Dieser Artikel wurde während der globalen Covid-19-Krise geschrieben, die eine erschreckende Bestätigung dafür ist, dass wir die Endphase der kapitalistischen Dekadenz durchleben. Die Pandemie, die ein Produkt des zutiefst verzerrten Verhältnisses zwischen der Menschheit und der natürlichen Welt unter der Herrschaft des Kapitals ist, verdeutlicht das Problem der kapitalistischen Urbanisierung, das frühere Revolutionäre, insbesondere Engels und Bordiga, eingehend analysiert haben. Obwohl wir ihre Beiträge zu dieser Frage in früheren Artikeln dieser Reihe[1] bereits untersucht haben, erscheint es uns daher angebracht, das Thema erneut anzusprechen. Weil der 50. Jahrestag von Bordigas Tod im Juli 1970 näher rückt, soll der Artikel auch als Teil unserer Würdigung eines Kommunisten dienen, dessen Arbeit wir trotz unserer Meinungsverschiedenheiten mit vielen seiner Ideen wertschätzen. Mit diesem Artikel beginnen wir eine neue "Staffel" der Reihe über den Kommunismus, die sich speziell mit den Möglichkeiten und Problemen der proletarischen Revolution in der Phase des kapitalistischen Zerfalls befasst.
In einem früheren Teil dieser Reihe veröffentlichten wir einige Artikel, die sich mit der Art und Weise beschäftigten, wie die kommunistischen Parteien, die während der großen revolutionären Welle von 1917-23 entstanden, versuchten, das kommunistische Programm vom Abstrakten zum Konkreten zu führen – um eine Reihe von Maßnahmen zu formulieren, die von den Arbeiterräten im Prozess der Übernahme der Macht aus den Händen der Kapitalistenklasse zu ergreifen sind[2]. Und wir sind der Meinung, dass es für Revolutionäre nach wie vor vollkommen gültig ist, die Frage zu stellen: Was wären die Grundlagen des Programms, das die kommunistische Organisation der Zukunft – die Weltpartei – in einem authentischen revolutionären Aufschwung vorlegen müsste? Welches die dringendsten Aufgaben, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert wäre, wenn sie auf die Übernahme der politischen Macht im Weltmaßstab zusteuert? Welches wären die wichtigsten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen, die von der Diktatur des Proletariats, die die notwendige politische Voraussetzung für den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft bleibt, umgesetzt werden müssen?
Die revolutionären Bewegungen von 1917-23 waren ebenso wie der imperialistische Weltkrieg, der sie anheizte, ein klarer Beweis dafür, dass der Kapitalismus in seine "Epoche der sozialen Revolution", der Dekadenz, eingetreten war. Von nun an waren der Fortschritt und sogar das Überleben der Menschheit zunehmend gefährdet, solange die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse nicht im Weltmaßstab überwunden sind. In diesem Sinne stehen die grundlegenden Ziele einer künftigen proletarischen Revolution in voller Kontinuität zu den Programmen, die zu Beginn der Periode der Dekadenz vorgelegt wurden. Aber diese Epoche hat nun schon mehr als ein Jahrhundert gedauert, und unserer Ansicht nach haben die in diesem Jahrhundert angesammelten Widersprüche eine Endphase des kapitalistischen Niedergangs eröffnet, die Phase, die wir Zerfall nennen, in der die Fortsetzung des kapitalistischen Systems die wachsende Gefahr birgt, dass die Bedingungen für eine zukünftige kommunistische Gesellschaft untergraben werden. Dies zeigt sich besonders deutlich auf der "ökologischen" Ebene: 1917-23 waren die Probleme der Umweltverschmutzung und der Zerstörung der natürlichen Umwelt weit geringer als heute. Der Kapitalismus hat den "Stoffwechsel" zwischen Menschen und Natur so verzerrt, dass eine siegreiche Revolution zumindest enorme menschliche und technische Ressourcen aufwenden müsste, nur um das Chaos zu beseitigen, das der Kapitalismus uns hinterlassen haben wird. In ähnlicher Weise wird der gesamte Zerfallsprozess, der die Tendenz zur sozialen Atomisierung, zu der der kapitalistischen Gesellschaft innewohnenden Haltung des "Jeder für sich" verschärft hat, eine sehr schädliche Spur bei den Menschen hinterlassen, die eine neue, auf Vereinigung und Solidarität gegründete Gemeinschaft aufbauen müssen. Wir müssen uns auch eine Lehre aus der Russischen Revolution ins Gedächtnis rufen: In Anbetracht der Gewissheit, dass sich die Bourgeoisie der proletarischen Revolution mit aller Kraft widersetzen wird, wird der Sieg der Revolution einen Bürgerkrieg mit sich bringen, der unabsehbare Schäden verursachen könnte, nicht nur in Form von Menschenleben und weiterer Umweltzerstörung, sondern auch auf der Ebene des Bewusstseins, da das militärische Terrain für die Entfaltung der proletarischen Selbstorganisation, des Bewusstseins und der Moral keineswegs das günstigste ist. In Russland ging 1920 der sowjetische Staat als Sieger aus dem Bürgerkrieg hervor, aber das Proletariat hatte die Kontrolle über ihn weitgehend verloren. Wenn wir also versuchen, die Probleme der kommunistischen Gesellschaft zu verstehen, "wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt"[3], müssen wir erkennen, dass diese Muttermale wahrscheinlich viel hässlicher und potenziell schädlicher sein werden als zu Zeiten von Marx und sogar Lenin. Die ersten Phasen des Kommunismus werden also nicht ein idyllisches Erwachen an einem Maimorgen sein, sondern eine lange und intensive Arbeit des Wiederaufbaus aus den Trümmern. Diese Erkenntnis muss unser Verständnis für alle Aufgaben der Übergangsperiode prägen, auch wenn wir unsere Vorausschau auf die Zukunft weiterhin auf der Überzeugung gründen, dass das Proletariat seine revolutionäre Mission – trotz allem – tatsächlich erfüllen kann.
Während dieser langen Artikelreihe haben wir versucht, die Entwicklung des kommunistischen Projekts als die Frucht der realen historischen Erfahrung des Klassenkampfes und der Reflexion über diese Erfahrung durch die bewusstesten Minderheiten des Proletariats zu verstehen. Und in diesem Artikel wollen wir mit dieser historischen Methode fortfahren, indem wir uns mit dem Versuch befassen, eine aktualisierte Version der "unmittelbaren Programme" von 1917-23 auszuarbeiten, die selbst Teil der Geschichte der kommunistischen Bewegung geworden ist. Wir beziehen uns dabei auf den 1953 von Amadeo Bordiga verfassten und in Sul Filo del Tempo veröffentlichten Text "Das unmittelbare revolutionäre Programm", den wir bereits in einem früheren Artikel dieser Reihe[4] mit dem Versprechen erwähnt haben, ausführlicher darauf zurückzukommen. Unserer Ansicht nach ist es von wesentlicher Bedeutung, dass jeder künftige Versuch, ein solches "unmittelbares Programm" zu formulieren, sich auf die Stärken dieser früheren Bemühungen stützt, während ihre Schwächen radikal kritisiert werden. Der gesamte Text, dem das Verdienst zukommt, sehr prägnant zu sein, folgt nun.
Dies erlaubte jedoch nicht zu glauben, dass sich die Gesetze und präzisen Voraussichten des Marxismus über den Übergang der kapitalistischen Produktionsweise zum Sozialismus und aller ihrer wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Formen geändert hätten; es bedeutete lediglich, dass die erste nachrevolutionäre Periode verändert und einfacher wurde, also die Übergangswirtschaft, die der niederen Phase des Sozialismus vorausgeht, wie auch der höheren sozialistischen Phase, dem entwickelten Kommunismus.
Der klassische Opportunismus bestand darin, glauben zu machen, dass all diese Maßnahmen, von der ersten bis zur letzten, unter dem Druck des Proletariats vom demokratischen bürgerlichen Staat verwirklicht werden können, oder sogar Dank einer legalen Eroberung der Macht. Aber in diesem Fall wären diese verschiedenen »Maßnahmen« im Interesse des bürgerlichen Machterhalts verwirklicht worden, um den Fall des Kapitalismus abzuwenden, vorausgesetzt, sie wären für ihn verträglich, und wäre dies nicht der Fall, so würde der Staat sie niemals umsetzen.
Der gegenwärtige Opportunismus mit seiner Parole der fortschrittlichen Volksdemokratie im Rahmen der Verfassung und des Parlamentarismus erfüllt eine andere, noch schlimmere geschichtliche Aufgabe. Zuerst erweckt er im Proletariat den Glauben, dass einige seiner eigenen Maßnahmen in das Programm eines alle Klassen umfassenden Mehrparteienstaats passen würden, das heißt also, dieser Opportunismus zeigt den gleichen Defätismus gegenüber der proletarischen Klassendiktatur wie die Sozialdemokratie von gestern. In der Folge aber treibt er die organisierten Massen vor allem dazu, für »volksfreundliche und fortschrittliche« gesellschaftliche Maßnahmen zu kämpfen, welche denen völlig entgegengesetzt sind, die die proletarische Macht seit 1848 und das »Manifest« stets festgelegt haben.
Man kann die Schande einer derartigen Rückentwicklung nicht besser aufzeigen als durch eine Aufzählung der Maßnahmen, die es für den Fall zu verwirklichen gibt, dass die Machteroberung künftig in einem westlichen kapitalistischen Land möglich wird, anstatt der Maßnahmen des »Manifests« (von vor einem Jahrhundert), und die stets die kennzeichnendsten von damals mit einschließen.
Die westlichen Renegaten sind noch niederträchtiger als ihre östlichen Paten, insofern die feudalistische Gefahr, die in dem sich in Aufruhr befindlichen Asien noch materiell und wohl reell ist, für die mit der hochmütig aufgeblähten kapitalistischen Metropole auf der anderen Seite des Atlantiks in einer Linie stehenden Länder vorgeheuchelt und nicht vorhanden ist, ebensowenig wie für die unter seiner zivilisierten, liberalen und »völkerbündischen« Knute stehenden Proletarier.
Der Text wurde im Jahr nach der Spaltung der Internationalistischen Kommunistischen Partei veröffentlicht, die sich in Italien während des Krieges nach einer bedeutenden Welle von Arbeiterkämpfen[5] gebildet hatte. Die Spaltung war jedoch – wie die Auflösung von Marcs Gruppe der Gauche Communiste de France, die ebenfalls 1952 stattfand – Ausdruck der Tatsache, dass der Krieg entgegen den Hoffnungen vieler Revolutionäre nicht zu einem neuen proletarischen Aufschwung, sondern zur Vertiefung der Konterrevolution geführt hatte. Bei den Meinungsverschiedenheiten zwischen den "Damenisten" und den "Bordigisten" im Partito Comunista Internazionalista in Italien ging es zum Teil um unterschiedliche Auffassungen über die Nachkriegszeit. Bordiga und seine Anhänger tendierten dazu, die Tatsache besser zu verstehen, dass die Periode von zunehmender Reaktion geprägt war[6]. Und doch haben wir hier Bordiga, der eine Liste von Forderungen formuliert hat, die besser zu einem Moment des offenen revolutionären Kampfes passen würden. Dieser Text erscheint daher eher als eine Art Gedankenexperiment denn als eine Plattform, die von einer Massenbewegung angenommen werden sollte. Dies mag bis zu einem gewissen Grad einige der offensichtlicheren Schwächen und Lücken des Dokuments erklären, obwohl sie in einem tieferen Sinne das Produkt von Widersprüchen und Ungereimtheiten sind, die bereits in der bordigistischen Weltsicht eingebettet waren.
Wenn wir die Bemerkungen lesen, die den Text einleiten und abschließen, können wir auch erkennen, dass er als Teil einer umfassenderen Polemik gegen das geschrieben wurde, was die Bordigisten als die "reformistischen" Strömungen bezeichnen, insbesondere die Stalinisten, jene falschen Erben der Tradition von Marx, Engels und Lenin. Der Hauptgrund dafür, dass die Bordigisten die offiziellen kommunistischen Parteien als reformistisch bezeichneten, war nicht so sehr, dass sie die Illusionen der Trotzkisten geteilt hätten, wonach es sich bei jenen immer noch um Arbeiterorganisationen gehandelt habe, sondern vielmehr, weil die Stalinisten zunehmend zu Verfechtern der Bildung nationaler Fronten mit den traditionellen bürgerlichen Parteien geworden waren und einen allmählichen "Übergang" zum Sozialismus durch die Bildung von "Volksdemokratien" und verschiedenen parlamentarischen Koalitionen befürworteten. Gegen diese Entgleisungen bekräftigt Bordiga die Grundlagen des Kommunistischen Manifests, das von der Notwendigkeit der gewaltsamen Eroberung der Macht durch das Proletariat ausgeht (im Rückblick können wir hier auch auf die Kluft hinweisen, die Bordiga von vielen trennt, die "in seinem Namen sprechen", insbesondere von den "Kommunisierungs"strömungen, die Bordiga oft zitieren, aber sein Beharren auf der Notwendigkeit der proletarischen Diktatur und einer kommunistischen Partei verhöhnen). Gleichzeitig macht Bordiga, der immer noch die Stalinisten im Visier hat, deutlich, dass die spezifischen "Übergangs"-Maßnahmen, die am Ende des zweiten Kapitels des Manifests von 1848 befürwortet wurden – hohe progressive Einkommenssteuer, Gründung einer Staatsbank, staatliche Kontrolle von Kommunikation und Schlüsselindustrien usw. – zwar das Rückgrat des Wirtschaftsprogramms der "Reformisten" bilden mögen, aber nicht als ewige Wahrheiten angesehen werden sollten: Das Manifest selbst betonte, dass sie "nicht als vollständiger Sozialismus zu behandeln sind, sondern als Schritte, die als vorläufig, unmittelbar und im Wesentlichen widersprüchlich zu identifizieren sind", und entsprach dem niedrigen kapitalistischen Entwicklungsstand zum Zeitpunkt ihrer Ausarbeitung; und in der Tat sind etliche von ihnen bereits von der Bourgeoisie selbst umgesetzt worden.
Man möge denen verzeihen, welche dies als Widerlegung der Invarianz betrachten, der Idee, dass das kommunistische Programm seit mindestens 1848 im Wesentlichen unverändert geblieben sei. Tatsächlich geißelt Bordiga die Stalinisten, weil sie "nicht einer fixen Theorie folgten, sondern glaubten, sie bedürfe der ständigen Weiterentwicklung als Folge des historischen Wandels". Und wiederum argumentiert er, dass seine vorgeschlagenen "Korrekturen" am unmittelbaren Programm "sich von den im 'Manifest' aufgezählten unterscheiden; ihre Merkmale sind jedoch dieselben". Wir finden dies widersprüchlich und nicht überzeugend. Es stimmt zwar, dass sich bestimmte Schlüsselelemente des kommunistischen Programms, wie etwa die Notwendigkeit der proletarischen Diktatur, nicht ändern, aber die historische Erfahrung hat in der Tat tiefgreifende Entwicklungen im Verständnis des Zustandekommens dieser Diktatur und der politischen Formen, aus denen sie sich zusammensetzen wird, mit sich gebracht. Dies hat nichts mit dem "Revisionismus" der Sozialdemokraten, der Stalinisten oder anderer zu tun, die vielleicht tatsächlich die Ausrede des "mit der Zeit gehenden Wandels" benutzt haben, um ihre Flucht aus dem proletarischen Lager zu rechtfertigen.
Wenn man sich die "Korrekturen" Bordigas an den im Manifest vorgeschlagenen Maßnahmen betrachtet, möge man uns auch verzeihen, dass wir zunächst deren Schwächen sehen:
Und doch behält das Dokument für uns ein beträchtliches Interesse insofern, als es versucht zu verstehen, welches die Hauptprobleme und -prioritäten einer kommunistischen Revolution wären, die nicht zu Beginn der Dekadenz des Kapitalismus stattfinden würde, wie 1917-23, sondern nach einem ganzen Jahrhundert, in dem sich der Niedergang in die Barbarei weiter beschleunigt hat und die Bedrohung für das Überleben der Menschheit weitaus größer ist als vor hundert Jahren.
Bordigas Dokument unternimmt keinen Versuch, eine Bilanz der Erfolge und Misserfolge der Russischen Revolution auf politischer Ebene zu ziehen, und bezieht sich in der Tat nur kursorisch auf die revolutionäre Welle, die auf den Ersten Weltkrieg folgte. In einer Hinsicht versucht es jedoch, eine wichtige Lehre aus der Wirtschaftspolitik der Bolschewiki zu ziehen: Die Vorschläge Bordigas sind sachdienlich, weil sie anerkennen, dass der Weg zum materiellen Überfluss und zu einer klassenlosen Gesellschaft nicht auf einem Programm der "sozialistischen Akkumulation" beruhen kann, in dem der Konsum immer noch der "Produktion um der Produktion willen" (die in Wirklichkeit eine Produktion um des Wertes willen ist) unterworfen ist – die lebendige Arbeit der toten Arbeit untergeordnet. Gewiss, die kommunistische Revolution ist zu einer historischen Notwendigkeit geworden, weil die kapitalistischen sozialen Beziehungen zu einer Fessel für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden sind. Aber aus kommunistischer Sicht hat die Entwicklung der Produktivkräfte einen ganz anderen Inhalt als ihre Anwendung in der kapitalistischen Gesellschaft, wo sie durch das Profitmotiv und damit den Drang zur Akkumulation getrieben wird. Der Kommunismus wird sicherlich die unter dem Kapitalismus erreichten wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte voll nutzen, aber er wird sie dem menschlichen Gebrauch zuführen, so dass sie zu Dienern der wirklichen "Entwicklung" werden, die der Kommunismus postuliert: der vollen Entfaltung der Produktivkräfte, d.h. der schöpferischen Kräfte der damit verbundenen Individuen. Ein Beispiel soll hier genügen: Mit der Entwicklung der Computerisierung und der Roboterisierung hat uns der Kapitalismus ein Ende der Plackerei und eine "Freizeitgesellschaft" versprochen. In Wirklichkeit haben diese potentiellen Segnungen für die einen das Elend der Arbeitslosigkeit oder der prekären Arbeit und für die anderen eine erhöhte Arbeitsbelastung mit sich gebracht, wobei der Druck auf die Arbeiter und Arbeiterinnen wächst, weiterhin überall und zu jeder Tageszeit an ihren Computern zu arbeiten.
Konkret umfassen die ersten vier Punkte seines Programms: die Forderung, sich nicht mehr auf die Produktion von Maschinen zu konzentrieren, um mehr Maschinen zu produzieren, und die Ausrichtung der Produktion auf den direkten Konsum. Letzteres bedeutete im Kapitalismus natürlich die Produktion von immer mehr "nutzlosen, schädlichen und luxuriösen Konsumgütern" – heute zum Beispiel durch die Produktion von immer ausgeklügelteren Computern oder Mobiltelefonen, die nach einer begrenzten Zeit ausfallen und nicht repariert werden können, oder durch die immens umweltverschmutzende Automobil- und Fast-Fashion-Industrie, in der die "Verbrauchernachfrage" durch Werbung und soziale Medien in den Wahnsinn getrieben wird. Wenn die Arbeiterklasse sich der Gesellschaft und der Produktion bemächtigt hat, wird sich die Neuorientierung des Konsums auf die dringende Notwendigkeit konzentrieren, alle Menschen auf dem ganzen Planeten mit den grundlegenden Lebensnotwendigkeiten zu versorgen. Wir werden auf diese Fragen in anderen Artikeln zurückkommen müssen, aber wir können einige der offensichtlichsten nennen:
Aber gleichzeitig sind diese zugegebenermaßen immensen Aufgaben, die nur der Ausgangspunkt für eine neue menschliche Kultur sind, nicht als Ergebnis einer brutalen Verlängerung des Arbeitstages vorstellbar. Im Gegenteil, sie müssen mit einer drastischen Verkürzung der Arbeitszeit verbunden sein, ohne die, wie wir hinzufügen sollten, die direkte Beteiligung der Produzierenden am politischen Leben der Vollversammlungen und Räte nicht möglich sein wird. Und diese Reduzierung soll zu einem großen Teil durch die Beseitigung von Verschwendung erreicht werden: der Verschwendung durch Arbeitslosigkeit und durch "sozial nutzlose und schädliche Aktivitäten".
Bereits zu Beginn des Kapitalismus, in einer Rede in Elberfeld 1845, stigmatisierte Engels die Art und Weise, wie der Kapitalismus einen schrecklichen Missbrauch menschlicher Energie nicht vermeiden könne, und bestand darauf, dass nur eine kommunistische Transformation das Problem lösen könne.
