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Dezember 2018

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In Nicaragua herrscht Staatsterror – das Chaos verbreitet sich in der Region

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Am 8. September mobilisierte das sandinistische Regime von Daniel Ortega seine Anhänger, um den "Siegreichen September" zu feiern, weil es seiner Meinung nach einen "Putschversuch" verhindern konnte. Dieser Sieg des Regimes hat schreckliche Folgen hinterlassen: etwa 450 Tote,[1] Dutzende von Vermissten, Tausende von Verwundeten, Hunderte von Gefangenen und der Exodus von Tausenden von Nicaraguanern. Dies war die Bilanz von fünf Monaten Protesten gegen arbeiterfeindliche Maßnahmen und heftige Repressionen, ähnlich oder schlimmer als die unter der Somoza-Diktatur.[2]

Diese Todesfälle sind nicht nur auf das Ortega-Regime und seine Anhänger zurückzuführen, welche die Drecksarbeit der Verfolgung, Drangsalierung und Inhaftierung der Bevölkerung, vor allem der Jugendlichen, verrichtet haben. Sie sind auch den Geistlichen und den privaten Kapitalisten (ehemalige Verbündete des Regimes) sowie den politischen Kräften der Opposition zuzuschreiben, die sich in der „Bürgerallianz für Gerechtigkeit und Demokratie“ zusammengeschlossen haben, welche die Bewegung erdrosselten und eindämmten, indem sie einen "Nationalen Dialog" mit der Regierung propagierten, während diese sich für ihre blutige Strategie der Unterdrückung rüstete. Ebenso trägt die so genannte internationale Gemeinschaft ihren Teil der Verantwortung, da sie die verschiedenen bürgerlichen Gruppen im Konflikt innerhalb der nicaraguanischen Hauptstadt unterstützt: auf der einen Seite jene, welche wie die UNO, die OAS, die EU, die Lima-Gruppe, die Vereinigten Staaten die Illusionen von demokratischen und wahltaktischen Lösungen für die politische Krise geschürt haben (und weiterhin schüren); auf der anderen Seite Staaten wie Russland, China, Kuba, Bolivien und andere Länder, die sich zu "Feinden des Yankee-Imperialismus" erklären und ihre Unterstützung für den Sandinismus verbergen[3], indem sie behaupten, dass die Situation in Nicaragua eine "innenpolitische" Angelegenheit sei.

Die Lage der nicaraguanischen Bevölkerung ist dramatisch; sie ist geprägt von den Vereinbarungen, die zwischen den bürgerlich-sandinistischen Bürokraten, die den Staat kontrollieren, und den privaten Kapitalisten möglich sind. Heute, unter dem Terror des Staates, hat das sandinistische Regime die Möglichkeit, die arbeiterfeindlichen Maßnahmen durchzusetzen, die es im April letzten Jahres zu ergreifen versuchte. Angesichts dieser Barbarei besteht die einzige Möglichkeit für das nicaraguanische Proletariat darin, auf seinem eigenen Klassenterrain zu kämpfen, alle Fraktionen des Kapitals an der Regierungsmacht und in der Opposition zu bekämpfen und ein Bezugspunkt für die ausgebeutete Bevölkerung zu werden. Andernfalls werden Staatsterror und Massenemigration die Folge sein, eine Situation, die derjenigen ähnelt, die derzeit in Ländern wie Venezuela, Syrien oder mehreren afrikanischen Ländern herrscht.

Anti-Regierungs-Mobilisierungen, die vom Klerus und privaten Kapitalisten zurückgeholt wurden

Die Demonstrationen begannen am 18. April 2018 mit der Bekanntgabe einer Verordnung zur Änderung des Sozialversicherungsgesetzes, die am 19. April in Kraft getreten ist und welche die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber erhöht sowie die Renten kürzt. In einem auf unserer Website veröffentlichten Artikel haben wir die Ereignisse beschrieben und analysiert.[4] Wir haben beschrieben, wie der Privatunternehmer-Verband (COSEP) zu Beginn der Proteste eine Erklärung abgegeben hat, in der er die Reform als "zusätzliche Steuer" bezeichnet und garantiert, dass diese Maßnahme zu höherer Arbeitslosigkeit und niedrigeren Löhnen führen würde ...

Die Empörung über die Angriffe der Repressionskräfte und der sandinistischen Anhänger gegen Student_innen und Rentner_innen führte zu einer weit verbreiteten Unzufriedenheit unter der ausgebeuteten und prekär beschäftigten Bevölkerung, die spontan reagierte, indem sie auf die Straße ging. In dem oben genannten Artikel haben wir angeprangert, wie das private Kapital und die Kirche sich vereinten, um die Mobilisierung zu kontrollieren und abzuwürgen: Am 21. April rief die COSEP zu einer Demonstration am 23. April auf. Es sei daran erinnert, dass Ortega am 22. die Aufhebung des Dekrets ankündigte, um die soziale Unzufriedenheit zu dämpfen, aber dies hinderte den von den Geschäftsleuten geforderten Marsch nicht daran, Zehntausende von Menschen zusammenzubringen ... Die katholische Kirche mit ihrem großen Einfluss spielte eine noch aktivere Rolle bei der "Kritik" an der Regierung. Sie rief zu einer Demonstration am 29. April auf, welche die größte war und bei der die Forderungen gegen die Angriffe auf die Renten verdrängt wurden zugunsten der Forderungen nach "nationaler Versöhnung", "Demokratisierung", "Dialog" usw.

Dass die "Kritiker" vom Schlage der COSEP und der katholischen Kirche auf die Bühne traten, bedeutete keine Stärkung der Bewegung, sondern ein Streich, um ihr ein Ende zu bereiten. Was Ortega und seine bewaffneten Banden mit ihrer blutigen Unterdrückung nicht schafften, erreichten die COSEP und insbesondere die katholische Kirche mit ihren Forderungen nach "Befriedung". Man kann sagen, dass das Kapital "beide Hände" benutzte, um den Protest zu brechen: Die eine war die mörderische Hand der FSLN,[5] die andere die "helfende Hand" der Kirche.

Der Artikel zeigte auch die Schwächen des nicaraguanischen Proletariats auf, das sich von den bürgerlichen Fraktionen in ihre Kämpfe zwischen offiziellen und oppositionellen Fraktionen und für nationalistische Vorschläge dieser Fraktionen sowie des Kleinbürgertums einspannen ließ.

Die Situation in Nicaragua ist ein Beispiel in der Region, neben Venezuela, für die Unfähigkeit der herrschenden Klasse, ein Minimum an Einheit für eine Regierung zu finden, und für die Unfähigkeit der Arbeiterklasse, als Bezugspunkt für die ausgebeuteten Massen zu dienen, um der Barbarei des zerfallenden Kapitalismus zu entkommen.

