„Der Marxismus ist eine revolutionäre Weltanschauung, die stets nach neuen Erkenntnissen ringen muss, die nichts so verabscheut wie das Erstarren in einmal gültigen Formen, die am besten im geistigen Waffengeklirr der Selbstkritik und im geschichtlichen Blitz und Donner ihre lebendige Kraft bewährt“ (Rosa Luxemburg, Antikritik, Ges. Werke, Bd. 5, S.523)
Die IKS hielt im letzten Frühjahr ihren 21. Kongress ab. Er fiel zeitlich zusammen mit der 40-jährigen Existenz unserer Organisation. Aus diesem Grund entschieden wir uns, diesem Kongress einen außerordentlichen Charakter zu geben mit dem zentralen Anliegen, die Grundlagen zu schaffen für eine kritische Bilanz unserer Analysen und Aktivitäten über diese vier Jahrzehnte. Die Arbeit des Kongresses sollte daher ein möglichst klares Licht auf unsere Stärken und Schwächen werfen und feststellen, was in unseren Analysen gültig ist und wo wir uns geirrt haben. Dies mit dem Ziel, uns zu stärken und unsere Schwächen zu überwinden.
Diese kritische Bilanz reiht sich ein in die Kontinuität einer Herangehensweise, die der Marxismus in der Geschichte der Arbeiterbewegung immer gehabt hat. So waren Marx und Engels durch ihre historische und selbstkritische Methode fähig zu erkennen, dass sich gewisse Abschnitte des Kommunistischen Manifestes als falsch oder durch die geschichtliche Erfahrung überholt herausstellten. Es ist diese Fähigkeit, die eigenen Fehler zu kritisieren, welche es den Marxisten ermöglichte, theoretische Schritte zu machen und weiterhin ihren Beitrag zur revolutionären Perspektive der Arbeiterklasse zu leisten. In derselben Weise, wie Marx die Lehren aus der Erfahrung der Pariser Kommune und ihrer Niederlage ziehen konnte, war die Italienische Linke[1] fähig, die tiefe Niederlage des Weltproletariates Ende der 1920er Jahre zu erkennen und eine „Bilanz“[2] der revolutionären Welle von 1917-23 und der programmatischen Positionen der Dritten Internationale zu ziehen. Diese kritische Bilanz ermöglichte es ihr trotz ihren Schwächen, unschätzbare theoretische Schritte nach vorne zu machen, einerseits auf der Ebene der Analyse der konterrevolutionären Epoche, andererseits auf der Ebene der Organisationsfrage, und so die Rolle einer Fraktion in einer degenerierenden proletarischen Partei als Brücke zu einer zukünftigen Partei zu verstehen, wenn jene ins Lager der Bourgeoisie übergegangen ist.
Dieser außergewöhnliche Kongress der IKS fand im Kontext unserer letzten internen Krise statt, welche vor einem Jahr eine internationale Außerordentliche Konferenz erfordert hatte.[3] Alle Delegationen hatten diesen Kongress mit größter Ernsthaftigkeit vorbereitet und nahmen an den Debatten teil – dies mit klarem Verständnis des Ziels und der Notwendigkeit für alle Generationen von Mitgliedern, diese kritische Bilanz von 40 Jahren IKS zu ziehen. Für alle Genossen (und namentlich für die jüngeren), welche nicht schon seit der Gründung Mitglieder der IKS sind, waren dieser Kongress und seine Vorbereitungstexte ein Moment, um die gesamte Erfahrung der IKS kennenzulernen, indem sie aktiv an der Arbeit des Kongresses durch ihre Stellungnahme in den Debatten teilnahmen.
Die Gründung der IKS war ein Resultat des Endes der Konterrevolution und der historischen Wiederaufnahme des Klassenkampfes, welche sich vor allem in der Bewegung vom Mai 68 in Frankreich ausdrückte. Die IKS ist die einzige Organisation der Kommunistischen Linken, welche diese Ereignisse im Rahmen des neuen Ausbruchs der permanenten Krise des Kapitalismus analysierte. Am Ende der „30 Glorreichen Jahre“ nach dem Zweiten Weltkrieg und durch die Aufrüstungsspirale des Kalten Krieges stellte sich von neuem die Alternative „Weltkrieg oder Entfaltung des proletarischen Klassenkampfes“. Der Mai 68 und die Welle von Arbeiterkämpfen, die sich weltweit entwickelten, eröffneten einen neuen historischen Kurs: Nach 40 Jahren Konterrevolution erhob sich das Proletariat von neuem und war nicht bereit, sich unter dem Motto der nationalen Verteidigung für einen dritten Weltkrieg mobilisieren zu lassen.
Der Kongress unterstrich, dass das Auftauchen einer neuen internationalen und internationalistischen Organisation den Rahmen unserer Analyse über den neuen historischen Kurs bestätigt hatte. Mit diesem Konzept gerüstet (sowie auch mit der Analyse, dass der Kapitalismus mit dem Ersten Weltkrieg in seine historische dekadente Phase eingetreten war), hat die IKS seit ihrer Gründung die drei Aspekte der internationalen Situation – die Entwicklung der ökonomischen Krise, des Klassenkampfes und der imperialistischen Konflikte – analysiert, um nicht dem Empirismus zu verfallen, sondern umgekehrt ständig eine Orientierung für ihre Aktivitäten zu erarbeiten. Dennoch versuchte der Kongress so klar wie möglich, die Fehler, die von uns in unseren Analysen begangen wurden, zu erkennen und damit den Rahmen der Analyse zu verbessern.
Auf der Grundlage des Berichts über die Entwicklung des Klassenkampfes seit 1968 unterstrich der Kongress, dass die größte Schwäche der IKS seit ihrer Entstehung in einem Phänomen bestand, das wir Immediatismus nannten, d.h. eine politische Herangehensweise, die durch Ungeduld gekennzeichnet ist, die unmittelbaren Ereignisse zum Maßstab nimmt und die umfassende geschichtliche Perspektive, in der sich diese Ereignisse zutragen, aus den Augen verliert. Auch wenn wir richtigerweise erkannt hatten, dass die Wiederaufnahme des Klassenkampfes Ende der 1960er Jahre einen neuen historischen Kurs eröffnete, so war die Bezeichnung dieses Kurses als „Kurs zur Revolution“ ein Fehler, den wir bald korrigieren mussten, um fortan die Bezeichnung „Kurs zu Klassenkonfrontationen“ zu verwenden. Doch auch diese bessere Bezeichnung ließ aufgrund einer gewissen Offenheit Raum für eine schematische Sichtweise, wonach sich der Klassenkampf linear entwickle und die dazu führte, dass viele GenossInnen in unserer Organisation davor zurück schreckten, die Schwierigkeiten, Niederlagen und Zeiten des Rückflusses des proletarischen Klassenkampfes anzuerkennen.
Die Unfähigkeit der Bourgeoisie, die Arbeiterklasse der zentralen Länder für einen dritten Weltkrieg zu mobilisieren, bedeutete nicht, dass die Wellen von internationalen Klassenkämpfen, die bis 1989 stattfanden, sich in mechanischer und unausweichlicher Weise bis zur Eröffnung einer revolutionären Periode fortsetzen würden. Der Kongress erkannte, dass die IKS das Gewicht des Bruchs der historischen Kontinuität mit der alten Arbeiterbewegung unterschätzt hatte, sowie auch das ideologische Gewicht von 40 Jahren Konterrevolution innerhalb der Arbeiterklasse, welches sich nicht nur in einem Misstrauen gegenüber kommunistischen Organisationen ausdrückt, sondern auch in einer Ablehnung derselben.
Der Kongress unterstrich auch eine andere Schwäche der IKS in ihren Analysen des Kräfteverhältnisses zwischen den gesellschaftlichen Klassen: die Tendenz, das Proletariat andauernd, in jedem Kampf „in der Offensive“ zu sehen, auch wenn diese Kämpfe nur Verteidigungskämpfe seiner unmittelbaren ökonomischen Interessen blieben (so umfangreich und bedeutend sie oft waren) und keine politische Dimension erlangten.
Die Arbeit des Kongresses erlaubte es uns zu verstehen, dass den Schwierigkeiten bei der Analyse der Entwicklung des Klassenkampfes eine falsche Vision der kapitalistischen Produktionsweise zugrunde liegt, die die Tendenz hatte, die Tatsache aus dem Auge zu verlieren, dass das Kapital zuallererst ein soziales Verhältnis ist. Dies bedeutet, dass die Bourgeoisie den Aspekt des Klassenkampfes in ihrer Wirtschaftspolitik und bei den Angriffen gegen die Arbeiterklasse berücksichtigen muss. Der Kongress hob ebenfalls ein mangelhaftes Verständnis in der IKS hinsichtlich der Theorie von Rosa Luxemburg als Erklärung für die Dekadenz des Kapitalismus hervor. Nach Rosa Luxemburg ist der Kapitalismus für die Fortsetzung seiner Akkumulation darauf angewiesen, Absatzmärkte in außerkapitalistischen Bereichen zu finden. Das fortschreitende Verschwinden dieser Bereiche verurteilt den Kapitalismus zu wachsenden Erschütterungen. Unsere Plattform bezieht sich auf diese Analyse (auch wenn eine Minderheit unserer GenossInnen sich auf eine andere Analyse stützt: die des tendenziellen Falls der Profitrate). Das mangelhafte Verständnis der Analyse von Rosa Luxemburg (die im Buch Die Akkumulation des Kapitals zu finden ist) drückte sich in einer „katastrophistischen“ Sichtweise aus, in einer apokalyptischen Vorstellung des Zusammenbruchs der Weltwirtschaft. Der Kongress stellte fest, dass die IKS seit ihrer Gründung den Entwicklungsrhythmus der Wirtschaftskrise immer wieder überschätzte. Aber in den letzten Jahren und vor allem bei der Staatsschuldenkrise waren unsere Analysen vom Grundgedanken getragen, der Kapitalismus könne von sich aus zusammenbrechen, weil die Bourgeoise sich in einer „Sackgasse“ befinde und alle Linderungsmittel ausgeschöpft habe, welche es ihr erlaubt hatten, das Überleben ihres Systems künstlich zu verlängern.
Diese „katastrophistische“ Sichtweise gründet zu einem guten Teil auf einem Mangel an Verständnis unserer Analyse des Staatskapitalismus, auf einer Unterschätzung der eigentlich schon seit langem erkannten Fähigkeiten der Bourgeoisie, aus der Krise der 1930er Jahre ihre Lehren zu ziehen und den Niedergang ihres Systems mit allen möglichen Manipulationen, Tricks mit dem Wertgesetz, mit einer ständigen Staatsintervention in die Wirtschaft zu begleiten. Sie gründet ebenfalls auf einem beschränkten und schematischen Verständnis der ökonomischen Theorie von Rosa Luxemburg und der falschen Idee, der Kapitalismus habe seit 1914 oder seit den 1960er Jahren all seine Fähigkeiten zur Expansion verloren. In Wahrheit liegt, wie Rosa Luxemburg hervorhob, die wirkliche Katastrophe des Kapitalismus in der Tatsache, dass er die Menschheit in einen Niedergang führt, einen langen Todeskampf, in dem die Gesellschaft in eine immer schlimmere Barbarei stürzt.
Dieser Fehler, der darin besteht, jegliche Möglichkeit zur Expansion des Kapitalismus in seiner Niedergangsphase zu negieren, erklärt die Schwierigkeiten der IKS, den Aufstieg und die rasante industrielle Entwicklung Chinas (und anderer peripherer Länder) nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu verstehen. Auch wenn diese industrielle Entwicklung in keiner Weise unsere Analyse der Dekadenz des Kapitalismus in Frage stellt[4], so hat sich die Vision, nach der in der Phase der Dekadenz keinerlei Entwicklung in den Ländern der Dritten Welt stattfinden könne, nicht bestätigt. Dieser Fehler hinderte uns daran, wie der Kongress unterstrichen hat, zu verstehen, dass der Bankrott des alten autarken Modells der stalinistischen Länder neue, bisher eingefrorene Sphären für die kapitalistischen Investitionen eröffnete[5] (inklusive die Integration einer enormen Masse von Arbeitern in die Lohnsklaverei, welche zuvor außerhalb von direkt kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen gelebt hatten und nun einer brutalen Überausbeutung unterworfen werden).
Bezüglich der imperialistischen Spannungen hob der Kongress hervor, dass die IKS im Allgemeinen, sowohl was die Epoche des Kalten Krieges zwischen den rivalisierenden Blöcken als auch was die Situation nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Ostblocks und der UdSSR anbelangt, eine sehr solide Analyse entwickeln konnte. Unsere Analyse des Militarismus, des Zerfalls des Kapitalismus und der Krise der osteuropäischen Länder erlaubte es uns, die Probleme, welche zum Zusammenbruch des Ostblocks führen sollten, zu erkennen. Die IKS war auch die erste Organisation, welche das Verschwinden der beiden Blöcke – der eine dirigiert durch die UdSSR und der andere durch die USA – voraussah wie auch den Niedergang der Hegemonie der USA und die Entwicklung einer Tendenz zum „Jeder gegen Jeden“ auf der imperialistischen Bühne, nachdem die militärischen Blöcke verschwunden waren.[6]
Wenn die IKS fähig war, die Dynamik der imperialistischen Spannungen zu begreifen, dann deshalb, weil sie den spektakulären Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime als hauptsächlichen Ausdruck des Eintritts des Kapitalismus in seine letzte Phase der Dekadenz analysieren konnte: den Zerfall. Der Rahmen dieser Analyse war der letzte Beitrag, den der Genosse MC[7] der IKS vermachte, damit diese sich einer historischen Situation hat stellen können, welche neu und besonders schwerwiegend gewesen ist. Seit mehr als 20 Jahren bestätigen der Aufstieg des religiösen Fanatismus und Fundamentalismus, die Ausbreitung des Terrorismus und des Nihilismus, die Entfesselung der Barbarei in den bewaffneten Konflikten, das Wiederaufkommen von Pogromen (und im Allgemeinen der Mentalität, nach Sündenböcken zu suchen) diese Analyse aufs Vollste.
Auch wenn die IKS verstanden hat, wie die herrschende Klasse den Zusammenbruch des Ostblocks, diesen Ausdruck des Zerfalls ihres eigenen Systems, hat verwenden können, um Kampagnen gegen die Arbeiterklasse über die „Niederlage des Kommunismus“ zu entfesseln, so haben wir dennoch deren Auswirkungen auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse und auf die Entwicklung ihrer Klassenkämpfe massiv unterschätzt.
Wir haben die Tatsache unterschätzt, wie stark die vergiftende Atmosphäre des sozialen Zerfalls (wie auch die De-Industrialisierung und die Politik der Auslagerung in gewissen zentralen Ländern) zu einer Untergrabung des Selbstvertrauens und der Solidarität in der Arbeiterklasse beiträgt und den Verlust der Klassenidentität verstärkt. Wegen dieser Unterschätzung der Schwierigkeiten in der neuen Periode, die durch den Zusammenbruch des Ostblocks eröffnet wurde, hat die IKS eine Tendenz zur Illusion gehabt, die Zuspitzung der ökonomischen Krise und der Angriffe gegen die Arbeiterklasse würden zwangsläufig und mechanisch „Kampfwellen“ hervorrufen, welche sich mit den gleichen Charakteristiken und in ähnlicher Weise wie in den 1970er und 80er Jahren entwickeln. Insbesondere haben wir, auch wenn wir zu Recht die Bewegung gegen das CPE-Gesetz in Frankreich und der Indignados in Spanien begrüßt haben, die enormen Schwierigkeiten unterschätzt, mit der die junge Generation heute konfrontiert ist, um eine Perspektive in ihren Kämpfen zu entwickeln (vor allem das Gewicht der demokratischen Illusionen, die Angst vor und die Ablehnung des Wortes „Kommunismus“ und die Tatsache, dass diese Generation nicht von der lebendigen Übermittlung der Erfahrungen der Arbeiter, die heute pensioniert sind und an den Kämpfen in den 1970er und 80er Jahren teilgenommen haben, profitieren kann). Diese Schwierigkeiten betreffen nicht nur die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit, sondern auch die jungen Elemente, die heute auf der Suche sind und sich politisch betätigen wollen.
Die Isolation und der vernachlässigbare Einfluss der IKS (wie aller historischer Gruppen der Kommunistischen Linken) innerhalb der Arbeiterklasse seit vier Jahrzehnten und insbesondere seit 1989 zeigen, dass die Perspektive einer weltweiten proletarischen Revolution noch in weiter Ferne liegt. Dass die Arbeiterklasse 40 Jahre später den Kapitalismus noch nicht überwunden hat, hätte sich die IKS bei ihrer Gründung nicht vorstellen können. All dies belegt aber nicht den Irrtum des Marxismus und die Ewigkeit des kapitalistischen Systems. Der Hauptfehler, den wir begangen haben, liegt in der Unterschätzung der Langsamkeit, mit der sich die Wirtschaftskrise seit ihrem Beginn am Ende der Wiederaufbauperiode nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte, sowie in der Unterschätzung der Fähigkeiten der herrschenden Klasse, den historischen Niedergang ihrer kapitalistischen Produktionsweise zu begleiten und zu bremsen.
Der Kongress hat ebenfalls gezeigt, wie unsere letzte interne Krise (und die Lehren, die wir daraus gezogen haben) es der IKS erlaubt hat, damit zu beginnen, sich eine fundamentale Errungenschaft der Arbeiterklasse wieder anzueignen, welche schon von Engels beleuchtet wurde: Der Kampf des Proletariats enthält drei Dimensionen. Eine ökonomische, eine politische und eine theoretische Dimension. Es ist diese theoretische Dimension, welche das Proletariat in seinen zukünftigen Kämpfen entwickeln muss, um seine Identität als revolutionäre Klasse wiederzufinden, um dem Gewicht des sozialen Zerfalls etwas entgegenstemmen zu können und um seine eigene Perspektive der gesellschaftlichen Umwälzung voran zu stellen. Wie Rosa Luxemburg es ausdrückte, ist die proletarische Revolution allem voran eine breite „kulturelle Bewegung“, denn die kommunistische Gesellschaft hat nicht nur das Ziel der Befriedigung der vitalen materiellen, sondern auch der sozialen, intellektuellen und moralischen Bedürfnisse der Menschheit. Indem wir uns dieser Lücke in unserem Verständnis des Kampfes der Arbeiterklasse bewusst geworden sind (die sich durch eine „ökonomistische“ und vulgärmaterialistische Tendenz ausdrückte), haben wir nicht nur das Wesen unserer letzten internen Krise begreifen, sondern auch verstehen können, dass diese „moralische und intellektuelle“ Krise, die wir schon anlässlich unserer Außerordentlichen Konferenz 2014 untersucht haben[8], in Wirklichkeit schon seit 30 Jahren existiert. Dies, weil die IKS an einem Mangel an Reflexion und vertieften Diskussionen über die Wurzeln all ihrer organisatorischen Schwierigkeiten gelitten hat, mit welchen sie seit ihrer Gründung und speziell seit Ende der 1980er Jahre konfrontiert gewesen ist.
Um eine kritische Bilanz über 40 Jahre IKS ziehen zu können, hat der Kongress nicht nur eine Diskussion über einen allgemeinen Aktivitätsbericht in den Mittelpunkt gerückt, sondern auch über einen Bericht zur „fraktionsähnlichen“ Rolle der IKS diskutiert.
Unsere Organisation hat nie den Anspruch gehabt, eine Partei zu sein (und noch weniger die Weltpartei der Arbeiterklasse).
Unsere Gründungstexte hoben hervor: „Die Anstrengung unserer Strömung, sich als Umgruppierungspol um Klassenpositionen zu konstituieren, reiht sich in einen Prozess ein, der in Richtung der Formierung der Partei im Moment der intensiven und generalisierten Kämpfe geht. Wir gehen nicht davon aus, eine ‚Partei‘ zu sein.“ (Internationale Revue Nr. 1 (engl./franz./span. Ausgabe) „Bilanz der internationalen Gründungskonferenz der IKS“). Die IKS muss noch immer eine Arbeit leisten, die zahlreiche Ähnlichkeiten zur Fraktion aufweist, auch wenn sie keine Fraktion ist.
Die IKS ist nach einem organischen Bruch mit den früheren kommunistischen Organisationen entstanden und nicht aus einer bereits existierenden Organisation herausgewachsen. Wir haben daher keinerlei organische Kontinuität mit einer bestimmten Gruppe oder Partei. Der einzige Genosse (MC), welcher aus einer Fraktion der Arbeiterbewegung der 3. Internationale kam, konnte nicht die Kontinuität einer Gruppe repräsentieren, er war schlicht die einzige „lebende Verbindung“ mit der früheren Arbeiterbewegung. Weil die IKS nicht einer degenerierten Partei entsprang, welche die proletarischen Prinzipien verraten hatte und ins Lager des Kapitals gewechselt war, wurde sie nicht im Kontext des Kampfes gegen eine solche Degeneration gegründet. Die Hauptaufgabe der IKS ist, wegen des organischen Bruchs und wegen der Tiefe der 40-jährigen Konterrevolution, zuallererst einmal die Wiederaneignung der Positionen der Gruppen der Kommunistischen Linken, die uns vorangegangen sind.
Die IKS musste sich „von Null an“ auf einer internationalen Ebene gründen und entwickeln. Diese neue internationale Organisation musste „an Ort und Stelle“ alles lernen, unter neuen historischen Bedingungen und dies mit einer ersten Generation von jungen unerfahrenen Militanten, welche aus der Studentenbewegung des Mai 68 kamen und stark vom Gewicht des Kleinbürgertums, der Ungeduld, der Atmosphäre des „Konflikts zwischen den Generationen“ und der Angst vor dem Stalinismus, die sich von Beginn weg in einem Misstrauen gegen die Zentralisierung ausdrückte, geprägt waren.
Seit ihrer Gründung hat sich die IKS die Erfahrungen der Organisationen der vergangenen Arbeiterbewegung angeeignet (vor allem des Bundes der Kommunisten, der Ersten Internationale, von BILAN und der Französischen Kommunistischen Linken), um sich Statuten und Prinzipien der Funktionsweise zu geben, die integraler Bestandteil der Plattform sind. Doch anders als die Organisationen der Vergangenheit verstand sich die IKS nie als eine föderalistische Organisation, die aus einer Summe von nationalen Sektionen besteht, von welchen jede ihre lokalen Besonderheiten aufweist. Als von Anbeginn internationale und zentralisierte Organisation gegründet, verstand sich die IKS als einheitlicher internationaler Körper. Ihre Prinzipien der Zentralisierung waren der Garant für die Einheit der Organisation.
„Während es für BILAN und die GCF – aufgrund der Bedingungen der Konterrevolution – unmöglich war, zu wachsen und eine Organisation in mehreren Ländern aufzubauen, hat sich die IKS zum Ziel gesetzt, eine internationale Organisation auf soliden Positionen aufzubauen (…) Als Ausdruck des neuen historischen Kurses, offen in Richtung Klassenkonfrontationen (…), war die IKS seit Beginn international zentralisiert, während die anderen Organisationen der Kommunistischen Linken der Vergangenheit immer auf ein oder zwei Länder beschränkt waren.“ (Bericht für den 21. Kongress über die Rolle der IKS als Fraktion)
Trotz dieser Unterschiede zu BILAN und der GCF unterstrich der Kongress, dass die Rolle der IKS ähnlich einer Fraktion ist: eine Brücke zu bilden zwischen der Vergangenheit (nach einer Periode des Bruchs) und der Zukunft. „Die IKS definiert sich selber nicht als eine Partei, nicht als eine Mini-Partei, sondern in gewissem Sinne als eine Fraktion.“ (ebenda) Die IKS soll ein Bezugspunkt sein, ein Pol für die internationale Umgruppierung und für die Weitergabe der Erfahrungen der früheren Arbeiterbewegung. Sie muss sich auch davor hüten, dogmatische Wege einzuschlagen, indem sie, wenn immer nötig, Kritik an falschen oder überholten Positionen übt, um weiter zu kommen und den Marxismus lebendig zu halten.
Die Wiederaneignung der Positionen der Kommunistischen Linken innerhalb der IKS fand relativ zügig statt, auch wenn von Beginn an von einer großen Heterogenität gezeichnet. „Wiederaneignung hieß nicht, dass wir ein für allemal zur Klarheit und Wahrheit gelangt wären und dass unsere Plattform ‚unveränderlich‘ geworden wäre (…) Die IKS hat ihre Plattform zu Beginn der 1980er Jahre nach einer intensiven Debatte abgeändert“ (ebenda). Auf der Grundlage dieser Wiederaneignung konnte die IKS theoretische Vertiefungen bezüglich der Analyse der internationalen Situation machen (zum Beispiel nach der Niederlage des Massenstreiks in Polen 1980 die Kritik der Theorie Lenins über das „schwächste Glied“[9] und die Analyse des Zerfalls als letzte Phase in der Dekadenz des Kapitalismus, welche den Zusammenbruch der UdSSR ankündigte[10]).
Die IKS übernahm von Anbeginn die Haltung von BILAN und der GCF, welche während ihrer gesamten Existenz auf einer internationalen Debatte beharrten (dies sogar unter den Bedingungen der Repression, des Faschismus und des Krieges), um zur Klärung von Positionen unter den Gruppen zu gelangen, welche sich an den Polemiken über politische Grundsatzpositionen beteiligten. Unmittelbar nach der Gründung der IKS im Januar 1975 hatten wir diese Methode wieder aufgenommen, indem wir zahlreiche öffentliche Debatten und Polemiken vorantrieben. Dies nicht mit dem Ziel einer frühzeitigen Umgruppierung, sondern vor allem um den Klärungsprozess zu fördern.
Seit dem Beginn ihrer Existenz hat die IKS immer das Konzept der Existenz eines „politischen proletarischen Milieus“ vertreten, welches durch Prinzipien definiert ist, und versucht, eine dynamische Rolle im Klärungsprozess innerhalb dieses Milieus zu spielen.
Das Vermächtnis der Italienischen Kommunistischen Linken ist vom Anfang bis zum Ende vom Kampf zur Verteidigung der Prinzipien der Arbeiterbewegung und des Marxismus geprägt. Dies ist auch für die IKS für die ganze Zeit ihrer Existenz ein ständiges Anliegen gewesen, das sich in kontroversen öffentlichen Debatten ausdrückt sowie in den politischen Kämpfen, die wir besonders in Situationen der Krise innerhalb der Organisation haben führen müssen.
BILAN und die GCF waren überzeugt, dass ihre Rolle als Fraktion auch in der „Bildung von Kadern“ besteht. Auch wenn dieses Konzept von „Kadern“ sehr fragwürdig ist und Verwirrungen hervorrufen kann, so war das grundsätzliche Anliegen dahinter vollkommen richtig: Es ging darum, eine zukünftige Generation von Militanten auszubilden, an die man die historischen Erfahrungen weiterreicht, damit sie den Stab weitertragen und die Arbeit der vorangegangenen Generation weiterführen.
Die Fraktionen der Vergangenheit sind nicht allein wegen des Gewichts der Konterrevolution verschwunden. Ihre falschen Analysen der historischen Situation haben ebenfalls zu ihrem Verschwinden beigetragen. Die GCF ist nach ihrer Analyse über einen unmittelbaren und unvermeidlichen dritten Weltkrieg – welche sich als falsch herausstellte – verschwunden. Die IKS ist die internationale Organisation mit der längsten Lebensdauer in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Und es gibt sie immer noch, 40 Jahre nach ihrer Gründung. Wir sind von unseren verschiedenen Krisen nicht weggefegt worden. Trotz des Verlusts von zahlreichen Militanten hat es die IKS geschafft, die Mehrheit ihrer Gründungs-Sektionen zu behalten und neue aufzubauen, was uns erlaubt, mit unserer Presse in verschiedenen Sprachen, Ländern und Kontinenten präsent zu sein.
Doch der Kongress hat klar hervorgehoben, dass die IKS seit ihrer Gründung unter der Last der historischen Bedingungen leidet. Aufgrund der schlechten historischen Bedingungen gibt es in unserer Organisation eine „verlorene Generation“ nach 1968 und eine „fehlende Generation“ (dies wegen des langen Einflusses der antikommunistischen Kampagnen nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Ostblocks). Diese Situation stellt ein Handicap dar bei der Konsolidierung der Organisation im Hinblick auf ihre langfristige Tätigkeit. Unsere Schwierigkeiten haben sich seit Ende der 1980er Jahre durch das Gewicht des Zerfalls, welches die gesamte Gesellschaft und auch die Arbeiterklasse mit ihren revolutionären Organisationen belastet, noch zugespitzt.
So wie BILAN und die GCF fähig waren, den Kampf „gegen den Strom“ zu führen, muss die IKS heute, um ihre Rolle als Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft zu spielen, denselben Kampfgeist entwickeln, im Wissen darum, dass wir ebenfalls „gegen den Strom“ schwimmen, isoliert und abgeschnitten von der Arbeiterklasse (wie die anderen Organisationen der Kommunistischen Linken). Auch wenn wir uns nicht mehr in einer Phase der Konterrevolution befinden, so verstärkt die historische Situation seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und aufgrund der großen Schwierigkeiten des Proletariats, seine revolutionäre Klassenidentität und Perspektive wiederzufinden, diese Isolation. Dazu kommen all die Kampagnen der herrschenden Klasse gegen die Kommunistische Linke. „Die Brücke, die wir heute bilden müssen, führt über die ‚verlorene Generation‘ nach 1968 und die Wüste des Zerfalls hinweg in Richtung der zukünftigen Generationen.“ (ebenda)
Die Debatten auf dem Kongress unterstrichen, dass die IKS im Verlauf der Zeit (und vor allem seit dem Tod unseres Genossen MC) größtenteils vergessen hat, wie sie die Arbeit der Fraktionen der Kommunistischen Linken fortführen muss. Dies drückte sich in einer Unterschätzung unserer Hauptaufgabe, der theoretischen Vertiefung, aus [11](die wir nicht einigen „Spezialisten“ überlassen dürfen) sowie in der Unterschätzung des Aufbaus der Organisation durch die Bildung neuer Militanter mit der Weitergabe der Kultur der Theorie. Der Kongress hat festgestellt, dass die IKS in den letzten 25 Jahren an der Aufgabe, die Methode der Fraktion an die neuen Genossen weiterzureichen, gescheitert ist. Anstatt sie mit der Methode des langfristigen Aufbaus einer zentralisierten Organisation vertraut zu machen, neigten wir dazu, ihnen das Bild der IKS als einer „Mini-Partei“[12] zu vermitteln, deren Hauptaufgabe die Intervention in den unmittelbaren Kämpfen der Arbeiterklasse sei.
Zurzeit der Gründung der IKS lastete eine enorme Verantwortung auf den Schultern von MC, dem einzigen Genossen, welcher der jungen Generation die marxistische Methode beim Aufbau der Organisation und bei der unnachgiebigen Verteidigung ihrer Prinzipien übermitteln konnte. Es gibt heute in der Organisation viel mehr erfahrene Militante (die schon seit der Gründung der IKS dabei sind), doch es existiert eine permanente Gefahr eines „historischen Bruchs“ angesichts unserer Schwierigkeiten, diese Arbeit der Weitergabe zu leisten.
Tatsächlich waren die Bedingungen, die zurzeit der Gründung der IKS herrschten, ein enormes Handicap für den langfristigen Aufbau der Organisation. Die stalinistische Konterrevolution war die längste und tiefste in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Nie zuvor seit der Zeit des Bundes der Kommunisten gab es eine Diskontinuität, einen organischen Bruch zwischen den Generationen der Militanten. Es gab immer einen lebendigen Faden zwischen den Organisationen, und die Weitergabe der Erfahrung lastete nie auf den Schultern einer einzigen Person. Die IKS ist die einzige Organisation, die mit einer solchen Situation konfrontiert ist. Der organische Bruch, welcher mehrere Jahrzehnte dauerte, war enorm schwer zu überwinden, und er wurde noch durch den Widerstand der jungen Generation des Mai 68 verstärkt, von der älteren Generation zu „lernen“. Der Einfluss der Ideologien des revoltierenden Kleinbürgertums und des aufbegehrenden studentischen Milieus, das stark vom „Generationenkonflikt“ geprägt war (aufgrund der Tatsache, dass es genau die ältere Generation war, die am schlimmsten unter der Konterrevolution gelitten hat), verstärkte das Gewicht des historischen Bruchs mit den lebendigen Erfahrungen der früheren Arbeiterbewegung noch zusätzlich.
