang es den bewusstesten und kämpferischsten Studenten, eine große Zahl von Kommilitonen/Innen für die Vollversammlungen zu mobilisieren, wo ein beträchtlicher Teil der Studenten, die nicht die Bedeutung der Angriffe der Regierung oder die Notwendigkeit eines Abwehrkampfes dagegen verstanden hatte, von der Debatte und den darin vorgebrachten Argumenten überzeugt wurde.

Die Blockade und die Besetzung eines Industriestandortes, einer schulischen Einrichtung oder einer Verwaltung kann auch dieses massive Zusammenkommen in Vollversammlungen, diese Debatten ermöglichen, wo die am meisten Zögernden überzeugt werden und sich dem Kampf anschließen. Einzig diese Dynamik der Ausdehnung jagt den Herrschenden wirklich Angst ein. Und schlussendlich, welche Rolle auch immer eine Fabrikbesetzung oder eine Blockade zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Streik spielen mag, auf den Straßen können die Beschäftigten, Rentner, Arbeitslosen, Arbeiterfamilien usw. am leichtesten massiv zusammenkommen. IKS, 22.10.2010

 

 

Die Gewerkschaftsbündnisse führen uns in die Niederlage

„Wir sind zu Millionen auf die Straße gezogen und haben an den vergangenen Aktionstagen gestreikt. Die Regierung gibt immer noch nicht nach. Nur eine Massenbewegung wird sie dazu zwingen. Diese Idee kommt immer mehr in Diskussionen um einen unbegrenzten, jeweils erneuerbaren Generalstreik und der Blockierung der Wirtschaft auf. (…) Die Gestalt, die diese Bewegung annehmen wird, hängt von uns ab. (…) Wir müssen über die Aktionsformen, Forderungen usw. selbst entscheiden. Niemand anders darf uns dies abnehmen.

Wenn wir die Chérèque (CFDT), Thibault (CGT) & Co. An unserer Stelle entscheiden lassen, stehen nur neue Niederlagen bevor. Chérèque ist für die Regelung, dass 42 Beitragsjahre gezahlt werden müssen [was dem Vorhaben der Regierung entspricht]. Thibault verlangt nicht die Rücknahme des Gesetzentwurfes. Wir haben auch nicht vergessen, dass er 2009 mit Sarkozy Champagner trank, während Tausende von uns entlassen wurden und wir alleine, isoliert voneinander kämpfen mussten. Wir haben auch kein Vertrauen mehr in die angeblich „Radikalen“. Die Radikalität Mailly (FO/Gewerkschaft) besteht darin, der PS-Vorsitzenden Aubry die Hand zu schütteln, während die PS selbst für die 42-Beitragsjahre stimmt. (…)

Wenn sie heute die Idee eines erneuerbaren Streiks propagieren, dann wollen sie vor allem vermeiden, dass sie von der Bewegung überrollt werden. Deren Kontrolle über unsere Kämpfe gilt für sie als Faustpfand, um zum Verhandlungstisch zugelassen zu werden. Warum? In einem Brief von sieben Gewerkschaftsorganisationen der CFTC an Sud-Solidaires, schrieben diese: „Um den Standpunkt der Gewerkschaftsorganisationen bekannt zu machen mit dem Ziel, eine Gesamtheit von gerechten und wirksamen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des bisherigen Rentensystems sicherzustellen“. Soll man wirklich glauben, dass es eine gemeinsame Basis mit den Leuten geben kann, die seit 1993 unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen systematisch untergraben haben?

Die einzige wirkliche Einheit, die diese Regierung und die herrschende Klasse zurückdrängen kann, besteht in dem Zusammenschluss der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und der Privatindustrie, von Beschäftigten und Arbeitslosen, Rentnern und Jugendlichen, legal und illegal Beschäftigten, Gewerkschaftsmitgliedern und Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern, an der Basis in den Betrieben in den gemeinsamen Vollversammlungen und indem wir den Kampf in die eigene Hand nehmen.“

Dies ist ein Auszug aus einem Flugblatt, das bei den Demonstrationen in Paris massenhaft verbreitet und unterzeichnet wurde von „Arbeitern und prekär Beschäftigten der branchenübergreifenden Vollversammlung des Ostbahnhofs“.

Zahlreiche andere Texte mit der gleichen Stoßrichtung und einem ähnlichen Ton sind von anderen branchenübergreifenden Zusammenschlüssen, Kampfkomitees, Diskussionsgruppen oder kleinen politischen Organisationen verfasst worden, die ihr wachsendes Misstrauen gegenüber dem Gewerkschaftsbündnis geäußert haben und dieses beschuldigen, uns absichtlich in die Niederlage zu führen. Alle ermuntern die Arbeiter, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen.

Hinter dem Gewerkschaftsbündnis – Infragestellung des gewerkschaftlichen Kampfes

Die Sabotage der Kämpfe durch das Gewerkschaftsbündnis 2003, 2007 und heute 2010 wirft die breitere Frage des wahren Wesens der Gewerkschaften auf. Stehen sie heute immer noch auf Seiten der Arbeiterklasse? Ein kurzer Rückblick auf die letzten Jahrzehnte belegt, dass sie ins Lager der Herrschenden übergewechselt sind.

Seit mehr als 100 Jahren waren die großen Kämpfe jeweils wilde, spontane und massive Streiks. Und all diese Kämpfe stützten sich bei ihrer Organisierung nicht auf die Gewerkschaften sondern auf Vollversammlungen, in denen alle Arbeiter über den Kampf und die Probleme diskutieren, mit gewählten und abwählbaren Komitees, die für die Zentralisierung des Kampfes sorgen. Die großen Streiks im Mai 1968 in Frankreich wurden gegen den Widerstand der Gewerkschaften ausgelöst. Während der Streiks des „Heißen Herbst“ 1969 in Italien verjagten die Arbeiter die Gewerkschaftsvertreter aus den Streikversammlungen. 1973 griffen die streikenden Hafenarbeiter von Antwerpen das Gewerkschaftsbüro an. In den 1970er Jahren setzen die Arbeiter den Gewerkschaften in England hart zu, genau wie in Longwy, Denain, Dünkirchen in Frankreich während der Streiks 1979. Im August 1980 lehnten die Arbeiter in Polen die Gewerkschaften ab (die zum Räderwerk des Staates gehörten); sie organisierten den Massenstreik auf der Grundlage von Vollversammlungen und gewählten und abwählbaren Streikkomitees (MKS). Die Arbeiter konnten sich per Mikrofon in die Verhandlungen einschalten, so dass alle diese verfolgen, das Wort ergreifen und die Delegierten kontrollieren konnten. Man muss sich vor allem daran erinnern, wie dieser Kampf zu Ende ging: Durch die Illusion über die Möglichkeit einer neuen, freien, unabhängigen und kämpferischen Gewerkschaft, der die Arbeiterklasse vertrauen und der man die Leitung der Kämpfe übertragen könnte. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Die neue Gewerkschaft, Solidarnosc, stellte die Mikrofone ab, um geheime Verhandlungen mit dem polnischen Staat zu führen, und um in Abstimmung mit diesem die Zerstreuung und Spaltung der Arbeiter zu organisieren. Es folgte die gewaltsame Niederlage der Arbeiter.

Den Gewerkschaften zu folgen, heißt immer auf eine Niederlage zuzusteuern. Um einen massiven Kampf zu entfalten, der von der Arbeitersolidarität getragen wird, muss man den Kampf in die eigenen Hände nehmen.

»Die Emanzipation der Arbeiter [muss] das Werk der Arbeiterklasse selbst sein«

 

 

 

Wie sich im Kampf organisieren?

Eine Kampfbewegung lebt und entfaltet sich wie ein Mäander. Fliegende Streikposten, Blockaden, Besetzungen, Flugblattverteilungen, spontane Demonstrationen usw. all das sind mögliche Aktionsformen. Und die Arbeiterklasse wird sicherlich noch andere in zukünftigen Kämpfen erfinden.

Aber im Mittelpunkt jeden Kampfes steht notwendigerweise die Vollversammlung. In den Vollversammlungen können wir diskutieren, debattieren, kollektiv entscheiden. Die Vollversammlungen sind DER Ort offener Diskussionen und eventueller gemeinsamer Entscheidungen im Kampf. Deshalb werden sie auch immer zur Zielscheibe aller Sabotageversuche.

Die Vollversammlungen - Die Lunge der Arbeiterkämpfe

Solange nicht gekämpft wird, gibt es meist nur harmlose gewerkschaftlich organisierte Vollversammlungen. In allen Betrieben gibt es gewerkschaftlich organisierte „Aktionen“, bei denen meist Gewerkschaftsfunktionäre unter sich zusammenkommen und die meisten Leute der Basis, Gewerkschaftsmitglieder und solche, die keiner Gewerkschaft angehören, eine reine Beobachterrolle übernehmen, und die man nur von Zeit zu Zeit um ein Votum bittet. Zu allen diesen Treffen erscheinen meist nur wenige Leute. Die meisten Arbeiter wissen, dass sie völlig irrelevant sind.

Aber wenn – wie jetzt - Kämpfe ausbrechen, passen die Gewerkschaften sich an und spielen verschiedene Karten:

- Solange sie können, unternehmen sie alles, damit so wenige Leute wie möglich sich an den Treffen beteiligen. Entweder halten sie gar keine ab, oder nur heimlich, mit möglichst wenig Werbung für sie.

- Manchmal ist die Wut unter den Arbeitern zu groß. Um spontane Diskussionen auf Treffen zu verhindern, die nicht unter ihrer Kontrolle stehen, halten sie dann eine Reihe von Versammlungen ab. Aber diese Versammlungen sind nach Branchen, Standorten, Geschäftsbereichen usw. organisiert. Die Gewerkschaften säen somit die Spaltung, zerstreuen unsere Kräfte nach altbekannter Salamitaktik, anstatt sie zu bündeln und zu vereinigen. Im Augenblick hält man bei den Eisenbahnen der SNCF gewerkschaftliche Versammlungen ab für Lokführer, für Schaffner, Verwaltungsangestellte usw. In einigen Krankenhäusern in der Region Toulouse wird das völlig lächerlich: man hält Versammlungen auf jeder Station ab!

- Um auf jeden Fall die Kontrolle dieser Vollversammlungen zu bewahren, sind die Gewerkschaften zu allen Tricks bereit. Im Pariser Ostbahnhof war für den 14. Oktober eine Vollversammlung am Morgen anberaumt worden. Die Eisenbahner sollten gemeinsam über die Fortführung des Streiks entscheiden. Aber schließlich haben die Gewerkschaftsfunktionäre es vorgezogen, die Fortführung des Streiks selbst am Vorabend, am 13. Oktober, zu entscheiden. Es gab also keinen Grund mehr, auf der Vollversammlung am Donnerstag überhaupt zu erscheinen, weil alles ohnehin schon im Voraus entschieden war. Und in der Tat erschien fast niemand an dem Tag. So wurde das kollektive Leben der kämpfenden Arbeiterkasse abgewürgt. Eine gewerkschaftliche Sabotage wie aus dem Bilderbuch!

In ihrem Artikel „Was ist eine Vollversammlung“ beschreibt die CNT-AIT des Departement Gers sehr genau andere „Bedrohungen“, die über einer Vollversammlung schweben können:

- „Monopolisierung der Debatte. Die Vollversammlung ist nicht demokratisch. Die klassische Rolle ist die des Gewerkschaftsdelegierten, welcher die Rolle des Moderators beansprucht, sich an Debatten beteiligt, dabei aber systematisch seine Meinung aufzwingt (…)

- Undemokratisches Verhalten der Vollversammlung: Abstimmungen werden nicht respektiert. Die Tagesordnungen werden nicht eingehalten; man stellt mehrfach eine schon getroffene Entscheidung zur Abstimmung, bis die Abstimmenden erschöpft sind. Oft werden die Treffen am Ende einer Versammlung manipuliert, um sie schadlos zu machen.

- Neutralisierung einer Vollversammlung. Egal wie fruchtbar eine Vollversammlung war, sie werden nicht fortgesetzt. Oft werden Vollversammlungen für Streikende abgehalten, damit diese Luft ablassen können.“ Aber richtige Vollversammlungen müssen genau das Gegenteil sein. Sie müssen von vornerein alle Branchen- oder Berufsspaltungen überwinden. Sie müssen nicht nur allen Belegschaften offenstehen, egal welcher Branche sie angehören, und vor allem den Beschäftigten anderer Betriebe, den prekär Beschäftigten, den Rentnern, Arbeitslosen, Studenten, Gymnasiasten …., all denjenigen, die sich an der Ausdehnung der Bewegung beteiligen und die Frage klären wollen: „Wie kämpfen“?

- Wie die anarcho-syndikalistische Organisation des Departement Gers schreibt: „Die Vollversammlung ist demokratisch; sie garantiert das Rederecht, mit gleicher Redezeit und keiner Themenzensur. Dieses Rederecht wird durch ein Mandat garantiert, durch den Moderator. (…)

- Die Vollversammlungen treffen Entscheidungen, die Abstimmung finden durch Handheben statt (…)

- Die Vollversammlung ist von unbeschränkter Dauer, es wird ein Bericht erstattet, der von einem dafür eigens bei Beginn der Versammlung Benannten angefertigt wird, der zur Aufgabe hat, die Debatten und Entscheidungen der Vollversammlung zu protokollieren und zu verbreiten. Auf der Vollversammlung wird das Datum und der Ort der nächsten VV geplant.“

- Diese letzten Punkte sind wesentlich. Eine VV ist kein Ort zum einfachen Luftablassen der Wut der Beschäftigten. Sie ist viel mehr als das. Man kann sich hier zu Wort melden; und sie ist oft der einzige Ort, wo die Arbeiter wirklich das Wort ergreifen können. Aber in einer Vollversammlung wird auch die Einheit der Arbeiterklasse geschmiedet.

- Unsere Klasse kann in solchen VV kollektiv Entscheidungen treffen. Deshalb ist es wichtig, dass eine VV durch die Verabschiedung von Texten und gegebenenfalls Aktionen konkretisiert wird.