Die sich verschärfende Wirtschaftskrise als Hintergrund

2013 baute die sandinistische Regierung das Rentensystem als Reaktion auf die sich verschärfende Wirtschaftskrise in Nicaragua um. Das Ortega-Regime profitierte ab 2008 nicht mehr von der Wirtschaftshilfe des Chavez-Regimes, die der schwachen Wirtschaft des Landes durch die Eingliederung Nicaraguas in die ALBA-Länder eine Atempause verschaffte[6], ein Bündnis von Ländern, das auf Initiative Kubas und Venezuelas gegründet worden war mit dem Zweck, der Amerikanischen Freihandelszone[7] etwas entgegen zu stellen. Aufgrund verschiedener Vereinbarungen lieferte das Chavez-Regime nicht nur subventioniertes Öl, sondern steuerte auch mehr als 4 Milliarden Dollar zum sandinistischen Regime bei. Nach Schätzungen wurde ein Drittel dieser Mittel zur Finanzierung von Sozialprogrammen eingesetzt, die dem FSLN zur soziale Kontrolle zur Verfügung standen und damit das sandinistische Regime stützten.

Ab 2014, nach dem Tod von Hugo Chávez und dem Rückgang der Rohölpreise, begannen die Handelsbeziehungen mit Venezuela zurückzugehen, was die Exporte mit diesem Land im ersten Quartal dieses Jahres auf Null reduzierte. Bis Ende 2016 betrug die Verschuldung des Unternehmens ALBANISA, das mit 51% venezolanischem Kapital gegründet worden war, 3 Milliarden Dollar oder 24% des BIP. Die Handelsbeziehungen wurden durch die Maßnahmen der Trump-Administration gegen die PDVSA, eine staatliche Ölgesellschaft, die Chávez und Maduro erstmals zur Finanzierung der imperialistischen Projekte Venezuelas in der Region verwendeten, stark beeinträchtigt. Heute wird der größte Teil des Öls aus den Vereinigten Staaten und zu internationalen Marktpreisen importiert, und nicht mehr zu den Vorzugspreisen, die das sandinistische Regime bei der "Bolivarischen Revolution" fand, als es 50% des effektiven Preises bezahlte.

Die Reform des Rentensystems, die das Regime unter dem Druck der Proteste annullierte, war eine der Möglichkeiten, mit den Staatsausgaben und der Rückzahlung von Auslandsschulden umzugehen. Sozialprogramme können nicht mehr aufrechterhalten werden, was zu einer Verschlechterung des Lebensstandards der verarmten Massen des Landes führen wird[8]. Die fünf Monate der Proteste haben die Wirtschaftskrise verschärft. Die Proteste betrafen vor allem Handel, Tourismus und Baugewerbe; die Arbeitslosigkeit ist schätzungsweise um rund 5% gestiegen, was etwa 85.000 Arbeitsplätzen entspricht. Die Prognosen für das Wirtschaftswachstum wurden auf 1% gesenkt, und es könnte sogar zu einer wirtschaftlichen Rezession kommen, wenn die politische Krise anhält. Die Ähnlichkeit mit der Situation in Venezuela ist kein Zufall.

Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Sandinismus der 1980er Jahre und dem heutigen Sandinismus.

Nach den Protesten in Nicaragua und der heftigen Repression des Regimes hat sich die bereits bestehende Spaltung in den Reihen der FSLN verschärft. Viele der sandinistischen Führer, die an der Seite Ortegas gegen die Somoza-Diktatur kämpften und Teil seiner ersten Regierung (1984-1990) waren, prangern ihn heute an und betrachten ihn als Verräter an den Idealen des ursprünglichen Sandinismus, indem sie sagen, dass "er keine fortschrittliche und linke Regierung mehr ist", usw.[9].

Tatsächlich führte Daniel Ortega nach der Niederlage der FSLN bei den Wahlen von 1990 einen Kampf, der ihn dazu brachte, die Front zu stören und eine allein herrschende Fraktion aufzubauen, ohne andere Führer, die ihn zuvor in den Hintergrund gedrängt hatten. Er entwickelte Allianzen mit der Liberalen Partei von Arnoldo Alemán, mit der Kirche und konsolidierte eine Kontrolle sozialer Organisationen unter dem Banner der FSLN. Er legte 2006 den Grundstein für eine neue Präsidentschaft und ist seitdem mit Unterstützung von Kuba und Chávez' "Bolivarischer Revolution" an der Macht.

Es ist eine große Lüge zu behaupten, dass es zwei Gesichter des Sandinismus gebe.

Einige Kritiker von Ortega werfen ihm vor, eine umfangreiche "Säuberungs-Operation" durchgeführt zu haben, ebenso wie die Diktatur Somozas gegen die Bevölkerung. Tatsächlich nutzen die linken und linksextremen Organisationen die gleichen Ressourcen wie die Rechte, um das Proletariat und die Bevölkerung zu unterwerfen; der einzige Unterschied besteht in der Verwendung von "revolutionären" Worten im Namen des "Marxismus-Leninismus", den sie als "antiimperialistisch" bezeichnen, weil sie gegen die Vereinigten Staaten sind; aber gleichzeitig schmieden sie Bündnisse und treiben Geschäfte mit anderen imperialistischen Mächten oder Ländern, wie es die FSLN 1982 mit der UdSSR getan hat.

Die Zuspitzung des Zerfalls in den Reihen der bürgerlichen Parteien und Organisationen weltweit, ob rechts oder links, kommt in linken Regimen wie in Venezuela, Kuba, Nicaragua, Syrien, China, Nordkorea zum Ausdruck. Der Sandinismus ist ein Beispiel. Das Proletariat muss in seinem Kampf dem Mythos einer so genannten revolutionären Linken ein Ende setzen, die am treffendsten als die Linke des Kapitals definiert wird.

Das sich verschlimmernde Chaos und die erzwungene Migration

Die Situation in Nicaragua verschärft die regionale Lage. Die US-amerikanischen Maßnahmen gegen die hochrangigen Führer des sandinistischen Regimes und die Finanzblockaden werden nicht nur vom Regime genutzt, um seine Anhänger zu mobilisieren und die Vereinigten Staaten für die politische und wirtschaftliche Krise verantwortlich zu machen, sondern wenden sich auch gegen die Bevölkerung und werden zu einem erschwerenden Faktor in der Krise. Andererseits hilft die Drohung, militärische Optionen nicht auszuschließen (wie in Venezuela), diesen Führern eher, ihre Macht zu etablieren, indem sie sich als Opfer ausgeben, um Unterstützung innerhalb und außerhalb des Landes zu erhalten. Diese Situation wird von imperialistischen Mächten wie China, Russland, Kuba, Venezuela, Iran usw. ausgenützt, um zu intervenieren und in den Hinterhof der Vereinigten Staaten zu treten.

Chaos und Auswanderung[10], verursacht nicht nur durch Staatsterror oder den drohenden Bürgerkrieg, sondern auch durch die Wirtschaftskrise, nehmen zu.

Die Aussichten für die Zukunft

Durch die sich verschärfende Wirtschaftskrise und die politischen Auseinandersetzungen wird die Situation immer komplizierter. Die Einheit zwischen den verschiedenen Kapitalfraktionen ist zerbrochen. Die Machtdemonstrationen des sandinistischen Regimes brachten es in eine Situation, in der es Maßnahmen, um die Wirtschaftskrise abzuschwächen, durchsetzen kann. Auf der anderen Seite besteht nach dem Vorbild Venezuelas eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die Finanzblockade gegen das Regime verschärft.