Der Tod von MC zu Beginn der Zerfallsperiode des Kapitalismus erschwerte die Überwindung der angeborenen Schwächen der IKS nur noch weiter.
Der Verlust der Sektion in der Türkei zu Beginn des Jahres 2015 war der klarste Ausdruck unseres Fehlers, diese Genossen zu früh und übereilt integriert zu haben, bevor sie wirklich die Statuten und Organisationsprinzipien der IKS verstanden hatten (und obwohl sie eine stark lokalistische und föderalistische Tendenz vertraten, welche die Organisation als Sammelsurium von „nationalen“ Sektionen sieht und nicht als einen einheitlichen zentralisierten Körper auf internationaler Ebene).
Der Kongress unterstrich ebenfalls, dass das Gewicht des Zirkelgeistes (und von clan-ähnlichen Dynamiken)[13], die ebenfalls angeborene Schwächen der IKS sind, es immer wieder erschwert hat, die fraktionsähnliche Arbeit der Aneignung und Weitergabe der Erfahrungen der Vergangenheit an neue Genossen zu verrichten.
Die historischen Bedingungen, unter denen die IKS existiert hat, haben sich seit ihrer Gründung verändert. Während der ersten Jahre unserer Existenz konnten wir in einer Arbeiterklasse intervenieren, die sich auf dem Weg zu bedeutenden Kämpfen befand. Heute, nach 25 Jahren Stagnation im Klassenkampf auf internationaler Ebene, muss sich die IKS einer Aufgabe widmen, die der damaligen von BILAN nahe kommt: die Gründe für das Scheitern der Arbeiterklasse, fast ein halbes Jahrhundert nach der historischen Wiederaufnahme des Klassenkampfes Ende der 1960er Jahre die revolutionäre Perspektive wiederzufinden, zu verstehen.
„Die Tatsache, dass wir fast allein dastehen bei der Untersuchung der gewaltigen Probleme, kann die Resultate beeinflussen, jedoch nicht die Notwendigkeit in Frage stellen, diese Aufgabe zu lösen.“ (BILAN Nr. 22, September 1935, „Resolutionsentwurf über die Probleme der internationalen Beziehungen“)
„Diese Arbeit soll sich nicht auf die Probleme beschränken, die wir heute lösen müssen, um unsere Taktik zu bestimmen, sondern auch auf die Probleme beziehen, die sich morgen der Diktatur des Proletariats stellen.“ (INTERNATIONALISME Nr. 1, Januar 1945, „Resolution über die politischen Aufgaben“)
Die Debatten über die kritische Bilanz von 40 Jahren IKS haben uns gezwungen, der Gefahr der Sklerose und der Degeneration ins Auge zu schauen, welche schon immer die revolutionären Organisationen gedroht hat. Keine revolutionäre Organisation war immun gegenüber dieser Gefahr. Die SPD wurde bis zur totalen Aufgabe jeglicher Grundlagen des Marxismus vom Opportunismus zerfressen, dies vor allem weil sie jede theoretische Arbeit zugunsten der unmittelbaren Aufgaben beiseiteschob, um über die Vergrößerung ihrer Wahlerfolge einen Einfluss auf die Arbeiterklasse zu erlangen. Doch der Degenerationsprozess der SPD hatte schon viel früher als zum Zeitpunkt der Aufgabe der theoretischen Arbeit begonnen. Er begann mit der fortschreitenden Zerstörung der Solidarität unter den Militanten. Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes (1878-90) in Deutschland und der Legalisierung der SPD, die nun im Parlament einzog, war die Solidarität zwischen den Genossen nicht mehr eine zwingende Notwendigkeit, da sie nicht mehr der Repression und den Regeln der Untergrundarbeit unterworfen waren. Diese Zerstörung der Solidarität (gefördert durch die „komfortablen“ Bedingungen der bürgerlichen Demokratie) öffnete den Weg zu einer zunehmenden moralischen Verwahrlosung der SPD, welche damals die führende Partei der Arbeiterbewegung war; dies drückte sich beispielsweise darin aus, dass die widerlichsten Gerüchte über die prinzipientreuste Vertreterin des linken Flügels, Rosa Luxemburg, verbreitet wurden.[14] Es ist das Zusammenspiel dieser Faktoren (und nicht allein der Opportunismus und der Reformismus), welches den Weg zu einem langen internen Degenerationsprozess und zum Scheitern der SPD 1914 eröffnete.[15] Lange Zeit ging die IKS die Frage der moralischen Prinzipien nur auf einer empirisch, praktischen Weise an (vor allem während der Organisationskrise 1981, bei der wir zum ersten Mal mit kriminellen Verhaltensweisen konfrontiert waren, als die „Chénier-Tendenz“ uns Material entwendete). Dass die IKS diese Frage nie von einer theoretischen Seite her aufgriff, hat damit zu tun, dass es bei der Gründung unserer Organisation eine ablehnende Haltung und sogar eine gewisse „Phobie“ gegen den Begriff der „Moral“ gab. Die junge Generation, die dem Mai 68 entsprang, wollte (im Gegensatz zu MC) nicht, dass das Wort „Moral“ in den Stauten der IKS vorkommt (auch wenn die Idee einer proletarischen Moral in den Statuten der GCF vertreten war). Die Abneigung gegen die „Moral“ war Ausdruck des Einflusses der studentischen kleinbürgerlichen Ideologie und Verhaltensweise der damaligen Zeit.
Erst als in der Organisationskrise von 2001 es erneut zu kriminellen Verhaltensweisen von Seiten der Ex-Mitglieder gekommen war, die später die IFIKS gründeten, hat die IKS die Notwendigkeit einer theoretischen Wiederaneignung des marxistischen Erbes zur Frage der Moral verstanden. Es dauerte vier Jahrzehnte, bis wir die Notwendigkeit begriffen, diese Lücke zu schließen. Und nun, aufgrund unserer letzten Organisationskrise, hat in der IKS ein Denkprozess begonnen, um endlich zu verstehen, was Rosa Luxemburg meinte, als sie schrieb: „Die Partei des Proletariats ist das moralische Bewusstsein der Revolution“.
Die Arbeiterbewegung insgesamt hat diese Frage unterschätzt. Die Debatte zurzeit der Zweiten Internationale (vor allem über das Buch von Karl Kautsky „Ethik und materialistische Geschichtsauffassung“, 1906) wurde nie genügend entwickelt, und der moralische Verlust war bestimmendes Element ihrer Degeneration. Auch wenn die Gruppen der Kommunistischen Linken den Mut besaßen, die moralischen proletarischen Prinzipien praktisch zu vertreten, so theoretisierten weder BILAN noch die GCF diese Frage in ausreichendem Maße. Die Schwierigkeiten der IKS auf dieser Ebene müssen also im Lichte des Unvermögens der revolutionären Bewegung des 20. Jahrhunderts gesehen werden.
Heute ist das Risiko einer moralischen Degeneration der revolutionären Organisationen durch die Ausdehnung des Zerfalls und der Barbarei der kapitalistischen Gesellschaft größer geworden. Diese Frage betrifft nicht nur die IKS, sondern auch die anderen Gruppen der Kommunistischen Linken.
Nach unserer letzten außerordentlichen Konferenz 2014, welche die moralische Dimension der Organisationskrise der IKS erkannte, setzt sich der Kongress nun zum Ziel, auch über die intellektuelle Dimension nachzudenken. In ihrer ganzen Existenz hat die IKS immer wieder ihre Schwierigkeiten auf der Ebene der Vertiefung theoretischer Fragen unterstrichen. Das Abhandenkommen des Verständnisses der Rolle, welche die IKS zu spielen hat, der Immediatismus in unseren Analysen, die aktivistischen und arbeitertümlerischen Tendenzen in unseren Interventionen, die Geringschätzung der theoretischen Arbeit und der Suche nach der Wahrheit haben den schlüpfrigen Boden für diese Organisationskrise gebildet.
Unsere wiederkehrende Unterschätzung der theoretischen Arbeit (und vor allem der Organisationsfragen) hat ihre Wurzeln in den Ursprüngen der IKS: in dem Einfluss der studentischen Revolte mit ihrer akademistischen Komponente (kleinbürgerlicher Natur), der sich eine aktivistische und arbeitertümlerische Tendenz (linksbürgerlicher Färbung) entgegenstemmte, welche anti-akademistisch und misstrauisch gegenüber der Theorie war. All dies fand in einer Atmosphäre des kindischen Protests gegen jegliche „Autorität“ (in der IKS vom „alten“ MC verkörpert) statt. Gegen Ende der 1980er Jahre wurde diese Unterschätzung der theoretischen Arbeit der Organisation nur noch verstärkt durch die destruktive Stimmung des gesellschaftlichen Zerfalls, welche das rationale Denken zugunsten des Glaubens und aufklärungsfeindlicher Vorurteile zerstört, wobei die „Klatschkultur“ die Kultur der Theorie verdrängt.[16] Der Verlust unserer Errungenschaften (und die Gefahr der Sklerose, die damit einhergeht) ist eine direkte Konsequenz aus diesem Mangel an einer wirklichen Kultur der Theorie. Angesichts des Drucks der bürgerlichen Ideologie können die Errungenschaften der IKS (sei es auf der programmatischen Ebene, bei unseren Analysen oder in den Organisationsfragen) nur aufrechterhalten werden, wenn sie ständig durch die Reflexion und die theoretische Debatte bereichert werden.
Der Kongress hob hervor, dass die IKS immer noch von ihrer „Jugendsünde“ gezeichnet ist, dem Immediatismus, der uns wiederholt den historischen Rahmen, in den sich langfristig die Funktion der Organisation einreiht, hat vergessen lassen. Die IKS wurde durch die Umgruppierung junger Genossen gebildet, die sich zum Zeitpunkt einer spektakulären Wiederaufnahme des Klassenkampfes (Mai 68) politisiert hatten. Viele von ihnen hatten die Illusion, dass die Revolution bereits im Gange sei. Die ungeduldigsten und am meisten auf den Moment fixierten von ihnen ließen sich demoralisieren und legten ihr militantes Engagement beiseite. Doch diese Schwäche blieb auch unter denen bestehen, die in der IKS blieben. Der Immediatismus hat uns weiter geprägt und sich bei zahlreichen Gelegenheiten ausgedrückt. Der Kongress begriff, dass diese Schwäche tödlich sein kann, denn gepaart mit dem Verlust von Errungenschaften und einem Misstrauen gegenüber der Theorie führt sie unmittelbar in den Opportunismus, auf einen Weg, welcher die Organisationsgrundlagen immer weiter untergräbt.
Der Kongress rief in Erinnerung, dass der Opportunismus (und seine Variante, der Zentrismus), der durch die permanente Infiltration der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie in die revolutionären Organisationen entsteht, eine andauernde Wachsamkeit und einen konsequenten Kampf dagegen erfordert. Auch wenn die revolutionäre Organisation ein „Fremdkörper“ ist und in einem unversöhnlichen Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft steht, so entsteht und existiert sie inmitten der Klassengesellschaft und ist daher dauernd durch die Infiltration von Ideologien und Verhaltensweisen, die der Arbeiterklasse fremd sind, gefährdet. Dies greift die Errungenschaften des Marxismus und der Arbeiterbewegung an. Während ihrer 40-jährigen Existenz musste die IKS ständig ihre Prinzipien verteidigen und in schwierigen Debatten all diese Ideologien in ihren Reihen bekämpfen, welche sich unter anderem in linksbürgerlichen, modernistischen, anarcho-libertären und rätistischen Abweichungen ausdrückten.
Der Kongress widmete sich ebenfalls den Schwierigkeiten der IKS, eine andere große Geburtsschwäche zu überwinden: den Zirkelgeist und seinen zerstörerischsten Ausdruck, den Clangeist.[17] Dieser Zirkelgeist ist, wie es die gesamte Geschichte der IKS gezeigt hat, eines der gefährlichsten Gifte für die Organisation. Dies aus verschiedenen Gründen. Er beinhaltet die Umwandlung der revolutionären Organisation in einen simplen Zusammenschluss von Freunden, was ihre politische Natur als Produkt und Instrument des Kampfes der Arbeiterklasse entstellt. Durch die Personalisierung von politischen Fragen untergräbt er die Debattenkultur und die Klärung von Meinungsverschiedenheiten, die schlüssige und rationale Konfrontation von Argumenten. Die Bildung von Clans oder Freundeskreisen, die sich der Organisation oder einzelnen Teilen widersetzen, zerstört die kollektive Arbeit, die Solidarität und die Einheit der Organisation. Weil er durch irrationale Gefühle, Machtbeziehungen und persönliche Abneigungen genährt ist, widersetzt sich der Zirkelgeist der Denkarbeit und der Kultur der Theorie zugunsten von Klatsch, Geschichten hinter den Kulissen „unter Freunden“ und Verleumdungen, welche direkt die Moral der Organisation untergraben.
Die IKS ist es trotz aller Kämpfe, die wir gegen den Zirkelgeist in den 40 Jahren unserer Existenz geführt haben, nicht gelungen, ihn zu überwinden. Die Weiterexistenz dieses Gifts erklärt sich aus der Zeit der Entstehung der IKS, die aus Zirkeln gebildet wurde, in einer „familiären“ Atmosphäre, wo die Beziehungen (persönliche Sympathien oder Antipathien) wichtiger waren als die notwendige Solidarität zwischen Militanten, die für dasselbe Ziel kämpfen und sich um dasselbe Programm scharen. Das Gewicht des sozialen Zerfalls und die Tendenz hin zum „Jeder für sich“ haben diese Gründungsschwäche noch verstärkt. Und vor allem hat es der Mangel an theoretischen Diskussionen und Vertiefungen über Organisationsfragen der Organisation im Ganzen nicht erlaubt, diese „Kinderkrankheit“ der IKS und der Arbeiterbewegung zu überwinden. Der Kongress hob hervor (indem er sich dabei auf die Feststellung Lenins bezog, die dieser schon 1904 in seinem Werk „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ machte), dass der Zirkelgeist im Wesentlichen durch den Druck der kleinbürgerlichen Ideologie portiert wird.
Um all diese Schwierigkeiten anzupacken und angesichts der ernsten Umstände der heutigen Zeit hob der Kongress hervor, dass die Organisation einen starken Kampfgeist gegen den Einfluss der herrschenden Ideologie und gegen das Gewicht des sozialen Zerfalls entfalten muss. Dies bedeutet einen permanenten Kampf gegen den Routinismus, die Oberflächlichkeit, die intellektuelle Faulheit, den Schematismus und erfordert einen kritischen Geist, um mit Klarheit die eigenen Fehler und theoretischen Unzulänglichkeiten zu erkennen.
In dem Maße, wie „das sozialistische Bewusstsein der revolutionären Aktion der Arbeiterklasse vorausgeht und sie bedingt“ (INTERNATIONALISME Nr. 38, „Über das Wesen und die Funktion der politischen Partei des Proletariats“), ist die Entwicklung des Marxismus die zentrale Aufgabe aller revolutionären Organisationen. Der Kongress legte als prioritäre Orientierung für die IKS die Verstärkung der kollektiven Vertiefungsarbeit, der Reflexion fest, damit wir uns die marxistische Kultur der Theorie in unseren internen Debatten wieder aneignen.
Bereits 1903 bedauerte Rosa Luxemburg die mangelhafte Vertiefung der marxistischen Theorie: „Allein, von einem mehr oder weniger ausgearbeiteten Lehrgebäude kann bei Marx nur auf ökonomischem Gebiete die Rede sein. Dagegen, was das Wertvollste seiner Lehre betrifft: die materialistisch-dialektische Geschichtsauffassung, so stellt sie nur eine Forschungsmethode dar, ein paar leitende geniale Gedanken, die den Ausblick in eine ganz neue Welt gestatten (…) Und doch – auch auf diesem Gebiete liegt, ausgenommen einige wenige Leistungen, das Erbe Marxens brach, unbenutzt liegt die herrliche Waffe, und die Theorie selbst des geschichtlichen Materialismus ist heute genauso unausgearbeitet und schematisch, wie sie aus der Hand ihrer Schöpfer gekommen ist. (…) Es ist nichts als eine Illusion, zu denken, die aufstrebende Arbeiterklasse könne durch den Inhalt ihres Klassenkampfes aus freien Stücken auf theoretischem Gebiete ins unermeßliche schöpferisch wirken.“ (Stillstand und Fortschritt im Marxismus, 1903)
Die IKS ist heute in einer Übergangsphase. Dank der kritischen Bilanz, die sie begonnen hat, ihrer Fähigkeit, die eigenen Schwächen zu untersuchen und die Fehler zu erkennen, ist sie dabei, ihre bisherige Sichtweise über die militante Aktivität, über die Beziehungen zwischen den Genossen und das Verhältnis zwischen den Genossen und der Organisation mittels der Richtschnur der moralischen und intellektuellen Dimension im Kampf der Arbeiterklasse einer radikalen Kritik zu unterziehen. Wir müssen im Grunde eine „kulturelle Revolution“ durchmachen, um fähig zu werden zu „lernen“ und um unsere Verantwortung wahrnehmen zu können. Dies ist ein langer und schwieriger Prozess, aber lebenswichtig für die Zukunft.
Während ihrer gesamten Existenz musste die IKS permanente Kämpfe zur Verteidigung ihrer Prinzipien, gegen den ideologischen Druck der bürgerlichen Gesellschaft, gegen anti-proletarisches Verhalten und gegen Manöver von gewissenlosen Abenteurern führen. Die Verteidigung der Organisation ist eine politische Verantwortung und eine moralische Pflicht. Die revolutionäre Organisation gehört nicht ihren Militanten, sondern dem Proletariat insgesamt. Sie ist Ausdruck seines historischen Kampfes, Waffe seines Kampfes zur Entwicklung des eigenen Bewusstseins im Hinblick auf die revolutionäre Umwandlung der Gesellschaft.
Der Kongress legte den Finger auf die Tatsache, dass die IKS ein „Fremdkörper“ in der Gesellschaft ist, in Widerspruch und Feindschaft zum Kapitalismus. Genau aus diesem Grunde interessiert sich die herrschende Klasse seit unserer Gründung für unsere Aktivitäten. Dies ist keine Paranoia und keine „Verschwörungstheorie“. Die Revolutionäre dürfen nicht die Naivität der Ignoranten gegenüber der Geschichte der Arbeiterbewegung haben und noch weniger dem demokratischen Gesülze der Bourgeoisie (mit ihrer „Meinungsfreiheit“) auf den Leim gehen. Wenn die IKS heute nicht der direkten Repression der kapitalistischen Staates unterworfen ist, dann deshalb, weil unsere Ideen nur von einer sehr kleinen Minderheit der Klasse vertreten werden und für die herrschende Klasse keine unmittelbare Gefahr darstellen. Wie BILAN und die GCF schwimmen wir „gegen den Strom“. Doch auch wenn die IKS heute keinen direkten oder unmittelbaren Einfluss innerhalb der Arbeiterklasse hat, so streuen wir mit der Präsenz unserer Ideen die Saat für die Zukunft. Aus diesem Grunde ist die herrschende Klasse am Verschwinden der IKS interessiert, welche die einzige international zentralisierte Organisation der Kommunistischen Linken ist und Sektionen in verschiedenen Ländern und Kontinenten hat.
Genau dies zieht auch den Hass deklassierter Elemente[18] auf sich, welche immer auf der Suche nach „Anzeichen“ unseres Verschwindens sind. Die herrschende Klasse kann nur frohlocken, wenn ein ganzes Schwadron von Individuen, die behaupten mit der Kommunistischen Linken etwas zu tun zu haben, rund um die IKS agieren (auf Blogs, Foren, Internetseiten, Facebook und anderen sozialen Medien), um Klatsch und Lügen gegen die IKS zu verbreiten und stets aufs Neue widerliche Attacken mit übelsten polizeiähnlichen Methoden gegen einzelne unserer Genossen zu führen.
Der Kongress hat hervorgehoben, dass die Zunahme der Angriffe dieses parasitären Milieus[19] gegen die IKS, welches die militante Arbeit der Gruppen der Kommunistischen Linken entstellen und austilgen will, Ausdruck der verfaulenden bürgerlichen Gesellschaft ist.
Der Kongress hat versucht, die ganze Dimension, welche der Parasitismus seit Beginn der Zerfallsphase des Kapitalismus erreicht hat, zu erfassen. Heute ist das Ziel des parasitären Milieus – bewusst oder nicht –, Unruhe zu stiften, vor allem aber die Kräfte, die sich potenziell rund um die historischen Organisationen der Kommunistischen Linken politisieren, zu lähmen. Es versucht, einen „Sperrgürtel“, einen „cordon sanitaire“ rund um unsere Organisation zu errichten (v.a. mit der Behauptung, das Gespenst des Stalinismus gehe in der IKS um), und will so junge Leute, die auf der politischen Suche sind, von der IKS abschrecken. Diese Sabotagearbeit ergänzt die antikommunistischen Kampagnen, welche die herrschende Klasse seit dem Zusammenbruch des Ostblocks entfesselt hat. Der Parasitismus ist im dekadenten Kapitalismus der engste Verbündete der herrschenden Klasse gegen die revolutionäre Perspektive der Arbeiterklasse.
Weil die Arbeiterklasse enorme Schwierigkeiten hat, ihre Identität als revolutionäre Klasse wiederzufinden und an die eigene Vergangenheit anzuknüpfen, spielen die Lügen, die Angriffe und die üble Mentalität der Leute, die behaupten, etwas mit der Kommunistischen Linken zu tun zu haben, und die IKS verunglimpfen, nichts anderes als das Spiel der herrschenden Klasse, um deren Interessen zu verteidigen. Wenn wir von Verteidigung der Organisation sprechen, so verteidigen wir keineswegs „unsere Kapelle“. Der IKS geht es um die Verteidigung der marxistischen Prinzipien, der revolutionären Klasse und der Kommunistischen Linken, welche Gefahr laufen, durch die Ideologie des „no future“, welche der Parasitismus in sich trägt, verschlungen zu werden.
Die Verstärkung der öffentlichen und unnachgiebigen Verteidigung der Organisation ist eine Orientierung des Kongresses. Die IKS ist sich voll bewusst, dass diese Orientierung im Moment nicht verstanden wird, zuweilen als Mangel an „fair play“ kritisiert wird und deshalb zu einer stärkeren Isolierung der Organisation führen kann. Doch noch schlimmer wäre es, den zerstörerischen Parasitismus gewähren zu lassen, ohne darauf zu reagieren. Der Kongress hob hervor, dass die IKS auch auf dieser Ebene „gegen den Strom schwimmen“ muss, so wie sie den Mut besitzt, eine unerbittliche Kritik ihrer Fehler und Schwächen auf diesem Kongress zu vollziehen und diese auch zu publizieren.
„Selbstkritik, rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik ist Lebensluft und Lebenslicht der proletarischen Bewegung. (…) Aber wir sind nicht verloren, und wir werden siegen, wenn wir zu lernen nicht verlernt haben. Und sollte die heutige Führerin des Proletariats, die Sozialdemokratie, nicht zu lernen verstehen, dann wird sie untergehen, „um den Menschen Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind.“ (Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie („Junius-Broschüre“, 1916)
IKS, Frühjahr 2015
[1] Siehe dazu unser Buch „Die Italienische Kommunistische Linke, Ein Beitrag zur Geschichte der revolutionären Bewegung 1926-45“
[2] BILAN (Bilanz auf Französisch) war der Name der wichtigsten theoretischen Zeitschrift der Italienischen Kommunistischen Linken (im französischen Exil).
[3] Siehe dazu den Artikel „Außerordentliche internationale Konferenz der IKS: Die Nachrichten über unser Ableben sind stark übertrieben“, Internationale Revue Nr. 52
[4] Siehe dazu insbesondere unseren Artikel „Gründe, Widersprüche und Grenzen des Wachstums in Asien“ (https://de.internationalism.org/grenzen_des_wachstums_asien [2]).
[5] Diese Analyse ist nun Gegenstand einer Diskussion und Vertiefung in der IKS.
[6] Siehe dazu: „Triumpf des Jeder gegen Jeden und die Krise der US-Führungsrolle“, Internationale Revue Nr. 18
[7] MC (Marc Chirik) war ein Mitglied der Kommunistischen Linken, er kam 1907 in Kischniew (Bessarabien) zur Welt und starb 1990 in Paris. Sein Vater war Rabbiner und sein älterer Bruder Sekretär der bolschewistischen Partei der Stadt. An seiner Seite beteiligte sich Marc an der Revolutionen im Februar und im Oktober 1917. 1919 emigrierte die ganze Familie, auf der Flucht vor antijüdischen Pogromen der rumänischen weißen Armeen nach Palästina, wo Marc als kaum Dreizehnjähriger Mitglied der Kommunistischen Partei Palästinas wurde, die sein Bruder und seine ebenfalls älteren Schwestern gegründet hatten. Sehr schnell regte sich sein Widerspruch gegen die Position der Kommunistischen Internationale zur Unterstützung der nationalen Befreiungskämpfe, was ihm einen ersten Ausschluss aus der Partei 1923 einbrachte. Als 1924 ein Teil der Geschwister nach Russland zurückkehrte, gingen Marc und einer seiner Brüder nach Frankreich. Marc trat dem PCF bei, in dem er sehr schnell den Kampf gegen seine Degenerierung aufnahm und von dem er im Februar 1928 ausgeschlossen wurde. Er wurde dann für eine Zeit lang Mitglied der internationalen Linksopposition um Trotzki, wo er den Kampf gegen ihr opportunistischen Abgleiten führte und sich im November 1933 zusammen mit Gaston Davoust (Chazé) an der Gründung der Union Communiste beteiligte, die die Internationale herausgab. Zur Zeit des Krieges in Spanien, nahm diese Gruppe eine zwiespältige Position gegenüber der Frage des Antifaschismus ein. Nachdem MC einen Kampf gegen diese Position geführt hatte, schloss er sich Anfang 1938 der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken an, mit der er in Kontakt gestanden hatte und die eine vollkommen proletarische und internationalistische Position in dieser Frage verteidigte. Kurze Zeit später nahm er einen neuen Kampf auf, diesmal gegen die Analysen Vercesis, der eine maßgebend aktive Rolle in der Gruppe spielte und davon ausging, dass die verschiedenen militärischen Konflikte der damaligen Zeit nicht eine Vorbereitung auf einen neuen Weltkrieg waren, sondern darauf abzielten, das Proletariat zu schlagen, um es davon abzuhalten, sich in eine neue Revolution zu stürzen. Aus diesem Grund führte der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 zu einer Auflösung in der Kommunistischen Linken. Vercesi stellte eine Theorie des politischen Rückzugs während der Phase des Kriegs auf, während Marc in Südfrankreich die Mitglieder der Fraktion sammelte, die sich weigerten, Vercesi in den Rückzug zu folgen. Unter den schlimmsten Bedingungen setzten Marc und ein kleiner Kern von Militanten die Arbeit, die die Italienische Fraktion seit 1928 geleistet hatte, fort, doch als sie 1945 von der Gründung des Partito comunista internazionalista in Italien vernahmen, der sich auf die Italienische Kommunistische Linke berief, beschlossen sie die Auflösung der Fraktion und den individuellen Beitritt zur neuen Partei. Marc war mit diesem Beschluss nicht einverstanden, der jeder Orientierung zuwider lief, welche die Italienische Fraktion bis dahin ausgezeichnet hatte, und schloss sich der Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken an (deren Positionen er schon beeinflusst hatte), die kurz darauf zur Kommunistischen Linken Frankreichs wurde (Gauche communiste de France – GCF).
Diese Gruppe gab in der Folge 46 Nummern der Zeitschrift Internationalisme heraus und setzte damit die theoretische Reflexion der vorherigen Fraktion fort, insbesondere indem sie sich von den Beiträgen der deutsch-holländischen Kommunistischen Linken beeinflussen ließ. 1952 schätzte die GCF die Lage so ein, dass die Menschheit auf einen neuen Weltkrieg zusteuerte, in dem Europa erneut das Hauptschlachtfeld würde, was zur Vernichtung der ohnehin verschwindend kleinen verbleibenden revolutionären Kräfte hätte führen können, so dass sie sich dazu entschloss, dass verschiedene ihrer Mitglieder sich auf andere Kontinente verteilen sollten – und Marc zog nach Venezuela. Dies war einer der gewichtigsten Fehler, den die GCF und MC beging und der zur Folge hatte, dass die Organisation formell verschwand. Doch ab 1964 sammelte Marc eine gewisse Anzahl sehr junger Leute um sich, mit denen er die Gruppe Internacionalismo gründete. Im Mai 1968, als Marc vom Ausbruch des massenhaften Streiks vernahm, begab er sich zurück in dieses Land, um mit seinen alten Genossen wieder in Kontakt zu treten, und er spielte in der Folge (zusammen mit einem Gefährten, der Mitglied von Internacionalismo in Venezuela gewesen war) eine Schlüsselrolle bei der Gründung der Gruppe Révolution Internationale, die wiederum die internationale Umgruppierung vorantrieb, aus der im Januar 1975 die Internationale Kommunistische Strömung hervorging. Bis zu seinem letzten Atemzug im Dezember 1990 spielte Marc Chirik im Leben der IKS eine wesentliche Rolle, insbesondere bei der Weitervermittlung der organisatorischen Errungenschaften der vergangenen Erfahrung der Arbeiterbewegung und ihrer theoretischen Fortschritte. Für weitere Informationen zum Leben von MC siehe unsere Artikel in der International Review (engl./franz./span. Ausgabe) Nr. 65 und 66 (https://en.internationalism.org/ir/065/marc-01 [3] und https://en.internationalism.org/ir/066/marc-02 [4])
[8] Vgl. unseren Artikel über diese außerordentliche Konferenz in Internationale Revue Nr. 52.
[9] gl. unsere in der Internationalen Revue veröffentlichten Dokumente: „Historische Bedingungen der Generalisierung des Klassenkampfes“ in Revue Nr. 7; „Das Proletariat Westeuropas im Zentrum der Generalisierung der Klassenkämpfe“ in der Broschüre Nation oder Klasse; „Debatte: zur Kritik der Theorie des ‚schwächsten Glieds‘“ in International Review Nr. 37 (engl./franz./span. Ausgabe).
[10] Vgl. in der Internationalen Revue Nr. 13 „Der Zerfall: letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus“ (https://de.internationalism.org/Zerfall/13 [5]).
[11] Vgl. in der Internationalen Revue Nr. 13 „Der Zerfall: letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus“ (https://de.internationalism.org/Zerfall/13 [5]).
[12] Dieser Begriff der „Mini-Partei“ enthält die Idee, dass eine kleine revolutionäre Organisation selbst in Zeiten, in denen die Arbeiterklasse keine bedeutenden Kämpfe führe, einen grundsätzlich gleichartigen Einfluss (wenn auch in kleinerem Maßstab) ausüben könne wie eine Partei im vollen Wortsinn.
[13] Das bedeutet keineswegs, dass diese Vertiefung in revolutionären Zeiten oder anlässlich wichtiger Bewegungen der Arbeiterklasse nebensächlich würde, wenn die Organisation einen entscheidenden Einfluss auf den Gang der Kämpfe ausüben kann. So hat beispielsweise Lenin sein wichtigstes theoretisches Werk Staat und Revolution während der revolutionären Ereignisse von 1917 geschrieben. Oder Marx veröffentliche Das Kapital 1867, während er ab 1863 voll bei der IAA engagiert war.
[14] Dieser Begriff der „Mini-Partei“ enthält die Idee, dass eine kleine revolutionäre Organisation selbst in Zeiten, in denen die Arbeiterklasse keine bedeutenden Kämpfe führe, einen grundsätzlich gleichartigen Einfluss (wenn auch in kleinerem Maßstab) ausüben könne wie eine Partei im vollen Wortsinn.
[15] Vgl. zu dieser Frage insbesondere unseren Text „Dokumente aus dem Organisationsleben: Die Frage der Funktionsweise in der IKS“ in Internationale Revue Nr. 30, besonders Punkt 3.1.e, „Die Beziehungen zwischen den Militanten“ (https://de.internationalism.org/doku [6]).
