Die Konfrontation zwischen den bürgerlichen Fraktionen der Opposition und dem Chavismus in Venezuela hat seit Anfang 2019 einen qualitativen Sprung gemacht. Sie findet in einem Kontext einer beispiellosen Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Krise statt, deren deutlichstes Zeichen die Zunahme des Elends eines großen Teils der Bevölkerung ist, aber auch in einem Szenario, in dem sich die Rivalität zwischen den Großmächten verschärft, in dem auch die so genannte „internationale Gemeinschaft“ handelt, die zum Teil das Regime von Nicolás Maduro offen unterstützt, zum anderen den erklärten Interimspräsidenten Juan Guaidó. Es sind die USA, die den Ton angeben, die, nachdem sie Guaidó als Präsidenten Venezuelas anerkannt haben, eine intensivere und umfassendere Strategie auf den Weg gebracht haben, die plant, Nicolás Maduro endgültig von der Macht zu beseitigen, und dabei die Drohung einer US-Militärintervention nicht ausschließt – wie von hohen Beamten und Donald Trump selbst geäußert, wobei sie die „humanitäre Hilfe“ als Rechtfertigung verwenden. Die Reaktionen zur Unterstützung von Nicolás Maduro kamen hauptsächlich aus Ländern wie Russland und China, den wichtigsten Verbündeten des Chavismus. Die potenzielle Gefahr besteht jedoch nicht in einer direkten militärischen Konfrontation zwischen den Großmächten, sondern in der Nutzung der Bevölkerung und der Arbeiter als Kanonenfutter in einem Krieg zwischen Banditen, der zu noch mehr Blutvergießen führt. Die mehr als 40 Toten und die brutale Unterdrückung der Bevölkerung (mehr als 900 Gefangene allein in den letzten zwei Januarwochen) sind der Vorgeschmack darauf.
Angesichts dieser Eskalation der Konfrontation zwischen den bürgerlichen Fraktionen der Rechten und Linken in Venezuela, die über die Grenzen dieses Landes hinausgeht, ist es wichtig und dringend geboten, das venezolanische und das Weltproletariat aufzufordern, die unmittelbare Gefahr dieser Situation eines Massakers in seinen Reihen zu verstehen, nicht mit einer der internen oder externen Fraktionen des Kapitals zusammenzuarbeiten, auf seinem Klassenterrain zu bleiben und dieses höllische Treiben von Chaos und Barbarei, in das die Region versinkt, abzulehnen.[1]
Guaidó ist nicht von ungefähr aufgetaucht; sein plötzliches Auftreten wurde von den USA mit Unterstützung von Mitgliedern der venezolanischen Opposition in diesem Land und Staaten der so genannten internationalen Gemeinschaft (Lima-Gruppe mit Ausnahme von Mexiko), die die US-Strategie gegen das Regime von Maduro unterstützen, sorgfältig vorbereitet. Das aggressive und entschlossene Vorgehen der USA gegen Maduro wurde auf geopolitischer Ebene verstärkt und durch den Triumph von Jair Bolsonaro in Brasilien (zu dem sie einen großen Beitrag geleistet haben) unterstützt. Es ist kein Zufall, dass die erste gemeinsame Erklärung von Mike Pompeo (US-Außenminister bei der Einweihung von Bolsonaro) den Kampf gegen den „Sozialismus“ und die Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela zum Ziel hatte. Auf diese Weise wird Venezuela an seinen wichtigsten Grenzen blockiert, derjenigen im Westen durch Kolumbien (Hauptverbündeter der USA in Südamerika) und derjenigen im Süden durch Brasilien. Mehrere EU-Länder haben Guaidó kürzlich ebenfalls ihre Anerkennung ausgesprochen, obwohl sie versucht haben, über die so genannte „Kontaktgruppe“, die versucht, das Vorgehen der USA zu schwächen, eine eigene Interventionspolitik zu entwickeln.
Diese energische Reaktion der USA und ihrer Verbündeten in der Region nutzt den Hintergrund der Flucht von Venezolanern, die wegen des Elends und der Barbarei des linken bürgerlichen Regimes des Chavismus-Madurismus das Land verlassen (nach Angaben der UNO sollen es bereits mehr als 4 Millionen sein). Die venezolanische Opposition (die aufgrund ihrer internen Konflikte und der Zersetzung in ihren Reihen den Weg für den Aufstieg des Abenteurers Chávez im Jahr 1999 ebnete) startet diese Offensive gegen Maduro und nutzt die Proteste der empörten Arbeiter_innen und der Bevölkerung aus, welche nicht die Kraft haben, das chavistische Regime und die bürgerliche Opposition geschlossen zu bekämpfen, da sie aufgrund der Mobilisierungen für die Kämpfe der bürgerlichen Fraktionen selber gespalten sind.
Die verschiedenen Sektoren der Opposition sind durch interne Konflikte geschwächt, versuchen nun aber, sich hinter der Figur von Guaidó zu vereinen, und beginnen damit ein weiteres Abenteuer, das aufgrund der durch Hunger und Elend verursachten Verzweiflung in der Bevölkerung Unterstützung findet. Das Vorgehen der Mehrheit der regionalen und internationalen Bourgeoisie, das sich nun gegen Maduro richtet, beweist die Heuchelei der ausbeuterischen Klassen, die heute von „Respekt vor der Menschlichkeit“ sprechen, nachdem sie Chávez als „Verteidiger der Armen“ gelobt haben, der es angeblich geschafft habe, in Venezuela „Millionen armer Menschen aus Armut und Unsichtbarkeit herauszuholen“ und dank hoher Ölpreise Geschenke an die Bevölkerung zu verteilen, während er in Wirklichkeit die Grundlagen für die Barbarei, die wir heute sehen, festigte und die militärischen und zivilen Führer, die heute ihre Privilegien mit Blut und Feuer verteidigen, bereicherte.