Diese Situation stellt eine enorme Herausforderung für das nicaraguanische und das Weltproletariat dar, da weitere Angriffe auf die ohnehin schon prekären Lebensbedingungen der Arbeiterklasse absehbar sind. Die Reaktionsfähigkeit des Proletariats wird sowohl durch die politische Polarisierung der Bourgeoisie als auch durch seine historische Schwäche untergraben. Auf der anderen Seite benutzen Sektoren der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums das Thema der Flucht, um die menschliche Solidarität und insbesondere die Solidarität, die unter Proletarier_innen existieren muss, anzugreifen. Wir sehen bereits Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit in Costa Rica. Dieses schreckliche Szenario bedeutet ein verstärktes Chaos in der Region, das die chronische Armut der Region nur verschlimmern kann und die Gefahr einer Destabilisierung von Costa Rica mit sich bringt, dieses Landes, das bisher in Zentralamerika am wenigsten in Schwierigkeiten war.

Die Situation in Nicaragua, die sich neben diejenige in Venezuela, Syrien und anderen Ländern reiht, erhöht die Dringlichkeit, mit der das Proletariat seinen Kampf auf seinem Klassenterrain weltweit wieder aufnehmen muss, damit sich die Bedingungen entwickeln können, die es ihm ermöglichen, dieses System der Ausbeutung, des Zerfalls und der Barbarei zu zerstören.

Revolucion Mundial, Sektion der IKS in Mexiko, 25. September 2018


[1]Nach Angaben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) wird die Zahl der Todesfälle in diesen fünf Monaten der Zusammenstöße auf 322 geschätzt, mehr als 450 nach Angaben humanitärer Organisationen, 198 nach Angaben der Regierung.

[2]Anastasio Somoza Debayle, der zwischen 1967 und 1979 die Macht ausübte, war der letzte Vertreter einer Diktatorenfamilie, die seit mehr als 40 Jahren (seit 1937) durch heftige Repressionen gegen die Opposition und die gesamte Bevölkerung absolute Macht über das Land aufgebaut hatte.

[3]Die "Sandinistenbewegung" behauptet, das Vermächtnis von Augusto Sandino (1895-1934) zu sein, der 1927 nach der militärischen Intervention der Vereinigten Staaten eine kleine antiamerikanische nationalistische Bewegung, die Armee zur Verteidigung der nationalen Souveränität, unter sich hatte, die einen Guerillakrieg führte (ihre Kämpfer unter armen Bauern rekrutierte) und sich weigerte, ihre Waffen vor der von den USA unterstützten konservativen Regierung niederzulegen. Seine Ermordung durch die Nationalgarde unter dem Ältesten der Somoza-Dynastie machte ihn zu einem Helden der "nationalen Befreiungskämpfe" des 20. Jahrhunderts und seine "Guerillataktik" zu einem Bezugspunkt für alle Linken.

[4]Siehe unseren Artikel auf Spanisch "El abril sangriento de Nicaragua : Sólo la lucha autónoma del proletariado puede acabar con la explotación y la barbarie represiva".

[5]Sandinistische Nationale Befreiungsfront: eine politisch-militärische Organisation, die 1961 gegründet wurde und einen bewaffneten Kampf in Form der Guerilla gegen die Somoza-Diktatur führte, 1979 die Macht übernahm und bei den Wahlen von 1990 verdrängt wurde. In der Koalition aus drei rivalisierenden Haupttendenzen innerhalb der FSLN konnte Daniel Ortega 2006 die Kontrolle zurückgewinnen. Mit ihr gelang es ihm, mit Intrigen und neue Allianzen 2006 an die Regierungsmacht zu kommen und sich seither dort halten.

[6]Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América (Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerikas), gegründet 2004.

[7]Freihandelszone der USA (FTAA) gemäß den 1994 unterzeichneten Abkommen mit dem Ziel, den Einfluss der USA auf Lateinamerika aufrecht zu erhalten.

[8]Nach Angaben der Weltbank leben 29,6% der nicaraguanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze, nach Angaben der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank IDB sind es 40%, und die sogenannte extreme Armut betrifft 14,6% der Bevölkerung, so die IDB.

[9]Diese "Kritik" übt namentlich der nicaraguanische Schriftsteller Sergio Ramirez.

[10]Nach Angaben der UNO sind seit April letzten Jahres 23.000 Nicaraguaner nach Costa Rica geflohen.

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Unsere Genossin Elisabeth ist gegangen

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Unsere Genossin Elisabeth hat uns im Alter von 77 Jahren verlassen. Sie starb in der Nacht vom Samstag auf Sonntag, den 18. November an Atembeschwerden, die zu einem Herzstillstand führten.

Elisabeth wurde im Zweiten Weltkrieg, am 19. Mai 1941, in Bane, einem Dorf im französischen Jura bei Besançon, geboren. Ihr Vater besaß ein Sägewerk, und die Mutter war Hausfrau. Elisabeth wuchs in einer Familie von neun Kindern in einer ländlichen Umgebung auf. Es war eine einigermaßen begüterte katholische Familie. Ihre Tante, eine Lehrerin, brachte ihr das Grundschulwissen bei, bevor sie auf ein von Nonnen geleitetes katholisches Gymnasium geschickt wurde, zuerst nach Besançon, später nach Lyon[1].  Danach ging sie an die Universität Lyon und entwickelte ein leidenschaftliches Interesse an der Meeresbiologie. 1968, im Alter von 27 Jahren, zog sie nach Marseille und mietete ein altes Haus mit einem kleinen Garten und einer Terrasse auf dem Dach, nur wenige Schritte vom Meer entfernt. Sie war am Centre d'Océanologie des CNRS[2] in Marseille beschäftigt, nachdem sie ein Jahr in Kanada verbracht hatte. Sie promovierte 1983, was ihr ermöglichte, eine Lehrtätigkeit zu übernehmen und die Forschung ihrer Student_innen zu betreuen.

Elisabeth gehörte zu jener Generation junger Leute, die nach der Bewegung von Mai 68 eine revolutionäre Perspektive suchten. Schon während ihres Studiums begann sie sich zu politisieren und trat dem Parti Socialiste Unifié in Lyon bei[3].

In Marseille entdeckte sie, dass die Arbeiterklasse die einzige Kraft in der kapitalistischen Gesellschaft ist, die in der Lage ist, die Welt zu verändern. Bei einer Demonstration traf sie Robert, einen jungen Mitstreiter, der vor 1968 in der anarchistischen Bewegung politisiert worden war. Sie nahm an den Treffen der Gruppe Informations et Correspondances Ouvrières (ICO) teil, zusammen mit Robert, der seit 1968 Les Cahiers du Communisme de Conseils veröffentlichte. Auf diese Weise entdeckte Elisabeth die Arbeiterbewegung, den Marxismus und die revolutionäre Perspektive des Proletariats. Nachdem sie eine katholische Ausbildung erhalten hatte, brach sie mit der Religion und wurde Atheistin, während sie weiterhin sehr enge Beziehungen zu ihrer Familie unterhielt.

1972 fusionierte die Gruppe Cahiers du Communisme de Conseils mit der Gruppe, die die Zeitschrift Révolution Internationale herausgab. Die neue Gruppe behielt den Namen RI. 1973 wurde Elisabeth Sympathisantin von RI. 1974 trat sie der Gruppe bei, die zur Sektion der IKS in Frankreich wurde.

