Anhang | Größe |
---|---|
![]() | 156.9 KB |
Am 5. und 10. Dezember gingen Hunderttausende von Demonstrierenden aus allen Bereichen und Generationen gemeinsam gegen die "Rentenreform" auf die Straße. In den Demos waren Wut und Kampfgeist eindeutig zu spüren. Seit den Kämpfen von 2003 und 2010 gegen die Rentenreform haben wir in Frankreich nicht mehr eine solche soziale Atmosphäre, einen solchen Enthusiasmus gesehen, so viele zu sein, um uns alle gemeinsam gegen diesen Angriff zu wehren, der die gesamte Klasse der Ausgebeuteten betrifft: öffentliche und private Angestellte, Aktive und Rentner*innen, Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Student*innen. Die Solidarität im Kampf zeigt sich auch heute noch durch den Willen, nicht nur für uns selbst, sondern auch für zukünftige Generationen und für andere Bereiche zu kämpfen. Heute Dienstag, den 17. Dezember, sind wir nach der abstoßenden Rede von Édouard Philippe und seinen Maßnahmen, in denen längere Arbeitszeiten und mehr Elend für alle Rentner*innen angekündigt wurden, wieder massiv mobilisiert. Wir müssen diesen Tag nutzen, um gemeinsam in den Demonstrationen zu diskutieren und zu reflektieren.
Der Premierminister, Édouard Philippe, und seine Regierung können ihre Reden mit allen möglichen trickreichen Lügen verkleiden; ihr Ziel ist klar: ihre "Rentenreform" zielt darauf ab, dem Staat Geld zu sparen, indem sie die Renten weiter kürzen. Niemand wird getäuscht, ihre "soziale Gerechtigkeit" heißt Senkung unserer Einkommen, die Verarmung aller.
Die Regierung verbirgt (schlecht) ihr wahres Ziel: Aufgrund von Zeiten der Arbeitslosigkeit oder wegen des Verschleisses durch die Arbeit werden die Arbeiter*innen am Ende in den Ruhestand gehen, ohne ihre gesamte Rente (oder alle ihre Punkte) zu haben, und müssen sich mit eingeschränkten Renten abfinden. Viele werden nicht einmal in der Lage sein, das bereits versprochene elende Minimum von 1.000 Euro zu erhalten, weil es dies nur für die volle Beitragszahlung gibt.
Um diese allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen zu verbergen, um die Arbeiter und ihren Kampf zu spalten, wendet die Regierung jeden erdenklichen Trick an. Sie stellt die Eisenbahner und RATP-Beschäftigten (Pariser-Nahverkehrsbetriebe) als "privilegierte Egoisten" und sogar "Geiselnehmer" dar. Mit der Begleitung von lautstark verbreiteten Stellungnahmen im Fernsehen und in der Presse macht die Regierung Versprechungen für diesen oder jenen Bereich, verhandelt in jeder Branche oder sogar in jedem Unternehmen getrennt. Die Lehrer*innen erhalten ein paar Krümel an Bonuszahlungen. Die Eisenbahner*innen erhalten einige Zugeständnisse bei den Anrechnungn der Arbeitszeiten/-tage. Die Regierung gibt vor, die vor 1975 geborenen Beschäftigten zu verschonen, um uns zwischen Jung und Alt zu spalten. Die Regierung gibt vor, Frauen bevorzugen zu wollen, während arbeitende Frauen wie alle anderen auch ärmer sein werden, wenn sie das Rentenalter erreichen.
Diese "Reform" ist nur ein gewalttätiger Angriff unter vielen. Überall, in Fabriken und Verwaltungen, in allen Unternehmen, in allen Bereichen, im privaten und im öffentlichen Sektor, setzt die Bourgeoisie dieselben unerträglichen Arbeitsbedingungen durch. Überall drohen prekäre Arbeitsbedingungen. Überall kündigen die neuen "Reformen" eine noch härtere Zukunft an. Ziel der Regierung ist es, die französische Wirtschaft international so wettbewerbsfähig wie möglich zu machen in einer Zeit, in welcher der Wettbewerb zwischen den Nationen durch die Verschärfung der Weltwirtschaftskrise immer härter wird. Sie schlägt immer wieder zu – jeweils im Namen der "notwendigen" Rentabilität, der "obligatorischen" Wettbewerbsfähigkeit, der "unvermeidlichen" Notwendigkeit von ausgeglichenen Haushalten, während die Einkommen und Privilegien der Kapitalisten skrupellos weiter zunehmen.
Bei der Demonstration am 10. Dezember in Paris sagte uns ein Bahnarbeiter der SNCF: "Man sagt, wir kämpfen für unsere Privilegien. Ich bin über 50 Jahre alt. Ich werde von der Reform nicht betroffen sein. Aber ich streike und beteilige mit seit 15 Tagen an den Vollversammlungen. Ich kämpfe nicht für mich. Ich kämpfe für die Jüngeren. Und das nicht nur für die Beschäftigten der SNCF. Für alle anderen, in allen Berufen. Wir müssen alle zusammenhalten. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, auf diese Weise verachtet zu werden."
Und dies ist keine isolierte Aussage. Ganz im Gegenteil. Diese Solidarität zwischen den Generationen und zwischen den Bereichen, dieses Gefühl der Zugehörigkeit zum Lager der Ausgebeuteten, das Gefühl, gemeinsam kämpfen zu müssen, ist in den Köpfen aller präsent. Das ist die Besonderheit der gegenwärtigen Bewegung: Nach Jahren der Trägheit, des Rückzugs in sich selbst, beginnen die ArbeiterInnen ihre Fähigkeit wieder zu entdecken, sich zu vereinen, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam, in Solidarität und Einheit zu kämpfen.
Die Gewerkschaften haben diese aufkommende Dynamik wahrgenommen, und deshalb präsentieren sie sich heute schamlos als Förderer der Solidarität, während sie in Wirklichkeit ständig die Arbeitnehmer spalten.
Édouard Philippe schloss seine Rede vom 11. Dezember mit den heuchlerischen Worten: "Meine Hand ist ausgestreckt, und unsere Tür bleibt offen." Aber offen für wen? Für die "Sozialpartner", d.h. die Gewerkschaften, die in keiner Weise die Interessen der Arbeiter*innen vertreten.
In der Tat wurde seit diesem Datum eine ganze Reihe von Verhandlungen mit diesen "Sozialpartnern" geführt, insbesondere über die Frage des auf 64 Jahre festgelegten "Referenz-Alters", das es der CFDT erlaubt, sich ein kämpferischeres Image zu geben. Hier taucht eine erste Falle auf: In naher Zukunft könnte die Regierung so tun, als würde sie bei diesem speziellen Aspekt ihrer Reform, auf den die Medien die ganze Aufmerksamkeit richten, vorübergehend einen Rückzieher machen, um vom Ganzen abzulenken. Die als "reformistisch" eingestuften Gewerkschaften können dann für sich in Anspruch nehmen, dass sie zufriedengestellt wurden. Die gewerkschaftliche Arbeit der Spaltung der Bewegung kann also beginnen!
Eine weitere Falle ist zu erwarten: Während bereits im September die Kampfbereitschaft in vielen Bereichen stark war, beschlossen die Gewerkschaften, die Bewegung erst am ... 5. Dezember zu starten. Warum mehr als drei Monate warten? Ganz einfach, wegen der Weihnachts- und Neujahrsfeiertage Ende Dezember! In Frankreich sind das Jahresende sowie die Sommerferien die schlechteste Zeit für die Entwicklung einer sozialen Bewegung aller Arbeiter*innen. Es ist ein klassisches Manöver der Gewerkschaften. Die Chancen stehen gut, dass die Eisenbahner*innen der SNCF und der RATP während dieser zwei Wochen, gedrängt von CGT und SUD, den Kampf allein und isoliert fortsetzen werden. Das Ziel der Gewerkschaften ist es, die Bewegung zu zerstückeln, die Kampfbereitschaft zu erschöpfen und die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe zu isolieren, während die Medien eine intensive Kampagne gegen diese so genannten "Geiselnehmer“ führen, „die die Arbeiter daran hindern, zu reisen und ihren wohlverdienten Urlaub zu genießen".
Auch in seiner Rede vom 11. Dezember hat Édouard Philippe stolz erklärt: "Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, an denen wir die Reform verbessern können, insbesondere bei den besonders schwierigen Arbeitsbedingungen." Darin liegt die dritte Falle: Die Regierung verhandelt mit jeder Branche separat, eine nach der anderen, um uns zu spalten. Aber mit wem verhandelt sie? Immer wieder mit – den Gewerkschaften! Während die "Sozialpartner" laut und deutlich erklären, dass diese Reform ein Angriff auf alle Arbeiter*innen ist, finden sie sich gleichzeitig am Verhandlungstisch mit der Regierung wieder (wie immer hinter unserem Rücken), um "gemeinsam zu untersuchen", wie Arbeiter*innen im Bildungswesen, im Transportwesen, in Krankenhäusern (oder in jeder anderen schwierigen Arbeit) teilweise und vorübergehend von diesem oder jenem Aspekt der Reform verschont bleiben könnten. Kurz gesagt, Regierung und Gewerkschaften spielen das Spiel der branchenmäßigen Spaltung gemeinsam, Hand in Hand!
Erinnern wir uns daran, dass die Gewerkschaften seit Jahren mehr und mehr branchenspezifische Aktionstage veranstalten, dass sie, wann immer sie können, die isologiert kämpfenden Arbeiter*innen in ihrer Branche gewissermaßen einsperren, jede*r in seinem/ihren Betrieb und mit seiner/ihrer eigenen Parole und seinen/ihren spezifischen Forderungen. Und je isolierter der Kampf ist, desto länger lassen die Gewerkschaften ihn dauern, bis die Streikenden völlig erschöpft sind.
Eine Karikatur dieser Sabotage war der Aufruf der "Kollektive" Inter-urgence und Inter-hôpitaux (krankenhausübergreifende Notdienste), sich nicht dem Streik vom 5. Dezember anzuschließen, und zwar im Namen der "Besonderheit der Krankenhausforderungen", um nicht "in einer Sammelbewegung verwässert zu werden". So hatten diese (von den Gewerkschaften und trotzkistischen Gruppen beherrschten) "Kollektive" die Krankenhausbeschäftigten aufgefordert, sich für einen besonderen, separaten Aktionstag am 30. November zu mobilisieren.