Das Chávez-Regime seinerseits erklärt sich als „sozialistisch“ und „revolutionär“, obwohl es in Wirklichkeit in Venezuela ein Regime des Staatskapitalismus um jeden Preis, im Stil der diktatorischen Regime von Kuba, China, Nordkorea oder des sogenannten „arabischen Sozialismus“, umgesetzt hat.[2] Das Regime führte angeblich einen Kampf gegen den „wilden Neoliberalismus“, aber die Auswirkungen seines „Sozialismus“ waren für die Bevölkerung ebenso verheerend: von extremer Armut betroffen sind 61,2% der Bevölkerung, und die Armut gemessen am Familieneinkommen betrifft 87%, mehr als 10% der Kinder leiden unter schwerer Unterernährung, 2017 starben durchschnittlich 5 bis 6 Kinder pro Woche an Unterernährung und Krankheiten, 2017 und 2018 übertraf die Hyperinflation 1.000.000% und vernichtete die Löhne. Darüber hinaus hat der Chavismus Kollektivarbeitsverträge faktisch beseitigt und ein repressives System am Arbeitsplatz eingeführt.
Diese Modelle des Kapitalmanagements wie der Chavismus sind Regimes, die nichts mit dem Kommunismus zu tun haben, für den Marx, Engels, Lenin, Rosa Luxemburg kämpften und der darin bestehen würde, dem bürgerlichen Staat (ob rechts oder links regiert) und den blinden Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise ein Ende zu bereiten. Wir müssen bedenken, dass weder die linken Kräfte des Kapitals noch die Rechten eine Lösung für die Krise des zerfallenden Kapitalismus finden können: Wir sehen zum Beispiel, wie die Rechte in Argentinien, nachdem sie die linken Regierungen der Kirchner verdrängt hat, jetzt das Land in eine noch schlimmere Krise stürzt, die sich über den Arbeiter_innen entlädt. Das Gleiche wird mit der Regierung Bolsonaro in Brasilien geschehen.
Sowohl der Chavismus und seine linken Fans in der Region und in der ganzen Welt als auch die verschiedenen Oppositionskräfte in der Mitte und auf der Rechten haben sich bemüht, alle möglichen Lügen und Verwirrungen zu verbreiten, um das historische und theoretische Erbe des Marxismus und die Lehren, die die Kämpfe des Proletariats hinterlassen haben, zu deformieren, selbst wenn sie sich als „Marxisten“ ausgeben oder wenn sie den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ als „kommunistisch“ bezeichnen. Sie alle haben versucht, ihre Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten; jetzt sind wieder die Rechten und das rechte Zentrum an der Reihe, und sie proklamieren, dass der „Kommunismus“ in Lateinamerika ausgerottet werden müsse, mit dem sie Chavismus und Castrismus identifizieren.
Wie bereits erwähnt, haben die USA Guaidó gefördert, um wieder eine möglichst enge Kontrolle über ihren Hinterhof herzustellen. China, mit seiner Expansion auf den Märkten in Lateinamerika und anderen Ländern der Welt und nun mit dem umfangreichen „Seidenstraßen“-Projekt, beabsichtigt nicht nur eine Eroberung der in seiner Reichweite liegenden Märkte, sondern auch eine strategische, imperialistische Verankerung weltweit. China stützt sich auf wirtschaftliche Mittel bei seinem Versuch, ein globales imperialistisches Netz zu spinnen, um die Einkreisung, die die USA seit Obama verfolgt hat (mit Japan, Südkorea, Philippinen, Indien usw.) zu durchbrechen. In diesem Sinne sind die Bündnisse mit Venezuela, Ecuador, Nicaragua usw. für die imperialistischen Ambitionen Chinas sehr wichtig. Die „Operation Guaidó“ der USA ist ein Gegenangriff, der sich einreihen soll in die gewonnen Positionen in Argentinien und Brasilien sowie die traditionelle Loyalität Kolumbiens.
Der erste Schritt der imperialistischen Operation der USA ist der Einsatz der so genannten humanitären Hilfe. Es ist der Höhepunkt des Zynismus und der Heuchelei, dass der Hunger, der Mangel an Medikamenten, die verzweifelte Situation von Millionen von Arbeiter_innen und Ausgebeuteten in Venezuela dazu benutzt werden, die erste Phase der US-Strategie gegen das Maduro-Regime umzusetzen. Die Lastwagen, die Lebensmittel und Medikamente transportieren und auf der berühmten Tienditas-Brücke in der kolumbianischen Stadt Cúcuta parken, sind gleichbedeutend mit Raketen und Bombern. Mit ihnen versucht der US-Imperialismus, seinen imperialistischen Rivalen, den Chavismus, in eine unbequeme Lage zu bringen: Lebensmittel und Medikamente für die hungrige Bevölkerung abzulehnen. Sowohl die Amerikaner als auch die Chavisten, die Seite von Guaidó und die von Maduro, zeigen sich in ihrem widerwärtigen Zynismus. Die erste, die den Hunger der Bevölkerung als Kriegswaffe ausnutzt und eine Operation wiederholt, die Clinton 1998-99 in Serbien durchführte, wo Tonnen von Lebensmitteln aus Flugzeugen geworfen wurden, um das rivalisierende Regime von Milosevic zu schwächen, oder ein ähnliches Manöver in Haiti 2004[3]. Die Chavisten, mit Maduro an der Spitze, lehnen die Hilfe ab und zeigen damit, was offensichtlich ist: Sie scheren sich einen Dreck um den Hunger und das unsägliche Leid der Bevölkerung.