[16] Diese hinterhältigen Kampagnen gegen Rosa Luxemburg leisteten ihren Beitrag zur Vorbereitung ihrer Ermordung auf Geheiß der von der SPD angeführten Regierung während der blutigen Woche in Berlin im Januar 1919 und allgemeiner zum Pogrom gegen die Spartakisten, zu dem dieselbe Regierung aufrief.
[17] Siehe dazu den Orientierungstext 1993: „Die Frage der Funktionsweise der Organisation in der IKS“, Internationale Revue, Nr. 30
[18] Vgl. unseren Text „Aufbau der revolutionären Organisation – Thesen über den Parasitismus“ in Internationale Revue Nr. 22, insbesondere These 20 (https://de.internationalism.org/ir/22_parasitismus [7]).
[19] Siehe: „Thesen über den politischen Parasitismus“, Internationale Revue Nr. 22, letzte Fußnote
Seit ihrer Gründung hat die IKS stets versucht, den Klassenkampf in seinem historischen Kontext zu analysieren. Unsere Organisation hatte erkannt, dass sie ihre eigene Existenz nicht allein den Bemühungen vergangener Revolutionäre und jener Militanten verdankten, die als eine Brücke von einer Generation der Revolutionäre zur nächsten handelten, sondern auch einer Änderung im Geschichtsverlauf, die vom weltweiten Wiedererwachen des Proletariats nach 1968 eingeläutet worden war und die die 40-jährige Konterrevolution, die seit den letzten Zuckungen der großen revolutionären Welle 1917–27 geherrscht hatte, beendet hatte. Doch heute, 40 Jahre nach ihrer Gründung, wird die IKS mit der Aufgabe konfrontiert, das ganze Werk dieser beträchtlichen Arbeit neu zu untersuchen, die sie in Hinblick auf dieses historischen Wiedererwachen der Arbeiterklasse und die immensen Schwierigkeiten verrichtet hat, auf die Letztere auf dem Weg zu ihrer Emanzipation gestoßen ist.
Dieser Bericht kann lediglich den Anfang solch einer Nachprüfung machen. Es ist nicht möglich, auf jedes Detail der Kämpfe und der vielfältigen Analysen einzugehen, die über sie angefertigt wurden, ob von etablierten Historikern oder von anderen Elementen in der proletarischen Bewegung. Stattdessen werden wir uns darauf beschränken, was an sich schon eine beängstigende Aufgabe ist: ein Blick zurück, wie die IKS die Entwicklung des Klassenkampfes in ihren eigenen Publikationen analysiert hat, insbesondere in ihrem theoretischen Organ, der Internationalen Revue, die zum überwiegenden Teil die Synthese all dieser Diskussionen und Debatten enthält, welche unsere Organisation in ihrer gesamten Existenz angeregt hatte.
Bereits vor der IKS, vor dem Mai 1968 häuften sich die Anzeichen einer Krise in der kapitalistischen Gesellschaft: auf der ökonomischen Ebene die Probleme der britischen und US-Währung; auf der sozio-politischen Ebene die Proteste in den USA gegen den Vietnamkrieg und die Rassentrennung; im Klassenkampf die Rebellion chinesischer ArbeiterInnen gegen die so genannte Kulturrevolution, wilde Streiks der US-Automobilarbeiter, etc. (siehe zum Beispiel den Artikel von Accion Proletaria, der im Grunde von einer Streikwelle seit 1965 spricht). Dies war der Kontext, in dem Marc Chiric (MC)[1] und seine jungen GenossInnen in Venezuela ihre (zumindest von uns) oft zitierte Prognose machten: „Weder sind wir Propheten noch können wir behaupten, vorherzusagen, wann und wie die Ereignisse in der Zukunft vonstattengehen werden. Doch über eine Sache sind wir uns bewusst und sicher: Der Prozess, in dem der Kapitalismus heute steckt, kann nicht aufgehalten werden; er führt direkt in die Krise. Und wir sind uns gleichermaßen sicher, dass der umgekehrte Prozess der sich entwickelnden Kampflust, die wir heute erleben, die Arbeiterklasse in einen blutigen und direkten Kampf zur Zerstörung des bürgerlichen Staates führen wird.“(Internationalismo Nr. 8: „1968: eine neue Umwälzung des Kapitalismus beginnt“)
Hier sind alle Stärken der marxistischen Methode sichtbar, die von der Kommunistischen Linken geerbt wurden: die Fähigkeit, die Hauptänderungen im Werdegang der kapitalistischen Gesellschaft zu erkennen, lange bevor sie so offenkundig werden, dass sie nicht mehr geleugnet werden können. Und so war MC, dessen militantes Leben überwiegend im Schatten der Konterrevolution gestanden hatte, fähig, einen Wechsel des historischen Kurses zu vermelden: Die Konterrevolution war endlich vorüber, der Nachkriegsboom neigte sich dem Ende zu, und am Horizont zeigte sich eine neue Krise des kapitalistischen Weltsystems sowie ein Wiederaufleben des proletarischen Klassenkampfes.
Doch es gibt eine Schlüsselschwäche in der Formulierung, die den Eindruck erwecken könnte, dass wir bereits in eine revolutionäre Periode eingetreten sind – mit anderen Worten: in eine Periode, in der die Weltrevolution unmittelbar auf der Tagesordnung steht, wie dies 1917 der Fall gewesen war. Der Artikel behauptete sicherlich nicht, dass die Revolution vor der Tür steht, und MC hatte sich die Tugend der Geduld unter den aufreibendsten Umständen angeeignet. Folglich beging er auch nicht den Fehler der Situationisten, die tatsächlich davon ausgingen, dass Mai 68 der Beginn der Revolution sei. Dennoch sollte diese Zweideutigkeit für die neue Generation von Revolutionären, aus der sich die IKS zusammensetzte, Konsequenzen haben. In vielen Phasen ihrer weiteren Geschichte wurde die IKS, auch nachdem sie die Unzulänglichkeiten der Formulierung „Kurs in Richtung Revolution“ erkannt und sie auf dem 5. Kongress der IKS durch den Terminus „Kurs in Richtung Klassenkonfrontationen“ ersetzt hatte, von der Tendenz heimgesucht, sowohl die Fähigkeiten des Kapitalismus, sich trotz seiner Dekadenz und seiner offenen Krise aufrechtzuhalten, als auch die Schwierigkeiten der Arbeiterklasse zu unterschätzen, das Gewicht der vorherrschenden Ideologie abzuwerfen und sich selbst zu einer sozialen Klasse mit eigener autonomer Perspektive zu formen.
Die IKS wurde 1975 auf der Grundlage des Verständnisses gebildet, dass eine neue Ära der Arbeiterkämpfe eröffnet worden ist, die auch eine neue Generation von Revolutionären erzeugt hatte, deren erste Aufgabe es war, sich die politischen und organisatorischen Errungenschaften der Kommunistischen Linken wiederanzueignen und für eine Umgruppierung auf Weltebene einzusetzen. Die IKS war überzeugt, dass sie eine einmalige Rolle in diesem Prozess zu spielen hatte, und definierte sich folglich als „Angelpunkt“ der künftigen kommunistischen Weltpartei („Die Frage der Organisation unserer Internationalen Kommunistischen Strömung“, Internationale Revue, Nr.1 [engl., franz., span. Ausgabe]).
Jedoch fand die Welle von Kämpfen, die von der Massenbewegung in Frankreich im Mai–Juni `68 eingeleitet worden war und die sich allgemeinhin von 1968 bis 1974 erstreckt hatte, mehr oder weniger statt, ehe die IKS gebildet worden war, wenngleich es auch 1976/77 bedeutende Kämpfe in Spanien, Portugal, Holland, etc. gegeben hatte. Da es jedoch keine mechanische Verknüpfung zwischen dem unmittelbaren Kampf und der Entwicklung der revolutionären Organisation gibt, setzte sich das verhältnismäßig schnelle Wachstum der IKS in ihren Anfangstagen trotz des Abflauens der Kämpfe fort. Dennoch war diese Ausweitung zutiefst beeinflusst von der Atmosphäre, die Mai `68 herrschte, als die Revolution vielen Menschen nahezu in Reichweite schien. Sich einer Organisation anzuschließen, die offen für die Weltrevolution einstand, schien damals nicht so ungewöhnlich zu sein.
Dieses Gefühl, dass wir uns bereits in den letzten Tagen des Kapitalismus befinden, dass die Arbeiterklasse nahezu exponentiell an Stärke dazugewinnt, wurde von einem Merkmal der Klassenbewegung damals verstärkt: Es gab nur kurze Unterbrechungen in den von uns identifizierten „Wellen“ des internationalen Klassenkampfes.
Zu den Faktoren für das Abebben der ersten Welle, die die IKS analysierte, zählte die Gegenoffensive der Bourgeoisie, die 1968 überrumpelt worden war, jedoch bald eine politische Strategie entwickelte, die das Ziel verfolgte, die Arbeiterklasse aus den Tritt zu bringen und mit einer falschen Perspektive abzuspeisen. Dies wurde zusammengefasst in der Strategie der „Linken an der Macht“, die ein schnelles Ende der ökonomischen Kalamitäten versprach, welche damals noch vergleichsweise mild ausfielen.
Das Ende der ersten Welle fiel im Grunde mehr oder weniger mit der Entwicklung einer immer offeneren Wirtschaftskrise nach 1973 zusammen, doch schuf diese Entwicklung zugleich die Bedingungen für neue Ausbrüche der Klassenbewegung. Die IKS sah die „zweite Welle“ 1978 beginnen mit den Kämpfen der Lastwagenfahrer, dem „Winter of Discontent“ und dem Stahlarbeiterstreik in Großbritannien, dem Ölarbeiterstreik im Iran, der durch die „Schoras“ (Basisorgane der Streikenden) organisiert wurde, der großflächigen Streikbewegung in Brasilien, dem Rotterdamer Hafenarbeiterstreik mit seinem unabhängigen Streikkomitee, der militanten Stahlarbeiterbewegung in Longwy-Denain in Frankreich und vor allem mit der riesigen Streikbewegung in Polen 1980.
Die Bewegung, die auf der Danziger Schiffswerft begann, war ein klarer Ausdruck für das Phänomen des Massenstreiks und versetzte uns in die Lage, unser Verständnis dieses Phänomens zu vertiefen, indem wir zur Originalanalyse Rosa Luxemburgs zurückkehrten, die den in der Revolution von 1905 kulminierenden Massenstreiks in Russland folgte (siehe zum Beispiel den Artikel „Bemerkungen zum Massenstreik“ in Internationale Revue, Nr. 27 [engl., franz., span. Ausgabe]). Wir betrachteten die Wiederkehr des Massenstreiks als den Höhepunkt der Kämpfe seit 1968, der viele Fragen beantwortete, die in früheren Kämpfen gestellt wurden, besonders die Fragen der Selbstorganisation und der Ausweitung des Kampfes. Wir argumentierten also – entgegen der Sichtweise von einer Klassenbewegung, die sich stets im Kreis drehen muss, bis die „Partei“ fähig ist, sie zum revolutionären Umsturz zu leiten –, dass die Arbeiterkämpfe einen Werdegang haben, dass es eine Tendenz gab, fortzuschreiten, Lehren zu ziehen, Fragen zu beantworten, die in früheren Kämpfen gestellt worden waren. Andererseits konnten wir sehen, dass das politische Bewusstsein der polnischen ArbeiterInnen dem realen Niveau der Kämpfe hinterherhinkte. Sie formulierten einige allgemeine Forderungen, doch die Herrschaft des Gewerkschaftsgedankens, der Demokratie und Religion war sehr stark und neigte dazu, jeglichen Versuch zu entstellen, auf der dezidiert politischen Ebene voranzukommen. Wir konstatierten auch die Fähigkeit der Weltbourgeoisie, sich gegen die Massenstreiks zu vereinen, besonders durch die Kreation von Solidarnosc.
Doch unsere Anstrengungen, die Manöver der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse zu analysieren, führten zu einer stark empiristischen Tendenz des „gesunden Menschenverstandes“, die am klarsten vom „Chenier“-Clan ausgedrückt wurde (siehe Fußnote 3). Als wir eine neue politische Strategie der Bourgeoisie Ende der 70er – die Aufstellung der Rechten an der Macht, der Linken in der Opposition in den wichtigsten kapitalistischen Ländern – wahrnahmen, sahen wir uns veranlasst, tiefer in die Frage des Machiavellismus der Bourgeoisie einzusteigen. Der Artikel in Internationale Revue, Nr. 31 [engl., franz., span. Ausgabe] über das Bewusstsein und die Organisation der Bourgeoisie untersuchte, wie die Evolution des Staatskapitalismus diese Klasse dazu befähigte, aktive Strategien gegen die Arbeiterklasse zu entwickeln. Die Mehrheit der revolutionären Bewegung hatte weitgehend vergessen, dass die marxistische Analyse des Klassenkampfes eine Analyse beider Hauptklassen in der Gesellschaft und nicht nur der Fortschritte und Rückzüge der Arbeiterklasse ist. Letztere betreibt kein Schattenboxen, sondern tritt gegen die raffinierteste herrschenden Klasse in der Geschichte an, die ungeachtet ihres falschen Bewusstseins die Fähigkeit bewiesen hat, aus historischen Ereignissen zu lernen, vor allem wenn es sich dabei um ihren Todfeind handelt, und die zu endlosen Manipulationen und Täuschungsmanövern imstande ist. Die Strategien der gegnerischen Klasse zu untersuchen war eine Selbstverständlichkeit für Marx und Engels, doch unsere Versuche, diese Tradition fortzusetzen, wurden von vielen Elementen, die sich von der Erscheinung demokratischer Freiheiten bezirzen ließen, oftmals als „Verschwörungstheorie“ abqualifiziert.
Die Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen bringt uns auch zur Frage des historischen Kurses. Als Antwort auf Konfusionen auf den internationalen Konferenzen und in unseren eigenen Reihen (z.B. die RC/GCI-Tendenz[2]) über einen angeblichen Kurs in Richtung Krieg veröffentlichten wir in derselben Internationalen Revue, in der auch der erste Haupttext über die Linke in der Opposition publiziert wurde (Internationale Revue, Nr. 18 [engl., franz., span. Ausgabe, drittes Quartal 1979, die die Texte des dritten IKS-Kongresses enthielt), einen sehr wichtigen Beitrag über die Frage des historischen Kurses (auf Deutsch in: Internationale Revue, Nr. 5), der ein Ausdruck unserer Fähigkeit war, das Vermächtnis der Kommunistischen Linken fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Dieser Text nahm sich vor, einige der geläufigsten Missverständnisse im revolutionären Milieu zu widerlegen, insbesondere die empiristische Idee, dass es den Revolutionären nicht möglich sei, allgemeine Vorhersagen über den Kurs des Klassenkampfes zu machen. Entgegen dieser Vorstellung bekräftigte dieser Text nochmals die Tatsache, dass seine Fähigkeit, eine Perspektive für die Zukunft – und nicht nur die allgemeine Alternative zwischen dem Sozialismus und der Barbarei – zu definieren, eines der prägenden Merkmale des Marxismus ist und immer gewesen war. Noch spezifischer beharrt der Text darauf, dass Marxisten ihre Arbeit stets auf ihre Fähigkeit gestützt haben, das besondere Kräfteverhältnis in einem gegebenen Zeitraum zu erfassen, wie wir auch im ersten Teil dieses Berichts sahen. Umgekehrt zeigt der Text auch, dass die Unfähigkeit, die Ausrichtung des historischen Kurses zu erfassen, frühere Revolutionäre zu ernsten Irrtümern verleitet hatte (zum Beispiel Trotzkis desaströse Abenteuer in den 1930ern).
Eine Erweiterung dieser agnostischen Sicht auf den historischen Kurs war das namentlich vom IBRP (Internationale Büro für die Revolutionäre Partei, das später zur Internationalen Kommunistischen Tendenz werden sollte, zu der wir weiter unten noch zurückkommen werden) vertretene Konzept eines „parallelen“ Kurses zum Krieg und zur Revolution…
Obgleich es vier Jahre dauerte, ehe wir formal unsere Formel „Kurs zur Revolution“ änderten, vor allem weil sie eine Art von unvermeidlichem und sogar linearem Fortschritt hin zu revolutionären Konfrontationen implizierte, verstanden wir bereits, dass der historische Kurs weder statisch noch vorherbestimmt ist, sondern den Veränderungen in der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen unterworfen ist. Daher unsere „Losung“ Anfang der 80er in Reaktion auf die spürbare Verschärfung interimperialistischer Spannungen (besonders die russische Invasion in Afghanistan und die Antwort, die sie im Westen provozierte): die Jahre der Wahrheit. Wahrheit nicht nur in der brutalen Sprache der Bourgeoisie mit ihren neuen rechten Teams, sondern auch Wahrheit im Sinne einer Entscheidung über die Zukunft der Menschheit. Es gab sicherlich Irrtümer in diesem Text: insbesondere die Idee des „totalen Scheiterns“ der Wirtschaft und einer bereits existierenden proletarischen „Offensive“ zu einer Zeit, als die Arbeiterkämpfe noch zwangsläufig auf einem ausgesprochen defensiven Terrain stattfanden. Doch der Text offenbarte auch eine wahre prophetische Kraft: nicht nur weil die polnischen ArbeiterInnen uns schnell einen klaren Beweis lieferten, dass der Weg zum Krieg nicht offen war und dass das Proletariat in der Lage war, eine Alternative zu schaffen, sondern auch weil sich die Ereignisse in den 80ern als entscheidend erwiesen, wenngleich nicht in der Weise, die wir anfangs ins Auge gefasst hatten. Die Kämpfe in Polen waren ein Schlüsselmoment in einem Prozess, der zum Kollaps des Ostblocks und zum endgültigen Auftakt der Zerfallsphase führte, dem Ausdruck eines gesellschaftlichen Patts, in dem keine Klasse fähig ist, ihre historische Alternative durchzusetzen.
Wir sahen, wie die zweite Welle mit der Repression in Polen zu Ende ging; dies beschleunigte auch die Krise im revolutionären Milieu (die Auflösung der internationalen Konferenzen, die Spaltung in der IKS[3], der Kollaps der PCI: siehe Internationale Revue, Nr. 28 und 32 [engl., franz., span. Ausgabe]). Doch wir fuhren fort, unser theoretisches Verständnis zu vertiefen, insbesondere durch die Formulierung des Problems der internationalen Generalisierung als nächsten Schritt im Kampf und durch die Debatte über die Kritik der Theorie des schwächsten Gliedes (siehe Internationale Revue, Nr. 31 und 37 [engl., franz., span. Ausgabe]). Diese beiden miteinander verknüpften Themen waren Teil unserer Bemühungen, die Bedeutung der Niederlage in Polen zu verstehen. Durch diese Diskussionen erkannten wir, dass der Schlüssel zur Weiterentwicklung des weltweiten Klassenkampfes – die wir nicht nur in puncto Selbstorganisation und Ausweitung, sondern auch bezogen auf die internationale Generalisierung und die Politisierung ausgemacht haben – Westeuropa blieb. Die Texte über die Generalisierung und andere Polemiken bekräftigten erneut, dass die besten Bedingungen für die proletarische Revolution nicht vom Krieg geschaffen werden, wie die meisten Gruppen aus der Tradition der italienischen Linken weiterhin meinten, sondern von der offenen Wirtschaftskrise, und dass dies genau der Perspektive entsprach, die sich nach 1968 eröffnet hatte. Schließlich wurden im Anschluss an die Niederlage in Polen einige sehr weitsichtige Analysen der grundlegenden Rigidität der stalinistischen Regimes in Artikeln wie „Osteuropa: Die Wirtschaftskrise und die Waffen der Bourgeoisie gegen das Proletariat“ in Internationale Revue, Nr. 34 [engl., franz., span. Ausgabe] vorgestellt. Diese Analysen waren die Grundlage für unser Verständnis der Mechanismen des Zusammenbruchs des Ostblocks nach 1989.
Eine neue Welle von Kämpfen wurde von den Streiks des öffentlichen Dienstes in Belgien angekündigt und in den nächsten Jahren durch den Streik der britischen Bergarbeiter, die Kämpfe der Eisenbahn- und Krankenhausangestellten in Frankreich, der Eisenbahn- und Erziehungsangestellten in Italien, die massiven Kämpfe in Skandinavien, erneut in Belgien 1986, etc. bestätigt. Nahezu jede Ausgabe der Internationalen Revue in dieser Periode hatte ein Editorial über den Klassenkampf; zudem veröffentlichten wir etliche Kongressresolutionen über die Frage. Es gab den Versuch, diese Kämpfe in einem etwas allgemeineren Zusammenhang zu platzieren. In Internationale Revue, Nr. 39 und 41 [engl., franz., span. Ausgabe], brachten wir Artikel über die Methode heraus, die nötig ist, um den Klassenkampf zu analysieren, und antworteten damit auf den vorherrschenden Empirismus und den Mangel eines Leitfadens im Milieu, dessen Reaktionen von ernsthafter Unterschätzung bis hin zu plötzlichen und absurden Übertreibungen reichten. Besonders der Text in Internationale Revue, Nr. 41 [engl., franz., span. Ausgabe], bekräftigte erneut einige grundlegende Elemente in der Dynamik des Klassenkampfes – sein ungleicher, „wellenartiger“ Charakter, der der Tatsache geschuldet war, dass die Arbeiterklasse die erste revolutionäre Klasse ist, die eine ausgebeutete Klasse ist und nicht von Sieg zu Sieg eilen kann wie die Bourgeoisie, sondern durch einen Prozess schmerzvoller Niederlagen hindurch muss, die das Sprungbrett für zukünftige Fortschritte im Bewusstsein sein können. Diese zerklüftete Kontur des Klassenkampfes wird in der dekadenten Periode gar noch prononcierter, so dass wir, um die Bedeutung eines besonderen Ausbruchs des Klassenkampfes zu verstehen, ihn nicht bloß in seiner Isolation „fotografieren“ dürfen: Er muss in einem allgemeineren Zusammenhang platziert werden, der uns zurück zur Frage des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen, zur Frage des historischen Kurses führt.
Daneben war es die Entwicklung der Debatte über den Zentrismus gegenüber dem Rätismus, die sich zuerst auf der theoretischen Ebene manifestierte – das Verhältnis zwischen Bewusstsein und Kampf sowie die Frage der unterirdischen Reifung (siehe den Artikel darüber in Internationale Revue, Nr. 43 [engl., franz., span. Ausgabe]). Diese Debatten versetzten die IKS in die Lage, eine wichtige Kritik an der rätistischen Auffassung zu äußern, dass das Bewusstsein sich nur im offenen Kampf entwickelt, und eine Unterscheidung zwischen den Dimensionen des Umfangs und der Tiefe zu erarbeiten(„Bewusstsein der Klasse und Klassenbewusstsein“), eine Unterscheidung, die von der künftigen EFIKS umgehend als „leninistisch“ bezeichnet wurde. Die Polemik gegen die CWO über die Frage der unterirdischen Reifung merkte die Ähnlichkeiten zwischen der rätistischen Auffassung unserer Tendenz und jener der CWO an, die in diesem Punkt offen Kautskys Theorie des Klassenbewusstseins befürwortete (das als etwas verstanden wurde, das von außen, von bürgerlichen Intellektuellen ins Proletariat getragen wird). Der Artikel versuchte, weiterzugehen in der marxistischen Auffassung über das Verhältnis zwischen dem Unbewussten und dem Bewussten, während er die vulgäre „Alltags“-Vision der CWO kritisierte.
Es gibt ein weiteres Gebiet, auf dem der Kampf gegen den Rätismus nicht zum Abschluss gebracht wurde: Trotz der theoretischen Anerkennung, dass das Klassenbewusstsein sich in der Tat außerhalb von Perioden des offenen Kampfes weiterentwickeln kann, gab es jahrelang die Neigung, darauf zu hoffen, dass angesichts der Tatsache, dass wir nicht mehr in einer Zeit der Konterrevolution leben, die Wirtschaftskrise doch plötzliche Sprünge im Klassenkampf und im Klassenbewusstsein herbeiführen könnte. Dies schmuggelte die rätistische Konzeption einer automatischen Verknüpfung zwischen den Krisen und dem Klassenkampf durch die Hintertür in die Organisation zurück; eine Auffassung, die uns wiederholt heimsuchte, nicht zuletzt in der Zeit nach dem Crash von 2008.
Bei der Anwendung der Analyse, die wir in der Debatte über das schwache Glied entwickelt hatten, wurde in unseren wichtigsten Texten über den Klassenkampf in dieser Periode die Bedeutung einer neuen Entwicklung des Klassenkampfes in den wichtigsten Ländern Europas anerkannt. Die „Thesen über den Klassenkampf“ (1984), die in Internationale Revue, Nr. 37 [engl., franz., span. Ausgabe], veröffentlicht wurden, skizzierten die Merkmale dieser Welle:
„Die Charakteristiken der gegenwärtigen Welle, wie sie sich bereits manifestiert haben und die immer sichtbarer werden, sind folgende:
– eine Tendenz zu sehr breiten Bewegungen, die große Zahlen von ArbeiterInnen einbeziehen, ganze Bereiche oder mehrere Bereiche gleichzeitig in einem Land treffen und so die Grundlage für die geographische Ausweitung des Kampfes legen;
– eine Tendenz zum Ausbruch spontaner Bewegungen, die insbesondere zu Beginn eine gewisse Umgehung der Gewerkschaften an den Tag legen;
– eine wachsende Simultanität der Kämpfe auf internationaler Ebene, die die Grundlage für die weltweite Generalisierung der Kämpfe in der Zukunft legt;
– eine fortschreitende Entwicklung des Selbstvertrauens innerhalb des gesamten Proletariats, seines Bewusstseins der eigenen Stärke, seiner Fähigkeit, sich als Klasse gegen die Angriffe der Kapitalisten zur Wehr zu setzen;
– das langsame Tempo in der Entwicklung der Kämpfe in den zentralen Ländern und besonders in seiner Fähigkeit zur Selbstorganisation, ein Phänomen, das aus dem Einsatz eines ganzen Arsenals an Fallen und Mystifikationen durch die Bourgeoisie resultiert, was sich in den jüngsten Konfrontationen erneut gezeigt hat.“
Die wichtigsten „Fallen und Mystifikationen“ waren der Einsatz von Basisgewerkschaftern gegen ganz reale Tendenzen zur Arbeiterselbstorganisation, eine Taktik, die raffiniert genug war, um angebliche Anti-Gewerkschafts-Koordinationen zu gründen, die tatsächlich jedoch als letztes Bollwerk der Gewerkschaften fungierten. Dennoch enthielten die Thesen, obschon nicht blind gegenüber den Gefahren für den Klassenkampf, immer noch, wie der Text über die Jahre der Wahrheit, die Vorstellung einer Offensive des Proletariats und sagten voraus, dass die dritte Welle ein höheres Niveau erreichen würde als die vorherigen zwei, was implizierte, dass sie das notwendige Niveau der internationalen Generalisierung erreicht.
Die Tatsache, dass der Kurs in Richtung Klassenkonfrontationen geht, beinhaltet nicht, dass das Proletariat bereits in der Offensive ist; bis zum Vorabend der Revolution werden seine Kämpfe angesichts der unablässigen Angriffe der herrschenden Klasse zwangsläufig defensiv sein. Solche Irrtümer waren das Produkt eines jahrelangen Hangs zur Überschätzung des Niveaus des Klassenkampfes. Dies geschah häufig in Reaktion auf das Versagen des proletarischen Milieus, über seinen Tellerrand hinauszuschauen, ein Thema, das wir oft in unseren Polemiken und auch in der Resolution über die internationale Lage vom 6. Kongress der IKS 1985, veröffentlicht in Internationale Revue, Nr. 44 [engl., franz., span. Ausgabe], behandelt hatten, die einen langen Abschnitt über den Klassenkampf enthielt. Dieser Abschnitt ist eine exzellente Demonstration der historischen Methode der IKS bei der Analyse des Klassenkampfes, eine weitere Kritik an den Skeptizismus und Empirismus, die das Milieu dominierten. Er identifizierte des Weiteren den Verlust historischer Traditionen und den Riss zwischen der Klasse und ihrer politischen Organisationen als die Schlüsselschwächen des Proletariats. Doch im Rückblick hatte er ein zu großes Gewicht auf die Desillusionierung der Klasse über die Linken, besonders über die Gewerkschaften, und auf das Ansteigen der Arbeitslosigkeit als potenzieller Faktor der Radikalisierung des Klassenkampfes gelegt. Er ignorierte nicht die negativen Seiten dieser Phänomene, doch er konnte noch nicht ermessen, wie in der sich ankündigenden Zerfallsphase sowohl die passive Desillusionierung über die alten „Arbeiter“-Organisationen als auch die Ausbreitung der Arbeitslosigkeit, besonders unter den Jungen, zu einem mächtigen Element bei der Demoralisierung des Proletariats und der Untergrabung seiner Klassenidentität werden konnte. Es ist ebenfalls aufschlussreich, dass wir noch 1988 (siehe Internationale Revue, Nr. 54 [engl., franz., span. Ausgabe]) eine Polemik gegen die Unterschätzung des Klassenkampfes im proletarischen Lager veröffentlichten. Ihre Argumente waren im Allgemeinen korrekt, aber sie zeigte auch einen Mangel an Bewusstsein dafür, was bereits um die Ecke lugte – der Zusammenbruch der Blöcke und der längste Rückfluss des Klassenkampfes, den wir je erlebt hatten.
Doch gegen Ende der 80er Jahre wurde es wenigstens einer Minderheit klar, dass die Vorwärtsbewegung des Klassenkampfes, die wir in vielen Artikeln und Resolutionen zu dieser Zeit analysiert hatten, steckengeblieben war. Es gab eine Debatte darüber auf dem 8. Kongress der IKS (Internationale Revue, Nr. 59 [engl., franz., span. Ausgabe]), insbesondere bezüglich der Frage des Zerfalls und seiner negativen Auswirkungen auf den Klassenkampf. Ein beträchtlicher Teil der Organisation sah die „dritte Welle“ von Erfolg zu Erfolg eilen; die Folgen einiger Niederlagen wurden unterschätzt. Dies traf insbesondere auf den Streik der britischen Bergarbeiter zu, deren Niederlage die Welle zwar nicht stoppte, aber einen längerfristigen Effekt auf das Selbstvertrauen der Arbeiterklasse nicht nur in Großbritannien haben sollte und die Bemühungen der Bourgeoisie verstärkte, mit der Demontage der „alten“ Industrien fortzufahren. Der 8. Kongress war auch der Kongress, auf dem die Idee aufkam, dass bürgerliche Mystifikationen jetzt „nicht länger als drei Wochen wirkten“.
Die Diskussion über den Zentrismus gegenüber dem Rätismus hatte das Problem der Flucht des Proletariats aus der Politik aufgeworfen, doch waren wir nicht in der Lage, dies auf die Dynamik des Klassenkampfes anzuwenden – insbesondere sein Mangel an Politisierung, seine Schwierigkeiten in der Entwicklung einer Perspektive, auch wenn Kämpfe selbstorganisiert waren und eine Tendenz zur Ausweitung aufwiesen. Wir müssen sogar einräumen, dass die IKS den Einfluss des Ökonomismus und der Arbeitertümelei auf ihre eigenen Reihen nie hinlänglich kritisiert hatte, was uns zur Unterschätzung der Bedeutung jener Faktoren verleitete, die das Proletariat über die Grenzen des Arbeitsplatzes und über unmittelbare Forderungen hinaus führen.
Erst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde das volle Gewicht des Zerfalls erfasst; erst dann sahen wir korrekterweise eine Periode neuer Schwierigkeiten für das Proletariat kommen (siehe Internationale Revue, Nr. 60 [engl., franz., span. Ausgabe]). Diese Schwierigkeiten entstammten eben jener Unfähigkeit der Arbeiterklasse, ihre eigene Perspektive zu entwickeln; verschlimmert wurden sie auch von der enormen ideologischen Offensive der herrschenden Klasse rund um das Thema des „Todes des Kommunismus“ und des Endes des Klassenkampfes.