Elisabeth war bei der internationalen Konferenz anwesend, an welcher 1975 die IKS gegründet wurde, wie auch beim ersten Kongress unserer Organisation 1976. So hat uns mit ihrem Tod plötzlich ein Gründungsmitglied der IKS, eine Militante der ersten Generation, verlassen.

Elisabeth übernahm wichtige Aufgaben in der Organisation, immer mit größtem Engagement. Sie schrieb regelmäßig Berichte über den internationalen Klassenkampf. Sie reiste viel innerhalb der IKS und lernte Italienisch, um an der Arbeit der Organisation in Italien teilnehmen zu können. Sie konnte auch sehr gut Englisch und machte viele Übersetzungen, ohne diese Aufgabe jemals als Routine und langweilig zu betrachten. Im Gegenteil, bei der Übersetzung von Texten für unsere internen Diskussionsbulletins war Elisabeth oft eine der ersten französischsprachigen Genoss_innen, die mit den Positionen und Beiträgen ihrer englischsprachigen Genoss_innen vertraut war. Und vor allem half Elisabeth, den Kern der IKS in Marseille aufzubauen. 45 Jahre lang hielt sie neben einem weiteren Genossen die politische Präsenz der IKS in der Stadt aufrecht.

Was ihr militantes Engagement antrieb, waren ihre Revolte gegen die Barbarei des Kapitalismus, ihr Wille, gegen dieses dekadente System zu kämpfen, ihre Leidenschaft für den Kommunismus und ihre Überzeugung von der grundlegenden Rolle der revolutionären Organisation bei der Emanzipation des Proletariats. Ihre militante Aktivität stand im Mittelpunkt ihres Lebens. Elisabeth hatte eine tiefe Verbundenheit nicht nur mit der Organisation, sondern auch mit ihren Genoss_innen im Kampf.

Trotz ihres sozialen Status als CNRS-Forscherin war Elisabeth äußerst bescheiden. Sie akzeptierte politische Kritik, ohne jemals mit verletztem Stolz zu reagieren, und versuchte immer, die allgemeinen Interessen der Organisation über ihre eigenen persönlichen Interessen zu stellen. Und sie versuchte zu verstehen. Trotz ihres Universitätsabschlusses, ihres Doktortitels und ihrer beachtlichen allgemeinen Bildung war sie keine "Akademikerin", keine "Intellektuelle", die von dem geprägt gewesen wäre, was Lenin in seinem Buch Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück den "Lehnstuhl-Anarchismus" genannt hat, der so charakteristisch für das Kleinbürgertum ist.

Elisabeth empfand ihr militantes Engagement in der IKS nie als "Gefängnis" oder als Fessel bei der Entfaltung ihres persönlichen Lebens. Sie machte eine Karriere im Universitätsmilieu, veröffentlichte wissenschaftliche Bücher und Artikel in ihrem Fachgebiet, weil sie über viel Wissen verfügte und ihre Arbeit liebte. Aber wie Marx und andere Militante beschloss sie, ihr Leben der Sache des Proletariats zu widmen. Wir könnten hinzufügen, dass sie, wie alle Genoss_innen der IKS, die gleiche Vorstellung von Glück hatte wie er: zu kämpfen![4]

So zeigte sie am Ende ihres Lebens weit entfernt davon, von der Militanz ausgebrannt oder zerstört zu sein, eine erstaunliche Dynamik. Trotz ihrer Atembeschwerden und ihrer zerbrechlichen Gesundheit (insbesondere, da sie kurz nach ihrem letzten Geburtstag einen Schlüsselbeinbruch erlitten hatte), nahm sie begeistert an einem kürzlich stattgefundenen Studien-Wochenende der IKS und den entsprechenden Diskussionen teil. Bei diesem Treffen hat sie sich sehr klar und überzeugend in die Debatte eingebracht. Bevor Elisabeth ihre Genoss_innen verließ, um nach Marseille zurückzukehren, ging sie mit einigen von ihnen, insbesondere Genoss_innen aus anderen Ländern, zum Friedhof von Père Lachaise und zeigte den ihnen die Mur des Fédérés[5]. Das war 15 Tage vor ihrem Tod.

Alle Genossinnen und Genossen der IKS waren daher schockiert, als sie die tragische Nachricht von ihrem plötzlichen Tod erhielten. Niemand von uns hatte sich vorgestellt, dass sie uns so schnell und ohne Vorwarnung verlassen würde, denn sie war nicht so alt. Trotz ihrer 77 Jahre hatte sie die Frische der Jugend bewahrt und hatte persönliche Freunde aus der jüngeren Generation.

Elisabeth liebte Kinder. Sie bedauerte, dass sie selber keine hatte. Unter anderem deshalb freundete sie sich mit den Kindern von Genoss_innen an, die sie immer mit viel Liebe in ihrem Haus empfing.

Elisabeth war eine sehr herzliche und großzügige Person. Sie hatte ein tiefes Gefühl der Gastfreundschaft. Ihr altes Haus, das sie 45 Jahre lang gemietet hatte, war ein Durchgangsort für Genossen nicht nur der Sektion in Frankreich, sondern auch anderer territorialer Sektionen. Sie waren immer willkommen, zusammen mit ihren Familien. Sie öffnete ihre Tür für alle Militanten der IKS, ohne Ausnahme. Elisabeth hasste das Privateigentum. Wenn sie nicht in ihrem Haus war, legte sie immer den Schlüssel für ihre Genossen bereit (manchmal entschuldigte sie sich gar dafür, dass sie keine Zeit zum Aufräumen gehabt hatte!).

Elisabeth hatte natürlich auch ihre Fehler. Aber es waren die Fehler ihrer Qualitäten. Sie hatte ihren eigenen Charakter. Manchmal hatte sie Streit mit bestimmten Genoss_innen (auch mit denen, die ihr am nächsten standen). Aber sie wusste, wie man darüber hinwegkommt, immer auf der Suche nach erneuter Aussöhnung, denn sie verlor nie aus den Augen, was die Mitglieder der IKS vereint: eine Plattform gemeinsamer Prinzipien; der Kampf, den sie alle gegen den Kapitalismus führen und gegen das Gewicht der herrschenden Ideologie. Elisabeth hatte eine tiefe politische Wertschätzung für die Militanten der IKS, einschließlich derer, deren Stil oder Charakter nicht zu ihr passten. In unseren internen Debatten listete sie alle Interventionen, alle Argumente aufmerksam auf und machte sich oft eigene Notizen, um ihre Reflexion zu vertiefen und, wie sie es ausdrückte, "aus dem Bedürfnis der Klärung".

Elisabeth war auch sehr sentimental und neigte dazu, die Organisation der Revolutionäre als eine große Familie oder eine Gruppe von Freunden zu sehen. Früher hatte sie eine gewisse Illusion, dass die Gruppe Révolution Internationale (der sie sich in einer von der Studentenbewegung vom Mai 68 geprägten Zeit angeschlossen hatte) zu einer Art Insel des Kommunismus werden könnte. Was ihr erlaubte, diese Verwirrung zu überwinden, waren unsere Studientage und die Diskussionen über den Zirkelgeist in der Arbeiterbewegung sowie unsere internen Debatten über die Schwierigkeiten unserer Sektion in Frankreich mit dem Ziel, "aus einem Freundeszirkel zu einer politischen Gruppe" zu werden[6].