"Die jetzige Einrichtung der Gesellschaft ist in ökonomischer Beziehung gewiß die unvernünftigste und unpraktischste, die wir uns denken können. Die Entgegensetzung der Interessen bringt es mit sich, daß eine große Menge Arbeitskraft auf eine Weise verwendet wird, von der die Gesellschaft keinen Nutzen hat, daß ein bedeutendes Quantum Kapital unnötigerweise verlorengeht, ohne sich zu reproduzieren. Wir sehen dies schon bei den Handelskrisen; wir sehen, wie Massen von Produkten, die doch alle von Menschen mühsam erarbeitet waren, zu Preisen weggeschleudert werden, die dem Verkäufer Verlust lassen; wir sehen, wie durch Bankerotte Massen von Kapitalien, die doch mühsam angehäuft waren, den Besitzern unter den Händen verschwinden. Gehen wir indes etwas mehr ins Detail des jetzigen Verkehrs. Bedenken Sie, durch wie viele Hände jedes Produkt gehen muß, bis es in die des wirklichen Konsumenten gerät -, bedenken Sie, m[eine] H[erren], wie viele spekulierende und überflüssige Zwischenschieber sich jetzt zwischen den Produzenten und den Konsumenten eingedrängt haben! Nehmen wir ein Beispiel, etwa einen Baumwollballen, der in Nordamerika fabriziert wird. Der Ballen geht aus den Händen des Pflanzers in die des Faktors an irgendeiner beliebigen Station des Mississippi über, er wandert den Fluß hinunter nach New Orleans. Hier wird er verkauft - zum zweiten Male, da ihn der Faktor schon vom Pflanzer kaufte - verkauft, meinetwegen an den Spekulanten, der ihn wieder an den Exporteur verkauft. Der Ballen geht nun etwa nach Liverpool, wo wieder ein gieriger Spekulant seine Hände nach ihm ausstreckt und ihn an sich reißt. Dieser verhandelt ihn wieder an einen Kommissionär, der für Rechnung - wir wollen sagen, eines deutschen Hauses - kauft. So wandert der Ballen nach Rotterdam, den Rhein herauf, durch noch ein Dutzend Hände von Spediteuren, nachdem er ein dutzendmal aus- und eingeladen worden ist -, und dann erst ist er in den Händen, nicht des Konsumenten, sondern des Fabrikanten, der ihn erst konsumierbar macht, sein Garn vielleicht dem Weber, dieser das Gewebe dem Drucker, der dem Grossisten und dieser wieder dem Detaillisten verhandelt, der dann endlich die Ware dem Konsumenten liefert. Und alle diese Millionen Zwischenschieber, Spekulanten, Faktoren, Exporteurs, Kommissionäre, Spediteure, Grossisten und Detaillisten, die doch an der Ware selbst nichts tun, sie wollen alle leben und ihren Profit dabei machen - und machen ihn auch im Durchschnitt, denn sonst könnten sie nicht bestehen. M[eine] H[erren], gibt es keinen einfacheren, wohlfeileren Weg, einen Baumwollballen von Amerika nach Deutschland und das aus demselben verfertigte Fabrikat in die Hände des wirklichen Konsumenten zu liefern als diesen weitläuftigen des zehnmaligen Verkaufens, des hundertmaligen Umladens und Transportierens aus einem Magazin ins andere? Ist dies nicht ein schlagender Beweis der vielen Verschwendung von Arbeitskraft, die durch die Zersplitterung der Interessen herbeigeführt wird? In der vernünftig organisierten Gesellschaft ist von einem solchen umständlichen Transporte keine Rede. Ebenso leicht wie man wissen kann, wieviel eine einzelne Kolonie an Baumwolle oder Baumwollfabrikaten gebraucht, um bei dem Beispiele stehenzubleiben - ebenso leicht wird es der Zentralverwaltung sein, zu erfahren, wieviel sämtliche Ortschaften und Gemeinden des Landes gebrauchen. Ist eine solche Statistik einmal organisiert, was in einem oder zwei Jahren leicht geschehen kann, so wird sich der Durchschnitt des jährlichen Konsums nur im Verhältnis der steigenden Bevölkerung verändern; es ist also ein leichtes, zur gehörigen Zeit vorauszubestimmen, welches Quantum von jedem einzelnen Artikel das Bedürfnis des Volkes erfordern wird -, man wird die ganze, große Quantität sich direkt an der Quelle bestellen, man wird sie direkt, ohne Zwischenschieber, ohne mehr Aufenthalt und Umladungen, als wirklich in der Natur der Kommunikation begründet sind, also mit einer großen Ersparnis von Arbeitskraft, beziehen können; man wird nicht nötig haben, den Spekulanten, Groß- und Kleinhändlern ihren Nutzen zu bezahlen. Aber das ist noch nicht alles - diese Zwischenschieber werden nicht nur auf diese Weise der Gesellschaft unschädlich, sie werden ihr sogar vorteilhaft gemacht. Während sie jetzt zum Nachteil aller anderen eine Arbeit tun, die im besten Falle überflüssig ist und ihnen doch den Lebensunterhalt, ja in vielen Fällen große Reichtümer einbringt, während sie also jetzt dem allgemeinen Besten direkt nachteilig sind, werden sie dann die Hände zu nützlicher Tätigkeit frei bekommen und eine Beschäftigung ergreifen können, worin sie sich als wirkliche, nicht nur scheinbare, erheuchelte Mitglieder der menschlichen Gesellschaft und Teilnehmer an ihrer Gesamttätigkeit erweisen."[9]
Engels zählt dann weitere Beispiele für diese Verschwendung auf: die Notwendigkeit, in einer Gesellschaft, die auf Wettbewerb und Ungleichheit basiert, enorm teure, aber völlig unproduktive Institutionen wie stehende Armeen, Polizeikräfte und Gefängnisse aufrechtzuerhalten; die menschliche Arbeitskraft, die in den Dienst dessen geflossen ist, was William Morris "den schweinischen Luxus der Reichen" nannte; und nicht zuletzt die enorme Verschwendung von Arbeitskraft, die durch die Arbeitslosigkeit verursacht wird, die während der periodischen "Handels"-Krisen des Systems besonders skandalöse Ausmaße annimmt. Dann stellt er die Verschwendung des Kapitalismus der wesentlichen Einfachheit der kommunistischen Produktion und Verteilung gegenüber, die auf der Grundlage dessen berechnet wird, was die Menschen brauchen, und der Gesamtarbeitszeit, die zur Befriedigung dieser Bedürfnisse nötig ist.
All diese kapitalistischen Gebrechen, die während der Periode des Aufstiegs und der Expansion des Kapitalismus zu beobachten waren, sind in der Epoche des kapitalistischen Niedergangs weitaus zerstörerischer und gefährlicher geworden: Krieg und Militarismus haben in zunehmendem Maße den gesamten Wirtschaftsapparat erfasst und stellen eine so akute Bedrohung für die Menschheit dar, dass eine der dringendsten Prioritäten der proletarischen Diktatur (eine, die Bordiga nicht erwähnte, obwohl das "Atomzeitalter" zum Zeitpunkt, als er diesen Text schrieb, bereits klar begonnen hatte) darin bestehen wird, den Planeten von den Massenvernichtungswaffen zu befreien, die der Kapitalismus angesammelt hat – vor allem, weil es keine Garantie dafür gibt, dass die Bourgeoisie oder Fraktionen der Bourgeoisie angesichts ihres endgültigen Sturzes durch die Arbeiterklasse es nicht vorziehen werden, die Menschheit zu zerstören, bevor sie ihre Klassenherrschaft aufgeben.
Ein militarisierter Kapitalismus kann denn auch nur durch das krebsartige Wachstum des Staates funktionieren, mit seinem eigenen stehenden Heer von Bürokraten, Polizisten und Spionen. Vor allem die Sicherheitsdienste sind in gigantischem Ausmaß angeschwollen, ebenso wie ihr Spiegelbild, die Mafiabanden, die in vielen Ländern der kapitalistischen Peripherie ihre brutale Ordnung durchsetzen.
In ähnlicher Weise hat die kapitalistische Dekadenz mit ihrem gewaltigen Bank-, Finanz- und Werbeapparat, der für die Zirkulation tatsächlich produzierter Güter mehr denn je unerlässlich ist, die Zahl der Menschen, die an grundsätzlich sinnlosen Formen von täglichen Verrichtungen beteiligt sind, enorm erhöht; und die aufeinander folgenden Wellen der "Globalisierung" haben die Absurditäten, die mit der weltweiten Zirkulation von Waren verbunden sind, noch offensichtlicher gemacht, ganz zu schweigen von den steigenden Kosten auf ökologischer Ebene. Und die Menge an Arbeit, die den Ansprüchen der heute als "Superreiche" bezeichneten Menschen gewidmet wird, ist nicht weniger schockierend als zu Engels' Zeiten – nicht nur in ihrem unerschöpflichen Bedarf an Dienern und Dienerinnen, sondern auch in ihrem Durst nach wirklich nutzlosem Luxus wie Privatjets, Yachten und Palästen. Und am entgegengesetzten Pol, in einer Epoche, in der die Wirtschaftskrise des Systems selbst zu einer permanenten Krise geworden ist, ist die Arbeitslosigkeit weniger eine zyklische Geißel als eine permanente, auch wenn sie durch die Verbreitung von Kurzzeitjobs und Unterbeschäftigung verschleiert wird. In der so genannten Dritten Welt hat die Zerstörung der traditionellen Ökonomien in einigen Gebieten zu einer intensiven kapitalistischen Entwicklung geführt, aber sie hat auch ein gigantisches "Subproletariat" geschaffen, und die, welche dazugehören, führen als Slumbewohner und -bewohnerinnen in den Townships Afrikas oder den "Favelas" Brasiliens und Lateinamerikas eine äußerst prekäre Existenz.
So hatte Bordiga – auch wenn er die Dekadenz des Systems nicht kohärent verstand – begriffen, dass die Umsetzung des kommunistischen Programms in dieser Epoche nicht bedeutet, durch einen sehr raschen Industrialisierungsprozess zum Überfluss voranzuschreiten, wie es die Bolschewiki angesichts der "rückständigen" Bedingungen, denen sie in Russland nach 1917 ausgesetzt waren, tendenziell angenommen hatten. Sicherlich wird sie die Entwicklung und Anwendung der fortschrittlichsten Technologien erfordern, aber sie wird zunächst als eine geplante Demontage all dessen Gestalt annehmen, was im bestehenden Produktionsapparat schädlich und nutzlos ist, und als eine globale Neuordnung der wirklichen menschlichen Ressourcen, die der Kapitalismus ständig verschwendet und zerstört.
Die kommunistische Bewegung heute – auch wenn sie das Ausmaß des Problems erst spät erkannt hat – kann nicht umhin, sich der ökologischen Kosten der kapitalistischen Entwicklung im vergangenen Jahrhundert und vor allem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewusst zu sein. Es ist für uns offensichtlicher als für die Bolschewiki, dass wir den Kommunismus nicht mit den Methoden der kapitalistischen Industrialisierung erreichen können, die sowohl die menschliche Arbeitskraft als auch den natürlichen Reichtum den Forderungen des Profits, dem Idol des sich selbst verwertenden Werts, opfert. Wir verstehen jetzt, dass eine der Hauptaufgaben des Proletariats darin besteht, die Gefahr einer galoppierenden globalen Erwärmung zu stoppen und das gigantische Chaos zu beseitigen, das der Kapitalismus uns hinterlassen hat: die mutwillige Zerstörung von Wäldern und Wildnis, die Vergiftung von Luft, Land und Wasser durch das bestehende Produktions- und Transportsystem. Einige Teile dieses "Erbes" werden viele Jahre geduldiger Forschung und Arbeit erfordern, um sie zu überwinden – die Verschmutzung der Meere und der Nahrungskette durch Plastikabfälle ist nur ein Beispiel dafür. Und wie wir bereits erwähnt haben, wird die Befriedigung der grundlegendsten Bedürfnisse der Weltbevölkerung (Nahrung, Wohnung, Gesundheit usw.) mit diesem Gesamtprojekt der Harmonisierung zwischen Menschen und Natur in Einklang stehen müssen.
Es ist Bordigas Verdienst, dass er sich bereits Anfang der fünfziger Jahre dieses Problems bewusst wurde: Seine Intuition für die Zentralität dieser Dimension zeigt sich vor allem in seiner Position zum Problem der "Großstädte", die voll und ganz mit dem Denken von Marx und insbesondere von Engels übereinstimmt.
Stadt und Zivilisation haben historisch (und in manchen Sprachen etymologisch) die gleichen Wurzeln. Manchmal wird der Begriff "Zivilisation" auf die Gesamtheit der menschlichen Kultur und Moral zurückgeführt[10]: In diesem Sinne bilden auch die Jäger und Sammler Australiens oder Afrikas eine Zivilisation. Aber es steht außer Frage, dass der Übergang zum Leben in Städten, die die allgemeinere Definition von Zivilisation ist, eine qualitative Entwicklung in der Menschheitsgeschichte darstellte: ein Faktor für die Weiterentwicklung der Kultur und die Aufzeichnung der Geschichte selbst, aber auch die definitiven Anfänge der Klassenausbeutung und des Staates. Schon vor dem Kapitalismus ist die Stadt, wie Weber zeigte, auch untrennbar mit dem Handel und der Geldwirtschaft verbunden[11]. Doch das Bürgertum ist die städtische Klasse schlechthin, und die mittelalterlichen Städte wurden zu Zentren des Widerstands gegen die Hegemonie des feudalen Adels, dessen Reichtum vor allem auf dem Landbesitz und der Ausbeutung der Bauern beruhte. Das moderne Proletariat ist nicht weniger eine städtische Klasse, die sich aus der Enteignung der Bauern und dem Ruin der Handwerker gebildet hat. In die überstürzt gewachsenen Ballungsgebiete von Manchester, Glasgow oder Paris getrieben, wurde sich die Arbeiterklasse hier zum ersten Mal als eigenständige Klasse im Gegensatz zur Bourgeoisie bewusst und begann, sich eine Welt jenseits des Kapitalismus vorzustellen.
Auf der Ebene der Beziehung des Menschen zur Natur weist die Stadt denselben doppelten Aspekt auf: Sie ist das Zentrum der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung und eröffnet das Potenzial für die Befreiung von Entbehrung und Krankheit. Aber diese wachsende "Beherrschung der Natur", die sich unter den Bedingungen der Entfremdung des Menschen von sich selbst und von der Natur vollzieht, ist auch untrennbar mit der Zerstörung der Natur und mit einer Reihe von ökologischen Katastrophen verbunden. So wurde der Verfall der sumerischen oder der Maya-Stadtkulturen damit erklärt, dass die Stadt sich selbst überforderte und das sie umgebende Milieu von Wäldern und Landwirtschaft erschöpfte, deren Zusammenbruch der Hybris der Zivilisationen, die ihre innige Abhängigkeit von der Natur zu vergessen begannen, schreckliche Schläge versetzte. So wurden auch die Städte, insofern sie die Menschen wie Sardinen zusammenpressten, das Grundproblem der Abfallentsorgung nicht lösten und uralte Beziehungen zwischen Mensch und Tier umkehrten, zum Nährboden für Plagen wie die Pest in der Zeit des Niedergangs der Feudalismus oder die Cholera und den Typhus, die in den Industriestädten des Frühkapitalismus wüteten. Aber auch hier müssen wir die andere Seite der Dialektik betrachten: Die aufsteigende Bourgeoisie war in der Lage zu verstehen, dass die Krankheiten, die ihre Lohnsklaven heimsuchten, an den Türen der Kapitalisten nicht haltmachten und ihr ganze Wirtschaftsgebäude untergraben konnten. So konnte sie erstaunliche Ingenieurleistungen beim Bau von Abwassersystemen, die noch heute in Betrieb sind, beginnen und durchsetzen, während die sich rasch entwickelnde Medizin zur Beseitigung der bis dahin chronischen Krankheitsformen eingesetzt wurde.
Vor allem im Werk von Friedrich Engels finden wir die grundlegenden Elemente für eine Geschichte der Stadt aus proletarischer Sicht. In Der Ursprung der Familie, des Privateigentum und des Staats zeichnet er die Auflösung der alten "Gens", der auf verwandtschaftlichen Bindungen basierenden Stammesorganisation, bis hin zur neuen territorialen Organisation der Stadt, die die unumkehrbare Spaltung in antagonistische Klassen und damit die Entstehung der Staatsmacht markiert, deren Aufgabe es ist, zu verhindern, dass diese Spaltungen die Gesellschaft zerreißen. In Die Lage der arbeitenden Klasse in England zeichnet er ein Bild von den höllischen Lebensbedingungen des jungen Proletariats, dem alltäglichen Schmutz und der Krankheit der Slums von Manchester, aber auch von den Regungen des Klassenbewusstseins und der Organisierung, die letztlich die entscheidende Rolle dabei spielten, die herrschende Klasse zu zwingen, den Arbeitern bedeutende Reformen zuzugestehen.
In zwei späteren Werken, im Anti-Dühring und in Zur Wohnungsfrage, beginnt Engels eine Diskussion über die kapitalistische Stadt in einer Phase, in der der Kapitalismus bereits in den zentralen Ländern Europas und den USA triumphiert hat und dabei ist, den gesamten Globus zu erobern. Und es fällt auf, dass er bereits jetzt zu dem Schluss kommt, dass die großen Städte sich selbst überlebt haben und verschwinden müssen, um die Forderung des Kommunistischen Manifests zu erfüllen: die Aufhebung der Trennung zwischen Stadt und Land. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Marx in den 1860er Jahren auch zunehmend besorgt über die zerstörerischen Auswirkungen der kapitalistischen Landwirtschaft auf die Fruchtbarkeit des Bodens war und in den Arbeiten von Liebig feststellte, dass die Vernichtung der Waldbestände in Teilen Europas Auswirkungen auf das Klima hatte, indem sie die lokalen Temperaturen erhöhte und die Niederschläge verringerte[12]. Mit anderen Worten: Genauso wie Marx nach der Zerschlagung der Pariser Kommune Zeichen der politischen Dekadenz der bürgerlichen Klasse erkannte und in seiner Korrespondenz mit russischen Revolutionären gegen Ende seines Lebens nach Wegen suchte, wie die Regionen, in denen der Kapitalismus noch nicht vollständig obsiegt hatte, dem Fegefeuer der kapitalistischen Entwicklung entgehen konnten, hatten sowohl er als auch Engels begonnen, sich zu fragen, ob, was den Kapitalismus betraf, die Grenze erreicht sei[13]. Vielleicht waren die materiellen Grundlagen für eine globale kommunistische Gesellschaft bereits gelegt worden, und weiterer "Fortschritt" für das Kapital würde ein zunehmend zerstörerisches Ergebnis haben? Wir wissen, dass das System durch seine imperialistische Expansion in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts seine Existenz noch um einige Jahrzehnte verlängerte und die Grundlage für eine schwankende Wachstums- und Entwicklungsphase schaffte, was einige Elemente in der Arbeiterbewegung dazu veranlasste, die marxistische Analyse der Unvermeidbarkeit der kapitalistische Krise und des kapitalistischen Niedergangs in Frage zu stellen, nur damit die ungelösten Widersprüche des Kapitals im Krieg von 1914-18 (den auch Engels vorausgesagt hatte) ans Tageslicht kämen. Aber die brennenden Fragen nach der Zukunft, die sie gerade dann zu stellen begannen, als der Kapitalismus seinen Zenit erreicht hatte, waren damals durchaus berechtigt und sind heute mehr denn je aktuell.
In "Die Transformation der sozialen Beziehungen", International Review 85 (engl./frz./span. Ausgabe), haben wir untersucht, wie die Revolutionäre des 19. Jahrhunderts – insbesondere Engels, aber auch Bebel und William Morris – argumentierten, dass das Wachstum der Großstädte bereits den Punkt erreicht hatte, an dem die Abschaffung des Antagonismus zwischen Stadt und Land zu einer echten Notwendigkeit geworden war, so dass die Expansion der Großstädte zugunsten einer größeren Einheit zwischen Industrie und Landwirtschaft und einer gleichmäßigeren Verteilung der menschlichen Behausungen auf der Erde ein Ende finden sollte. Es war eine Notwendigkeit nicht nur zur Lösung drängender Probleme wie der Abfallentsorgung und der Verhinderung von Überbevölkerung, Umweltverschmutzung und Krankheiten, sondern auch als Grundlage für ein menschlicheres Leben im Einklang mit der Natur.
In zuvor schon zitierten Artikel "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus" zeigten wir, dass Bordiga – vielleicht mehr als jeder andere Marxist im 20. Jahrhundert – diesem wesentlichen Aspekt des kommunistischen Programms treu geblieben war, indem wir zum Beispiel seinen 1953 erschienenen Artikel Raum vs. Beton[14] zitierten, eine leidenschaftliche Polemik gegen die zeitgenössischen Tendenzen in Architektur und Stadtplanung (ein Bereich, in dem Bordiga selbst beruflich tätig war), die von dem Bedürfnis des Kapitals angetrieben wurden, so viele Menschen wie möglich auf immer engerem Raum zusammenzutreiben – eine Tendenz, die durch den schnellen Bau von Hochhäusern verkörpert wird, die angeblich von den Architekturtheorien Le Corbusiers inspiriert sein sollen. Bordiga ist erbarmungslos gegenüber den Verfechtern der modernen Städtebauideologie:
"Wer solchen Tendenzen Beifall spendet, sollte nicht nur als Verteidiger kapitalistischer Doktrinen, Ideale und Interessen betrachtet werden, sondern als Komplize der pathologischen Tendenzen der obersten Stufe des Kapitalismus in Verfall und Auflösung" (also keine Zurückhaltung gegenüber der Dekadenz hier!). An anderer Stelle im selben Artikel bekräftigt er dies:
"Vertikalismus heißt diese deformierte Doktrin; der Kapitalismus ist vertikal. Der Kommunismus wird 'horizontal' sein". Und am Ende des Artikels nimmt er freudig den Tag vorweg, an dem "die Zementmonster lächerlich gemacht und unterdrückt" und die "Riesenstädte entleert" werden, um "die Dichte des Lebens und der Arbeit auf dem bewohnbaren Land einheitlich werden zu lassen".