Das anschließende Abflauen des Klassenkampfes erwies sich angesichts des Gewichts des Zerfalls und der antikommunistischen Kampagnen der herrschenden Klasse als sehr tiefgreifend. Obwohl es Anfang der 90er Jahre und auch gegen Ende des Jahrzehnts einige zaghafte Ausdrücke von Kampfgeist gab, sollte dieser Rückfluss bis ins nächste Jahrhundert andauern, während der Zerfall für alle sichtbar voranschritt (am deutlichsten ausgedrückt durch die Angriffe gegen die Twin Towers und die anschließende Invasion Afghanistans und des Irak). Im Angesicht dieses fortschreitenden Zerfalls wurden wir genötigt, die ganze Frage des historischen Kurses in einem Bericht an den 14. Kongress erneut auf den Prüfstand zu stellen (siehe Internationale Revue, Nr. 29/30 [dt. Ausgabe]. Weitere beachtenswerte Texte über dieses Thema waren unter anderem „Warum das Proletariat den Kapitalismus noch nicht überwunden hat“ in Internationale Revue, Nr. 103 [engl., franz., span. Ausgabe] und die Resolution über die internationale Lage vom 15. Kongress, Internationale Revue, Nr. 31 [dt. Ausgabe]).
Der Bericht über den historischen Kurs 2001 konzentrierte sich, nachdem er die theoretischen Errungenschaften der vergangenen Revolutionäre und unseren eigenen Rahmen, wie er in dem Dokument vom 3. Kongress entwickelt wurde, bekräftigt hatte, auf die konkreten Änderungen, die durch den Eintritt des Kapitalismus in seine Zerfallsphase bewirkt wurden. Die Tendenz zum Weltkrieg wurde nicht nur durch die Unfähigkeit der Bourgeoisie, das Proletariat zu mobilisieren, blockiert, sondern auch durch die zentrifugale Dynamik des „Jeder für sich selbst“, was bedeutete, dass die Neubildung von imperialistischen Blöcken auf wachsende Schwierigkeiten stieß. Da jedoch der Zerfall das Risiko einer allmählichen Abwärtsspirale ins Chaos und in die irrationale Zerstörung enthält, birgt er immense Gefahren für die Arbeiterklasse. Der Text bekräftigte aufs Neue die Auffassung der ursprünglichen Thesen, wonach die Klasse durch den ganzen Prozess allmählich zermürbt werden könnte, was so weit gehen könnte, dass sie nicht mehr in der Lage ist, sich gegen die fortschreitende Flut der Barbarei zu stemmen. Der Text unterschied auch zaghaft zwischen den materiellen und den ideologischen Elementen, die in dem „Zermürbungs“-Prozess involviert sind: die ideologischen Elemente, die spontan aus dem Humus des kapitalistischen Ruins sprießen, und die bewussten Kampagnen, die von der herrschenden Klasse dirigiert werden, wie die endlose Propaganda über den Tod des Kommunismus. Gleichzeitig identifizierte der Text etwas konkreter materielle Elemente wie die Demontage der alten Industriezentren, die häufig Zentren des Kampfgeistes in den früheren Wellen des Klassenkampfes gewesen waren (Bergwerke, Stahl, Werften, Autofabriken, etc.). Doch auch wenn der Bericht nicht versuchte, die Schwierigkeiten zu verbergen, denen sich die Klasse gegenübersah, so fand er dennoch Indizien, die auf eine Wiedererlangung des Kampfgeistes durch die Klasse und auf die fortgesetzten Schwierigkeiten der herrschenden Klasse hindeuteten, die Arbeiterklasse für ihre Kriegskampagnen zu gewinnen, um daraus zu schließen, dass das Potenzial für eine Wiederbelebung des Klassenkampfes immer noch größtenteils intakt war. Dies sollte sich zwei Jahre später mit der Bewegung rund um die „Rentenreform“ in Österreich und Frankreich bestätigen.
Im „Bericht über den Klassenkampf“ in Internationale Revue, Nr. 33 [dt. Ausgabe], machten wir einen Wendepunkt aus, eine Wiederbelebung des Klassenkampfes, die sich in diesen Bewegungen rund um die Renten und in anderen Ausdrücken manifestierte. Dies wurde durch weitere Bewegungen 2006 und 2007 bestätigt, wie die Bewegungen gegen die CPE in Frankreich und die massiven Kämpfe im Textil- und in anderen Bereichen in Ägypten. Die Studentenbewegung in Frankreich war ein besonders beredtes Zeugnis für eine neue Generation von Proletariern, die sich einer ungewissen Zukunft gegenübersieht (siehe: https://de.internationalism.org/frank06 [10] und auch das Editorial von Internationale Revue, Nr. 37 [dt. Ausgabe]). Diese Tendenz wurde ferner von den Kämpfen der „Jugend“ in Griechenland 2008–09, der Studentenrevolte in Großbritannien 2010 und vor allem vom arabischen Frühling sowie den Bewegungen der Indignados und Occupy 2011–13 bestätigt, die Anlass zu einer Reihe von Artikeln in der Internationalen Revue gaben, insbesondere zum Artikel in Internationale Revue, Nr. 147 [engl., franz., span. Ausgabe]. Es gab eindeutige Errungenschaften in diesen Bewegungen – die Bejahung der Versammlungsform, eine direktere Beteiligung an politischen und moralischen Fragen, ein klares Gespür für den Internationalismus – Elemente, auf deren Bedeutung wir später zurückkommen werden. In unserem Bericht zur Plenarsitzung des Internationalen Büros im Oktober 2013 kritisierten wir die arbeitertümelnd und ökonomistisch begründete Zurückweisung dieser Bewegungen und die Versuchung, den Fokus des weltweiten Klassenkampfes auf die neuen Industriekonzentrationen im Fernen Osten zu lenken. Doch wir versteckten nicht das grundlegende Problem, das in diesen Revolten enthüllt wurde: die Schwierigkeit ihrer jungen Protagonisten, sich selbst als Bestandteil der Arbeiterklasse zu betrachten; das immense Gewicht der Ideologie der Bürgergesellschaft und somit des Demokratismus. Die Fragilität dieser Bewegungen zeigte sich sehr deutlich im Nahen Osten, wo wir offenkundige Rückschritte im Bewusstsein (z.B. in Ägypten und Israel) und in Libyen und Syrien einen fast sofortigen Zusammenbruch und den imperialistischen Krieg sehen konnten. Es hat in der Tat eine echte Tendenz zur Politisierung in diesen Bewegungen gegeben, da sie tiefgehende Fragen über den eigentlichen Charakter des existierenden Gesellschaftssystems stellten. Wie bei früheren Aufwallungen in den Nuller Jahren riefen sie eine winzige Minderheit von suchenden Elementen hervor. Doch innerhalb dieser Minderheit gab es große Schwierigkeiten, sich zu einem revolutionären Engagement durchzuringen. Auch wenn diese Elemente den sichtbaren Ketten der zerfallenden bürgerlichen Ideologie entkommen zu sein schienen, traten sie ihr sehr oft in subtileren oder radikaleren Formen entgegen, die sich im Anarchismus, in „Kommunitarismus“-Theorien und ähnlichen Tendenzen kristallisierten, die alle ein weiterer Beweis dafür sind, dass wir sehr wohl auf der richtigen Spur gewesen waren, als wir in den 80ern den „Rätismus als die Hauptgefahr“ betrachteten, da all diese Strömungen an eben jener Frage der politischen Instrumente des Klassenkampfes, vor allem der revolutionären Organisation, scheiterten.
Eine korrekte Bilanz dieser Bewegungen (und unserer Diskussionen über sie) ist nicht gezogen worden und kann hier nicht nachgeholt werden. Doch es scheint, dass der Zyklus von 2003–2013 seinen Abschluss gefunden hat und wir uns einer neuen Periode voller Probleme gegenübersehen.[4] Dies wird am deutlichsten in Nahost, wo die sozialen Proteste vor der unbarmherzigen staatlichen Repression und der imperialistischen Barbarei zurückgewichen sind; dieser entsetzliche Rückschlag kann nur einen niederdrückenden Effekt auf die ArbeiterInnen überall auf der Welt haben. In jedem Fall ist, wenn wir uns unsere Analyse der ungleichmäßigen Entwicklung des Klassenkampfes in Erinnerung rufen, der Rückfluss aus diesen Aufwallungen unvermeidlich; eine Zeitlang wird dies dazu tendieren, die Klasse noch mehr dem verderblichen Einfluss des Zerfalls auszusetzen.
Die meisten unserer Irrtümer in den vergangenen 40 Jahren scheinen in die Richtung einer Unterschätzung der Bourgeoisie, der Fähigkeit dieser Klasse, ihr verrottendes System aufrechtzuerhalten, und damit der ungeheuren Hindernisse zu gehen, denen sich die Arbeiterklasse bei der Ausübung ihrer revolutionären Aufgaben gegenübersieht. Dies muss bei der Bilanzierung der Kämpfe zwischen 2003 und 2013 ein Schlüsselelement sein.
Der Bericht an den Kongress der Sektion in Frankreich 2014 bekräftigte erneut die Analyse des Wendepunkts: Die Kämpfe im Jahr 2003 brachten das Schlüsselthema der Solidarität auf. Die Anti-CPE-Bewegung 2006 in Frankreich war eine tief greifende Bewegung, die die Bourgeoisie überrumpelte und sie zum Rückzug zwang, da die reale Gefahr einer Ausweitung auf die beschäftigten ArbeiterInnen bestand. Doch im Anschluss daran gab es die Tendenz, die Fähigkeiten der herrschenden Klasse zu vergessen, die sich schnell von solchen Schocks zu erholen pflegt und ihre ideologischen Offensiven und Manöver erneuerte, besonders als es darum ging, den Einfluss der Gewerkschaften wiederherzustellen. Wir haben dies in Frankreich in den 80er Jahren in Gestalt der Koordinationen gesehen, und wir entdeckten es 1995 erneut, jedoch vergaßen wir es, wie der Bericht über den Klassenkampf an den letzten Kongress von Révolution Internationale hervorhebt, in unseren Analysen der Bewegungen in Guadeloupe und der Rentenkämpfe 2010, die das französische Proletariat letztendlich auslaugten und so jegliche ernsthafte Ansteckung durch die Bewegung in Spanien ein Jahr später verhinderten. Und der Bericht an den Kongress der französischen Sektion wies auch darauf hin, dass wir trotz unserer wiederholten Warnungen vor dem enormen Einfluss der antikommunistischen Kampagnen zu schnell vergessen hatten, dass die Kampagnen gegen den Marxismus und Kommunismus immer noch einen beträchtlichen Einfluss auf die neue Generation ausüben, die im vergangenen Jahrzehnt auf der Bildfläche erschienen war.
Wir beginnen gerade, einige der anderen Schwächen in unserer damaligen Analyse zu erkennen.
Bei aller Kritik an der Ideologie der „Anti-Kapitalisten“ der 1990er Jahre, mit ihrer Betonung der Globalisierung als eine völlig neue Phase im Leben des Kapitalismus – und an den Zugeständnissen im proletarischen Milieu gegenüber dieser Ideologie, besonders im Falle des IBRP, das die Dekadenz in Frage zu stellen schien –, erkannten wir nicht den wahren Kern in diesem Mythos: dass die neue Strategie der „Globalisierung“ und des Neoliberalismus die herrschende Klasse in die Lage versetzte, die Rezessionen der 80er zu überstehen und sogar neue Möglichkeiten für die Expansion in Gebieten zu eröffnen, in denen die alten Blockteilungen und semi-autarke Modelle bisher beträchtliche Barrieren gegen die freie Bewegung der Kapitalströme dargestellt hatten. Das offenkundigste Beispiel dieser Entwicklung ist natürlich China, dessen Aufstieg zur „Supermacht“ wir nicht völlig antizipierten, obwohl wir spätestens seit den 1970ern und der chinesisch-russischen Entzweiung erkannt hatten, dass China eine Art Ausnahme von der Regel, nämlich die Unmöglichkeit einer „Unabhängigkeit“ von der Vorherrschaft der beiden Blöcke, war. Wir haben somit erst spät den Einfluss beurteilt, den das Aufkommen riesiger neuer Industriekonzentrationen in einigen dieser Regionen auf die globale Entwicklung des Klassenkampfes ausgeübt hatte. Die theoretischen Gründe für unser Versagen, den Aufstieg des neuen Chinas vorauszusehen, müssen ausführlicher in den Diskussionen rund um unsere Analysen der Wirtschaftskrise ermittelt werden.
Möglicherweise noch bedeutsamer ist, dass wir nicht ausreichend die Rolle untersucht haben, die die Zerschlagung vieler alter Zentren der Klassenmilitanz in den Kernländern bei der Untergrabung der Klassenidentität gespielt hat. Wir waren richtigerweise skeptisch gegenüber rein ideologischen Analysen des Klassenbewusstseins, doch dieveränderte Zusammensetzung der Arbeiterklasse in den Kernländern, der Verlust von Kampftraditionen, die Entwicklung von weitaus atomisierteren Formen der Arbeit haben sicherlich zum Auftreten von Generationen von Proletariern beigetragen, die sich selbst nicht mehr als Bestandteil der Arbeiterklasse betrachten, auch wenn sie sich in Kämpfen gegen die Angriffe des Staates engagieren, wie wir in den Occupy- und Indignados-Bewegungen 2011–13 gesehen haben. Außerordentlich wichtig ist die Tatsache, dass das massive „Outsourcing“, das in den westlichen Ländern stattgefunden hat, oft aus bedeutsamen Niederlagen resultierte – die britischen Bergarbeiter und die französischen Stahlarbeiter waren einschlägige Fälle. Diese Themen wurden, auch wenn sie im Bericht über den historischen Kurs 2001 genannt wurden, nicht wirklich aufgegriffen und erst mit großer Verspätung, nämlich im Bericht über den Klassenkampf 2013, neu untermauert. Wir haben noch immer nicht wirklich dieses Phänomen in unseren eigenen Rahmen eingegliedert, was gewiss eine Antwort zu den mangelhaften Anstrengungen von Strömungen wie die Operaisten und die IKT bei der Theoretisierung der „Neuzusammensetzung“ der Arbeiterklasse erforderlich machen würde.
Gleichzeitig hat das Übergewicht der langfristigen Arbeitslosigkeit und der prekären Beschäftigung die Tendenz zur Atomisierung und zum Verlust der Klassenidentität verschärft. Die autonomen Kämpfe der Arbeitslosen, die in der Lage wären, sich mit den Kämpfen der beschäftigten ArbeiterInnen zusammenzukoppeln, waren von weitaus geringerer Bedeutung, als wir in den 70er und 80er Jahren vorhergesagt hatten (vgl. die Thesen über die Arbeitslosigkeit, Internationale Revue, Nr. 14 [engl., franz., span. Ausgabe] oder die Resolution über die internationale Lage vom 6. Kongress der IKS, auf die sich der vorherige Abschnitt bezog); große Teile der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten sind der Verlumpung, der Bandenkultur oder reaktionären politischen Ideologien zum Opfer gefallen. Die Studentenbewegung in Frankreich 2006 und die sozialen Revolten gegen Ende des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert begannen Antworten auf diese Probleme zu liefern, indem sie die Möglichkeit boten, die Arbeitslosen durch Massendemonstrationen und Straßenversammlungen mit einzubeziehen, doch geschah dies in einem Zusammenhang, in dem die Klassenidentität noch sehr schwach ausgeprägt war.
Unsere Hauptbetonung bei der Erklärung des Verlustes der Klassenidentität lag auf der ideologischen Ebene, ob wir über die unmittelbaren Produkte des Zerfalls (Jeder für sich selbst, Bandenkultur, Flucht in die Irrationalität, etc.) oder über den bewussten Gebrauch der Auswirkungen des Zerfalls durch die herrschende Klasse sprachen – am deutlichsten die Kampagnen rund um den Tod des Kommunismus, aber auch die mehr auf den Alltag ausgerichteten ideologischen Angriffe der Medien und der werbeverpackten falschen Revolte, des Kaufrausches und des Promikultes, etc. Dies ist selbstverständlich wichtig, doch in mancherlei Hinsicht haben wir erst begonnen zu ermitteln, wie diese ideologischen Mechanismen im Innersten wirken – eine theoretische Aufgabe, die wir mit den Thesen zur Moral[5] und unseren Anstrengungen, die marxistische Entfremdungstheorie anzuwenden und weiterzuentwickeln, bereits in Angriff genommen haben.
Die Klassenidentität ist nicht, wie die IKT bisweilen argumentierte, eine Art von rein instinktiven oder halbbewussten Gefühlen der ArbeiterInnen, die sich vom wahren Klassenbewusstsein unterscheiden, das von der Partei bewahrt wird. Sie ist ein integraler Bestandteil des Klassenbewusstseins, Teil des Prozesses, in dem das Proletariat sich selbst als eine eigene Klasse mit einer einmaligen Rolle und einem einmaligen Potenzial in der kapitalistischen Gesellschaft wahrnimmt. Darüber hinaus beschränkt sie sich nicht auf rein ökonomisches Gebiet, sondern besaß von Anfang an starke kulturelle und moralische Elemente: Wie Rosa Luxemburg es formulierte, ist die Arbeiterbewegung nicht auf „Brot- und Butterfragen“ beschränkt, sondern ist eine „große kulturelle Bewegung“. Die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts umfasste also nicht nur Kämpfe für unmittelbare ökonomische und politische Forderungen, sondern auch die Organisation von Bildung, von Debatten über Kunst und Wissenschaft, von Sport und Freizeitaktivitäten und so weiter. Die Bewegung schuf ein ganzes Milieu, in dem Proletarier und ihre Familien außerhalb des Arbeitsplatzes miteinander verkehrten und sich in ihrer Überzeugung bestärkten, dass die Arbeiterklasse der wahre Erbe all der früheren gesunden Ausdrücke der Menschheit ist. Diese Art von Arbeiterbewegung erreichte ihren Höhepunkt in der Ära der Sozialdemokratie, doch war sie auch das Vorspiel ihres Untergangs. Was mit dem großen Verrat 1914 preisgegeben wurde, war nicht nur die Internationale und die alten Formen der politischen und wirtschaftlichen Organisation, sondern auch dieses breite kulturelle Milieu, das nur noch als eine Karikatur auf den „Volksfesten“ der stalinistischen und linksextremistischen Parteien überlebte. 1914 war der erste einer Reihe von Tiefschlägen gegen die Klassenidentität im gesamten vergangenen Jahrhundert: die politische Auflösung der Klasse in Demokratie und Antifaschismus in den 30ern und 40ern, die Gleichsetzung von Kommunismus und Stalinismus, der Bruch in der organischen Kontinuität mit den Organisationen und Traditionen der Vergangenheit, der von der Konterrevolution verursacht wurde. Schon lange vor der Entfaltung der Zerfallsphase lasteten diese Traumen schwer auf der Fähigkeit des Proletariats, sich selbst als eine Klasse zu konstituieren, die um ihre Rolle als jene gesellschaftliche Kraft weiß, die in sich „die Auflösung aller Klasse“ birgt. So wird jede Untersuchung dieses Problems des Verlustes der Klassenidentität auf die ganze Geschichte der Arbeiterbewegung zurückgehen müssen und darf sich nicht auf die letzten paar Jahrzehnte beschränken. Auch wenn dieses Problem in den letzten Jahrzehnten so akut und bedrohlich für die Zukunft des Klassenkampfes geworden ist, ist es lediglich der konzentrierte Ausdruck eines Prozesses mit einer weitaus längeren Geschichte.
Um auf das Problem unserer Unterschätzung der herrschenden Klasse zurückzukehren: der Höhepunkt unserer langjährigen Missachtung des Feindes – die auch die größte Schwäche in unseren Analysen ist – wurde nach dem Finanzcrash von 2007–08 erreicht, als eine alte Tendenz, die stets davon ausging, dass der herrschenden Klasse in den Zentren des Systems mehr oder weniger die Optionen ausgegangen seien, dass die Wirtschaft eine totale Sackgasse erreicht hat, sich zuspitzte. Dies konnte nur Gefühle der Panik erzeugen und steigern; eine häufig vorkommende, aber unausgesprochene Vorstellung war, dass die Arbeiterklasse und die winzige revolutionäre Bewegung entweder nur noch „eine Kugel im Lauf“ oder bereits „den Zug verpasst“ haben. Gewisse Formulierungen über die Dynamik des Massenstreiks speisten sich in diesen Immediatismus (immediate; engl. für: sofort) ein. Eigentlich lagen wir nicht falsch, als wir in der Studentenbewegung 2006 oder in den Kämpfen der Stahlarbeiter in Spanien im gleichen Jahr, in Ägypten 2007, in Bangladesch und anderswo „Keime“ des Massenstreiks sahen. Unser Fehler lag darin, die Saat mit der Frucht gleichzusetzen und nicht zu verstehen, dass die Keimzeit eine sehr lange sein wird. Es war unübersehbar, dass diese Irrtümer in der Analyse eng mit den aktivistischen und opportunistischen Deformationen in unseren damaligen Interventionen verknüpft waren, obgleich diese Irrtümer auch in der weiter gefassten Diskussion über unsere Rolle als eine Organisation verstanden werden müssen (siehe den Text über die Arbeit als Fraktion in dieser Ausgabe).
„Wenn der Eigentümer der Arbeitskraft heute gearbeitet hat, muß er denselben Prozeß morgen unter denselben Bedingungen von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die Summe der Lebensmittel muß also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind verschieden je nach den klimatischen und andren natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes. Andrerseits ist der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat. Im Gegensatz zu den andren Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben.“[6]
Sich dem Kapital anzunähern, ohne wirklich zu begreifen, dass Marx danach strebte, die Mechanismen eines besonderen gesellschaftlichen Verhältnisses zu verstehen, das das Produkt einer jahrtausendelangen Geschichte und wie andere gesellschaftlichen Verhältnisse zum Verschwinden verdammt ist, muss darin enden, behext zu werden von einer verdinglichten Sichtweise der Welt, die Marx mit seiner Untersuchung zu bekämpfen beabsichtigte. Dies schließt all die akademischen Marxologen mit ein, ob sie sich nun als ungebundene Professoren oder als ultra-radikale Kommunisten betrachten, die dazu neigen, den Kapitalismus als ein sich selbst genügendes System von ewig währenden Gesetzmäßigkeiten zu analysieren, die unter allen historischen Bedingungen, in der Dekadenz des Systems wie in seinem Aufstieg, auf exakt dieselbe Weise wirken. Doch Marx‘ Bemerkungen über den Wert der Arbeitskraft reißen uns heraus aus dieser rein ökonomischen Betrachtungsweise des Kapitalismus und bringen uns zu der Erkenntnis, dass „historische und moralische“ Faktoren eine eminent wichtige Rolle bei der Bestimmung eines zentralen „ökonomischen“ Fundaments dieser Gesellschaft spielen: dem Wert der Arbeitskraft. Mit anderen Worten: im Gegensatz zu den Aussagen von Paul Cardan (alias Castoriadis, dem Gründer der Gruppe Socialisme ou Barbarie), für den das Kapital ein Buch bar jedes Klassenkampfes war, argumentiert Marx, dass die Behauptung der menschlichen Würde durch die ausgebeutete Klasse – eine moralische Dimension par excellence – erklärtermaßen nicht durch eine wissenschaftliche Untersuchung über das Treiben des kapitalistischen Systems ersetzt werden kann. In demselben Satz antwortet Marx auch jenen, die in ihm einen moralischen Relativisten sehen, einen Denker, der jegliche Moral als heuchlerischen Jargon der einen oder anderen herrschenden Klasse abtut.
Heute ist die IKS gezwungen, ihr Verständnis des „historischen und moralischen Elements“ in der Lage der Arbeiterklasse zu vertiefen – historisch nicht nur im Sinne der Kämpfe der letzten 40, 80 oder 100 Jahre oder gar seit den ersten Arbeiterbewegungen in der Morgendämmerung des Kapitalismus, sondern auch im Sinne der Kontinuität und des Bruchs zwischen den Kämpfen der Arbeiterklasse und der früheren ausgebeuteten Klassen und darüber hinaus im Sinne ihrer Kontinuität und ihres Bruchs mit allen früheren Versuchen der menschlichen Spezies –, all die Barrieren gegen die Verwirklichung ihres wahren Potenzials zu überwinden und „ihre schlummernden Kräfte zu wecken“, wie Marx das zentrale Kennzeichen der menschlichen Arbeit an sich definiert. Hier kommen Geschichte und Anthropologie zusammen, und über Anthropologie zu reden heißt, über die Geschichte der Moral zu sprechen. Daher die Bedeutung der „Thesen zur Moral“ und unsere Diskussionen rund um sie…
Ableitend von den Thesen, können wir einige Schlüsselmomente feststellen, die eine Tendenz zur Vereinigung der menschlichen Spezies markierten: den Übergang von der Horde zu einem weiter gefassten primitiven Kommunismus; der Anbruch der „Achsenzeit“, die verbunden war mit einer einsetzenden Generalisierung der Warenbeziehungen und die die Entstehung der meisten Weltreligionen erlebte, Ausdrücke im „Geiste“ der Vereinigung einer Menschheit, die in der Realität noch nicht vereint werden konnte; die globale Expansion des aufsteigenden Kapitalismus, der erstmalig danach strebte, die Menschheit unter der – zugegeben brutalen – Herrschaft einer einzigen Produktionsweise zu vereinen; die erste weltweite revolutionäre Welle, die das Versprechen auf eine materielle menschliche Gemeinschaft enthielt. Diese Vereinigungstendenz erhielt einen fürchterlichen Schlag durch den Triumph der Konterrevolution, und es ist kein Zufall, dass Trotzki 1938, am Rand des barbarischsten Krieges in der Geschichte, bereits von einer „Krise der Menschheit“ sprach. Zweifellos hatte er als Beweis für diese Krise den I. Weltkrieg, das stalinistische Russland, die weltweite Depression und den Marsch in einen zweiten Weltkrieg im Auge, doch es war möglicherweise vor allem das Bild von Nazideutschland (auch wenn er nicht solange gelebt hatte, um Zeuge der schlimmsten Ausdrücke dieses barbarischen Regimes zu werden), das diese Idee bestärkte, diese Idee einer Menschheit, die sich selbst auf den Prüfstand stellt, weil es hier um einen einmaligen Prozess des Rückschritts in einer der Wiegen der bürgerlichen Zivilisation ging: Jene Nationalkultur, die Hegel, Beethoven, Goethe hervorbrachte, war nun der Herrschaft von Schlägern, Okkultisten und Nihilisten erlegen, getrieben von einem Programm, das danach trachtete, den letzten Sargnagel in das mögliche Projekt einer vereinten Menschheit zu treiben.
Im Zerfall wird diese Tendenz zur Regression, werden diese Anzeichen für ein Kollaps des gesamten bisherigen menschlichen Fortschritts zur „Normalität“ auf dem ganzen Planeten. Dies findet vor allem im Fragmentierungsprozess und im Jeder-für-sich-selbst seinen Ausdruck: Auf einer Stufe, auf der die Produktion und Kommunikation vereinter denn je ist, ist die Menschheit in Gefahr, in Nationen, Regionen, Religionen, Rassen, Banden geteilt und unterteilt zu werden, wobei all dies, vor dem Hintergrund zahlloser Formen des religiösen Fundamentalismus, Nationalismus und Rassismus, von einem gleichermaßen zerstörerischen intellektuellen Rückschritt begleitet wird. Der Aufstieg des „Islamischen Staates“ liefert eine Kurzversion dieses Prozesses auf historischer Ebene: War einst der Islam das Produkt eines moralischen und geistigen Fortschritts für eine ganze Region und darüber hinaus, so ist heute der Islamismus sowohl in seiner sunnitischen als auch in seiner schiitischen Form ein reiner Ausdruck der Negation der Menschheit – des Pogromismus, der Frauenfeindlichkeit und des Todeskults.
Es ist offenkundig, dass die Gefahr dieser Rückwärtsgewandtheit das Proletariat selbst infiziert. Bestimmte Bereiche der Arbeiterklasse in Europa zum Beispiel, die die Niederlage all der Kämpfe in den 70ern und 80ern gegen die Dezimierung der Industrie und ihrer Jobs erlebt haben, werden jetzt mit einigem Erfolg von rassistischen Parteien in Beschlag genommen, die neue Sündenböcke gefunden haben, die sie wegen ihres Elends beschuldigen können – die Massen von Flüchtlingen, die vor den wirtschaftlichen, ökologischen und militärischen Katastrophen in ihren Herkunftsgebieten in die zentralen Länder fliehen. Diese Immigranten sind im Allgemeinen „auffälliger“ als die Juden im Europa der 30er Jahre, und jene unter ihnen, die die islamische Religion verfechten, können direkt mit Kräften in Verbindung gebracht werden, die in imperialistischen Konflikten gegen ihr „Gastgeber“-Land verwickelt sind. Diese Fähigkeit der Rechten, besser als die Linken in Teile der Arbeiterklasse einzudringen (in Frankreich z.B. sind frühere „Bastionen“ der KP an den Front National gefallen), ist ein relevanter Ausdruck des Verlustes der Klassenidentität: Wo wir einst auf ArbeiterInnen weisen konnten, die ihre Illusionen in die Linke aufgrund ihrer Erfahrung mit deren Sabotagerolle im Kampf verloren hatten, ist heute der niedergehende Einfluss der Linken eher eine Widerspiegelung der Tatsache, dass die Bourgeoisie weniger Bedarf an Mystifikationskräften hat, die vorgeben, zugunsten der Arbeiterklasse zu handeln, weil Letztere immer weniger in der Lage ist, sich selbst überhaupt als eine Klasse zu betrachten. Er spiegelt ebenfalls eines der bedeutsamsten Produkte des globalen Zerfallsprozesses und der ungleichen Entwicklung der Weltwirtschaftskrise wider: die Tendenz Europas und Nordamerikas, zu Inseln der relativen „Vernunft“ in einer verrückt gewordenen Welt zu werden. Namentlich Europa gleicht zunehmend einem gut ausgestatteten Bunker, der dem Ansturm der verzweifelten Massen trotzt, die nach einer Zuflucht vor der globalen Apokalypse suchen. Ganz gleich, wie gnadenlos das Regime im Bunker ist, der „gesunde Menschenverstand“ all der Belagerten würde sagen: Schließt die Reihen und sorgt dafür, dass die Tore zum Bunker fest verschlossen bleiben! Der Überlebensinstinkt spaltet sich mithin völlig von jeglichen moralischen Gefühlen und Impulsen ab.
Die Krise der „Vorhut“ kann ebenfalls nur in diesem allgegenwärtigen Prozess lokalisiert werden: der Einfluss des Anarchismus auf die politisierten Minderheiten, die von den Kämpfen 2003–13 generiert wurden, mit der Fixierung auf den unmittelbaren, spezifischen Arbeitsplatz, auf die „Community“; die wachsende Arbeitertümelei à la Mouvement Communiste und ihr entgegengesetzter Pol, die „Kommunisierungs“-Tendenz, die die Arbeiterklasse als Subjekt der Revolution ablehnt; der Sturz der Kommunistischen Linken in den moralischen Bankrott, den wir in anderen Berichten analysieren werden. Zusammengefasst, die Unfähigkeit der revolutionären Vorhut, sowohl die Realität der moralischen und intellektuellen Regression zu begreifen, die über die Welt fegt, als auch gegen sie zu kämpfen.
Dieser Bericht argumentiert nicht nur, dass der Zyklus der Kämpfe, der von 1968 bis 1989 reichte, zu einem Ende gekommen ist, weil das Proletariat nicht in der Lage war, eine Alternative zum Kapitalismus anzubieten, was endgültig die Zerfallsphase einleitete, sondern auch dass der erste wichtige Kampfzyklus in der Zerfallsphase zu Ende gegangen zu sein scheint, und dies größtenteils aus den gleichen Gründen.
Die Situation sieht in der Tat sehr schwerwiegend aus. Macht es noch einen Sinn, über einen historischen Kurs zu Klassenkonfrontationen zu sprechen? Die Arbeiterklasse heute ist so weit von 1968 entfernt wie 1968 vom Beginn der Konterrevolution; hinzu kommt der Verlust ihrer Klassenidentität, was bedeutet, dass ihre Fähigkeit, sich die Lehren aus den Kämpfen, die sich Jahrzehnte zuvor ereignet hatten, anzueignen, verschwunden ist. Gleichzeitig bleiben die Gefahren, die dem Prozess des Zerfalls innewohnen – eine allmähliche Auszehrung der Fähigkeit des Proletariats, sich der kapitalistischen Barbarei zu widersetzen – nicht statisch, sondern tendieren dazu, sich mit dem immer tieferen Sturz des kapitalistischen Gesellschaftssystems in den Verfall zu verstärken.