Maduro wird so lange wie möglich widerstehen, und ohne Zweifel werden China und Russland ihr Bestes tun, um ihn zu unterstützen. Bisher haben sich die Armee und die Repressionskräfte mit dem Chavismus zusammengeschlossen. Was jetzt versucht wird, ist, diesen „unzerbrechlichen“ Zusammenhalt zwischen dem militärisch-repressiven Apparat und Maduro zu schwächen. Bei der Durchführung dieser destabilisierenden Operation wird die Gefahr von bewaffneten Auseinandersetzungen am Horizont aufgezeigt. Angesichts des imperialistischen Eifers und des fortgeschrittenen Grades an ideologischem, politischem, wirtschaftlichem und sozialem Zerfall in Venezuela besteht eine echte Gefahr, auch in einem Bürgerkrieg oder zumindest in einer Situation aufeinanderfolgender Konfrontationen mit wiederholten Blutbädern zu enden, was zu einer wachsenden Spirale des Chaos und einer Vervielfachung von Konfrontationen in alle Richtungen führen können, die das Land und die Region in den Zusammenbruch ziehen. Diese Perspektive wird auch durch die Informationen des Venezolanischen Observatoriums für Gewalt gestützt, wonach es im Land 8 Millionen illegale Schusswaffen gebe, zudem fehlten genauen Daten über die Anzahl der Waffen in den Händen der organisierten Unterwelt, zu denen noch die Drohung der Regierung Maduro hinzukommt, 500.000 Gewehre an ihre Milizen zu übergeben.
Die massive Abwanderung der venezolanischen Bevölkerung in Länder der Region wie Kolumbien, Brasilien, Argentinien, Chile, Ecuador und Peru (mit Karawanen von Wandernden, die denen aus Honduras in die Vereinigten Staaten ähneln) ist ebenfalls ein Faktor für die Ausbreitung des Chaos. Es ist ein nicht zu unterschätzendes Problem, auf das die Bourgeoisien der am stärksten betroffenen Länder mit rassistischen und fremdenfeindlichen Kampagnen reagieren, die als Barriere gegen das Chaos gedacht sind.
Nur das Proletariat stellt eine Alternative für die Zukunft der Menschheit dar Die Krise des Kapitalismus ist unaufhaltsam, sie nährt sich Tag für Tag an den Widersprüchen des kapitalistischen Regimes selbst. Aus diesem Grund wird die Lösung der Krise, in der die Ausgebeuteten leben, nur durch die Vereinigung der Proletarier_innen Venezuelas, der Region und der ganzen Welt möglich sein. In der gegenwärtigen Periode des Zerfalls des Kapitalismus gibt es kein Land der Welt, das nicht von der Barbarei bedroht wäre, die Venezuela heimsucht. Weder der Populismus der Linken noch derjenige der Rechten, noch die Verteidiger des Neoliberalismus stellen einen Ausweg dar.
Die Arbeiter_innen in Venezuela müssen jede Mobilisierung für irgendeine der am Kampf beteiligten Fraktionen der Bourgeoisie ablehnen und die Sirenengesänge der Opposition ignorieren, die die ausgebeuteten Massen zur Unterstützung aufrufen; ebenso müssen sie die Fallen der Parteien, Gruppen und Gewerkschaften der Linken und Linksextremen vermeiden, welche sich dem Regime ebenfalls widersetzen, wie die des so genannten „Chavismus ohne Chávez“, die versuchen, ihre linksbürgerliche Version eines Ausbeutungsregimes ähnlich dem von Maduro einzubringen.
Wir haben gesehen, dass es in Venezuela während des chavistischen Regimes eine große Zahl von Protesten gegeben hat. Allein 2018 gab es mehr als 5.000 Demonstrationen (durchschnittlich 30 Proteste pro Tag), die sich meist um soziale Rechte wie Nahrung, Wasser, Dienstleistungen und bessere Löhne drehten. In den letzten Jahren sind insbesondere Kämpfe der Ärzt_innen und des Pflegepersonals aufgefallen, die es wagten, die Repressionskräfte des Staates herauszufordern, aber auch eine große Solidarität zeigten, indem sie sich hinter Patient_innen stellten, die keine Medizin oder Pflege erhielten, und die Einheit mit anderen Sektoren wie Lehrer_innen und Professor_innen suchten. Diese Kämpfe standen aber unter dem Einfluss von Gewerkschaften, die sie zu kontrollieren und zu sabotieren versuchten, obwohl es bemerkenswert ist, dass es in den Kämpfen eine Tendenz gab, sowohl den Chavismus als auch die Opposition abzulehnen und zu versuchen, sie autonomer zu führen. Die Arbeiter_innen müssen ihre Kämpfe gegen das Regime der bürgerlichen Ausbeutung auf ihrem eigenen Terrain fortsetzen. In ihrem Kampf müssen die Arbeiter_innen versuchen, andere nicht ausbeutende Schichten mitzuziehen; nur das Proletariat hat die Fähigkeit, die soziale Empörung in einen echten politischen Vorschlag für die gesellschaftliche Veränderung zu verwandeln.
Die revolutionären Organisationen, die sich auf die Kommunistische Linke berufen, sowie die am stärksten politisierten Minderheiten in Venezuela, der Region und der Welt, müssen zur Entwicklung einer Bewegung auf den proletarischen Grundlagen der Solidarität und des Kampfes mit den ausgebeuteten Massen aufrufen, die überall auf der Welt Situationen wie die venezolanische erleben. Nur das Weltproletariat hat die Antwort auf diese Perspektive des Untergangs in der Barbarei; aus diesem Grund muss es seine Klassenautonomie verteidigen, die voraussetzt, dass es jedes Bündnis mit irgendeiner Konfliktpartei ablehnt und seine eigenen Forderungen als Klasse bekräftigt; um für die Einheit aller Arbeiter zu kämpfen, muss es sich hinter der Losung vereinen: Ob einheimisch oder ausländisch – dieselbe Arbeiterklasse!
Internationale Kommunistische Strömung, 12.02.2019
[1] Dieses Chaos ist Ausdruck des Zerfallsstadiums, in das der Kapitalismus eingetreten ist; vgl. zur historischen Tragweite und Tiefe dieser Sackgasse unsere Thesen zum Zerfall, /content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [1]
[2] Wir haben bei zahlreichen Gelegenheiten die große Lüge des 20. Jahrhunderts angeprangert, wonach Staaten wie die UdSSR, China, Kuba und Nordkorea „kommunistisch“ seien (oder gewesen seien). Siehe z.B. die Artikel in der Internationalen Revue Nr. 12: Die russische Erfahrung: Privateigentum und Gemeineigentum, https://de.internationalism.org/rint12isme [2], oder in Weltrevolution Nr. 145: Zur neuen Plattform des Aufbaus: Sind die so genannten sozialistischen Länder Übergangsgesellschaften zum Kommunismus, /content/1560/zur-neuen-plattform-des-aufbaus-sind-die-so-genannten-sozialistischen-laender [3].