Aber dank dem Nachdenken der Arbeiter*innen über die Notwendigkeit, vereint und solidarisch zu kämpfen, gelang es, dem branchenmäßigen Spaltungsmanöver entgegenzuwirken, das von diesen "Kollektiven" orchestriert wurde: Am Ende folgten viele Krankenschwestern, Notärzt*innen und Praktikant*innen nicht den Anweisungen der Gewerkschaft und demonstrierten am 5. und 10. Dezember!
Seien wir nicht naiv, heute brüsten sich die Gewerkschaften mit ihrer neu gefundenen Einheit und Radikalität, indem sie verkünden, dass es keinen "Waffenstillstand am Jahresende" geben werde, um den Streik bei der RATP und der SNCF "unpopulär" zu machen. Dieses Manöver hat nur ein Ziel: uns zu spalten und in eine Niederlage und Demoralisierung zu führen!
Alle Ausgebeuteten haben die gleichen Interessen zu verteidigen. Sie kämpfen den gleichen Kampf. Nur durch Einheit und Solidarität, über Branchen und Unternehmen hinweg, können wir stark sein. Diese notwendige Einheit im Kampf bedeutet, dass wir uns nicht mehr als Eisenbahnarbeiter, Krankenschwestern, Kassierer, Lehrerinnen oder Computerspezialisten sehen dürfen, sondern als ausgebeutete Arbeiter und Arbeiterinnen. Das beweisen einmal mehr die massiven Demonstrationen im Dezember! Das ist es, was die französische Bourgeoisie heute beunruhigt!
Aber wenn wir unseren Kampf weiterhin den Gewerkschaften anvertrauen, werden diese sozialen Feuerwehrleute die Entwicklung unserer Kampffähigkeit und Solidarität sabotieren. Im Namen der Einheit werden sie uns spalten. Im Namen des Radikalismus werden sie uns erschöpfen. Wir können uns nur auf uns selbst verlassen. Um unsere Kämpfe voranzutreiben, müssen wir lernen, uns zu organisieren, indem wir massenhafte, für alle offene Vollversammlungen einberufen und Delegationen in die Betriebe schicken, die unserem Arbeitsplatz geographisch am nächsten liegen. Es ist möglich, wir haben es bereits getan. Erinnern wir uns:
1968, als die Weltwirtschaftskrise erneut zuschlug und mit ihr die Arbeitslosigkeit zurückkehrte, schlossen sich die Arbeiter*innen in Frankreich im Kampf zusammen. Nach den gewaltigen Demonstrationen am 13. Mai aus Protest gegen die polizeiliche Repression gegen die Student*innen breiteten sich die Streiks und Vollversammlungen wie ein Lauffeuer in den Betrieben aus. Dies gipfelte mit 9 Millionen Streikenden im größten Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Sehr oft entwickelte sich diese Dynamik der Ausdehnung und der Einheit außerhalb der Gewerkschaften, und viele Arbeiter*innen zerrissen nach den Grenelle-Vereinbarungen vom 27. Mai zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern ihre Gewerkschaftskarte. Es handelte sich um Vereinbarungen, die die Bewegung zu Grabe trugen.
Im Frühjahr 2006 musste die Regierung angesichts der Entwicklung der Solidarität zwischen den arbeitenden Generationen ihren "Contrat Première Embauche" (CPE) zurückziehen. Prekär beschäftigte Student*innen hatten in den Universitäten massenhaft Vollversammlungen organisiert, die für Arbeiter*innen, Arbeitslose und Rentner*innen offen waren. Sie hatten eine verbindende Parole aufgestellt: den Kampf gegen Prekarität und Arbeitslosigkeit. Diese Vollversammlungen waren sozusagen die Lunge der Bewegung, das Zentrum, wo Debatten geführt, Entscheidungen getroffen wurden, insbesondere über die Mittel zur Ausweitung des Kampfes. Ergebnis: Jedes Wochenende brachten die Demonstrationen immer mehr Bereiche zusammen. Unter dem Motto "Junger Speck, alte Croutons, alles derselbe Salat" schlossen sich Angestellte und Rentner*innen den Studenten*innen an. Die französische Bourgeoisie, die Arbeitgeber und die Regierung von Villepin hatten angesichts dieser Ausweitung und der von den Student*innen begonnenen Tendenz zur Vereinheitlichung der Bewegung keine andere Wahl, als den CPE zurückzuziehen.
Heute fehlt den Angestellten, Arbeitslosen, Rentner*innen und Studierenden noch das Vertrauen in sich selbst, in ihre kollektive Stärke, um ihren Kampf in die Hand zu nehmen. Aber es gibt keinen anderen Weg. Alle von den Gewerkschaften vorgeschlagenen "Aktionen" führen zu Spaltung, Niederlage und Demoralisierung. Nur das Zusammenkommen in offenen, massiven und autonomen Vollversammlungen, die wirklich über die Richtung der Bewegung entscheiden, kann die Grundlage für einen vereinigten und solidarischen Kampf aller Bereiche, aller Generationen sein. Vollversammlungen, die es jedem und jeder ermöglichen, an der Bewegung teilzunehmen. Vollversammlungen, die gemeinsame Forderungen stellen. Vollversammlungen, in denen wir uns vereint fühlen und auf unsere gemeinsame Stärke vertrauen. Vollversammlungen, die es uns ermöglichen, die Manöver der Gewerkschaften zu vereiteln und die Führung in unserem eigenen Kampf zu übernehmen.
Wenn diese Bewegung aufhört, weil sie irgendwann mal zu Ende gehen wird, müssen sich die kämpferischsten und entschlossensten Arbeiter neu zusammenfinden. Diese Arbeiter müssen zusammenkommen, um "Kampfkomitees" zu bilden, um gemeinsam zu diskutieren, die Lehren dieser sozialen Bewegung zu ziehen, sich die der vergangenen Bewegungen wieder anzueignen und sich auf zukünftige Kämpfe vorzubereiten.
Nur das Proletariat wird auf lange Sicht in der Lage sein, die Türen der Zukunft für die zukünftigen Generationen zu öffnen, angesichts dieses dekadenten kapitalistischen Systems, das immer mehr Elend, Ausbeutung und Barbarei in sich trägt, das Krieg und Massaker mit sich bringt, wie die Wolke den Sturm trägt. Ein System, das die Umwelt zerstört und das Überleben der Menschheit bedroht.
Nur der massive, vereinigte und selbstorganisierte Kampf der ausgebeuteten Klasse kann die gegenwärtigen Angriffe der Bourgeoisie bremsen und zurückschlagen.
Nur die Entwicklung dieses Kampfes kann den Weg für den grundlegenden und historischen Kampf der Arbeiterklasse für die Abschaffung der Ausbeutung und des Kapitalismus ebnen.
Internationale Kommunistische Strömung, 15. Dezember 2019
Nach der gezielten Ermordung des führenden iranischen Militärstrategen Qaseem Soleimani durch die USA ging es in vielen Hauptstädten der Welt, vor allem in Westeuropa – unabhängig davon, ob sie sich explizit für die US-Aktion aussprachen oder nicht – um die Notwendigkeit, eine "Eskalation" der militärischen Spannungen im Mittleren Osten zu vermeiden. In Bezug auf die begrenzte Art der ersten Reaktion des Iran – ein Raketenangriff auf die US-Luftwaffenstützpunkte im Irak, der offenbar nur geringe Schäden oder Verluste an Menschenleben verursacht hat – atmeten dieselben Stimmen auf und hofften, dass der Iran nun Halt machen würde.
Aber die Eskalation der militärischen Konfrontationen im Nahen Osten – und der besondere Beitrag der USA dazu – hat tiefere und breitere Wurzeln als die derzeitige Konfrontation zwischen dem Iran und der Trump-Regierung in den USA. Bereits in der Zeit des Kalten Krieges war die strategisch wichtige Region Schauplatz einer Reihe von Stellvertreterkriegen zwischen dem US-amerikanischen und dem russischen Block, insbesondere mit den arabisch-israelischen Kriegen von 1967 und 1973 und den "Bürgerkriegen", die den Libanon und Afghanistan heimsuchten, oder dem Krieg zwischen Iran und Irak in den 1980er Jahren. Mit dem Zusammenbruch des russischen Blocks am Ende jenes Jahrzehnts versuchten die USA, sich als einzige Supermacht der Welt durchzusetzen, indem sie von ihren ehemaligen Partnern des westlichen Blocks verlangten, sich 1991 dem ersten Krieg der "Neuen Weltordnung" von Bush Senior gegen Saddams Irak anzuschließen. Aber diese „Neue Weltordnung“ erwies sich bald als eine Illusion. Anstatt eine neue globale Stabilität zu erreichen – eine, die natürlich von den USA dominiert werden sollte – beschleunigte nur jedes neue amerikanische Militärabenteuer das Abgleiten ins Chaos: der gegenwärtige Zustand der beiden Länder, Afghanistan und Irak, die sie zu Beginn des neuen Jahrhunderts besetzten, liefert dafür reichlich Beweise. Unter Obama haben die USA in diesen Ländern einen Rückschlag erlitten und die Notwendigkeit, sich auf den Konflikt im Fernen Osten zu konzentrieren, um sich der wachsenden Herausforderung durch China zu stellen, hat den abnehmenden Einfluss des amerikanischen Imperialismus im Mittleren Osten noch weiter verdeutlicht. In Syrien mussten sie immer mehr Boden an Putins Russland abtreten, das nun ein Bündnis mit der Türkei (einem NATO-Mitglied) eingegangen ist, um die kurdischen Kräfte, die zuvor mit Unterstützung der USA den Norden Syriens gehalten hatten, zu zerstreuen.[1]
Aber obgleich die USA auf dem Rückzug sind, behaupten sie weiterhin, dass sie sich keineswegs aus der Region zurückgezogen haben. Stattdessen haben sie ihre Strategie auf die unerschütterliche Unterstützung ihrer beiden zuverlässigsten Verbündeten in der Region – Israel und Saudi-Arabien – ausgerichtet. Unter Trump haben die USA praktisch jeden Schein aufgegeben, Schiedsrichter zwischen Israel und den Palästinensern zu sein, und Netanjahus offen annektierendes Vorgehen ohne jeden Einwand unterstützt. Ebenso scheut sie keine Skrupel, das saudische Regime zu unterstützen, das im Jemen einen brutalen Krieg führt und dreist Sprecher der Opposition wie den Journalisten Jamal Khashoggi ermordet, der in der saudischen Botschaft in Istanbul getötet und zerstückelt wurde. Und vor allem übt es Druck auf seinen Hauptfeind in der Region, den Iran, aus.