- Hier kann die Ausdehnung eines Kampfes beschlossen und organisiert werden, indem massive Delegationen zu anderen Arbeitern geschickt werden (Fabriken, Verwaltungen, Krankenhäuser…), die geographisch am nächsten liegen, und wo die Belegschaften am kämpferischsten sind, und sie dazu aufzurufen, sich ihrem Kampf anzuschließen.

- In den VV können sich die Beschäftigten verschiedener Standorte und Branchen absprechen. Die VV müssen untereinander durch Komitees koordiniert werden, die auch aus gewählten Delegierten zusammengesetzt sind, und ständig ihnen gegenüber Rechenschaft ablegen und immer abwählbar sein müssen.

Die gegenwärtige Bewegung gegen die Rentenreform hat das Ausmaß der Wut der Arbeiter deutlich werden lassen, die Macht ihrer Entschlossenheit und ihrer Fähigkeit, sich massiv zu mobilisieren. Aber unserer Klasse ist es bislang noch nicht gelungen, sich gemeinsam im Kampf in souveränen und autonomen Vollversammlungen zu organisieren. Das ist die Hauptschwäche dieses Kampfes. Diese Stufe muss die Arbeiterklasse notwendigerweise hinter sich lassen, wenn sie ihre Kämpfe in die Hand nehmen und geeint und solidarisch dem Kapital entgegentreten will. IKS, 22.10.2010

 

 

Staatliche Provokationen, Einschüchterungen und Repression

In Lyon zog am 21. Oktober ein Demonstrationszug zum Bellecour-Platz. Der Zug traf auf einige Dutzend Jugendliche, die mit der Polizei zusammenprallten und alles zerschlugen, was ihnen vor die Füße kam. Sofort verhinderte eine polizeiliche Absperrung sie daran weiterzuziehen und drängte sie aufgrund einer „Anweisung von Oben“ ruppig zurück.

Die Herrschenden wollen vor allem nicht, dass die Demonstranten mit den „Randalierern“ diskutieren und sie davon überzeugen, ihre Wut anders zum Ausdruck zu bringen, indem sie sich nämlich dem Kampf gegen die Rentenreform anschließen. Sie wünschen genau das Gegenteil: dass die Demonstrationen entarten und in einer blinden Gewalt enden.

Um ihr Ziel zu erreichen, haben sie voll zugeschlagen. Die Bullen hatten Order, auf alles zu prügeln, was sich bewegte und weniger als 20 Jahre alt war. Überall in Frankreich wurden die Gymnasiasten provoziert und geschlagen. Das Ziel dieses Vorgehens ist klar: den Jugendlichen, ihren Eltern und der ganzen Arbeiterklasse Angst einjagen und zu versuchen, die Bewegung unpopulär zu machen, indem dieser Kampf fälschlicherweise mit Zerstörung und Gewalt identifiziert wird.

Aus unserer Sicht haben diese Ereignisse erneut den wahren Charakter der Herrschenden und der Arbeiterklasse zutage treten lassen.

Auf der einen Seite eine Klasse, die Hass und Spaltung schürt; mit ihrem gewaltsamen Vorgehen, dem Einsatz von Flash-balls, Schlagstöcken und Tränengas die Jugendlichen terrorisieren und ihnen Angst einjagen will.

Ihr gegenüber steht die Arbeiterklasse, die sich für Solidarität einsetzt. Jugendliche kämpfen dafür, dass ihre Eltern und Großeltern nicht in Armut leben, und die ältere Generation, die sich weigert, die Galeere hinzunehmen, in die die junge Generation gesteckt werden soll.

Nieder mit dem staatlichen Terror, Es lebe der Klassenkampf. IKS 22.10.2010

Aktuelles und Laufendes: 

  • Vollversammlungen [1]
  • Rentenreform Frankreich [2]
  • Kämpfe in Frankreich [3]
  • Generationenfrage [4]
  • polizeiliche Repression [5]
  • Randalierer Frankreich [6]

Frankreich: Kurze Chronologie der Ereignisse des Kampfes gegen die Rentenreform

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Wir veröffentlichen nachfolgend eine kurze Chronologie der verschiedenen Ereignisse und Etappen der Bewegung des Kampfes gegen die Rentenreform, die sich seit Monaten in Frankreich entfaltet hat.

Wir werden diese Aufstellung weiter ergänzen, sobald weitere Schritte erfolgen.

Diese Bewegung ist schon reich an Lehren für die Weltarbeiterklasse. Gegenüber der Lügenpropaganda der Staaten, der französischen Medien und der internationalen Presse müssen unbedingt Zeugenaussagen und verschiedene Informationen über den Kampf so breit wie möglich in allen Ländern verbreitet werden. Wir fordern also alle unsere LeserInnen dazu auf, die nachfolgende Chronologie der Ereignisse (die notwendigerweise unvollständig und auf bestimmte Teile beschränkt ist) zu ergänzen. Ihr könnt dazu unser Diskussionsforum benutzen (und wir werden uns bemühen, so weit unsere Kräfte es erlauben, diese Texte in die Hauptsprachen zu übersetzen).

23. März 2010

Ein gewerkschaftlicher Zusammenschluss (dem fast alle französischen Gewerkschaften angehören, von den Gewerkschaften, die am offensten mit der Regierung „kollaborieren“, bis zu den „radikalsten“) ruft zu einem ersten Aktionstag auf.

800.000 Demonstranten versammeln sich auf den Straßen. Die Atmosphäre zeigt eher Zurückhaltung, es herrscht Resignation vor. Die Rentenreform war seit mehreren Monaten, ja Jahren von der Regierung vorbereitet worden. Die Politiker, die Medien, die „Experten“ aller Couleur behaupten ununterbrochen, dass diese Reform unabdingbar und unumgänglich sei, ja der Fortbestand der Zahlungsfähigkeit der Rentenkassen und des Staatshaushalts stünde auf dem Spiel. Übrigens forderten die Gewerkschaften nicht „Rücknahme des Angriffs auf die Renten“. Sie riefen dazu auf, für „mehr Verhandlungen zwischen Staaten und Gewerkschaften“ zu kämpfen und für eine „gerechtere, menschlichere“ Reform.

Kurzum, alle – Staat, Arbeitgeber, Gewerkschaften – behaupteten, dieses Opfer sei eine „nützliche Notwendigkeit“. Die Unzufriedenheit über den starken Druck dieser Propaganda war zwar groß, aber die Kampfbereitschaft war noch nicht so angewachsen.

26. Mai 2010

Das gleiche Schauspiel ging wieder los. Der gewerkschaftliche Zusammenschluss ruft zu einem zweiten Aktionstag nach dem gleichen Szenario auf mit den gleichen Forderungen. Die Teilnehmerzahl liegt leicht höher (ca. eine Million Teilnehmer), aber die Stimmung ist immer noch eher durch Hoffnungslosigkeit geprägt.

24. Juni 2010

Die Gewerkschaften hoffen darauf, der Bewegung den Gnadenstoß zu versetzen. Ein dritter Aktionstag ist geplant. In Anbetracht der ziemlich gedrückten Stimmung der ersten beiden Aktionstage sollte dieser Aktionstag vor der Sommerpause eine Art „Begräbnistag“ werden. Die Maschine ist gut geölt: Ein Aktionstag mit gleicher Beteiligung hieße, dass die „Sache abgeschlossen“, über die Bühne gebracht sei. In Anbetracht der zwei bevorstehenden Monate Sommerpause soll jeder Funken Hoffnung auf eine Verstärkung des Kampfes ausgelöscht werden. Die Gewerkschaften hatten sich schon in ihren Reden darauf eingestimmt: „Wir haben alles versucht, aber die Kampfbereitschaft der Beschäftigten war nicht stark genug“. Die Entmutigung war vorhersehbar!

Diese Technik war früher schon mehrfach, oft erfolgreich, ausprobiert worden. Aber der Schuss ging daneben. Am 24. Juni ziehen zwei Millionen Beschäftigte, Arbeitslose und prekär Beschäftigte auf die Straße.

Neben der großen Teilnehmerzahl schlägt auch die Stimmung um: Wut und Empörung nehmen deutlich zu. Seit der Zuspitzung der Wirtschaftskrise 2008 verschärfen sich Verarmung und Ungerechtigkeit. Die Rentenreform wird zum Symbol der brutalen Verschlechterung der Lebensbedingungen.

Juli-August 2010

Der Aktionstag des 24. Juni hat der Moral der Arbeiterklasse wieder Auftrieb verliehen. Die Idee, dass ein druckvoller Kampf möglich ist, gewinnt an Boden. Die Gewerkschaften verspüren natürlich auch, dass der Wind sich dreht. Sie wissen, die Frage „Wie kämpfen“ weicht nicht aus den Köpfen. Sie beschließen, sofort das Terrain zu besetzen und ideologisch vorzurücken. Sie wollen verhindern, dass die Arbeiter selbständig, außerhalb der gewerkschaftlichen Kontrolle denken und handeln. Sie kündigen deshalb sofort am Tag nach dem 24. Juni einen neuen Aktionstag für die Zeit nach der Sommerpause an (7. September).

Um sicherzustellen, dass „das selbständige Denken“ eingedämmt wird, heuern sie gar Flugzeuge an, die mit Spruchbändern mit Aufrufen zu den Kundgebungen am 7. September über die Badestrände fliegen.

Aber ein anderes Ereignis, das unter „Sonstiges“ gehandelt werden könnte, lässt im Sommer die Wut weiter ansteigen – „die Woerth-Affäre“ (es geht um politische Begünstigung unter gegenwärtig an der Macht befindlichen Politikern und eine der reichsten Erbinnen des französischen Kapitals, Frau Bettencourt, Chefin von L’Oréal, mit der Beschuldigung von Steuerhinterziehungen und illegalen Absprachen aller Art). Nun ist Eric Woerth niemand anders als der für die Rentenreform verantwortliche Minister. Die empfundene Ungerechtigkeit ist groß: Die Arbeiterklasse soll den Gürtel enger schnallen, während die Reichen und Mächtigen „ihre Geschäfte untereinander machen“.

7. September 2010

Von Anfang an konnte man für diesen Aktionstag eine große Beteiligung erwarten. Dabei wurde ein Aktionstag zum ersten Mal so früh nach dem Ende der Sommerferien angesetzt. Schon vor dem 7. September und in Anbetracht der hochkochenden Wut der Arbeiter verkünden die Gewerkschaften eine neue Demonstration für einen Samstag, damit „jeder teilnehmen“ könne.

Am 7. September strömen 2.7 Millionen Demonstranten zusammen. Die Sommerpause hat nichts bewirkt; es scheint, ein heißer Herbst stehe bevor, der die Dynamik der Entwicklung vor dem Sommer fortsetzen werde. Aufrufe zu weiteren Streiks machen die Runde.

In Anbetracht des Ausmaßes der Wut und der massiven Mobilisierung reagiert der gewerkschaftliche Zusammenschluss sofort. Im Handumdrehen wird die Samstags-Demonstration abgesagt, die Möglichkeit von erneuten Streiks wird verworfen. Ein neuer Aktionstag wird für 15 Tage später (23. September) verkündet. Die Dynamik soll gebrochen, Zeit geschunden werden. Dieses „verantwortungsbewusste Handeln“ des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses wird dann später von den höchsten Instanzen des französischen Staates gelobt werden.

23. September 2010

Drei Millionen Demonstranten auf der Straße! Die Bewegung steigt also weiter an. Zum ersten Mal zögern die Demonstrationszüge nach dem Ende der Kundgebungen, sich aufzulösen. Genauer gesagt bleiben in zahlreichen Städten nach den Kundgebungen einige Dutzend Leute hier, einige Hundert Leute da zusammen. Es zirkulieren zum ersten Mal Flugblätter aus branchenübergreifenden Bereichen, die dazu aufrufen, dass die Arbeiter den Kampf in die eigenen Hände nehmen. 2 [7]. In einigen Städten organisiert die CNT-AIT “Volksversammlungen”, damit sich jeder “frei zu Wort” melden kann (die IKS schloss sich später dieser ausgezeichneten Initiative an). Von da an wurden erfolgreich diese Versammlungen auf der Straße abgehalten; es gelang mehreren Dutzenden Leuten, insbesondere in Toulouse, jede Woche zusammenzukommen (3 [8].)

Dieser Wille zur Selbstorganisierung, der hier durch die Minderheiten zum Vorschein kommt, zeugt davon, dass in der ganzen Klasse die Gewerkschaftsstrategie infragegestellt wird, ohne daraus natürlich schon all die Konsequenzen zu ziehen.

2. Oktober 2010

Die erste Demonstration, die an einem Samstag stattfand. Die Zahl der Teilnehmer bleibt im Wesentlichen unverändert. Aber zu den drei Millionen Teilnehmern gehören dieses Mal auch neben den üblichen Teilnehmern Familien und Beschäftigte der Privatindustrie, die üblicherweise nicht in den Streik treten können.

Mehrere Versuche, Straßenversammlungen nach Kundgebungsende abzuhalten, scheitern:

- In Paris wird von der branchenübergreifenden Gruppe Turbin (der Name rührt von ihrer E-mail [email protected] [9] her) ein Flugblatt mit dem Aufruf verteilt, an einem Zeitungsstand nach Ende der Kundgebung bei dem Spruchband „Die beste Rente ist der Angriff“, „Nehmen wir unsere Kämpfe in die eigenen Hände“ zusammenzukommen. Ein Beleg, dass dieser Aufruf tatsächlich verbreitet wurde: am vorgeschlagenen Treffpunkt warten Dutzende… Polizisten (mit Kamera!). Weil es keinen geeigneten Ort für eine Versammlung gab, konnte diese nicht abgehalten werden. Der Zug der branchenübergreifenden Gruppe beschließt daraufhin, weiter zu demonstrieren. Ca. 50 Teilnehmer ziehen los, innerhalb einer Stunde versammeln sich ca. 300 Leute.

- In Tours ruft das Komitee „Für die Ausdehnung der Kämpfe“ per Flugblatt dazu auf, „die Straße für uns zu gewinnen“.