[3] Vgl. dazu Die demokratische und humanitäre Scheinheiligkeit in Internationale Revue Nr. 35, https://de.internationalism.org/revue/35_imperialistischeRivalitaeten [4]
Im November 2018 trafen sich die beiden Hauptgruppen der Kommunistischen Linken in Großbritannien, die IKS und die Communist Workers Organisation (CWO)[1], in London zum hundertsten Jahrestag der deutschen Revolution. Bei beiden Treffen zeigte sich, dass über eine Reihe von Kernpunkten, die sich aus dieser Erfahrung ergeben, grundsätzliches Einvernehmen besteht:
- Die immense historische Bedeutung der deutschen Revolution als Wendepunkt in der Weltrevolution, die in Russland begonnen hatte, und die tragischen Folgen ihrer Niederlage: die Isolation und Degeneration der Revolution in Russland und der globale Triumph der Konterrevolution in ihren faschistischen, stalinistischen und demokratischen Formen, die den Weg zum Zweiten Weltkrieg ebneten.
- Der unumkehrbare Verrat von den Teilen der Sozialdemokratie, die sich den Kriegsanstrengungen der herrschenden Klasse anschlossen und dann eine zentrale Rolle bei der Sabotage und Unterdrückung der Revolution spielten, die eine Reaktion auf das Gemetzel des Krieges war. In jeder zukünftigen Revolution werden es die linken Fraktionen der Bourgeoisie, die wahren Erben von Noske, Scheidemann und anderen Bluthunden der Konterrevolution sein, die vom Kapital als letzte Verteidigungslinie gegen das Proletariat eingesetzt werden;
- die entscheidende Bedeutung des Kampfes für eine kommunistische Partei, um den Lügen der Agenten der Bourgeoisie entgegenzutreten und eine klare und kohärente revolutionäre Alternative vorzuschlagen. Eine solche Partei kann nur im Weltmaßstab zentralisiert werden, da die Revolution selbst nur auf der weltweiten Bühne erfolgreich sein kann. Wie die CWO in ihrem Artikel "Die Bedeutung der deutschen Revolution: Überlegungen zum öffentlichen Treffen der CWO/IKT in London am 17. November 2018"[2] sagt: "ohne einen revolutionären Kern der Arbeiterklasse, um den herum eine Partei aufgebaut werden kann, gibt es nicht die geringste Chance auf einen erfolgreichen Ausgang unseres Kampfes".
Und doch gab es auch eindeutige Meinungsverschiedenheiten zwischen unseren beiden Organisationen, die bei der CWO-Veranstaltung auftauchten und die bei der IKS-Veranstaltung in der folgenden Woche, an der ein Mitglied der CWO teilnahm[3], weiter diskutiert wurden. Diese Meinungsverschiedenheiten werden in dem gerade erwähnten CWO-Artikel angesprochen:
"Angesichts des obigen Szenarios war es daher überraschend, dass ein Mitglied der Internationalistischen Kommunistischen Strömung (die einzige andere am Treffen anwesende Organisation), von welcher andere Genossen positive Beiträge zur Diskussion leisteten, die Frage aufwarf, dass der August 1914 zu früh war für die Abspaltung der Gruppe Internationale von der deutschen Sozialdemokratie. Er argumentierte überraschend, dass der August 1914 kein endgültiger Verrat an der internationalen Arbeiterbewegung gewesen sei.
Er fuhr fort zu sagen, dass die IKS und die IKT beide aus der Tradition der Italienischen Kommunistischen Linken stammten und dass wir anerkennen sollten, dass dies genauso für die Mitglieder der Kommunistischen Partei Italiens (PCd'I) galt, die in den 1920er Jahren ins Exil gingen. Sie hatten gesehen, wie die von ihnen gegründete Partei von den "Zentristen" wie Gramsci und Togliatti mit Unterstützung der Kommunistischen Internationale übernommen wurde (obwohl die Linke immer noch die Unterstützung der Mehrheit der PCd'I hatte). Da sie jedoch keine eindeutigen Beweise dafür hatten, dass dies bedeutete, dass die Dritte Internationale endgültig und unwiderruflich mit der internationalen Revolution gebrochen hatte (und angesichts der abrupten Veränderungen in der Politik der Komintern war dies eine Zeit großer Verwirrung), beschlossen sie, sich als "Fraktion" zu formieren. Das Ziel der Fraktion war es, entweder die Komintern davon zu überzeugen, am revolutionären Internationalismus festzuhalten, oder, wenn das fehlschlug und die Internationale etwas tat, das eindeutig zeigte, dass sie die Arbeiterklasse verraten hatte, dann sollte die Fraktion den Kern der neuen Partei bilden. Tatsächlich entschied die Fraktion 1935, dass die Komintern auf die andere Seite der Klassenbarrikaden übergegangen war (mit der Annahme der Volksfront-Politik). Allerdings wurde sie dann zwischen den Anhängern von Vercesi, die nun argumentierten, dass die Partei nur unter Bedingungen gegründet werden könne, unter denen sie eine Massenanhängerschaft gewinnen könne (ähnlich wie in Luxemburg), und denen, die mit dem Aufbau in den 1930er Jahren beginnen wollten, gespalten. Das Problem wurde nie gelöst und die Fraktion brach 1939 zusammen.