Dank ihrer Fähigkeit zur Reflexion konnte Elisabeth verstehen, dass die Organisation der Revolutionäre, obwohl sie der "Beginn einer Antwort" auf die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse ist, nicht bereits die Antwort sein kann (um einen Begriff unseres Genossen MC zu verwenden), eine kleine Insel des Kommunismus in dieser Gesellschaft. Es war ihr unerschütterliches Engagement für die Sache der Arbeiterklasse, ihre uneigennützige Hingabe an die IKS, die es Elisabeth ermöglichten, allen Krisen, die die IKS seit ihrer Gründung durchlebt hat, geduldig zu trotzen und sie zu überstehen.  Trotz ihres "sentimentalen" Umgangs mit der Organisation und des Schmerzes, den sie empfand, als einige ihrer Freunde die Organisation verließen, wurde Elisabeth nie aus einer fehlgeleiteten Loyalität zu ihnen aus der IKS gezogen. Jedes Mal, wenn sie mit einem "Loyalitätskonflikt" konfrontiert war, entschied sich Elisabeth für die IKS und ihren Kampf für den Kommunismus (im Gegensatz zu anderen Militanten, die die Organisation aus Loyalität zu ihren Freunden und mit Feindseligkeit gegenüber der IKS verließen). Sie hat nie ihre Überzeugungen verloren. Bis zum Schluss blieb sie der IKS treu und loyal.

Bis zu ihrem letzten Atemzug war Elisabeth eine echte Kämpferin für die proletarische Sache. Eine Kämpferin, die das Beste von sich selbst für die kollektive und assoziierte Arbeit der wichtigsten Gruppe der kommunistischen Linken gab.

Elisabeth liebte es, zu lesen. Sie liebte das Meer, Blumen, Kunst: Barockmusik, Literatur, Malerei. Aber vor allem liebte sie die menschliche Spezies. Ihre Liebe zur Menschheit war das Rückgrat ihrer Leidenschaft für den Kommunismus und ihres militanten Engagements innerhalb der IKS.

Das Ableben unserer Genossin hinterlässt bei uns ein großes Loch. Für die IKS ist jeder Militante ein unersetzliches Glied in einer Kette. Elisabeth kann nicht ersetzt werden, also ist der einzige Weg, das Loch zu füllen, sie zu würdigen, indem wir unseren Kampf, ihren Kampf fortsetzen.

Elisabeth vermachte ihren Körper der Wissenschaft. Es gab keine Kränze oder Blumen.

Ihrem Bruder Pierre und ihrer ganzen Familie;

Ihren Freunden Sara und Fayçal, die uns sofort von ihrem Tod berichteten;

Ihren Freunden in Marseille, Chantal, Dasha, Josette, Margaux, Marie-Jo, Rémi, Sarah..., die uns geholfen haben, ihr Haus aufzuräumen und dabei den größten Respekt für ihr politische Engagement und ihre letzten Wünsche zeigten,

Senden wir all unsere Sympathie und Solidarität.

Leb wohl, Elisabeth! Du bist in einer Nacht im November von uns gegangen, als du alleine zu Hause warst, ein Haus, das wir auch vermissen werden. Aber du warst nicht wirklich allein, für uns alle bleibst du am Leben in unseren Herzen, in unseren Gedanken, in unserem Bewusstsein.

Im Januar wird die IKS ein Treffen zur politischen Würdigung unserer Genossin organisieren. Unsere Leser, Sympathisanten, Weggefährten sowie Aktivisten der Gruppen der kommunistischen Linken, die Elisabeth kannten, können an die IKS schreiben, wenn sie an dieser Hommage teilnehmen wollen, die in Marseille stattfinden wird.

Révolution Internationale, Sektion der IKS in Frankreich, 24.11.18


[1] Elisabeth hatte keine guten Erinnerungen an die Schulzeit bei den "guten" Schwestern.

[2] Centre Nationale de Recherche Scientifique (Nationales Forschungszentrum)

[3] Diese Partei wurde 1960 gegründet und löste sich 1989 wieder auf. In ihr fanden sich bei der Gründung ehemalige Mitglieder der Sozialistischen Partei, die sich deren kolonialistischen Politik widersetzten, linke Christen und Leute, die dem Trotzkismus und Maoismus entstammten. Einer seiner wichtigsten Exponenten war Michel Rocard, der später wieder der Sozialistischen Partei beitrat und dort die Führung ihres rechten Flügels übernahm. In der Mai-68-Bewegung nahm der PSU eine viel "radikalere" Haltung ein als der PCF und vertrat die "Selbstverwaltung".

[4] Vgl. « La confession de Karl Marx », 1923 herausgegeben von Dawid Rjasanow (https://www.marxists.org/francais/riazanov/works/1923/00/confession.htm#... [1])

[5] Die Wand, an der 147 Kämpfer der Pariser Kommune erschossen und in einen Graben geworfen wurden.

[6] Diese Formulierung findet man in einem sehr wichtigen Beitrag unseres Genossen MC zur internen Debatte 1980, auszugweise zitiert in einer Fußnote zu unserem Text "Die Frage der Funktionsweise der Organisation in der IKS" (Internationale Revue Nr. 30): „In der zweiten Hälfte der 60er Jahre bestanden kleine Freundeskreise aus meist sehr jungen Leuten ohne politische Erfahrung, die im Studentenmilieu lebten. Auf der individuellen Ebene erschien ihre Existenz rein zufällig. Auf der objektiven Ebene - der einzigen, in der eine wirkliche Erklärung gefunden werden kann - entsprachen diese Kreise dem Ende des Wiederaufbaus nach dem Krieg und den ersten Anzeichen, dass der Kapitalismus in die offene Phase seiner permanenten Krise zurückkehrte, was zu einem Wiederaufleben des Klassenkampfes führte. Trotz dessen, was die Individuen, die diese Kreise zusammengesetzt haben, gedacht haben, indem sie sich vorstellten, dass ihre Gruppe auf Freundschaft, dem Versuch, ihren Alltag gemeinsam zu verwirklichen, basierte, überlebten diese Kreise nur in dem Maße, in dem sie politisiert wurden, zu politischen Gruppen wurden und ihr Schicksal vollbrachten und annahmen. Die Kreise, die sich dessen nicht bewusst waren, wurden weggespült oder lösten sich im linken oder modernistischen Sumpf auf oder verschwanden in der Natur. Das ist unsere eigene Geschichte. Und nicht ohne Schwierigkeiten haben wir diesen Prozess der Transformation von einem Freundeskreis zu einer politischen Gruppe überlebt, in der die Einheit, die auf Zuneigung, persönlicher Sympathie und dem gleichen Lebensstil basiert, einem politischen Zusammenhalt und einer Solidarität aus der Überzeugung Platz gemacht hat, dass man am gleichen historischen Kampf beteiligt ist: der proletarischen Revolution (....)"