Der historische Kurs steht nicht in alle Ewigkeit fest, und die Möglichkeit massiver Klassenkonfrontationen in den Schlüsselländern des Kapitalismus ist kein im Voraus arrangierter Zwischenstopp auf der Reise in die Zukunft.
Dennoch denken wir auch weiterhin, dass das Proletariat nicht das letzte Wort gesprochen hat, auch wenn jene, die gesprochen haben, sich wenig bewusst darüber waren, dass sie für das Proletariat gesprochen haben.
In unserer Analyse der Klassenbewegungen 1968–89 bemerkten wir die Existenz gewisser Höhepunkte, die als Inspiration für künftige Kämpfe und als Maßstab für deren Fortschritt dienten. Also: die Bedeutung von `68 in Frankreich bei der Formulierung der Frage nach einer neuen Gesellschaft, der polnischen Kämpfe 1980 für die Bekräftigung der Methoden des Massenstreiks, der Ausweitung und der Selbstorganisation des Kampfes und so weiter. Diese Fragen blieben weitgehend unbeantwortet. Doch wir können auch sagen, dass die Kämpfe der letzten Dekade ebenfalls ihre Höhepunkte hatten, vor allem weil sie die Schlüsselfrage der Politisierung zu erheben begannen, die wir als eine zentrale Schwäche der Kämpfe im vorherigen Zyklus ausmachten. Mehr noch, die wichtigsten dieser Bewegungen – wie der Kampf der Studenten in Frankreich 2006 und die Revolte der Indignados in Spanien – stellten viele Fragen, die demonstrierten, dass es für das Proletariat in der Politik nicht darum geht, ob das bürgerliche Regierungsteam bleiben oder abserviert werden soll, sondern darum, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern, dass es sich bei der proletarischen Politik darum handelt, eine neue Moral zu schaffen, die in einen Gegensatz zur Ellenbogengesellschaft des Kapitalismus steht. Mit ihrer Empörung über die Verschwendung menschlichen Potenzials und über die Destruktivität des gegenwärtigen Systems, mit ihren Bemühungen, die am meisten entfremdeten Sektoren der Arbeiterklasse für sich zu gewinnen (der Appell der französischen StudentInnen an die Jugend der banlieues), mit der führenden Rolle, die von jungen Frauen in ihrer Haltung gegenüber der Gewalt und Polizeiprovokation gespielt wurde, mit dem Wunsch nach leidenschaftlicher Debatte in den Versammlungen und mit einem beginnenden Internationalismus, der in vielen Slogans der Bewegung[7] zum Ausdruck kam, boten diese Bewegungen die Stirn gegen die ansteigende Flut des Zerfalls und bekräftigten, dass passives Nachgeben keinesfalls die einzige Möglichkeit ist, dass es immer noch möglich ist, diesem No-future der Bourgeoisie mit ihren pausenlosen Attacken gegen die Perspektive des Proletariats mit Denkanstößen und Debatten über die Möglichkeit einer anderen Art von gesellschaftlichen Verhältnissen zu begegnen. Und insoweit wie diese Bewegungen gezwungen wurden, Fragen zu jedem Aspekt der kapitalistischen Gesellschaft zu stellen, von den ökonomischen und politischen bis hin zu künstlerischen, wissenschaftlichen und Umweltfragen, lieferten sie uns eine Ahnung davon, wie eine neue „große, kulturelle Bewegung“ in der Hitze des Gefechts gegen das kapitalistische System neu entstehen könnte.
Es gab gewiss Momente, in denen wir dazu neigten, uns von der Begeisterung für diese Bewegungen mitreißen zu lassen und ihre Schwächen aus den Augen zu verlieren, was zu einer Wiederverstärkung unserer Tendenzen zum Aktivismus und zu Formen der Interventionen führte, die nicht von einer klaren theoretischen Ausgangslage geprägt waren. Doch wir lagen zum Beispiel 2006 nicht falsch, als wir Elemente des Massenstreiks in der Anti-CPE-Bewegung sahen. Zweifellos neigten wir dazu, dies eher in einer unmittelbaren als langfristigen Perspektive zu betrachten, doch fraglos verstärkten diese Revolten den grundlegenden Charakter des Klassenkampfes in der Dekadenz: Kämpfe, die nicht von permanenten Körperschaften im Voraus organisiert werden, die den Hang haben, sich schnell in der Gesellschaft zu verbreiten, die das Problem neuer Formen der Selbstorganisationen stellen und dazu neigen, die politische in die ökonomische Dimension zu integrieren.
Natürlich bestand die große Schwäche darin, dass sie sich weitgehend nicht als Proletarier, nicht als Ausdrücke des Klassenkrieges sahen. Und wenn diese Schwäche nicht überwunden wird, werden die Stärken solcher Bewegungen zu Schwachpunkten werden: Das Hauptaugenmerk auf moralische Anliegen wird in eine Form des vagen, kleinbürgerlichen Humanismus zerfallen, der schnell einer demokratischen „Bürger“-Politik – also einer offen bürgerlichen Politik – anheimfällt; Versammlungen werden zu bloßen Straßenparlamenten, wo die offene Debatte über die wesentlichen Fragen durch Manipulationen der politischen Elite und durch Forderungen ersetzt wird, die die Bewegung innerhalb des Horizonts bürgerlicher Politik fixieren. Dies war im Kern das Schicksal der sozialen Revolten von 2011–13.
Die Notwendigkeit, die Straßenrevolte mit dem Widerstand der beschäftigten ArbeiterInnen, mit all den vielgestaltigen Produkten der Bewegungen der Arbeiterklasse zu verknüpfen und zu verstehen, dass diese Synthese nur auf einer proletarischen Perspektive für die Zukunft der Gesellschaft fußen kann, beinhaltet umgekehrt, dass die Vereinigung des Proletariats die Wiederherstellung der Verbindungen zwischen der Arbeiterklasse und den Organisationen der Revolutionäre umfassen muss. Dies ist die unbeantwortete Frage, die unerfüllte Perspektive, die sich nicht nur durch die Kämpfe der letzten paar Jahre, sondern in allen Ausdrücken des Klassenkampfes seit 1968 stellte.
Gegen den gesunden Menschenverstand des Empirismus, der das Proletariat erst erblickt, wenn es ans Tageslicht kommt, wissen Marxisten, dass das Proletariat wie Blakes schlafender Riese Albion ist, dessen Wiedererwachen die Welt auf den Kopf stellt. Auf der Grundlage der Theorie über die unterirdische Bewusstseinsreifung, die die IKS mehr oder weniger auf sich allein gestellt vertritt, wissen wir, dass das riesige Potenzial der Arbeiterklasse zum größten Teil verborgen bleibt; selbst die klarsten Revolutionäre vergessen leicht, dass diese „schlummernde Kraft“ einen riesigen Einfluss auf die gesellschaftliche Realität ausüben kann, auch wenn sie sich von der Bühne zurückgezogen zu haben scheint. Marx war in der Lage wahrzunehmen, dass die Arbeiterklasse die neue revolutionäre Kraft in der Gesellschaft war, und dies auf einer damals noch dürftigen Beweislage, wie ein paar Streiks der französischen Weber, die noch nicht komplett die Handwerksebene hinter sich gelassen hatten. Und trotz all der immensen Schwierigkeiten, denen sich das Proletariat gegenübersah, trotz all unser Überschätzungen des Kampfes und Unterschätzungen des Gegners sind die Klassenbewegungen der vergangenen 40 Jahre Indiz genug, um daraus zu schließen, dass die Arbeiterklasse diese Fähigkeit, der Menschheit eine neue Gesellschaft, eine neue Kultur und eine neue Moral anzubieten, nicht verloren hat…
[1] Näheres zu Marc Chiric siehe die Fußnote in dem Artikel „Welche Bilanz und Perspektiven für unsere Aktivitäten“ in dieser Ausgabe.
[2] Mehr über diese Tendenz in: „Die Frage der organisatorischen Funktionsweise der IKS“ in: Internationale Revue, Nr. 30 [dt. Ausgabe] (https://de.internationalism.org/doku [6]).
[3] Mehr zu dieser Abspaltung siehe den Artikel in Internationale Revue, Nr. 30, „Die Frage der organisatorischen Funktionsweise der IKS“ [dt. Ausgabe], der folgende Passage enthält: „Anlässlich der Krise von 1981 machte sich (mit Unterstützung des dubiosen Elements Chénier, aber nicht nur mit seiner) die Sichtweise breit, dass jede lokale Sektion eine eigene Politik bezüglich der Intervention verfolgen könne, was eine totale Infragestellung des Internationalen Büros (IB) und seines Sekretariats (IS) bedeutete (man warf diesen Organen insbesondere ihre Auffassung über die Linke in der Opposition sowie die Provozierung einer stalinistischen Degeneration vor). Zwar vertrat man die Notwendigkeit von Zentralorganen, doch beschränkte man sie letztlich auf die Rolle bloßer Briefkästen.“ (https://de.internationalism.org/doku [6])
[4] Diese Frage ist immer noch in der Diskussion in der IKS.
[5] Ein internes Dokument, das jüngst in der Organisation zur Sprache kam.
[6] Marx, Das Kapital, Band 1, Kap. 4.3 „Kauf und Verkauf der Arbeitskraft“.
[7] Wir weisen auf den Ausdruck offener Solidarität zwischen den Kämpfen in den USA und in Europa sowie jenen im Nahen Osten, besonders in Ägypten, hin oder auf die Slogans der Bewegung in Israel, die Netanjahu, Mubarak und Assad als denselben Feind bezeichneten.
Wie wir im Artikel „40 Jahre nach der Gründung der IKS – Welche Bilanz, welche Perspektiven für unsere Aktivitäten“ geschrieben haben, verabschiedete der
21. Kongress der IKS einen Bericht über die Rolle der IKS als eine „Fraktion“. Dieser Report war in zwei Abschnitte gegliedert, wobei der erste den historischen Kontext wiedergab und an die Fraktion als ein Konzept erinnerte und der zweite eine konkrete Analyse war, wie unsere Organisation ihre Verantwortung in diesem Zusammenhang erfüllt hatte. Wir veröffentlichen unten den ersten Teil des Berichts, der von allgemeinem Interesse über die spezifischen Fragen ist, mit denen die IKS konfrontiert ist.
Der 21. Internationale Kongress wird eine kritische Einschätzung der 40 jährigen Existenz der IKS in den Mittelpunkt seines Anliegens rücken. Diese kritische Bilanz bezieht sich auf:
– die allgemeinen Analysen, die von der IKS erarbeitet wurden,
– die Art und Weise, wie die IKS ihre Rolle bei der Vorbereitung der zukünftigen Partei angenommen hat.
Die Antwort auf die zweite Frage geht augenscheinlich davon aus, dass die Rolle klar definiert ist, die der IKS in der gegenwärtigen historischen Periode zugefallen ist. Das heißt, in einer Periode, in der die Bedingungen für das Auftauchen einer revolutionären Partei, d.h. einer Organisation, die einen direkten Einfluss auf den Verlauf der Klassenauseinandersetzungen besitzt, noch nicht existieren.
„Als Teil der allgemeinen Bewegung der Arbeiter-klasse, die sie hervorbringt, entfalten diese politischen Organisationen, die Parteien, sich mit der Entwicklung des Klassenkampfes selber. (…) Die Geschichte der Partei lässt sich nur untersuchen, wenn man sie in den allgemeinen Rahmen der Stufen stellt, den die Klassenbewegung durchläuft, wenn man die Proble-me mit einbezieht, vor denen die Arbeiterklasse steht, und ihre Fähigkeiten berücksichtigt, diese Probleme auf zufriedenstellende Weise zu lösen, die Lehren aus ihrer Erfahrung zu ziehen und daraus ein neues Sprungbrett für die zukünftigen Kämpfe zu machen. Während sie also selbst ein Faktor der Entwicklung der Klasse sind, sind die politischen Parteien aber auch gleichzeitig ein Ausdruck des jeweiligen wirklichen Zu-standes der Arbeiterklasse selbst.“ (Internationale Revue Nr. 9, „Über die Partei und ihre Beziehung zur Klasse“, Punkt 9)
„Die ganze Geschichte hindurch war die Arbeiterklasse dem Gewicht der bürgerlichen Ideologie ausgesetzt, die dazu neigt, proletarische Parteien zu deformieren und zu korrumpieren, ihre eigentliche Funktion zu verfälschen. In Reaktion auf diese Tendenz sind revolutionäre Fraktionen entstanden, die das Ziel verfolgten, kommunistische Positionen zu erarbeiten und zu klären, sie noch präziser zu gestalten. Dies war besonders bei der kommunistischen Linken der Fall, die aus der Dritten Internationalen stammte: Ein jegliches Verständnis der Parteifrage beinhaltete zwangsläufig die Assimilierung der Erfahrungen und Errungenschaften der gesamten internationalen kommunistischen Linken.
Es war jedoch die italienische Fraktion der Kommunistischen Linken, der das besondere Verdienst gebührt, auf die qualitativen Unterschiede in der Organisation von Revolutionären hingewiesen zu haben, die sich daraus ergeben, ob die Periode von zunehmenden Klassenkämpfen oder von der Niederlage und dem Rückzug geprägt ist. Die italienische Fraktion zeigte auf, welche Form die revolutionäre Organisation in beiden Perioden annehmen muss: im ersten Fall die Gestalt der Partei, einer Organisation also, die einen unmittelbaren Einfluss auf den Klassenkampf besitzt; im zweiten Fall die Form einer numerisch beschränkten Organisation mit einem weitaus schwächeren Einfluss im täglichen Leben der Klasse. Diesem zweiten Organisationstyp gab sie den Namen ‚Fraktion‘, die zwischen zwei Perioden in der Entwicklung des Klassenkampfes, d.h. zwischen den beiden Momenten einer existierenden Partei eine Verbindung schafft, eine organische Brücke zwischen der vergangenen und zukünftigen Partei.“ (ebenda, Punkt 10)
In diesem Zusammenhang stellt sich eine Reihe von Fragen:
– Was ist mit diesem Konzept einer Fraktion in den unterschiedlichen Momenten in der Geschichte der Arbeiterbewegung gemeint?
– Bis zu welchem Punkt kann die IKS als eine „Fraktion“ betrachtet werden?
– Was sind die Aufgaben einer Fraktion, die auch für die IKS gültig sind, und was sind nicht ihre Aufgaben?
– Welche besonderen Aufgaben fallen der IKS zu, und welche Aufgaben sind keine Aufgaben der Fraktion?
Im ersten Teil dieses Berichts werden wir uns zuvorderst der ersten dieser vier Fragen zuwenden, um einen historischen Rahmen für unsere Reflexionen abzustecken und uns eine bessere Vorgehensweise bezüglich des zweiten Teils des Berichts zu ermöglichen, der vorschlägt, die oben erwähnte Schlüsselfrage zu beantworten: Welche Bilanz kann man über die Art und Weise ziehen, in der die IKS ihren Part bei der Vorbereitung der zukünftigen Partei spielte?
Um dieses Konzept der Fraktion in den unterschiedlichen Momenten in der Geschichte der Arbeiterbewegung zu untersuchen, werden wir zwischen drei Perioden unterscheiden:
– die Frühperiode der Arbeiterbewegung: der Bund der Kommunisten und die Internationale Arbeiterassoziation (IAA), bekannt als Erste Internationale;
– das Zeitalter ihrer Reifung: die Zweite Internationale;
– die „Periode von Kriegen und Revolutionen“ (um den Ausdruck der Kommunistischen Internationalen zu verwenden).
Doch für den Anfang ist es vielleicht angebracht, kurz an die Geschichte der Parteien des Proletariats zu erinnern, da die Fraktionsfrage uns stets dazu zwingt, die Parteifrage zu stellen, die sowohl den Ausgangspunkt als auch den Endpunkt der Fraktion bildet.
Der Begriff der Partei war durch die Erfahrungen der Arbeiterbewegung (Bund der Kommunisten, IAA, Parteien der Zweiten Internationalen, kommunistische Parteien) allmählich theoretisch und praktisch erarbeitet worden.
Der Bund, der eine illegale Organisation war, gehörte noch der Periode der Sekten an: „In den Anfängen des modernen Kapitalismus, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unternahm die Arbeiterklasse, die sich noch in ihrer Phase der Konstituierung befand, sporadische und lokale Kämpfe und konnte nur doktrinäre Denkschulen, Sekten und Bündnisse hervorbringen. Der Bund der Kommunisten war der fortschrittlichste Ausdruck dieser Periode, während sein Kommunistisches Manifest mit dem Aufruf: ‚Proletarier aller Länder – Vereinigt Euch!‘ bereits ein Vorbote der kommenden Periode war.“ (Internationalisme, Nr. 38, Oktober 1948, „Über das Wesen und die Funktion der politischen Partei des Proletariats“[1], Punkt 23)
Es war eben die Aufgabe der IAA, über das Sektenwesen hinauszugehen und eine breitere Sammlung europäischer ArbeiterInnen sowie einen Klärungsprozess hinsichtlich der vielen Illusionen zu ermöglichen, die auf ihrem Bewusstsein lasteten. Gleichzeitig war sie mit ihrer heterogenen Zusammensetzung (Gewerkschaften, Kooperativen, Propagandagruppen, etc.) noch keine Partei im modernen Sinn, die sie später innerhalb und dank der Zweiten Internationalen wurde. „Die Erste Internationale entsprach dem wirkungsvollen Auftritt des Proletariats auf der Bühne der sozialen und politischen Kämpfe in den wichtigsten Ländern Europas. So sammelte sie alle organisierten Kräfte der Arbeiterklasse mit all ihren unterschiedlichen ideologischen Strömungen. Die erste Internationale brachte alle Strömungen und alle anfälligen Aspekte des Klassenkampfes zusammen: ökonomisch, erzieherisch, politisch und theoretisch. Sie war der Gipfel der Einheitsorganisation der Arbeiterklasse in all ihrer Vielfalt.
Die Zweite Internationale markierte eine Stufe der Differenzierung zwischen den ökonomischen Kämpfen der Lohnarbeiter und dem gesellschaftspolitischen Kampf. In dieser Periode, als die kapitalistische Gesellschaft in voller Blüte stand, war die Zweite Internationale die Organisation des Kampfes für Reformen und für politische Eroberungen für die politische Bestätigung des Proletariats. Gleichzeitig markierte sie eine höhere Stufe in der ideologischen Abgrenzung des Proletariats durch die Klärung und Erarbeitung der theoretischen Grundlagen seiner revolutionären historischen Mission.“ (ebenda)
In der Zweiten Internationalen wurde klar zwischen der allgemeinen Organisation der Klasse (Gewerkschaften) und ihrer spezifischen Organisation, der Partei, unterschieden, die mit der Verteidigung ihres historischen Programms beauftragt ist. Eine Unterscheidung, die völlig klar war, als die Dritte Internationale (d.h. die Kommunistische Internationale, KI) gegründet wurde, also in dem Moment, als die proletarische Revolution zum ersten Mal in der Geschichte auf der Tagesordnung stand. Für die neue Internationale bestand die allgemeine Klassenorganisation nicht mehr aus Gewerkschaften (die keinesfalls das gesamte Proletariat um sich gruppierten), sondern aus den Arbeiterräten (selbst wenn in der KI hinsichtlich der Frage der Gewerkschaften und der Rolle der Partei Vieles unklar blieb).
Neben all den Unterschieden zwischen den vielen Organisationen gab es auch eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen: Sie hatten einen Einfluss auf den Verlauf des Klassenkampfes, und in diesem Sinn kann man ihnen den Namen „Partei“ zuschreiben. Der Einfluss des Bundes der Kommunisten war zurzeit der Revolutionen von 1848–49 noch schwach, als er im Wesentlichen als linker Flügel der demokratischen Bewegung agierte. So war die Neue Rheinische Zeitung, die von Marx herausgegeben wurde und einen gewissen Einfluss im Rheinland und selbst im restlichen Deutschland hatte, nicht direkt das Organ des Bundes, sondern wurde als ein „Organ der Demokratie“ präsentiert. Wie Engels betonte: „erwies sich der Bund, gegenüber der jetzt losgebrochenen Bewegung der Volksmassen, als ein viel zu schwacher Hebel“ („Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten“, November 1885, MEW, Bd. 21, 218).
Eine der wichtigsten Ursachen dieser Schwäche lag in der Schwäche des Proletariats in Deutschland begründet, wo die industrielle Entwicklung noch nicht begonnen hatte. Jedoch bemerkte Engels auch: „Der Bund war unbedingt die einzige revolutionäre Organisation, die in Deutschland eine Bedeutung hatte“ (ebenda, 221). Der Einfluss der IAA war weitaus größer; sie sollte eine „Macht“ in Europa werden. Doch es war vor allem die Zweite Internationale (tatsächlich die verschiedenen Parteien, aus denen sie sich zusammensetzte), die zum ersten Mal in der Geschichte behaupten konnte, einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Arbeiterklasse zu haben.
Diese Frage wurde bereits zu Lebzeiten Marx‘ gestellt, doch war sie später von weitaus größerer Bedeutung: Was wird aus der Partei, wenn die Vorhut, die das historische Programm der Arbeiterklasse, die kommunistische Revolution, vertritt, keinen unmittelbaren Einfluss auf die Kämpfe des Proletariats besitzt?
Auf diese Frage gab die Geschichte unterschiedliche Antworten. Die erste Antwort ist die Auflösung der Partei, wenn die Bedingungen für ihre Existenz nicht mehr vorhanden sind. Dies war der Fall beim Bund und bei der IAA. In beiden Fällen spielten Marx und Engels eine entscheidende Rolle bei der Auflösung dieser Organisationen.
So riefen Marx und Engels im November 1852, nach dem Kölner Kommunistenprozess, der den Sieg der Konterrevolution in Deutschland besiegelte, den Zentralrat (auch Zentralbehörde genannt) des Bundes dazu auf, seine Auflösung zu verkünden. Es lohnt sich darauf hinzuweisen, dass die Frage der Aktivitäten der revolutionären Minderheit in Zeiten der Reaktion bereits im Herbst 1850 im Bund formuliert wurde. In der Mitte jenes Jahres waren Marx und Engels zu dem Schluss gekommen, dass die revolutionäre Welle infolge der wirtschaftlichen Erholung abebbte: „Bei dieser allgemeinen Prosperität, worin die Produktivität der bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickelt, wie dies innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse überhaupt möglich ist, kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in den Perioden möglich, wo diese beiden Faktoren, die modernen Produktivkräfte und die bürgerlichen Produktionsverhältnissen, miteinander in Widerspruch geraten.“ (Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich, Teil IV, MEW, Bd.7, 98)
Marx und Engels sahen sich also veranlasst, gegen die immediatistische Minderheit von Willich-Schapper zu kämpfen, die trotz des Abebbens die ArbeiterInnen weiterhin zum Aufstand aufrufen wollte: „Gerade in der letzten Debatte über die Frage ‚die Stellung des deutschen Proletariats in der nächsten Revolution‘ sind von den Mitgliedern der Minorität der Z.B. (Zentralbehörde) Ansichten ausgesprochen, die direkt dem letzten Rundschreiben, sogar dem ‚Manifest‘ widersprechen. An die Stelle der universellen Anschauung des ‚Manifestes‘ ist die deutsche nationale getreten und dem Nationalgefühl der deutschen Handwerker geschmeichelt. Statt der materialistischen Anschauung des ‚Manifestes‘ ist die idealistische hervorgehoben worden. Statt der wirklichen Verhältnisse der Wille als Hauptsache in der Revolution hervorgehoben worden. Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkrieg durchzumachen, um die Verhältnisse zu ändern, um euch selbst zur Herrschaft zu befähigen, ist stattdessen gesagt worden: Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen, oder wir können uns schlafen legen. Wie von den Demokraten das Wort ‚Volk‘, ist jetzt das Wort ‚Proletariat‘ als bloße Phrase gebraucht worden. Um diese Phrase durchzuführen, müsste man alle Kleinbürger als Proletarier erklären, also de facto die Kleinbürger und nicht die Proletarier vertreten. An die Stelle der wirklichen revolutionären Entwicklung müsste man die Phrase der Revolution setzen“ (Marx, in einer Rede auf dem Sitzung der Zentralbehörde vom 15. September 1850[2]).
Auch auf dem Haager Kongress 1872 unterstützten Marx und Engels die Entscheidung, den Generalrat nach New York zu verlegen, um ihn vor dem Einfluss der Bakunisten und Lassalleaner abzuschirmen, der ausgerechnet in dem Augenblick wuchs, als das europäische Proletariat mit der Niederschlagung der Pariser Kommune eine schlimme Niederlage erlitten hatte. Mit dem Umzug des Generalrats wurde beabsichtigt, die IAA sozusagen als Vorspiel zu ihrer Auflösung, die auf dem Philadelphia-Kongress im Juli 1876 schließlich in Kraft trat, ruhen zu lassen.
In gewissem Sinne war die Auflösung der Partei, als die Bedingungen ihre Existenz nicht mehr gestatteten, viel leichter im Fall des Bundes und der IAA als später. Der Bund war eine kleine, klandestine Organisation (außer in den Revolutionen von 1848–49), die keinen „offiziellen“ Platz in der Gesellschaft besetzt hatte.
Was die IAA anbelangt, bedeutete ihr formelles Verschwinden nicht, dass sich alle ihre Komponenten ebenfalls verflüchtigten. Die englischen Gewerkschaften oder die deutsche Arbeiterpartei (SAP) überlebten die IAA. Was verschwand, waren die formalen Verbindungen zwischen ihren vielfältigen Komponenten.
Danach änderten sich die Dinge. Die Arbeiterparteien verschwanden nicht mehr – sie liefen zum Feind über. Sie wurden zu Institutionen des kapitalistischen Systems, und dies lud den verbleibenden Revolutionären eine neue Verantwortung auf.
Als der Bund sich auflöste, blieb keine formelle Organisation bestehen, die damit beauftragt worden wäre, eine Brücke zur neuen Partei zu schlagen, die irgendwann in der Zukunft auftauchen würde. In dieser Zeit erblickten Marx und Engels die oberste Priorität in der theoretischen Arbeit. Damals waren sie praktisch die Einzigen, die die Theorie, die sie entwickelt hatten, beherrschten; sie benötigten keine formale Organisation, um diese Arbeit fortzuführen. Dennoch blieben sie mit einer Reihe früherer Mitglieder des Bundes im Kontakt, besonders mit jenen im englischen Exil.
1856 kam es gar zu einer Wiederversöhnung zwischen Marx und Schapper. Im September 1864 bat Eccarius, ein früheres Mitglied der Zentralbehörde des Bundes, der enge Kontakte zur englischen Arbeiterbewegung geknüpft hatte, Marx, sich der Plattform des berühmten Treffens am 28. September in der Saint-Martin’s Hall anzuschließen, wo die Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) beschlossen wurde.[3]
So wies der Zentralrat der IAA auch eine Reihe von früheren Mitgliedern des Bundes auf: Eccarius, Lessner, Lochner, Pfänder, Schapper und natürlich Marx und Engels.
Nachdem die IAA verschwunden war, blieben, wie wir gesehen haben, Organisationen übrig, die die Keimzelle der späteren Zweiten Internationalen bildeten, namentlich die deutsche Partei, die durch die Vereinigung von 1875 (SAP) zustande kam und deren marxistische Komponente, die Eisenacher (Bebel, Liebknecht), zur IAA gehört hatte.
An dieser Stelle sollten wir hinsichtlich der Rolle, die die beiden erstgenannten Organisationen zur Zeit ihrer Bildung zu erfüllen beabsichtigt hatten, noch folgendes Argument anführen. Aus dem Kommunistischen Manifest geht eindeutig hervor, dass der Bund die proletarische Revolution in naher Zukunft erwartet hatte. Nach der Niederlage der Revolutionen von 1848 begriffen Marx und Engels, dass die historischen Bedingungen noch nicht reif genug waren. Auch zum Zeitpunkt der IAA-Gründung gab es (laut ihrer Statuten) die Vorstellung von einer kurz- oder mittelfristigen „Emanzipation der Arbeiter“ (trotz der Vielfalt von Sichtweisen, die in dieser Formel enthalten waren und die den verschiedenen Komponenten der IAA entsprachen: Mutualisten, Kollektivisten, etc.).
Die Niederlage der Pariser Kommune warf erneut ein Schlaglicht auf die Unreife der Bedingungen für den Sturz des Kapitalismus: Die darauffolgende Periode zeichnete sich durch eine massive kapitalistische Expansion aus, die ihren Ausdruck insbesondere im aufstrebenden Deutschland als Industriemacht fand, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts Großbritannien überholt hatte.
In diesem Zeitraum[4], als die revolutionäre Perspektive noch in weiter Zukunft lag, erlangten die sozialistischen Parteien eine wichtige Bedeutung innerhalb der Arbeiterklasse (besonders in Deutschland). Dieser wachsende Einfluss in einer Zeit, als die Mehrheit der ArbeiterInnen noch nicht revolutionär beseelt war, ist mit der Tatsache verknüpft, dass die sozialistischen Parteien in ihrem Programm nicht nur der Aussicht auf den Sozialismus ihre Reverenz erwiesen, sondern in ihren Tageszeitungen auch das „Minimalprogramm“ der Reformen in der kapitalistischen Gesellschaft vertraten.
Diese Situation trug ebenfalls bei zum Gegensatz zwischen jenen, für die „das Ziel, was immer es sei, (…) gar nichts, die Bewegung alles“ (Bernstein) ist, und jenen, die sagten: „Da aber das sozialistische Endziel das einzig entscheidende Moment ist, das die sozialdemokratische Bewegung von der bürgerlichen Demokratie und dem bürgerlichen Radikalismus unterscheidet, das die ganze Arbeiterbewegung aus einer müßigen Flickarbeit zur Rettung der kapitalistischen Ordnung in einen Klassenkampf gegen diese Ordnung, um die Aufhebung dieser Ordnung verwandelt, so ist die Frage Sozialreform oder Revolution? im Bernsteinschen Sinne für sie Sozialdemokratie zugleich die Frage Sein oder Nichtsein? In der Auseinandersetzung mit Bernstein und seinen Anhängern, darüber muss sich jedermann in der Partei klarwerden, handelt es sich nicht um diese oder jene Kampfweise, nicht um diese oder jene Taktik, sondern um die ganze Existenz der sozialdemokratischen Bewegung“ (Rosa Luxemburg, Sozial-Reform oder Revolution, Vorwort, Gesammelte Werke, Bd. 1/1, 369).
Trotz der offiziellen Ablehnung der Thesen Bernsteins durch die SPD und die Sozialistische Internationale errang diese Sichtweise die Mehrheit in der SPD (besonders im Parteiapparat) und in der Internationalen. „Die Erfahrung der Zweiten Internationale bestätigt dem Proletariat die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, seine Partei in einer länger anhaltenden Periode aufrechtzuerhalten, die von einer nicht-revolutionären Situation geprägt ist. Die Beteiligung der Parteien der Zweiten Internationale am imperialistischen Krieg von 1914 enthüllte nur die lange Korruption der Organisation. Die stets mögliche Durchlässigkeit der politischen Organisation des Proletariats für die Ideologie der herrschenden kapitalistischen Klasse kann in langen Perioden der Stagnation und des Rückflusses des Klassenkampfs einen solchen Umfang annehmen, dass die Ideologie der Bourgeoisie letztendlich die des Proletariats ersetzt, so dass die Partei zwangsläufig all ihres Klasseninhalts entleert und zum Instrument der feindlichen Klasse wird.“ (Internationalisme, Nr. 38, Oktober 1948, „Über das Wesen und die Funktion der politischen Partei des Proletariats“, Punkt 12).
In diesem Kontext entstanden erstmals reale Fraktionen.
Die erste Fraktion war jene der Bolschewiki, die nach dem Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1903 den Kampf gegen den Opportunismus aufnahm, anfangs in der Frage der Organisation und später in den Fragen der Taktiken bezüglich der Aufgaben des Proletariats in einem halbfeudalen Land wie Russland. Es sollte dabei nicht unerwähnt bleiben, dass bis 1917 Bolschewiki und Menschewiki, obwohl beide Fraktionen ihre Politik unabhängig voneinander fortführten, derselben Partei, der SDAPR, angehörten.