Wir antworteten, dass die beiden Fälle von Deutschland 1914 und den italienischen Genossen in den 1920er Jahren nicht identisch waren. Wie die vorstehende Analyse zeigt, war die Abstimmung der SPD für Kriegskredite ein klarer und offensichtlicher Verrat an der Sache der Arbeiterklasse. Und dieses Urteil ist nicht das Ergebnis der Rückschau. Es gab damals andere Sozialisten (wie Lenin, aber nicht nur ihn), die das lautstark sagten. Die Notwendigkeit bestand in einem neuen Banner, um das sich die revolutionäre Arbeiterklasse versammeln konnte. Je früher dieses Banner aufgestellt wurde, desto schneller konnten die Revolutionäre an die Arbeit gehen, um für die Bewegung zu erbeiten, die früher oder später gegen den Krieg ausbrechen würde. Und die Tatsache, dass Deutschland ein föderaler Staat mit sehr viel lokalistischen Tendenzen war, machte diese Aufgabe umso dringlicher".
Wir haben die CWO ausführlich zitiert, weil wir sicherstellen wollen, dass unsere Antwort genau auf ihre Ansichten eingeht. Aber dabei müssen wir einige wichtige Ungenauigkeiten in der Darstellung der CWO berücksichtigen, sowohl in Bezug auf bestimmte historische Elemente als auch auf unser eigenes Verständnis von ihnen.
Zunächst ist es irreführend zu sagen, dass für die IKS "der August 1914 kein endgültiger Verrat an der internationalen Arbeiterbewegung gewesen sei". Im Gegenteil: Die Kapitulation der Mehrheitssozialdemokraten innerhalb und außerhalb des Parlaments war in der Tat ein deutlicher Verrat an allem, wofür die internationale Sozialdemokratie gestanden und auf großen internationalen Kongressen gestimmt hatte. Er bestätigte, dass der opportunistische rechte Flügel der Sozialdemokratie, gegen den Militante wie Luxemburg seit Ende des 19. Jahrhunderts einen entschlossenen Kampf geführt hatten, die Grenze zum feindlichen Lager überschritten hatte - ein Schritt, von dem aus es kein Zurück mehr geben konnte.
Unser Punkt war jedoch, dass der Verrat eines wesentlichen Teils der Organisation noch nicht bedeutete, dass die gesamte Partei in den kapitalistischen Staat integriert worden war; gerade weil die Sozialdemokratie - entgegen dem, was einige Anarchisten behaupten - nicht von Anfang an bürgerlich war, führte der Verrat vom August 1914 zu einer riesigen Schlacht innerhalb der Partei, zu einer Flut von Reaktionen gegen den Verrat, die wenn auch oft verwirrt und unzureichend, begrenzt durch zentristische und pazifistische Vorstellungen, immer noch im Grunde eine proletarische, internationalistische Reaktion gegen den Krieg ausdrückten. Die klarsten, entschlossensten und berühmtesten unter ihnen waren die Spartakisten. Und solange diese Schlacht andauerte, solange die verschiedenen Oppositionen gegen die neue offizielle Linie noch innerhalb der Partei operieren konnten, war die Frage der Fraktion, eines organisierten, internen Kampfes für die "Seele" der Partei - bis entweder zur Säuberung der Verräter oder zur Vertreibung der Internationalisten - noch völlig relevant[4].
In einem internen Diskussionstext über die Natur des Zentrismus, den wir 2015 veröffentlicht haben, gab unser Genosse Marc Chirik eine ganze Reihe von Beispielen für die oppositionelle Bewegung innerhalb der SPD nach August 1914, sowohl im Parlament als auch in der gesamten Partei. Der entschlossenste Ausdruck dieser Reaktion war die Gruppe um Luxemburg und Liebknecht, die nicht darauf wartete, dass sich die Klasse in großer Zahl mobilisierte, sondern vom ersten Tag des Krieges an ihren Widerstand im späteren Spartakusbund zu organisieren begann und versuchte, internationalistische Kräfte innerhalb der Partei um den Slogan "Lasst die Partei nicht in den Händen der Verräter" zu sammeln. Nicht lange danach gab es die Entscheidung zahlreicher Abgeordneter, nicht für weitere Kriegskredite zu stimmen; die Beschlüsse vieler Ortsgruppen der SPD, dass die Führung die Politik der Union Sacrée (der geheiligten Einheit) aufgibt; die Bildung des "sozialdemokratischen Arbeitskollektivs", das den Kern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der UPSD, bilden würde; die Veröffentlichung von Flugblättern und Manifesten sowie die Aufforderung zu Demonstrationen gegen den Krieg und in Solidarität mit Karl Liebknecht für seine unnachgiebige Opposition gegen den Militarismus der herrschenden Klasse. Für Marc war dies eine Bestätigung dafür, dass "Was auch für das Leben des einzelnen Menschen nicht wahr ist, ist eine totale Absurdität auf der Ebene einer historischen Bewegung wie der des Proletariats. Hier wird der Übergang vom Leben zum Tod nicht in Sekunden oder gar Minuten, sondern in Jahren gemessen. Der Moment, in dem eine Arbeiterpartei ihre eigene Sterbeurkunde und ihren tatsächlichen, endgültigen Tod unterzeichnet, ist nicht dasselbe. Das ist vielleicht für einen radikalen Phraseologen schwer zu verstehen, aber es ist durchaus verständlich für einen Marxisten, der nicht die Gewohnheit hat, ein Schiff wie eine Ratte zu verlassen, wenn es anfängt, Wasser aufzunehmen. Revolutionäre kennen die historische Bedeutung einer Organisation, die die Klasse ins Leben gerufen hat, und solange sie noch einen Hauch von Leben enthält, kämpfen sie, um sie zu retten, um sie für die Klasse zu behalten"[5].