In einem anderen Werk, Die menschliche Gattung und die Erdkruste[15], zitiert Bordiga ausgiebig aus Engels' Zur Wohnungsfrage, und wir können der Versuchung nicht widerstehen, dasselbe zu tun. Dies stammt aus dem letzten Abschnitt der Broschüre, in dem Engels den Proudhon-Anhänger Mülberger dafür zitiert, dass er behauptet, es sei utopisch, den "unvermeidlichen" Antagonismus zwischen Stadt und Land überwinden zu wollen:
"Die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land ist nicht mehr und nicht minder eine Utopie als die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern. Sie wird von Tag zu Tag mehr eine praktische Forderung der industriellen wie ackerbauenden Produktion. Niemand hat sie lauter gefordert als Liebig in seinen Schriften über die Chemie des Ackerbaus, worin stets seine erste Forderung ist, daß der Mensch an den Acker das zurückgebe, was er von ihm erhält, und worin er beweist, daß nur die Existenz der Städte, namentlich der großen Städte, dies verhindert. Wenn man sieht, wie hier in London allein eine größere Menge Dünger als das ganze Königreich Sachsen produziert, Tag für Tag unter Aufwendung ungeheurer Kosten – in die See geschüttet wird, und welche kolossalen Anlagen nötig werden, um zu verhindern, daß dieser Dünger nicht ganz London vergiftet, so erhält die Utopie von der Abschaffung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land eine merkwürdig praktische Grundlage. Und selbst das verhältnismäßig unbedeutende Berlin erstinkt seit mindestens dreißig Jahren in seinem eigenen Dreck. Andererseits ist es eine reine Utopie, wenn man, wie Proudhon, die jetzige bürgerliche Gesellschaft umwälzen und den Bauer als solchen erhalten will. Nur eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Bevölkerung über das ganze Land, nur eine innige Verbindung der Industriellen mit der ackerbauenden Produktion, nebst der dadurch nötig werdenden Ausdehnung der Kommunikationsmittel – die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise dabei vorausgesetzt – ist imstande, die Landbevölkerung aus der Isolierung und Verdummung herauszureißen, in der sie seit Jahrtausenden fast unverändert vegetiert."[16]
In dieser Passage werden mehrere Gedankenstränge vorgeschlagen, und Bordiga ist sich ihrer sehr wohl bewusst. Erstens besteht Engels darauf, dass die Überwindung des Antagonismus zwischen Stadt und Land eng mit der Überwindung der allgemeinen kapitalistischen Arbeitsteilung verbunden ist – ein Thema, das im Anti-Dühring weiter entwickelt wird, insbesondere die Trennung zwischen geistiger und manueller Arbeit, die im kapitalistischen Produktionsprozess so unüberbrückbar erscheint. Beide Trennungen, nicht anders als die Spaltung zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter, sind für die Vervollkommnung des menschlichen Wesens unerlässlich. Und im Gegensatz zum Schematismus der rückwärtsgewandten Proudhonisten beinhaltet die Abschaffung der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse nicht die Erhaltung des Kleingrundbesitzes der Bauern oder Handwerker; die Überwindung der Trennungen zwischen Stadt und Land, zwischen Industrie und Landwirtschaft wird die Bauern aus der Isolation und der intellektuellen Vegetation ebenso retten wie die Stadtbewohner vor Überbevölkerung und Umweltverschmutzung befreien.
Zweitens wirft Engels hier, wie auch anderswo, das einfache, aber oft übergangene Problem der menschlichen Exkremente auf. In ihrer ersten, "wilden" Form haben die kapitalistischen Städte so gut wie keine Vorkehrungen für den Umgang mit menschlichen Exkrementen getroffen und sehr schnell den Preis dafür mit der Entstehung epidemischer Krankheiten bezahlt, insbesondere mit Durchfall und Cholera – Geißeln, die noch immer in den Elendsvierteln der kapitalistischen Peripherie wüten, wo grundlegende Hygieneeinrichtungen notorisch fehlen. Der Bau des Abwassersystems stellte sicherlich einen Fortschritt in der Geschichte der bürgerlichen Stadt dar. Aber das einfache Wegspülen von menschlichem Abfall ist selbst eine Form von Abfall, da er als natürlicher Dünger verwendet werden könnte (wie es in der Tat in der früheren Geschichte der Stadt der Fall war).
Wenn man auf London oder Manchester zu Lebzeiten Engels‘ blickt, könnte man leicht sagen: Wenn unsere Vorfahren schon damals fanden, dass diese Städte viel zu groß geworden seien, viel zu sehr von ihrer natürlichen Umgebung getrennt: Was hätten sie von den modernen Abkömmlingen dieser Städte gehalten? Die UNO schätzt, dass heute rund 55% der Weltbevölkerung in großen Städten leben, aber wenn das gegenwärtige Wachstum der Städte anhält, wird diese Zahl bis 2050 auf rund 68% steigen[17].
Dies ist ein wirkliches Beispiel für das, was Marx bereits in den Grundrissen postuliert hat: "Entwicklung als Verfall", und Bordiga hat dies in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg vorausschauend erkannt Die Anthropologen, die den Beginn des Zeitalters des so genannten "Anthropozäns" definieren wollen (was im Grunde genommen die Epoche bedeutet, in der die menschliche Tätigkeit einen grundlegenden und qualitativen Einfluss auf die Ökologie des Planeten zu haben begann), führen es gewöhnlich auf die Ausbreitung der modernen Industrie zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurück – kurz gesagt auf den Sieg des Kapitalismus. Aber einige von ihnen sprechen auch von einer "Großen Beschleunigung", die nach 1945 stattfand, und wir können sehen, wie sich der Moloch nach 1989 mit dem Aufstieg Chinas und anderer "Entwicklungsländer" noch weiter beschleunigt hat.
Die Folgen dieses Wachstums sind bekannt: der Beitrag der Megastadt zur globalen Erwärmung durch ungehemmtes Bauen, der Energieverbrauch und die Emissionen von Industrie und Verkehr, die auch in vielen Städten die Luft vergiften (bereits von Bordiga in Die menschliche Gattung und die Erdkruste erwähnt: "Was die bürgerliche Demokratie betrifft, so hat sie sich so weit herabgelassen, dass sie auf die Freiheit zu atmen verzichtet"). Die unkontrollierte Ausbreitung der Urbanisierung war ein Hauptfaktor für die Zerstörung natürlicher Lebensräume und das Aussterben von Arten; und nicht zuletzt haben die Megastädte ihre Rolle als Brutstätten neuer pandemischer Krankheiten offenbart, von denen die tödlichste und ansteckendste – Covid-19 – zur Zeit der Abfassung dieses Artikels die Weltwirtschaft lähmt und eine weltweite Spur von Tod und Leid hinterlässt. Die beiden letzten "Beiträge" haben sich wahrscheinlich in der Covid-19-Epidemie zusammengefunden, die zu einer Reihe von Fällen gehört, in denen ein Virus von einer Spezies auf eine andere übergesprungen ist. Dies ist zu einem großen Problem in Ländern wie China und in vielen Teilen Afrikas geworden, in denen die Lebensräume von Tieren ausgelöscht werden, was zu einer erheblichen Zunahme des Konsums von "Wildfleisch" führt, und in denen die neuen Städte, die gebaut wurden, um Chinas rasendem Wirtschaftswachstum zu dienen, minimale Hygienekontrollen haben.
In der Liste der revolutionären Maßnahmen, die in Bordigas Artikel enthalten ist, ist Punkt 7 der relevanteste für das Projekt der Abschaffung des Antagonismus zwischen Stadt und Land:
»Anhalten der Bautätigkeit« von Wohnungen und Arbeitsstätten am Rande der großen Städte (und auch der kleinen), als Maßnahme zur gleichmäßigen Verteilung der Bevölkerung über das gesamte Territorium. Verringerung der Schnelligkeit, des Ausmaßes und der Verdichtung des Verkehrs durch Verbot des überflüssigen Verkehrs.“
Dieser Punkt scheint heute besonders zeitgemäß zu sein, da praktisch jede Stadt Schauplatz unerbittlicher "vertikaler" Erhebung (der Bau riesiger Wolkenkratzer, insbesondere in den Stadtzentren) und "horizontaler" Ausdehnung ist, die das Umland auffrisst. Die Forderung lautet einfach: Stopp! Das Aufblähen der Städte und die unhaltbare Konzentration der Bevölkerung in ihnen ist das Ergebnis der kapitalistischen Anarchie und daher im Wesentlichen ungeplant und dezentralisiert. Die menschliche Energie und die technologischen Möglichkeiten, die derzeit für dieses krebsartige Wachstum eingesetzt werden, müssen vom Beginn des revolutionären Prozesses an in eine andere Richtung mobilisiert werden. Auch wenn die Weltbevölkerung beträchtlich zugenommen hat, seit Bordiga in Raum vs. Beton errechnete, dass "unsere Spezies im Durchschnitt einen Quadratkilometer pro zwanzig Einwohner hat"[18], bleibt die Möglichkeit einer weitaus rationaleren und harmonischeren Verteilung der Bevölkerung über den Planeten bestehen, selbst wenn man die Notwendigkeit berücksichtigt, große Gebiete der Wildnis zu erhalten – eine Notwendigkeit, die heute besser verstanden wird, weil die immense Bedeutung der Erhaltung der biologischen Vielfalt auf dem ganzen Planeten wissenschaftlich erwiesen ist, die aber bereits von Trotzki in Literatur und Revolution[19] ins Auge gefasst wurde.
Die Abschaffung des Stadt-Land-Antagonismus wurde durch den Stalinismus in eine Richtung verzerrt: alles zupflastern, "Arbeiterkasernen" und neue Fabriken auf jedem Feld und in jedem Wald bauen. Für den authentischen Kommunismus würde sie bedeuten, Felder zu bestellen und Wälder mitten in den Städten zu pflanzen, aber auch, dass lebensfähige Gemeinschaften an erstaunlich vielen Orten angesiedelt werden können, ohne alles um sie herum zu zerstören, und dass sie nicht isoliert werden, weil ihnen die Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen, die der Kapitalismus in der Tat mit schwindelerregender Geschwindigkeit entwickelt hat. Engels hatte bereits in Zur Wohnungsfrage auf diese Möglichkeit hingewiesen, und Bordiga greift sie in Raum vs. Beton wieder auf:
"Modernste Produktionsformen, Netzwerke von Stationen aller Art wie Wasserkraftwerke, Kommunikation, Radio, Fernsehen nutzen, verleihen den Arbeitern, die in kleinen Gruppen über enorme Entfernungen verteilt sind, zunehmend eine einzigartige betriebliche Disziplin. Die kombinierte Arbeit bleibt bestehen, in immer größeren und wunderbareren Geflechten, und die autonome Produktion verschwindet mehr und mehr. Aber die oben erwähnte technologische Dichte nimmt ständig ab. Die städtische und produktive Agglomeration bleibt also nicht aus Gründen, die vom Optimum der Produktion abhängen, sondern aus Gründen der Dauerhaftigkeit der Profitwirtschaft und der sozialen Diktatur des Kapitals".
Die Digitaltechnik hat dieses Potential natürlich weiter vorangetrieben. Aber im Kapitalismus war das Gesamtergebnis der "Internet-Revolution" die Beschleunigung der Atomisierung des Individuums, während der Trend zum "Homeoffice" – besonders hervorgehoben durch die Covid-19-Krise und die begleitenden Maßnahmen der sozialen Isolation – die Tendenz zur städtischen Verdichtung keineswegs verringert hat. Der Konflikt zwischen dem Wunsch, in Gemeinschaft mit anderen zu leben und zu arbeiten einerseits, und dem Bedürfnis, Raum zum Bewegen und Atmen zu finden andererseits, kann nur in einer Gesellschaft gelöst werden, in der der Einzelne nicht mehr im Widerspruch zur Gemeinschaft steht.
Wie beim Bau menschlicher Behausungen so ist es auch bei der Hektik des modernen Verkehrs: stoppen oder zumindest verlangsamen!
Auch hier ist Bordiga seiner Zeit voraus. Die Methoden des kapitalistischen Transports zu Lande, zu Wasser und in der Luft, die überwiegend auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe basieren, sind für mehr als 20% der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich[20], während sie in den Städten zu einer wesentlichen Quelle von Herz- und Lungenkrankheiten geworden sind, von denen vor allem Kinder betroffen sind. Die jährliche Zahl der Verkehrstoten weltweit beträgt schwindelerregende 1,35 Millionen, mehr als die Hälfte davon sind "ungeschützte" Verkehrsteilnehmende: FußgängerInnen, Radfahrende und Motorradfahrer[21], und dies sind nur die offensichtlichsten Nachteile des gegenwärtigen Verkehrssystems. Der ständige Lärm, den es erzeugt, nagt an den Nerven des Stadtbewohners, und die Unterordnung der Stadtplanung unter die Bedürfnisse des Autos (und der Autoindustrie, die so zentral für die bestehende kapitalistische Wirtschaft ist) führt zu Städten, die endlos zersplittert sind, mit Wohngebieten, die durch den unaufhörlichen Verkehrsfluss voneinander getrennt sind. Unterdessen wird die soziale Atomisierung, ein wesentliches Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft und insbesondere der kapitalistischen Stadt, nicht nur symbolisiert, sondern noch verstärkt durch den einsamen Autobesitzer und -fahrer, der mit Millionen ähnlich getrennter Seelen um den Straßenraum konkurriert.
Natürlich musste der Kapitalismus Maßnahmen ergreifen, um zu versuchen, die schlimmsten Auswirkungen all dessen zu mildern: "Kohlenstoffausgleich", um exzessive Flüge auszugleichen, "Verkehrsberuhigung" und autofreie Gehwege in den Stadtzentren, die Entwicklung hin zum Elektroauto.
Keine dieser "Reformen" kommt auch nur annähernd an eine Lösung des Problems heran, weil keine dieser "Reformen" die kapitalistischen Gesellschaftsbeziehungen in Frage stellt, die an der Wurzel liegen. Nehmen wir zum Beispiel das Elektroauto: Die Autoindustrie hat die Zeichen der Zeit erkannt und tendiert dazu, immer mehr auf dieses Verkehrsmittel umzusteigen. Aber selbst wenn man das Problem der Gewinnung und Entsorgung des für die Batterien benötigten Lithiums oder die Notwendigkeit, die Stromproduktion für den Antrieb dieser Fahrzeuge zu erhöhen, beiseite lässt, die allesamt erhebliche ökologische Kosten verursachen, wäre eine Stadt voller Elektrofahrzeuge zwar geringfügig leiser und etwas weniger verschmutzt, aber immer noch gefährlich für die FußgängerInnen und von Autostraßen zerschnitten.
Es ist möglich, dass der Kommunismus in der Tat in großem Umfang (wenn auch zweifellos nicht ausschließlich) von Elektrofahrzeugen Gebrauch machen wird. Aber das eigentliche Problem liegt woanders. Der Kapitalismus muss mit halsbrecherischer Geschwindigkeit operieren, denn Zeit ist Geld, und der Transport wird von den Bedürfnissen der Akkumulation angetrieben, die die "Umschlags"-Zeit und damit den Transport in ihre Gesamtberechnungen einbezieht. Der Kapitalismus wird gleichermaßen von der Notwendigkeit angetrieben, so viele Produkte wie möglich zu verkaufen, daher der ständige Druck für jeden Einzelnen, sein Eigentum zu besitzen – wiederum symbolisiert im privaten Auto, das zum Ausdruck des persönlichen Reichtums und Prestiges geworden ist, dem Schlüssel zur "Freiheit auf der Straße" in einer Ära endloser Staus.
Das Tempo des Lebens in den heutigen Städten ist (selbst mit den Staus) weitaus höher als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber in Die Frau und der Sozialismus, das erstmals 1879 veröffentlicht wurde, freute sich August Bebel bereits auf die Stadt der Zukunft, wo das "nervenzerstörende Geräusch, Gedränge und Gerenne unserer großen Städte mit ihren Tausenden von Vehikeln aller Art im wesentlichen" aufhört, "alles eine große Umgestaltung" erfährt (S. 451).
Die Hektik und der Stau, die das Stadtleben so stressig machen, können nur überwunden werden, wenn der Drang zur Akkumulation zugunsten einer Produktion unterdrückt wird, die so geplant ist, dass die notwendigen Gebrauchswerte frei verteilt werden können. Bei der Ausarbeitung der Verkehrsnetze der Zukunft wird natürlich ein Schlüsselfaktor darin bestehen, den Kohlenstoffausstoß und andere Formen der Umweltverschmutzung weitgehend auf ein Minimum zu beschränken, aber die Notwendigkeit, eine größere Entspannung, ein gewisses Maß an Ruhe für Wohnhafte und Reisende zu erreichen, wird sicherlich in den Gesamtplan einfließen. Da der Druck, so schnell wie möglich von A nach B zu gelangen, viel geringer ist, werden die Reisenden mehr Zeit haben, die Reise selbst zu genießen: Vielleicht wird in einer solchen Welt das Pferd auf Teile des Landes zurückkehren, die Segelboote auf das Meer, Luftschiffe in den Himmel, während es auch möglich sein wird, bei Bedarf viel schnellere Transportmittel zu benutzen[22]. Gleichzeitig wird sich das Verkehrsaufkommen stark verringern, wenn die Sucht nach dem persönlichen Besitz von Fahrzeugen durchbrochen werden kann und die Reisenden Zugang zu kostenlosen öffentlichen Verkehrsmitteln verschiedener Art haben (Busse, Züge, Boote, Taxis und selbstfahrende Verkehrsmittel). Wir sollten auch bedenken, dass im Gegensatz zu den vielen westlichen kapitalistischen Städten, in denen die Hälfte aller Wohnungen von Einzelpersonen bewohnt wird, der Kommunismus ein Experiment für gemeinschaftlichere Wohnformen sein wird; und in einer solchen Gesellschaft kann das Reisen in Gesellschaft anderer zu einem Vergnügen werden und nicht zu einem verzweifelten Wettlauf zwischen verfeindeten Konkurrenten.
Wir sollten auch bedenken, dass viele der Fahrten, die das Verkehrssystem verstopfen, die zu sinnlosen Tätigkeiten wie Finanzen, Versicherungen oder Werbung führen, in einer geldlosen Gesellschaft keinen Platz haben werden. Der tägliche Berufsverkehr wird der Vergangenheit angehören. Gleichzeitig kann die Produktion von Gebrauchsgegenständen umgestaltet und verlagert werden, um den Transport von Produkten über weite Strecken zu vermeiden, der im Kapitalismus sehr oft nur von dem Ziel bestimmt wird, schlechter bezahlte Arbeitskräfte oder andere Vorteile (für das Kapital) zu finden, wie z.B. fehlende Umweltvorschriften. Die gesamte Produktion und Verteilung der benötigten Gebrauchswerte werden neu organisiert, so dass viele Fahrten zwischen den Produktionsstätten und den Wohnungen nicht mehr notwendig sind.
Auf diese Weise werden die Straßen einer Stadt, in der das wütende Tosen des Verkehrs auf ein Schnurren reduziert ist, einige ihrer älteren Vorteile und Nutzungen – zum Beispiel als Spielplätze für Kinder – zurückgewinnen.
Auch hier unterschätzen wir das Ausmaß der damit verbundenen Aufgaben nicht. Auch wenn die Möglichkeit, gemeinschaftlicher oder assoziierter zu leben, durch den Übergang zu einer kommunistischen Produktionsweise eingeschränkt wird, werden die egoistischen Vorurteile, die durch mehrere hundert Jahre Kapitalismus stark verschärft wurden, nicht automatisch verschwinden und in der Tat oft als ernsthafte Hindernisse für den Prozess der Vergesellschaftung wirken. Wie Marx es ausdrückte,
"Das Privateigentum hat uns so dumm und einseitig gemacht, daß ein Gegenstand erst der unsrige ist, wenn wir ihn haben, also als Kapital für uns existiert oder von uns unmittelbar besessen, gegessen, getrunken, an unsrem Leib getragen, von uns bewohnt etc., kurz, gebraucht wird. Obgleich das Privateigentum alte diese unmittelbaren Verwirklichungen des Besitzes selbst wieder nur als Lebensmittel faßt und das Leben, zu dessen Mittel sie dienen, ist das Leben des Privateigentums Arbeit und Kapitalisierung. An die Stelle aller physischen und geistigen Sinne ist daher die einfache Entfremdung aller dieser Sinne, der Sinn des Habens getreten." (Ökonomisch-philosophische Manuskripte von 1844, Kapitel über Privateigentum und Kommunismus)
Rosa Luxemburg vertrat immer die Ansicht, dass es beim Kampf für den Sozialismus nicht nur um "Brot-und-Butter"-Fragen gehe, sondern dass "sittlich (...) der Arbeiterkampf die kulturelle Erneuerung der Gesellschaft" bedeute[23]. Dieser kulturelle und moralische Aspekt des Klassenkampfes und vor allem der Kampf gegen den "Sinn des Habens" werden sicherlich während des Übergangs zum Kommunismus weitergeführt werden.
CDW 23.04.2020
[1] "Der Wandel der sozialen Beziehungen" in International Review 85 (englische, französische, spanische Ausgabe): https://en.internationalism.org/internationalreview/199604/3709/transformation-social-relations [1]; "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus", https://de.internationalism.org/content/2944/die-1950er-und-60er-jahre-damen-bordiga-und-die-leidenschaft-fuer-den-kommunismus [2]
[2] “1918: Das Programm der Deutschen Kommunistischen Partei" in International Review 93, https://en.internationalism.org/internationalreview/199803/3824/1918-programme-german-communist-party [3]; und "1919: Das Programm der Diktatur des Proletariats" in International Review 95, https://en.internationalism.org/internationalreview/199809/3867/1919-programme-dictatorship-proletariat [4]; und "Das Programm des KAPD [5]", International Review 97.
[3] Marx, Kritik des Gothaer Programms
[4] "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus", siehe Anmerkung 1
[5] Wir wollen darauf hinweisen, dass der Text als "Parteidokument" der neuen Organisation angenommen wurde und nicht einfach nur ein individueller Bericht ist.
[6] Aber die Damenisten waren viel klarer in vielen der Lehren aus der Niederlage der Russischen Revolution und in den Positionen des Proletariats in der dekadenten Ära des Kapitalismus. Vgl. "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus", Anmerkung 1.
[8] Siehe "Damen, Bordiga und die Leidenschaft für den Kommunismus", a.a.O.