- In Lyon sprechen sich einige Dutzend Demonstranten dafür aus, nicht sofort auseinanderzugehen, sondern zusammenzubleiben, um in einer Straßenversammlung zu diskutieren und gemeinsam zu überlegen, wie sie die Bewegung fortsetzen und entfalten können. Die Lautsprecher der CGT (die größte französische Gewerkschaft) ersticken schließlich diese Initiative; deren dröhnender Lärm macht jede wirkliche Debatte unmöglich.

Diese gescheiterten Versuche zeigen einerseits die Anstrengungen unserer Klasse, die Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen, andererseits aber auch die Schwierigkeiten der jetzigen Zeit (insbesondere das mangelnde Selbstvertrauen, das noch eine Fessel für die Ausgebeuteten ist).

In Toulouse dagegen finden die Volksversammlungen weiterhin statt. Die Initiative nimmt immer größere Ausmaße an, da die CNT-AIT und die IKS am Ende der Demonstration ein Spruchband aufstellen, auf dem steht: „Beschäftigte, Arbeitslose, Studenten, Rentner, nehmen wir den Kampf in die eigenen Hände“. Vor Ort wird eine Versammlung auf der Straße abgehalten, mehrere Dutzend Leute beteiligen sich daran.

12. Oktober 2010

An diesem neuen Aktionstag kommen ca. 3.5 Millionen Teilnehmer zusammen, ein neuer Rekord!

Wichtiger noch, die Stimmung ist ziemlich aufgewühlt. Es werden immer mehr branchenübergreifende Vollversammlungen abgehalten; es entstanden mehrere Dutzend in ganz Frankreich. Es beteiligen sich jeweils zwischen 100-200 Leuten. Die Politik der zusammengeschlossenen Gewerkschaften wird immer offener kritisiert. In zahlreichen Flugblättern der branchenübergreifenden Zusammenschlüsse wird gar ausdrücklich gesagt, dass diese absichtlich in die Niederlage führen 4 [10]. Als Zeichen dieser Dynamik wird in Toulouse neben den von der CNT-AIT (und in einem geringeren Maße von der IKS) organisierten Volksversammlungen ein Aufruf zur Abhaltung einer Straßenversammlung jeden Tag vor den Gewerkschaftshäusern um 18.00 h verfasst (bis heute, 20. Oktober, trifft man sich weiterhin täglich), und weitere Aufrufe per Flugblatt werden verfasst.

Ein neuer Streik wurde schließlich von den meisten Gewerkschaften beschlossen. Nach diesem ganzen Marathon (die Bewegung hat vor sieben Monaten angefangen!) und zahlreichen Streiktagen, an denen sich die Arbeiter an früheren Aktionstagen wiederholt beteiligten, kommt dieser verlängerbare Streik sehr spät. Die Arbeiter haben schon große Lohnverluste hinnehmen müssen. Darauf setzen jedenfalls die Gewerkschaften. Aber auch an dieser Bewegung beteiligen sich viele.

Bei den Eisenbahnern und den Lehrern der Pariser Region wurden viele Vollversammlungen abgehalten, die von den Gewerkschaften organisiert wurden. Das Ausmaß der Spaltung und Sabotage erscheinen hier schon fast lächerlich. Bei den französischen Eisenbahnen SNCF werden die gewerkschaftlichen Vollversammlungen je nach Beschäftigungsbereich organisiert (Lokführer auf der einen, Schaffner auf der anderen Seite, und das Verwaltungspersonal wiederum für sich in seiner Ecke); in einigen Krankenhäusern organisiert jede Station ihre eigene Vollversammlung. Sie sind absolut nicht souverän. Zum Beispiel am Pariser Ostbahnhof steht die Entscheidung über die Verlängerung des Streiks für Donnerstag, den 14. Oktober morgens an; die Gewerkschaftsfunktionäre stimmen schon am Mittwoch unter sich darüber ab. Diese Strategie zeigt zwei Folgen:

- Die Vollversammlung verliert ihren Zweck; die Beschäftigten gehen nicht mehr hin, da ohnehin schon alles beschlossen ist;

- Sie ermöglichen den Medien, die Abstimmung über die Verlängerung des Streiks als die Angelegenheit einer winzigen Minderheit darzustellen; so möchte man die Bewegung unpopulär machen.

Und hier spielen die Gewerkschaften ihren größten Trumpf aus: Lähmung des öffentlichen Verkehrs (vom 12. Oktober an fallen viele Züge aus, die Blockade der Raffinerien gefährdet die Benzinversorgung), um so Spannungen innerhalb der Arbeiterklasse zu schüren und diejenigen, die arbeiten wollen (und müssen), gegen die Streikenden aufzuwiegeln.

16. Oktober 2010

Die zweite Demonstration an einem Samstag. Erneut ziehen ca. drei Millionen Menschen auf die Straße.

Ein neues Element tritt in Erscheinung: die Jugend. Gymnasiasten, die einige Tage zuvor in den Kampf eingetreten sind, nehmen an den Protestzügen teil.

Am darauffolgenden Monat werden ca. 1000 Schulen blockiert und es kommt zu vielen Demonstrationen der Gymnasiasten. Die UNL, die größte Gewerkschaft der Gymnasiasten (nicht der Studenten), die diese Bewegung mit angeleiert hat, gesteht ein, von dem Ausmaß der Bewegung überrollt zu sein.

Der Staat schlachtet das Auftreten einiger weniger jugendlicher Randalierer unter den Gymnasiasten aus, um einige “Blockierer” und junge Demonstranten äußerst gewaltsam zu unterdrücken (ein siebzehnjähriger Jugendlicher verliert infolge eines Flash-Ball-Schusses in Montreuil in einem Pariser Vorort fast ein Auge). Die Ordnungskräfte fachen die Wut weiter an mit ihren polizeilichen Provokationen. Das Ziel ist klar: die Bewegung soll entarten, in blinder Gewalt versinken und in sinnlosen Zusammenstößen mit den Bullen verenden. Damit will der Staat den Kampf unpopulär machen, die Jugendlichen, ihre Eltern und die ganze Arbeiterklasse einschüchtern.

18. Oktober 2010

Die Studenten, die im Mittelpunkt der siegreichen Bewegung gegen den CPE 2006 standen, scheinen sich jetzt auch der Bewegung anzuschließen. In einigen Universitäten wird deren Blockade beschlossen (insbesondere in Paris, Toulouse, Rennes), aber bislang beteiligen sich nur ganz wenige Studenten daran.

19. Oktober 2010

Die Drohung der Blockade der Raffinerien, die seit dem 12. Oktober in der Luft lag, wird umgesetzt. Ohne irgendeine Entscheidung in Vollversammlungen zu berücksichtigen, folgen die Truppen der CGT den Anweisungen ihrer Gewerkschaft und legen die Raffinerien lahm. Sehr schnell geht vielen Tankstellen (nach Schätzungen zwischen 1000-2000) das Benzin aus.

Die Mobilisierungen nehmen auch bei der SNCF zu; mehr und mehr Züge fallen aus.

Trotz dieser Lähmung des Transportwesens wird die Bewegung nicht unpopulär. Selbst jene Medien, die üblicherweise Passanten auf der Straße interviewen, von denen dann oft viele ihren ganzen Hass äußern, weil in irgendeinem Bahnhof Züge ausfallen, müssen dieses Mal zugeben, dass dieselben „Reisenden“ mit der Bewegung solidarisch sind, dass sie Geduld und Nachsicht zeigen und die Streikenden voll unterstützen, denn „sie kämpfen für unser gemeinsames Interesse“. Einige Gewerkschaftsvollversammlungen und einige branchenübergreifende Gruppierungen beschließen gar die Unterstützung der Blockierer der Raffinerien, vor denen es oft zu sehr brutalen Übergriffen seitens der Polizei bei der „Räumung der Raffinerien“, der „Wiederherstellung der Ordnung“ und dem Vorgehen „gegen Diebe“ kommt (so der Präsident der Republik, Nicolas Sarkozy).

Trotz des Benzinmangels, trotz der ausgefallenen Züge, trotz der Einschüchterungen und der Repression strömen am 19. Oktober dreieinhalb Millionen Menschen auf der Straße zusammen. Dies spiegelt das Ausmaß der Wut der Arbeiter wider!

Gegenüber dem Ausmaß dieser neuen Mobilisierung greift der Staat noch mehr zum Polizeiknüppel und den Flash-Balls. Insbesondere in Lyon wartet ein massives Polizeiaufgebot auf den eintreffenden Demonstrationszug. Die Polizisten schüren bewusst den Hass unter den Jugendlichen. Eine Handvoll von ihnen lässt sich provozieren. Die Repression endet damit in einer Kette von Gewalt; die Bullen schlagen auf alles ein, was sich bewegt: auf Jugendliche, die irgendwie wie Randalierer aussehen (d.h. es reicht eine Kappe zu tragen) oder ganz einfach nur jung aussehen, aber auch auf Ältere. Der Staat hat sicherlich gespürt, dass er dieses Mal zu weiter gegangen ist, denn einige Minister rufen „zu Ruhe und Besonnenheit“ auf (in Wirklichkeit sind diese Aufrufe an ihre eigenen Truppen gerichtet). Die Demonstration in Paris fand anschließend „ohne Zusammenstöße“ statt, wie die Presse unterstrich.

Zusammenfassend gesagt; die Bewegung entfaltet sich nunmehr seit sieben Monaten. Die Wut ist sehr groß. Die Forderungen gegen die Rentenreform neigen dazu, in den Hintergrund zu treten. Die Medien gestehen ein, dass die Bewegung sich „politisiert“ habe. Die ganze Verarmung, die prekären Arbeitsbedingungen, die Ausbeutung usw. werden offen verworfen. Die Solidarität zwischen den verschiedenen Branchen hat auch zugenommen. Aber bislang ist es der Arbeiterklasse nicht gelungen, ihre Kämpfe wirklich in die eigene Hand zu nehmen. Sie wünscht das immer mehr; einige Minderheiten nehmen hier und da immer mehr Anläufe in diese Richtung. Das Misstrauen gegenüber den zusammengeschlossenen Gewerkschaften wächst; aber noch gelingt es den Arbeitern nicht, sich mittels autonomer und souveräner Vollversammlungen und somit außerhalb der Gewerkschaften zu organisieren. Aber solche Vollversammlungen waren das Herz der Bewegung gegen den CPE 2006; damals hatten diese der Bewegung ihre Stärke verliehen. Der Arbeiterklasse scheint es noch an Selbstvertrauen zu mangeln. Die weitere Entwicklung der Kämpfe wird uns zeigen, ob es ihr gelingen wird, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn es dieses Mal nicht gelingt, dann eben das nächste Mal. Die gegenwärtigen Kämpfe verheißen viel für die zukünftigen Kämpfe!

Fortsetzung folgt… IKS

1 [11] All diese Teilnehmerzahlen sind Angaben des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses. Manchmal weichen die Angaben, welche die Gewerkschaften und die Polizei machen, im Verhältnis 1:10 voneinander ab. Die Medien sprechen schon von einem „Krieg der Zahlen“. Diese Zahlenspiele erwecken den Eindruck, es gebe einen radikalen Gegensatz zwischen den Gewerkschaften und dem Staat (obwohl sie nur ein anderes Instrument im gleichen Orchester und mit der gleichen Partitur spielen); die Wirklichkeit soll vernebelt werden. Niemand kennt die wirkliche Teilnehmerzahl der Demonstrationen. Wir haben immer die Angaben der Gewerkschaften herangezogen, die sicherlich der Wirklichkeit eher nahekommen, denn dadurch kann man Tendenzen erkennen und sehen, ob die Teilnehmerzahl weiter steigt oder rückläufig ist.

2 [12] Beispiele dieser Flugblätter findet ihr auf unserem Forum unter: "Prenons nos luttes en main".

3 [13] Siehe zum Beispiel einen der Aufrufe zu diesen Volksversammlungen: “In diesem Herbst ragen die massiven Demonstrationen heraus, die durch die Rentenreform hervorgerufen werden. Hunderttausende beteiligen sich an diesen von den Gewerkschaften organisierten Kundgebungen. Wie viele kehren frustriert nach Hause zurück? Frühere Erfahrungen haben zu genüge gezeigt, dass diese wiederholten Aktionstage nichts anderes als hilflose Sparziergänge sind. Wenn wir nicht reagieren, wenn wir nicht das Wort ergreifen, um gemeinsam zu entscheiden, wie wir unseren Kampf entfalten können, werden wir besiegt werden, und andere Niederlagen werden folgen. Deshalb fordern wir euch auf zusammenzukommen um zu debattieren, die Atomisierung zu durchbrechen. Was könnte passieren, wenn diejenigen, die ohne Stimme oder isoliert sind, zusammenkommen und ihre Stimme erheben? Muss man immer noch auf den „richtigen Augenblick“ warten oder auf eine Erlaubnis dazu? Wir schlagen vor, kommt am Montag, den 11. Oktober um 13.00 h vor der Arche zusammen, um zu diskutieren, um jetzt gemeinsam vorzugehen, damit wir eine gemeinsame Antwort geben können. Überwinden wir die Zerstreuung. Nutzen wir diesen Moment aus, um einen wirklichen Ort der brüderlichen Debatte, die allen offen steht, zu schaffen.“

4 [14] Lest insbesondere das Flugblatt “Aufruf an alle Beschäftigten”, unterzeichnet mit “Beschäftigte und prekär Beschäftigte der branchenübergreifenden Vollversammlung des Ostbahnhofs”. In diesem Flugblatt wird zum Beispiel betont: „Wenn wir die Chérèque (CFDT), Thibault (CGT) & Co. An unserer Stelle entscheiden lassen, bereiten wir nur neue Niederlagen vor.“ Und „Die Form, die die Bewegung annehmen wird, liegt in unseren Händen. Wir müssen diese selbst schaffen – an unserem Arbeitsplatz, mit Streikkomitees, in unseren Wohnvierteln mittels souveräner Vollversammlungen. Sie müssen die arbeitende Bevölkerung im größtmöglichen Umfang zusammenbringen, die auf nationaler Ebene koordiniert mit gewählten und jederzeit abwählbaren Delegierten vorgeht. Wir selbst müssen Aktionen, Forderungen beschließen. Niemand anders kann das an unserer Stelle machen.“

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Rentenreform Frankreich [2]
  • CNT-AIT [15]
  • Streiks Frankreich [16]

Kommunistische Linke und internationalistischer Anarchismus (3) – In welchem Geist soll die Debatte geführt werden?