Der Iran ist den USA seit der sogenannten Islamischen Revolution, die 1979 den stark pro-amerikanischen Schah stürzte, ein Dorn im Auge. In den 80er Jahren unterstützten sie Saddams Krieg gegen den Iran, um das neue Regime zu schwächen. Doch der Sturz Saddams im Jahr 2003 hat einen großen Teil des Irak für den iranischen Einfluss geöffnet: Die schiitisch dominierte irakische Regierung in Bagdad ist eng mit dem Teheraner Regime verbunden. Dies hat die eigenen imperialistischen Ambitionen des Iran im gesamten Nahen Osten erheblich verstärkt: Er hat über die Hisbollah im Libanon eine Art „Staat im Staat“ gegründet und ist die Hauptstütze der Huthi-Kräfte, welche gegen Saudi-Arabien und seine Stellvertreter im Jemen kämpfen. Und Soleimani war der Hauptarchitekt des iranischen Imperialismus bei diesen und anderen Abenteuern.
Die Entscheidung von Trump, die Ermordung Soleimanis in Angriff zu nehmen, basierte daher nicht auf einer bloßen Laune dieses zugegebenermaßen unberechenbaren US-Präsidenten, sondern ist Teil einer imperialistischen Strategie, die von einem beträchtlichen Teil der US-Bourgeoisie unterstützt wird – auch wenn die Verfolgung ihrer Logik sicherlich die Spaltungen innerhalb des militärisch-politischen Apparates der US-Herrscherklasse verschärft hat. Insbesondere hat sie diejenigen verärgert, die Obamas versöhnlichere Annäherung an den Iran unterstützten, wie sie in der Vereinbarung über das iranische Atomprogramm verkörpert wird, eine der ersten diplomatischen Vereinbarungen, die Trump bei seiner Amtsübernahme fallen gelassen hat. Dieser Versuch, Brücken zum Iran zu bauen, war auch die Vorgehensweise der wichtigsten europäischen Mächte, einschließlich Großbritanniens, die erneut ihre Bedenken gegen Trumps Politik nach der Ermordung Soleimani zum Ausdruck gebracht haben.
Diese bürgerlichen Kritiker von Trump haben sich beschwert, dass sie die "langfristige Strategie" hinter Soleimanis Ermordung nicht sehen können, dass Trump die Dinge nicht durchdacht hat. Sie bekräftigen weiterhin ihr Engagement für rationale, politische, diplomatische Lösungen für die kriegsähnlichen Konflikte und Rivalitäten, die sich auf der ganzen Welt ausbreiten. Aber das Abgleiten des Kapitalismus in den Militarismus ist nicht das Produkt von Trump oder anderen schlechten Führern, sondern der historischen Sackgasse des kapitalistischen Systems, und diese „verantwortlichen" bürgerlichen Fraktionen sind nicht weniger auf die Militärmaschine angewiesen als Trump und andere Populisten. Der Einsatz von Drohnen im Mittleren Osten und den umliegenden Regionen wurde unter Obama eingeführt.
Trumps Regierung basiert auf der Erkenntnis, dass sowohl die alte Ordnung der disziplinierten Militärbündnisse, die während des Kalten Krieges herrschte, als auch das Projekt der neuen Weltordnung nach 1989 gleichermaßen tot sind und dass die wahre Dynamik in der Welt seit 1989 darin besteht, dass "jeder für sich selbst schaut und der Teufel den Letzten schnappt": das ist die wahre Bedeutung von Trumps Slogan "America first". Und dies wiederum ist auf der Ebene der internationalen Beziehungen der Ausdruck der dahinter steckenden Fäulnis der kapitalistischen Gesellschaft selbst – der letzten Phase des Niedergangs des Kapitalismus als Produktionsweise, die erstmals durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs deutlich in Erscheinung getreten ist. In diesem Zusammenhang sind die USA nicht mehr der Gendarm der Welt, sondern der Hauptfaktor für den Abstieg ins Chaos. Trump ist lediglich die Personifizierung dieser unerbittlichen Tendenz. Deshalb kann das "langfristige Vorgehen", das hinter der Ermordung Soleimanis steckt, unabhängig von den subjektiven Vorstellungen Trumps oder seinen Gefolgsleuten und Anhängern, nur ein Ergebnis haben: die Eskalation der militärischen Barbarei, ob diese nun kurz- oder langfristig stattfindet. Und wie der Alptraum in Syrien klar vor Augen führt, wird das erste Opfer dieser Eskalation die Masse der Bevölkerung sein, der "Kollateralschaden" des Militarismus. In diesem Sinne zeigt der Abschuss des ukrainischen Flugzeugs über Teheran am selben Tag wie der iranische Raketenangriff auf die US-Luftwaffenstützpunkte, ob beabsichtigt oder nicht, den wahren menschlichen Preis dieser militärischen Konfrontationen.
Der linke Flügel der kapitalistischen politischen Maschinerie – die Demokraten und „demokratischen Sozialisten" in den USA, die Corbynisten in Großbritannien, die Trotzkisten überall – haben ihre eigene Agenda, wenn sie das Anheizen der Spannungen im Nahen Osten auf Trump oder den US-Imperialismus schieben. Das rührt von der Idee her, dass Amerika oder die Westmächte die einzigen Imperialisten seien und dass sie von nicht-imperialistischen oder sogar antiimperialistischen Ländern wie Russland, China – oder dem Iran – bekämpft würden. Das ist eine Lüge: In dieser Epoche sind alle Länder imperialistisch, von den größten und einflussreichsten Staaten bis hin zu den kleineren und weniger globalen Mächten. Der Iran hat (nicht weniger als Israel) seine eigenen imperialistischen Bestrebungen, die sich in seinen Versuchen ausdrücken, Stellvertreterkräfte einzusetzen, um die führende Macht im Nahen und Mittleren Osten zu werden. Und hinter ihnen lauern die größeren imperialistischen Staaten Russland und China. Im Gegensatz dazu haben diejenigen, die vom Kapital ausgebeutet werden, egal welcher Nationalstaat über ihre Ausbeutung herrscht, kein Interesse daran, sich mit den imperialistischen Abenteuern ihrer eigenen herrschenden Klasse zu identifizieren.
Die Linken fordern zwar die Verteidigung der so genannten "unterdrückten" Nationen und Nationalstaaten, behaupten aber gleichzeitig, auf der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten in diesen Ländern zu stehen, wo die lange Herrschaft der Kriegswirtschaft zusammen mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise – zu der wir das Gewicht der US-Sanktionen in einem Land wie dem Iran hinzufügen können – sicherlich zu einer massiven Anhäufung von sozialer Unzufriedenheit und Widerstand gegen die bestehenden Regime im gesamten Nahen und Mittleren Osten geführt hat.[2] Das haben die Volksaufstände in Ländern wie dem Libanon, dem Irak und dem Iran in den vergangenen zwei Jahren gezeigt. Aber während die Linken ihre Unterstützung für diese Bewegungen hinausposaunen, untergraben sie in Wirklichkeit die Möglichkeit der Entstehung einer unabhängigen Klassenbewegung in diesen Ländern, weil sie sich weigern, die Schwächen dieser Aufstände zu kritisieren, bei denen verschiedene Klasseninteressen miteinander verschmolzen werden. In der Tat können die Linken mit ihrer Unterstützung für den "Nationalismus der Unterdrückten" die Tendenz dieser Aufstände, eine nationalistische Richtung einzuschlagen, nur noch verstärken (wie bei den antiiranischen Parolen, die bei den Protesten im Irak erhoben wurden, oder mit dem Schwenken der libanesischen Flagge als falsche Lösung für die zahlreichen Spaltungen im Libanon). Und jetzt, wo die Regime im Iran und im Irak versuchen, die Unzufriedenheit mit den Regierungen in einer hysterischen Kampagne der antiamerikanischen nationalen Einheit zu ertränken, betätigen sich die Linken, indem sie die anti-amerikanischen Parolen aufgreifen, als Cheerleader der Kriegsanstrengungen der Ayatollahs. Und es ist eine Ironie der Situation, dass die Ermordung Soleimanis durch die USA es dem Teheraner Regime ermöglicht, diese Kampagnen zu nutzen, um seine Glaubwürdigkeit als Verteidiger der iranischen "nationalen Interessen" zu stärken.
Und doch bezweifeln wir trotz der weit und breit publizierten Bilder von Hunderttausenden auf den Straßen, die um Soleimani weinen, dass die Ausgebeuteten und Unterdrückten im Iran und im Irak vollständig vom Regime vereinnahmt wurden: Es ist schließlich derselbe Soleimani, dessen Elitekräfte bei der gnadenlosen Unterdrückung der Proteste gegen das Regime, das Hunderte von Leichen auf den Straßen hinterlassen hat, an vorderster Front stehen. Die wütenden regierungsfeindlichen Demonstrationen, die im Iran unmittelbar nach dem Eingeständnis der Behörden, das ukrainische Flugzeug abgeschossen zu haben, ausbrachen, zeigen, dass die vom Regime nach der Ermordung Soleimanis fabrizierte "Heilige Allianz" keine wirkliche Festigkeit besitzt.
Die Arbeiterklasse im Iran hat in den vergangenen zwei Jahren einige mutige Kämpfe geführt und dabei wieder einmal gezeigt, dass sie – wie wir in bestimmten Momenten in den Jahren 1978-79 gesehen haben – das Potenzial hat, der Masse der Bevölkerung eine Führung zu geben, ihre Unzufriedenheit in eine authentisch proletarische Bewegung zu integrieren.