[10] Siehe zum Beispiel "Zu Patrick Torts The Darwin Effect", https://en.internationalism.org/icconline/2009/04/darwin-and-the-descent-of-man [8]
[11] Max Weber, Die Stadt, 1921
[12] Vgl. Kohei Saito, Karl Marx’s Ecosocialism, New York, 2017
[13] Zu Marx und der russischen Frage siehe einen früheren Artikel in dieser Reihe, "Der reife Marx: vergangener und zukünftiger Kommunismus", International Review 81 (engl./frz./span. Ausgabe), https://en.internationalism.org/internationalreview/199506/1685/mature-marx-past-and-future-communism [9]
[14] Il Programma Comunista, Nr. 1 vom 8. bis 24. Januar 1953, materialnecessity.org/2020/04/02/space-versus-cement-il-programa-comunista
[15] Il Programma Comunista no. 6/1952, 18. Dezember 1952, https://libcom.org/article/human-species-and-earths-crust-amadeo-bordiga [10]
[17] https://www.cnbc.com/2018/05/17/two-thirds-of-global-population-will-live-in-cities-by-2050-un-says.html [12]
[18] Bordiga gab die Zahl 2,5 Milliarden an, heute sind es eher 7,8 Milliarden: https://www.quora.com/In-2009-the-world-population-was-6-8-billion-Exponential-growth-rate-was-1-13-per-year-What-is-the-estimated-world-population-in-2012-and-2020 [13]
[19] https://www.marxists.org/archive/trotsky/1924/lit_revo/ [14] Siehe auch International Review 111 (englisch/französisch/spanische Ausgabe), "Trotzki und die Kultur des Kommunismus", https://en.internationalism.org/internationalreview/200210/9651/trotsky-and-culture-communism [15]
[22] Natürlich können die Menschen immer noch den Nervenkitzel genießen, mit schwindelerregender Geschwindigkeit zu reisen, aber vielleicht werden solche Vergnügungen in einer rationalen Gesellschaft vor allem in eigens dafür vorgesehenen Arenen erreicht.
[23] Stillstand und Fortschritt im Marxismus, 1903, Luxemburg Gesammelte Werke Bd. 1/2 S. 366
Das Ziel dieser Polemik ist es, eine Debatte im Proletarisch-Politischen Milieu anzuregen. Wir hoffen, dass die Kritik, die wir an anderen Gruppen üben, Anlass zu Reaktionen gibt, denn die Kommunistische Linke kann nur durch eine offene Auseinandersetzung mit unseren Differenzen gestärkt werden.
Angesichts großer sozialer Umwälzungen besteht die erste Pflicht der Kommunisten darin, ihre Prinzipien mit äußerster Klarheit zu verteidigen und der Arbeiterklasse die Mittel an die Hand zu geben, um zu verstehen, wo ihre Klasseninteressen liegen. Die Gruppen der Kommunistischen Linken haben sich vor allem durch ihre Loyalität zum Internationalismus angesichts der Kriege zwischen bürgerlichen Banden, Staaten und Bündnissen ausgezeichnet. Trotz der Unterschiede in ihrer Analyse der historischen Periode, in der wir leben, waren die bestehenden Gruppen der Kommunistischen Linken - die Internationale Kommunistische Strömung, die IKT (Internationalist Communist Tendency) und die verschiedenen Bordigistischen Organisationen - im Allgemeinen in der Lage, alle Kriege zwischen Staaten als imperialistisch anzuprangern und die Arbeiterklasse aufzufordern, ihren Protagonisten jegliche Unterstützung zu verweigern. Dadurch unterscheiden sie sich entscheidend von Pseudorevolutionären wie den Trotzkisten, die stets eine völlig verzerrte Version des Marxismus vertreten, um die Unterstützung der einen oder anderen bürgerlichen Fraktion zu rechtfertigen.
Die Aufgabe, die Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen, wird natürlich auch durch den Ausbruch großer sozialer Konflikte gestellt - nicht nur durch Bewegungen, die eindeutig Ausdruck des proletarischen Kampfes sind, sondern auch durch große Mobilisierungen, bei denen eine große Zahl auf der Straße protestiert und oft mit den Kräften der bürgerlichen Ordnung zusammenstößt. Im letzteren Fall kann der Präsenz von Arbeitern und sogar von Forderungen, die mit den Bedürfnissen der Arbeiterklasse verbunden sind, es sehr schwierig machen, eine klare Analyse ihres Klassencharakters zu erstellen.
All diese Elemente gab es zum Beispiel in der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich, und es gibt diejenigen (wie die Gruppe Guerre de Classe), die zu dem Schluss kamen, dass dies eine neue Form des proletarischen Klassenkampfes sei[1]. Im Gegensatz dazu konnten einige Gruppen der Kommunistischen Linken erkennen, dass es sich um eine interklassistische Bewegung handelte, an der sich die Arbeiter im Wesentlichen als Individuen beteiligten, den Parolen der Kleinbourgeoisie folgend und sogar offen bürgerliche Forderungen und Symbole (Bürgerdemokratie, Trikolore, immigrantenfeindlicher Rassismus usw.) mittrugen[2]. Dennoch waren beträchtliche Verwirrungen in ihren Analysen vorhanden. Der Wunsch, trotz alledem ein gewisses Potential der Arbeiterklasse in einer Bewegung zu sehen, die offensichtlich auf reaktionärem Terrain begonnen hatte und weitergeführt wurde, war bei einigen der Gruppen noch erkennbar, wie wir später noch sehen werden.
Die Black Lives Matter-Proteste stellen für revolutionäre Gruppen eine noch größere Herausforderung dar: Es lässt sich nicht leugnen, dass sie aus einer Welle echter Wut gegen einen besonders ekelhaften Ausdruck von Polizeibrutalität und Rassismus entstanden sind. Darüber hinaus war die Wut nicht auf Schwarze beschränkt und ging weit über die Grenzen der USA hinaus. Ausbrüche von Wut, Entrüstung und Widerstand gegen Rassismus führen jedoch nicht automatisch in Richtung Klassenkampf. In Ermangelung einer echten proletarischen Alternative können sie leicht von der Bourgeoisie und ihrem Staat instrumentalisiert werden. Unserer Meinung nach war dies bei den gegenwärtigen BLM-Protesten der Fall, und die Kommunisten stehen daher vor der Notwendigkeit, genau zu zeigen, wie eine ganze Palette bürgerlicher Kräfte - von der BLM vor Ort über die Demokratische Partei in den USA bis hin zu den Vertretern der großen Industriezweige, sogar die Chefs der Armee und der Polizei - vom ersten Tag an anwesend waren, um die legitime Wut zu instrumentalisieren und sie für ihre eigenen Interessen zu nutzen.
Wie haben die Kommunisten darauf reagiert? Wir werden uns hier nicht mit jenen Anarchisten befassen, die glauben, dass die Aktionen des kleinlichen Vandalismus der Schwarzen Blöcke im Rahmen solcher Demonstrationen Ausdruck von Klassengewalt sind, oder mit "Kommunisten", die meinen, Plünderungen seien eine Form des "proletarischen Einkaufens" oder ein Schlag gegen die Warenform. Wir können in künftigen Artikeln auf diese Argumente zurückkommen. Wir werden uns auf Erklärungen beschränken, die von den Gruppen der Kommunistischen Linken im Gefolge der ersten Unruhen und Demonstrationen nach dem Polizistenmord an George Floyd in Minneapolis abgegeben wurden.
Drei der Gruppen gehören der Bordigistischen Strömung an, und tatsächlich tragen sie alle den Titel "Internationale Kommunistische Partei", so dass wir sie nach ihren Veröffentlichungen definieren werden: Le Proletaire (Der Proletarier); Il Partito Comunista (Die Kommunistische Partei); Programma Comunista (Der Internationalist). Die vierte Gruppe ist die Internationalist Communist Tendency
Alle von diesen Gruppen abgegebenen Erklärungen enthalten Elemente, denen wir zustimmen können: zum Beispiel die unnachgiebige Anprangerung der Polizeibrutalität; die Erkenntnis, dass diese Brutalität, wie der Rassismus im Allgemeinen, ein Produkt des Kapitalismus ist und nur durch die Zerstörung dieser Produktionsweise beseitigt werden kann. Die Erklärung von Le Proletaire macht dies sehr deutlich: "Um den Rassismus loszuwerden, dessen Wurzeln in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft zu finden sind, muss die Produktionsweise, auf der er gedeiht, beseitigt werden, und zwar ausgehend nicht von der Kultur und dem "Gewissen", die bloße Widerspiegelung der kapitalistischen wirtschaftlichen und sozialen Struktur sind, sondern vom proletarischen Klassenkampf, in dem das entscheidende Element die gemeinsame Lage als Lohnarbeiter ist, unabhängig von der Hautfarbe, der Rasse oder dem Herkunftsland. Der einzige Weg, jede Form von Rassismus erfolgreich zu bekämpfen, ist der Kampf gegen die herrschende bürgerliche Klasse, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer Rasse oder ihrem Herkunftsland, denn sie profitiert von allen Unterdrückungen, von allen Formen des Rassismus, von allen Formen der Sklaverei."[3]
Die Parolen von Il Partito haben den gleichen Inhalt: "Arbeiter! Eure einzige Verteidigung ist die Organisation und der Kampf als Klasse. Die Antwort auf Rassismus ist kommunistische Revolution!"[4]
Wenn es jedoch um die schwierigste Frage geht, vor der Revolutionäre stehen, machen alle diese Gruppen mehr oder weniger den gleichen Kardinalfehler: Die Unruhen nach dem Mord und die Black Lives Matter-Demonstrationen sind aus ihrer Sicht Teil der Bewegung der Arbeiterklasse. Der Internationalist schreibt: "Heute sind die amerikanischen Proletarier gezwungen, mit Gewalt auf die Misshandlungen durch die Polizei zu reagieren und tun gut daran, sich Schlag für Schlag gegen die Angriffe zu wehren, so wie sie gut daran tun, Schlag für Schlag auf die "rassistischen" Schurken der Verfechter der "Überlegenheit der Weißen" zu reagieren und durch die Praxis der gegenseitigen Verteidigung zu zeigen, dass das Proletariat eine einzige Klasse ist: Wer einen von uns angreift, greift uns alle an."[5]
Il Partito: "Die Schwere der Verbrechen, die von den Vertretern des bürgerlichen Staates in den letzten Wochen begangen wurden, und die Stärke der Reaktion des Proletariats darauf zwingt zweifellos zur Suche nach historischen Vergleichen. Die Proteste und Ausschreitungen nach der Ermordung von Martin Luther King Jr. im Jahr 1968 fallen einem sofort ein, ebenso wie die Proteste und Ausschreitungen nach dem Freispruch der Polizei, die Rodney King 1992 misshandelt hatte.“
Die IKT: "Die Ereignisse in Minneapolis sind eine weitere Ergänzung zu einem historischen und systemischen Problem. Das schwarze Proletariat leidet nicht nur unter einer Arbeitslosigkeit, die doppelt so hoch ist wie die der Weißen (eine konstante Zahl seit den 1950er Jahren), sondern ist auch unverhältnismäßig stark von Polizeigewalt betroffen, wobei ein Ende der Zahl der Todesopfer offenbar nicht in Sicht ist. Dennoch erweist sich die Klasse in diesen schrecklichen Momenten erneut als kämpferisch. Die schwarzen Arbeiter Amerikas gingen, zusammen mit dem Rest des sich solidarisch zeigenden Proletariats, auf die Straße und wehrten die staatliche Repression ab. Daran hat sich nichts geändert. 1965, genau wie 2020, tötet die Polizei, und die Klasse reagiert auf die ungerechte Gesellschaftsordnung, für die sie morden. Der Kampf geht weiter.“[6]
Natürlich fügen alle Gruppen die Einschränkung hinzu, dass die Bewegung "nicht weit genug geht":
Der Internationalist: "Aber diese Aufstände (die die Massenmedien, die Organe und Ausdrucksformen der Bourgeoisie, als 'Proteste gegen Rassismus und Ungleichheit' herunterspielen wollen und damit jede Form verurteilen, die über das Klagen und Winseln der armen Teufel hinausgeht) müssen eine Lehre sein und die Proletarier in aller Welt daran erinnern, dass der Knoten, den es zu lösen gilt, der der Macht ist: Es reicht nicht aus, zu rebellieren und Polizeistationen anzuzünden und es reicht nicht aus, Waren aus den Läden oder Geld von den Banken und Pfandhäusern zu beschlagnahmen.“
Il Partito: "Die gegenwärtige antirassistische Bewegung begeht einen schwerwiegenden Fehler, wenn sie sich von der Klassenbasis des Rassismus trennt und ihre politischen Aktionen ausschließlich nach rassischen Gesichtspunkten fortsetzt, in der Hoffnung, an den bürgerlichen Staat zu appellieren. Sie hat es versäumt, die Rolle der Ordnungskräfte und des Militärs bei der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Staates und der politischen Herrschaft der Bourgeoisie anzuprangern. Für farbige Menschen und für das Proletariat als Ganzes liegt die Lösung in der Eroberung der politischen Macht, sie dem Staat zu entreißen, und nicht darin, an ihn zu appellieren."
Die IKT: "Während es ermutigend ist zu sehen, wie Teile der Klasse zurückschlagen, besteht die Tendenz, dass diese Unruhen nach etwa einer Woche abklingen, wenn die Ordnung wiederhergestellt und die unterdrückerischen Strukturen wiederaufgebaut werden.“
Eine Bewegung dafür zu kritisieren, dass sie nicht weit genug geht, macht nur Sinn, wenn sie von Anfang an in die richtige Richtung geht. Mit anderen Worten, es würde für Bewegungen auf einem Klassenterrain gelten. Unserer Ansicht nach war dies bei den Protesten gegen die Ermordung von George Floyd nicht der Fall.
Es besteht kein Zweifel, dass viele der Teilnehmer an den Protesten, Schwarze, Weiße und "andere", Arbeiter waren und sind. Ebenso zweifellos waren und sind sie zu Recht empört über den grausamen Rassismus der Polizei. Aber beides reicht nicht aus, um diesen Protesten einen proletarischen Charakter zu verleihen.
Dies gilt unabhängig davon, ob die Proteste in Form von Krawallen oder pazifistischen Aufmärschen stattfanden. Krawalle sind keine Methode des proletarischen Kampfes, der notwendigerweise einen organisierten, kollektiven Charakter annimmt. Ein Krawall - und vor allem der Akt der Plünderung - ist eine unorganisierte Reaktion einer Masse von einzelnen Individuen, ein Ausdruck purer Wut und Verzweiflung, der aber nicht nur die eigentlichen Plünderer, sondern alle an Straßenprotesten Beteiligten einer verstärkten Repression durch die weitaus besser organisierten Kräfte einer militarisierten Polizei aussetzt.
Viele der Demonstranten sahen die Sinnlosigkeit der Ausschreitungen, die oft absichtlich durch die brutalen Übergriffe der Polizei provoziert wurden und die weiteren Provokationen durch zwielichtige Elemente in der Menge freien Lauf ließen. Aber die Alternative, die von der BLM befürwortet und sofort von den Medien und dem bestehenden politischen Apparat, vor allem der Demokratischen Partei, aufgegriffen wurde, war die Organisation friedlicher Märsche, die vage Forderungen nach "Gerechtigkeit" und "Gleichheit" oder spezifischere Forderungen wie die "Kürzung der Ausgaben für die Polizei" erhoben. Und all dies sind bürgerliche politische Forderungen.
Natürlich kann eine echte proletarische Bewegung alle möglichen verworrenen Forderungen enthalten, aber sie wird in erster Linie durch die Notwendigkeit motiviert, die materiellen Interessen der Klasse zu verteidigen und konzentriert sich daher - in einer Anfangsphase - meistens auf wirtschaftliche Forderungen, die darauf abzielen, die Auswirkungen der kapitalistischen Ausbeutung zu mildern. Wie Rosa Luxemburg in ihrer Schrift über den Massenstreik zeigte, die nach den epochemachenden proletarischen Kämpfen in Russland 1905 geschrieben wurde, kann es in der Tat ein ständiges Wechselspiel zwischen wirtschaftlichen und politischen Forderungen geben, und der Kampf gegen die polizeiliche Repression kann durchaus zu letzteren gehören. Aber es besteht ein großer Unterschied zwischen einer Bewegung der Arbeiterklasse, die z.B. den Rückzug der Polizei aus einem Betrieb oder die Freilassung inhaftierter Streikender fordert, und einem allgemeinen Ausbruch von Wut, die nichts mit dem Widerstand der Arbeiter als Arbeiter zu tun hat und die von den "oppositionellen" politischen Kräften der herrschenden Klasse sofort vereinnahmt wird.
Das Wichtigste von allem: Die Tatsache, dass diese Proteste in erster Linie um die Rassenfrage herum stattfinden, bedeutet, dass sie nicht als Mittel zur Vereinigung der Arbeiterklasse dienen können. Ungeachtet der Tatsache, dass sich den Märschen von Anfang an viele Weiße angeschlossen haben, viele von ihnen Arbeiter oder Studenten, die meisten von ihnen jung, werden die Proteste von BLM und den anderen Organisatoren als eine Bewegung von Schwarzen dargestellt, die andere unterstützen können, wenn sie es wünschen. Wohingegen ein Kampf der Arbeiterklasse ein organisches Bedürfnis hat, alle Spaltungen zu überwinden, ob rassisch, sexuell oder national, oder er wird besiegt werden. Und wieder können wir auf Beispiele verweisen, wo die Arbeiterklasse mit ihren eigenen Methoden gegen rassistische Angriffe mobilisiert hat: In Russland haben die Sowjets 1905 in dem Bewusstsein, dass Pogrome gegen die Juden vom bestehenden Regime benutzt wurden, um die revolutionäre Bewegung als Ganzes zu untergraben, bewaffnete Wachen aufgestellt, um jüdische Viertel gegen die Pogromisten zu verteidigen. Und selbst in einer Zeit der Niederlage und des imperialistischen Krieges ging diese Erfahrung nicht verloren: 1941 streikten die Hafenarbeiter des besetzten Holland gegen die Deportation der Juden.
Es ist kein Zufall, dass sich große Fraktionen der herrschenden Klasse so eifrig mit den BLM-Protesten identifizieren. Als die Covid-19-Pandemie in Amerika ausbrach, sahen wir eine bedeutende Anzahl von Reaktionen der Arbeiterklasse gegen die kriminelle Verantwortungslosigkeit der Bourgeoisie, ihre Versuche, ganze Teile der Klasse zu zwingen, ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen und -ausrüstung zur Arbeit zu gehen. Dies war Teil einer globalen Reaktion in der Arbeiterklasse[7]. Und es stimmt zwar, dass einer der Gründe für den Zorn, der hinter den Protesten, die durch den Mord an George Floyd ausgelöst wurden, stand, die unverhältnismäßig hohe Zahl schwarzer Opfer des Virus war, aber dies ist vor allem das Ergebnis der Stellung der Schwarzen und anderer Minderheitengruppen in den ärmsten Teilen der Arbeiterklasse - mit anderen Worten, ihrer Klassenposition in der Gesellschaft. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beinhalten die Möglichkeit, die zentrale Bedeutung der Klassenfrage hervorzuheben, und die Bourgeoisie hat sich nur allzu bereit gezeigt, sie in den Hintergrund zu drängen.
Wenn sie mit einer sich entwickelnden Bewegung der Arbeiterklasse konfrontiert werden, können RevolutionärInnen tatsächlich mit der Perspektive intervenieren, sie aufzufordern, "weiter zu gehen" (durch die Entwicklung autonomer Formen der Selbstorganisation, Ausweitung auf andere Bereiche). Was aber, wenn eine große Zahl von Menschen auf interklassistischem oder bürgerlichem Terrain mobilisiert wird? In solchen Fällen besteht immer noch die Notwendigkeit zu intervenieren, aber dann müssen Revolutionäre erkennen, dass ihre Intervention "gegen den Strom" erfolgt, hauptsächlich mit dem Ziel, Minderheiten zu beeinflussen, die die grundlegenden Ziele und Methoden der Bewegung in Frage stellen.
Die Bordigistischen Gruppen haben, vielleicht überraschend, nicht viel über die Rolle der Partei in Bezug auf diese Ereignisse gesprochen, obwohl The Internationalist - abstrakt gesehen - Recht hat, wenn er schreibt, "die Revolution ist eine Notwendigkeit, die Organisation, ein Programm, klare Ideen und die Praxis der kollektiven Arbeit erfordert: einfach ausgedrückt, die Revolution braucht eine Partei, die sie lenkt".
Das Problem bleibt: Wie entsteht eine solche Partei? Wie kommen wir von dem gegenwärtigen verstreuten Milieu kleiner kommunistischer Gruppen zu einer wirklichen Partei, einem internationalen Organ, das in der Lage ist, dem Klassenkampf politische Führung zu geben?
Diese Frage bleibt für The Internationalist unbeantwortet, die dann die Tiefe ihres falschen Verständnisses von der Rolle der Partei offenbart: "Das kämpfende Proletariat, das rebellische Proletariat, muss sich mit und in der kommunistischen Partei organisieren.“
Nur zu erklären, dass ihre Gruppe die Partei ist, bedeutet nicht, dass sie es auch ist, nicht zuletzt, wenn es mindestens drei andere Gruppen gibt, die alle behaupten, die wahre Internationale Kommunistische Partei zu sein. Es macht auch keinen Sinn zu argumentieren, dass sich das gesamte Proletariat "in der kommunistischen Partei" organisieren kann. Dies ist eine Wiederbelebung der alten sozialdemokratischen Vorstellung von der Massenpartei, die die Mehrheit der Klasse in ihren Reihen organisiert und die politische Macht im Namen des Proletariats ausübt. An dieser Stelle sollten wir sagen, dass Il Partito sich zumindest bewusst ist, dass der Weg zur Revolution die Entstehung unabhängiger klassenweiter Organisationen erfordert, da sie Arbeiterversammlungen fordert, obwohl sie ihr Argument abschwächt, indem sie sie "an jedem Arbeitsplatz und in jeder bestehenden Gewerkschaft" fordert - als ob echte Arbeiterversammlungen nicht im Wesentlichen antagonistisch zur Gewerkschaftsform wären. Aber Il Partito macht nicht die vielleicht entscheidendere Feststellung, dass es keinerlei Tendenz gab, dass sich im Rahmen der BLM-Proteste echte Arbeiterversammlungen entwickelten.