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Trotz dieser offensichtlichen Tatsache gibt es seit langem nur wenige bis gar keine Beziehungen zwischen diesen beiden revolutionären Strömungen. Erst in den letzten Jahren wurde begonnen, miteinander zu debattieren und zusammenzuarbeiten. Dies ist das Ergebnis einer leidvollen Geschichte der Arbeiterbewegung. Die Haltung der Mehrheit in der bolschewistischen Partei zwischen 1918-1924 (unterschiedsloses Verbot jeglicher anarchistischen Presse, die Zusammenstöße mit der Armee Machnos, die blutige Niederschlagung der Matrosenrevolte in Kronstadt…) hat einen Graben zwischen den revolutionären Marxisten und den Anarchisten entstehen lassen. Aber vor allem der Stalinismus, der Tausende von Anarchisten im Namen des „Kommunismus“ getötet hat(2 [17]), hat ein reales, jahrzehntelang wirkendes Trauma bewirkt (3 [18]).

Noch heute gibt es auf beiden Seiten gewisse Ängste vor der Diskussion und Zusammenarbeit. Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, muss man davon überzeugt sein, dass man ungeachtet all der Divergenzen dem gleichen Lager angehört, nämlich dem der Revolution und des Proletariats. Aber das reicht nicht. Wir müssen auch bewusste Anstrengungen unternehmen, um die Qualität unserer Debatten zu verbessern. Vom „Abstrakten zum Konkreten“ zu gelangen ist immer die schwierigste Etappe. Deshalb möchten wir mit diesem Artikel genauer darstellen, in welchem Geist wir dieses mögliche und notwendige Verhältnis zwischen der Kommunistischen Linken und internationalistischem Anarchismus gestalten wollen.

Die konstruktive Kritik unter Revolutionären ist absolut notwendig

In unserer Presse haben wir mehrfach in verschiedener Form die Aussage gemacht, dass der Anarchismus von Anfang an mit kleinbürgerlichen Merkmalen behaftet sei. Diese in der Tat radikale Kritik wird von den anarchistischen Militanten als inakzeptabel angesehen, selbst von denjenigen, die der Diskussion zumeist offen gegenüberstehen. Und selbst heute noch reicht die Kennzeichnung des „Anarchismus“ als „kleinbürgerlich“ manchem Anarchisten aus, um nichts mehr von uns hören zu wollen. Neulich noch hat jemand, der sich auf den Anarchismus beruft, auf unserem Internet-Forum diese Kritik als eine echte „Beleidigung“ bezeichnet. Wir sind nicht dieser Ansicht.

So tiefgreifend unsere jeweiligen Divergenzen auch sind, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass die Mitglieder der Kommunistischen Linken und des internationalistischen Anarchismus als Revolutionäre miteinander debattieren. Übrigens richten auch die internationalistischen Anarchisten heftige Kritik gegen den Marxismus, angefangen von den angeblichen natürlichen Neigungen zum „Autoritären“ und zum „Reformismus“. Auf der Webseite der CNT-AIT in Frankreich zum Beispiel findet man viele Beispiele dieser Art: „Die Marxisten wurden schrittweise (von 1871 an) zu den Einschläfern der Ausgebeuteten und unterzeichneten die Geburtsurkunde des Arbeiterreformismus“ (4 [19]).

“Der Marxismus ist verantwortlich für die Ausrichtung der Arbeiterklasse auf parlamentarische Aktionen [...]. Erst wenn man dies verstanden hat, kann man sehen, dass der Weg zur sozialen Befreiung uns zur glücklichen Welt des Anarchismus führt, und dabei müssen wir den Marxismus überwinden“ (5 [20]).

Es handelt sich hier nicht um „Beleidigungen“, sondern um radikale Kritiken…, mit denen wir natürlich überhaupt nicht einverstanden sind. In diesem Sinne wollen wir auch unsere Analyse hinsichtlich des Charakters des Anarchismus verstanden wissen. Wir wollen hier diese Kritik kurz in Erinnerung rufen. In dem Kapitel „Das kleinbürgerliche Wesen des Anarchismus“ schrieben wir 1994: „Das Wachstum des Anarchismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Produkt des Widerstandes der kleinbürgerlichen Schichten – Handwerker, Intellektuelle, Ladenbesitzer, Kleinbauern – gegen den Triumphmarsch des Kapitals, ein Widerstand gegen den Prozess der Proletarisierung, der sie ihrer früheren gesellschaftlichen ‚Unabhängigkeit‘ beraubte. Am stärksten in jenen Ländern, wo das Industriekapital spät auf die Bühne trat, in den südlichen Randgebieten Europas, drückte er sowohl die Rebellion dieser Schichten gegen den Kapitalismus als auch ihre Unfähigkeit aus, darüber hinweg auf die kommunistische Zukunft zu blicken; stattdessen verlieh er ihrem Sehnen nach einer semi-mystischen Vergangenheit der freien lokalen Gemeinschaften und der strikt unabhängigen Produzenten Ausdruck, frei von der Unterdrückung durch das Industriekapital und den zentralisierenden bürgerlichen Staat. Der ‚Vater‘ des Anarchismus, Pierre-Joseph Proudhon, war die klassische Verkörperung dieser Haltung, mit seinem erbitterten Hass nicht nur gegen den Staat und den großen Kapitalisten, sondern auch gegen den Kollektivismus aller Schattierungen, einschließlich der Gewerkschaften und ähnlicher Ausdrücke der Kollektivität der Arbeiterklasse. Entgegen all der realen Trends, die sich in der kapitalistischen Gesellschaft entwickelten, war Proudhons Idee eine ‚mutualistische‘ Gesellschaft, die sich auf der individuellen Handwerksproduktion gründet, verbunden mit freiem Austausch und Kredit.“ (6 [21]).

Oder auch in “Anarchismus und Kommunismus” im Jahre 2001: „In der Genese des Anarchismus hat man den Standpunkt des Arbeiters, der gerade proletarisiert wurde und seinen neuen Status mit jeder Faser seines Leibes ablehnt. Nachdem sie gerade aus der Bauernschaft oder dem Handwerkstum herausgetreten sind, oft noch auf dem halben Wege vom Handwerker zum Arbeiter (wie die Uhrmacher aus dem Jura zum Beispiel), drücken diese Arbeiter angesichts ihres Abstiegs unter die Bedingungen der Arbeiterklasse ihre Trauer um den Verlust der Vergangenheit aus. Ihr gesellschaftliches Streben war es, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Im Zentrum dieser Konzeption stand die Nostalgie für das kleine Eigentum. Daher analysieren wir, getreu Marx, den Anarchismus als den Ausdruck des Eindringens der kleinbürgerlichen Ideologie in die Reihen des Proletariats.“ (7 [22]). Anders gesagt, meinen wir, dass der Anarchismus von Anbeginn durch ein tiefes Gefühl für die Revolte gegen die Barbarei der kapitalistischen Ausbeutung geprägt war, dass er aber auch den Einflüssen der „Handwerker, Händler, Kleinbauern“ ausgesetzt ist, die zu seiner Gründung beigetragen haben. Das heißt keineswegs, dass alle anarchistischen Gruppen „kleinbürgerlich“ sind. Es ist offensichtlich, dass die CNT-AIT, die KRAS (8 [23]) und andere Gruppen von einem revolutionären Geist der Arbeiterklasse durchdrungen sind. Im 19. und 20. Jahrhundert haben zahlreiche Arbeiter, die anarchistische Sache vertretend, für die Abschaffung des Kapitalismus sowie für die Herbeiführung des Kommunismus gekämpft, von Louise Michel über Volin und Malatesta bis hin zu Durruti. Während der Welle revolutionärer Kämpfe 1917 hat ein Teil der Anarchisten selbst Arbeiterbataillone aufgestellt, die zu den kämpferischsten gehörten.

Seit jeher gibt es innerhalb der anarchistischen Bewegung einen Kampf gegen die Beeinflussung durch die radikalisierte kleinbürgerliche Ideologie. Dies spiegelt sich auch in den tiefen Divergenzen zwischen individualistischen, genossenschaftlichen, reformistischen, kommunistisch-nationalistischen und kommunistisch-internationalistischen Anarchisten wider, wobei nur die Letztgenannten wirklich dem revolutionären Lager angehören. Doch selbst die internationalistischen Anarchisten werden durch die historischen Wurzeln ihrer Bewegung beeinflusst. Hier liegt z.B. die Ursache für ihre Neigung, den Kampf der Arbeiterklasse durch den „autonomen Volkswiderstand“ zu ersetzen.

Die IKS betrachtet es deshalb als ihre Pflicht, alle Divergenzen ehrlich aufzuzeigen, um so gut wie möglich zur allgemeinen Verstärkung des revolutionären Lagers beizutragen. Genau wie es die Pflicht der internationalistischen Anarchisten ist, weiterhin ihre Kritik am Marxismus zu äußern. Dies darf auf keinen Fall ein Hindernis für die brüderliche Haltung in unseren Debatten oder eine Bremse für eine eventuelle Zusammenarbeit sein, im Gegenteil (9 [24]).

Stehen die Marxisten und Anarchisten aus der Sicht der IKS in einem Lehrer-Schüler-Verhältnis zueinander?

All diese Kritiken an den Anarchisten hat die IKS nicht wie ein Lehrer an seine Schüler gerichtet, der diese korrigiert. Dennoch wurde in einigen Wortmeldungen auf unserem Forum unserer Organisation ein „oberlehrerhafter“ Ton vorgeworfen. Neben der Frage des Geschmacks für diesen oder jenen literarischen Stil verbirgt sich hinter diesen Bemerkungen eine echte theoretische Frage. Erfüllt die IKS gegenüber der CNT-AIT - oder allgemeiner, erfüllt die Kommunistische Linke gegenüber dem internationalistischen Anarchismus eine „Führungsrolle“, kann sie als Vorbild dienen? Halten wir uns für eine aufgeklärte Minderheit, die den anderen DIE Wahrheit, DAS Bewusstsein einflößen muss?

Solch eine Auffassung stünde im völligen Gegensatz zur ganzen Tradition der Kommunistischen Linken. Und diese Tradition verweist noch in einem tieferen Sinn auf die Verbindung zwischen den revolutionären Kommunisten und ihrer Klasse. Marx behauptete in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“: „Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Lass ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschrein. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft…“ (10 [25]).

Die Revolutionäre, Marxisten oder internationalistische Anarchisten, stehen nicht über der Arbeiterklasse; sie sind ein integraler Bestandteil ihrer Klasse; sie sind mit ihr durch unzählige Verbindungen vernetzt. Ihre Organisation ist der kollektive Ausdruck des Proletariats.

Die IKS hat sich nie als eine Organisation verstanden, die der Arbeiterklasse oder anderen revolutionären Gruppen ihren Standpunkt aufzwingen möchte. Wir stellen uns voll hinter die Aussagen des „Kommunistischen Manifestes“ von 1848: „Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.“ [Marx/Engels: Manifest der kommunistischen Partei. Marx/Engels: Ausgewählte Werke, S. 2640 (vgl. MEW Bd. 4, S. 474)]

Das gleiche Prinzip vertrat Bilan, Organ der Italienischen Kommunistischen Linken, auch schon in der Erstausgabe ihrer Zeitschrift im Jahre 1933: „Sicher beruft sich unsere Fraktion auf eine lange politische Vergangenheit, auf eine lange Tradition in der italienischen und internationalen Bewegung, auf eine Gesamtheit politischer Grundsatzpositionen. Aber sie beansprucht keineswegs aufgrund ihrer politischen Vorgeschichte, Zustimmung einzufordern für Lösungen, die sie in der gegenwärtigen Lage für richtig hält. Im Gegenteil, wir fordern die Revolutionäre dazu auf, im Lichte der Ereignisse die Positionen zu überprüfen, die wir gegenwärtig vertreten, wie auch die politischen Positionen, die wir in unseren Grundsatzpositionen dargelegt haben.“

Seit ihrer Gründung hat unsere Organisation versucht, denselben Geist der Offenheit und den Willen zur Diskussion zu entfalten. So schrieben wir schon 1977:

„In unseren Beziehungen zu den (anderen revolutionären Gruppen), die der IKS nahestehen, aber nicht uns angehören, verfolgen wir ein klares Ziel. Wir versuchen eine brüderliche und vertiefte Diskussion über die verschiedenen Fragen zu führen, vor denen die Arbeiterklasse steht“. „Wir können unsere Rolle (…) gegenüber ihnen nur wirklich erfüllen, wenn wir gleichzeitig dazu in der Lage sind:

- uns davor zu hüten, uns als die heute einzige und alleinige bestehende revolutionäre Gruppierung zu betrachten,

- ihnen gegenüber unsere Positionen entschlossen zu vertreten;

- ihnen gegenüber eine für die Diskussion offene Haltung zu bewahren. Die Diskussionen sollen öffentlich und nicht durch den Austausch vertraulicher Korrespondenz stattfinden“ (11 [26]).

Es handelt sich hier um eine Verhaltensmaßregel. Wir sind von der Richtigkeit unserer Positionen überzeugt (wobei wir gleichzeitig einer begründeten Kritik gegenüber offenstehen), aber wir betrachten sie nicht als die „Lösung für alle Probleme auf der Welt“. Wir wollen einen Beitrag zum kollektiven Kampf der Arbeiterklasse leisten. Deshalb legen wir besonderen Wert auf die Debattenkultur. 2007 hat die IKS gar einen ganzen Orientierungstext zu dieser Frage verfasst: „Die Debattenkultur – eine Waffe des Klassenkampfes“. Wir schrieben darin: „ Wenn revolutionäre Organisationen ihre fundamentale Rolle bei der Entwicklung und Ausbreitung von Klassenbewusstsein erfüllen wollen, ist die Kultivierung einer kollektiven, internationalen, solidarischen und öffentlichen Diskussion absolut notwendig“ (12 [27]).