Aber damit dies geschehen kann, müssen die Arbeiter*innen des Iran, des Irak und anderer Länder an der Frontlinie des imperialistischen Konflikts die Fähigkeit entwickeln, alle Fallen, die ihnen in den Weg gelegt werden, sei es in der Form von Nationalismus oder Illusionen in die Überlegenheit der „westlichen Demokratie“, zu vermeiden. Und sie werden nicht in der Lage sein, diesen wichtigen Schritt nach vorne zu machen ohne die aktive Solidarität der internationalen Arbeiterklasse, vor allem in den zentralen Ländern des Systems. Die gegenwärtigen Kämpfe der Arbeiterklasse in Frankreich zeigen, dass dies keine verlorene Hoffnung ist.
Gegen die Eskalation der militärischen Barbarei liegt der einzige Weg nach vorne für die Menschheit in der Eskalation des internationalen Klassenkampfes gegen das Kapital, seine nationalen Rivalitäten, seine Repression und seine Kriege.
Amos, 12.01.20
[1] Der "Orientierungswechsel" von Erdogans Türkei funktioniert jedoch in beide Richtungen, wie die meisten Bündnisse in dieser Zeit: Im Nahen Osten hat sie sich gegen die USA in Richtung Russland geschlängelt, aber in Libyen hat sie Truppen zur Unterstützung der von der UNO anerkannten Regierung der Nationalen Übereinkunft (GNA) gegen die von Russland unterstützten Kräfte unter Khalifa Haftar geschickt ...
[2] Erinnern wir uns auch daran, dass derselbe Trump, der sich heuchlerisch zugunsten der Proteste der iranischen Bevölkerung gegen Armut und Arbeitslosigkeit äußert, jetzt droht, ihre Lebensbedingungen noch verzweifelter zu machen, indem er dem Iran noch lähmendere Wirtschaftssanktionen auferlegt. Nicht weniger heuchlerisch ist Trumps Vorwand, die Proteste nach dem Abschuss des Flugzeugs zu unterstützen; ein Versuch, den Irrtum des Iran zu instrumentalisieren und Illusionen über die moralische Überlegenheit der Westmächte zu verbreiten.
Nach Jahren der Trägheit zeigt die soziale Bewegung gegen die Rentenreform ein Erwachen der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse in Frankreich. Trotz all ihrer Schwierigkeiten hat die Arbeiterklasse begonnen, die Stirn zu bieten. Während vor einem Jahr das gesamte soziale Terrain von der interklassistischen Gelbe-Westen-Bewegung besetzt war, haben heute die Ausgebeuteten aus allen Bereichen und Generationen die von den Gewerkschaften organisierten Aktionstage genutzt, um auf die Straße zu gehen, entschlossen, auf ihrem eigenen Klassenterrain gegen diesen massiven Frontalangriff der Regierung gegen alle Ausgebeuteten zu kämpfen.
Während die ArbeiterInnen fast zehn Jahre lang gelähmt und völlig isoliert in ihrer eigenen Ecke an ihren Arbeitsplatzes geblieben sind, ist es ihnen in den letzten Wochen gelungen, den Weg zurück zum Weg des kollektiven Kampfes zu finden.
Die Bestrebungen nach Einheit und Solidarität im Kampf zeigen, dass die Arbeiter in Frankreich beginnen, sich wieder als Teil ein und derselben Klasse mit den gleichen Interessen zu erkennen, die es zu verteidigen gilt. So konnte man in mehreren Demonstrationszügen, besonders in Marseille, hören: "Die Arbeiterklasse existiert!" In Paris sangen Gruppen von Demonstranten, die nicht hinter Gewerkschaftsfahnen marschierten, "Wir sind hier, wir sind hier für die Ehre der Arbeiter und für eine bessere Welt". Bei der Demonstration am 9. Januar sangen sogar Schaulustige, die am Rande des Gewerkschaftsumzugs auf den Bürgersteigen gingen, das alte Lied der Arbeiterbewegung: "Die Internationale", während Studenten und Gymnasiasten mit ihren eigenen Spruchbändern riefen: "Die Jungen in der Galeere, die Alten im Elend!“
Indem die Arbeiterklasse sich weigert, vor den Bedürfnissen des Kapitals auf die Knie zu gehen, kann sie ihre Würde zurückgewinnen.
Ein weiteres, für eine Veränderung der sozialen Situation sehr bedeutsames Element war die Einstellung und die Haltung der Reisenden während der Streiks im Nah- und Fernverkehr. Dies ist das erste Mal seit der Bewegung vom Dezember 1995, dass ein Transportstreik nicht "unpopulär" ist, trotz aller von den Medien orchestrierten Kampagnen wegen der Unannehmlichkeiten der Reisenden, um zur Arbeit, nach Hause oder während der Weihnachtsferien in den Urlaub zu fahren. Nirgendwo, außer in den dem Kapital ergebenen Medien, war zu hören, dass die Eisenbahner der SNCF oder der RATP die Reisenden "als Geiseln" nähmen. Auf den Bahnsteigen oder in den überfüllten Zügen und RER warteten die Menschen geduldig. In der Hauptstadt schafften es die Leute ohne groß über die streikenden Eisenbahnarbeiter zu klagen, mittels Fahrgemeinschaften, Fahrräder, Roller.an ihr Ziel zu gelangen. Aber mehr als das, die Unterstützung und Wertschätzung für die Eisenbahner zeigte sich auch in Gestalt zahlreicher Spenden für Solidaritätskassen (mehr als drei Millionen Euro wurden in wenigen Wochen gesammelt!) für die Streikenden, die selbst mehr als ein Monatsgehalt opferten, indem sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere kämpften.
Doch nach anderthalb Monaten Streik, nach wöchentlichen Demonstrationen mit Hunderttausenden von Menschen, ist es dieser Bewegung nicht gelungen, die Regierung zum Rückzug zu bewegen.
Von Anfang an hatten die Bourgeoisie, ihre Regierung und ihre "Sozialpartner" eine Strategie entwickelt, um den Angriff auf die Renten durchzusetzen. Die Frage des "Renteneintrittsalters ohne Abzüge“ war eine Karte, die sie in der Hinterhand hatten, um den Widerstand der Arbeiterklasse zu sabotieren und die "Reform" durch die klassische Strategie der Spaltung der "Gewerkschaftsfront" durchzusetzen.
Darüber hinaus rüstete die Bourgeoisie ihren Polizeistaat im Namen der Aufrechterhaltung der "republikanischen Ordnung" auf. Die Regierung setzt besessen ihre Repressionskräfte ein, um uns einzuschüchtern. Mit Rückendeckung durch die Medien reagieren die Bullen mit Tränengas und verprügeln blindlings Arbeiter (einschließlich Frauen und Rentner). Die Medien schmeißen alle in einen Topf: die ausgebeutete Klasse, die schwarzen Blöcke und andere "Randalierer". Um zu verhindern, dass die Arbeiter am Ende der Demonstrationen zu Diskussionen zusammenkommen, treiben die CRS-Trupps sie auf Befehl der Präfektur mit Granaten auseinander (Entkesselung heißt das in der Polizeisprache). Die Polizeigewalt ist keineswegs das Ergebnis von einfachen individuellen "Fehlern" einiger weniger aufgeregter und unkontrollierbarer CRS. Sie gibt einen Vorgeschmack von der rücksichtslosen und grausamen Unterdrückung, die die herrschende Klasse auch in Zukunft nicht zögern wird, gegen die Proletarier zu entfesseln (wie sie es in der Vergangenheit z.B. während der "blutigen Woche" der Pariser Kommune 1871 getan hat).
Um der herrschenden Klasse entgegenzutreten und die Regierung zum Rückzug zu zwingen, müssen die Arbeiter ihren Kampf selbst in die Hand nehmen. Sie dürfen sie nicht den Gewerkschaften, diesen "Sozialpartnern", anvertrauen, die immer hinter ihrem Rücken und hinter verschlossenen Türen in den Ministerien verhandelt haben.
Wenn wir weiterhin die Gewerkschaften bitten, uns zu "vertreten", wenn wir weiterhin darauf warten, dass sie den Kampf für uns organisieren, dann ja, dann sind wir "verkauft“ und werden verlieren.
Um unseren Kampf in die Hand nehmen zu können, ihn zu erweitern und zu vereinheitlichen, müssen wir uns massenhaft in Vollversammlungen organisieren, die selbständig sind und der ganzen Arbeiterklasse offenstehen. In diesen Vollversammlungen können wir gemeinsam diskutieren, gemeinsam über die zu ergreifenden Maßnahmen entscheiden, Streikkomitees mit gewählten Delegierten bilden, die jederzeit abgewählt werden können.
Die jungen ArbeiterInnen, die sich im Frühjahr 2006, als sie noch Studenten oder Gymnasiasten waren, an der Bewegung gegen den "Erstanstellungsvertrag" beteiligt haben, müssen sich an diese Erfahrung erinnern und sie an ihre ArbeitskollegInnen, jung und alt, weitergeben. Wie konnten sie die Regierung Villepin zum Rückzug zwingen, als diese den "CPE" zurückzog? Dank ihrer Fähigkeit, ihren Kampf selbst in ihren massiven Vollversammlungen in allen Universitäten und ohne jede Gewerkschaft zu organisieren. Der Zugang zu den Vollversammlungen war nicht versperrt. Im Gegenteil: Die Studenten hatten alle ArbeiterInnen, aktive und pensionierte, aufgerufen, mit ihnen in ihren Vollversammlungen zu diskutieren und sich an der Bewegung in Solidarität mit den jungen Generationen, die mit Arbeitslosigkeit und Prekarität konfrontiert sind, zu beteiligen. Die Regierung Villepin musste den CPE ohne jegliche "Verhandlung" zurückziehen. Studenten, junge prekäre Arbeitnehmer und zukünftige Arbeitslose waren nicht durch die "Sozialpartner" vertreten, und sie haben gewonnen.
Die Eisenbahner, die an der Spitze dieser Mobilisierung standen, können ihren Streik nicht allein fortsetzen, ohne dass die anderen Teile der Arbeiterklasse sich ihnen im Kampf anschließen. Trotz ihres Mutes und ihrer Entschlossenheit können sie nicht "an Stelle" der gesamten Arbeiterklasse kämpfen. Man kann die Regierung nicht mit einem „Stellvertreterkampf“ zum Rückzug zwingen, egal wie entschlossen die Beteiligten auch sein mögen.