Die IKT ist nicht damit einverstanden, sich selbst als Partei zu bezeichnen. Sie sagt, sie sei für die Partei, aber sie ist nicht die Partei[8]. Aber sie hat nie eine wirklich tiefe Kritik an den Fehlern geübt, die dem Bordigistischen Substitutionismus zugrunde liegen - dem 1943-45 begangenen Fehler, die Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei in einem einzigen Land, Italien, und in den Tiefen der Konterrevolution zu erklären. Sowohl die Bordigisten als auch die IKT haben ihren Ursprung in der PCInt von 1943, und beide theoretisieren den Fehler auf ihre eigene Weise: die Bordigisten mit der metaphysischen Unterscheidung zwischen der "historischen" und der "formalen" Partei, die IKT mit ihrer Vorstellung von der "permanenten Notwendigkeit der Partei". Diese Vorstellungen trennen die Tendenz zur Entstehung der Partei von der wirklichen Bewegung der Klasse und dem effektiven Kräftegleichgewicht zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat. Beide beinhalteten die Aufgabe der für die Italienische Kommunistische Linke lebenswichtigen Unterscheidung zwischen Fraktion und Partei, die darauf abzielte, genau zu zeigen, dass die Partei nicht zu jedem Zeitpunkt existieren kann, und so die wirkliche Rolle der revolutionären Organisation zu definieren, wenn die unmittelbare Gründung der Partei noch nicht auf der Tagesordnung steht.
Der letzte Teil des IKT-Flugblatts macht dieses Missverständnis deutlich.
Die Zwischenüberschrift dieses Abschnitts der IKT-Broschüre gibt den Ton an: “Die städtische Rebellion muss in eine Weltrevolution umgewandelt werden.“
„Während es ermutigend ist zu sehen, wie Teile der Klasse zurückschlagen, besteht die Tendenz, dass diese Unruhen nach etwa einer Woche abklingen, wenn die Ordnung wiederhergestellt ist und die unterdrückerischen Strukturen wiederaufgebaut werden. Um die Macht der Kapitalisten und ihrer Söldner wirklich herauszufordern und abzuschaffen, bedarf es einer internationalen, revolutionären Klassenpartei. Eine solche Partei wäre ein Werkzeug in den Händen der Arbeiterklasse, um sich zu organisieren und ihre aufgestaute Wut nicht nur auf die Zerschlagung des rassistischen Staates, sondern auch auf den Aufbau von Arbeitermacht und Kommunismus zu richten.“
Dieser einzige Absatz enthält ein ganzes Kompendium von Fehlern, von der Zwischenüberschrift an: Die gegenwärtige Revolte kann sich auf einer geraden Linie zur Weltrevolution bewegen, aber dazu braucht man die Weltpartei. Diese Partei wird das Organisationsmittel und das Instrument sein, um unedles Metall in Gold, nichtproletarische Bewegungen in proletarische Revolutionen zu verwandeln. Die Passage enthüllt das Ausmaß, in dem die IKT die Partei als eine Art „deus ex machina“ betrachtet, eine Macht, die von wer-weiß-woher kommt, nicht nur, um die Klasse in die Lage zu versetzen, sich zu organisieren und den kapitalistischen Staat zu zerstören, sondern die die noch übernatürlichere Fähigkeit besitzt, Aufstände oder Demonstrationen, die in die Hände der Bourgeoisie gefallen sind, in riesige Schritte in Richtung Revolution zu verwandeln.
Dies ist kein neuer Fehler. In der Vergangenheit haben wir die Illusion der PCInt von 1943-45 kritisiert, dass die Partisanengruppen in Italien - die auf der Seite der Alliierten ganz auf den imperialistischen Krieg ausgerichtet waren - durch die Teilnahme der PCInt in ihren Reihen irgendwie für die proletarische Revolution gewonnen werden könnten[9]. Wir sahen es 1989 erneut, als Battaglia Comunista nicht nur den Staatsstreich der Sicherheitskräfte, die Ceausescu in Rumänien vertrieben, für einen "Volksaufstand" hielt, sondern auch argumentierte, dass sie die Partei nur in Richtung proletarische Revolution führen müsse.[10]
Dasselbe Problem gab es letztes Jahr bei den Gelbwesten. Obwohl die Bewegung als "interklassistisch" bezeichnet wird, wird uns gesagt: "Wir brauchen ein anderes Gremium, ein Instrument, das die Klassengärung vereinheitlicht und sie in die Lage versetzt, einen qualitativen, d.h. politischen Sprung zu vollziehen, ihr eine Strategie und antikapitalistische Taktiken zu geben, um die Energien, die vom Klassenkonflikt ausgehen, auf einen Angriff auf das bürgerliche System zu richten; es gibt keinen anderen Weg nach vorn. Kurz gesagt, der aktive Präsenz der kommunistischen, internationalen und internationalistischen Partei ist notwendig. Andernfalls wird die Wut des Proletariats und der deklassierten Kleinbourgeoisie zermalmt und zerstreut werden; entweder brutal, wenn nötig, oder mit falschen Versprechungen.“[11]
Auch hier wird die Partei als das Allheilmittel, als Stein der Weisen in der Geschichte, beschworen. Was in diesem Szenario fehlt, ist die Entwicklung der Klassenbewegung als Ganzes, die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, ihr Selbstverständnis als Klasse wiederzuerlangen und das bestehende Kräftegleichgewicht durch massive Kämpfe zu stürzen. Die historische Erfahrung hat gezeigt, dass solche historischen Umwälzungen nicht nur notwendig sind, damit die bestehenden kommunistischen Minderheiten einen wirklichen Einfluss innerhalb der Arbeiterklasse entwickeln können: Sie sind auch der einzige Ansatzpunkt, um den Klassencharakter der sozialen Revolten zu verändern und der gesamten vom Kapital unterdrückten Bevölkerung eine Perspektive zu bieten. Ein deutliches Beispiel dafür war der massive Eintritt der Arbeiter Frankreichs in die Kämpfe von Mai-Juni 1968: Indem die Arbeiterklasse als Reaktion auf die polizeiliche Unterdrückung der Studentenproteste eine riesige Streikbewegung ins Leben rief, änderte sie auch den Charakter der Proteste und integrierte sie in ein allgemeines Wiedererwachen des Weltproletariats.
Heute scheint die Möglichkeit solcher Veränderungen weit entfernt zu sein, und in Ermangelung eines weit verbreiteten Klassenidentitätsgefühls hat die Bourgeoise mehr oder weniger freie Hand, um die durch den fortgeschrittenen Verfall ihres Systems hervorgerufene Empörung zurückzugewinnen. Aber wir haben kleine aber bedeutsame Anfänge einer neuen Stimmung in der Arbeiterklasse gesehen, eines neuen Klassenbewusstseins, und die Revolutionäre haben die Pflicht, diese Sprossen nach besten Kräften zu kultivieren. Aber das bedeutet, dem vorherrschenden Druck zu widerstehen, und sich nicht vor den heuchlerischen Forderungen der Bourgeoisie nach Gerechtigkeit, Gleichheit und Demokratie innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Gesellschaft zu verneigen.
Amos, Juli 2020
[1]https://libcom.org/article/class-war-102019-yellow-vests [18]
Die Gruppe scheint eine Art Verschmelzung zwischen Anarchismus und Bordigismus zu sein, eher im Stil der Groupe Communiste Internationaliste, aber ohne ihre verdächtigeren Praktiken (Drohungen gegen Gruppen der kommunistischen Linken, dünn verschleierte Unterstützung für Aktionen nationalistischer und islamistischer Banden usw.)
[2]https://fr.internationalism.org/content/9877/prise-position-camp-revolutionnaire-gilets-jaunes-necessite-rearmer-proletariat [19]
[3]Le Proletaire 537, May-July 2020
[5]https://internationalcommunistparty.org/index.php/en/2768-after-minneapolis-let-the-revolt-of-the-american-proletarians-be-an-example-to-proletarians-in-all-metropolises [21]
[6]https://www.leftcom.org/en/articles/2020-05-30/on-minneapolis-police-brutality-class-struggle [22]
[7]https://en.internationalism.org/content/16855/covid-19-despite-all-obstacles-class-struggle-forges-its-future [23]
Vielleicht am wichtigsten von allem - nicht zuletzt, weil es das Bild einer amerikanischen Arbeiterklasse in Frage stellt, die sich unkritisch hinter der Demagogie von Donald Trump versammelt hat - gab es in den USA weit verbreitete Kämpfe: Streiks bei FIAT in Indiana, bei Warren Trucks, von Busfahrern in Detroit und Birmingham Alabama, in Häfen, Restaurants, in der Lebensmittelverteilung, in der Abwasserentsorgung, im Baugewerbe; Streiks bei Amazon (die auch von Streiks in etlichen anderen Ländern betroffen ist), bei Whole Foods, Instacart, Walmart, FedEx usw.".
[8] Obwohl wie wir öfter gesagt hervorgehoben haben keine größere Klarheit herbeigeführt wird, wenn ihre Gruppe in Italien (die Battaglia Comunista veröffentlicht) immer noch darauf besteht, sich Internationalist Communist Party zu nennen.
[9] https://en.internationalism.org/internationalreview/197701/9333/ambiguities-internationalist-communist-party-over-partisans-italy-19 [24]
Die rassistischen Spannungen in den Vereinigten Staaten hängen mit der Rolle zusammen, die das Sklavensystem bei der Entwicklung der primitiven Akkumulation in diesem Land gespielt hat. Sklaverei gab es in ganz Amerika und in der Karibik (Brasilien, spanische Kolonien, Karibikinseln), aber in keinem anderen entwickelten Land hat dieses System die sozialen Beziehungen und die Hindernisse für die Einheit der Arbeiterklasse so stark beeinflusst wie in den USA. Auf einer anderen Ebene der Entwicklung und Bedeutung weist der Fall Südafrika einige Ähnlichkeiten auf [1].
Schon in seinen Ursprüngen, nach der sogenannten "Entdeckung" Amerikas, war der Kapitalismus von Sklaverei geprägt [2]. Und es war vor allem in Amerika, und zwar dem gesamten Kontinent nicht nur in den USA, wo dieses System Wurzeln schlug. Um die Geschichte des Aufkommens des Kapitalismus, der Bildung der Arbeiterklasse, einschließlich der gegenwärtigen Situation, zu verstehen, ist es notwendig, das Problem der Sklaverei zu untersuchen.
Das Trauma der Sklaverei, des Sklavenhandels, hat natürlich die Geschichte des afrikanischen Kontinents geprägt, aber vor allem die Geschichte des amerikanischen Kontinents in allen Aspekten, insbesondere in der Entwicklung der Arbeiterklasse. Ein großer Teil der amerikanischen Arbeiterklasse hat seine Ursprünge in der Sklaverei. Wir werden hier nicht über die Rolle der herrschenden Klassen (Aristokratie und Bourgeoisie) der alten europäischen monarchischen Regime in dem abscheulichen "Dreieckshandel" zwischen den wichtigsten Häfen der europäischen Mächte, den afrikanischen Küsten und Amerika sprechen.
Marx schreibt: "Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute, bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation“ www.mlwerke.de/me/me23/me23_741.htm#Kap_24_6 [28], Genesis des industriellen Kapitalisten“ " [3]
Die primitive kapitalistische Akkumulation unter den alten Regimes, die noch vom Feudalismus geprägt waren, wurde häufig mit Sklavenarbeit betrieben. Und zum Leidwesen dieses Kontinents sollte Afrika vom 17., 18. und sogar vom größten Teil des 19. Jahrhunderts an weiterhin eine Bühne für die "Sklavenjagd" sein. Diese Art der Ausbeutung sollte nicht die gleiche sein wie die des Kapitalismus, aber in ihren Anfängen diente sie dem Prozess der primitiven Akkumulation: "Die sporadische Anwendung der Kooperation auf großem Maßstab in der antiken Welt, dem Mittelalter und den modernen Kolonien beruht auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen, zumeist auf der Sklaverei. Die kapitalistische Form setzt dagegen von vornherein den freien Lohnarbeiter voraus, der seine Arbeitskraft dem Kapital verkauft. Historisch jedoch entwickelt sie sich im Gegensatz zur Bauernwirtschaft und zum unabhängigen Handwerksbetrieb, ob dieser zünftige Form besitze oder nicht.(24) [29] Ihnen gegenüber erscheint die kapitalistische Kooperation nicht als eine besondre historische Form der Kooperation, sondern die Kooperation selbst als eine dem kapitalistischen Produktionsprozeß eigentümliche und ihn spezifisch unterscheidende historische Form.(...)Ihre Voraussetzung, gleichzeitige Beschäftigung einer größren Anzahl von Lohnarbeitern in demselben Arbeitsprozeß, bildet den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. (www.mlwerke.de/me/me23/me23_341.htm [30], 11. Kapitel, Kooperation)
Seitdem der Kapitalismus in einem nicht-kapitalistischen Umfeld begann und sich entwickelte, (das anfangs überwältigend dominant war), entwickelte er sich auch inmitten und dank anderer Formen der Ausbeutung und "Kooperation".
Der Feudalismus brachte die alten primitiven kommunistischen Gemeinschaften unter seine Kontrolle, die er "machen ließ", solange sie regelmäßig Steuern in Form von Sachleistungen (landwirtschaftliche, tierische oder handwerkliche Erzeugnisse) und in Form von Menschen (Diener und Soldaten) zahlten. Auf der anderen Seite neigt der Kapitalismus dazu, alle sozialen Beziehungen in Handels- und Lohnbeziehungen umzuwandeln, und doch ist er auf dem Weg dorthin in der Lage, alte Formen der Ausbeutung wie die Sklaverei zu nutzen und sie durch raffinierte und systematische Barbarei viel profitabler zu machen.
Im 19. Jahrhundert existierte die Sklaverei in großem Maßstab weiter, wie in den baumwollproduzierenden Staaten im Süden der USA: Bis weit über die Mitte des Jahrhunderts hinaus gab es bis zu 5 Millionen Sklaven. Die auf Sklavenarbeit basierenden Südstaaten verkauften ihre Produktion an die Nordstaaten und vor allem an das erste große kapitalistische Land der damaligen Zeit, Großbritannien. Nach der amerikanischen Unabhängigkeit blieb das Sklavensystem jahrzehntelang bestehen[4] und diente dem Akkumulationsprozess in diesem riesigen Land. Aber die Konfrontation zwischen dem Kapitalismus der Nordstaaten und den Sklavenstaaten des Südens wurde unvermeidlich, insbesondere wegen der expansionistischen Dynamik nach Westen, die zum Bürgerkrieg führte.
Und nach der Kolonisierung Ägyptens hörte Großbritannien auf, die Baumwolle aus dem Süden der USA zu kaufen. Dies verstärkte, mit dem üblichen Zynismus der herrschenden Klassen, die von einem guten Teil der britischen Bourgeoisie geführte Anti-Sklaverei-Kampagne [5].
Und doch gab es über Jahrzehnte hinweg einen exponentiellen Anstieg der Zahl der Sklaven: "Als 1790 der erste Sklavenzensus in den Vereinigten Staaten aufgenommen ward, betrug ihre Zahl 697.000, dagegen 1861 ungefähr vier Millionen.“ (Marx, Kapital, Band 1, 13. Kapitel, www.mlwerke.de/me/me23/me23_441.htm [31]
6. Die Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie verdrängten Arbeiter) wie Marx erinnert, und das geschah in den USA, dem ersten Land der Welt, das vom alten Regime "befreit" wurde und zusammen mit Frankreich ein "demokratisches" Leuchtfeuer für die aufstrebenden Bourgeoisien anderer Länder war.
"Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der amerikanischen Union einen gemäßigt patriarchalischen Charakter, solange die Produktion hauptsächlich auf den unmittelbaren Selbstbedarf gerichtet war. In dem Grade aber, wie der Baumwollexport zum Lebensinteresse jener Staaten, ward die Überarbeitung des Negers, hier und da die Konsumtion seines Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und berechnenden Systems. Es galt nicht mehr, eine gewisse Masse nützlicher Produkte aus ihm herauszuschlagen. Es galt nun der Produktion des Mehrwerts selbst.“
(www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_2 [32], 2. Der Heißhunger nach Mehrarbeit. Fabrikant und Bojar). Trotz dieser riesigen Profite war es immer noch kein vollwertiges kapitalistisches System.
Die Folgen des "Schandflecks", d.h. der Vergewaltigung der menschlichen Moral, die die Sklaverei in dem Land darstellte, das am Ende das mächtigste auf Erden sein würde, verschwanden nach dem Bürgerkrieg nicht wie von Zauberhand. Die Sklaverei war verschwunden, aber nicht ihre Folgen im schwierigen Kampf der Arbeiterklasse. So sehr es auch im Interesse der Bourgeoisie lag, die Sklaverei zu beenden, wissen wir sehr gut, dass die Übel vergangener Klassengesellschaften im Kapitalismus konzentriert sind, als wäre er eine Bündelung von ihnen allen. Der blutige Bürgerkrieg[6] beschleunigte die Ausbreitung der Lohnarbeit in den USA, wobei schwarze Arbeiter allmählich in die "freie" Arbeit eingegliedert wurden, aber diese "Freiheit, ausgebeutet zu werden", war fast von Anfang an von einem System der Rassentrennung umhüllt, das diesem Teil unserer Klasse entsetzliches Leid zufügte und eine gefährliche Spaltung innerhalb des Proletariats schuf.
Gesetze zur Rassentrennung blieben in praktisch jedem Staat in Kraft, unterstützt durch wiederholte Urteile des Obersten Gerichtshofs. Den Gipfel des Zynismus erreichte der Oberste Gerichtshof, der nur drei Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs (1868) entschied: "Neger müssen getrennt leben. Der weiße Mann nannte sie nur beim Vornamen und konnte sie aus jedem beliebigen Grund missbrauchen. Schwarze konnten wählen, aber nur, wenn sie eine Sondersteuer zahlten und die Namen aller Präsidenten und Richter des Obersten Gerichtshofs auswendig kannten". [7]
Das Rechtssystem der Rassentrennung schützte und förderte ein paralleles, angeblich "populäres" System (vor allem dank des Fanatismus der weißen Kleinbourgeoisie) von Aggression, kollektiven Morden und systematischen Lynchmorden. Die Kleinbourgeoisie, insbesondere in den Südstaaten, aber nicht nur dort, entfesselte ihre Zerstörungswut mit metronomischer Regelmäßigkeit, um die Proletarier sklavenähnlicher Herkunft zu terrorisieren. Der Rassismus der amerikanischen Kleinbourgeoisie spiegelt eines der ideologischen Merkmale des amerikanischen Kapitalismus wider: eine Kultur, die von einem gewalttätigen, biblisch inspirierten Puritanismus durchdrungen ist, zu dessen Grundlagen der wütende, viszerale Schrecken jeder Mischung von "Rassen" gehört. Es stimmt, dass Rassismus und die Ablehnung anderer eine weit verbreitete Mentalität in allen Klassengesellschaften sind, aber im Falle der USA ist sie ein Gründungselement des Landes.
In Opelousas (Louisiana, 1868), New Orleans und Memphis (1866) reagierte der weiße Pöbel mit Lynchmorden auf die Versuche der Schwarzen, die "neuen Rechte" auszuüben. "In Thibodaux (Louisiana, 1887) starben mehr als 300 Zuckerrohrschneider während eines Streiks für das Recht, nicht mehr in den ehemaligen Sklavenquartieren zu leben.“ (https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violenc [33]…)
Das 20. Jahrhundert war noch schlimmer: "In Wilmington (1928 in North Carolina) starben bis zu 250 Menschen, darunter Frauen und Kinder, als ein weißer Mob wegen eines Anti-Segregations-Artikels eine ihrer Zeitungen angriff. Mehrere hundert weitere starben 1917 in East St. Louis (Missouri), als sich das Gerücht verbreitete, dass ein schwarzer Arbeiter bei einer Gewerkschaftsversammlung mit einer weißen Frau gesprochen hatte. In Elaine (1919 in Arkansas) war der Auslöser für den Tod von mehr als 200 Schwarzen, darunter auch Frauen und Kinder, eine Forderung der Pflücker auf den Feldern der weißen Landbesitzer. Und in Tulsa (1921 in Oklahoma) begann alles damit, dass eine Gruppe von Weißen versuchte, einen jungen Schwarzen zu lynchen, den sie des Diebstahls bezichtigten. Bis zu 300 Menschen starben und 8.000 verloren ihr Zuhause, als die wütende weiße Bevölkerung die Black Wall Street und das umliegende schwarze Viertel in Brand setzte". (www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violencia-racial-eeuu-historia-racismo.html [34])
Das System der Rassentrennung wurde durch eine halb-illegale Miliz, den Ku-Klux-Klan, verstärkt, die schwarzen Arbeiter verfolgte und ihnen in rituellen Handlungen grausame Folterungen zufügte. Sie wurde 1871 offiziell aufgelöst, tauchte 1915 wieder auf und wird bis heute durch lokale Gruppen erhalten, die eine fremdenfeindliche, „weiße“ und rassistische Ideologie verteidigen. Die großen demokratischen Parteien Amerikas haben diese eklatant barbarischen Ausdrucksformen des Kapitalismus gelegentlich offen ermutigt; zu anderen Zeiten haben sie ihre "Empörung" über sie zum Ausdruck gebracht, um die Falle des "Antirassismus" zu begünstigen, aber sie haben sie immer als ergänzendes Mittel toleriert, um die Arbeiterklasse gespalten zu halten.