Aber der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass wir neben der Notwendigkeit der Debatte auch betonen, dass die IKS ihre politischen Positionen entschlossen vertreten muss. Dies ist kein Widerspruch. Offen miteinander zu diskutieren heißt nicht, dass alle Ideen gleich und alle Positionen gleichwertig sind. Wie wir in unserem Text aus dem Jahr 1977 schrieben: „Weit davon entfernt, sich gegenseitig auszuschließen, gehören für uns Prinzipienfestigkeit und eine offene Haltung zusammen. Wir haben keine Angst zu diskutieren, weil wir von der Richtigkeit unserer Positionen überzeugt sind.“

In der Vergangenheit wie in der Zukunft brauchte und braucht die Arbeiterbewegung offene, freimütige und brüderliche Debatten unter ihren verschiedenen revolutionären Tendenzen. Diese Vielfalt verschiedener Standpunkte und Herangehensweisen stellt einen Reichtum und einen unabdingbaren Beitrag zum Kampf des Proletariats und der Entwicklung seines Bewusstseins dar. Wir möchten hier wiederholen, dass, ausgehend von einer gemeinsamen Grundlage der Revolutionäre, es tiefgreifende Divergenzen geben kann. Diese müssen unbedingt zum Ausdruck kommen und debattiert werden. Wir verlangen von den internationalistischen Anarchisten nicht, dass sie auf ihre Kriterien verzichten oder ihr theoretisches Erbe über Bord werfen. Im Gegenteil, wir wünschen sehr, dass sie diese in größtmöglicher Klarheit vortragen, als eine Antwort auf die Fragen, vor denen wir alle stehen; dass sie Kritik und Polemik genauso akzeptieren wie wir und dass sie ebenso wie wir die eigenen Positionen nicht als „das letzte Wort“ auffassen, sondern diese als einen offenen Beitrag in einer von Widersprüchen gekennzeichneten Debatte verstehen. Wir sagen diesen Genossen nicht: „Streckt die Waffen vor der Überlegenheit des Marxismus!“.

Wir respektieren zutiefst den revolutionären Charakter des internationalistischen Anarchismus; wir wissen, dass wir Seite an Seite kämpfen werden, wenn massive Kämpfe ausbrechen. Aber wir werden ebenso entschlossen und voller Überzeugung (und wir hoffen: überzeugend) unsere Positionen zur russischen Revolution und bolschewistischen Partei, zur Zentralisierung, zur Übergangsperiode, zur Dekadenz des Kapitalismus, zur arbeiterfeindlichen Rolle des Syndikalismus vertreten… Damit wollen wir nicht – wie bereits gesagt - die Rolle eines Lehrers übernehmen und haben es auch nicht darauf abgesehen, einige Anarchisten für unsere Organisation zu gewinnen; wir wollen damit schlicht und einfach zur notwendigen Debatte unter den Revolutionären beitragen.

Wie ihr seht, Genoss/Innen, kann diese Debatte sehr lebhaft und leidenschaftlich werden!

Wir möchten diese dreiteilige Artikelserie zur “Kommunistischen Linken und den internationalistischen Anarchismus” mit einem Zitat Malatestas schließen:

“Wenn wir Anarchisten die Revolution alleine machen könnten oder wenn die Sozialisten (13) sie alleine machen könnten, könnten wir uns den Luxus leisten, dass jeder in seiner Ecke handelt und womöglich handgreiflich wird. Aber die Revolution muss von der Arbeiterklasse insgesamt gemacht werden, vom ganzen Volk, in dem die Sozialisten und Anarchisten zahlenmäßig nur eine Minderheit darstellen, auch wenn das Volk für uns viel Sympathie zu haben scheint. Uns zu spalten, selbst da, wo wir geeint sein könnten, hieße das Proletariat zu spalten, oder genauer gesagt seine Sympathien abkühlen zu lassen und es weniger geneigt zu machen, diese gemeinsame edle sozialistische Orientierung zu verfolgen, die den Sozialisten und Anarchisten gemeinsam im Schoße der Revolution den Triumph ermöglichen könnten. Die Revolutionäre, insbesondere die Sozialisten und Anarchisten, müssen darauf achten, die Gründe ihrer Divergenzen nicht aufzubauschen und sich insbesondere mit den Tatsachen und Zielen zu befassen, die sie zusammenführen und in die Lage versetzen könnten, das größtmögliche revolutionäre Ziel zu erreichen.“ (Volontà, 1. Mai 1920).

IKS, September 2010

1 [28]) Siehe den ersten Teil dieser Serie: “Was die Kommunistische Linke und die internationalistischen Anarchisten gemeinsam haben”.

2 [29]) Wie übrigens Tausende Marxisten und Millionen Arbeiter im Allgemeinen.

3 [30]) Siehe den zweiten Teil dieser Serie „Zu unseren Schwierigkeiten in der Debatte und wie man diese überwinden kann“

4 [31]) cnt-ait.info/article.php3  ?id_article=472&var_recherche=r%E9formisme+marxisme

5 [32]) Es handelt sich hier genau gesagt um ein Zitat Rudolf Rockers, auf das die CNT-AIT sich beruft.

6 [33]) Der Kommunismus ist kein schönes Ideal, sondern eine materielle Notwendigkeit” (10. Kapitel).

7 [34]) https://fr.internationalism.org/rinte102/anar.htm [35]

8 [36]) Es handelt sich um die Sektion der AIT in Russland, mit der wir sehr gute brüderliche Beziehungen haben und von der wir schon mehrfach Stellungnahmen in unserer Presse veröffentlicht haben.

9 [37]) Während der letzten Monate haben anarchistische Genoss/Innen und ihre Sympathisanten zu Recht gegen übertriebene Formulierungen protestiert, die eine endgültige Einschätzung des Anarchismus darstellen. Nachdem wir einige unserer früher veröffentlichen Artikel nachgelesen haben, haben wir in der Tat einige Aussagen gefunden, die wir heute nicht mehr verwenden würden. Zum Beispiel: „Arbeiter mögen denken, sie unterstützen die Revolution mittels des Anarchismus, aber um ein revolutionäres Programm zu unterstützen, muss man mit dem Anarchismus brechen“ ((https://fr.internationalism.org/rinte102/anar.htm [35]).

– “Deshalb muss sich die Arbeiterklasse entschlossen von diesen anarchistischen Illusionshändlern abwenden.“ (https://fr.internationalism.org/ri321/anarchisme.htm [38]).

– Unser Artikel “Anarchismus und Kommunismus”, der sehr sorgfältig den Kampf der “Freunde Durrutis” in der spanischen CNT in den 1930er Jahren behandelt, karikiert mittels eines Satzes die Auffassung der IKS vom Anarchismus durch die Behauptung, dass die „revolutionäre Flamme“ 1936 in der CNT erloschen sei. Unsere jüngste Artikelserie zum Anarcho-Syndikalismus, in der wir erneut die Integration der Führung der CNT in das Räderwerk des Staates anprangern sowie deren Beitrag zur politischen Entwaffnung der anarchistischen Arbeiter (was später die Arbeit der stalinistischen Henker erleichtert hat), zeigte die sehr komplexe Lage auf. International gab es innerhalb der CNT richtige Kämpfe zur Verteidigung echter proletarischer Positionen und gegen den Verrat, den die Eingliederung dieser Organisationen in den spanischen Staat darstellte. (Siehe unsere Artikelserie zum revolutionären Syndikalismus).

10 [39]) Karl Marx, Briefe aus den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“, MEW Bd. 1, S. 344

11 [40]) In “Les groupes politiques prolétariens”, Revue internationale no 11, 4e trimestre 1977. In „Proletarische politische Gruppen“, Revue internationale Nr. 11, 4. Quartal 1977

12 [41]) Dieser Artikel steht auf unserer Webseite zur Verfügung.

13 [42]) Zum Zeitpunkt, als Malatesta diesen Artikel schrieb, befanden sich in der sozialistischen Partei Italiens noch neben den Reformisten revolutionäre Elemente, die im Januar 1921 auf dem Kongress von Livorno die KPI gründeten.

 

 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Internationalistischer Anarchismus [43]

Wirtschaftliches Debakel, „Naturkatastrophen“, imperialistisches Chaos…

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Seit der Krise des Finanzsystems 2008 scheint nichts mehr das Ausmaß der historischen Krise des Kapitalismus übertünchen zu können. Während immer mehr Angriffe auf die Arbeiterklasse niederprasseln, die Armut sich ausbreitet, spitzen sich die imperialistischen Spannungen zu, leiden Hunderte Millionen Menschen Hunger und Naturkatastrophen hinterlassen immer mehr Tote. Die Herrschenden selbst können das Ausmaß der Schwierigkeiten nicht mehr leugnen, ja sie können immer weniger eine bessere Zukunft unter ihrer Herrschaft vorgaukeln. Selbst ihre Propagandaorgane müssen eingestehen, dass die gegenwärtige Krise die schlimmste seit den 1930er Jahren ist, und dass die Ausdehnung der Armut ein Übel ist, mit dem man „lernen müsse zu leben“. Aber die herrschende Klasse verfügt auch über viele Anpassungsfähigkeiten. Während sie aufgrund der unleugbaren Tatsachen aber auch aufgrund eines politischen Kalküls eingestehen muss, dass sich die Lage verschlechtert und keine Besserung zu erwarten ist, schafft sie es immer noch, die Probleme ziemlich irreführend darzustellen, um das kapitalistische System insgesamt in Schutz zu nehmen.

Wirtschaftliches Debakel, „Naturkatastrophen“, imperialistisches Chaos…

Der Kapitalismus ist ein bankrottes System, das überwunden werden muss

Seit der Krise des Finanzsystems 2008 scheint nichts mehr das Ausmaß der historischen Krise des Kapitalismus übertünchen zu können. Während immer mehr Angriffe auf die Arbeiterklasse niederprasseln, die Armut sich ausbreitet, spitzen sich die imperialistischen Spannungen zu, leiden Hunderte Millionen Menschen Hunger und Naturkatastrophen hinterlassen immer mehr Tote. Die Herrschenden selbst können das Ausmaß der Schwierigkeiten nicht mehr leugnen, ja sie können immer weniger eine bessere Zukunft unter ihrer Herrschaft vorgaukeln. Selbst ihre Propagandaorgane müssen eingestehen, dass die gegenwärtige Krise die schlimmste seit den 1930er Jahren ist, und dass die Ausdehnung der Armut ein Übel ist, mit dem man „lernen müsse zu leben“. Aber die herrschende Klasse verfügt auch über viele Anpassungsfähigkeiten. Während sie aufgrund der unleugbaren Tatsachen aber auch aufgrund eines politischen Kalküls eingestehen muss, dass sich die Lage verschlechtert und keine Besserung zu erwarten ist, schafft sie es immer noch, die Probleme ziemlich irreführend darzustellen, um das kapitalistische System insgesamt in Schutz zu nehmen. Banken gehen pleite und reißen somit die Weltwirtschaft in den Abgrund? Die Schuld liegt bei den Händlern! Die Staatsverschuldung hat solche Ausmaße erreicht, dass sie zahlungsunfähig geworden sind? Schuld daran sind korrupte Regierungen! Kriege wüten in einigen Teilen der Erde? Schuld daran ist der mangelnde politische Wille! Umweltkatastrophen nehmen immer mehr zu und hinterlassen immer mehr Opfer? Die Natur ist schuld! Wenn die verschiedenen Analysen, die die Herrschenden uns anbieten, Unterschiede aufweisen, stimmen sie dennoch alle darin überein, die eine oder andere Regierungsform zu verurteilen, dagegen wird der Kapitalismus als Produktionsform nie an den Pranger gestellt. In Wirklichkeit sind all die Kalamitäten, vor denen die Arbeiterklasse steht, das Ergebnis der Widersprüche, die sich jeden Tag zuspitzen, die Gesellschaft erwürgen, egal welche Regierungsform, ob „liberal“ oder „staatlich“, „demokratisch“ oder „diktatorisch“ man vorfindet. Um besser den Bankrott ihres Systems zu verbergen, behauptet die herrschende Klasse ebenso, dass die Wirtschaftskrise, welche sich 2008 beschleunigt hat, langsam wieder abflaut. Aber die Wirtschaftskrise ist überhaupt noch nicht ausgestanden, sondern sie bringt immer deutlicher die Zuspitzung der historischen Krise des Kapitalismus zum Ausdruck.

Der Kapitalismus versinkt in der Krise

Manchmal preist die herrschende Klasse anhand der jüngsten Wirtschaftsdaten die positiven Perspektiven; insbesondere lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die Wachstumszahlen, die langsam wieder anziehen. Aber hinter diesen „guten Nachrichten“ verbirgt sich eine ganz andere Wirklichkeit. Seit 2008 hat die herrschende Klasse zur Vermeidung des Katastrophenszenarios der Krise der 1930er Jahre Milliarden verpulvert, um strauchelnde Banken zu unterstützen, dazu wurde eine Reihe von keynesschen Maßnahmen ergriffen. Diese Maßnahmen bestehen vor allem darin, die Leitzinsen der Zentralbanken, welche für die Aufnahme eines Kredits entscheidend sind, zu senken, und hohe Staatsausgaben zur Ankurbelung der Konjunktur zu beschließen, die oft durch Schulden finanziert werden. Von dieser Politik wird behauptet, sie ermögliche einen starken Wachstumsschub. Aber heute fällt als allererstes auf, dass das Wirtschaftswachstum im Vergleich zu den astronomischen Ankurbelungsausgaben und der Aggressivität der inflationistischen Politik ziemlich schwach ausfällt. So stecken die USA in einer Lage, welche die bürgerlichen Ökonomen in Ermangelung einer marxistischen Analyse nicht begreifen können: Der US-Staat hat sich um mehrere Hundert Milliarden Dollar verschuldet, und die Leitzinsen der FED sind nahe Null. Für 2010 erwartet man ein Wachstum von lediglich 1.6%, im Vergleich zu den erhofften 3.7%. Das Beispiel der USA verdeutlicht: Man hat seit 2008 das Schlimmste durch eine massive Verschuldung verhindert, aber der Aufschwung kommt trotzdem nicht. Unfähig zu begreifen, dass die kapitalistische Produktionsweise ein vorübergehendes System ist, und Gefangener von sklerosierten Schemen, erkennen die bürgerlichen Ökonomen nicht, was so augenscheinlich ist: Der Keynesianismus ist historisch seit den 1970er Jahren gescheitert, weil die Widersprüche des Kapitalismus nunmehr unüberwindbar geworden sind. Selbst Verschuldungstricks können nicht mehr die grundlegenden Gesetze des Kapitalismus aushebeln.