Heute ist die Arbeiterklasse noch nicht bereit, massiv in den Kampf zu treten, auch wenn viele Arbeiter aus allen Branchen, aus allen Berufsgruppen (vor allem aus dem öffentlichen Dienst), aus allen Generationen anwesend waren, um bei den von den Gewerkschaften seit dem 5. Dezember organisierten Demonstrationen auf die Straße zu gehen. Um die Angriffe der Bourgeoisie einzudämmen, müssen wir eine aktive Solidarität im Kampf entwickeln und es reicht nicht nur die Solidaritätskassen aufzufüllen, um den Streikenden "Durchhaltevermögen" zu ermöglichen.
Die Wiederaufnahme der Arbeit, die im Transportwesen schon in einigen Bereichen in Gang gekommen ist (insbesondere bei der SNCF) ist keine Kapitulation! Eine "Pause" im Kampf zu machen, ist auch eine Möglichkeit, sich nicht in einem langen und isolierten Streik zu erschöpfen, was nur zu einem Gefühl der Ohnmacht und Bitterkeit führen kann.
Die überwiegende Mehrheit der mobilisierten ArbeiterInnen ist der Meinung, dass wir "am Arsch" sind, wenn wir diesen Kampf verlieren, wenn wir die Regierung nicht zwingen, ihre Reform zurückzuziehen. Das ist nicht wahr! Die derzeitige Mobilisierung und die massive Ablehnung dieses Angriffs sind nur der Anfang, eine erste Schlacht, die morgen andere ankündigen wird. Denn die Bourgeoisie, ihre Regierung und ihre Arbeitgeber werden uns weiterhin ausbeuten, um unsere Kaufkraft anzugreifen, um uns in wachsende Armut und Elend zu stürzen. Der Zorn kann nur so lange wachsen, bis er zu neuen Explosionen, neuen Kampfbewegungen führt.
Selbst, wenn die Arbeiterklasse diese erste Schlacht verliert, hat sie den Krieg nicht verloren. Sie darf der Demoralisierung nicht nachgeben!
Der "Klassenkampf" besteht aus einem Vorankommen und einem Zurückweichen, Momenten der Mobilisierung und Pausen, um dann umso heftiger wieder zu aufzuflammen. Es ist nie ein "geradliniger Kampf", bei dem man sofort beim ersten Versuch gewinnt. Die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung hat gezeigt, dass der Kampf der ausgebeuteten Klasse gegen die Bourgeoisie erst nach einer Reihe von Niederlagen zum Sieg führen kann.
Die einzige Möglichkeit, den Kampf zu stärken, ist, die Zeit des Rückzugs zu nutzen, um gemeinsam nachzudenken und zu diskutieren, indem wir uns überall, an unseren Arbeitsplätzen, in unseren Vierteln und an allen öffentlichen Orten versammeln.
Die kämpferischsten und entschlossensten Arbeiter, ob aktiv oder arbeitslos, Rentner oder Studenten, müssen versuchen, berufsübergreifende "Kampfkomitees" zu bilden, die allen Generationen offenstehen, um sich auf zukünftige Kämpfe vorzubereiten. Es wird notwendig sein, die Lehren aus dieser Bewegung zu ziehen, zu verstehen, was ihre Schwierigkeiten waren, um sie in den nächsten Kämpfen überwinden zu können.
Diese soziale Bewegung ist trotz all ihrer Beschränkungen, Schwächen und Schwierigkeiten bereits ein erster Sieg. Nach Jahren der Lähmung, Verwirrung und Atomisierung hat sie Hunderttausenden von Arbeitern erlaubt, auf die Straße zu gehen, um ihren Kampfwillen gegen die Angriffe des Kapitals zum Ausdruck zu bringen. Diese Mobilisierung erlaubte es ihnen, ihr Bedürfnis nach Solidarität und Einheit auszudrücken. Es erlaubte ihnen auch, die Manöver der Bourgeoisie zu erleben, um diesen Angriff zu überstehen.
Nur durch den Kampf und im Kampf wird das Proletariat erkennen können, dass es die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die in der Lage ist, die kapitalistische Ausbeutung abzuschaffen, um eine neue Welt zu errichten. Der Weg zur proletarischen Weltrevolution, zum Sturz des Kapitalismus, wird lang und schwierig sein. Er wird mit Fallen und Niederlagen übersät sein, aber es gibt keinen anderen Weg.
Die Zukunft gehört mehr denn je, der Arbeiterklasse!
Internationale Kommunistische Strömung,
13. Januar 2020
"Der längste Streik in der Geschichte der SNCF". Dies ist nun die gängige Bezeichnung dieser Bewegung, die im Dezember und Januar von EisenbahnerInnen durchgeführt wurde. Die ArbeiterInnen der RATP, die ebenfalls wochenlang unermüdlich mitwirkten, zeigten dieselbe Kampfbereitschaft und Entschlossenheit. Und sie waren nicht allein. Im Dezember und Januar versammelten sich während mehrerer Aktionstage Hunderttausende von Demonstranten gegen diese rücksichtslose „Rentenreform", die zum Symbol für die ständige Verschlechterung unserer Lebensbedingungen geworden ist, für uns alle, die Ausgebeuteten, ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst oder im privaten Sektor, prekär oder mit unbefristeten Verträgen, jung oder alt. Nach Jahren der Trägheit leitet diese soziale Bewegung das Erwachen der Kampfbereitschaft des Proletariats in Frankreich ein. Die Arbeiterklasse hat begonnen, die Stirn zu bieten. Durch den Kampf für ihre Würde und durch das Zusammenhalten zwischen verschiedenen Bereichen, zwischen verschiedenen Generationen, konnten die ArbeiterInnen sehen, dass sie gemeinsam, vereint und solidarisch kämpfen können. Die Wiedergeburt dieses Gefühls der Zugehörigkeit zur selben Klasse, dass wir alle ausgebeutet werden, denselben schändlichen Angriffen der jeweiligen Regierungen ausgesetzt zu sein, sich endlich auf den Straßen mit denselben Parolen, denselben Forderungen versammeln zu können, durch Schilder, Parolen, in Diskussionen auf den Straßen, dieses Bedürfnis und diesen Wunsch, im Kampf vereint zu sein, zum Ausdruck zu bringen... all das stellt den wesentlichen Sieg dieser Bewegung dar. Es ist nur ein kleiner, zerbrechlicher Samen, aber es ist ein Versprechen für die Zukunft. Trotz des Ausmaßes dieser Mobilisierung konnte die Regierung dennoch die Reaktion der ArbeiterInnen abwehren. Nach wochenlangen Streiks, nach wöchentlichen Demonstrationen, an denen Hunderttausende von Menschen teilnahmen, konnte die Regierung an ihrem Plan festhalten.
Die Bewegung hat es nicht geschafft, das Kräftegleichgewicht zugunsten der ArbeiterInnen zu drehen. In Anbetracht der sich vertiefenden Weltwirtschaftskrise und dem anhaltenden Wettlauf um Gewinne wird die Regierung immer wieder angreifen. Um diese Angriffe einzudämmen, müssen die nächsten Kämpfe weiter gehen. Sie müssen sich dabei insbesondere auf den letzten Sieg des Proletariats in Frankreich, den von 2006, besinnen. Präsident Chirac und die Regierung von Villepin mussten damals tatsächlich ihren „Vertrag zur Ersteinstellung“/CPE zurückziehen. Warum haben sie das getan? Was haben sie bei dieser Bewegung bemerkt, was sie so beunruhigt hat? Damals begriffen die Studenten schnell, dass dieser "Contrat Poubelle Embauche" (Einstellungsvertrag für den Mülleimer) allen jungen ArbeiterInnen eine neue Verschärfung der Prekarität und Armut auferlegen würde. Empört über diese unerträgliche Zukunft, mobilisierten sie massiv. Sie organisierten dann, in allen Universitäten und ohne die Hilfe irgendeiner Gewerkschaft, massive Vollversammlungen, die allen ArbeiterInnen, ob aktiv oder im Ruhestand, offen standen. Ihre Vollversammlungen, die in Hörsälen stattfanden, standen allen ArbeiterInnen, ob aktiv oder im Ruhestand, offen. Sie verkörperten die Stärke der Bewegung und waren die Triebkraft des Kampfes. In diesen Vollversammlungen wurden fast täglich die durchzuführenden Aktionen, die Mittel zur Koordinierung des Kampfes von einer Universität zur anderen, die Organisation der jeden Samstag stattgefundenen Demonstrationen diskutiert, damit möglichst viele ArbeiterInnen daran teilnehmen konnten. Dank der intensiven Debatten in ihren Reihen beschlossen die Studenten (zumeist junge prekäre ArbeiterInnen), die Solidarität der Beschäftigten zu suchen, indem sie massive Delegationen in die Bahnhöfe, in die Depots der RATP, in bestimmte Fabriken (wie Citroën) schickten. Woche für Woche wuchs die Bewegung mit immer größeren wöchentlichen Demonstrationen weiter an. Die Gewerkschaften (und insbesondere die CGT) standen nicht an der Spitze der Demonstrationen. Sie waren nicht diejenigen, die diese massive Bewegung organisierten. Die CGT-Ballons wurden am Ende der Demonstrationen von den Studenten sogar abgewiesen. Die Regierung gab schließlich nach, weil sie die Gefahr dieser Dynamik erkannte; sie musste diesen in Gang gekommenen Prozess stoppen, als diese jungen prekären ArbeiterInnen, die noch zur Schule gingen, die beschäftigten ArbeiterInnen in ihren Kampf und in ihre Vollversammlungen hineinzogen. Die Entwicklung hin zur Entfaltung dieser Solidarität musste beendet werden, die durch die Parole "Junger Speck, alte Croutons, alles derselbe Salat" (“Jeunes lardons, vieux croûtons, tous la même salade”) symbolisiert wurde. Die Bewegung des Frühjahrs 2006 war somit ein gigantischer Schlag gegen eine andere Parole, welche die Bourgeoisie lanciert und vom ehemaligen Premierminister Raffarin in die Worte gefasst wurde: "Die Straße darf nicht regieren, sie darf nicht das Sagen haben“.