Als die Sklaverei in den USA auf ihrem Höhepunkt war, beschrieb Marx (1860) das Leben der Proletarier in England [8], ein grauenhaftes "Leben", wie es schon Engels 1845 in seinem berühmten Buch beschrieben hatte[9]. Zweifellos war das Leben der Proletarier in jener Zeit so elend und anstrengend wie das vieler Sklaven. Aber für die Zukunft der revolutionären Klasse ist die Ausbeutung der Sklaverei nicht dasselbe wie "die Existenz des freien Lohnarbeiters, der seine Arbeitskraft an das Kapital verkauft". Das Proletariat erfährt eine neue Form der Ausbeutung, die, wenn es in der Lage ist, einen bewussten Kampf zu entwickeln, die Möglichkeit beinhaltet, die Widersprüche des Kapitalismus durch die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft zu überwinden. Die Ausbeutung des Proletariats bringt ein universelles Leiden mit sich, das alle Formen der Unterdrückung und Ausbeutung umfasst, die es in Klassengesellschaften gegeben hat und das folglich nur durch eine universelle Revolution gelöst werden kann, die an die Wurzeln aller Ausbeutung und Unterdrückung geht, die es im Kapitalismus und folglich in allen Klassengesellschaften gibt.[10] Deshalb musste einer der Aspekte des Kampfes der Arbeiterklasse der Kampf gegen die Sklaverei sein, besonders in einem Land wie den USA. Angesichts der Situation des amerikanischen Bürgerkriegs zögerte die IWA (Internationale Arbeitervereinigung, Erste Internationale) nicht, eine von Marx verfasste Unterstützungsbotschaft an die von Lincoln angeführten Nordstaaten zu senden. Es ging nicht darum, eine Fraktion der Bourgeoisie gegen eine andere reaktionäre Klasse (die Großgrundbesitzer des Südens) zu unterstützen [11]. Marx glaubte zu Recht, dass das Ende der Sklaverei der Vereinigung der Arbeiterklasse einen Schub geben würde. Und so stellt er in Das Kapital (geschrieben zur gleichen Zeit wie das Ende des Bürgerkriegs in den USA und das "offizielle" Ende der Sklaverei, 1865) eine Verbindung zum Kampf für den 8-Stunden-Tag her: "In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbständige Arbeiterbewegung gelähmt, solange die Sklaverei einen Teil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aber aus dem Tod der Sklaverei entsproß sofort ein neu verjüngtes Leben. Die erste Frucht des Bürgerkriegs war die Achtstundenagitation, mit den Siebenmeilenstiefeln der Lokomotive vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean ausschreitend, von Neuengland bis nach Kalifornien.“ (www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_7 [35] Marx, Kapital Band 1, III. Abschnitt, Die Produktion des absoluten Mehrwehrts, 8. Kapitel, Der Arbeitstag, 7. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Rückwirkung der englischen Fabrikgesetzgebung auf andere Länder)
Sowohl die Marxisten als auch die Anarchisten haben die Einheit der Arbeiterklasse, egal welcher Hautfarbe, klar herausgestellt. Diese Tradition nahm zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der IWW Gestalt an, der bekannten revolutionären Industriegewerkschaft in den USA, die auf der Grundlage einer internationalistischen Politik, gegen den Krieg und natürlich für die Vereinigung der Arbeiterklasse, gleich welcher Hautfarbe, gegründet wurde. [12] Wir kennen bereits die Grenzen des revolutionären Gewerkschaftswesens und das Scheitern der IWW. Aber im Gedächtnis der Arbeiter wird bleiben: "Die Erfahrung der IWW, der beispielhafte Mut ihrer Kämpfer angesichts einer herrschenden Klasse, für die keine Gewalt oder Heuchelei zu abscheulich war, erinnert uns also daran, dass die Arbeiter Amerikas in der Tat die Klassenbrüder der Arbeiter auf der ganzen Welt sind, dass ihre Interessen und Kämpfe dieselben sind und dass Internationalismus für die Arbeiterklasse kein eitles Wort ist, sondern der Prüfstein ihrer Existenz. Die Spaltung zwischen einheimischen, englischsprachigen Arbeitern (auch wenn letztere selbst erst Einwanderer der zweiten Generation waren) und neu angekommenen eingewanderten Arbeitern, die wenig oder gar kein Englisch sprachen und lasen, war in der Arbeiterbewegung in den USA lange Zeit ein Grund zur Besorgnis gewesen. In einem Brief an Sorge warnte Engels 1893 vor dem zynischen Gebrauch von Spaltungen innerhalb des Proletariats durch die Bourgeoisie, der die Entwicklung der Arbeiterbewegung in den USA hemmt. Die Bourgeoisie benutzte geschickt Rasse, ethnische, nationale und sprachliche Vorurteile, um die Arbeiter untereinander zu spalten und die Entwicklung einer Arbeiterklasse zu stören, die sich selbst als eine vereinigte Klasse verstand. Diese Spaltungen stellten ein ernsthaftes Handicap für die Arbeiterklasse in den USA dar, weil sie die amerikanischen Ureinwohner von der großen Erfahrung der Arbeiter in Europa abschnitten und es den klassenbewussten amerikanischen Arbeitern erschwerten, mit den internationalen theoretischen Entwicklungen innerhalb der Arbeiterbewegung auf dem Laufenden zu bleiben". ("Die IWW: Das Scheitern des revolutionären Syndikalismus in den USA, 1905-1921"; International Review Nr. 124 - 1. Quartal 2006, englische Ausgabe[13])
In einem Brief vom 2. Dezember 1893 antwortete Engels auf eine Frage von Friedrich Adolf Sorge über das Fehlen einer bedeutenden sozialistischen Partei in den USA und erklärte:
„... aber andrerseits ist doch auch nicht zu leugnen, daß die amerikanischen Verhältnisse sehr große und eigentümliche Schwierigkeiten für eine stetige Entwicklung einer Arbeiterpartei einschließen.“ (…) Unter diesen Schwierigkeiten war eine der größten „die Einwanderung, die die Arbeiter in 2 Gruppen scheidet, die eingeborenen und fremden; und diese letzteren wieder in 1. Irländer, 2. Deutsche, 3. die vielen kleinen Gruppen, die sich jede nur untereinander verstehn, Tschechen, Polen, Italiener, Skandinavier etc. Dazu noch die Neger. Um daraus eine einige Partei zu bilden, dazu gehören ganz besonders mächtige Antriebe. Manchmal plötzlich ein gewaltsamer elan, aber die Bourgeois brauchen nur passiv auszuhalten, und die ungleich-artigen Elemente der Arbeiterschaft fallen wieder auseinander“.
https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band39.pdf [36], S. 173)
(https://www.koorosh-modaresi.com/MarxEngels/V50.pdf [37])
Schwarze Arbeiter, die bereits während der Sklaverei begonnen hatten, in den Norden zu fliehen (als sie selbst in diesen Staaten verfolgt und in den Süden zurückgeschickt werden konnten), begannen vor allem ab Anfang des 20. Jahrhunderts in die Industriezonen abzuwandern. Und diese "Spaltung", von der Engels spricht, spiegelte sich in der Entstehung von Ghettos wider, eine Tendenz, die mit der Konterrevolution noch verstärkt wurde. Die abscheuliche Schmach der "modernen" Sklaverei hatte die Besonderheit ihres "einzigartigen" "rassischen" Ursprungs (Afrika südlich der Sahara, im Gegensatz zur alten, mittelalterlichen oder östlichen Sklaverei, wo die Sklaven sehr unterschiedlicher Herkunft sein konnten), so dass neu proletarisierte ehemalige Sklaven sofort als Menschen angesehen wurden, die gerade erst aus ihrem Status als Warenobjekt herausgekommen waren. Die US-Bourgeoisie hingegen verbot bis vor kurzem die "farbige" Einwanderung und begünstigte in den Jahren der Masseneinwanderung in die USA vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre die europäische Bevölkerung. Es stimmt, dass die Existenz "ethnischer" Viertel im städtischen Lebensraum in den USA "Tradition" hat, aber mit den schwarzen Ghettos war die Spaltung viel deutlicher.
Die Rassentrennung wurde 1964, ein Jahrhundert nach der Abschaffung der Sklaverei, offiziell aufgehoben. Die Idee war, einem wachsenden Teil des schwarzen Bürgertums, der durch diese Gesetze in seinen Geschäften behindert wurde, Raum zu schaffen. Die "große Errungenschaft" der Bürgerrechtsgesetze war die Beförderung der Schwarzen in die oberen Ränge von Politik und Wirtschaft. In der Bush-Administration ragten Colin Powell, der Schlächter des Irak, und Condoleezza Rice, die Außenministerin, heraus, wobei der Höhepunkt die Wahl Obamas 2008 als erster schwarzer Präsident war.
Für schwarze Arbeiter änderte sich jedoch nichts. Sie waren weiterhin Opfer polizeilicher und juristischer Diskriminierung, die dazu führt, dass ein Schwarzer sieben Mal häufiger ins Gefängnis kommt als ein Weißer.
Besonders grausam ist die Behandlung von Schwarzen durch die Polizei, obwohl es viel mehr schwarze Polizisten gibt. Das Verbrechen von Los Angeles 1992, das gewalttätige Proteste auslöste, war schrecklich. Während der Amtszeit Obamas gab es mehr Polizistenmorde als je zuvor [14].
Der Mord an Georges Floyd am 26. Mai durch die Tat von vier Polizeibeamten aus Minneapolis war eine weitere tragische Demonstration dieser Fortsetzung der offiziellen Gewalt der herrschenden Klasse. Die herrschende(n) Klasse(n) verfügen weltweit durch ihre Staaten über ein Gewaltmonopol. Sie üben es im Allgemeinen aus, um ihre Herrschaft durchzusetzen, insbesondere gegen die Arbeiterklasse. Neben den "offiziellen" Ordnungskräften gibt es Milizen, mehr oder weniger illegale bewaffnete Gruppen. Im Laufe der Jahre sind die USA zu einem Paradigma der extremsten Gewalt geworden. Und in vielen anderen Ländern hat sich diese extreme offizielle, inoffizielle oder illegale Gewalt (nennen wir das "Beispiel" Mexiko) so lange etabliert, wie dieses kriminelle System andauert. All diese Geißeln sind alt, ja, aber der Trend dieses Modells ist allgemein geworden, es hat sich in allen Ecken des Planeten verschärft. Wir leben heute mit dem Zerfall des kapitalistischen Systems und all der offiziellen, inoffiziellen oder illegalen kriminellen Gewalt, die auf dem Vormarsch ist. Unabhängig davon, ob wir von Demokratien oder Diktaturen, von einzelnen oder pluralistischen Parteien regiert werden, ist unser Alltag von der wachsenden Gewalt eines kriminellen Systems, des Kapitalismus, geprägt.
Angesichts solcher Gewalttaten, diesmal publik geworden durch die Bilder von Floyds Agonie, die in der ganzen Welt verbreitet wurden, gingen Menschen aller Rassen und Verhältnisse empört auf die Straße, um am Ende... eine demokratischere Polizei zu fordern, die vom Henker mehr Menschlichkeit verlangt. Auf der einen Seite wirft Trump mehr Holz ins Feuer und ermutigt die Rassisten, die bereit sind, jeden zu erschießen, der nicht „weiß“ ist; auf der anderen Seite gehen die demokratischen (und viele republikanische, wie der ehemalige Präsident Bush) Fraktionen des amerikanischen politischen Spektrums in die Knie, rufen empörte Künstler und Stars auf und unterstützen "patriotische" Demonstrationen (wie die New York Times die "Black Lives Matter"-Märsche beschrieb).
Mit der Konterrevolution nahm ab den 1950er Jahren die Zahl der Morde und Lynchmorde zu. In der Depression von 1929 schrieb die weiße Kleinbourgeoisie - gut manipuliert durch die Medien, die ihre Suche nach Sündenböcken ausnutzten - die Krise "den Negern" zu: "In Harlem, New York, gab es eine unbestimmte Zahl von Toten und mehr als hundert Verletzten, zusätzlich zu zahlreichen Plünderungen als Folge des angeblichen Raubes eines jungen Negers in einem Laden eines Weißen. Es handelte sich um den ersten Aufstand der heutigen Zeit, da die Geschäfte vollständig zerstört wurden. Von da an litt Harlem bis in die 1960er Jahre unter Episoden fast ununterbrochener rassistischer Gewalt". (https://www.zinez.net/internacional/20200603/481582308546/violencia-raci [38]...)
In Wirklichkeit hat der Schandfleck der Sklaverei, der die kapitalistische Entwicklung in den USA und anderswo besudelt hatte, am Ende einen Graben in den Arbeiterkämpfen in den USA geschaffen, der nur schwer zu durchbrechen war.
Dieser Graben ist durch den kapitalistischen Zerfall noch tiefer geworden [15]. Der Zerfall bedeutet eine Zerstörung der sozialen Beziehungen, eine Zersplitterung der Gesellschaft in ethnische, religiöse, lokalistische oder "Affinitäts"-Gruppen, die sich in ihren eigenen kleinen Ghettos einschließen, um sich selbst ein falsches Gefühl von Gemeinschaft, von Schutz vor einer immer unmenschlicher werdenden Welt zu geben. Diese Tendenz begünstigt die Spaltung in den Reihen der Arbeiter, die durch die schädlichen Aktionen von Parteien, Gewerkschaften, Institutionen, Propaganda usw. bis zum Erbrechen zugespitzt wird. - in "Gemeinschaften" von Rasse, Religion, nationaler Herkunft usw. Um gegenüber den rassischen und sprachlichen Spaltungen im US-Proletariat noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, hat die Bourgeoisie die seit den 1970er Jahren wieder massenhaft angestiegene Einwanderung von Arbeitern aus Lateinamerika dazu benutzt, weitere Ghettos zu schaffen, eingewanderte Arbeiter der Illegalität zu unterwerfen und die Lebensbedingungen aller Arbeiter nach unten zu drücken [16].
Einige Arbeiterkämpfe in den letzten 50 Jahren haben jedoch diesen Graben übersprungen: Detroit 1965, der Wildcat-Streik bei Chrysler 1968, der Wildcat-Streik bei der Post 1970, die New Yorker U-Bahn 2005, der Streik in Oakland während der occupy-Bewegung 2011... Trotz ihrer Grenzen sind diese Kämpfe eine Erfahrung, aus der wir Lehren für den Kampf um die Einheit der Klasse ziehen können.
Im 19. Jahrhundert war der Kampf gegen die Sklaverei ein Kampf für die Arbeiterklasse. Heute dienen die Brutalität der Polizei, der weißen Rassisten und des Staates (und seiner Gefängnisse) im Allgemeinen auf der einen Seite und die antirassistischen Bewegungen auf der anderen Seite dazu, die Arbeiterklasse zu spalten und ihre am stärksten unterdrückten Schichten in eine völlig getrennte Bevölkerung zu verwandeln. Rassismus und Antirassismus gehören zur Bourgeoisie. Sie sind Ideologien gegen die Arbeiterklasse.
Deshalb lautet die Losung des Proletariats: Wir sind weder weiß, noch schwarz, noch irgendeine andere Farbe. Wir sind eine geeinte Arbeiterklasse! Wie ein Transparent bei den Protesten gegen Kaliforniens Anti-Einwanderungsgesetz 187 sagte: WIR SIND KEINE KOLUMBIANER, WIR SIND KEINE MEXIKANER, WIR SIND ARBEITER.
Pinto 11-07-2020
[1]] Siehe die Serie über die südafrikanische Arbeiterbewegung in unserer Internationalen Revue https://en.internationalism.org/content/9459/history-class-struggle-sout... [39] https://en.internationalism.org/international-review/201508/13355/south-... [40] https://en.internationalism.org/international-review/201702/14250/soweto... [41] https://en.internationalism.org/content/16598/election-president-nelson-... [42]
[2] Siehe: "1492: Die Entdeckung Amerikas" https://en.internationalism.org/internationalreview/200912/3406/1492-dis... [43]
[3] Die Nummerierung von Büchern oder Bänden, Kapiteln und Unterkapiteln des Kapitals scheint nicht unbedingt von einer Ausgabe zur anderen gleich zu sein.
[4] Die Mehrheitsthese amerikanischer Historiker der 1970er Jahre war, dass der Süden aufgrund eines ineffizienten und unprofitablen vorkapitalistischen Systems verloren hat. Seit einigen Jahren lautet die Mehrheitsthese, dass das Sklavensystem vollständig kapitalistisch war. Es ist schwierig zu wissen, was diese Akademiker aufzeigen wollen; vielleicht wollen sie wissen, welches System brutaler, ausbeuterischer und unmenschlicher gewesen ist. Und deshalb benutzen sie den Marxismus. Für den Marxismus jedoch ist der Kapitalismus in erster Linie ein soziales Verhältnis, die letzte zu stürzende Klassengesellschaft, um der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende zu setzen. So sprach ein bekannter französischer Historiker, Nicolas Barreyre, kürzlich über das System der Baumwollbauern des Südens der Vereinigten Staaten: "In den 1970er Jahren war die vorherrschende Vorstellung unter Historikern wie unter Ökonomen, dass der sklavenbesitzende Süden in einer ineffizienten und unprofitablen vorkapitalistischen Wirtschaft lebte, die gegen den Norden, der seit Anfang des 19. Jahrhunderts in die industrielle und kapitalistische Revolution eingetreten war, nicht überleben konnte. Nach der Krise von 2008 haben sich Historiker wieder für die Ursprünge des amerikanischen Wirtschaftssystems interessiert und das geschmiedet, was als "neue Geschichte des Kapitalismus" bezeichnet wurde. Die Idee ist, dass die Sklavenwirtschaft des Südens vollständig kapitalistisch war, was zum Aufstieg des Kapitalismus im Norden beigetragen hat" (Interview in Le Monde vom 28.06.2020). Wir haben nicht die Absicht, Ergänzungen zu solch ‚herausragenden‘ Historikern zu machen.
Die Logik der Historiker der 1970er Jahre, dass die Wirtschaft der Südstaaten "ineffizient und unprofitabel" war, weil sie "vorkapitalistisch" war, scheint aus einer eher vulgären Version des "Marxismus" zu resultieren. Auf seinem Höhepunkt nutzte der Kapitalismus andere nichtkapitalistische Wirtschaften für seine Expansion, sowohl der Märkte als auch der Rohstoff- und Kapitalquellen. Und bis zu ihrer vollständigen Assimilierung oder Zerstörung waren viele dieser Wirtschaften in der Lage, sich zu bereichern und der primitiven Kapitalakkumulation zu dienen, insbesondere wenn sie derselben Nation angehörten. Im 19. Jahrhundert gab es auf der ganzen Welt Wirtschaften, die noch nicht vom Kapitalismus beherrscht wurden, mit denen er Geschäfte machte und sie gegebenenfalls bedrohte. Siehe auch https://en.internationalism.org/content/16709/american-civil-war-and-str... [44]
[5] Die Heuchelei der englischen Bourgeoisie kennt keine Grenzen. Auf der einen Seite tolerierte sie die Sklaverei in den Ländern, die ihr als Verbündete dienen konnten, und in den Kolonien, in denen sie ihren Interessen diente, und machte sich gleichzeitig zum "Kämpfer gegen die Sklaverei" gegen Rivalen wie Spanien, Portugal oder Brasilien, die nicht genug wirtschaftliche Macht hatten, um auf die Sklaverei zu verzichten, die sie erst sehr spät (1886 in Spanien und 1888 in Brasilien) abschafften.
[6] Es war eine der tödlichsten in der Geschichte "630.000 Menschen starben. Noch heute ist diese Zahl die Hälfte aller Todesopfer, die die USA in allen Kriegen, die sie seitdem geführt haben, einschließlich Afghanistan, erlitten haben" https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violenc... [45]
[7] Quelle bereits in Fußnote 6 zitiert, sofern nicht anders angegeben, verweisen wir in nachfolgenden Zitaten auf diese Quelle.
[8] Wir empfehlen: Das Kapital, Band I, Kapitel 10: Der Arbeitstag; Abschnitt 3: 3. Englische Industriezweige ohne legale Schranke der Exploitation „, [ein schockierendes Kapitel, mit dem Beispiel von Kindern und den 15 Arbeitsstunden für ein siebenjähriges Kind!] www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_3 [46]
[9] Die Lage der arbeitenden Klasse in England
[10] Siehe: www.mlwerke.de/me/me04/me04_361.htm [48]
Die Grundsätze des Kommunismus, insbesondere die Punkte VI und VII https://www.marxists.org/archive/marx/works/1847/11/prin-com.htm [49]
[11] "Als eine Oligarchie von 300.000 Sklavenhaltern es wagte, zum ersten Mal in die Annalen der Welt die 'Sklaverei' in das Banner des bewaffneten Aufstands einzutragen, als an genau den Stellen, wo vor kaum einem Jahrhundert die Idee einer großen Demokratischen Republik entstanden war, die erste Erklärung der Menschenrechte herausgegeben und der erste Impuls für die europäische Revolution des 18; Jahrhunderts gegeben wurde; als die Konterrevolution genau an diesen Stellen mit systematischer Gründlichkeit die "Ideen, die zur Zeit der Bildung der alten Verfassung herrschten", aufhob und die Sklaverei als "wohltätige Institution", ja, die alte Lösung des großen Problems des "Verhältnisses von Kapital und Arbeit" aufrechterhielt und zynisch das Eigentum am Menschen als "Eckpfeiler des neuen Gebäudes" proklamierte - da verstanden die arbeitenden Klassen Europas sofort, noch bevor die fanatische Parteinahme der Oberschicht für den konföderierten Adel ihre düstere Warnung ausgesprochen hatte, dass die Rebellion der Sklavenhalter den Startschuss für einen allgemeinen heiligen Kreuzzug des Eigentums gegen die Arbeit geben würde, und dass für die Männer der Arbeiterschaft mit ihren Hoffnungen für die Zukunft sogar ihre vergangenen Eroberungen in diesem gewaltigen Konflikt auf der anderen Seite des Atlantiks auf dem Spiel standen". Ansprache der Internationalen Arbeitervereinigung an Abraham Lincoln, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika https://www.marxists.org/archive/marx/iwma/documents/1864/lincoln-letter... [50])
Im Jahre 1864, vor mehr als 150 Jahren, als die Arbeiterklasse sich noch als Klasse für die Umwälzung der Gesellschaft entwickelte, unterstützten ihre Organisationen Fraktionen der Bourgeoisie, die gegen die - immer noch wichtigen und starken - Überreste alter Ausbeutungssysteme kämpften, und mussten diese unterstützen. Heute lehnen die Kommunisten die Unterstützung für "demokratische Republiken", "Menschenrechte" und andere bürgerliche Parolen nicht deshalb ab, weil es sich dabei um Parolen "aus einer anderen Epoche" handelt, sondern weil sie vor allem Schwindel und Waffen gegen das Proletariat sind. Und das seitdem der Kapitalismus zu einem dekadenten System geworden ist.