Es ist auch nicht wahr, dass sich die Situation der deutschen Revolutionäre 1914 grundlegend von der der Genossen der italienischen Linken unterschied, die beschlossen, eine Fraktion zu bilden, um gegen die Degeneration der Kommunistischen Partei Italiens in den 1920er Jahren zu kämpfen. Im Gegenteil: In beiden Fällen haben Sie eine Partei, die zunehmend von einer offen bürgerlichen Fraktion dominiert wird (Sozialchauvinisten in der SPD, Stalinisten in der CP), und eine Opposition, die in ein schwankendes Zentrum und eine revolutionäre Linke unterteilt ist, die zu Recht entschieden hat, dass es, selbst wenn sich die Flut gegen die Klasse wendet, eine elementare Pflicht bleibt, so lange wie möglich für das eigentliche Programm und die Traditionen der Partei zu kämpfen, solange es noch proletarisches Leben gibt. Im Gegensatz dazu hat die Methode der CWO, die die Situation der SPD 1914 beschreibt, eine seltsame Ähnlichkeit mit der alten (im Wesentlichen rätistischen) CWO-Position gegenüber den Bolschewiki und den kommunistischen Parteien - dass sie bereits 1921 völlig bürgerlich waren und jeder, der anders dachte, im Grunde ein Apologet für ihre nachfolgenden Verbrechen war.
Wir könnten auch die äußerst vereinfachte Darstellung der Geschichte der Debatten innerhalb der italienischen Fraktion bis 1939 aufgreifen, aber es wäre besser, darauf in einem separaten Artikel zurückzukommen, da die CWO kürzlich einen Artikel von Battalgia Comunista (BC)[6] zur Frage von Fraktion und Partei mit einer langen Einführung durch die CWO veröffentlicht hat, die viele Aspekte ihrer Kritik an der IKS äußert, nicht nur zur Frage der Fraktion und der Partei, sondern auch zu unserer Analyse der Weltsituation[7]. Aber einer der Kernpunkte, die sich sowohl aus dem BC-Artikel als auch aus der neuen Einleitung ergeben, ist die Idee, dass eine Fraktion im Grunde genommen nur ein Diskussionskreis ist, der wenig Interesse daran hat, in den Klassenkampf einzugreifen: "Dies ist keine Zeit für Brüche oder Diskussionskreise", wie sie am Ende des Artikels über die öffentliche Versammlung feststellten. Es ist an der Zeit, überall Kerne von Revolutionären zu bilden und sie in der Gründung einer internationalen und internationalistischen revolutionären Partei zur Vorbereitung auf die unvermeidlichen Klassenkonflikte der Zukunft zusammenzuführen".
Wenn die Spartakistengruppe trotz ihrer vielen Schwächen grundsätzlich die Rolle einer Fraktion innerhalb der SPD spielte, deren lange Degenerationsdynamik sich nach dem Wendepunkt im August 1914 dramatisch zu einem endgültigen Bruchpunkt beschleunigte, dann ist Fraktionsarbeit eindeutig etwas ganz anderes als ein Rückzug in die akademische Debatte, der sich von der täglichen Realität von Krieg und Klassenkampf entfernt. Im Gegenteil, es steht außer Frage, dass die Spartakisten das Banner des Klassenkampfes gegen den Krieg "aufgezogen" haben. Innerhalb der SPD hatte der Spartakusbund eine eigene Organisationsstruktur, veröffentlichte eine eigene Zeitung, gab viele Flugblätter heraus und konnte zusammen mit einigen der radikalsten Elemente der Klasse (insbesondere den "Revolutionären Betriebsräten" oder "Obleute" in den Industriezentren) zu Demonstrationen aufrufen, die Tausende von Arbeitern zusammenfassen. Diese ausgeprägte Organisationsstruktur wurde als Voraussetzung für den Eintritt der Spartakisten in die USPD fast drei Jahre nach Kriegsbeginn im April 1917 nach der Massenvertreibung der Opposition aus der SPD beibehalten. Diese Entscheidung wurde getroffen, wie Liebknecht es ausdrückte, "um sie voranzutreiben, um eine Plattform für unsere Position zu haben, um Tausende von Elementen erreichen zu können". Wie Marc in seinem Text kommentiert: "Es ist mehr als zweifelhaft, ob diese Strategie in diesem Moment gültig war, aber eines ist klar: Wenn eine solche Frage für Luxemburg und Liebknecht gestellt wurde, dann deshalb, weil sie die USPD zu Recht als eine zentristische Bewegung und nicht als Partei der Bourgeoisie betrachteten". Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Fraktion der Spartakisten, ob innerhalb oder außerhalb einer größeren Partei, als unabhängige Kraft weitermachte, die versuchte, die Bedingungen für eine neue Partei zu schaffen, die sowohl von bürgerlichen als auch von zentristischen Elementen gereinigt wurde - so wie es für die italienische Linke in den späten 20er und 30er Jahren nach ihrer Vertreibung aus der Partei und sogar nach ihrer Anerkennung, dass die CPs an den Feind übergegangen waren, weiterging.
So gründet sich ein Teil der Kritik der CWO an den Spartakisten für einen zu langen Aufenthalt in der alten Partei auf dieses Missverständnis der Rolle einer Fraktion als Diskussionskreis, deren Tätigkeit in gewisser Weise gegen die Bildung revolutionärer Kerne ist, die den Boden für die zukünftige Weltpartei bereiten. Im Gegenteil: Das war genau das Konzept der Fraktion, wie es von der italienischen Linken ausgearbeitet wurde. Der Unterschied liegt anderswo: in der (von Luxemburg und der italienischen Linken geteilten) Erkenntnis, dass die Gründung einer neuen internationalen Partei nicht nur das Ergebnis des Willens von Revolutionären war, sondern von einem viel breiteren und tieferen Reifungsprozess in der Klasse abhängig war.
Die CWO-Präsentation auf dem Treffen und ihr dem nachfolgendern Artikel legent großen Wert auf den Kontrast zwischen den Spartakisten und den Bolschewiki:
"In Russland wurden die Bolschewiki Anfang 1917 auf nur 8000 - 10.000 geschätzt, aber sie waren in fast jeder Stadt oder Stadt präsent und, was noch wichtiger ist, eingebettet in die breitere Arbeiterklasse. Als die revolutionäre Bewegung entstand, war sie also nicht nur in der Lage, eine Führung zu geben, sondern wuchs auch in ihr. Arbeiter hatten im Februar 1917 spontan nach "sowjetischer Macht" (basierend auf dem Gedenken an 1905) gerufen, aber im Sommer 1917 war klar, dass nur eine Partei "alle Macht den Sowjets" unterstützte und diese Partei in den meisten Schätzungen nun 300.000 Mitglieder hatte".