Im Moment ist die Arbeiterklasse nicht in der Lage, solch ein Niveau des Kampfes zu erreichen.
Aber die Studierenden von gestern sind die ArbeiterInnen von heute. Sie müssen sich an diese Erfahrung erinnern und sie an ihre Kollegen, jung und alt, weitergeben. Gerade die Älteren tragen in ihrem Gedächtnis eine immense Erfahrung als ArbeiterInnen: die Erfahrung des Mai 68. Diese Bewegung zeigte die Fähigkeit der ArbeiterInnen, ihren Kampf auszuweiten, von Fabrik zu Fabrik, von Stadt zu Stadt. Es ist notwendig, dass die heutigen pensionierten ArbeiterInnen dieses Kapitel der Geschichte weitergeben. Ab 1967 verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation in Frankreich ernsthaft und drängte das Proletariat in den Kampf. Seit Anfang 1967 kam es zu wichtigen Auseinandersetzungen in Bordeaux (in der Flugzeugfabrik Dassault), in Besançon und in der Region Lyon (Besetzungsstreik in Rhodia, Streik in Berliet), in den lothringischen Bergwerken, in den Werften von Saint-Nazaire, in Caen... Diese Streiks ließen erahnen, was ab Mitte Mai 1968 im ganzen Land geschehen sollte. Man konnte nicht sagen, dass der Sturm völlig unerwartet ausgebrochen war. Zwischen dem 22. März und dem 13. Mai 1968 sorgte die heftige Repression gegen die Studenten dafür, dass zunehmend die Arbeiterklasse auf den Plan trat, die von ihren instinktiven Impulsen der Solidarität getragen wurde. Am 14. Mai begannen junge ArbeiterInnen in Nantes eine Streikbewegung. Am 15. Mai erreichte die Bewegung das Renault-Werk in Cléon in der Normandie sowie zwei weitere Werke in der Region. Am 16. Mai schlossen sich die anderen Renault-Werke der Bewegung an: rote Fahnen in Flins, Sandouville und Le Mans. Der Eintritt der Beschäftigten von Renault-Billancourt in den Kampf stellte ein Signal wichtiges dar: es war das größte Werk in Frankreich (35.000 ArbeiterInnen) und das schon seit langem. Damals gab es ein Sprichwort: "Wenn Renault niest, erkältet sich Frankreich". Am 17. Mai begann der Streik in ganz Frankreich. Es war eine völlig spontane Bewegung. Überall standen junge ArbeiterInnen an der Spitze. Es gab keine präzisen Forderungen: eine allgemeine Unzufriedenheit brach sich Bahn. Am 13. Mai kamen zu einer Großdemonstration 9 Millionen Menschen auf der Straße zusammen. Das war eine echte Flutwelle! Am 18. Mai streikten mittags eine Million ArbeiterInnen. Am 22. Mai waren es 8 Millionen. Es war damit der größte Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Alle Wirtschaftsbereiche waren betroffen: Industrie, Verkehr, Energie, Post und Telekommunikation, Bildung, Verwaltung, Medien, Forschungslabors usw. In dieser Zeit wurden die besetzten Fakultäten, einige öffentliche Gebäude wie das Théâtre de l'Odéon in Paris, die Straßen und die Arbeitsplätze zu Orten permanenter politischer Diskussion. "Wir reden miteinander und hören einander zu" wurde zu einem weitverbreiteten Slogan. Dasselbe Bedürfnis nach Solidarität belebt die Arbeiterklasse heute. Wie oft hören wir in den Demonstrationen Parolen wie: "Wir müssen alle gemeinsam kämpfen", oder "Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern auch für alle anderen Teile und die kommenden Generationen". Der Enthusiasmus, jede Woche gemeinsam auf der Straße zu demonstrieren, vereint und solidarisch zu sein, über Branchengrenzen und Unternehmen hinweg, zeugt davon.
Nach einem Jahrzehnt der sozialen Trägheit konnte die aktuelle Bewegung nur ein erster kleiner Schritt auf dem langen Weg zu Massenkämpfen sein. Um die nächsten Schritte zu unternehmen, um erfolgreich ein Gegengewicht gegen die Regierung aufzubauen und ihre Angriffe einzudämmen, wird es notwendig sein, die Falle der Stellvertreterstreiks zu vermeiden. Wir müssen es schaffen, die Bewegung von Anfang an auf alle Bereiche auszudehnen, unsere Kämpfe in die Hand zu nehmen, uns selbst zu organisieren, allgemein massive, souveräne und autonome Versammlungen zustande zu bringen, um gemeinsam zu debattieren und Entscheidungen zu treffen, um als Klasse zu kämpfen. Die gegenwärtige Bewegung trägt trotz aller Schwächen den Keim dieser zukünftigen Dynamik in sich, denn sie hat die Tatsache, dass alle ArbeiterInnen unter der gleichen Ausbeutung und den gleichen Angriffen leiden und vor allem, dass sie gemeinsam einen Kampf führen können, der von der Notwendigkeit der Einheit und Solidarität angetrieben wird, wieder deutlich auf die Tagesordnung gestellt. Mehr denn je gehört die Zukunft dem Klassenkampf!
Claudine, 13. Januar 2020
Die Bewegung gegen die Rentenreform stand von Anfang an bei jedem Schritt unter der Kontrolle der Gewerkschaften. Sie waren diejenigen, die zum Streik aufriefen, sie waren diejenigen, die die Aktionstage wählten und organisierten, sie waren diejenigen, die die wenigen Vollversammlungen leiteten. Und sie sind diejenigen, die uns absichtlich in die Niederlage geführt haben. Seien wir nicht naiv, die Regierung und die Gewerkschaften haben sich 2 Jahre lang abgestimmt um diese Reform vorzubereiten und erfolgreich durchzusetzen!
Die Regierung musste sicherstellen, dass dieser Großangriff, der von Macron 2017 als ein echter "Big Bang" angekündigt wurde, keine massive Reaktion der gesamten Arbeiterklasse hervorrufen würde. Premierminister Philippe hat sich auf die Zusammenarbeit der "Sozialpartner", also der Gewerkschaften, verlassen, um die unvermeidliche Explosion der Wut aller Arbeiter zu sabotieren. Dieser allgemeine Angriff gegen die gesamte Arbeiterklasse konnte nur eine Reaktion der Empörung und der spontanen Wut in einem besonders kämpferischen Bereich, dem Transportsektor, auslösen.
Für die Eisenbahner hieß es "zu viel ist zu viel": Nachdem sie in den letzten Jahren mehrere Bewegungen, insbesondere die "Nadelstichtaktik" von 2018, gegen die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen, gegen die Infragestellung ihres Status praktiziert aber nichts erreicht hatten, konnte der Angriff auf ihr Rentensystem nur das Gefühl hervorbringen, noch entschlossener zu kämpfen mit dem Motto: "Jetzt reicht es! Wir geben nicht nach!". Diese Kampfbereitschaft im Transportsektor hätte zu einer unkontrollierbaren Explosion mit der Gefahr eines Flächenbrandes führen können, weil der breite, alle Beschäftigten treffende Angriff auf die Renten den allgemeinen Zorn der gesamten Arbeiterklasse geweckt hatte. Die herrschende Klasse verfügt über mehrere Mittel, um den „Puls" der sozialen Unzufriedenheit zu fühlen (in einem Land, in dem Macron, der „Präsident der Reichen", zur meistgehassten Figur in der Mehrheit der Bevölkerung geworden ist): Meinungsumfragen, polizeiliche Untersuchungen, um die Stimmung in den „Risikogebieten“ zu sondieren, und in erster Linie die Reaktionsbereitschaft der Arbeiterklasse. Das wichtigste Instrument dieses "Sozialthermometers" ist jedoch der Gewerkschaftsapparat, der noch effektiver ist als die Soziologen der Meinungsforschungsinstitute oder die Ermittler der Polizei. Die Funktion dieses Apparates besteht nämlich darin, das Instrument par excellence der Überwachung der Ausgebeuteten im Dienste der Verteidigung der Interessen des Kapitals zu sein. Der Gewerkschaftsapparat des kapitalistischen Staates hat fast ein Jahrhundert Erfahrung. Er ist besonders „empfindsam“ für die Stimmung der Arbeiter, für ihren Willen und ihre Fähigkeit, sich an den Kämpfen gegen die Bourgeoisie zu beteiligen. Diese Kontrollinstrumente der Arbeiterklasse sind dafür verantwortlich, die Bosse und die Regierung ständig vor der Gefahr des Klassenkampfes zu warnen. Dazu dienen die regelmäßigen Treffen und Konsultationen zwischen den Gewerkschaftsführern und den Arbeitgebern oder der Regierung: gemeinsam, Hand in Hand, die beste Strategie auszuarbeiten, damit die Regierung und die Arbeitgeber ihre Angriffe gegen die Arbeiterklasse mit maximaler Effizienz durchführen können. Die Gewerkschaften haben sehr wohl verstanden, dass die Arbeiterklasse in Frankreich nicht mehr bereit war, wieder still zu halten und neue Angriffe zu akzeptieren, ohne mit der Wimper zu zucken. Die herrschende Klasse weiß auch, dass das Proletariat heute nicht mehr die geringste Illusion hat, dass wir jetzt am Ende der „Durststrecke“ angekommen wären. Alle Arbeiter sind sich jetzt bewusst, dass es immer schlimmer und schlimmer werden wird, dass sie keine andere Wahl haben werden, als gemeinsam mit allen zusammen zu kämpfen, um ihre Lebensbedingungen und die Zukunft ihrer Kinder zu verteidigen. So war die Popularität der Gelbe-Westen-Bewegung gegen "hohe Lebenshaltungskosten" und Verarmung vor einem Jahr ein guter Indikator für den Zorn, der in der Gesellschaft gärt: 80% der Bevölkerung gaben an, diese gegen Macron gerichtete Welle der Wut und Proteste zu unterstützen, zu verstehen oder Sympathie für sie zu haben, auch wenn die Arbeiterklasse sich nicht in den Protestmethoden dieser inter-klassistischen Bewegung, die von kleinen Firmeninhabern initiiert wurde, die unter den Treibstoffsteuern leideten, wiedererkannte.[1] Die Bourgeoisie hatte also in den letzten zwei Jahren einen echten Anstieg der Kampfbereitschaft der Arbeiter durchaus wahrgenommen. Auch die Hartnäckigkeit der seit Monaten streikenden Notfalldienste oder der Postbeschäftigten war ein Indiz dafür. Die Zunahme der Kämpfe im Einzelhandel, bei Busfahrern oder in der Luftfahrtindustrie war ein weiterer Hinweis in dieser Richtung.