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Nachruf

11. November 1918 - Waffenstillstand „Nie wieder Krieg?“ - Für die Bourgeoisie ein Waffenstillstand, um den Kapitalismus zu retten und neue Kriege vorzubereiten

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Am 11. November 2018 ist es seit dem Ende des Ersten Weltkriegs genau hundert Jahre her. Dies geschieht unter großer Aufmerksamkeit der Medien. Bei einer Zeremonie in Paris stellten sich unter anderem Trump, Putin und Erdogan ins Rampenlicht; Könige, Königinnen, Generäle, Läufer und Politiker von rechts bis links waren alle auf Rädern unterwegs, um ihren Beitrag zu leisten; Zeremonien fanden in Städten, Dörfern und Weilern statt, die von verschiedenen Unternehmen, Wohltätigkeitsorganisationen und Supermärkten unterstützt wurden; Veranstaltungen für die Jugend wurden organisiert, einschließlich „Friedenskonzerte“ zur Indoktrination der Jugendlichen; Märsche, Veranstaltungen und „Schweigeminuten“ wurden in ganz Europa, insbesondere in Großbritannien, Frankreich und Belgien, neben weiteren Gedenkveranstaltungen in Australien, Neuseeland, Indien und Nordirland im Voraus abgehalten.

Es handelt sich um eine bewusste, massive, organisierte und repressive Kampagne, deren Hauptaufgabe darin besteht, eine der größten Gräueltaten des Kapitalismus zum Anlass zu nehmen, um dieses Verbrechen gegen die Hauptopfer seiner imperialistischen Kriege, die Arbeiterklasse, zu richten und gleichzeitig zu versuchen, falsche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Die Arbeiterklasse muss nicht nur unter den Gräueltaten des kapitalistischen Krieges leiden, sondern wird auch noch gezwungen, ihre Jahrestage mit solchen Heucheleien wie „Opfer für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“ und „Der Krieg zur Beendigung aller Kriege“ und „Nie wieder“ zu „feiern“. Aber es gibt keine Gerechtigkeit, keinen Frieden und keine Freiheit für die Arbeiterklasse: Der Krieg zur Beendigung aller Kriege war nur der Beginn einer sich verschärfenden Spirale nach unten, und statt „nie wieder“ hat der imperialistische Krieg hundert Jahre lang nicht aufgehört, bis zu dem Punkt, dass seine sich ständig entwickelnde Produktion der Zerstörungsmittel die Existenz der Menschheit bedroht. Die ganzen Waffenstillstandsfeiern haben nichts mit der Achtung vor den Kriegstoten zu tun, sondern beleidigen sie im Gegenteil mit Lügen und Krokodilstränen über „die erbrachten Opfer“. Mit gefälschten Nachrichten haben wir eine gefälschte Geschichte, in der Worte in ihr Gegenteil verkehrt werden: Massaker werden zur Aufopferung, Ruin wird zur Zivilisation und Krieg zum Frieden. Kurz gesagt, die gesamten „Erinnerungsfeiern“ zum Waffenstillstand sind nichts anderes als ein allgemeiner Angriff auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse, der die Notwendigkeit ihres revolutionären Kampfes für einen Frieden und eine Freiheit verbergen soll, gegen die der Kapitalismus mit allen Mitteln kämpfen wird.

1. Der Waffenstillstand: eine Pause, um neue Kriege vorzubereiten

Im November 1918 herrschte in Europa ein riesiges Chaos: Millionen Menschen aus Haus und Hof vertrieben, wieder auf der Suche nach einem Ort, wo sie weiterleben und eine neue Existenz aufbauen konnten. So gab es in den Niederlanden eine Million geflohene und evakuierte Belgier, von denen 100.000 nach dem Waffenstillstand noch zurückkehren mussten. In Frankreich gab es 300.000 belgische Flüchtlinge, die 1918 wieder ihren Weg nach Hause finden mussten. Schließlich gab es Hunderttausende Verwundete, entstellte und verkrüppelte Soldaten, die kreuz und quer durch Europa ihren Weg in ihr Dorf oder ihre Stadt suchten. Aufgrund des Chaos des Weltkriegs und der damit verbundenen massenhaften Migration konnte die Spanische Grippe verheerend wüten und schließlich mehr Todesopfer fordern als der Erste Weltkrieg selbst.

Bourgeoise Ideologen sind sich einig, dass die Deutschland von den alliierten Ländern im Versailler Vertrag auferlegten Lasten die Bedingungen für den Keim eines neuen Krieg zwanzig Jahre später schufen. Der „Friedensvertrag“ war der Anstoß für die Entstehung von Rache- und Vergeltungsgefühlen, die sich im Laufe der 1920er Jahre in einem großen Teil der deutschen Bevölkerung entwickeln sollten. Die Reaktion der SDAP-Zeitung (sozialdemokratische Arbeiterpartei) in den Niederlanden gibt 1919 einen Vorgeschmack darauf: „Eine tiefe und bittere Enttäuschung, eine Ernüchterung, die man als Katastrophe empfindet, ist dieser Frieden für alle. (...) Der Friedensvertrag legt die Richtung für Europas Niedergang sowie seine Regression hin zu einem niedrigeren Grad der Zivilisation fest. Das größte Volk des Festlandes wird gefesselt und durch Zwangsarbeit (...) gedemütigt und in Verbitterung getrieben. Die neuen „Elemente der Zivilisation“ wurden vom Staat des Friedens durch Rache hier, Übervertrauen, Machtwille, Leichtsinn dort geweckt.“ (Het Volk, 21. Juni 1919).

Die Bourgeoisie verschiedener Länder war sich bewusst, dass dieser Frieden zum Scheitern verurteilt war. Nicht allein die Politik gegenüber Deutschland hat die Situation verschärft, sondern auch „die Schaffung neuer Staaten wie Polen, Österreich, Ungarn und Jugoslawien hat zu unaufhörlichen Konflikten über die neuen Staatsgrenzen dieser Länder geführt. Vor allem für Ungarn, das zwei Drittel seines Vorkriegsgebiets verloren hat. (...) Kurz gesagt, der Frieden ist ein Misserfolg, ein Fiasko.“ (Jay Winter in einem Interview mit Le Monde; 12.11.2014)

Der Waffenstillstand vom 11. November 1918 war im Wesentlichen ein Frieden, der jeglichem Frieden ein Ende setzte!

Seit dem Ersten Weltkrieg ist der Kapitalismus im Niedergang begriffen, und diese Niedergangsperiode, die damals begann, führte zu einem quasi andauernden Kriegszustand. Einige Beispiele aus den nächsten zwei Jahrzehnten verdeutlichen dies:

- Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Griechenland in der Türkei eine Besatzungszone zuerkannt. Im Sommer 1920 wollten die Griechen ihr Gebiet erweitern. Dabei stießen sie auf heftigen türkischen Widerstand. Dies war der Beginn des griechisch-türkischen Krieges, der bis 1922 andauerte. Der Krieg wurde von schweren Gräueltaten auf beiden Seiten begleitet, wie der Ermordung von Zehntausenden von Griechen und Armeniern durch die Türken.

- 1920 vereinigten sich die Riff-Stämme und entfesselten im Norden Marokkos einen Krieg gegen die spanische Herrschaft. Im Sommer 1921 wurden etwa 19.000 spanische Soldaten getötet. Dieser Krieg gegen Spanien, der später von Frankreich unterstützt wurde, dauerte bis 1926. Spanien und Frankreich verwendeten unter anderem Giftgas, das Tausende Menschen tötete.