Es ist sicherlich wahr, dass die Bolschewiki in den Jahren 1914-19 an der Spitze der revolutionären Bewegung standen. In der Frage des Krieges verteidigte die bolschewistische Delegation in Zimmerwald eine viel rigorosere Position als die der Spartakisten: Sie hoben zusammen mit den deutschen "Linksradikalen" den Slogan "verwandeln den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg" hervor, während die spartakistische Delegation die Tendenz zeigte, dem Pazifismus Zugeständnisse zu machen. In ihrer tatsächlichen Praxis in einer revolutionären Situation konnten die Bolschewiki das Gleichgewicht der Klassenkräfte mit großer Klarheit analysieren und spielten so in entscheidenden Momenten eine Schlüsselrolle: im Juli, als es notwendig war, die Provokationen der Bourgeoisie zu vermeiden, die versuchten, revolutionäre Arbeiter in eine vorzeitige militärische Konfrontation zu ziehen; im Oktober, als Lenin darauf bestand, dass die Bedingungen für den Aufstand definitiv gereift waren und es vor dem Moment notwendig geworden war, zuzuschlagen. Dies stand im tragischen Gegensatz zur jungen Kommunistischen Partei Deutschlands, die im Januar 1919 in Berlin den monumentalen Fehler machte, den Köder der Bourgeoisie zu schlucken, nicht zuletzt, weil der Spartakistenführer Liebknecht die Parteidisziplin brach, indem er auf einen sofortigen bewaffneten Aufstand drängte.
Die Fähigkeit der Bolschewiki, diese Rolle zu spielen, lässt sich jedoch nicht auf die Vorstellung reduzieren, in die Klasse "eingebettet" zu sein. Es war vor allem das Ergebnis eines langen Kampfes um politische und organisatorische Klarheit innerhalb der russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der es den Bolschewiki ermöglichte, zu begreifen, was nach dem Februaraufstand wirklich auf dem Spiel stand, auch wenn es einen entschlossenen Kampf innerhalb der Partei erforderte, um eine sehr starke Tendenz zur Unterstützung der bürgerlichen Demokratie und eine "verteidigende" Position im Krieg zu verfolgen - das war der ganze Sinn der Debatten um Lenins Aprilthesen[8]. Die Tatsache, dass die Bolschewiki aus dieser Debatte hervorgegangen sind, hat den Kampf für die Sowjetmacht gestärkt und entschlossener gemacht, war das Ergebnis zweier wesentlicher Faktoren: einerseits ihre organisatorische Solidität, die es ermöglichte, die Einheit der Partei trotz der sehr starken Divergenzen, die während des revolutionären Prozesses in ihr auftraten, zu bewahren; und andererseits die Tatsache, dass ihr politisches Programm von Anfang an - auch wenn es noch nicht so klar war wie nach 1917 - immer auf dem Prinzip der Klassenunabhängigkeit von der Bourgeoisie basierte, im Gegensatz zu der anderen Haupttendenz der russischen Sozialdemokratie, den Menschewiki. Aber all das deutet darauf hin, dass die Bolschewiki in den Jahren zwischen der Geburt des Bolschewismus und dem Ausbruch der Revolution selbst die zentralen Aufgaben einer revolutionären Fraktion innerhalb der russischen Partei und der Zweiten Internationale wahrgenommen haben.
Die Strenge der Bolschewiki in organisatorischen und programmatischen Fragen war die eine Seite dieser Fähigkeit, den Übergang von der Fraktion zur Partei zu vollziehen; die andere Seite war die schnelle Reifung innerhalb des russischen Proletariats als Ganzes. Dies war ein Proletariat, das weitaus weniger anfällig für reformistische Illusionen war als seine Klassenbrüder und -schwestern in Deutschland: Sowohl auf der Ebene ihrer Lebensbedingungen als auch unter den politischen Bedingungen des zaristischen Regimes nahm ihr Kampf notwendigerweise einen explosiven und revolutionären Charakter an, der in gewisser Weise bereits auf die Umstände hinwies, denen die Arbeiterklasse in den am weitesten fortgeschrittenen Ländern in der neuen Epoche der Dekadenz gegenüberstehen würde. Dies war ein Proletariat, das die Möglichkeit des Aufbaus von Massenverteidigungsorganisationen innerhalb des alten Systems weitgehend verneinte, 1905 die sowjetische Organisationsform hervorbrachte und einen unschätzbar wertvollen Vorgeschmack auf die Bedeutung einer Revolution erhielt. Es sei auch daran erinnert, dass das russische Proletariat mit einer viel schwächeren Bourgeoisie konfrontiert war, während die deutschen Arbeiter in revolutionäre Kämpfe gegen eine mächtige herrschende Klasse katapultiert würden, die wusste, dass sie auf die Unterstützung der SPD und der Gewerkschaften sowie der internationalen Bourgeoisie zählen konnte. Unter diesem Gesichtspunkt können wir besser verstehen, warum die Frage nicht auf eine Art physische Präsenz von Revolutionären innerhalb der Arbeiterklasse reduziert werden kann, so wichtig das auch sein mag. Die deutschen Sozialdemokraten waren sicherlich in der Arbeiterklasse in allen Bereichen ihres Lebens - Wirtschaft, Politik und Kultur - sehr präsent. Das Problem war, dass dieser Einfluss innerhalb der Klasse zunehmend auf die Institutionalisierung und damit Neutralisierung des Klassenkampfes ausgerichtet war. Der Hauptunterschied zwischen der SPD und den Bolschewiki bestand in ihrer Fähigkeit, die Klassenautonomie des Proletariats zu erhalten und zu entwickeln.