Ab 1907 engagierte sich die marxistische Strömung, die sich in Holland um das Wochenmagazin De Tribune enfaltet hatte (angeführt von Wijnkoop, Van Ravesteyn und Ceton, aber auch unter Beteiligung von Gorter und Pannekoek), in einer ähnlichen Arbeit in der holländischen SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei). Diese Strömung kämpfte gegen das opportunistische Abdriften der Partei, hauptsächlich repräsentiert von Troelstra und der Parlamentsfraktion, die 1908 auf dem Parteitag beantragten, De Tribune zu schließen. Letztendlich setzte sich Troelstra auf dem Außerordentlichen Parteitag von Deventer (Februar 1909) durch, der die Schließung von De Tribune und den Ausschluss ihrer drei Herausgeber aus der Partei beschloss. Diese Politik, die darauf abzielte, die tribunistischen „Führer“ von den Sympathisanten dieser Strömung zu trennen, provozierte in Wirklichkeit eine starke Gegenreaktion Letzterer.
Letztendlich fiel Troelstras Ausschlusspolitik, die vom reformistisch dominierten Internationalen Büro der Sozialistischen Internationalen, welche zur Vermittlung herbeigerufen wurde, gestützt wurde, mit der Absicht der drei Herausgeber zusammen, mit der SDAP zu brechen (ein Wunsch, den Gorter nicht teilte[5]), und veranlasste die „Tribunisten“ im März 1909 dazu, eine neue Partei, die SDP (Sozialdemokratische Partei), zu gründen. Diese Partei blieb bis zum I. Weltkrieg eine kleine Minderheit mit einem unbedeutenden Einfluss bei den Wahlen, doch sie profitierte von der Unterstützung durch die Linke in der Internationalen und insbesondere durch die Bolschewiki, die letztendlich ihre Re-Integration in die Internationale 1910 (nach anfänglicher Weigerung des Büros der Internationalen im November 1909) und die Entsendung von Delegierten (ein Mandat gegen sieben für die SDAP) zu den internationalen Kongressen 1910 in Kopenhagen und 1912 in Basel ermöglichten. Während des Krieges, in dem Holland neutral blieb, der aber dennoch schwer auf der Arbeiterklasse lastete (Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelkürzungen, etc.), errang die SDP dank ihrer internationalistischen Politik und ihrer Unterstützung von Arbeiterkämpfen einigen Einfluss bei den Wahlen. Schließlich, im November 1918 und noch vor der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), nahm die SDP den Namen „Kommunistische Partei der Niederlande“ (KPN) an.
Die dritte Strömung, die eine entscheidende Rolle als Fraktion in der Zweiten Internationalen spielte, sollte die KPD gründen. Am Abend des 4. August 1914 versammelte sich nach der einstimmigen Zustimmung der sozialistischen Reichstagsabgeordneten zu den Kriegskrediten eine Handvoll von Internationalisten in Rosa Luxemburgs Wohnung, um die Kampfaussichten und die Möglichkeiten zur Sammlung all jener in der Partei einzuschätzen, die die chauvinistische Politik der Führung und Mehrheit bekämpfen wollten. Diese Militanten waren sich einig darin, dass es notwendig war, diese Auseinandersetzung innerhalb der Partei fortzuführen. Immerhin prangerte die Parteibasis in vielen Städten die Zustimmung der Parlamentsfraktion zu den Kriegskrediten an. Selbst Liebknecht wurde dafür kritisiert, dass er sie am 4. August aus Gründen der Parteidisziplin unterstützt hatte.
Bei der zweiten Abstimmung am 2. Dezember war Liebknecht der einzige, der dagegen stimmte, doch in den beiden folgenden Abstimmungen folgten ihm zuerst Otto Rühle und schließlich eine wachsende Zahl von Abgeordneten. Ab dem Winter 1914–15 wurden illegale Flugblätter (eines davon trug den Titel „Der Feind steht im eigenen Land“) verteilt. Im April 1915 wurde die erste und einzige Ausgabe von Die Internationale publiziert, von der schon am ersten Abend bis zu 5.000 Exemplare verkauft wurden und die der Gruppe um Luxemburg, Leo Jogiches, Karl Liebknecht, Franz Mehring und Clara Zetkin vorübergehend den Namen „Internationale“ verlieh. Unter den Bedingungen der Illegalität und der Repression[6] führte diese winzige Gruppierung, die sich zunächst „Spartakusgruppe“ und schließlich „Spartakusbund“ nannte, den Kampf gegen den Krieg und die Regierung wie auch gegen die Rechte und das Zentrum der Sozialdemokratie.
Spartakus war nicht allein. Andere Gruppen, insbesondere in Hamburg und Bremen (wo Pannekoek, Radek und Frölich aktiv waren), vertraten sogar eine noch dezidiertere internationalistische Politik als die Spartakisten. Anfang 1917, als die Führung der SPD die Opposition ausschloss, um die Verbreitung ihrer Positionen innerhalb der Partei zu stoppen, setzten diese Gruppen ihre Aktivitäten autonom fort, während die Spartakisten als Fraktion innerhalb der zentristischen USPD verblieben. Am 31. Dezember 1918 kamen diese unterschiedlichen Gruppierungen anlässlich der Gründung der KPD zusammen, doch es war ersichtlich, dass die Spartakisten das Rückgrat der neuen Partei bildeten.
Etwas später als in Russland, Holland und Deutschland wurde auch in Italien eine linke Fraktion gebildet. Dies war die „Abstentionistische Fraktion“ (abstentionistisch, weil sie eine Enthaltung von den parlamentarischen Wahlen befürwortete) rund um die Zeitung Il Soviet, die von Bordiga und seinen Genossen ab dem Dezember 1918 in Neapel publiziert wurde; formell hatte sie sich als Fraktion auf dem Parteitag der italienischen Sozialistischen Partei (PSI) im Oktober 1919 gebildet. Im Grunde hatte Bordiga bereits 1912 in der Föderation der Jungsozialisten und in der neapolitanischen Föderation der PSI einer kompromisslosen revolutionären Strömung Leben eingehaucht. Die Verspätung der italienischen Linken kann zum Teil mit der Tatsache, dass Bordiga, der von der Armee eingezogen worden war, nicht vor 1917 in das politische Leben eingreifen konnte, aber vor allem damit erklärt werden, dass die Parteiführung sich während des Krieges in den Händen der Linken befand. Bereits auf dem Parteitag von 1912 wurden die reformistische Rechte und 1914 die Freimaurer ausgeschlossen.
Die Zeitung der PSI, Avanti, wurde von Mussolini (der die Ausschlussanträge auf diesen Kongressen präsentiert hatte) betrieben. Er profitierte von dieser Position, als er am 18. Oktober 1914 einen Leitartikel veröffentlichte, der den Titel trug: „Von der absoluten Neutralität zu einer handelnden und aktiven Neutralität“, der den Kriegseintritt Italiens auf der Seite der Entente erklärte. Natürlich wurde er von seinem Posten entfernt, doch kaum einen Monat später veröffentlichte er – dank der Geldmittel des französischen sozialistischen Abgeordneten Marcel Cachin (einem künftigen Führer der französischen Kommunistischen Partei) im Auftrag der französischen Regierung und der Entente – die Zeitung Il Popolo d’Italia. Er wurde am 29. November aus der PSI ausgeschlossen. Als anschließend die vom Weltkrieg dominierte Lage zum Klärungsprozess einer Linken, einer Rechten und eines Zentrums drängte, schwankte die Richtung der Partei zwischen der Rechten und der Linken, zwischen einem „maximalistischen“ Standpunkt und einer reformistischen Position.
„Erst 1917, auf dem Parteitag in Rom, verschärfte sich der Gegensatz zwischen den Rechten und Linken. Erstere erhielten 17.000 Stimmen, während Letztere es auf 14.000 brachten. Der Sieg Turatis, Treves‘ und Modiglianis zu einer Zeit, in der die Russische Revolution bereits tobte, führte zur Formation einer ‚kompromisslosen und revolutionären Fraktion‘ in Florenz, Mailand, Turin und Neapel.“ (aus unserem Buch: Die italienische Kommunistische Linke, 25) Erst ab 1920 erlangte die Abstentionistische Fraktion unter dem Diktat der Revolution in Russland, der Bildung der KI (die ihr Beistand leistete) und auch der Arbeiterkämpfe in Italien, insbesondere in Turin, einen gewissen Einfluss in der Partei. Sie kam auch in Kontakt mit der Strömung, die sich rund um die von Gramsci ins Leben gerufene Zeitung Ordine Nuovo versammelt hatte, auch wenn große Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Strömungen herrschten (Gramsci sprach sich zugunsten einer Wahlbeteiligung aus; er vertrat eine Art revolutionäres Gewerkschaftswesen und schreckte davor zurück, mit der Rechten und dem Zentrum zu brechen sowie eine autonome Fraktion zu formen).
„… wurde im Oktober die Vereinigte Kommunistische Fraktion gegründet. Sie gab ein Manifest heraus, das die Bildung einer kommunistischen Partei unter Ausschluss von Turatis rechtem Flügel forderte. Sie gab den Wahlboykott auf und folgte somit den Entscheidungen des II. Kongresses der Komintern.“ (ebenda, 28) Auf dem Parteitag von Imola im Dezember 1920 war die Spaltung im Prinzip entschieden: „Unsere Tätigkeit als Fraktion ist und muss nun beendet sein (…) ein umgehender Rückzug aus der Partei und vom Kongress (des PSI), sobald die Abstimmung uns zur Mehrheit oder Minderheit macht. Daraus folgt… eine Abspaltung vom Zentrum.“ (Zitat von Bodiga, ebenda, 28) Auf dem Parteitag von Livorno, der am 21. Januar 1921 begann, „erhielt der Antrag von Imola ein Drittel der Stimmen: 58.783 von 172.487. Das Ergebnis: Die Kommunistische Partei Italiens, Sektion der Kommunistischen Internationale, wurde gegründet ‚(…)Wir nehmen mit uns die Ehre unserer Vergangenheit‘ schloss (Bordiga) und verließ den Kongress“ (ebenda, 28 f.).
Dieses (sehr kurze) Resümee der Arbeit der Hauptfraktionen, die innerhalb der Parteien der Zweiten Internationalen konstituiert wurden, ermöglicht es, die primäre Rolle zu definieren, die einer Fraktion zufällt: die Verteidigung revolutionärer Prinzipien innerhalb einer degenerierenden Partei:
– anfangs um ein Maximum an Militanten für diese Prinzipien zu gewinnen und um die rechten und zentristischen Positionen aus der Partei zu verbannen;
– dann um sich selbst in eine neue revolutionäre Partei umzuwandeln, wenn die Umstände es erfordern.
Es sollte dabei beachtet werden, dass praktisch alle Strömungen der Linken so lange wie möglich in der Partei zu bleiben versuchten. Die einzigen Ausnahmen bildeten die Tribunisten (auch wenn Gorter und Pannekoek ihre Übereile nicht teilten) und die „Linksradikalen“, die von Radek, Pannekoek und Frölich ins Leben gerufen wurden und (anders als die Spartakisten) sich weigerten, der USPD beizutreten, nachdem die Opposition 1917 aus der SPD ausgeschlossen worden war. Die Trennung der Linken von der alten Partei, die Verrat begangen hatte, resultierte entweder aus ihrem Ausschluss oder aus der Notwendigkeit, eine neue Partei zu gründen, die in der Lage ist, zur Vorhut der revolutionären Welle zu werden.
Es sollte ebenfalls beachtet werden, dass die Linke mit ihren Aktivitäten nicht zum Dasein einer Minderheit in einer degenerierenden Partei verdammt war: Auf dem Parteitag der französischen Sozialistischen Partei (Section Française de l’Internationale Ouvrière, SFIO) wurde der Antrag der Linken, in dem zum Beitritt in die KI aufgerufen wurde, von der Mehrheit angenommen. Die Kommunistische Partei, die in Tours gegründet wurde, behielt die Zeitung L’Humanité, die von Jaurès gegründet worden war. Leider behielt sie auch Frossard, den Generalsekretär der SFIO, der eine Zeit lang führende Figur der Kommunistischen Partei (PCF) war.
Eine letzte Bemerkung: die Fähigkeit der linken Fraktionen, eine neue Partei aus dem Stand zu gründen, war nur wegen des kurzen Zeitraums zwischen dem erwiesenen Verrat der alten Partei und dem plötzlichen Aufkommen der revolutionären Welle möglich. Danach sollte die Lage eine ganz andere sein.
Die Kommunistische Internationale wurde im März 1919 gegründet. Zu diesem Zeitpunkt existierten bereits eine Handvoll Kommunistische Parteien (die Kommunistische Partei von Russland, den Niederlanden, Deutschland, Polen und einige andere von geringerer Bedeutung). Und doch tauchte zu diesem Zeitpunkt bereits die erste „linke“ Fraktion (die sich auch als solche ankündigte) in der Hauptpartei auf, in jener Russlands (die erst auf dem 7. Parteitag der RSDAP den Namen „kommunistisch“ annahm): Anfang 1918 gruppierte sich diese Strömung um die Zeitung Kommunist und wurde von Ossinski, Bucharin, Radek und Smirnow ins Leben gerufen. Die größte Meinungsverschiedenheit dieser Fraktion in der Frage der Orientierung der Partei betraf die Verhandlungen in Brest-Litowsk. Die „Linkskommunisten“ waren gegen diese Verhandlungen und empfahlen den „revolutionären Krieg“, der die Revolution mit Waffengewalt in andere Länder „exportiert“. Doch gleichzeitig kritisierte diese Fraktion die autoritären Methoden der neuen proletarischen Macht und bestand auf die breiteste Beteiligung der arbeitenden Massen an dieser Macht, eine Kritik, die jener von Rosa Luxemburg nahe kam (vgl. R. Luxemburg, „Zur russischen Revolution“).
Die Unterschrift unter das Brest-Litowsker Friedensabkommen kündigte das Ende dieser Fraktion an. Nicht lange danach wurde Bucharin Repräsentant des rechten Parteiflügels, doch einige Elemente dieser Fraktion, wie Ossinski, schlossen sich den linken Fraktionen an, die später entstanden. Während also in Westeuropa einige der Fraktionen in den Sozialistischen Parteien, die die Kommunistischen Parteien ins Leben rufen sollten, erst noch gebildet werden mussten (die Abstentionistische Fraktion Bordigas bildete sich erst im Dezember 1918), hatten die russischen Revolutionäre (natürlich auf sehr konfuse Weise) die Auseinandersetzung gegen die Verirrungen, die die Kommunistische Partei in ihrem Land in Mitleidenschaft zogen, bereits begonnen. Es lohnt sich, darauf hinzuweisen (auch wenn es nicht notwendig ist, um dieses Phänomen hier zu analysieren), dass in einer ganzen Reihe von Fragen die russischen Militanten in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts an der Spitze standen: die Bildung der bolschewistischen Fraktion nach dem Zweiten Parteitag der RSDAP; ihre klare Position gegen den imperialistischen Krieg 1914; führende Linke in Zimmerwald; ihre Einsicht in die Notwendigkeit einer neuen Internationalen; die Gründung der Kommunistischen Partei im März 1918; ihre Anregung zum 1. Kongress der Kommunistischen Internationalen und zu seiner Orientierung.
Und diese „Frühreife“ kann auch bei der Bildung der Fraktionen innerhalb der Kommunistischen Partei beobachtet werden. Im Grunde war die russische Partei wegen ihrer besonderen Rolle als erste (und einzige) Kommunistischen Partei, die an die Macht gelangt war, auch die erste, die unter dem Druck des Hauptelements ihres Ruins (abgesehen natürlich von der Niederlage der weltweiten revolutionären Welle) litt: ihre Integration in den Staat. So begannen angesichts dieses Prozesses der Degeneration der proletarischen Partei sich Formen des Widerstandes, so konfus sie auch gewesen sein mögen, viel früher als anderswo zu manifestieren.
Von da an erlebte die russische Partei das Auftreten einer bedeutenden Zahl von weiteren „linken“ Strömungen:
– 1919 kämpfte der „Demokratische Zentralismus“, eine Gruppe, die von Ossinski und Sapronow gebildet wurde, gegen das Prinzip der „individuellen Autorität“ in der Industrie und vertrat das kollektive oder kollegiale Prinzip als die „wirksamste Waffe gegen die Ressorteritis (departmentalisation) und bürokratische Unterdrückung des Staatsapparates“ (Thesen über das Kollegialitätsprinzip und die individuelle Autorität, eigene Übersetzung);
– Ebenfalls 1919 beteiligten sich etliche Mitglieder des „Demokratischen Zentralismus“ an der „Militärischen Opposition“, die für eine kurze Zeit im März 1919 gebildet wurde, um gegen die Tendenz zu kämpfen, die Rote Armee nach den Kriterien einer traditionellen, bürgerlichen Armee zu gestalten.
Während des Bürgerkriegs wurde wegen der Bedrohung des Regimes durch die Weißen Armeen nur verhaltene Kritik an der Parteipolitik geäußert; doch sobald diese Gefahr durch den Sieg der Roten Armee über die Weißen gebannt war, verdoppelte sich die Kritik an Heftigkeit:
– Anfang 1921 wurde anlässlich des 10. Parteitages und der Debatte über die Gewerkschaftsfrage die „Arbeiteropposition“ gebildet, die von Schljapnikow, Medwedew (beide Metallarbeiter) und vor allem von Alexandra Kollontai, Autorin ihrer Plattform, angeführt wurde. Wie die revolutionären Syndikalisten wollte diese Opposition das Wirtschaftsmanagement den Gewerkschaften statt der Staatsbürokratie anvertrauen.[7] Nach dem Fraktionsverbot, einem Beschluss, der just auf jenen Parteitag gefällt wurde, der während der Erhebung von Kronstadt abgehalten wurde, wurde die Arbeiteropposition aufgelöst; Kollontai wurde später eine treue Anhängerin Stalins.
– Im Herbst 1921 wurde die Gruppe „Arbeiterwahrheit“ gebildet, die sich aus Intellektuellen und Anhängern des „Proletkult“, wie ihr Hauptorganisator Bogdanow, zusammensetzte. Diese Gruppe prangerte zusammen mit den anderen Strömungen der Opposition die Bürokratisierung der Partei und des Staates an, aber nahm gleichzeitig eine halb-menschewistische Position ein und behauptete, dass die Bedingungen der proletarischen Revolution in Russland noch nicht reif seien, dass diese Bedingungen auf der Grundlage eines modernen Kapitalismus erst noch geschaffen werden müssten (eine Position, die später zur Position der „rätekommunistischen“ Strömung werden sollte);
– 1922–23 wurde die „Arbeitergruppe“ gegründet, angeführt von Gabriel Miasnikow, einem Arbeiter aus dem Ural, der sich in der bolschewistischen Partei 1921 dadurch ausgezeichnet hatte, dass er unmittelbar nach dem 10. Parteitag zur „Freiheit der Presse, von den Monarchisten bis zu den Anarchisten“, aufgerufen hatte. Trotz Lenins Bemühungen, eine Debatte über diese Frage anzustrengen, weigerte sich Miasnikow, einen Rückzieher zu machen; er wurde schließlich Anfang 1922 aus der Partei ausgeschlossen. Mit anderen Mitstreitern aus dem Arbeitermilieu konstituierte er die „Arbeitergruppe der russischen Kommunistischen Partei (Bolschewik)“, die ihr Manifest auf dem 12. Parteitag der RKP verteilte. Diese Gruppe begann mit illegaler Arbeit unter den ArbeiterInnen der Partei und schien eine bedeutende Präsenz in den Streikwellen im Sommer 1923 zu haben, als sie zu Massendemonstrationen aufrief und versuchte, eine primär defensive Klassenbewegung zu politisieren. Ihre Aktivitäten in diesen Streiks überzeugten die GPU davon, dass diese Gruppe eine Gefahr darstellte; ihre Führer, einschließlich Miasnikow, wurden ins Gefängnis gesteckt. Die Gruppe führte ihre Aktivitäten in Russland (wie auch im Exil) bis Ende der 20er Jahre illegal fort, als es Miasnikow gelang, das Land zu verlassen und sich im Pariser Exil an der Veröffentlichung der Zeitung L’Ouvrier Communiste zu beteiligen, die KAPD-ähnliche Positionen vertrat.
Von allen Strömungen, die gegen die Degeneration der bolschewistischen Partei kämpften, war sicherlich die Arbeitergruppe politisch am klarsten. Sie stand der KAPD sehr nahe (Letztere veröffentlichte ihre Dokumente und blieb in Kontakt mit ihr). Insbesondere ihre Kritik an der Parteipolitik stützte sich auf eine internationale Sichtweise der Revolution, im Gegensatz zu den anderen Gruppen, die dazu neigten, sich auf Fragen der Demokratie (in der Partei und in der Arbeiterklasse) und auf das Wirtschaftsmanagement zu konzentrieren. Anders als die trotzkistische Strömung, die sich weiterhin auf die ersten vier Kongresse berief, lehnte sie die Politik der Einheitsfront des 3. und 4. Kongresses der KI ab. Es gab jedoch (insbesondere im Exil) Diskussionen zwischen dem linken Flügel der trotzkistischen Strömung und Elementen der Arbeitergruppe.
Die Arbeitergruppe war wahrscheinlich die einzige Strömung innerhalb der bolschewistischen Partei, die konsequent als Fraktion handelte. Doch die fürchterliche Repression, die Stalin gegen die Revolutionäre entfesselte (und die die zaristische Repression weit in den Schatten stellte), machte jede Möglichkeit zunichte, auf diesem Weg weiterzuschreiten. Nach dem II. Weltkrieg beschloss Miasnikow, nach Russland zurückzukehren. Wie vorherzusehen war, verschwand er unmittelbar nach seiner Ankunft, womit die schwachen Kräfte der kommunistischen Linken einen ihrer mutigsten Mitstreiter verloren.
Die Auseinandersetzung der Linksfraktionen in den anderen Ländern nahm zwangsläufig andere Formen als in Russland an; aber wenn wir zu den drei anderen kommunistischen Parteien zurückkehren, die wir oben erwähnt hatten, sehen wir, dass die linken Strömungen ebenfalls sehr früh den Kampf begonnen hatten.
Auf dem Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands besaßen die Positionen der Linken die Mehrheit. In der Gewerkschaftsfrage war Rosa Luxemburg, die das Programm der KPD verfasste und dem Parteitag vorstellte, sehr klar und kategorisch: „Die offiziellen Gewerkschaften haben sich im Verlaufe des Krieges und in der Revolution bis zum heutigen Tage als eine Organisation des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Klassenherrschaft gezeigt. Deshalb ist es selbstverständlich, dass der Kampf um die Sozialisierung in Deutschland sich in erster Linie befassen muss mit der Liquidierung dieser Hindernisse, die die Gewerkschaften der Sozialisierung entgegenstellen“. In der Frage des Parlamentarismus lehnte der Parteitag gegen die Position von führenden Spartakisten (Luxemburg, Liebknecht, Jogiches, etc.) die Teilnahme an den Wahlen ab, die kurz danach abgehalten wurden. Nach der Ermordung dieser Militanten schien die neue Führung (Levi, Brandler) anfangs der Linken (die in der Mehrheit blieb) gegenüber Zugeständnisse in der Gewerkschaftsfrage zu machen. Doch ab August 1919 (Frankfurter Konferenz der KPD) optierte Levi, der eine Annäherung an die USPD anstrebte, für eine Mitarbeit in den Parlamenten wie auch in den Gewerkschaften; und auf dem Heidelberger Parteitag im Oktober gelang es ihm dank eines Manövers, die linke antigewerkschaftliche und antiparlamentarische Mehrheit auszuschließen.
Die Mehrheit der ausgeschlossenen Militanten weigerte sich aufzugeben. Sie wurde von den Mitstreitern der holländischen Linken tatkräftig unterstützt, besonders von Gorter und Pannekoek, die damals ein großes Ansehen in der KI genossen und die auf die Bildung des Amsterdamer Büros drängten, die von der Internationalen angekündigt worden war, um die Arbeit in Westeuropa und Amerika zu koordinieren. Nur sechs Monate später (April 1920) gründeten die Ex-Mitglieder der KPD angesichts der Weigerung des Parteitages der KPD im Februar, die ausgeschlossenen Militanten wiederaufzunehmen, und auch angesichts des versöhnlerischen Verhaltens der KPD gegenüber der SPD während des Kapp-Putsches (13.–17. März) die KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands).
Bestärkt in ihrem Vorgehen wurden sie vom Amsterdamer Büro, das sie unterstützte und im Februar eine Internationale Konferenz organisierte, auf der die Thesen der Linken (über die Fragen der Gewerkschaften und des Parlamentarismus sowie bezüglich der opportunistischen Wende der KI, die besonders im Beharren zum Ausdruck kommt, dass die Kommunisten in Großbritannien der Labour-Partei beitreten sollten) triumphierten.[8] Der neuen Partei wurde durch die Unterstützung der linken, von Gorter und Pannekoek angeführten Minderheit der Kommunistischen Partei der Niederlande (KPN), die in ihrer Zeitung das auf ihrem Gründungsparteitag verabschiedete KAPD-Programm abdruckte, der Rücken gestärkt. Dies hinderte Pannekoek nicht daran, die KAPD (in seinem Brief vom 5. Juli 1920) zu kritisieren, namentlich ihre Positionen zu den „Arbeiterunionen“ (indem er vor jeglicher Konzession an den revolutionären Syndikalismus warnte) und vor allem wegen der Präsenz der „Nationalbolschewisten“ in ihren Reihen, die er als eine „monströse Verirrung“ betrachtete. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die holländische Linke (und insbesondere Pannekoek) in allen Schlüsselfragen, denen sich das Proletariat gegenübersah (Gewerkschaften, Parlament, die Partei[9], die Haltung gegenüber den sozialistischen Parteien, der Charakter der Revolution in Russland, etc.) an der Spitze der Arbeiterbewegung.
Der Parteitag der KAPD, der zwischen dem 1. und 4. August stattfand, sprach sich für diese Orientierung aus: Dies war der Augenblick, in dem die „Nationalbolschewisten“ die Partei verließen; einige Monate später waren die föderalistischen Elemente an der Reihe, die sich ablehnend gegenüber einem Eintritt in die KI gaben. Pannekoek, Gorter und die KAPD ihrerseits waren entschlossen, in der KI zu verbleiben und gegen deren wachsendes opportunistisches Abdriften zu kämpfen. Aus diesem Grund entsandte die KAPD zwei Delegierte, Jan Appel und Franz Jung, zum Zweiten Kongress der KI in Russland, der am 17. Juli 1920 in Moskau stattfinden sollte.[10] Da jegliche Nachrichten von ihnen ausblieben, entsandte die KAPD zwei weitere Delegierte, von denen der eine Otto Rühle war. Doch angesichts der katastrophalen Lage der Arbeiterklasse in Russland und des Bürokratisierungsprozesses im Regierungsapparat entschlossen sich Letztere, nicht am Parteitag teilzunehmen, obwohl sie aufgefordert wurden, ihre Positionen zu vertreten, und stimmberechtigt waren. In Vorbereitung dieses Parteitages schrieb Lenin Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus. Es sollte angemerkt werden, dass Lenin in dieser Broschüre schrieb, dass „der Fehler des linken Doktrinarismus im Kommunismus gegenwärtig tausendmal weniger gefährlich und weniger folgenschwer als der Fehler des rechten Doktrinarismus“ ist.
Sowohl in der KI und bei den Bolschewiki als auch bei der KAPD bestand der ernsthafte Wille zu einer Annäherung, mit dem Ziel, die KAPD in die Internationale und somit in die KPD zu integrieren. Doch die Verschmelzung Letzterer mit der USPD-Linken im Dezember 1920 zur VKPD, eine Umgruppierung, der sich alle linken Strömungen der KI widersetzten, blockierte diese mögliche Entwicklung. Dennoch erlangte die KAPD den Status einer „mit der KI sympathisierenden Partei“, erhielt eine permanente Repräsentanz in deren Exekutivkomitee und entsandte Delegierte zum Dritten Kongress der KI im Juni 1921. Diese Kooperation wurde in der Zwischenzeit untergraben, besonders durch die „März-Aktion“ (einer abenteuerlichen „Offensive“, die von der VKPD gefördert worden war) und die Unterdrückung des Kronstädter Aufstands (eine Unterdrückung, die die Linke anfangs mitgetragen hatte, glaubte sie doch, dass diese Erhebung tatsächlich das Werk der Weißen sei, wie die Propaganda der Sowjetregierung behauptete). Gleichzeitig betrieb die rechte Führung der KPN (Wijnkoop, der der „holländische Levi“ genannt wurde) mit Unterstützung Moskaus eine Politik der statutenwidrigen Ausschlüsse von linken Mitstreitern. Schließlich gründeten diese Militanten im September nach dem Modell der KAPD eine neue Partei, die KAPN.
Die Einheitsfront-Politik, die auf dem Dritten Kongress der KI angenommen wurde, verschlimmerte alles nur noch, wie auch das Ultimatum, das an die KAPD gerichtet wurde, um sich mit der VKPD zu vereinen. Im Juli 1921 nahm die Führung der KAPD mit Gorters Unterstützung eine Resolution an, in der alle Verbindungen zur KI gekappt wurden und zur Konstituierung einer „Kommunistischen Arbeiter-Internationalen“ (KAI) aufgerufen wurde – dieser Aufruf wurde zwei Monate vor dem für September geplanten Parteitag der KAPD verlautbart. Es war ganz offensichtlich eine voreilige Entscheidung. Auf diesem Parteitag wurde die Frage der Gründung einer neuen Internationalen diskutiert (Mitstreiter aus Berlin und namentlich Jan Appel waren dagegen), und letztendlich beschloss der Parteitag, ein Informationsbüro zu diesem Zweck zu schaffen. Dieses Büro handelte jedoch, als wäre die neue Internationale bereits gebildet worden, obwohl ihre Gründungskonferenz erst im April 1922 stattfinden sollte. Gleichzeitig erlebte die KAPD eine Spaltung zwischen der Mehrheit der „Berliner Tendenz“, die der Bildung einer neuen Internationalen abgeneigt war, und der „Essener Tendenz“, die den Lohnkampf ablehnte.
Nur Letztgenannte nahm an dieser Konferenz teil, zusammen mit Gorter, der der Autor des KAI-Programms war. Die teilnehmenden Gruppierungen waren gering an Zahl und repräsentierten nur sehr beschränkte Kräfte: Abgesehen von der Essener Tendenz gab es die KAPN, die bulgarische kommunistische Linke, die Kommunistische Arbeiterpartei (CWP) von Sylvia Pankhurst, die KAP Österreichs, die von der KAPD in Berlin als „Potemkinsches Dorf“ (d.h. als fingiert) bezeichnet wurde. Letztendlich verflüchtigte sich diese Rumpf-„Internationale“ mit dem Verschwinden bzw. fortschreitenden Rückzug ihrer Bestandteile. Die Essener Tendenz machte etliche Spaltungen durch. Die KAPN löste sich auf, anfangs infolge des Auftretens einer der Berliner Tendenz zugehörigen Strömung, die der Bildung der KAI ablehnend gegenüberstand, schließlich durch innere Konflikte, die eher auf Clankonflikten denn auf politischen Prinzipien beruhten. Im Grunde ist das entscheidende Element, das das teils jämmerliche, teils dramatische Scheitern der KAI erklären kann, im Abebben der revolutionären Welle zu suchen, die einst als Sprungbrett für die Gründung der KI gedient hatte:
„Der Fehler Gorters und seiner Anhänger bestand darin, die KAI willkürlich zu proklamieren, als immer noch Linksfraktionen in der Komintern verblieben, die in eine internationale linkskommunistische Strömung integriert hätten werden können. Dieser Irrtum wog schwer auf der deutschen revolutionären Bewegung (…) Der Niedergang der Weltrevolution, der ab 1921 evident in Europa wurde, gestattete mitnichten die Bildung einer neuen Internationalen. Der Gedanke, dass es immer noch in Richtung Revolution ging entbehrte vor dem Hintergrund der Theorie der ‚Todeskrise des Kapitalismus‘ nicht einer gewissen Logik bei der Proklamation der KAI durch Gorter und die Essener Tendenz. Doch ihre Voraussetzungen waren falsch.“ (aus unserer Broschüre Die deutsch-holländische Linke, 5. Kap. 4.d, https://de.internationalism.org/Gorter/KAI [14])
Das finale Scheitern der KAPD und der KAPN veranschaulicht auf beeindruckende Weise, wie notwendig es für die Revolutionäre ist, eine klare Vorstellung von der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie zu haben.