Die kapitalistische Wirtschaft hält sich seit Jahrzehnten unter großen Schwierigkeiten durch eine Schuldenblase in allen Ländern aufrecht, um künstlich einen Markt zu schaffen, der einen Teil der chronischen Überproduktion aufsaugen soll.

Aber das Verhältnis des Kapitalismus zur Verschuldung ähnelt dem Verhalten des Drogensüchtigen: Je mehr Drogen er einnimmt, desto weniger wirksam wird die Dosis. Mit anderen Worten: die Herrschenden haben sich lange Zeit über Wasser gehalten, indem sie sich an einem verfaulten Ast festhielten, der 2008 brach. So kommt zur offensichtlichen Unwirksamkeit der Staatsverschuldung das Risiko der Zahlungsunfähigkeit zahlreicher Länder hinzu, insbesondere Griechenland, Italien, Irland oder Spanien. In dieser Situation sind die Regierungen aller Länder dazu gezwungen, auf Sicht zu steuern, sich von Tag zu Tag durchzuschlagen und ihre Wirtschaftspolitik jeweils anzupassen, von Ankurbelungsmaßnahmen bis hin zur Sparpolitik je nach dem Gang der Dinge, ohne dass irgendeine Maßnahme eine dauerhafte Verbesserung mit sich bringen würde. Der Staat, Rettungsanker in der historischen Krise des Kapitalismus, ist nun nicht mehr dazu in der Lage, seine Unfähigkeit zu verbergen.

Überall auf der Welt wird ein Angriff nach dem anderen gegen die Arbeiterklasse so schnell beschlossen wie die Arbeitslosenzahlen steigen. Ob Rechts oder Links, alle Regierungen zwingen den Arbeitern „Reformpakete“ und Haushaltskürzungen auf, die eine bislang nicht gekannte Brutalität erreichen. In Spanien zum Beispiel mussten die Beamten u.a. Gehaltseinbußen von 5% im Jahre 2010 hinnehmen, und die sozialistische Zapatero-Regierung hat schon Einfrierungen der Bezüge für 2011 angekündigt. In Griechenland ist das Durchschnittsalter der Pensionierung um 14 Jahre erhöht worden, während gleichzeitig die Renten bis 2012 eingefroren wurden. In Irland, das bis vor kurzem noch wegen seines wirtschaftlichen Dynamismus gepriesen wurde, beträgt die offizielle Arbeitslosigkeit 14%, während die Beamtenbezüge gleichzeitig um 5-15% gekürzt wurden, wie auch die Leistungen für Arbeitslosen oder Familien. Der Weltarbeitsorganisation (ILO) ist die Zahl der Arbeitslosen auf der Welt um 30 Millionen seit 2007 auf 210 Millionen im Jahre 2010 gestiegen. 1 [44]. Man könnte eine Reihe von weiteren Beispielen auf allen Kontinenten nennen, egal wo, die Herrschenden bitten die Arbeiter am stärksten zur Kasse. Aber hinter den Sparbeschlüssen, die heuchlerisch Reformen genannt werden, hinter den Entlassungen und Werkschließungen verbergen sich schreckliche Schicksale von ganzen Familien, die in die Armut getrieben werden. In den USA leben einem Bericht des Census Bureau zufolge nahezu 44 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze, d.h. eine Steigerung um 6.3 Millionen Arme seit zwei Jahren, und das zusätzlich zu den in den letzten drei Jahren neu hinzugekommenen Armen. Während des ganzen letzten Jahrzehnts sind die Einkommen der ärmsten Haushalte in den USA nochmals stark gesunken.

Nicht nur in den „reichen Ländern“ führt die Krise zur Armut. Vor kurzem verkündete die Welternährungsorganisation (FAO) stolz, 2010 sei es zu einem Rückgang der Unterernährung gekommen, die noch besonders häufig in Asien (578 Millionen Menschen) und Afrika (239 Mio. Menschen) auftritt, bei einer Gesamtzahl von 925 Millionen Betroffener auf der ganzen Welt. Aber die Statistiken lassen nicht sofort deutlich werden, dass diese Zahl noch weit über der von 2008 liegt, bevor die Auswirkungen der spekulativen Inflation der Nahrungsmittelpreise zu spüren waren, welche viele Hungersrevolten in zahlreichen Ländern hervorgerufen hat.

Der signifikante Rückgang der Agrarpreise hat sicherlich zu einem bescheidenen “Rückgang des Hungers” auf der Welt geführt, aber die langfristige Tendenz, über mehrere Jahre hinweg betrachtet, d.h. unabhängig von der unmittelbaren Wirtschaftslage, verläuft in die andere Richtung. Des Weiteren haben die Dürreperioden in Russland, Osteuropa und jüngst in Lateinamerika deutliche Ernteeinbußen weltweit hervorgerufen, was auf dem Hintergrund steigender Preise das Problem der Unterernährung nächstes Jahr noch verschärfen wird. So tritt der Bankrott des Kapitalismus nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene zum Vorschein. Die Klimaveränderungen und der Umgang der Herrschenden mit den Umweltkatastrophen haben immer mehr Tote und bittere Armut hinterlassen.

Der Kapitalismus zerstört den Planeten

Diesen Sommer haben zerstörerische Katastrophen überall auf der Welt die Menschen heimgesucht: Flammeninferno in Russland, Portugal und zahlreichen anderen Ländern; verheerende Monsunregen mit Überschwemmungen und Schlammlawinen in Pakistan, Indien, Nepal und China.

Im Frühjahr verursachte die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon die schlimmste Umweltverschmutzung der Geschichte im Golf von Mexiko. Die Liste der Katastrophen des Jahres 2010 ist lang. Die Zunahme dieser Phänomene und die immer verheerenderen Auswirkungen sind keine Zufallserscheinung, denn bei den Ursachen dieser Katastrophen und dem Umgang mit ihnen trägt der Kapitalismus eine große Verantwortung. Vor kurzem hat der Dammbruch eines Auffangbeckens einer Aluminiumfabrik eine industrielle und ökologische Katastrophe in Ungarn verursacht: Mehr als eine Million Kubikmeter giftiger, “roter Schlamm” hat sich ausgebreitet. Mehrere Menschen starben, zahlreiche wurden verletzt. Die Umwelt- und Gesundheitsschäden sind enorm. Aber um die „Auswirkungen dieser Abfälle zu begrenzen“ entsorgt die Industrie den roten Schlamm auf folgende Art: Entweder wird er tonnenweise ins Meer oder in riesige Becken, ähnlich wie das, dessen Mauern brachen, geschüttet. Dabei existiert seit langem die Technologie, um solche Abfälle zu recyceln, insbesondere für die Bauwirtschaft oder den Gartenbau.

Die Zerstörung des Planeten durch die herrschende Klasse beschränkt sich aber nicht auf die unzähligen industriellen Katastrophen, die jedes Jahr zahlreiche Regionen heimsuchen. Der Meinung zahlreicher Wissenschaftler zufolge spielt die Erderwärmung eine Hauptrolle bei der Häufung der extremen Wetterschwankungen: „Diese Phänomene werden sich aufgrund des durch die Treibhausgase gestörten Klimas noch häufen und an Intensität zunehmen“, so der Vizepräsident der Expertengruppe IPCC ( Intergovernmental Panel on Climate Change). Während die Erderwärmung von 1997-2006 anstieg, hat die Zahl der Katastrophen, die immer zerstörerischer werden, um 60% im Vergleich zum letzten Jahrzehnt zugenommen. Dabei waren immer mehr Opfer zu melden. Bis 2015 wird eine Zunahme der Opfer infolge der Klimakatastrophe um 50% erwartet.

Die Wissenschaftler im Solde der Ölgesellschaften mögen sich erregen und erklären, dass die Erderwärmung nicht auf die zunehmende Verschmutzung der Atmosphäre zurückzuführen sei. In Wirklichkeit zeigen alle ernsthaften wissenschaftlichen Untersuchungen einen unleugbaren Zusammenhang zwischen dem Treibhauseffekt, der Klimaerwärmung und der Zunahme der Naturkatastrophen. Jedoch täuschen sich die Wissenschaftler, wenn sie behaupten, mit ein wenig politischem Willen der Regierungen könnte man die Dinge ändern. Der Kapitalismus ist unfähig, die Treibhausgasverschmutzungen einzudämmen, denn dann müsste er gegen seine eigenen Gesetze vorgehen, die Profitproduktion und die Produktion mit den geringsten Kosten sowie gegen das Konkurrenzprinzip. Die notwendige Unterwerfung unter diese Gesetze bewirkt, dass die Herrschenden unter anderem mit ihrer Schwerindustrie die Umwelt verschmutzen oder dass sie Erzeugnisse Hunderte von Kilometern nutzlos transportieren.

Die Verantwortung des Kapitalismus für das Ausmaß der Katastrophen beschränkt sich nicht auf die Luftverschmutzung und den Klimawandel. Die unablässige Zerstörung der Ökosysteme zum Beispiel durch die massive Abholzung der Wälder, die Lagerung von Müll in natürlichen Abflussgebieten, oder die anarchische Urbanisierung, die sich manchmal auf Gebiete trockengelegter Flüsse oder Gebiete mit besonders großer Brandgefahr erstreckt, haben all diese Katastrophen noch verstärkt.

Die Reihe von Bränden in Russland im Sommer, insbesondere in einem großen Gebiet um Moskau, zeigt die Fahrlässigkeit der Herrschenden und ihre Unfähigkeit, diese Dinge in den Griff zu kriegen. Den Flammen sind Hunderttausende Hektar Wald zum Opfer gefallen, eine unbekannte Anzahl von Menschen ist dabei gestorben oder verletzt worden. Mehrere Tage lang lag eine dicke Rauchwolke über der Hauptstadt, mit schlimmen Gesundheitsfolgen, z.B. verdoppelte sich die Sterblichkeitsrate in jenen Tagen. Hinzu kommen noch die großen atomaren und chemischen Gefahren, welche die Bevölkerung weit über die Landesgrenzen Russlands hinaus bedrohen, insbesondere nachdem der Boden in Brand geraten ist, der durch die Explosion des Kernkraftwerks in Tschernobyl oder durch die Waffenarsenale und Müllberge an chemischen Stoffen, die irgendwo in der Natur „entsorgt“ worden, verseucht wurde.

Ein wesentlicher Punkt für das Begreifen der Rolle der Herrschenden beim Ausmaß der Brände ist die unglaubliche Vernachlässigung der Wälder. Russland verfügt über große und dichte Waldbestände, die besondere Maßnahmen und Sorgfalt erfordern, um schnell ausbrechende Feuer einzudämmen und so zu verhindern, dass sie unkontrollierbar werden. Dabei sind aber in vielen Waldgebieten in Russland nicht mal Zugangsstraßen vorhanden, so dass Feuerwehrlöschfahrzeuge bei den meisten Bränden gar nicht zum Brandherd vordringen können. In Russland gibt es gerade mal 22.000 Feuerwehrleute zur Brandbekämpfung, d.h. weniger als in einem kleineren Land wie Frankreich. Und die oft besonders korrupten Gouverneure der Regionen geben lieber die knappen Mittel, über die sie für die Waldwirtschaft verfügen, für den Kauf von Luxusautos aus, wie mehrere Skandale ans Tageslicht gebracht haben.

Der gleiche Zynismus trifft auf die berühmten Torffeuer zu, wo der Boden aus besonders leicht entzündlichen Stoffen besteht. Nicht nur hat man die Torfgebiete quasi aufgegeben; sondern man hat diese Gebiete für den Bau von Wohnungen freigegeben, obwohl es schon 1972 zu großen Bränden in diesen Gebieten gekommen war. Die Rechnung war ganz einfach: in diesen risikoreichen Gebieten konnten Immobilienmakler Bauland zu Spottpreisen kaufen.

So verwandelt der Kapitalismus Naturphänomene, die von den Menschen eigentlich im Griff gehalten werden könnten, zu wahren Katastrophen. Aber für die Herrschenden gibt es keine Grenzen bei all diesen Schrecken. Denn die zerstörerischen Überschwemmungen Pakistans haben die schändlichen imperialistischen Machtkämpfe ausgelöst. Wochenlange sintflutartige Regenfälle in Pakistan haben dort zu gewaltigen Überschwemmungen und Erdrutschen geführt, die mehr als 20 Millionen Menschen obdachlos machten und großen materiellen Schaden angerichtet haben. Hunger und die Ausbreitung von Seuchen, insbesondere Cholera, haben die ohnehin schon verzweifelte Lage noch schlimmer werden lassen. Mehr als einen Monat lang haben die Herrschenden in Pakistan und ihre Armee eine unglaubliche Inkompetenz und einen wahnsinnigen Zynismus an den Tag gelegt, indem sie die Natur für schuldig erklärten, obwohl genau wie in Russland in Anbetracht einer anarchischen Urbanisierung und unfähigen Rettungsdiensten die Gesetze des Kapitalismus als das wesentliche Element für das Begreifen des Ausmaßes der Katastrophe erscheinen.