Um schließlich den Kontrast zwischen den Bolschewiki und den Spartakisten wirklich zu verstehen, um tiefer auf die immensen Probleme einzugehen, mit denen die kommunistische Minderheit während der Revolutionswelle nach 1917 konfrontiert war, müssen wir die besonderen Situationen, die dieses oder jenes Land betreffen, in eine breitere internationale Vision integrieren. Die Zweite Internationale ist 1914 tatsächlich auseinandergefallen: Angesichts des Verrats an wesentlichen Teilen ihrer nationalen Komponenten hat sie einfach aufgehört zu existieren. Dies stellte sofort die Notwendigkeit für eine neue Internationale dar, auch wenn die Bedingungen für ihre Gründung noch nicht erfüllt waren. Die späte Gründung der Kommunistischen Internationale - und die damit verbundenen programmatischen Schwächen - sollte ein großes Handicap nicht nur für die deutsche Revolution, sondern für die russische Sowjetmacht und die gesamte revolutionäre Welle sein. Darauf werden wir in anderen Artikeln zurückkommen. Wir haben argumentiert, dass die vorherige Arbeit der linken Fraktionen eine unverzichtbare Grundlage für die Bildung der Partei auf einer soliden Basis ist. Aber wir müssen auch erkennen, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Gefahr des Opportunismus innerhalb der sozialdemokratischen Parteien immer deutlicher wurde, die linken Fraktionen, die sich dieser Tendenz zur Integration in die Politik der Bourgeoisie widersetzten, von der föderalen Struktur der Zweiten Internationale gefesselt waren. Dies war eine Internationale, die weitgehend als eine Art Koordinationszentrum für eine Sammlung nationaler Parteien fungierte. Es gab Solidarität und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen linken Strömungen (z.B. als Lenin und Luxemburg zusammenarbeiteten, um die Basler Resolution zum Krieg auf dem Internationalen Kongress von 1912 zu entwerfen), aber es gab nie eine international zentralisierte Fraktion, die eine kohärente Politik in allen Ländern entwickeln konnte, eine einheitliche Antwort auf all die dramatischen Veränderungen, die durch den Übergang des Kapitalismus in eine Epoche von Kriegen und Revolutionen ausgelöst wurden.
Die heutigen revolutionären Gruppen sind nicht wirklich Fraktionen im Sinne eines organischen Teils einer ehemaligen Arbeiterpartei, aber sie werden nicht in der Lage sein, den Boden für die Partei von morgen zu bereiten, wenn sie nicht verstehen, was wir aus dem historischen Beitrag der linken Fraktionen lernen können.
Amos
[1] Die CWO ist die britische Tochterorganisation der Internationalen Kommunistischen Tendenz; ein Genosse aus ihrer deutschen Gruppe, der GIS, nahm ebenfalls an der Sitzung teil. Während es positiv war, dass beide Organisationen die historische Bedeutung der Revolution in Deutschland anerkennen - die den Ersten Weltkrieg effektiv beendete und für einen kurzen Moment damit drohte, die politische Macht der Arbeiterklasse von Russland auf Westeuropa auszudehnen -, war es ein Zeichen der Uneinigkeit der bestehenden revolutionären Bewegung, dass innerhalb einer Woche zwei Treffen zum gleichen Thema in derselben Stadt stattfanden. Die IKS hatte die Abhaltung einer gemeinsamen Sitzung vorgeschlagen, um diesen teilweisen Konflikt zu vermeiden, aber die CWO lehnte unseren Vorschlag aus Gründen ab, die für uns nicht klar sind. Dies steht im Gegensatz zu den Treffen über die russische Revolution im Jahr 2017, bei denen sich die CWO bereit erklärte, an unserem Diskussionstag in London einen Vortrag zu halten https://en.internationalism.org/icconline/201712/14536/icc-day-discussio... [5] Für uns ist die Tatsache, dass die Gruppen der kommunistischen Linken mehr oder weniger allein mit der Bewahrung und Ausarbeitung der wesentlichen Lehren aus der Revolution in Deutschland sind, Grund genug, ihre Reaktion auf die ideologischen Verzerrungen dieses Ereignisses durch alle Fraktionen der herrschenden Klasse (zu denen auch die virtuelle Löschung aus den Geschichtsbüchern gehört) zu koordinieren.
[3] Diese Meinungsverschiedenheit stand im Mittelpunkt der Diskussion auf der CWO-Sitzung. Die Diskussion war auch auf dem IKS-Treffen wieder zentral, obwohl es auch eine Debatte über die Fragen eines internationalistischen anarchistischen Genossen gab, ob es einen Bedarf an einer Partei gibt und ob die Zentralisierung den organisatorischen Bedürfnissen der Arbeiterklasse entspricht. Zu dieser Frage der Notwendigkeit der Zentralisierung als Ausdruck der Tendenz zur Einheit sagte der Genosse später, dass er unsere Argumente klar und überzeugend fand.
[4] Siehe insbesondere die Artikel über die deutsche Revolution in der International Review 81,82 und 85:
[6] Veröffentlichung der Internationalistischen Kommunistischen Partei, der italienischen Tochterorganisation der IKT.
[7] In der Zwischenzeit können sich die Genossen auf eine Reihe von Artikeln beziehen, die wir veröffentlicht haben, in denen wir die Ansichten von Battaglia und von der CWO zur Frage der Fraktion kritisieren: siehe International Reviews 59, 61, 64, 65 (https://en.internationalism.org/series/2042 [8].).
Links
[1] https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus
[2] https://de.internationalism.org/rint12isme
[3] https://de.internationalism.org/content/1560/zur-neuen-plattform-des-aufbaus-sind-die-so-genannten-sozialistischen-laender
[4] https://de.internationalism.org/revue/35_imperialistischeRivalitaeten
[5] https://en.internationalism.org/icconline/201712/14536/icc-day-discussion-russian-revolution
[6] https://www.leftcom.org/en/articles/2018-11-23/the-significance-of-the-g
[7] https://en.internationalism.org/international-review/201508/13354/zimmer
[8] https://en.internationalism.org/series/2042
[9] https://en.internationalism.org/international-review/199704/2088/april-t