[12] Siehe unsere Serie über die IWW: https://en.internationalism.org/internationalreview/200601/1609/iww-fail... [51] https://en.internationalism.org/ir/125-iww [52]
[13] Auf deutsch ist bisher nur dieser Artikel über die IWW: /content/1233/ursprung-und-mythos-der-iww [53]
[14]Siehe den Bericht Rassenkonflikte in der Ära Obama, https://www.vozpopuli.com/internacional/Barack_Obama-Racismo-Estados_Uni... [54]
[15] Siehe unsere "Thesen zum Zerfall", https://en.internationalism.org/ir/107_decomposition [55]
[16] Siehe: "'Latino'-Demonstrationen in den USA: Ja zur Einheit der Arbeiterklasse! Nein zur Einheit mit den Ausbeutern!" https://en.internationalism.org/icconline/200605/1778/latino-demonstrati [56]...
Alle Medien räumen ein, dass die globale SARS-CoV2-Pandemie, die nach offiziellen Angaben zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels mehr als 10 Millionen Menschen infiziert und 500.000 von ihnen den Tod gebracht hat, die wissenschaftliche "Gemeinschaft" in einen "Wettlauf gegen die Zeit" für die Entwicklung eines Impfstoffs drängt. Aber sie müssen auch zugeben, dass dieser "Wettlauf um einen Impfstoff" noch weit davon entfernt ist, in den "Endspurt" eingetreten zu sein.
Seit dem 19. Jahrhundert und der Schaffung des ersten Impfstoffes gegen die Tollwut durch Louis Pasteur im Jahre 1881 wurden zwar durch die Entwicklung der Biotechnologie und die Gentechnik enorme Fortschritte bei den Methoden der Viruszellkultur erzielt, die die Entstehung mehrerer viraler Impfstoffe ermöglichten, aber man sagt uns, dass der Impfstoff gegen Covid-19 erst Ende 2021 zur Verfügung stehen wird! Tatsächlich sind sich aber alle Fachleute einig, dass es durchschnittlich 10 bis 15 Jahre dauert, um einen neuen "zuverlässigen" Impfstoff zu entwickeln, weil er neben der Zeit, die für seine Entwicklung und Herstellung benötigt wird, einen nicht-komprimierbaren Zeitaufwand bestehend aus drei unverzichtbaren Phasen groß angelegter Experimente erfordert: die Erprobung des Impfstoffs an Tieren, die Erprobung an einer nicht infizierten Population und schließlich die Erprobung an Patienten. "Es wird viel Versuch und Irrtum bedeuten, wir haben eine Menge Optionen zu erforschen", sagt Benjamin Neuman, Virologe an der Texas A&M University-Texarkana. "Weil bisher kein Impfstoff für den Menschen entwickelt wurde, der gegen irgendein Mitglied der Coronavirus-Familie hochwirksam ist.“
Erstaunliche Aussage, denn das Coronavirus ist den Wissenschaftlern nicht unbekannt! SARS-CoV1 (das Ende 2002 im Südosten Chinas auftrat) und MERS-CoV (das im September 2012 in Saudi-Arabien auftrat), die beiden großen Brüder von SARS-CoV2, haben bereits Anlass zu wissenschaftlicher Forschung im Hinblick auf die Entwicklung von Impfstoffen gegeben. Im ersten Fall wurde die Forschung gestoppt und das Impfstoffprojekt begraben, bevor es überhaupt am Menschen getestet worden war. Im zweiten Fall ist die Forschung noch im Gange und wird derzeit an Tieren getestet. Trotz der Tatsache, dass Wissenschaftler seit Jahren "die Gefahr einer Pandemie wie die mit Covid-19" in Betracht gezogen haben, wurden wissenschaftliche Studien über Coronaviren und die Entwicklung von Impfstoffen als "unprofitabel" eingestuft! Der Bereich der wissenschaftlichen Forschung in den Diensten der öffentlichen Gesundheit wird ständig beschnitten, was durch mangelnde finanzielle und logistische Mittel behindert wird. Dies war einer der ersten Bereiche, der unabhängig von der politischen Fraktion, der die Regierungen angehören, unter den Haushaltskürzungen litt: "Donald Trump hat im Mai 2018 eine Sondereinheit des Nationalen Sicherheitsrats, die sich aus herausragenden Experten zusammensetzte und für die Bekämpfung von Pandemien zuständig war, abgeschafft". [1] "Nach der Schweinegrippe im Jahr 2009 veröffentlichten Beamte der Europäischen Kommission einen Bericht mit politischen Empfehlungen. Aber die Kommission wurde anschließend von den Mitgliedstaaten abgewiesen [...]. Nach SARS im Jahr 2003 wurde das Europäische Zentrum für Seuchenbekämpfung (ECDC) gegründet. Sie leistet eine ausgezeichnete Arbeit. Aber es hat nur 180 Mitarbeiter... In Sciensano (Forschungsinstitut und nationales Institut für öffentliche Gesundheit Belgiens) gibt es sehr kompetente Leute... aber die Institution ist schwach, weil nicht genug in sie investiert wird". [2]
Nun wird uns gesagt: "Um einen Impfstoff gegen SARS-CoV2 zu entwickeln, bauen die Forscher auf ihren Studien zu SARS-CoV1 und MERS-CoV auf". [3] 17 Jahre sind seit dem Auftreten des ersten Virus vergangen! 17 Jahre verloren bei der Suche nach einem Impfstoff, der Zehntausende von Leben hätte retten können!
Angesichts des Ausmaßes und der Verwüstung durch die gegenwärtige globale Pandemie sollte es eigentlich logisch und natürlich sein, die Zusammenarbeit, die internationale Koordination, die konzertierten wissenschaftlichen Anstrengungen und eine Zentralisierung zu entwickeln, die den technologischen Fortschritt und die wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Suche nach einem Impfstoff konzentriert und mobilisiert, um die zur Bekämpfung dieser Geißel erforderliche Zeit so weit wie möglich zu verkürzen.
Dies ist heute keineswegs der Fall. Ganz im Gegenteil. Der derzeitige globale Wettlauf um Impfstoffe und Behandlungsmethoden verläuft frenetisch, chaotisch und ungeordnet: "Weltweit wurden mehr als hundert Projekte gestartet und ein Dutzend klinische Studien laufen, um eine Heilung für die Krankheit zu finden". [4] Wenn man den Medien glaubt, tun alle Pharmagiganten wie Sanofi (der französische Pharmakonzern), Gilead Sciences (das amerikanische Pharmalabor), GlaxoSmithKline (der britische Pharmariese), Regeneron Pharmaceuticals (das New Yorker Unternehmen), Johnson & Johnson (die amerikanische Firma), das chinesische Unternehmen CanSino, um nur einige zu nennen, noch mehr als das. Aber sie tun es jeder für sich.
Warum sind wir mit einer solchen Situation konfrontiert? Gerade die Gesetze des Kapitalismus, die im Würgegriff der Ambitionen aller Staaten und des Wettbewerbs zwischen ihnen stecken, verbieten es der Gesellschaft, anders zu funktionieren als durch das Gesetz des Profits und des allgemeinen Konkurrenzkampfes, wo jeder gegen jeden antritt, alles völlig unkoordiniert und chaotisch. So wie diese Gesetze des Kapitalismus alle Präventivmaßnahmen und Forschungsbudgets in allen Bereichen des Gesundheitswesens behindert, verzögert, sabotiert und blockiert haben, so steht das Funktionieren des Kapitalismus und seiner Gesetze in direktem Gegensatz zur Zusammenführung von Daten und der unverzichtbaren Zentralisierung von Ressourcen und Forschung und der Entdeckung eines wirksamen Impfstoffs.
Dieser Wettlauf um den Impfstoff und das "Wundermittel" für Covid-19 bleibt nicht ohne tragische Folgen für den Rest der Weltgesundheit: Forscher/Virologen überall warnen vor den Gefahren dieses plötzlichen Wettlaufs: "Todesfälle durch nachlässige Forschung. ... Heute bewegt sich die Wissenschaft zu schnell, und das hat weitreichende Folgen ... Es gibt nicht mehr genug Zeit für eine kritische Reflexion der wissenschaftlichen Erkenntnisse, was schwerwiegende Folgen hat". [5]
Gegenwärtig wird viel an "Ersatzimpfstoffen" gearbeitet, wobei der Schwerpunkt auf der Wiederverwertung älterer Virusbehandlungen oder der Wiederaufnahme der Forschung an aufgegebenen Impfstoffkandidaten wie denjenigen gegen Malaria oder Ebola liegt, die in der Vergangenheit als "unrentabel" galten,[6] aber über Nacht zu einer "interessanten Perspektive" für den Zugang zu dem neuen Markt wurden, der durch die SARS-CoV2-Pandemie eröffnet wurde. Dies spiegeln die Ohnmacht und Verwirrung der wissenschaftlichen "Gemeinschaft" wider.
Vor allem kann dies nur dazu führen, dass schlecht getestete, "billige" und qualitativ schlechte Impfstoffe überstürzt auf den Markt kommen. Es bedeutet auch, dass unzählige neue, erschreckend viele neue Opfer die Konsequenzen tragen werden, auf Kosten ihres Lebens.
In Wirklichkeit haben der Kapitalismus, die bürgerliche Klasse und ihre Staaten kein wirkliches Interesse an der Gesundheit der Bevölkerung: "Wären die wahnsinnigen Summen, die in Forschung und Militärausgaben investiert wurden, für die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerung verwendet worden, hätte sich eine solche Epidemie nie entwickeln können".[7] "Welches der Unternehmen, die einen Coronavirus-Impfstoff entwickeln, wird ihn als erstes auf den Markt bringen?", [8] "Coronavirus-Impfstoff: Wird ein Land Priorität haben?"[9] Das sind die großen Fragen, die die Bourgeoisie in ihren Medien stellt! Die Tatsachen sind klar: Anstatt die gesamte Arbeit der Wissenschaftler zu zentralisieren und zu vereinigen, um so schnell wie möglich ein Medikament und einen Impfstoff herzustellen, hütet jedes Pharmaunternehmen neidisch den Stand und das Niveau seiner Forschung in seinen Labors, um als erstes den Impfstoff zu finden, um das Patent zu erhalten, das ihm das Herstellungsmonopol für einen Zeitraum von mindestens 7 bis 12 Jahren einräumt. Um die immensen Kosten für ihre Arbeit zu decken, wenden sie sich an die meistbietenden Investoren im Tausch gegen einige schmutzige Handelsgeschäfte. Unter ihnen ist der französische Pharmariese Sanofi, der skrupellos angekündigt hat, dass er einen möglichen Impfstoff vorrangig in den Vereinigten Staaten vertreiben wird, nachdem die USA 30 Millionen Dollar zur Unterstützung seiner Forschung zusätzlich zu dem bereits im Dezember 2019 mit der US-Regierung abgeschlossenen Vertrag über 226 Millionen Dollar für die Herstellung von Impfstoffen gegen Grippeviren investiert haben. Der durch diese Enthüllung Sanofis verursachte Skandal und insbesondere die Entrüstung Macrons sind eine reine Farce. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter ihren heuchlerischen Erklärungen und ihren "humanitär" gefärbten Worten, die behaupten, dass ein Impfstoff "nicht den Gesetzen des Marktes" unterworfen werden kann, dass er "ein öffentliches Gut" sein muss und dass der Zugang zu ihm "fair und universell" sein muss, die Angst Europas, im internationalen Wettlauf um einen Impfstoff auf dem Weltmarkt Punkte zu verlieren. Abgesehen von dem Bestreben der Pharmakonzerne, gemäß der Logik des Wettbewerbs, der Haupttriebkraft der kapitalistischen Gesellschaft, auf eigene Rechnung Gewinne zu erzielen, können sie sich dem Gesetz des Staatskapitalismus nicht entziehen, was bedeutet, dass jeder Nationalstaat letztlich die engste Kontrolle und strengste Wachsamkeit über die Leitung und Verwaltung seiner Volkswirtschaft und der von ihr abhängigen Unternehmen ausübt, auch wenn es sich um mächtige multinationale Konzerne handelt.[10] Mit anderen Worten: Es ist der Staat, der die Finanzpolitik seiner Unternehmen lenkt.
Wie der "Krieg der Masken" ist der Krieg der Impfstoffe "ein anschauliches Beispiel für den zynischen und zügellosen Wettbewerb zwischen allen Staaten"[11], die ein einfaches Ziel verfolgen. Entweder um der Erste zu sein, der den Impfstoff in die Hände bekommt und eine Monopolstellung innehat, oder um ihn auf privilegierte Weise zu erhalten, oder, um nicht aus dem Rennen gedrängt zu werden und um Hilfe "betteln" zu müssen, um nicht die großen Verlierer in diesem Kampf zu sein. Bürgerliche Kommentatoren erkennen dies an: "Zwischen den amerikanisch-europäischen Rivalitäten um einen zukünftigen Impfstoff und neuen Spannungen zwischen Donald Trump und China haben sich die Spaltungen zwischen den Großmächten vertieft". [12] Gegenüber den mächtigen Staaten USA und China "steckt Europa Milliarden in den Kampf um Impfstoffe [...] Kein Mitgliedstaat [...] hat die Macht, ein komplettes Impfstoff-Portfolio zu entwickeln". [13] Beispielsweise hat die Trump-Regierung die Forschung bei AstraZeneca mit 1,2 Mrd. EUR subventioniert, im Gegenzug für die Zusage von 300 Millionen Impfstoffdosen. Und EU-Staaten (Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Italien) wollen einen "Notfallfonds" von rund 2,4 Milliarden Euro in Anspruch nehmen, um die Verhandlungen über präferenzielle Impfstofflieferungen mit Pharmaunternehmen zu beschleunigen. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Versuch, eine gemeinsame Kasse einzurichten, Erfolg haben wird, da die EU nicht in der Lage ist, konzertierte Maßnahmen zur Eindämmung und Bewältigung des Mangels an medizinischer Ausrüstung zu ergreifen.
Die USA haben der WHO ein Bein gestellt, indem sie ihren Beitrag zu dieser Organisation unter der Führung des Äthiopiers Tedros Adhanom Ghebreyesus zurückgezogen haben. Der WHO-Chef wird von Trump beschuldigt, tatsächlich von China kontrolliert zu werden. Dies ist auch ein aufschlussreiches Beispiel für den grausamen und rücksichtslosen Handelskrieg und den imperialistischen Krieg, den die drei größten Haie (China, USA, EU) auf dem Planeten führen.[14] Sie alle beschuldigen sich gegenseitig mit größter Heuchelei und in einer vollkommen eigennützigen Art und Weise für diesen Mangel an Koordination: Während die USA der WHO "geheime Absprachen" mit China vorwerfen, geißelt die EU das "egoistische" Verhalten der USA.
„Linke" Zeitungen wie The Guardian und viele andere sind gezwungen zuzugeben, dass es einen Mangel an Koordination gibt, aber ihre Klagen sind nichts als Jammern und sollen die Verantwortung des kapitalistischen Systems als Ganzes verschleiern. Letztlich zeigt der Kampf um Impfstoffe, dass die Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung keineswegs das zentrale Anliegen der Staaten und der herrschenden Klasse ist. Es geht ihnen nur darum, die Gesundheit als ein Instrument zu benutzen, um sich durchzusetzen und ihren Platz in der imperialistischen Weltarena zu stärken.
Der wirkliche große Verlierer in diesem Impfstoffkrieg ist die Menschheit, die für das Überleben dieses unheilbar kranken Systems, das nirgendwo anders hinführt als zu noch mehr Leid, einen noch höheren Preis in Form von Opfern zahlen muss. Nur eine Gesellschaft, die in der Lage ist, ihre Anstrengungen auf globaler Ebene zu mobilisieren, zu vereinen und zu zentralisieren, wird in der Lage sein, diese Situation auf der Grundlage der realen menschlichen Bedürfnisse zu überwinden.
Aube, 30. Juni 2020
[1] Siehe unser internationales Flugblatt: „Generalisierte kapitalistische Barbarei oder proletarische Weltrevolution"
[2] Interview mit dem belgischen Virologen De Standaard (30.-31. Mai 2020).
[3] RTL-Infos (29. Mai 2020)
[4] La Croix (15. Mai 2020)
[5] De Standaard (20.-21. Mai)
[6] Beispielsweise wurde die Forschung an einem Impfstoff gegen das Ebola-Virus zynischer weise aufgegeben, weil afrikanische Staaten als "zahlungsunfähig" beschrieben wurden, zum direkten Nachteil der vielen Opfer in der Bevölkerung.
[7] "Verallgemeinerte kapitalistische Barbarei oder proletarische Weltrevolution"
[8] Etoro (18. März 2020)
[9] Rtbf (18. Mai 2020)
[10] "Wirtschaftskrise: der Staat, die letzte Bastion des Kapitalismus"
[11] "Krieg der Masken: Die Bourgeoisie ist eine Klasse von Gangstern"
[12] La Croix (15. Mai 2020)
[13] De Standaard (5. Juni 2020)
[14] Der Exklusivvertrag, den die amerikanische Regierung über die Herstellung von Remdésivir, einem bereits bei der Behandlung von Ebola eingesetzten Virostatikum (jedoch von zweifelhafter Wirksamkeit bei der Begrenzung der Auswirkungen von Covid), unter den Augen der EU, die soeben dessen weit verbreitete Anwendung in Europa empfohlen hatte, gewonnen hat, bringt eine neue Bestätigung ihrer Gangstermoral in diesem Krieg, in dem alle Schläge erlaubt sind.
„Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt“, wie Marx bekanntlich meinte. Heute verschlechtert sich die Lage der meisten Menschen auf der ganzen Welt auf gefährliche und verwirrende Weise: Kriege, wirtschaftliche Not, Umweltzerstörung, erzwungene Migration und in diesem Jahr zusätzlich ein neuer Virus. Diese materiellen Bedingungen des wachsenden Chaos und der Verwirrung sowie das offensichtliche Fehlen einer glaubwürdigen Alternative sind der Nährboden für die Verbreitung von "Verschwörungstheorien". Da Millionen von Menschen infiziert sind und Hunderttausende von Menschen weltweit an den Folgen der Covid-19-Pandemie sterben, gibt es unzählige Erklärungen für die Ursache dieser Geißel, viele davon in Form von Verschwörungstheorien. Trotz Äußerungen von Gremien wie der Weltgesundheitsorganisation und den Vereinten Nationen [1], dass der Ursprung solcher Krankheiten in der Zerstörung natürlicher Lebensräume liegt, die zu einer ungeregelten Vermischung der Lebensräume von Tier- und Menschenarten führt (zu der wir die intensive und unhygienische Tierhaltung im industriellen Maßstab hinzufügen würden), (*) reichen solche "Theorien" von der Anschuldigung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, dass das "kommunistische" China das COVID Virus sowohl herstellte als auch verbreitete, zu der weit verbreiteten Vorstellung, dass die Pandemie von Staaten zur Überwachung und Kontrolle ihrer Bürger durch eine finstere "globale Elite" oder durch Einzelpersonen wie den Investor George Soros oder den Microsoft-Multimillionär Bill Gates genutzt wird, um ihre eigenen Entwürfe zur Weltherrschaft voranzutreiben. Solche "Theorien" beschränken sich nicht auf die rein ideologische Ebene, sondern manifestieren sich im Alltag, im Handeln, durch Proteste, Lobbying und soziale Medien, die das Verhalten von Millionen Menschen beeinflussen - insbesondere, aber keineswegs ausschließlich in Amerika. Man denke nur an den Aufstieg der "Anti-Vaxxer"-Bewegung - derjenigen, die sich gegen den staatlich vorgeschriebenen Einsatz von Impfstoffen zur Krankheitsvorbeugung wenden - vom Randbereich zum Mainstream, der 2019 zum schlimmsten Masernausbruch einer Generation in Amerika beigetragen haben soll. Im Mai dieses Jahres ergab eine Umfrage, dass fast ein Viertel der US-Bürger angab, sie würden einen Impfstoff gegen Covid-19 ablehnen, selbst wenn ein solcher entwickelt würde! In Australien lag die Zahl nahezu bei 50%. (*)
Noch unheimlicher ist die Entwicklung eines Pogromgeistes, der sich in körperlichen Angriffen auf Menschen asiatischen Aussehens manifestiert, die für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht werden. Indiens Fernseh-Nachrichtensender, die bereits dafür berüchtigt sind, Hass gegen Muslime zu verbreiten, beschuldigten muslimische Prediger, "absichtlich" COVID-19 zu verbreiten, und titulierten sie als "Virenschurken" und "menschliche Bomben" Indiens. Die orchestrierte Welle anti-muslimischer Gewalt in Neu-Delhi forderte mindestens 53 Tote und über 200 Verletzte.
Es ist sicherlich so, dass die Entwicklung globaler Internet-Vertriebskanäle wie Facebook und YouTube das Wachstum aller Arten von Verschwörungsvideos, Kanälen und Untergruppen mit Figuren wie David Icke oder InfoWars' Alex Jones gefördert haben, die in der Vergangenheit Meister darin waren, mit Weltbildern zu hausieren, in denen Juden, Banker, die Illuminaten oder finstere "globalistische" Organisationen die Welt regieren und manipulieren - genau zu einer Zeit, in der internationale Gremien, die sich mit Welthandel, Weltgesundheit, Rüstungsbegrenzung oder Klimaabkommen befassen, von zügellosem Nationalismus abgelöst werden.