Aber ein besonders ekelerregender Aspekt dieser Tragödie ist die Art und Weise, wie die imperialistischen Mächte dabei noch versuchen, diese Lage der Opfer zu ihren Gunsten auszuschlachten, indem sie „humanitäre Hilfsmaßnahmen“ als ein Alibi einsetzen. So unterstützen die USA im Rahmen des Krieges im benachbarten Afghanistan die sehr umstrittene Regierung Yusuf Raza Gilani. Sie haben schnell die Ereignisse ausgenutzt, um mit ihren „humanitären Einsatztruppen“ aufzumarschieren; sie haben dabei Hubschrauberträger, amphibische Landungsfahrzeuge usw. eingesetzt. Unter dem Vorwand, eine Erhebung des terroristischen AlQuaida zu verhindern, deren Einfluss durch die Überschwemmungen gestärkt werde, bremsten und behinderten die USA so stark wie möglich das Eintreffen der „internationalen Hilfe“ anderer Länder, die ebenfalls hauptsächlich aus Militärs, Diplomaten und skrupellosen Investoren besteht. Wie bei jeder größeren Katastrophe wurden alle Mittel von den Staaten eingesetzt, um ihre imperialistischen Interessen zu verfechten. Zu diesen Mitteln gehört mittlerweile die systematische Zusage von Hilfeleistungen: alle Regierungen kündigen offiziell substanzielle Finanzhilfen an, die aber jeweils an die Erfüllung von Bedingungen und Wünschen der Geberländer geknüpft sind. So wurde zum Beispiel bis heute nur 10% der im Januar 2010 nach dem Erdbeben in Haiti versprochenen internationalen Hilfe den Herrschenden in Haiti ausgezahlt. Und Pakistan wird natürlich keine Ausnahme sein. Die versprochenen Millionen werden nur überwiesen werden, sobald entsprechende Gegenleistungen vorliegen.

Die Grundlagen des Kapitalismus, die Profitjagd, Konkurrenz usw., stehen auf jeder Ebene im Mittelpunkt der Umweltzerstörung. Aber die Kämpfe um Pakistan haben ebenso die wachsenden imperialistischen Spannungen in vielen Teilen der Erde deutlich werden lassen.

Der Kapitalismus sät Chaos und Krieg

Die Wahl Barack Obamas an die Spitze der ersten Weltmacht hat eine Menge Illusionen über die Möglichkeit der Befriedung der internationalen Beziehungen hervorgerufen. In Wirklichkeit hat die neue US-Administration die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks entstandene imperialistische Dynamik nur weiter mit angetrieben. All unsere Analysen, wonach die „rigide imperialistische Blockdisziplin“ nach dem Zusammenbruch des Ostblocks durch eine Abwesenheit von Disziplin, ein grenzenloses Chaos, einen Kampf des jeder gegen jeden und die unkontrollierbare Zunahme lokaler militärischer Konflikte ersetzt werden würde, ist vollauf bestätigt worden. Die Zuspitzung der Krise hat die imperialistischen Spannungen unter den Nationen noch weiter angefacht. Dem Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstitut zufolge sind 2009 nicht weniger als 1.531 Milliarden Dollar in Rüstungsausgaben gesteckt worden; d.h. eine Steigerung von 5.9% gegenüber 2008 und 49% gegenüber 2000. Dabei berücksichtigen diese Zahlen nicht mal die illegalen Waffenlieferungen. Selbst wenn die Herrschenden bestimmter Staaten aufgrund des Drucks der Krise gezwungen sind, Rüstungsausgaben zu kürzen, spiegelt die wachsende Militarisierung der Erde die einzige Zukunft wider, die das System für die Menschheit bereithält: die Zunahme der imperialistischen Konflikte. Die USA mit ihren 661 Milliarden Rüstungsausgaben 2009 verfügen über eine absolute militärische Überlegenheit. Jedoch ist das Land seit dem Zusammenbruch des Ostblocks immer weniger dazu in der Lage, andere Länder hinter sich zu mobilisieren, wie der Irak-Krieg Anfang 2003 bewies, als die US-Truppenzahl damals erst mehrere Zehntausend Soldaten betrug. Nicht nur ist es den USA nicht gelungen, andere Mächte um sich zu scharen, insbesondere Russland, Frankreich, Deutschland und China, sondern andere Mächte haben sich schrittweise aus dem Konflikt zurückgezogen, insbesondere Großbritannien und Spanien. Vor allem scheint die amerikanische Bourgeoisie immer weniger dazu in der Lage, die Stabilität eines eroberten Landes (die Schlamassel in Afghanistan und dem Irak zeigen dies symptomatisch) oder einer Region sicherzustellen. Das wird ersichtlich anhand der Art und Weise, wie der Iran die USA ohne Angst vor Repressalien herausfordert. Der US-Imperialismus befindet sich voll im Abstieg. Er versucht, seine seit Jahren verloren gegangene Führung mittels Kriege wiederherzustellen, welche aber wiederum zu seiner weiteren Schwächung beitragen.

Gegenüber den USA versucht China seine imperialistischen Ambitionen durch seine Rüstungsanstrengungen (100 Milliarden Dollar Militärausgaben 2009, seit den1990er Jahren sind diese zweistellig pro Jahr gestiegen) und Anstrengungen vor Ort durchzusetzen. Zum Beispiel hat China im Sudan wie auch in anderen Ländern wirtschaftlich und militärisch Fuß fassen können. Das sudanesische Regime mit seinen Milizen, die von China bewaffnet werden, massakriert weiter die Bevölkerung, der vorgeworfen wird, die Darfur-Rebellen zu unterstützen, die wiederum von Frankreich mit Hilfe des Tschads ausgerüstet werden, wie auch durch den alten Gegner Frankreichs in der Region, den USA. All diese schmutzigen Manöver haben Hunderttausenden Menschen den Tod gebracht oder zu Vertreibungen von Millionen von Menschen geführt.

Die USA und China sind natürlich nicht allein für das kriegerische Chaos auf der Erde verantwortlich. In Afrika zum Beispiel versucht Frankreich direkt oder mit Hilfe von Milizen zu retten, was zu retten ist insbesondere im Tschad, der Elfenbeinküste, im Kongo und anderswo. Die Cliquen in Israel und Palästina, die jeweils von ihren Paten geschützt werden, setzen einen endlosen Krieg fort. Die israelische Entscheidung, den Siedlungsstopp in den besetzten Gebieten nicht fortzusetzen, während von den USA organisierte „Friedensverhandlungen“ stattfinden, belegen die Sackgasse der Politik Obamas, der sich von seinem Vorgänger Bush durch mehr Diplomatie abgrenzen wollte. Russland wiederum versucht mittels des Georgienkrieges und der Besetzung Tschetscheniens, wieder eine Einflusszone um sich herum aufzubauen.

Die Reihe imperialistischer Konflikte ist zu lang, um sie hier weiter ausführlich zu behandeln. Aber die Zunahme dieser Konflikte beweist, dass alle nationalen Fraktionen der herrschenden Klasse, egal wie stark oder schwach sie sind, keine andere Alternative haben als ihre imperialistischen Interessen blutig durchzusetzen.

Die Arbeiterklasse findet wieder zum Kampf zurück

Im Vergleich zur Tragweite der Krise des Kapitalismus ist die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse sicherlich nicht ausreichend entwickelt; die Last der Niederlagen der Arbeiter trübt noch stark das Bewusstsein unserer Klasse. Aber die Waffen der Revolution werden in den Kämpfen geschmiedet, welche die Krise jetzt immer mehr antreibt. Seit mehreren Jahren haben immer mehr offene Kämpfe stattgefunden, manchmal gar international gleichzeitig. Die Kampfbereitschaft kommt auch gleichzeitig in mehreren „reichen“ Ländern zum Vorschein – in Deutschland, Spanien, USA, Griechenland, Irland, Frankreich, Japan usw. – aber auch in „armen“ Ländern. Wenn die Herrschenden der reichen Länder die irreführende Idee und Lüge verbreiten, dass die Arbeiter der armen Länder den Arbeitern der reichen Länder die Jobs wegnehmen, verhängen sie oft ein quasi Black-out über die Kämpfe dieser Arbeiter, denn dadurch würde offensichtlich, dass diese auch Opfer der gleichen Angriffe sind, die der Kapitalismus in allen Ländern der Welt aufzwingt.

In China, wo der Anteil der Löhne am BIP von 56% 1983 auf 36% 2005 gefallen ist, haben die Arbeiter mehrerer Werke versucht, sich von den Gewerkschaften zu lösen, auch wenn sie noch viele Illusionen über die Möglichkeit einer freien Gewerkschaft haben. Vor allem haben es die chinesischen Arbeiter geschafft, ihre Kämpfe selbständig zu organisieren und den Kampf über die Fabriktore hinaus auszudehnen.

In Panama ist am 1. Juli ein Streik der Bananenplantagenarbeiter in der Provinz Bocas de Toro ausgebrochen, wobei die Beschäftigten die Zahlung ausstehender Löhne und eine Abschaffung streikfeindlicher Gesetze forderten. Trotz einer heftigen polizeilichen Repression und vieler gewerkschaftlicher Sabotageversuche haben die Arbeiter sofort erfolgreich versucht, ihre Bewegung auszudehnen. Die gleiche Solidarität und der gleiche Willen, kollektiv zu kämpfen, waren das Motiv wilder Streiks in Bangladesch, die ebenso gewaltsam von den Ordnungskräften niedergeschlagen wurden.

In den zentralen Ländern werden wieder zahlreiche Kämpfe in Griechenland und insbesondere in Spanien gemeldet, wo es immer wieder Streiks gegen die drakonischen Sparmaßnahmen gibt. Die von den Beschäftigten der Madrider Metro organisierten Streiks spiegeln den Willen der Beschäftigten wider, ihren Kampf auszudehnen und sich gemeinsam mit Hilfe von Vollversammlungen zu organisieren. Deshalb wurden sie zur Zielscheibe einer Verleumdungskampagne, die von der sozialistischen Regierung unter Zapatero und den Medien gesteuert wurde. Auch wenn in Frankreich die Gewerkschaften die Streiks und Demonstrationen weiterhin kontrollieren, die sich gegen die Verschiebung des Rentenalters richten, sind große Teile der Arbeiterklasse in Bewegung geraten. Auch wenn dies bislang noch auf Minderheiten beschränkt ist, sieht man deutliche Anzeichen eines Willens, sich außerhalb der Gewerkschaften mittels souveräner Vollversammlungen zu organisieren und den Kampf auszudehnen.

Natürlich ist das Bewusstsein der Weltarbeiterklasse noch unzureichend entwickelt. Und diese zwar gleichzeitig stattfindenden Kämpfe sind nicht unmittelbar in der Lage, die Bedingungen für einen gemeinsamen Kampf auf internationaler Ebene zu schaffen. Aber die Krise, in welche der Kapitalismus immer mehr versinkt, die Sparprogramme und die wachsende Armut werden unausweichlich immer mehr massive Kämpfe auslösen, in denen die Arbeiter dann Stück für Stück ihre Klassenidentität, ihre Einheit, ihre Solidarität, ihren Willen, sich gemeinsam zur Wehr zu setzen, entfalten werden. Dies liefert den Nährboden für eine wachsende Politisierung, die unerlässlich ist für die Befreiung der Arbeiterklasse. Der Weg hin zur Revolution ist noch lang, aber wie Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ schrieben: „Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.“ [Marx/Engels: Manifest der kommunistischen Partei. Marx/Engels: Ausgewählte Werke, S. 2628, (vgl. MEW Bd. 4, S. 468)]

V. (08/10/10)

1 [45]. Diese Statistiken zeigen eine allgemeine offizielle Zunahme der Arbeitslosigkeit, welche die Tricks der Herrschenden nicht mehr übertünchen können. Aber diese Zahlen spiegeln nicht das wahre Ausmaß des Phänomens wider, denn in allen Ländern, auch dort, wo das ausgefeilteste System sozialer „Abfederung“ eingeführt wurde, bedeutet Arbeitslosigkeit letztendlich nach einer gewissen Zeit, dass man nicht mehr als Arbeitsloser registriert wird.

(aus International Review, Nr. 143, 4. Quartal 2010).

Aktuelles und Laufendes: 

  • Umweltzerstörung [46]
  • Wirtschaftskrise 2010 [47]
  • Währungskrieg [48]

Zur Debatte um Lotta Comunista - Internationalismus und der 2. Weltkrieg

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Ausgehend von einer Einschätzung der italienischen Gruppe Lotta Comunista durch die IKS hat Genosse Riga sich dazu  kritisch bzw. ablehnend geäußert. Nachfolgend unsere Antwort auf seine Reaktion.  

Welche internationalistische Haltung gegenüber der deutschen Wehrmacht?

Weshalb empört sich der Genosse so über unseren Artikel? Scheinbar nicht über unsere Sichtweise der Partisanenbewegungen gegen Hitlerdeutschland im Weltkrieg als bürgerlich. Denn er räumt ein, dass die Partisanen „historisch gesehen“ dies auch waren. Dies, schreibt er, sehr zu recht, ist eine „schwierig zu vermittelnde, aber notwendige Einsicht“. Sondern er empört sich über unsere Darstellung der deutschen Wehrmacht als eine teilweise aus „Proletariern in Uniform“ bestehende imperialistische Armee, wie die anderen Armeen auch, so dass die Haltung der Marxisten darin bestehen müsste, diese Proletarier dazu zu gewinnen, sich gegen ihre Befehlshaber zu empören, anstatt sie abzuknallen, wie die Partisanen es taten. Es hat den Anschein, als ob für den Genossen Riga die internationalistische Pflicht im Weltkrieg, die Soldaten auf allen Seiten aufzufordern, sich zu verbrüdern, in diesem Krieg nicht mehr galt, zumindest der deutschen Armee gegenüber. Und warum?  Weil die Wehrmacht eine „der Kapitalherrschaft direkt unterworfene Armee bestialischer Killer“ war.

Genosse Riga kommentiert einen Artikel auf unserer Webseite, in welchem wir die Behauptung einer Gruppe aus Italien, Lotta Comunista, zu widerlegen bestrebt waren, dass diese zum Lager der Kommunistischen Linken gehöre. Der Genosse zeigt sich wenig überzeugt von der Notwendigkeit einer solchen Klarstellung, zumal die Gruppe im deutschsprachigen Milieu nicht sehr bekannt ist. Dass diese Gruppe der IKS „eben missfällt“, so der Genosse, „unterstreicht nicht gerade die Bedeutung des Artikels“.

Aus unserer Sicht ist es selbstverständlich, dass man eine solche Behauptung von Seiten einer Gruppe wie Lotta Comunista widerlegen muss. Aber dass dies für unsere Leserinnen und Leser alles anders als selbstverständlich erscheinen muss, sehen wir natürlich gerne ein. So gesehen, hätte unser Artikel sich wahrscheinlich zuallererst damit befassen müssen, warum die zu behandelnde Gruppe überhaupt von Relevanz ist. Wir sind also für den Hinweis des Genossen in dieser Sache dankbar.