- 1929 besetzten die Chinesen die Eisenbahnlinie in der Mandschurei. Dies führte zu einem offenen Konflikt mit der Sowjetunion. Als sowjetische Truppen am 15. November die Grenze zu China überschritten, kam es zu schweren Kämpfen. Mehr als 2.000 Menschen wurden auf der chinesischen Seite getötet und 10.000 verletzt. Der Mandschurei-Vorfall von 1931, ein Bombenanschlag auf eine Eisenbahnlinie, wurde von Japan genutzt, um den Krieg zu beginnen und die chinesische Provinz zu besetzen. 1937 setzte sich der Krieg mit einem Angriff auf das gesamte chinesische Festland fort, das dann auch von Japan erobert wurde. Während dieses Krieges wurden Hunderttausende Menschen getötet, vor allem Zivilisten, und die japanischen Truppen begingen mehrere Massenmorde.

- Am 3. Oktober 1935 führte Italien einen Krieg gegen Äthiopien. Nach sieben Monaten heftiger Kämpfe gelang es Italien, das Land zu erobern. Bei Angriffen auf die Zivilbevölkerung verwendeten die Italiener in großem Stil Senfgas. Neben 25.000 Soldaten kostete dieser Krieg 250.000 Zivilisten das Leben.

- 1936 führte eine Anzahl von spanischen Generälen einen Krieg gegen die spanische Republik. Sie wurden von Italien, Deutschland und Portugal unterstützt. Die Republik wurde ihrerseits von der Sowjetunion und Mexiko unterstützt. Der Krieg, der drei Jahre dauerte und mit einem Sieg für die Generäle endete, forderte insgesamt mehr als eine halbe Million Menschenleben.

- Am 12. März 1938 marschierten deutsche Soldaten in Österreich ein.

- Am 15. März 1939 besetzten deutsche Armeeeinheiten die Tschechische Republik und ungarische Truppen die Slowakei. Diese militärischen Eroberungen waren die ersten Kriegshandlungen, die zum Zweiten Weltkrieg führten.

Der Waffenstillstand vom 11. November 1918 kündigte keine Periode des Friedens an, sondern brachte eine ununterbrochene Reihe von Kriegen mit sich, die schließlich im Zweiten Weltkrieg endeten.

2. Der Waffenstillstand: ein Angriff auf die Arbeiterrevolution in ihrem Widerstand gegen den Krieg

Der Waffenstillstand ermöglichte es der Bourgeoisie, dem Proletariat den Krieg zu erklären, indem sie (a) die Arbeiter zwischen solche der „Siegerländer“ und jene der „eroberten“ Länder aufteilte und (b) Waffen gegen die Revolution einsetzte. In Russland war die Konterrevolution bereits in ihrer ganzen Intensität ausgebrochen (vgl. dazu „Die Weltbourgeoisie gegen die Oktoberrevolution“; Internationale Revue, französische, englische und spanische Ausgabe, Nr. 160). Auch in Deutschland war die Bourgeoisie bereit, ihren konterrevolutionären Terror durchzuführen. Getragen, genährt von einem beispiellosen, nie gekannten Hass auf die Arbeiterklasse, bereitete sie sich darauf vor, die Brutstätten der kommunistischen Revolution gewaltsam auszurotten und zu zerstören.

a) Die Arbeiterklasse spalten

Die Bourgeoisie war sich der Gefahr bewusst: „Ganz Europa ist vom Geist der Revolution erfüllt. Es gibt nicht nur ein tiefes Gefühl der Unzufriedenheit, sondern auch der Wut und des Aufruhrs unter den Arbeitern (...). Die gesamte bestehende Ordnung wird in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht von den Massen der Bevölkerung von einem Ende Europas zum anderen in Frage gestellt.“ (Der britische Premierminister Lloyd George, in einem geheimen Memorandum an den französischen Premierminister Georges Clemenceau, März 1919) Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands wurde die Arbeiterklasse in Europa in zwei Teile gespalten: einerseits die Arbeiterklasse, die sich im Lager der unterlegenen Nationalstaaten befand, und andererseits der Teil, der sich in den siegreichen kapitalistischen Ländern befand und von einer Welle des nationalen Chauvinismus überschwemmt wurde (insbesondere in Frankreich, England, Belgien und den USA). Auf diese Weise gelang es der Bourgeoisie, die revolutionären Aufstände auf die erstgenannten Verliererstaaten (und Italien) zu beschränken.

Ein Beispiel dafür ist die besondere Situation, die in Brüssel einige Tage vor und nach dem 11. November 1918 entstanden war. Deutsche Soldaten, die dort stationiert waren, verstärkt durch deutsche Matrosen vom Stützpunkt der deutschen Kriegsmarine in Ostende, erhoben sich und gründeten einen revolutionären Soldatenrat. Sie zogen mit deutschen, belgischen und roten Fahnen durch Brüssels Straßen, um die Solidarität mit den belgischen Arbeitern und ihren Organisationen zu suchen. Trotz einiger Verbrüderungen mit Mitgliedern der Sozialistischen Jungen Garde riefen die Gewerkschaften dazu auf, nichts zu tun. Unter dem Einfluss der chauvinistischen Propaganda gab es keine Mobilisierung der Brüsseler Arbeiter, sondern man wartete passiv auf den feierlichen Einzug der siegreichen belgischen Armee einige Tage später.

b) Die Waffen auf die Revolution richten

„Zuerst hatten die verschiedenen nationalen Bourgeoisien auf dem Schlachtfeld des imperialistischen Krieges versucht, sich gegenseitig die Territorien wegzunehmen, was mehr als 20 Millionen Tote und unzählige Verwundete kostete. Aber konfrontiert mit einer Arbeiterklasse, die auf ihrem Klassenterrain kämpfte, waren sie sofort bereit, ihre Kräfte zu bündeln. Wieder einmal wurde bestätigt, dass sich die herrschende Klasse, in Konkurrenz durch ihre eigene Natur stehend, sich in einer revolutionären Situation vereinen kann, um der Arbeiterklasse die Stirn zu bieten.“ („1918-1919: Vor siebzig Jahren - Zur Revolution in Deutschland“; Internationale Revue, Französisch, Englisch und Spanisch, Nr. 56)

Als die Sowjets im Oktober 1917 in Russland an die Macht kamen, reagierten die imperialistischen Kräfte unmittelbar darauf. Eine international vereinte Bourgeoisie mit Armeen aus 21 verschiedenen Ländern wandte sich gegen die junge Sowjetrepublik.

Der konterrevolutionäre Angriff begann 1917 und dauerte bis 1922. Die „Weißen Armeen“ lösten einen schrecklichen Bürgerkrieg aus. Der Kampf der Armeen der kapitalistischen Staaten Europas, der Vereinigten Staaten und Japans forderten unzählige Opfer in ihrem Krieg gegen die Arbeiterklasse in Russland. Von den Toten des Bürgerkriegs waren etwa eine Million Soldaten der Roten Armee. Darüber hinaus starben viele Millionen Menschen an den indirekten Folgen des Krieges, wie an Hungersnot und Epidemien. Schätzungen über die Zahl der Todesfälle durch den Terror der Weißen Armeen reichen von 300.000 bis 1 Million (https://www.quora.com/How-many-people-died-during-the-Russian-Civil-War [2]).