Wurde die deutsch-holländische Linke sich erst mit großer Verzögerung bewusst, dass die revolutionäre Welle am Abebben war[11], so galt dies nicht für die Bolschewiki, für die Führer der Kommunistischen Internationalen und die Kommunistische Linke Italiens. Doch sie antworteten darauf auf völlig unterschiedliche Weise:
– Für die Bolschewiki und die Mehrheit der KI war es notwendig, „zu den Massen zu gehen“, da die Massen sich nicht mehr in Richtung Revolution bewegten. Dies mündete in eine wachsend opportunistische Politik, besonders gegenüber den „zentristischen“ Sozialistischen Parteien und Strömungen wie auch den Gewerkschaften.
– Im Gegensatz dazu war es für die italienische Linke notwendig, auch weiterhin dieselbe Kompromisslosigkeit an den Tag zu legen, die die Bolschewiki im Krieg und bis zur Gründung der KI charakterisiert hatte.
In Wirklichkeit drückte der opportunistische Kurs, der von der KI bereits auf dem Zweiten Kongress, aber besonders vom Dritten Kongress an eingeschlagen wurde und der die Klarheit und die Kompromisslosigkeit des Ersten Kongresses in Frage stellte, nicht nur die Schwierigkeiten aus, mit denen es das Weltproletariat zu tun hatte, um seinen revolutionären Kampf fortzusetzen und zu verstärken, sondern auch den unlösbaren Widerspruch, in dem die bolschewistische Partei steckte. Auf der einen Seite waren die Bolschewiki – die faktische Führung der KI – Avantgarde der Weltrevolution gewesen und hatten dieselbe Rolle in der Russischen Revolution gespielt. Sie hatten stets darauf bestanden, dass Letztere nur ein kleiner Schritt in Richtung Weltrevolution sei, und waren sich sehr wohl darüber bewusst, dass eine Niederlage des Weltproletariats den Tod der Revolution in Russland bedeuten würde.
Auf der anderen Seite waren die Bolschewiki als eine Partei, die die Macht über ein ganzes Land in der Hand hielt, den Anforderungen unterworfen, die den Funktionen eines Nationalstaates und vor allem der Notwendigkeit der Sicherung innerer wie äußerer „Sicherheit“ entsprachen. Mit anderen Worten: sie verfolgten eine Außenpolitik im Interesse Russlands und eine Innenpolitik, die die Stabilität der Staatsmacht garantierte. In diesem Sinne waren die Repression der Streiks von Petrograd und die blutige Niederschlagung des Kronstädter Aufstands die andere Seite der Medaille, die Schattenseite der Politik der „offenen Hand“. Unter dem Mantel der „Einheitsfront“ praktizierten die Bolschewiki eine Politik gegenüber den Sozialistischen Parteien, die darauf abzielte, sie dazu zu bewegen, Druck auf ihre Regierungen auszuüben, um deren Außenpolitik in eine der Sowjetunion genehme Richtung zu lenken.
Die Kompromisslosigkeit der italienischen Kommunistischen Linken, die faktisch die Spitze der Kommunistischen Partei Italiens stellte (die „Thesen von Rom“, die auf ihrem Zweiten Parteitag 1922 verabschiedet worden, waren von Bordiga und Terracini verfasst worden), fand einen beispielhaften Ausdruck gegenüber dem im Aufstieg befindlichen Faschismus in Italien im Anschluss an die Niederlage der Klassenkämpfe 1920. Auf der praktischen Ebene drückte sich diese Kompromisslosigkeit in einer Totalverweigerung gegenüber Bündnissen mit den Parteien der Bourgeoisie (liberale oder „sozialistische“) vis-à-vis der faschistischen Bedrohung aus: Die Arbeiterklasse kann den Faschismus nur auf ihrem eigenen Terrain, mit dem ökonomischen Streik und der Organisation von Arbeitermilizen zur Selbstverteidigung, bekämpfen. Auf theoretischer Ebene verdanken wir Bordiga die erste ernsthafte (auch heute noch gültige) Analyse des faschistischen Phänomens, die er den Delegierten des Vierten Kongresses der KI vorstellte und die die Analyse eben jener KI ablehnte:
– „Der Faschismus sei nicht die Bewegung der Mittelklassen und der agrarischen Bourgeoisie. Vielmehr sei er das Produkt der Niederlage, die das Proletariat erlitten habe und die die unentschlossenen kleinbürgerlichen Schichten hinter die faschistische Reaktion gedrängt habe“ (aus unserem Buch Die Italienische Kommunistische Linke, Kap. 1, S. 30 f.)
– „Der Faschismus sei keine ‚feudale‘ Reaktion. Er sei in den großen Industriestädten entstanden, wie in Mailand…“ (ebenda, S. 31) und genieße die Unterstützung der industriellen Bourgeoisie.
– „Der Faschismus sei nicht mit der Demokratie unvereinbar. Er sei ihre unverzichtbare Ergänzung für den Fall, ‚dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, die Macht der Bourgeoisie zu verteidigen.‘“ (ebenda)
Diese Kompromisslosigkeit kam auch hinsichtlich der Politik der Einheitsfront, der „ausgestreckten Hand“ gegenüber den Sozialistischen Parteien und ihrer Begleiterscheinungen, des Schlachtrufes der „Arbeiterregierung“, zum Tragen, die „zu einer praktischen Verleugnung des politischen Programms des Kommunismus (führte), d.h. der Notwendigkeit, die Massen für den Kampf für die Diktatur des Proletariats vorzubereiten“ (Bordiga, zitiert in: Die Italienische Kommunistische Linke, Kap. 1, S. 33).
Mit derselben Kompromisslosigkeit widersetzte sie sich der Politik der KI, die Kommunistischen Parteien mit den linken Strömungen der Sozialistischen Parteien oder den „Zentristen“ zu verschmelzen, eine Politik, die zur Bildung der VKPD in Deutschland führte und in Italien im August 1924 in den Eintritt von 2000 „Terzini“ (Partisanen der Dritten Internationalen) in eine Partei mündete, die infolge der Repression und Demoralisierung nur noch 20.000 Mitglieder umfasste.
Schließlich manifestierte sie sich in ihrer Opposition gegen die Politik der „Bolschewisierung“ der KPs, die auf dem Fünften Kongress der KI im Juli 1924 vorgestellt wurde. Diese Politik wurde auch von Trotzki bekämpft. Kurz gesagt, bestand sie darin, die Disziplin in den Kommunistischen Parteien wiederherzustellen, und zwar eine bürokratische Disziplin, deren Absicht es war, den Widerstand gegen ihre Degeneration zum Schweigen zu bringen. Die Bolschewisierung bestand auch darin, eine Organisationsweise der KPs zu fördern, die auf „Fabrikzellen“ basierte, etwas, das die Aufmerksamkeit der ArbeiterInnen auf die Schwierigkeiten in „ihren“ Unternehmen lenkte, ganz offensichtlich zum Nachteil einer allgemeinen Sichtweise und Perspektive des proletarischen Kampfes.
Obwohl die Linke sich immer noch in der Mehrheit innerhalb der Partei befand, erzwang die KI eine rechte Führung (Gramsci, Togliatti), die ihre Politik unterstützte, ein Manöver, das durch den Gefängnisaufenthalt Bordigas zwischen Februar und Oktober 1923 erleichtert wurde. Dennoch stimmten in einer klandestinen Konferenz der italienischen Partei im Mai 1924 35 von 45 Föderationssekretären und vier von fünf interregionalen Sekretären den von Bordiga, Grieco, Fortichiari und Repossi präsentierten Thesen, die sich sehr kritisch über die Politik der KI äußerten, zu. 1925 brach in der KI die Kampagne gegen die Opposition aus; die erste, die an der Reihe war, war Trotzkis Linksopposition. „Im März–April 1925 setzte die Erweiterte Exekutive der Komintern die Eliminierung der ‚bordigistischen‘ Tendenz auf die Tagesordnung des III. Kongresses des PCI. Sie verbat die Veröffentlichung eines Artikels von Bordiga, in dem sich dieser für Trotzki ausgesprochen hatte.“ (Die Italienische Kommunistische Linke, Kap. 1, S. 35)
„Die Bolschewisierung der italienischen Sektion begann mit der Entfernung Fortichiaris von seinem Posten als Gebietssekretär von Mailand. Im April gründete die Linke, mit Damen, Repossi und Fortichiari, ein ‚Bündniskomitee‘, um ihre eigenen Aktivitäten zu koordinieren.
Die Gramsci-Führung griff dieses Komitee gewaltsam an und denunzierte es als eine ‚organisierte Fraktion‘. Tatsächlich aber wollte sich die Linke noch nicht als Fraktion konstituieren; sie wollte keinerlei Vorwand für ihren Ausschluss aus der Partei liefern, während sie noch in der Mehrheit war. Zunächst weigerte sich Bordiga, dem Komitee beizutreten, da er nicht den ihm auferlegten disziplinarischen Rahmen übertreten wollte. Erst im Juni schloss er sich der Position von Damen, Fortichiari und Repossi an. Ihm wurde die Aufgabe zugeteilt, eine ‚Plattform‘ der Linken zu entwerfen, die der erste systematische Angriff auf die Bolschewisierung war.“ (ebenda, S. 35 f.)
„Unter der Drohung des Ausschlusses löste sich das Bündniskomitee auf und beugte sich der Disziplin. Dies war der Anfang vom Ende der italienischen Linken als Mehrheit.“ (ebenda, S. 37)
Auf dem Parteitag im Januar 1926, der wegen der faschistischen Repression im Ausland abgehalten wurde, präsentierte die Linke die „Thesen von Lyon“; sie erhielten lediglich 9,2 Prozent der Stimmen: Die Politik, die Anweisungen der KI bezüglich einer intensiven Rekrutierung junger und kaum politisierter Elemente anzuwenden, trug nun Früchte. Die „Thesen von Lyon“ sollten die Politik der italienischen Linken in der Emigration orientieren.
Bordiga kämpfte noch eine letzte Schlacht auf der 6. Erweiterten Exekutive der KI von Februar bis März 1926. Er prangerte das opportunistische Abdriften der KI an, erwähnte die Fraktionsfrage ohne Rücksicht darauf, ob dies auf der unmittelbaren Tagesordnung stand, und bekräftigte, dass „die Geschichte der Fraktionen die Geschichte Lenins ist“ (ebenda, S. 38); sie sind keine Krankheiten, „sondern das Symptom einer Krankheit. Sie seien das Produkt der ‚Verteidigung gegen den opportunistischen Einfluss‘.“ (ebenda, S. 38f.)
In einem Brief an Karl Korsch im September 1926 schrieb Bordiga: „Wir sollten nicht die Spaltung der Parteien und der Internationale anstreben. Wir sollten dem Experiment der willkürlichen und mechanischen Disziplin eine Chance geben, indem wir Letztere so weit wie möglich, bis zur totalen Absurdität ihres Verfahrens, respektieren, ohne jedoch auf unsere ideologische und politische Kritik zu verzichten und ohne uns jemals mit der herrschenden Orientierung zu solidarisieren (…) Generell denke ich, dass mehr noch als Organisation und Manöver heute die Erarbeitung einer politischen Ideologie der internationalen Linken zuoberst stehen sollte, die auf den beredten Erfahrungen der Komintern beruht. Da wir noch weit entfernt sind von diesem Punkt, erscheint jede internationale Initiative schwierig.“ (Bordiga, zitiert in: Die Italienische Kommunistische Linke, Kap. 1, S. 41)
Dies waren auch die Grundlagen, auf denen nach der ersten Konferenz im April 1928 die Linksfraktion der Kommunistischen Partei Italiens im Pariser Vorstadtviertel Pantin letztlich gegründet werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt zählte sie vier „Föderationen“: Brüssel, New York, Paris und Lyon, mit Mitstreitern in Luxemburg, Berlin und Moskau.
Diese Konferenz nahm einmütig eine Resolution an, die ihre Perspektiven definierte:
1. „Konstituierung als linke Fraktion der Kommunistischen Internationale.
2. (…)
3. Zweimonatliche Veröffentlichung einer Zeitschrift mit dem Namen Prometeo.
4. Gründung von Gruppen der Linken, deren Aufgabe der bedingungslose Kampf gegen den Opportunismus und die Opportunisten ist (…)
5. Inangriffnahme der unmittelbaren Ziele:
– die Reintegration aller aus der Kommunistischen Internationale Ausgeschlossenen, welche sich auf das Kommunistische Manifest und die Thesen des Zweiten Weltkongresses berufen.
– die Einberufung des 6. Weltkongresses unter der Präsidentschaft von Leo Trotzki.
– den Ausschluss all jener auf die Tagesordnung des 6. Weltkongresses stellen, die sich mit den Resolutionen des 15. Allrussischen Kongresses solidarisch erklären.“ (zitiert in: Die Italienischen Kommunistische Linke, S. 78)
Wie ersichtlich:
– begriff sich die Fraktion nicht als „italienisch“, sondern als eine Fraktion der KI;
– meinte sie, dass in der KI noch immer proletarisches Leben existiere und sie immer noch gerettet werden könne;
– meinte sie, dass die russische Partei sich den Beschlüssen des KI-Kongresses unterordnen und „ihr Haus in Ordnung bringen“ müsse, indem sie all jene ausschließt, die offenen Verrat begangen hatten (wie dies schon früher im Zusammenhang mit anderen Parteien der Internationalen praktiziert wurde);
– lud sie sich nicht die Aufgabe einer allgemeinen Intervention gegenüber den ArbeiterInnen auf, sondern konzentrierte sich vorrangig auf die Militanten der KI.
Im Anschluss leistete die Fraktion bis 1945 eine bemerkenswerte Arbeit, eine Arbeit, die von der Gauche Communiste de France bis 1952 fortgeführt wurde. Wir haben in unseren Artikeln, internen Texten und Diskussionen bereits oft auf dieses Werk Bezug genommen, so dass es nicht notwendig ist, hier darauf zurückzukommen.
Einer der wesentlichen Beiträge der italienischen Fraktion und der Kern dieses Berichts ist exakt die Weiterentwicklung des Konzeptes der Fraktion auf der Grundlage der gesamten Erfahrung der Arbeiterbewegung. Dieses Konzept wurde bereits eingangs dieses Berichts in wenigen Worten umrissen. Wir werden uns hier darauf beschränken, eine Passage aus einem Artikel in unserer Presse zu zitieren, wo das Konzept der Fraktion definiert wird. („Die italienische und französische Kommunistische Linke“; Internationale Revue, Nr. 90 [engl., franz., span. Ausgabe][12]):
„In unserer Presse haben wir uns häufig mit der Unterscheidung befasst, die von der italienischen Linken zwischen der Partei und der Fraktion gemacht wurde (siehe besonders unsere Untersuchung ‚Das Verhältnis zwischen Fraktion und Partei in der marxistischen Tradition‘ in der International Review, Nr. 59, 61, 64). Um Klarheit zu schaffen, wollen wir die Hauptlinien der Frage hier in Erinnerung rufen. Die kommunistische Minderheit existiert permanent als ein Ausdruck des revolutionären Schicksals des Proletariats. Jedoch ist ihr Einfluss auf die unmittelbaren Kämpfe der Klasse stark durch ihr Niveau und den Umfang des Bewusstseins der arbeitenden Massen bedingt. Nur in Perioden offener und immer bewussterer proletarischer Kämpfe kann die Minderheit auf einen Einfluss hoffen. Nur unter diesen Bedingungen kann die Minderheit als Partei beschrieben werden. Im Gegensatz dazu ist es in Zeiten, in denen der proletarische Kampf historisch abebbt und die Konterrevolution triumphiert, zwecklos, auf einen bedeutenden und entscheidenden Einfluss revolutionärer Positionen auf die Klasse in ihrer Gesamtheit zu hoffen. In solchen Perioden besteht die einzig mögliche – aber wichtige – Arbeit darin, als Fraktion zu arbeiten: die politischen Bedingungen für die Bildung der künftigen Partei vorzubereiten, wenn das Kräfteverhältnis es erneut ermöglicht, dass kommunistische Positionen Einfluss auf das gesamte Proletariat ausüben.“ (Auszug aus der Fußnote 4)
„Die Linksfraktion ist geschaffen worden, da die proletarische Partei unter dem Einfluss des Opportunismus, mit anderen Worten: ihrer Penetrierung durch die bürgerliche Ideologie, im Begriff ist zu degenerieren. Es ist die Verantwortung der Minderheit, die das revolutionäre Programm aufrechthält, einen organisierten Kampf für seinen Triumph innerhalb der Partei zu führen. Entweder hat die Fraktion Erfolg, ihre Prinzipien triumphieren, und die Partei ist gerettet, oder die Partei degeneriert weiter und endet damit, dass sie die Waffen streckt und ins bürgerliche Lager überläuft. Der Zeitpunkt, in dem die proletarische Partei ins bürgerliche Lager überläuft, ist nicht leicht zu bestimmen. Doch eines der wichtigsten Anzeichen dieses Übergangs ist die Tatsache, dass es innerhalb der Partei kein proletarisches Leben mehr gibt. Es liegt in der Verantwortung der Linksfraktion, den Kampf innerhalb der Partei fortzusetzen, solange die Hoffnung besteht, sie zur Umkehr zu veranlassen. Daher verließen Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre die linken Strömungen nicht die Parteien der KI, sondern sie wurden ausgeschlossen, oftmals mit Mitteln schmutziger Manöver. Davon abgesehen, ist eine Rückkehr unmöglich, sobald eine proletarische Partei ins bürgerliche Lager übergelaufen ist. Das Proletariat muss in diesem Fall eine neue Partei erschaffen, um auf den Weg zur Revolution zurückzukehren, und die Rolle der Fraktion ist es, eine ‚Brücke‘ zwischen der alten Partei, die zum Feind übergelaufen ist, und der zukünftigen Partei zu sein, für die sie ein programmatisches Fundament bauen und deren Gerüst sie werden muss. Die Tatsache, dass, sobald die Partei ins bürgerliche Lager übergelaufen ist, kein proletarisches Leben mehr in ihr existieren kann, bedeutet, dass sie sowohl nutzlos als auch gefährlich für Revolutionäre ist, die den ‚Entrismus‘ betreiben, der stets eine von Trotzkis ‚Taktiken‘ gewesen ist und den die Fraktion stets abgelehnt hat. Versuche, einer bürgerlichen Partei, mit anderen Worten: einer Partei, die jeglicher Klassenposition entblößt ist, proletarisches Leben einzuhauchen, führten noch nie zu einem anderen Resultat als zur Beschleunigung der opportunistischen Degeneration jener Organisationen, die dies versucht hatten, ohne die Partei auch nur im geringsten zur Umkehr zu bringen. Was die ‚Rekrutierung‘ angeht, die durch solche Methoden erzielt wird, so handelte es sich stets um besonders konfuse und vom Opportunismus befallene Elemente, die nie in der Lage gewesen waren, eine Vorhut für die Arbeiterklasse zu formen.
Im Grunde bestand einer der fundamentalen Unterschiede zwischen der italienischen Fraktion und dem Trotzkismus darin, dass, als es zur Umgruppierung revolutionärer Kräfte kam, die Fraktion immer die Notwendigkeit der größten Klarheit und programmatischen Stringenz vorgebracht hat, auch wenn man offen für Diskussionen mit all den anderen Strömungen war, die sich dem Kampf gegen die Degeneration der KI verschrieben hatten. Die trotzkistische Strömung versuchte hingegen, rasch Organisationen zu bilden, ohne jegliche ernsthafte Diskussion oder einen vorherigen Klärungsprozess der politischen Positionen und sich im Kern auf die Übereinkünfte zwischen ‚Persönlichkeiten‘ und der Autorität von Trotzki als einen der wichtigsten Führer der Revolution von 1917 und der frühen KI verlassend.“
Dieser Abschnitt offenbart die Methoden der trotzkistischen Strömung, die wir aus Platzmangel oben nicht erwähnt hatten. Doch es ist bedeutsam, dass zwei der Kennzeichen dieser Strömung, bevor diese sich dem bürgerlichen Lager anschloss, folgende waren:
– Zu keinem Zeitpunkt integrierte sie den Begriff der Fraktion in ihr Konzept; für den Trotzkismus ging es von einer Partei zur nächsten, und so musste in Zeiten des Rückzugs der Klasse, wenn die Revolutionäre eine kleine Minderheit waren, ihre Organisation als eine Art „Mini-Partei“ betrachtet werden, ein Konzept, das Mitte der 30er Jahre auch innerhalb der italienischen Fraktion aufgekommen war und das heute von der IKT verfolgt wird, nennt sich doch ihre Hauptkomponente Partito Comunista Internazionalista.
– Trotzki (aber nicht nur er) hatte das Ausmaß der Konterrevolution absolut nicht begriffen. Sein Unverständnis war so groß, dass er die Streiks von Mai bis Juni 1936 in Frankreich als den „Beginn der Revolution“ betrachtete. In diesem Sinn ist das Konzept des historischen Kurses (ebenfalls abgelehnt von der IKT) fundamental für die Fraktion.
Der Wille zur Klärung, der die italienische Linke stets angetrieben hatte und der eine fundamentale Vorbedingung für die Erfüllung ihrer Rolle ist, kann selbstverständlich nicht von der theoretischen Vertiefung und der permanenten Bereitschaft getrennt werden, Analysen und Positionen, die einst als endgültig erschienen, in Frage zu stellen.
Um diesen Teil des Berichts abzuschließen, müssen wir sehr kurz auf den späteren Werdegang der Strömungen zu sprechen kommen, die die KI verließen. Die Strömung, die aus der deutsch-holländischen Linken entstand, blieb selbst nach dem Verschwinden der KAPD und der KAPN bestehen. Ihr Hauptrepräsentant war die GIK (Gruppe Internationaler Kommunisten) in Holland, eine Gruppe, die einen gewissen Einfluss außerhalb ihres Landes hatte (zum Beispiel auf Living Marxism, eine Gruppe in den USA, die von Paul Mattick animiert wurde). In einem der tragischsten und kritischsten Momente der 30er Jahre, im Spanischen Krieg, vertrat diese Gruppe eine prinzipiell internationalistische Position, ohne jegliches Zugeständnis an den Antifaschismus. Sie stimulierte den Denkprozess innerhalb der Kommunistischen Linken, einschließlich BILAN (die die Position Rosa Luxemburgs und der deutschen Linken über die nationale Frage aufgriff), wie auch der Gauche Communiste de France, die die traditionelle Position der italienischen Linken über die Gewerkschaften ablehnte und stattdessen die Position der deutsch-holländischen Linken übernahm.
Jedoch nahm diese Strömung (GIK etc.) zwei Positionen ein, die sich als fatal erwiesen (und die der KAPD fremd gewesen wären):
– die Charakterisierung der Revolution von 1917 als bürgerlich;
– die Verneinung der Notwendigkeit einer Partei.
Dies führte dazu, eine ganze Reihe von proletarischen Organisationen der Vergangenheit als bürgerlich zu kategorisieren, letztendlich die Geschichte der Arbeiterbewegung und die Lehren abzulehnen, die sie für die Zukunft in petto hat.
Es führte auch dazu, jegliche Rolle der Fraktion zu verneinen, da deren Aufgabe es ist, einer Organisation den Weg zu ebnen, die die rätekommunistische Strömung nicht will – die Partei.
Als Konsequenz aus diesen beiden Schwächen hat sie sich selbst daran gehindert, eine bedeutende Rolle in dem Prozess zu spielen, der zur zukünftigen Partei und somit zur kommunistischen Revolution führen wird, auch wenn rätekommunistisches Gedankengut durchaus einen Einfluss auf das Proletariat ausübt.
Ein letzter einleitender Punkt zum zweiten Teil des Reports: Kann die IKS als eine Fraktion betrachtet werden? Die Antwort springt geradezu ins Auge: Selbstverständlich nicht, denn unsere Organisation war zu keinem Zeitpunkt innerhalb einer proletarischen Partei konstituiert worden. Doch diese Antwort ist bereits Anfang der 50er Jahre vom Genossen MC in einem Brief an die anderen Mitglieder der Gruppe Internationalisme gegeben worden:
„Die Fraktion stand in direkter, organischer Kontinuität zur alten Organisation, da ihre Existenz von relativ kurzer Dauer war. Oft verblieb sie in der alten Organisation bis zu dem Moment der Spaltung. Die Spaltung war häufig identisch mit der Umwandlung der Fraktion in eine neue Partei (z.B. die bolschewistische Fraktion und der Spartakusbund, wie fast alle Linksfraktionen der alten Internationalen). Heute ist diese organische Kontinuität beinahe nicht mehr existent (…) Weil die Fraktion es nicht mit fundamental neuen Problemen zu tun hatte, wie jene, die sich durch unsere Periode der permanenten Krise und der Entwicklung zum Staatskapitalismus stellten, und nicht in tausend Stücke zerschmettert wurde, war sie fester in ihren erworbenen revolutionären Prinzipienverankert, als wenn sie neue Prinzipien hätte formulieren müssen; sie hatte mehr aufrechtzuerhalten als aufzubauen. Dank dessen und ihrer direkten organischen Kontinuität über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum war sie die neue Partei in der Reifung.
Auch wenn sie zum Teil die Aufgaben einer Fraktion hat – d.h. die Neu-Untersuchung der vergangenen Erfahrungen und die Formierung neuer Militanter –, muss (unsere Gruppe) auch eine Analyse der jüngst sich entfaltenden Situation und die neue Perspektive erstellen, hat aber dafür nicht das Programm der zukünftigen Partei neu zu formulieren. Sie ist lediglich ein Element der zukünftigen Partei. Aufgrund ihres organisatorischen Charakters kann ihre Funktion, programmatische Beiträge zu liefern, nur eine Teilfunktion sein.“
Heute, nach einer über 40jährigen Existenz, muss die IKS immer noch so vorgehen, wie als sie, 30 Jahre alt geworden, daran erinnerte: „Wir verdanken also die Fähigkeit der IKS, sich in den 30 Jahren ihrer Existenz stets ihrer Verantwortung gestellt zu haben, größtenteils den Beiträgen der italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken. Das Geheimnis hinter der positiven Bilanz, die wir aus den Aktivitäten in dieser Periode ziehen können, liegt in unserer richtig verstandenen Treue zu den Lehren der Fraktion und, allgemeiner, zu der Methode und dem Geist des Marxismus.“ („30 Jahre IKS: Von der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu bauen“, Internationale Revue, Nr. 37[13])
[1] Wiederveröffentlicht in Internationale Revue, Nr. 52 (https://de.internationalism.org/internationalerevue/internationalisme-nr... [15]).
[2] MEW, Bd. 8, 598.
[3] Es sollte angemerkt werden, dass laut eines Briefes von Marx an Engels, der kurz nach diesem Treffen abgeschickt wurde, Marx Eccarius‘ Einladung akzeptierte, weil Marx im Gegensatz zu den vorherigen Versuchen, Organisationen zu konstituieren, zu denen er eingeladen wurde, die er aber als künstlich empfand, diesmal die Bemühungen als ernsthaft betrachtete.
[4] In diesem und den folgenden Abschnitten fokussieren wir uns auf die Fraktionen in vier verschiedenen Parteien, nämlich jene in Russland, Holland, Deutschland und Italien, ohne die Parteien der beiden Hauptländer Großbritannien und Frankreich näher zu untersuchen. Im Grunde gab es in diesen beiden Parteien keine Linksfraktionen, die diesen Namen verdient hätten, hauptsächlich wegen der extremen Schwäche des marxistischen Denkens in ihnen. So kam zum Beispiel in Frankreich die erste organisierte Reaktion gegen den I. Weltkrieg nicht von einer Minderheit in der Sozialistischen Partei, sondern von einer Minderheit innerhalb der Gewerkschaft CGT, deren Kern sich um Rosmer und Monatte sammelte, die La Vie Ouvrière publizierten.
[5] „Ich habe unaufhörlich entgegen der Redaktionsleitung von De Tribune gesagt: Wir müssen alles Erdenkliche tun, um die anderen zu uns zu ziehen, doch wenn dies scheitert – nachdem wir bis zum Schluss gekämpft haben und alle Bemühungen gescheitert sind –, dann müssen wir nachgeben (mit anderen Worten: die Unterdrückung von De Tribune akzeptieren)“ (Brief von Gorter an Kautsky, 16. Februar 1909). „Unsere Stärke in der Partei kann wachsen; unsere Stärke außerhalb der Partei kann niemals wachsen.“ Intervention von Gorter auf dem Deventer Parteitag. (Siehe: „Die holländische Linke (1900–1914), Teil 2: „Die ‚tribunistische‘ Bewegung“, Internationale Revue, Nr. 47 [engl., franz., span. Ausgabe]).
[6] Unter den vielen Militanten, die von der Repression betroffen waren, können wir den Fall von Luxemburg zitieren, die einen Gutteil des Krieges im Gefängnis verbracht hat, den Fall von Liebknecht, der anfangs eingezogen und anschließend in Schutzhaft genommen wurde, nachdem er auf der 1. Mai-Demonstration 1916 den Krieg und die Regierung angeprangert hatte, und den Fall von Mehring, der als über 70-Jähriger ins Gefängnis gesteckt wurde.
[7] Die zwei anderen Positionen waren Trotzkis Position, der die Gewerkschaften in den Staat integrieren wollte, um sie (nach dem Modell der Roten Armee) zu Kontrollorganen über die ArbeiterInnen zu machen und so die Arbeitsdisziplin zu erhöhen, sowie Lenins Position, der im Gegensatz dazu meinte, dass die Gewerkschaften bei der Verteidigung der ArbeiterInnen gegen den Staat, der „starke bürokratische Verformungen“ enthalte, eine Rolle spielen müssen.
[8] Wegen der „Gefahr“, dass das Amsterdamer Büro einen Pol der Umgruppierung auf der Linken in der KI konstituieren könnte, verkündete das Exekutivkomitee der KI am 4. Mai 1920 per Radio die Auflösung des Büros.
[9] Zu jener Zeit war sich die holländische Linke und Pannekoek besonders klar darin, die von Otto Rühle entwickelte Sichtweise, die die Notwendigkeit für die Partei bestritt, zu bekämpfen. Die gleiche Position, die später von den Rätekommunisten und von… Pannekoek übernommen werden sollte.
[10] Den Delegierten gelang es, nach Russland zu kommen (zu einem Zeitpunkt, als der Bürgerkrieg und die Blockade es fast unmöglich machten, auf dem Landweg in das Land einzureisen), indem sie die Mannschaft eines Handelsschiffes dazu überredeten, zu meutern und das Schiff nach Murmansk umzulenken.
[11] In seiner letzten Schrift, am Vorabend seines Todes, zeigte Gorter, dass er seine eigenen Fehler begriffen hatte, und ermutigte seine Genossen, dasselbe zu tun: die Lehren aus diesen Irrtümern zu ziehen (siehe Die deutsch-holländische Linke, Ende des 5. Kap. 4.d; https://de.internationalism.org/Gorter/KAI [14]).
1. Bei der Erarbeitung einer Bilanz über unsere Analysen zur internationalen Lage, welche wir während der letzten 40 Jahren gemacht haben, lassen wir uns vom Kommunistischen Manifest von 1848 inspirieren, der ersten offenen Erklärung der marxistischen Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung. Die Errungenschaften des Kommunistischen Manifests sind bekannt: die Anwendung einer historisch-materialistischen Methode, welche den Übergangscharakter aller sozialen Gesellschaften, die bisher existiert haben, aufzeigt; die Anerkennung, dass der Kapitalismus, auch wenn er eine revolutionäre Rolle spielte, indem er den Weltmarkt vereinigte und die Produktivkräfte entwickelte, Widersprüche in sich birgt, welche sich in den wiederholten Überproduktionskrisen ausdrücken, ebenfalls nur eine Übergangsetappe in der Geschichte der Menschheit ist; die Anerkennung der Arbeiterklasse als Totengräber der bürgerlichen Produktionsweise; die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, ihre Kämpfe auf ein Niveau der politischen Machtergreifung hochzustemmen, um überhaupt die Grundlagen einer kommunistischen Gesellschaft zu legen; die entscheidende Rolle einer kommunistischen Minderheit als Ausdruck und zugleich aktiver Faktor in den Kämpfen der Arbeiterklasse.