Warum ist die Einordnung einer Gruppe wie Lotta Comunista von Belang?

An dieser Stelle aber nur so viel dazu: Aus der Sicht des Alltagsbewusstseins ist Christ, wer sich auf Christus einschwört, Moslem, wer nach dem Koran lebt, und Marxist, wer sich auf Marx bezieht. Aus dieser Sicht ist es selbstredend, dass die „Kommunistischen Parteien“ der 1930er und 1940er Jahre und ebenso die Trotzkisten Marxisten waren. Daraus folgert man, dass die marxistische Haltung im 2. Weltkrieg ohne jeden Zweifel darin bestand, erstens die Sowjetunion zu unterstützen und zweitens auf der Seite der Kriegsgegner von Hitlerdeutschland zu stehen (eine andere, daraus sich ergebende, durchaus spannende Frage, was dann die „selbstverständliche“ marxistische Haltung während des Hitler-Stalin-Paktes wäre, wird dann meistens doch nicht gestellt).

Gerade weil die meisten Menschen auch heute noch von den oben beschriebenen Annahmen ausgehen, ist es uns um so wichtiger darauf hinzuweisen, dass es während des Zweiten Weltkrieges Marxisten gab, welche die Unterstützung aller Kriegsparteien ablehnten und den proletarischen Internationalismus von Lenin und Karl Liebknecht hochhielten. Nicht nur, dass es in erster Linie die Kommunistische Linke war, welche diese Haltung einnahm (auch einige Abspaltungen vom Trotzkismus taten dies): diese Einstellung ist das eigentliche politische Markenzeichen der Kommunistischen Linken (dass es außerdem auch andere, nicht marxistische Internationalisten gab, wollen wir an dieser Stelle nicht verschweigen).

Nun, mit welchen Schwächen unser Artikel zu Lotta Comunista auch immer behaftet sein mag, wir denken, dass er zu Genüge bewiesen hat, dass besagte Gruppe nicht proletarisch-internationalistisch ist!

Schwankungen auf internationalistischem Boden oder rückhaltlose Unterstützung des Partisanenkampfes?

Jetzt gibt der Genosse Riga einen wichtigen Hinweis, indem er schreibt, dass „das Kapitel Faschismus-Antifaschismus längst nicht so abgeschlossen (ist) innerhalb der Kommunistischen Linken, wie diese manchmal den Anschein erwecken will“. Wir nehmen an, dass der Genosse hier auf die Tatsache anspielt, dass die IKS der Internationalistischen Kommunistischen Partei in Italien (aus der sowohl die verschiedenen „bordigistischen“ Gruppen wie auch Battaglia Comunista hervorgegangen sind) vorwirft, hier und da auf unzulässige Weise während des Zweiten Weltkriegs sich auf Gruppen der Partisanen eingelassen zu haben. Das ändert aber nichts daran, dass die Gruppe Lotta Comunista, welche sich politisch auf die Partisanen (wie auch auf den Stalinismus) beruft, mit dem Erbe der Kommunistischen Linken nichts zu tun hat. Unsere Kritik an anderen Strömungen der Kommunistischen Linken in dieser Frage ist etwas ganz was anderes. Diese Strömungen kritisieren wir lediglich dafür, den proletarischen Internationalismus nicht immer konsequent genug vertreten zu haben. Wir kämen im Traum nicht auf die Idee, die proletarisch-internationalistische Gesinnung der PC Int in Italien während des Weltkrieges in Frage zu stellen. Es handelt sich aus unserer Sicht hier um Schwankungen innerhalb des Lager des Proletariats (die traditionelle Bezeichnung hierfür ist Opportunismus), während Lotta Comunista aus unserer Sicht eine bürgerliche, nationalistische Strömung darstellt (was keineswegs ausschließt, dass GenossInnen aus einer solchen Gruppe zum wirklichen proletarischen Internationalismus stoßen können).

Zum „einmaligen historischen Zivilisationsbruch“ durch den Faschismus

Jetzt erst kommt der Genosse Riga zu seiner Hauptkritik an unserem Artikel, und dies bezieht sich nicht auf Lotta Comunista, sondern auf die Darstellung der Frage des proletarischen Internationalismus im Zweiten Weltkrieg selbst. Hier wird er heftig, er wirft uns vor, Behauptungen aufzustellen, welche „nicht mal am Stammtisch unter euch“ unhinterfragt bleiben dürfen.

Folgen wir nun der Argumentation des Genossen. Zunächst räumt er ein, dass der Faschismus wie der Antifaschismus beide bürgerlich, beide „antiproletarische“ Ideologien sind. So weit so gut. Dann schreibt er, dass der Faschismus, besonders in seiner deutschen Form, nicht bloß Ideologie geblieben ist, sondern einen historisch einmaligen Zivilisationsbruch darstellt, „der weit über die konterrevolutionären Strömungen dieser Zeit, auch den Stalinismus hinausreicht“. Und er schließt daraus: „wer diese Differenz nicht (an)erkennt, der kann nicht wirklich an einer Aufarbeitung der Geschichte interessiert sein, sondern nur an Ideologiebildung.“

Anders als der Genosse selbst anzunehmen scheint, können wir uns seinen Ausführungen hierzu ganz und gar anschließen. Denn das, was er hier schreibt, gehört zum Kern der Analyse der Weltlage, welche die sog. Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren entwickelte. Die beiden Hauptsätze dieser Analyse lauteten: 1. Durch die Niederlage des Proletariats in Deutschland war es die Bourgeoisie gelungen, in diesem zentralen Land des europäischen Kapitalismus ein Regime von unerhörter Brutalität zu etablieren. 2. Dieser Sieg der deutschen Bourgeoisie bedeutete die Niederlage nicht nur der Arbeiterklasse in Deutschland, sondern die des gesamten Weltproletariats. Denn gerade die beispiellose Barbarei des Naziregimes ermöglichte es der Bourgeoisie der anderen Länder, auch ohne physische Niederschlagung die eigenen Arbeiter gegen den Faschismus und somit für den imperialistischen Krieg zu mobilisieren.

Stalinismus und Faschismus - gleiche Wirkung?

So weit so gut. An dieser Stelle dennoch zwei Klarstellungen. Erstens: Das Stalinregime war eines der mörderischsten Regime der Weltgeschichte, und trotzdem nicht so mörderisch wie der Nazismus. Aber in anderer, und zwar in politischer Hinsicht, war es in einem gewissen Sinne schlimmer. Denn der Hitlerismus war die offene Konterrevolution gegen den Marxismus, während der Stalinismus die versteckte, heimtückische Konterrevolution im Namen des Marxismus, im Namen der Revolution selbst war. Sicherlich hat der Stalinismus mehr als jede andere politische Strömung es zustande gebracht, den Namen des Kommunismus auf Jahrzehnte hinaus zu diskreditieren. Zweitens: die Westmächte gingen weniger brutal vor als die Nazis im Weltkrieg; gewiss, und dennoch stellten auch Hiroshima und Nagasaki einen Zivilisationsbruch dar, und zwar einen, welcher die atomare Vernichtung der gesamten Menschheit ankündigte, falls es nicht gelingt, noch rechtzeitig den Kapitalismus abzuschaffen. Das hat übrigens nichts zu tun mit einem Abwiegen dieses Verbrechens mit dem des Holocausts: Solch ein Abwiegen wäre selbst barbarisch.

Welche internationalistische Haltung gegenüber der deutschen Wehrmacht?

Weshalb empört sich der Genosse so über unseren Artikel? Scheinbar nicht über unsere Sichtweise der Partisanenbewegungen gegen Hitlerdeutschland im Weltkrieg als bürgerlich. Denn er räumt ein, dass die Partisanen „historisch gesehen“ dies auch waren. Dies, schreibt er, sehr zu recht, ist eine „schwierig zu vermittelnde, aber notwendige Einsicht“. Sondern er empört sich über unsere Darstellung der deutschen Wehrmacht als eine teilweise aus „Proletariern in Uniform“ bestehende imperialistische Armee, wie die anderen Armeen auch, so dass die Haltung der Marxisten darin bestehen müsste, diese Proletarier dazu zu gewinnen, sich gegen ihre Befehlshaber zu empören, anstatt sie abzuknallen, wie die Partisanen es taten. Es hat den Anschein, als ob für den Genossen Riga die internationalistische Pflicht im Weltkrieg, die Soldaten auf allen Seiten aufzufordern, sich zu verbrüdern, in diesem Krieg nicht mehr galt, zumindest der deutschen Armee gegenüber. Und warum? Weil die Wehrmacht eine „der Kapitalherrschaft direkt unterworfene Armee bestialischer Killer“ war.

Nun, dass die Wehrmacht einer der Kapitalherrschaft direkt unterworfene Armee bestialischer Killer war, steht außer Frage. Längst ist die Mär wiederlegt worden, derzufolge die Massenerschießungen und Vernichtungsfeldzüge allein von der SS, der Sonderpolizei und anderen gesonderten Staffeln ausgeführt wurden! Aber bedeutet dies, dass es in einer solchen Lage nicht mehr die Aufgabe der Marxisten wäre, auch gegenüber einer solchen Armee sich an das Klassenbewusstsein der Proletarier in Uniform zu richten? Etwa weil die Soldaten dieser Armee irreversibel in der „Volksgemeinschaft“ der Nazis integriert waren, und zwar so, dass man die Proletarier innerhalb dieser Armee faktisch als Vertreter der Bourgeoisie zu bekämpfen hätte? Wohlgemerkt: Es geht hier um das Prinzip, und nicht um das Wie, denn dass die Internationalisten von damals (von denen übrigens einige auch Juden waren) sich nicht direkt und offen an die deutschen Soldaten richten konnten, versteht sich von selbst.

Was die Geschichte angeht, ist man hinterher immer viel klüger. In Nazideutschland blieb der von den Internationalisten erhoffte proletarische Aufstand gegen den Krieg aus. Aber gab es für die Bolschewisten und Spartakisten 1914-15 eine Garantie, dass die von ihnen angestrebte Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg auch gelingen würde?

Die Strategie des deutschen Kapitals zur Verhinderung eines Aufstands

Nicht nur die Revolutionäre, auch die Herrschenden gingen davon aus, dass auch der Zweite Weltkrieg – der Niederlage des Weltproletariats in den 1930er Jahren zum Trotz – die Möglichkeit der Revolution in sich bergen könnte. Das galt übrigens auch für die Nazis. Für sie war die Novemberrevolution von 1918, welche die Beendigung des Ersten Weltkrieges erzwang, die größte Schmach in der deutschen Geschichte. Um diese Schmach zu „tilgen“, veranstalteten sie sowohl den sog. Hitlerputsch von 1923, wie auch die sog. Reichskristallnacht von 1938 am 9. November. Und auch während des Zweiten Weltkrieges taten sie alles, um dieser Gefahr vorzubeugen.

Wie gingen sie dabei vor? Anders als beispielsweise die Westalliierten, anders auch als der deutsche Imperialismus im Ersten Weltkrieg. Denn diese konnten auf die „freien Gewerkschaften“ und die „Arbeiterparteien“ zurückgreifen, sowie auf die Ideologien der Humanität oder der Demokratie, um die Arbeiter bei der Stange zu halten. Hitlerdeutschland konnte darauf verzichten, weil das deutsche Proletariat zunächst niedergeschlagen war. Und Hitlerdeutschland glaubte, darauf verzichten zu müssen, weil die einzige Chance, den kommenden Waffengang erfolgreich gestehen zu können, darin zu bestehen schien, rücksichtslos einen klaren rüstungsmäßigen Vorsprung zu erzielen. Da der totalitäre Staatskapitalismus damals noch nicht so weit entwickelt war wie heute, ging das am besten mittels einer offenen und brutalen Diktatur.

Aber die Notwendigkeit, eine eventuelle Revolte gegen den Krieg zu bekämpfen, blieb dennoch bestehen. Hierzu entwickelte der Nazismus eine Strategie, welche zwei Hauptpfeiler besaß. Der erste bestand darin, möglichst bis zum letzten Kriegstag eine ausreichende materielle Versorgung der Soldaten und der „Heimatfront“ zu sichern. So ist beispielsweise bekannt, dass eines der Motive, schon im Spätsommer 1941 in die Sowjetunion einzumarschieren (obwohl die Militärstrategen dringend davon abrieten und auf die Gefahren eines Winterfeldzugs hinwiesen) darin bestand, angesichts drohender Versorgungsengpässe in Deutschland die Ernte in der Ukraine abzuholen. Das Ganze lief auf das perfide Vorgehen hinaus, durch die Erschießung von großen Teilen der Bevölkerung der okkupierten Gebiete bzw. ihre Versklavung die Versorgung der Wehrmacht und in Deutschland selbst zu gewährleisten. Aber bereits die Ausplünderung der Juden in Deutschland diente u.a. diesem Ziel (wohlgemerkt: dieses Vorgehen gegenüber der Arbeiterklasse ist nur ein Aspekt der Politik der Nazis, erklärt weder den Antisemitismus der Nazis noch den Holocaust!). Der zweite bestand aber darin, gerade durch die Brutalität des Vorgehens in den besetzten Ländern und v.a. durch die Beteiligung der einfachen Soldaten an den Verbrechen der Wehrmacht bewusst die Arbeiter an ihre Ausbeuter zu binden und ein Verbrüderung mit dem „Feind“ von vorn herein zu verunmöglichen.

Mit anderen Worten: Darauf zu verzichten, in der Wehrmacht die Proletarier in Uniform zu sehen, auch als Opfer des Kapitals, würde auch bedeuten, der Strategie der Nazis auf den Leim zu gehen – nicht nur damals, sondern heute noch.

Und dennoch kam es gerade in der Wehrmacht beispielsweise zu Desertationen. In der amerikanischen Armee „musste“ im gesamten Weltkrieg ein einziger Soldat, so viel wir wissen, wegen Desertation hingerichtet werden. In der Wehrmacht waren es wohl zehntausende. Und wir als Nachwelt wissen von Fällen, wo solche Soldaten aufgrund der Unterstützung der Bevölkerung überlebten – Beweise dafür, dass es selbst in dieser „Mitternacht des Jahrhunderts“ Momente der Menschlichkeit und des Internationalismus gab. KS

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