Die Entfesselung der Revolution in Mitteleuropa: Deutschland, Österreich, Ungarn und so weiter, machte es notwendig, die deutsche Armee nicht vollständig zu entwaffnen. „Man war darauf aus, dass die deutsche Armee stark genug sein sollte, um die innere Ordnung aufrechtzuerhalten und der Machtergreifung der Bolschewiki zuvor zu kommen.“ („Lloyd George im Krieg“, George H. Cassar) Schließlich durfte das deutsche Militärische Oberkommando, nachdem es 30.000 Maschinengewehre gefordert hatte, deren 5.000 behalten.

Auch in Deutschland brach Ende 1918 der Aufstand aus. Am 10. November 1918 bot General Groener, Ludendorffs Nachfolger als Oberbefehlshaber der deutschen Armee, in einem Telefonat mit dem sozialdemokratischen Regierungschef Friedrich Ebert einen Pakt an. Der General schlug eine loyale Zusammenarbeit vor, um den Bolschewismus so schnell wie möglich zu beenden und eine Rückkehr zu „Recht und Ordnung“ zu gewährleisten. „Es war ein Bund gegen die Revolution. Ebert hat meinem Vorschlag zugestimmt, ein Bündnis zu bilden“, schreibt Groener. „Von da an diskutierten wir jeden Abend miteinander mittels einer geheimen Verbindung zwischen der Reichskanzlei Eberts und dem Armeeoberkommando über die notwendigen Maßnahmen, die miteinander zu ergreifen sind. Die Bundesgenossenschaft hat vollauf befriedigt.“ (Sebastian Haffner, Die Verratene Revolution)

Unter dem Einfluss der Revolution waren große Teile des Militärs und der Marine für die Bourgeoisie unzuverlässig geworden. Mit Blick auf den bevorstehenden Klassenkampf wurde der Sozialdemokrat Gustav Noske, der im Dezember 1918 der Regierung Ebert beigetreten war, mit der Bildung von Freikorps beauftragt. Dies geschah vor allem durch die Rekrutierung von gesetzestreuen, konservativen und rechtsextremen Frontsoldaten, die ihre Heimat gegen den Bolschewismus verteidigen wollten und bis zum Kriegsende aus der Gesellschaft ausgeschlossen waren. So verfügte der deutsche Staat im Januar 1919 wieder über loyale Armeeeinheiten von einigen Hunderttausend Soldaten, darunter 38 Freikorps. Im Kampf gegen die Revolution zögerte die SDP-Regierung nicht, die reaktionärsten Streitkräfte schamlos einzusetzen. Nachdem er die Worte „jemand muss der Bluthund sein“ ausgesprochen und die Aufständischen „die Hyänen der Revolution“ genannt hatte, ließ Noske die Freikorps auf die Arbeiter los: Der Krieg gegen die Arbeiterklasse in Deutschland hatte begonnen. Ab Mitte Januar 1919 wurde der militärische Angriff auf die Arbeiterklasse und ihre revolutionären Organisationen (Parteien, Gruppen, Presse usw.) gestartet. Ganze Arbeiterviertel der Großstädte wurden nacheinander angegriffen, und überall wurden die schrecklichsten Massaker verübt.

So wie der Krieg gegen die Arbeiterklasse in Deutschland geführt wurde, so verlief dieser Krieg in einer Reihe anderer Länder. Eines dieser Länder war Ungarn, wo der Aufstand der Arbeiter auch eine revolutionäre Führung an die Macht gebracht hatte. Dort wurde der Aufstand nach einigen Monaten ebenfalls durch einen militärischen Angriff der kapitalistischen Kräfte im Blut ertränkt. Am 1. August 1919 marschierten die kapitalistischen Kräfte in Rumänien und Ungarn ein, stürzten die revolutionäre Regierung und beendeten das kommunistische Experiment. Mit Unterstützung von Frankreich und England sowie der Weißen Armee nahmen rumänische Truppen Budapest ein und setzten eine Gewerkschaftsregierung ein, die die Betriebsräte liquidierte. Als die Gewerkschaften ihre Arbeit beendet hatten, übergaben sie das Kommando an Admiral Horty (einen späteren Nazi-Kollaborateur), der eine Schreckensherrschaft gegen die Arbeiter entfesselte (8.000 Menschen wurden hingerichtet, 100.000 deportiert).

3. Es gibt keinen Frieden im Kapitalismus.

Der Kapitalismus ist Gewalt, und der Frieden im Kapitalismus ist eine völlige Illusion. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass ein „Waffenstillstand“ nur geschlossen wird, um einen neuen Krieg zu beginnen. Die Waffen schwiegen schon zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg nicht einen Moment lang, aber dieser Trend eines permanenten Kriegszustandes verstärkte sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch mehr. So war die Zeit des „Kalten Krieges“ im Gegensatz zu dem, was oft behauptet wird, keine Zeit des „reinen“ bewaffneten Friedens, sondern von Dutzenden von militärischen Auseinandersetzungen (Korea, Vietnam, Naher Osten usw.), die sich über die ganze Welt erstreckten und Millionen von Opfern forderten.

Eine fromme Hoffnung auf Frieden stoppt den Krieg nicht, auch wenn sie durch massive Demonstrationen unterstützt wird. So rief die SPD am 25. Juli 1914 zu einer Massendemonstration gegen den Krieg auf. Der Aufruf wurde massenhaft gehört. Am 29. und 30. Juli nahmen 750.000 Menschen an den Protesten in ganz Deutschland teil. Dies war jedoch kein Grund für die Bourgeoisie, ihren Weg in den Krieg zu stoppen. Im Gegenteil, die gleiche sozialdemokratische SPD beschloss einige Tage später, die Massen der Arbeiter zu verraten und die Bourgeoisie bei ihrer Kriegsführung zu unterstützen.

Eine Massendemonstration kann ein Moment im Widerstand gegen den Krieg sein, aber sie muss im Rahmen eines allgemeinen proletarischen Aufstands, in einer Dynamik des Angriffs auf den bürgerlichen Staat stattfinden. Dies wurde 1917 in Russland deutlich. Auch der Aufstand von 1918 in Deutschland zielte zunächst nur auf die Beendigung des Krieges ab. Und dieser Krieg wurde auch beendet, weil die Gefahr bestand, dass die Arbeiter die Macht übernehmen würden. Denn nur ein revolutionärer Umsturz und die Macht in den Händen der Arbeiterklasse können alle Formen des Krieges beenden.

So schrieb Rosa Luxemburg 1917: „Ihr Arbeiter! Entweder machen die bürgerlichen Regierungen den Frieden, wie sie den Krieg machten, dann bleibt bei jedem Ausgang des Krieges der Imperialismus die beherrschende Macht, und dann geht es unvermeidlich immer weiter neuen Rüstungen, Kriegen und dem Ruin, der Reaktion, der Barbarei entgegen. Oder ihr rafft euch zu revolutionären Massenerhebungen auf, zum Kampf um die politische Macht, um eueren Frieden nach außen und nach innen zu diktieren.“ (Rosa Luxemburg, Spartakusbriefe Nr. 4, April 1917, in Gesammelte Werke Bd. 4 S. 250 f.)

Dennis / 10.11.2018


Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/2822/dezember-2018

Links
[1] https://www.marxists.org/francais/riazanov/works/1923/00/confession.htm#sdfootnote1anc [2] https://www.quora.com/How-many-people-died-during-the-Russian-Civil-War