Im Internet organisieren sich die "Wellness"-Anhänger, deren Körper ihre Tempel sind, in die kein staatlich geförderter Impfstoff gelangen darf. Ihre Abscheu vor einer "Big Government" oder "Big Pharma" wird von dem "libertären" Flügel der Linken oder der Rechten geteilt, die davon überzeugt sind, dass die Verbreitung von Covid-19 eine bewusste Politik der führenden Staaten der Welt ist, um ihre Bevölkerung zu überwachen und zu kontrollieren. Auch diejenigen, die 5G-Masten der Telekommunikation anzünden, haben hier ihr Präsenz. Am Rande solcher Bewegungen steht der bewaffnete Flügel der angeschlagenen Kleinbourgeoisie, wie die waffenanbetende Boogaloo-Bruderschaft, die den "Rassenkrieg" fördert und (in ihrer verzerrten Vision) Raum für ihre besondere Art von selbstverwaltetem Chaos schafft. Der Mythos des rauen, die Grenzen sprengenden Individuums, der in der US-Kultur so weit verbreitet ist - unter ihnen die "Maskenverweigerer" - ist lediglich ein Spiegelbild der extremen Arbeitsteilung des Kapitals, in dem jeder Mensch auf ein hoffnungsloses, hilfloses Wesen reduziert zu sein scheint, das von den Mitteln zur Produktion eines Lebensunterhalts und von den Produkten seiner Arbeit geschieden ist.
Aber es ist nicht die Entwicklung der Technologie, die für die Verbreitung von Sekten im Millenniums-Stil verantwortlich ist - das Medium sollte nicht für die Botschaft verantwortlich gemacht werden. Diese Ehre gebührt dem zerfallenden Kapitalismus selbst. Und die herrschende Klasse ist durchaus in der Lage, ihre eigene Verwesung zu nutzen, um Krieg gegen ihre eigene Bevölkerung und ihre Feinde zu führen.
Wir haben bereits erwähnt, dass Präsident Trump China als den Schuldigen für die Schaffung und Verbreitung des neuen Virus genannt hat. Das passt gut zu den Interessen des US-Imperialismus, der eine Verunglimpfung und Schwächung seines aufsteigenden Feindes fördert. Trump wird in dieser Angelegenheit vom demokratischen Präsidentschaftskandidaten Biden angestachelt. Trumps eigene Anhänger im QAnon freuen sich derweil, Amerika und die Welt in den Klauen einer verräterischen Gangsterbande (zu der viele frühere US-Präsidenten gehören, die aber bizarrerweise Reagan und Kennedy ausschließt) zu präsentieren, in der Trump und "ein paar mutige Männer" die einzig wahren Patrioten sind...[2]. Für diese herrschende Kabale sind Verschwörungstheorien eine nützliche Nebelwand für Idioten: Covid-19 ist ein "Hoax", eine gefälschte Nachricht, ebenso wie die Behauptungen über russische Kopfgelder für die Tötung von US-Soldaten. Die Demokraten - die eine breite Palette "alternativer" Lösungen für Pandemien und Wirtschaftskrisen bieten verwenden ebenfalls Verschwörungstheorien, um die Trump-Clique als alleinige Ursache für den Niedergang Amerikas in der Welt darzustellen, wobei Trump die Marionette von Russlands Putin ist. ‚Rationale‘ Posen wie „The Alliance for Science“ entlarven die Anti-Vaxxer und ihr verschwörerisches Volk ... und fördern gleichzeitig die Produktion gentechnisch veränderter Lebensmittel zu Profitzwecken.
In Zeiten vergangener Seuchen sowie einer gewissen sozialen Solidarität angesichts solcher Tragödien gab es immer wieder Versuche, Sündenböcke zu suchen. "Die tödlichste und verheerendste Krankheit Europas, der Schwarze Tod von 1347-51, löste Massengewalt aus: die Ermordung von Katalanen in Sizilien und von Klerikern und Bettlern in Narbonne und anderen Regionen; und insbesondere die Pogrome gegen Juden, bei denen über tausend Gemeinden im Rheinland, in Spanien und Frankreich und im Osten über weite Teile Europas ausgerottet, ihre Mitglieder in Synagogen eingesperrt oder auf Flussinseln zusammengetrieben und verbrannt wurden - Männer, Frauen und Kinder.[3] In Italien hatten die Flagellanten sowohl die Juden als auch eine korrumpierte Kirchenhierarchie dafür verantwortlich gemacht, Gottes Zorn hervorzurufen. Um ihnen keine Munition zu geben, sprach Papst Clemens VI. die Juden (und natürlich auch Gott und die Kirche) von ihrer Schuld frei und machte eine falsche Ausrichtung der Planeten dafür verantwortlich.
Auf diese Weise konnte man nicht nur "Außenstehende", "die anderen" oder Minderheiten ins Visier nehmen, sondern auch der herrschenden Klasse die Schuld für die zersetzende Krankheit in die Schuhe schieben: Perikles wird beschuldigt, während der Pest von Athen, 430-426 v. Chr., virusgeschwächte Athener gegen ihre spartanischen Rivalen geführt zu haben, und während der Antoninischen Pandemie (es gab viele im Römischen Reich) von 165-190 n. Chr. wurden zwischen 170-300 namhafte Matronen "vor Gericht gestellt" und hingerichtet, weil sie männliche Mitglieder der herrschenden Klasse, die Opfer der Pest geworden waren, "vergiftet" hätten. Dieses ohnmächtige Auspeitschen der "Eliten" ist ein wichtiger Aspekt, der Form und Funktion der Verschwörungstheorien in der heutigen Epoche der Zersetzung und des politischen Populismus diktiert.[4]
Trotz begrenzter Erkenntnisse in der Antike (z.B. die Ansicht des zeitgenössischen Historikers Thukydides, dass die athenische Pest "durch das Zusammendrängen der bäuerlichen Massen in kleinen Behausungen und erstickenden Baracken verursacht wurde", war es in der Antike unmöglich, ein wissenschaftliches Verständnis über Ursprung und Übertragung der Seuchen zu haben. Daher die Jagd nach Sündenböcken und die Verbreitung irrationaler Erklärungen.
Heute hat die Menschheit - zumindest in der Theorie - ein viel größeres Verständnis von dem, was vor sich geht. Das Genom von Covid-19 (der vollständige Satz von Genen oder genetischem Material, der in einer Zelle oder einem Organismus vorhanden ist) wurde innerhalb weniger Wochen nach seiner formellen Entdeckung Anfang dieses Jahres kartiert. Dies lässt die weit verbreitete Akzeptanz von Verschwörungstheorien über den Ursprung der Pandemie und die Versuche, sie zu lindern, als noch größere Anomalie erscheinen, selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um ein neues Virus mit derzeit unbekannten Aspekten handelt.
Seuchen und Pandemien entstehen jedoch aus spezifischen sozialen Bedingungen heraus, und ihre Auswirkungen hängen ebenfalls von dem jeweiligen historischen Punkt ab, den eine bestimmte Gesellschaft erreicht hat. Die Covid-19-Krise ist ein Produkt des tiefgreifenden Zerfalls des Kapitalismus und der immensen Widersprüche, die sich aus dem Nebeneinander von erstaunlichen Fortschritten in allen Bereichen der Technologie und dem Auftreten von Pandemien, Dürren, Bränden, schmelzenden Eiskappen und städtischem Smog ergeben. All dies findet seinen Ausdruck auf ideologischer Ebene, ebenso wie die offenkundigen Unterschiede zwischen einer zunehmenden Verarmung und Arbeitslosigkeit eines großen Teils der Weltbevölkerung und der Bereicherung einer ausbeuterischen Minderheit.
Verschwörungstheorien rivalisieren heute mit den Religionen in ihrem Versuch, die komplexe Realität zu beschreiben und zu erklären: Wie die Religion bieten sie Gewissheit in einer unsicheren Welt. Die verschiedenen "Wahrheit"-Bewegungen personifizieren die verborgenen, unpersönlichen Prozesse der verkrüppelten kapitalistischen Akkumulation, indem sie das Augenmerk auf einzelne Personen oder geheimnisvolle, miteinander verbundene Cliquen lenken. Sie erscheinen insofern überzeugend, als ihre "Kritiken" oft einige grundlegende Wahrheiten enthalten - zum Beispiel, dass der Staat bestrebt ist, immer mehr Daten über seine Bürger zu sammeln, zu verarbeiten und zu speichern, oder dass es einen "tiefen Staat" gibt, der hinter der Fassade der Demokratie agiert.
Aber Verschwörungstheorien stellen diese halbverdauten Binsenweisheiten in völlig falsche Rahmenbedingungen, wie etwa die Idee, dass es möglich ist, auszusteigen (oder "off-grid" zu gehen) und dem kalten Blick der Überwachungstechnologie des Staates (der Überlebensmentalität) auszuweichen, ohne den Staatsapparat selbst zu zerstören. Sie sehen im Falle des "tiefen Staates" nicht, dass dieser nicht das Produkt einer kooperativen internationalen Kabale ist sondern der Ausdruck des sich entwickelnden Staatskapitalismus, ein direkter Ausdruck des Konkurrenzcharakters des Kapitalismus, der von dem Bestreben diktiert wird, rivalisierende Staaten in einer zunehmend barbarischen Reihe von Kriegen eines jeden gegen alle zu beherrschen oder zu zerstören. Verschwörungstheorien werden so nicht nur zu einer Fehlinterpretation der Welt, sondern zu einer Blockade gegen die Entwicklung des Bewusstseins, das zu ihrer Veränderung erforderlich ist.[5]
Aus dem gleichen tiefen Misstrauen gegenüber den herrschenden "Eliten" hervorgehend, das zu dem populistischen Phänomen der letzten Jahre geführt hat, geht die Vorliebe für irrationale Erklärungen der Realität mit einer wachsenden Ablehnung der Wissenschaft einher. Daher die Frustration von Donald Trumps medizinischem Berater Dr. Anthony Fauci: "Es gibt ein allgemeines Gefühl unter einigen Menschen in diesem Land, das gegen Wissenschaft, Behörden, Impfstoffe gerichtet ist - das ist bei einem relativ gesehen alarmierend großen Prozentsatz der Menschen der Fall ", sagte der medizinische Sprecher der USA in der Coronavirus Task Force des Weißen Hauses. Dies von der Galionsfigur, die der Trump-Administration, den Verfechtern von Verschwörungstheorien par excellence, wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verleiht! In Großbritannien berichtete eine Kommission des Oberhauses (ja, es gibt immer noch Lords of the Realm!), die die Macht der digitalen Medien untersucht, von "einer Pandemie von Fehlinformationen und Desinformationen ... Wenn man diese gefälschten Wahrheiten gedeihen lässt, werden sie zum Zusammenbruch des öffentlichen Vertrauens führen, und ohne Vertrauen wird die Demokratie, wie wir sie kennen, einfach in die Bedeutungslosigkeit verfallen. So ernst ist die Lage".
Aber wenn die herrschende Klasse die Wissenschaft benutzt und missbraucht, um ihre Politik glaubwürdig zu machen - wie wir im Vereinigten Königreich deutlich gesehen haben, als die Regierung zunächst mit einer unausgereiften Version der Theorie der "Herdenimmunität" als mögliche Rechtfertigung für ihre völlig fahrlässige Reaktion auf die Pandemie spielte - ist es nicht überraschend, dass die Wissenschaft selbst zunehmend an Glaubwürdigkeit verliert. Und wenn das Aufkommen von "gefälschten Wahrheiten" auch, wie der Bericht des Oberhauses befürchtet, zu einem Verlust der Überzeugung von der Idee der Demokratie führt, so stellt dies die Fähigkeit der herrschenden Klasse, die Kontrolle über die Gesellschaft durch einen politischen Apparat zu behalten, der von der Mehrheit der Bevölkerung weitgehend akzeptiert wird, vor noch größere Schwierigkeiten.
Aber der Kontrollverlust der Bourgeoisie an sich birgt nicht das Potenzial für positive soziale Veränderungen. Ohne die Entwicklung einer ernsthaften Alternative zur Herrschaft der Bourgeoisie führt er nur zu Nihilismus, Irrationalität und Chaos.
Die wachsende Kakophonie der Verschwörungstheorien - das Vorherrschen unsinniger Leugnungen der schockierenden und beängstigenden Realität - gründet nicht nur auf dem Verlust der Kontrolle der herrschenden Klasse über ihr Wirtschaftssystem und ihren eigenen politischen Apparat. Sie entsteht vor allem aus einem sozialen Vakuum, einer Abwesenheit. Es ist das Fehlen einer Perspektive - einer alternativen und vitalisierenden Vision für die Zukunft, die jedoch in der Gegenwart verwurzelt ist -, die aus dem relativen Rückzug der proletarischen Kämpfe und des proletarischen Bewusstseins in den letzten 30 Jahren oder so entstanden ist und zur heutigen sozialen Verwirrung beiträgt. Im Jahre 1917, inmitten eines scheinbar endlosen und festgefahrenen Weltkrieges, in dem Millionen Menschen getötet und Jahrtausende angesammelter menschlicher Zivilisation zerstört wurden, war es die russische Revolution, die von der Arbeiterklasse selbst organisiert und durchgeführt wurde, die den Krieg beendete und die Möglichkeit einer anderen Art der Organisation der Welt bot, die auf menschlichen Bedürfnissen beruhte. Die Menschheit hat den Preis dafür bezahlt, dass es ihr zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht gelungen ist, dieses Beispiel auf der ganzen Welt zu verbreiten und sie so zu innerer Degeneration und Konterrevolution zu verdammen.
Aus der Sicht der herrschenden Klasse ist die proletarische Revolution selbst nur als Ergebnis einer Verschwörung möglich: Die Erste Internationale wurde als die versteckte Hand hinter jedem Ausdruck der Unzufriedenheit der Arbeiterklasse im Europa des 19. Jahrhunderts angeprangert; der Oktoberaufstand war nicht mehr als ein Staatsstreich von Lenin und den Bolschewiki. Doch während kommunistische Ideen meist nur von einer Minderheit des Proletariats vertreten werden, kann die revolutionäre Theorie zu bestimmten Zeitpunkten für eine große Zahl von Menschen offensichtlich und verständlich werden, sobald sie beginnen, den Panzer der herrschenden Ideologie abzuschütteln und sich so in eine "materielle Kraft" zu verwandeln. Solche tiefgreifenden Veränderungen des Massenbewusstseins mögen noch weit entfernt sein, aber die Fähigkeit der Arbeiterklasse, den Angriffen des Kapitalismus zu widerstehen, weist auch auf diese Möglichkeit in der Zukunft hin. . . Wir sahen dies in einer embryonalen Weise zu Beginn der Pandemie, als die Arbeiter sich weigerten, um der Profite des Kapitalismus willen "wie Lämmer zur Schlachtung" in ungeschützte Fabriken und Krankenhäuser zu gehen. Und wenn die heutigen Seuchenzustände und inszenierten Nebenschauplätze wie die Black Lives Matter-Bewegung die Vereinigungsfähigkeit des internationalen Proletariats einschränken, werden die schrecklichen Entbehrungen, die sich gegenwärtig entfalten - steigende Ausbeutungsraten der Beschäftigten, Entwicklung der Massenarbeitslosigkeit rund um den Globus - es zwingen, sich all den falschen Visionen zu stellen, die sein Bewusstsein von dem, was zu tun ist, trüben.
Robert Frank 07.07.2020
[1]Pandemien entstehen durch die Zerstörung der Natur, sagen UN und WHO, The Guardian, 17. Juni 2020 https://www.theguardian.com/world/2020/jun/17/pandemics-destruction-nature-un-who-legislation-trade-green-recovery [57]
[2]Pandemien: Wellen der Krankheit, Wellen des Hasses von der Pest in Athen bis zu A.I.D.S. von Samuel K. Cohn, https://academic.oup.com/histres/article/85/230/535/5603376 [58] Der Autor argumentiert kontrovers, dass trotz der Sündenböcke und Massenmorde an Juden in mittelalterlichen Pestzeiten und anderer von ihm selbst angeführter Beispiele eine solche "Schuldkultur" noch gegen Beweise für soziale Solidarität angesichts der von Krankheiten verursachten Katastrophen abgewogen werden muss. Siehe auch Cohns Epidemien: Hass und Mitgefühl von der Pest in Athen bis AIDS, Oxford University Press.
[3]Siehe 'Die Wahl Trumps und das Zerfallen der kapitalistischen Weltordnung', International Review 158, Frühjahr 2017 https://en.internationalism.org/international-review/201702/14255/trump-election-and-crumbling-capitalist-world-order [59]
[4]Siehe Marxismus und Verschwörungstheorien https://en.internationalism.org/icconline/201201/4641/marxism-and-conspiracy-theories [60]
[5]Siehe zum Beispiel die von der Organisation QAnon produzierten Slick-Videos, darunter Der Plan zur Rettung der Welt.
Links
[1] https://en.internationalism.org/internationalreview/199604/3709/transformation-social-relations
[2] https://de.internationalism.org/content/2944/die-1950er-und-60er-jahre-damen-bordiga-und-die-leidenschaft-fuer-den-kommunismus
[3] https://en.internationalism.org/internationalreview/199803/3824/1918-programme-german-communist-party
[4] https://en.internationalism.org/internationalreview/199809/3867/1919-programme-dictatorship-proletariat
[5] https://en.internationalism.org/ir/97_kapd.htm
[6] https://en.internationalism.org/content/16797/marc-chirik-and-state-period-transition
[7] http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_536.htm
[8] https://en.internationalism.org/icconline/2009/04/darwin-and-the-descent-of-man
[9] https://en.internationalism.org/internationalreview/199506/1685/mature-marx-past-and-future-communism
[10] https://libcom.org/article/human-species-and-earths-crust-amadeo-bordiga
[11] http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_209.htm#Kap_III
[12] https://www.cnbc.com/2018/05/17/two-thirds-of-global-population-will-live-in-cities-by-2050-un-says.html
[13] https://www.quora.com/In-2009-the-world-population-was-6-8-billion-Exponential-growth-rate-was-1-13-per-year-What-is-the-estimated-world-population-in-2012-and-2020
[14] https://www.marxists.org/archive/trotsky/1924/lit_revo/
[15] https://en.internationalism.org/internationalreview/200210/9651/trotsky-and-culture-communism
[16] https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/02/ipcc_wg3_ar5_chapter8.pdf
[17] http://www.asirt.org/safe-travel/road-safety-facts
[18] https://libcom.org/article/class-war-102019-yellow-vests
[19] https://fr.internationalism.org/content/9877/prise-position-camp-revolutionnaire-gilets-jaunes-necessite-rearmer-proletariat
[20] https://www.international-communist-party.org/English/TheCPart/TCP_021.htm
[21] https://internationalcommunistparty.org/index.php/en/2768-after-minneapolis-let-the-revolt-of-the-american-proletarians-be-an-example-to-proletarians-in-all-metropolises
[22] https://www.leftcom.org/en/articles/2020-05-30/on-minneapolis-police-brutality-class-struggle
[23] https://en.internationalism.org/content/16855/covid-19-despite-all-obstacles-class-struggle-forges-its-future
[24] https://en.internationalism.org/internationalreview/197701/9333/ambiguities-internationalist-communist-party-over-partisans-italy-19
[25] https://en.internationalism.org/content/3203/polemic-wind-east-and-response-revolutionaries
[26] https://en.internationalism.org/content/3250/polemic-faced-convulsions-east
[27] https://www.leftcom.org/en/articles/2019-01-18/some-further-thoughts-on-the-yellow-vests-movement
[28] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_741.htm#Kap_24_6
[29] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_341.htm#M24
[30] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_341.htm
[31] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_441.htm
[32] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_2
[33] https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violenc
[34] https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violencia-racial-eeuu-historia-racismo.html
[35] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_7
[36] https://marxwirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_band39.pdf
[37] https://www.koorosh-modaresi.com/MarxEngels/V50.pdf
[38] https://www.zinez.net/internacional/20200603/481582308546/violencia-raci
[39] https://en.internationalism.org/content/9459/history-class-struggle-south-africa;
[40] https://en.internationalism.org/international-review/201508/13355/south-africa-world-war-ii-mid-1970s;
[41] https://en.internationalism.org/international-review/201702/14250/soweto-1976-anc-power-1993;
[42] https://en.internationalism.org/content/16598/election-president-nelson-mandela-1994-2019
[43] https://en.internationalism.org/internationalreview/200912/3406/1492-discovery-america
[44] https://en.internationalism.org/content/16709/american-civil-war-and-struggle-working-class-unity
[45] https://www.lavanguardia.com/internacional/20200603/481582308546/violencia-racial-eeuu-historia-racismo.html?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_content=claves_de_hoy
[46] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_245.htm#Kap_8_3
[47] http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_225.htm
[48] http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_361.htm
[49] https://www.marxists.org/archive/marx/works/1847/11/prin-com.htm
[50] https://www.marxists.org/archive/marx/iwma/documents/1864/lincoln-letter.htm
[51] https://en.internationalism.org/internationalreview/200601/1609/iww-failure-revolutionary-syndicalism-usa-1905-1921;
[52] https://en.internationalism.org/ir/125-iww
[53] https://de.internationalism.org/content/1233/ursprung-und-mythos-der-iww
[54] https://www.vozpopuli.com/internacional/Barack_Obama-Racismo-Estados_Unidos-racismo-estados_unidos-obama-conflicto_racial-matanzas-negros_0_933206737.html
[55] https://en.internationalism.org/ir/107_decomposition
[56] https://en.internationalism.org/icconline/200605/1778/latino-demonstrati
[57] https://www.theguardian.com/world/2020/jun/17/pandemics-destruction-nature-un-who-legislation-trade-green-recovery
[58] https://academic.oup.com/histres/article/85/230/535/5603376
[59] https://en.internationalism.org/international-review/201702/14255/trump-election-and-crumbling-capitalist-world-order
[60] https://en.internationalism.org/icconline/201201/4641/marxism-and-conspiracy-theories