Angesichts der Anhäufung von Unzufriedenheit der Ausgebeuteten musste die französische Bourgeoisie die Durchsetzung der Rentenreform mit einer "Firewall" "begleiten", um die unvermeidliche Reaktion des Proletariats zu kanalisieren, zu kontrollieren zu spalten und zu erschöpfen. ...
Die CFDT und die UNSA, die heute bei den Demonstrationszügen gehasst werden, weil sie "der Bewegung in den Rücken gefallen sind“, haben ihre Rolle als "verantwortliche und reformistische Gewerkschaften" perfekt gespielt. Es war ein echtes Theaterstück [2]:
September
Anfang September wird die Kampagne zur Rentenreform offiziell gestartet. FO, Solidaires und die CGT schießen aus allen Löchern. Wie machen sie das? Durch die Erhöhung der Anzahl der branchenspezifischen Aktionstage. Jedes Unternehmen hat seinen eigenen Streiktag und spezifische Forderungen.
"Jeder für sich, die Gewerkschaften für alle". Das Ziel ist es, die Kampfbereitschaft auszulaugen, bevor eine breitere Bewegung in Gang gesetzt wird. Nur wird diese geplante organisierte Zerstreuung stark kritisiert. Bei den Demonstrationen hört man ArbeiterInnen, die ihre Unzufriedenheit mit dieser Spaltung zum Ausdruck bringen, nicht selten; sie wollen, dass sich die Gewerkschaften vereinigen, denn "wir sitzen alle im selben Boot, wir müssen alle gemeinsam kämpfen". Die Ankündigung am 20. September über eine geplante große Einheitsdemonstration am 5. Dezember war eine Reaktion auf diesen Druck. Wieder einmal wurde nichts dem Zufall überlassen: dieses Datum wurde gewählt, weil es weit genug entfernt war (mehr als zwei Monate), um während dieser Zeit die Zerstreuung und Erschöpfung fortzusetzen. Es ist auch kurz vor den Feiertagen am Jahresende mit den Ruhetagen zwischen Weihnachten und Neujahr, was dazu beiträgt, jede Blockade im Transportwesen unpopulär zu machen und die kämpferischsten zu isolieren.
Oktober
In den Monaten Oktober und November setzen die "radikalen" Gewerkschaften ihr Werk durch ihre isolierten und sektoralen Streiks fort. Während die Wut der ArbeiterInnen in vielen Sektoren spürbar ist, achten sie darauf, keine weitgehend allen offen stehenden Vollversammlungen vorzuschlagen, die Beiträge der ArbeiterInnen zu vereinigen, oder dass die Beschäftigen der unterschiedlichen Betriebe und Branchen zusammenkommen, indem man massive Delegationen bildet, die den Kontakt untereinander herstellen und den Streik ausdehnen. Nichts davon! Nur Streiks und vereinzelte Aktionen werden angekündigt, während man auf die angekündigte große Demonstration am 5. Dezember warten soll. Aber diese Strategie der Erschöpfung und Demoralisierung ist wieder einmal unzureichend. Die Arbeiterklasse drängt weiter, und die Kampfbereitschaft steigt weiter an. Am 16. Oktober stellen die Eisenbahner nach einem Eisenbahnunfall in den Ardennen spontan ihre Arbeit ein. Spontan kommunizieren sie über das Telefonnetz der Eisenbahn, dehnen den Streik auf einen ganzen Abschnitt der SNCF aus. Die Beschäftigten der Region Île-de-France waren besonders kämpferisch. Die RER-Strecken werden blockiert. Die Gewerkschaften sprangen auf den fahrenden Zug auf und stellten sich an die Spitze der Streiks, indem sie auf die Beibehaltung der Rentenregelung pochen. Mit anderen Worten: Sie kleben an der beginnenden Mobilisierung fest, laufen der in Gang gekommenen Bewegung hinterher, um sie in die von ihnen gewünschten Bahnen zu lenken.
Der Bourgeoisie geht diese Autonomie der ArbeiterInnen und diese Dynamik, den Kampf in die Hand zu nehmen und auszuweiten, gegen den Strich, so dass die Regierung und die Arbeitgeber die Illegalität dieses "wilden Streiks" anprangern und den Streikenden mit Sanktionen drohen. Dies wird es den Gewerkschaften ermöglichen, die Kontrolle über die Situation definitiv wiederzuerlangen, indem sie sich als Beschützer der Streikenden und Verteidiger des Streikrechts aufstellen. In diesem Monat Oktober kommt es bei der SNCF zu einer Reihe von wilden Streiks, vor allem im Wartungszentrum von Châtillon, wo sich ohne Zustimmung der Gewerkschaften 200 von 700 Beschäftigte versammeln, um gegen Maßnahmen zu protestieren, die die Arbeitsbedingungen verschlechtern. Diese Maßnahmen werden schnell zurückgezogen, um den Streik sofort zu beenden und so zu verhindern, dass die Bewegung bekannt wird und den Arbeitern als Beispiel dienen könnte.[3]
November
Die Gewerkschaften sind daher gewarnt: Sie müssen kämpferischer auftreten und an der Bewegung kleben, um sie vollständig zu kontrollieren. Am 9. November schließt sich die CGT dem Aufruf von UNSA-Eisenbahn[4] und Sud/Solidaires zu einem erneuten Streik am 5. Dezember an. Sie kündigt an, dass diese Aktion auch bei der SNCF durchgeführt wird. Dann verkündet die CFDT-Eisenbahner, dass sie ebenfalls Teil der Bewegung werde.[5]
Aber hinter der "Gewerkschaftsfront" und den Reden über die Einheit aller Bereiche setzen sie alle hinter den Kulissen ihre gleiche Arbeit der Untergrabung und Spaltung fort. Ihre Sabotage der Einheit der Bewegung im Krankenhaussektor ist besonders charakteristisch: Seit März führen die Gewerkschaften und ihr ‚collectifs interurgences‘ (Kollektiv Notdienste) vollkommen auf diesen Bereich beschränkte (korporatistische) Aktionen durch, welche den Kampf der Notdienste von allen anderen Krankenhausdiensten trennen. Aber unter dem wachsenden Druck des Willens, "alle zusammen zu kämpfen", ändern sie ihren Diskurs und rufen zu zwei "einheitlichen" Demonstrationen auf, am 14. und 30. November, Aber die Einheit soll lediglich die der …. Krankenhausbeschäftigten sein.
Dies, um diesen Kampf besser von der allgemeinen Bewegung gegen die Rentenreform im Namen der "Besonderheit der Krankenhäuser" zu trennen (und damit vor allem besser zu spalten). Dieser Gewerkschaftsbeschluss ruft eine gewaltige Wut in den Vollversammlungen des Krankenhauspersonals hervor, aber viele von ihnen werden sich dennoch am 5. Dezember, entgegen den gewerkschaftlichen Ausrichtungen mobilisieren.
Dezember
Während der großen Demonstrationen im Dezember wird die Notwendigkeit der Solidarität zwischen den verschiedenen Branchen und Generationen, dass alle gemeinsam kämpfen, in den Parolen, die aus den Lautsprechern der Gewerkschaftswagen hallen, aufgegriffen. Aber um was zu tun? Nichts! Nur um diese Slogans an jedem Aktionstag immer wieder zu wiederholen. Aber konkret hieß dies, die Beschäftigten aus jeder Branche wurden aufgerufen, sich hinter ihre gewerkschaftliche Abteilung zu scharen. Manchmal kam es sogar vor, dass die Beschäftigten durch Seile voneinander getrennt wurden, die von den gewerkschaftlichen Ordnern gespannt und getragen wurden. Am Ende der Demonstration gibt es keine großen Versammlungen, um zu diskutieren, obwohl viele Arbeiter den Wunsch geäußert haben, dies zu tun. Die Gewerkschaften und die Bullen zerstreuen die Menschenmassen. „Die Zeit wird knapp: Die Busse müssen los“. Mitte Dezember sind sich die streikenden Eisenbahner der SNCF und der RATP bewusst, dass die Bewegung, wenn sie isoliert bleibt, zur Niederlage verurteilt ist. Was machen die Gewerkschaften? Sie organisieren eine Scheinausdehnung: ein paar CGT-Vertreter treffen ein paar andere CGT-Vertreter eines anderen Unternehmens. Während der Samstagsdemonstrationen, die offiziell von den Gewerkschaften organisiert werden, um den Beschäftigten des privaten Sektors die Teilnahme an der Bewegung zu ermöglichen, unternehmen die CGT, die FO und die Solidaires keinerlei Anstrengungen, um die Mobilisierung auf die Beschäftigten der anderen Betriebe auszudehnen. Im Gegenteil, alle ihre Reden konzentrieren sich auf „den Mut der Eisenbahner, die für uns alle kämpfen", auf die Blockadekraft dieser Beschäftigten (was impliziert, dass andere Arbeiter machtlos sind) und die Notwendigkeit, sie zu unterstützen, indem vor allem für die von der CGT organisierten Solidaritätskassen Geld gespendet werden soll, anstatt die aktive Solidarität der Arbeiter im Kampf und die Ausweitung der Bewegung zu fördern (auch wenn es verständlich war, dass alle das Bedürfnis verspürten, den Eisenbahnbeschäftigten wegen des Verlustes eines Monatslohnes finanziell zu helfen!). Den ganzen Dezember über haben die Gewerkschaften den Stellvertreterstreik propagiert! So werden die Eisenbahner, die allein "unbegrenzt" streiken sollten, dazu ermutigt, "koste es, was es wolle", während der letzten zwei Wochen des Jahres durchzuhalten, mit dem Motto: kein Waffenstillstand während der Feiertage.