2. Diese Erkenntnisse bilden nach wie vor die Grundlage des kommunistischen Programms von heute. Marx und Engels, die einer Methode treu waren, welche historisch und selbstkritisch war, zeigten die Fähigkeit, im Nachhinein einzusehen, dass gewisse Teile des Kommunistischen Manifests überholt waren oder durch die Erfahrung der Geschichte widerlegt worden waren. So folgerten sie nach den Ereignissen der Pariser Kommune 1871, dass die Machtergreifung durch die Arbeiterklasse die Zerstörung des existierenden bürgerlichen Staates erfordert, und nicht lediglich seine Eroberung. Schon lange zuvor stellten sie in den Debatten, die innerhalb der Liga der Kommunisten nach der Niederlage der Revolutionen von 1848 stattfanden, fest, dass sich das Kommunistische Manifest in der Annahme, der Kapitalismus befinde sich bereits in einer grundlegenden Sackgasse und es stünde nur eine kurze Übergangszeit von der bürgerlichen zu proletarischen Revolution bevor, getäuscht hatte. Gegen die hyper-aktivistische Tendenz um Willich und Schapper unterstrichen sie die Notwendigkeit, für die Revolutionäre, viel tiefer greifende Überlegungen über die Perspektiven der kapitalistischen Gesellschaft, welche sich noch im Aufstieg befand, anzustellen. Doch auch wenn sie diese Irrtümer anerkannten, so stellten sie die grundlegende Methode nicht in Frage – sie kamen vielmehr darauf zurück, um den programmatischen Errungenschaften der Bewegung eine noch solidere Grundlage zu geben.
3. Die Passion für den Kommunismus und der brennende Wunsch, das Ende der kapitalistischen Ausbeutung zu erleben, haben Kommunisten immer wieder dazu verführt, ähnliche Fehler zu begehen wie Marx und Engels 1848. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die gigantische revolutionäre Erhebung in den Jahren 1917–20, die dieser Krieg provozierte, wurden von den Kommunisten berechtigterweise als definitive Bestätigung für das Eintreten des Kapitalismus in eine neue Epoche gesehen – die Epoche seines Niedergangs und deshalb die Epoche der proletarischen Revolution. Die Weltrevolution wurde durch die Machtergreifung des Proletariats in Russland 1917 tatsächlich auch auf die Tagesordnung gesetzt. Doch die klarsten Teile der Kommunisten in der damaligen Zeit tendierten zu einer Unterschätzung der enormen Schwierigkeiten, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert war, denn das Selbstvertrauen und das moralische Rückgrat hatten durch den Verrat der alten Arbeiterorganisationen einen schweren Schlag erlitten. Es war ein Proletariat, erschöpft durch die jahrelangen imperialistischen Massaker, über dem immer noch der Schatten des Reformismus schwebte und das unter dem Einfluss des Opportunismus litt, der in den drei vorangegangenen Jahrzehnten in der Arbeiterbewegung um sich gegriffen hatte. Die Antwort der Führung der Kommunistischen Internationale auf diese Probleme war das Abgleiten in neue Formen des Opportunismus in der Hoffnung, einen Einfluss in den Massen zu gewinnen. So zum Beispiel mit der „Taktik“ der Einheitsfront mit zweifelsfreien Agenten der herrschenden Klasse, die in der Arbeiterbewegung aktiv waren. Dieser opportunistische Kurs brachte die gesunde Reaktion linker Strömungen innerhalb der Kommunistischen Internationale hervor, vor allem die Kommunistische Linke in Italien und Deutschland, doch auch sie waren mit der großen Schwierigkeit konfrontiert, die neuen historischen Bedingungen wirklich zu verstehen. In der Kommunistischen Linken in Deutschland waren die Tendenzen, welche die Theorie der „Todeskrise“ übernommen hatten, unfähig, den Beginn der Dekadenz des Kapitalismus zu erkennen. Da die Dekadenz sich als eine Periode der Krisen und Kriege manifestierte, verstanden diese Tendenzen die Dekadenz als eine Fahrt des Systems gegen die Mauer und sie sprachen ihm jegliche Möglichkeit der Erholung ab. Ein Ergebnis dieser Analyse waren abenteurerische Aktionen mit dem Ziel, die Arbeiterklasse zu einem tödlichen Schlag gegen den Kapitalismus zu provozieren; ein anderes Ergebnis war die Gründung der „Kommunistischen Arbeiter-Internationale“ als Eintagsfliege, gefolgt von einer „rätistischen“ Phase – ein um sich greifender Verzicht auf die Notwendigkeit einer Klassenpartei. Die Unfähigkeit des Großteils der Kommunistischen Linken in Deutschland, auf den Rückfluss der revolutionären Welle zu antworten, war entscheidend für das Auseinanderfallen der Mehrheit ihrer organisatorischen Ausdrücke.
4. Im Gegensatz zur Kommunistischen Linken in Deutschland war die Kommunistische Linke in Italien fähig, die tiefgreifende Niederlage der Arbeiterklasse auf Weltebene Ende der 1920er Jahre zu erkennen und theoretische und organisatorische Antworten für die neue Phase im Klassenkampf zu erarbeiten. Dies beinhaltete das Konzept eines Wechsels im historischen Kurs, die Bildung einer Fraktion und die Notwendigkeit, eine „Bilanz“ der weltrevolutionären Welle und der programmatischen Positionen der Kommunistischen Internationale zu ziehen. Diese Klarheit erlaubte es der italienischen Fraktion, entscheidende programmatischen Schritte zu vollziehen, während sie gleichzeitig die internationalistischen Positionen zu verteidigen hatte, während rund um sie herum alle dem Antifaschismus in die Arme fielen und damit den Weg zum Krieg beschritten. Doch auch die Fraktion war nicht gegen theoretische Krisen und Rückschritte gefeit: 1938 wurde die Zeitschrift BILAN in OCTOBRE umbenannt, dies in der Erwartung einer neuen revolutionären Welle, welche sich aus dem sich abzeichnenden Krieg und einer „Krise der Kriegswirtschaft“, die darauf folgen würde, ergeben würde. In der Nachkriegszeit erlag die Kommunistische Linke in Frankreich – welche aufgrund einer Krise der Fraktion während des Krieges und gegen die übereiligen Haltung, welche 1943 zur Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei geführt hatte, entstanden war und die Fähigkeit zeigte, in einer sehr arbeitsamen Zeit zwischen 1946 und 1952 eine Synthese der wichtigsten Beiträge der Italienischen und Deutschen Kommunistischen Linken zu bilden sowie ein besseres Verständnis der Anpassung des Kapitalismus durch totalitäre und staatliche Formen zu entwickeln – aufgrund eines falschen Verständnisses der Nachkriegsperiode und der Erwartung eines bald ausbrechenden dritten Weltkrieges einer Auflösung.
5. Trotz gravierender Irrtümer bleibt die grundsätzlich eingeschlagene Gangart von BILAN und der Kommunistischen Linken in Frankreich gültig, und sie bildete das Fundament für die Gründung der IKS zu Beginn der 1970er Jahre. Die IKS formierte sich auf der Basis einer Gesamtheit von zentralen Errungenschaften der Kommunistischen Linken. Dies nicht nur auf der Grundlage von Klassenpositionen im Widerstand gegen die nationalen Befreiungskämpfe und alle Kriege im Kapitalismus, der radikalen Kritik an den Gewerkschaften und dem Parlamentarismus, der Entlarvung der kapitalistischen Natur der sog. „Arbeiterparteien“ oder „sozialistischen“ Länder, sondern auch:
– des organisatorischen Erbes, das von BILAN und der Kommunistischen Linken in Frankreich entwickelt worden war. Vor allem auf ihrer Unterscheidung zwischen Fraktion und Partei und der Kritik an rätistischen und substitutionistischen Auffassungen der Rolle der Organisation und zusätzlich der Anerkennung der Fragen der Funktionsweise und des militanten Verhaltens als eigenständige politische Themen;
– einer Gesamtheit von politischen Elementen, die der neuen Organisation eine klare Perspektive für die Epoche, vor der sie steht, geben. Hier vor allem die Frage des historischen Kurses und die Analyse über das globale Kräfteverhältnis zwischen den Klassen; das Konzept der Dekadenz des Kapitalismus und der ökonomischen Widersprüche des Systems, die sich vertiefen; die Tendenz hin zum Krieg und die Frage der Bildung neuer imperialistischer Blöcke; die entscheidende Rolle des Staatskapitalismus bei der Aufrechterhaltung eines Systems trotz seiner historischen Überlebtheit.
6. Die Frage der Fähigkeit der IKS, das organisatorische Erbe der Kommunistischen Linken aufzunehmen und weiterzuentwickeln, ist in anderen Berichten für den 21. Kongress behandelt. Diese Resolution konzentriert sich auf diejenigen Elemente, welche die Analyse über die internationale Lage seit unserer Gründung leiteten. Hier ist es klar, dass die IKS nicht nur von der Vergangenheit geerbt hat, sondern auch fähig war, verschiedenste Aspekte weiterzuentwickeln:
– Ausgerüstet mit dem Konzept des historischen Kurses war die IKS fähig zu erkennen, dass die Ereignisse im Mai–Juni 1968 in Frankreich und die internationale Welle von Kämpfen, die darauf folgte, das Ende der konterrevolutionären Periode ankündigten und einen neuen Kurs hin zu massiven Klassenkonfrontationen eröffneten. Wir waren ebenfalls fähig, eine Analyse über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und die tatsächlichen Fortschritte und Rückschläge der Klassenbewegung in einem globalen und historischen Rahmen weiterzuentwickeln. Dabei vermieden wir es, lediglich empirisch auf jede Episode des internationalen Klassenkampfes zu antworten.
– Abgestützt auf die Theorie der Dekadenz des Kapitalismus verstanden die Gruppen, welche sich zusammenschlossen, um die IKS zu gründen – im Gegensatz zur Theorie der Situationisten – , dass diese Kampfwelle nicht durch die Langweile der Konsumgesellschaft provoziert worden war, sondern durch das Wiederaufbrechen der offenen Krise des Kapitalismus. In all den Jahren ihrer Existenz hat die IKS den Verlauf der ökonomischen Krise verfolgt und ihre permanente Verschärfung unterstrichen.
– Im Verständnis, dass das Wiederauftauchen der ökonomischen Krise die Weltmächte dazu treiben kann, in einen Konflikt zu geraten und einen neuen Weltkrieg vorzubereiten, ist die IKS immer von der Notwendigkeit ausgegangen, ihre Analyse über das Kräfteverhältnis zwischen den imperialistischen Blöcken und zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse weiterzutreiben, denn ein Widerstand gegen die ökonomische Krise bildet auch eine Barriere gegen die Möglichkeiten des Systems, einen neuen generalisierten kriegerischen Holocaust zu entfachen.
– Dank ihrem Konzept des Staatskapitalismus war die IKS in der Lage, eine kohärente Erklärung des Wesens der langandauernden Krise zu liefern, die Ende der 1960er Jahre ausgebrochen war und die Bourgeoisie dazu nötigte, verschiedenste Mechanismen in Gang zu setzten (Verstaatlichungen, Privatisierungen, massive Kreditvergaben usw.), um das Wertgesetz zu manipulieren und damit die explosivsten Auswirkungen hinauszuschieben oder zu bremsen. Aus demselben Grund war die IKS fähig zu erkennen, an welchem Punkt die Bourgeoisie in der Phase der Dekadenz ihren Staat einsetzt, um alle möglichen Manöver (auf der Ebene der Wahlen, mit gewerkschaftlichen Aktionen, ideologischen Kampagnen usw.) zu vollziehen, um Verwirrung in den Klassenkampf zu streuen und die Entwicklung des Bewusstsein zu verhindern. Derselbe theoretische Rahmen hat es der IKS erlaubt, die Hintergründe der Krise der sog. „sozialistischen Länder“ und des Zusammenbruchs des russischen Blocks 1989 aufzuzeigen.
– Dank ihrem Konzept des historischen Kurses, ihren Analysen der Entwicklung der imperialistischen Konflikte und des Klassenkampfes war die IKS die einzige proletarische Organisation, welche verstand, dass der Zusammenbruch des alten Blocksystems Produkt einer historischen Blockade zwischen den Klassen war, und dass dieser Zusammenbruch den Eintritt des Kapitalismus in eine neue, finale Phase der Dekadenz einleitete – die Phase des Zerfalls –, welche wiederum neue Schwierigkeiten für das Proletariat und neue Gefahren für die Menschheit mit sich bringt.
7. Nebst der Fähigkeit, sich die Errungenschaften der Arbeiterbewegung anzueignen und diese weiter zu entwickeln, ist die IKS wie alle anderen revolutionären Organisationen der Vergangenheit dem mannigfaltigen Druck, den die soziale Ordnung hervorbringt, ausgesetzt, so auch den ideologischen Formen, die dieser Druck beinhaltet – vor allem dem Opportunismus, dem Zentrismus und dem Vulgärmaterialismus. Vor allem in den Analysen über die internationale Situation verfiel die IKS immer wieder der Ungeduld, der politischen Kurzsichtigkeit und Ausdrücken des mechanistischen Materialismus, was wir bei Organisationen der Vergangenheit schon beobachtet hatten. Diese Schwächen haben sich wegen der Bedingungen, in der unsere Organisation gegründet wurde, in der Geschichte der IKS verstärkt, denn wir litten unter dem historischen Bruch mit den Organisationen der Vergangenheit, unter dem Einfluss der stalinistischen Konterrevolution, welche eine entstellte Vision des proletarischen Kampfes und der proletarischen Moral verkörperte, sowie unter dem starken Einfluss der kleinbürgerlichen Revolte der 1960er Jahre. Das Kleinbürgertum als Klasse ohne Zukunft war per Definition die Verkörperung der politischen Kurzsichtigkeit. Diese Tendenzen haben sich in der Periode des Zerfalls nur noch verstärkt, was ein aktiver Faktor beim Verlust einer Zukunftsperspektive spielt.
8. Von Beginn weg hat sich die Gefahr der politischen Kurzsichtigkeit in den Arbeiten der IKS über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen manifestiert. Die Periode nach 1968 wurde korrekt als Ende der Konterrevolution eingeschätzt, doch beinhaltete die Charakterisierung des neuen historischen Kurses als „Kurs hin zur Revolution“ eine lineare und schnelle Ausbreitung der unmittelbaren Kämpfe bis hin zur Überwindung des Kapitalismus. Doch selbst, als die IKS diese Formulierung korrigiert hatte, blieb sie auf einer Vision haften, die davon ausging, dass die Kämpfe, die sich zwischen 1978 und 1989 abspielten, trotz aller zeitweiligen Rückschläge eine fast ununterbrochene Offensive der Arbeiterklasse darstellen würden. Die immensen Schwierigkeiten der Klasse, von einer defensiven Bewegung zur Politisierung ihrer Kämpfe und zur Entwicklung einer revolutionären Perspektive zu schreiten, wurden nicht ausreichend betrachtet und analysiert. Auch wenn die IKS fähig war, den Beginn des Zerfalls und die Tatsache, dass der Zusammenbruch der Blöcke einen beträchtlichen Rückschritt des Klassenkampfes zur Folge hatte, zu erkennen, so waren wir dennoch immer sehr stark von der Hoffnung besetzt, die Vertiefung der ökonomischen Krise würde wieder zu „Wellen“ des Kampfes führen wie in den 1970er und 80er Jahren. Auch wenn wir richtig festgestellt hatten, dass es 2003 eine Wende im Rückfluss gab, so haben wir die enormen Schwierigkeiten, mit denen die junge Generation der Arbeiterklasse konfrontiert ist, um überhaupt eine klare Perspektive für ihre Kämpfe zu entwickeln, meist unterschätzt – ein Faktor, der schlussendlich sowohl die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit als auch ihre politisierten Minderheiten betrifft. Die Fehler in der Analyse haben auch gewisse falsche, ja sogar opportunistische Richtungen in der Intervention in den Klassenkämpfen und beim Aufbau der Organisation genährt.
9. Auch wenn die Theorie des Zerfalls (welche im Wesentlichen der letzte Beitrag des Genossen MC war) ein unabdingbarer Kompass zum Verständnis der aktuellen Periode ist, so hat sich die IKS oft schwer getan, alle Konsequenzen davon zu verstehen. Im Besonderen war dies der Fall, als wir die Schwierigkeiten der Arbeiterklasse in den 1990er Jahren erkennen und erklären mussten. Wir waren zwar fähig zu verstehen, wie die Bourgeoisie die Auswirkungen des Zerfalls nutzte, um enorme ideologische Kampagnen gegen die Arbeiterklasse vom Stapel zu lassen – im Besonderen die Aussaat der Lügen über den „Tod des Kommunismus“ nach dem Zusammenbruch des Ostblocks –, wir haben aber nicht genügend tief untersucht, wie weit der Prozess des Zerfalls dazu tendierte, das Selbstvertrauen und die Solidarität der Arbeiterklasse zu untergraben. Zudem hatten wir Schwierigkeiten, den Einfluss der Auflösung der alten Arbeiterkonzentrationen in gewissen zentralen Ländern des Kapitalismus und die Auslagerungen in zuvor „unterentwickelte Länder“ auf die Klassenidentität zu erkennen. Auch wenn wir über ein Verständnis darüber verfügten, wie entscheidend die Politisierung der Kämpfe der Arbeiterklasse ist, um dem Zerfall entgegenzutreten, so begriffen wir erst sehr spät, dass für die Arbeiterklasse die Wiedererlangung einer Klassenidentität und die Entwicklung einer politischen Perspektive eine entscheidende moralische und kulturelle Dimension beinhaltet.
10. Die Schwierigkeiten der IKS haben sich sicher am vehementesten auf der Ebene des Verständnisses der ökonomischen Krise gezeigt. Dies vor allem:
– Auf der allgemeinen Ebene durch eine Tendenz, einer verdinglichten Vision der kapitalistischen Ökonomie zu verfallen, als wäre diese eine Maschine, die lediglich durch objektive Gesetze gesteuert ist, und dabei auszublenden, dass der Kapitalismus zuallererst und vor allem ein soziales Verhältnis ist, wo die Anstrengungen der Menschen – in Form von sozialen Klassen – niemals komplett aus einer Analyse über den Gang der ökonomischen Krise ausgeschlossen werden dürfen. Dies trifft vor allem in der Epoche des Staatskapitalismus zu, in der die herrschende Klasse permanent gezwungen ist, in die Wirtschaft einzugreifen, und sich selbst den „immanenten“ Gesetzten entgegenstemmen muss, wobei sie gleichzeitig die Gefahr des Klassenkampfes als Element ihrer ökonomischen Politik mit einzuberechnen hat.
– Durch ein eingeschränktes Verständnis der ökonomischen Theorie von Rosa Luxemburg, das aus der falschen Übertreibung herrührt, der Kapitalismus habe schon all seine Expansionsmöglichkeiten seit 1914 verloren (oder spätestens seit den 1960er Jahren). In Wirklichkeit hatte Rosa Luxemburg, als sie 1913 ihre Theorie entwickelte, eingeräumt, dass es noch sehr große außerkapitalistische Zonen gibt, welche noch ausgebeutet werden können, auch wenn gleichzeitig die Möglichkeit schwindet, dass dies ohne direkte Konflikte zwischen den imperialistischen Staaten über die Bühne gehen kann.
– Die Anerkennung der realen Tatsache, dass der Kapitalismus mit dem Schwinden dieser Expansionsmöglichkeiten immer mehr dazu genötigt ist, auf die Mittel der Verschuldung zurückzugreifen, wurde manchmal zu einer Art Allerweltserklärung, welche die dahinterliegende Frage der Rolle des Kredits in der Akkumulation ausblendete. Oder noch schlimmer, die Organisation sagte wiederholt voraus, dass die Grenzen des Kredits bereits erreicht seien.
– All diese Aspekte waren Teil einer Sichtweise des automatischen Zusammenbruchs des Kapitalismus, welche zur Zeit der „Kreditkrise“ von 2008 überhandnahm. Verschiedene interne Berichte und Artikel in unserer Presse vertraten den Standpunkt, der Kapitalismus sei am Ende seiner Möglichkeiten angelangt und steuere auf eine ökonomische Blockade, ja einen brutalen Zusammenbruch zu. In Wahrheit liegt, wie es Rosa Luxemburg schon formuliert hatte, die wirkliche Katastrophe des Kapitalismus darin, die Menschheit in einen Niedergang, eine Agonie über lange Zeit zu führen, welche die Gesellschaft in einer zunehmenden Barbarei versinken lässt. Das „Ende“ des Kapitalismus ist nicht eine rein ökonomische Krise, es drückt sich vielmehr auf der Ebene des Militarismus und des Krieges aus, es sei denn, dieses Ende werde bewusst durch eine proletarische Revolution gesetzt (zusätzlich zu den Voraussagen von Rosa Luxemburg haben wir heute auch noch eine ökologische Zerstörung zu befürchten, welche selbst wieder die Tendenz hin zum Krieg beschleunigt). Die Idee eines plötzlichen und totalen Zusammenbruchs schlug auch unsere eigenen Analysen über die Fähigkeiten der herrschenden Klasse in den Wind, im Rahmen des Staatskapitalismus das System mit allen möglichen politischen und finanziellen Manipulationen hinauszuzögern.
– Das Bestreiten jeglicher Expansionsmöglichkeiten des Kapitalismus in der Phase der Dekadenz in einigen zentralen Texten der IKS hat es der Organisation sehr schwer gemacht, den Aufstieg Chinas oder anderer „neuer Ökonomien“ in der Zeit nach dem Zusammenbruch der alten Blockkonstellation zu erklären. Auch wenn diese Entwicklungen, wie viele behauptet haben, die Dekadenz des Kapitalismus nicht in Frage stellen, sondern selber ein Ausdruck davon sind, so stellen sie dennoch die Position in Frage, nach der es in der Periode der Dekadenz keine industrielle Entwicklung in Regionen der „Peripherie“ geben könne. Selbst wenn wir fähig waren, einige der simpelsten Mythen über die „Globalisierung“ in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Blöcke zu widerlegen (Mythen, die sowohl von der bürgerlichen Rechten gestreut wurden, welche ein neues glorreiches Kapitel im Aufstieg des Kapitalismus sah, als auch von der bürgerliche Linken, die sich ihrer zur Wiederbelebung ihrer alten nationalistischen und staatlichen Lösungen bediente), so waren wir dennoch nicht fähig, den Kern der Wahrheit in der Globalisierungs-Mythologie zu erkennen: die Tatsache, dass das Ende des alten autarken Modells neue kapitalistische Investitionssphären eröffnete, einschließlich die Ausbeutung einer neuen enormen Quelle von Arbeitskräften, die nicht in direkt kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen aufgezogen worden waren.
– Diese Fehler in der Analyse sind mit der Tatsache verbunden, dass die Organisation große Schwierigkeiten hatte, ihr Verständnis über die Frage der Ökonomie in einer assoziierten Weise zu entwickeln. Eine Tendenz, die Fragen der Ökonomie einer Sphäre von „Experten“ zuzuordnen, zeigte sich in der Debatte über die „30 Glorreichen Jahre“, welche wir im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts in der Organisation führten. Auch wenn die IKS ein Bedürfnis hatte zu verstehen und zu erklären, weshalb sie die Idee zurückwies, nach welcher der Wiederaufbau von durch den Krieg zerstörten Ökonomien alleine eine Erklärung für das Überleben des Systems in seiner Dekadenz ist, war diese Debatte in Wirklichkeit ein misslungener Versuch, das wirkliche Problem anzugehen. Diese Debatte ist innerhalb wie außerhalb der Organisation nicht wirklich verstanden worden und hat uns theoretisch orientierungslos zurück gelassen. Diese Frage muss wieder in den Rahmen der gesamten Epoche der Dekadenz gestellt werden und sollte die Frage der Kriegsökonomie und die Bedeutung der Irrationalität des Krieges in der Dekadenz klären.
11. Bei den imperialistischen Spannungen hat die IKS im Allgemeinen eine solide Analyse erstellt, welche die verschiedenen Phasen in der Konfrontation der Blöcke in den 1970er und 80er Jahren aufzeigte. Auch wenn wir etwas „überrascht“ waren vom plötzlichen Zusammenbruch des Ostblocks und der UdSSR nach 1989, so hatten wir bereits die theoretische Handhabe entwickelt, um die inneren Schwächen der stalinistischen Regime zu analysieren. Durch die Verknüpfung dieser Situation mit der Frage des Militarismus und mit dem Konzept des Zerfalls, das die IKS in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zu entwickeln begonnen hatte, war die IKS die erste Organisation im proletarischen Milieu, die den Zusammenbruch des Blocksystems, den Niedergang der Hegemonie der USA und die schnelle Entwicklung des „Jeder gegen Jeden“ auf imperialistischer Ebene voraussehen konnte. Im Bewusstsein, dass die Tendenz hin zur Formierung von Blöcken nach 1989 nicht verschwunden war, zeigten wir die Schwierigkeiten auf, mit denen selbst der wahrscheinlichste Hauptkandidat, das wiedervereinigte Deutschland, für die Führungsrolle eines Blocks gegen die USA konfrontiert ist: die Schwierigkeit, je wieder seine imperialistischen Ambitionen voll ausleben zu können. Wir hatten aber größere Schwierigkeiten dabei, die Fähigkeit Russlands vorauszusehen, sich als Akteur auf der imperialistischen Bühne wieder aufzurichten. Auch den Aufstieg von China, als neuer bedeutender Akteur in den Rivalitäten der Großmächte, welche sich in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten abspielten, haben wir viel zu spät erkannt, eine Schwäche die direkt mit unserem Problem verbunden ist, den ökonomischen Aufstieg Chinas zu begreifen.
12. Das Vorhandensein all der Schwächen soll keineswegs Anlass für eine Demoralisierung, sondern vielmehr Ansporn zur Entfaltung eines theoretischen Programms sein, welches die IKS befähigt, all die Aspekte der aktuellen Weltlage besser zu verstehen. Der Beginn einer kritischen Bilanz unserer letzten 40 Jahre, welche die Berichten für den Kongress unternommen haben, die Versuche, zu den Wurzeln unserer Methode bei der Analyse des Klassenkampfes und der ökonomischen Krise vorzudringen, die Neudefinierung unserer Rolle als Organisation in der Periode des Zerfalls des Kapitalismus – das sind Zeichen einer kulturellen Wiedergeburt in der IKS. In der kommenden Phase muss die IKS auch auf grundlegende theoretische Fragen über das Wesen des Imperialismus und über die Dekadenz zurückkommen, um einen solideren Rahmen für unsere Analysen über die internationale Lage zu schaffen.
13. Der erste Schritt in der kritischen Bilanz über unsere Analysen der internationalen Situation in den letzten 40 Jahren ist die Anerkennung unserer Fehler und der Beginn der vertieften Suche nach ihren Ursachen. Es wäre verfrüht zu versuchen, schon alle Konsequenzen für die Analyse der heutigen Weltlage und ihre Perspektive abzustecken. Dennoch können wir sagen, dass trotz unserer Schwächen das Fundament unserer Perspektiven gültig bleibt:
– Auf der Ebene der Wirtschaft gibt es genug Gründe zu erwarten, dass sich die Krise weiter vertieft, und auch wenn es keine finale Apokalypse gibt, so wird es Phasen geben, welche das System tief erschüttern, und ebenso ein Anhalten der Prekarisierung und epidemischen Arbeitslosigkeit, die schon heute schwer auf der Arbeiterklasse lasten.
– Wir dürfen auch die Elastizität dieses Systems und die Entschlossenheit der herrschenden Klasse, es trotz seiner historischen Überlebtheit auf den Beinen zu halten, nicht unterschätzen. Doch wie wir immer hervorgehoben haben, tragen die Mittel, welche das Kapital gegen seine letalen Krankheiten einsetzt und die kurzfristig eine Erholung bringen, auf lange Frist nur zur Verschärfung der Situation bei.
– Auf der Ebene der imperialistischen Spannungen kann man heute eine deutliche Verschärfung des militärischen Chaos feststellen, vor allem in der Ukraine, dem Nahen und Mittleren Osten, in Afrika und in der Region des Chinesischen Meers, was auch die erhöhte Gefahr von „Gegenschlägen“ in den zentralen Ländern beinhaltet (wie die Massaker in Paris und Kopenhagen vor kurzem). Die Bühne der imperialistischen Konflikte vergrößert sich und die Allianzen, die sich formieren, ebenfalls, wie wir es im Fall des Konfliktes zwischen Russland und dem „Westen“ bezüglich der Ukraine oder der verstärkten Kooperation zwischen Russland und China in den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten und anderswo sehen. Doch diese Allianzen bleiben sehr beschränkt und beinhalten nicht die Bedingungen für stabile Blöcke. Die Hauptgefahr, mit der die Menschheit heute konfrontiert ist, ist nicht mehr die eines großen klassischen Weltkriegs, sondern die einer Ausbreitung der regionalen Konflikte und einer unkontrollierbaren Spirale der Zerstörung.
Die Vorboten dieser Spirale sind schon spürbar, und sie haben sehr negative Auswirkungen auf die Arbeiterklasse. Wenn die Arbeiter in den „peripheren“ Ländern sich direkt in die aktuellen Konflikte mobilisieren lassen oder sich darin massakrieren und die Arbeiter in den zentralen Ländern unfähig sind, sich gegen die zunehmende Barbarei zu wehren, dann verstärkt dies lediglich die Tendenz hin zur Atomisierung und Hoffnungslosigkeit. Doch trotz der reellen Gefahren, welche die steigende Flut des Zerfalls in sich trägt, ist das Potential der Arbeiterklasse, auf diese in der Geschichte der Menschheit noch nie gesehene Krise zu antworten, nicht erschöpft, wie uns die Bewegung der Studenten 2006 in Frankreich oder die sozialen Revolten von 2011 zeigten, in denen die Arbeiterklasse, auch wenn sie sich nicht als Klasse erkannt hat, deutliche Zeichen ihrer Fähigkeit gezeigt hat, sich über alle Spaltungen hinweg in den Straßen und Vollversammlungen zu vereinigen. Vor allem die jungen Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich in diesen Bewegungen engagiert haben, haben durch die Art und Weise, wie sie begonnen haben, der Brutalität der gesellschaftlichen Verhältnisse entgegenzutreten und die Frage einer neuen Gesellschaft zu stellen, erste scheue Schritte hin zur Bekräftigung der Tatsache gemacht, dass der Klassenkampf nicht nur ein ökonomischer Kampf ist, sondern ein politischer Kampf, dessen Ziel das bleibt, was schon das Kommunistische Manifest von 1848 so kühn hervorhob: die Errichtung der Diktatur des Proletariats und der Beginn einer neuen menschlichen Kultur.
Links
[1] https://de.internationalism.org/files/de/internationale_revue_nr._53.pdf
[2] https://de.internationalism.org/grenzen_des_wachstums_asien
[3] https://en.internationalism.org/ir/065/marc-01
[4] https://en.internationalism.org/ir/066/marc-02
[5] https://de.internationalism.org/Zerfall/13
[6] https://de.internationalism.org/doku
[7] https://de.internationalism.org/ir/22_parasitismus
[8] https://de.internationalism.org/tag/5/1288/perspektiven
[9] https://de.internationalism.org/tag/5/1289/aktivitaeten
[10] https://de.internationalism.org/frank06
[11] https://de.internationalism.org/tag/5/1286/historischer-kurs
[12] https://de.internationalism.org/tag/5/1287/klassenkampf
[13] https://de.internationalism.org/tag/2/37/die-revolution-re-welle-1917-1923
[14] https://de.internationalism.org/Gorter/KAI
[15] https://de.internationalism.org/internationalerevue/internationalisme-nr-38-oktober-1948-ueber-das-wesen-und-die-funktio
[16] https://en.internationalism.org/internationalreview/201211/5366/italian-fraction-and-french-communist-left
[17] https://de.internationalism.org/30Jhr/37
[18] https://de.internationalism.org/tag/6/1283/fraktion
[19] https://de.internationalism.org/tag/6/1284/fraktionsaehnlich
[20] https://de.internationalism.org/tag/6/1285/iks
[21] https://de.internationalism.org/tag/3/48/partei-und-fraktion
[22] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/internationale-situation
[23] https://de.internationalism.org/tag/6/1281/21-kongress
[24] https://de.internationalism.org/tag/6/1282/resolution