Januar
Die Medien prangern "die Geiselnahme von Familien an, die einfach nur zu Weihnachten zusammenkommen". Diese zwei Wochen "Waffenstillstand", in denen die Eisenbahner alleine kämpfen, reichen nicht aus, um die Wut und die allgemeine Kampfbereitschaft zu begraben und den Streik "unpopulär" zu machen. Am 9. Januar, dem neuen Tag der branchenübergreifenden Mobilisierung, strömen erneut Hunderttausende von Demonstranten herbei, die nach wie vor entschlossen sind, die Reform abzulehnen. Am 10. Januar verhandelt Premierminister Phillipe mit den Gewerkschaften und kündigt einen "konstruktiven und fortschrittlichen Dialog" an und versprach, Präsident Macron am nächsten Tag zu fragen, ob es möglich wäre, das „allgemeine Renteneintrittsalter“ zurückzuziehen. Alle Gewerkschaften begrüßen diesen Sieg, diesen großen Sieg für die CFDT und die UNSA, diesen kleinen Schritt nach vorne für die CGT, FO und Solidaire, der zeigt, dass die Regierung unter dem Druck der Straßen und der Streikenden im Transportsektor den Rückzug antreten wird. Am nächsten Tag also eine weitere Demonstration. An diesem Samstag, dem 11. Januar, organisieren die Gewerkschaften in Marseille am Ende der Demonstration ein Unterhaltungsprogramm, um jede Diskussion unmöglich zu machen. In Paris lassen sie der Polizei freie Hand, um mit Hilfe von Tränengas die Demonstranten zu zerstreuen und zu verprügeln. Es sollen unter den Demonstranten keine Diskussionen zugelassen werden. Vor allem aber ist die Teilnehmerzahl an diesem Tag sehr deutlich rückläufig. Viele Züge rollen wieder an diesem Tag. Die Ermüdung ist spürbar, die Stimmung innerhalb der weniger massiven Demonstrationen ist weniger kämpferisch. Der Schachzug gelingt. Premierminister Philippe verkündet den Rückzug des „allgemeinen Renteneintrittalters“ ... vorübergehend. Das Timing ist perfekt. Der Aufruf der Gewerkschaften zur Ausdehnung der ... Niederlage! Jetzt, wo der Bewegung die Luft ausgeht, die streikenden Eisenbahner erschöpft sind, finanziell angeschlagen sind, sie langsam wieder die Arbeit aufnehmen, was machen die "radikalen" Gewerkschaften? Natürlich fordern sie die Ausweitung der Bewegung, die sich in einer Dynamik des Rückzugs befindet, prangern jetzt die „Stellvertreterstreiks“ an und rufen jetzt die Beschäftigten der Privatwirtschaft dazu auf den Stab zu übernehmen! Am 9. Januar war Herr Mélenchon auf allen Kanälen zu hören und meinte: "Der Stellvertreterstreik, das reicht jetzt; davon haben wir genug; es müssen alle mitmachen". Und dann hört man nur noch aus ihrem Mund: „souveräne Vollversammlungen", um die Leute glauben zu machen, dass sie nur die Sprecher der Arbeiter sind und dass, wenn einige sich weiterhin allein durch den Streik erschöpfen, sie nichts dagegen tun können. "Es ist die Vollversammlung und die Basis, die entscheiden, ob die Eisenbahner den Lohn weiterer Streiktage verlieren wollen" (so der CGT-Führer Philippe Martinez im Fernseher). Jetzt vervielfachen sie die Aktionen, um lauter zu betonen, dass es den Arbeitern nicht gelingt, mehr Druck zu machen und diese für die Niederlage verantwortlich seien! In jener Woche gibt es nicht weniger als drei Aktionstage, am 14., 15. und 16. Januar, zu denen die Gewerkschaften aufrufen, auch wenn die Eisenbahner allmählich wieder an die Arbeit gehen. Nun ist der Führer der CGT, Herr Martinez, in Anlehnung an die Partei La France Insoumise von Herrn Mélenchon in allen Radiosendern und mitten unter den Streikenden zu sehen, um die Polizeigewalt anzuprangern... die seit Monaten andauert! Während die Gewerkschaften (an der Spitze die CGT) bisher das Verprügeln von Demonstranten, die Auflösung der Demonstrationen mit Tränengasgranaten ohne mit der Wimper zu zucken und ohne zu protestieren, zugelassen haben. Erst nachdem Mélenchon anfing, den Rücktritt des Pariser Polizeipräfekten zu fordern, fingen auch die Gewerkschaften an, gegen die Repression der Streikenden zu motzen.
Jetzt werden alle Gewerkschaften die Nummer der Verhandlungen mit der Regierung für die "Berücksichtigung der erschwerten Arbeitsbedingungen" auflegen, ein neuer Schritt für ein Zerbröckeln der Bewegung in verschiedene Branchen, denn in Wirklichkeit müssen die Beschäftigten aller Branchen unter einem enormen Druck arbeiten, und die Ausbeutungsbedingungen machen alle krank! Dieser "Teil der Verhandlungen" wird mit einem einzigen Ziel verfolgt: die Arbeitnehmer in Verhandlungen, die im Vorfeld verloren gegangen sind, Branche für Branche zu spalten oder sie sogar in Konkurrenz zueinander zu setzen, um festzustellen, ob einige Arbeiten "anstrengender" sind als andere. Die "Gewerkschaftsfront" wird zweifellos zerstritten erscheinen, wenn die Eisenbahner der CGT und die bei der CFDT organisierten Beschäftigten von Carrefour sich die Augen ausstechen, um herauszufinden, wer den "härtesten" Job hat! Die Gewerkschaften hatten während des Streiks der Eisenbahner im Winter 1986 dasselbe getan, indem sie am Ende der Bewegung, als die Eisenbahner begannen, wieder an die Arbeit zu gehen, eine Verlängerung des Streiks forderten[6]. In Wirklichkeit versuchen diese professionellen sozialen Feuerwehrleute, die Niederlage auszuweiten und zu vertiefen, um der Arbeiterklasse das Rückgrat zu brechen. Soll es der Regierung ermöglicht werden, diese Reform ohne Schwierigkeiten durch das Parlament zu boxen (und damit die Regierung weitere Angriffe durchsetzen kann)! Nein, die Arbeiterklasse muss sich nicht von den Gewerkschaften beschuldigen lassen! Nein, diejenigen, die wieder arbeiten, sind keine Streikbrecher! Nein, die Beschäftigten der Branchen, die den Kampf nicht wieder aufgenommen haben, fehlte es nicht an Mut und Solidarität! Es waren die Gewerkschaften, Hand in Hand mit der Regierung, die diese Niederlage geplant und orchestriert haben! Es waren die Gewerkschaften, Hand in Hand mit der Regierung, die jede mögliche Einheit, jede wirkliche Ausweitung der Bewegung verhinderten! Die Arbeiterklasse muss sich im Gegenteil über den Schritt, den sie gemacht hat, im Klaren sein. Nach zehn Jahren der Trägheit, nach der langen, anstrengenden Phase des Gefühls der Machtlosigkeit, haben die Arbeiter begonnen, wieder das Haupt zu erheben und gezeigt, dass sie gemeinsam kämpfen, sich zusammenschließen wollen, und sich einer Klasse zugehörig fühlen.
Diese letzten Monate waren geprägt von der Entwicklung der Solidarität zwischen den Branchen und zwischen den Generationen! Das ist der Sieg dieser Bewegung, denn der wirkliche Gewinn des Kampfes ist der Kampf selbst, in dem sich alle Berufsgruppen, alle Generationen endlich im selben Kampf auf der Straße gegen eine Reform wiederfinden, die ein Angriff auf alle Ausgebeuteten ist! Und das ist es, was die Regierung und die Gewerkschaften in den kommenden Wochen und Monaten versuchen werden, auszulöschen. Es liegt an uns, zusammenzukommen, um zu debattieren, zu diskutieren, Lehren zu ziehen, nicht zu vergessen und in den zukünftigen Kämpfen noch zahlreicher und stärker zu werden, wenn wir beginnen, die Gewerkschaften, diese Fachleute... der Niederlage zu durchschauen und deren Tricks zu vereiteln. Sie werden immer die letzten Befestigungswälle des Staates in den Reihen der Arbeiter zur Verteidigung der kapitalistischen Ordnung sein!
Léa, 14. Januar 2020
[1] Die Besetzung von Kreisverkehren, die zur Schau getragene Aufregung um angebliche republikanische und nationalistische Symbole wie die Nationalfahne oder die Marseillaise.
[2] vgl. unsere Flugblätter, in denen wir das Manöver Anfang Dezember vorhergesehen haben.
[3]) Die Erklärung der Arbeiter von Châtillon wurde in unserer Zeitung Révolution Internationale Nr. 479 veröffentlicht. Hier ein ganz kurzer Auszug: "Wir, die streikenden Mitarbeiter der Ausrüstungsabteilung des Technikzentrums Châtillon im TGV-Atlantique-Netz, haben seit Montagabend, dem 21. Oktober, massiv die Arbeit eingestellt, ohne uns gegenseitig zu konsultieren oder von den Gewerkschaften überwacht zu werden. (...) Unser Zorn ist real und tief, wir sind entschlossen, bis zum Ende unserer Forderungen, für Respekt und Würde zu kämpfen. (...) Wir haben genug von Umstrukturierungen, niedrigen Löhnen, Stellenabbau und Unterbesetzung! Wir rufen alle Eisenbahner auf, aufzustehen, denn die heutige Situation in Châtillon ist in der Tat das Ergebnis einer nationalen Politik".
[4]. Während die UNSA der anderen Sektoren nicht zum Streik aufruft! Tatsächlich ist die Gewerkschaft UNSA-Bahn auch dort gezwungen, die Kampfbereitschaft der Beschäftigten des Bereichs verbal zu unterstützen, denn sonst würde sie völlig diskreditiert werden.
[5] Während die CFDT auf Landesebene nicht mehr zum Streik aufruft.
[6] Wir veröffentlichen erneut einen Artikel, der die Lehren aus diesem Kampf zieht: "SNCF Dezember 1986: Die Arbeiter können ohne die Gewerkschaften kämpfen". Siehe Révolution Internationale 480